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Die Ursprungsfantasien und ihren Gefahren für die Demokratie

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Academic year: 2022

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Vortragsreihe „Philosophie aktuell“ im Sommersemester 2021 Das Freiheitsproblem und seine Lösung in der Demokratie

8. Vorlesung 20.05.2021

Die Ursprungsfantasien und ihren Gefahren für die Demokratie

Am Beginn der Zweiten Moderne tauch ein Zivilisations- und Kulturphänomen auf, das wir bisher nicht richtig verstanden haben. In symbolischen Formen lässt es sich beschreiben mit dem Satz:

„Einen Schritt vor zwei zurück.“ Der symbolische Inhalt, der sich hier verbirgt, zeigt sich in der Parole: Zurück zum Original, zurück zum Ursprung, zurück auf den Anfang. Umgehung, Leugnung des Fortschritt-Phänomens, weil der Fortschritt sich korrumpiert hat.

Dabei sind diese Ur-Sprungs-Bewegungen immer von einer wilden Entschlossenheit und Reinheit umgeben. Wie ein Heiligenschein zeichnet sie die Aura des Reinen, des Echten, der ursprünglich Unverfälschten aus.

In diesen Bewegungen wird das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet.“ (Spruch) Wir stehen vor dem Phänomen der Übertreibung in den Rückgang von Zivilisation und Kultur. Dabei wird die Zivilisation in ihren technisch-bürokratischen Ausprägungen kritisiert und im Namen einer ursprünglich reinen, aber kosmisch und biologisch festgelegten Kultur kritisiert. Das ist nicht die demokratische Kultur des Eigentums an sich selbst und des Eigensinns als Souverän über die eigene Vernunft.

Die Natur-Vernunft ist eine Erfindung der Menschen, denn die Natur regelt ihre Probleme durch Auslese und Evolution. Der Mensch ist aus ihr ausgetreten durch die exzentrische Positionalität (Plessner) seiner Welterzeugung. Damit ist er eingetreten in eine Menschen-Vernunft der unumkehrbaren menschlichen Freiheit, jenseits der Natur (symbolisches Bild der

Paradiesvertreibung). Die „Harmonie der Natur“ (Rousseau) ist ein schlechter Mythos, weil die Freiheit gegen die Evolution nicht existiert. In der Natur gibt es nur Notwendigkeiten. Und wenn von Friedrich Engels – durchaus in den Spuren von Rousseau – postuliert wurde: „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit!“, dann war das keine Freiheit der Kultur, sondern einer

mechanisch aufgefassten Natur. Dazu später.

Freiheit muss den Willen mit sich selbst auskämpfen.

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Die restaurative Revolution – Widersprüche der naturalistischen Aufklärung und der französischen Revolution

 Themen sind Rousseau und der Rückgang in die Natur als Kampf gegen die alte Herrschaft des Hofes.

 Die Pendelbewegung von Geiz (Reduktionismus / Inklusion) und Gier (Expansionismus / Exklusion)

 Rückfall in die Utopie einer „unberührten Kultur der Naturvölker“ liefert die Folie für eine Kritik an der Überzivilisiertheit1 des französischen Hofes.

 Der Feudalstaat wird kritisiert durch das städtische Bürgertum, dem auch Rousseau entstammt. Damit wird eine Restauration in den Naturalismus und später in die Romantik eingeleitet, die reaktionär war, weil sie die Fortschritte des Bürgertums in kultureller und zivilisatorischer Hinsicht leugnete.

8.1. Die naturalistische Restauration und Gesellschafts-Vertrag

Dabei wird „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“. Das primitive Gegensatzdenken (Schwarz- Weiß / Fortschrittlich – Rückschrittlich) und dann das dialektische Denken der Platoniker und das logische Schlussdenken der Aristoteliker, verlegt den gedanklichen Weg zur wirklichen Geschichte und zum Geschichtserfinden des Menschen.

Wir müssen dann die erste existenziell-geschichtliche Transformationsidee der Existenz bei Hegel bis hin zur àuto-génesis bei Sokrates und den Chiasmós weiterdenken.

8.2 Zuerst aber die historische Einordnung:

Die zivilisatorische Moderne des Adels und die kulturelle Erstarrung der alten Gesellschaft stehen einer kulturellen Revolution des Bürgertums (vor allem der Enzyklopädisten) und dem kapitalistischen Bürgertums entgegen. Doch die Ideen der demokratischen Revolution verfangen sich leider in der Idee des alten Naturrechts, also des Vertragsrecht. Dadurch entsteht der

Rückgang in die alte platonische Idee der ewigen Natur. Und dieser Widerspruch zieht sich durch die gesamte Zweite Moderne und endet verhängnisvoll bei Marx. Idee des bürokratischen

Kommunismus und der Totalitarismus-These auf der konservativ-demokratischen Gegenseite Rousseaus erster Fehler und die Folgen daraus:

Die kritiklose Übernahme des Naturrechts. Das Vertragsdenken des Contract social (1762).

1 Elias, Norbert: Der Prozess der Zivilisation. Frankfurt am Main 1990, S. 8. Kant verwendet den Ausdruck in den

„Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784)“.

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Das teilt er nicht ganz mit Marx. Denn Marx weiß, dass die Natur kein Recht kennt. Das Recht ist eine menschliche Erfindung. In der Natur gibt es keinen Gerichtshof an dem die Tiere und Pflanzen ihr Recht einklagen können. In den Marxismus/Leninismus kommt dann später die Naturvorstellung Engels herein. Ein Unglück.

Der Fortschritt in der marxschen Entfremdungstheorie als eines gesellschaftlichen Phänomens, wird aufgeben.

8.3 Rousseaus zweiter Fehler und die Folgen daraus:

Die Menschenwürde wird auf die ewige Natur aufgebaut. Das Eigentum als der bürgerliche Fortschritt wird im Contrct social nicht gesehen. Ja, das Eigentum und die Einzäunung wird geradezu als der Ursprung des Übels angesehen. Damit sind Eigentum auf die Person (Solon) und Besitzergreifung durch die Einzäunung eines fremden Besitzes zwei völlig unterschiedliche Rechtsformen und Lebensverhältnisse.

Text: Entstehung der Ungleichheit

Rousseaus dritter Fehler: Die Natur wird als paradiesische Natur vergöttlicht (gut) und die Kultur und Zivilisation verteufelt (schlecht). Dadurch wird die Vernunft zur Naturvernunft, die es in diesem Sinne auch nicht gibt. Evolution ist nicht kulturelle Vernunft, sondern unterliegt den von Darwin entdeckten Naturgesetzen. Der Hauptgedanke der Aufklärung als die Öffnung des Geistes, wird in die neue Naturabhängigkeit eines letztlich göttlichen Geistes und einer göttlichen Vernunft zurückgeführt.

Text: Entstehung der neuen Religion / Kultus – 4. Buch 8. Kap.

Religion wird im Mythos richtig an die Verbindung von Land-Fürst-Religion-Gott-des-Landes gesehen.

Religion ist so mit dem Staat verbunden (S.141). Dann löst sich diese Verbindung durch Jesus. Die als die Christen die innere Spaltung einführen – „Gebt Gott was Gottes ist und dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ Es wird eine „doppelte Gewalt“ (S. 143). Fürstliche Gewalt und „bürgerliche Gesetze“ behandelt er als inheit, was falsch ist. Denn es sind dies zwei Ordnungen (Land, gegen Stadt). Un dem stellt Rousseau als staatliche Ordnung herrschaft etablier. Staatliche Ordnung und die „Priester zum Gehorsam (dem Papst) verpflichtet.“ (S.144) Also gibt es hier im Christentum „zwei Souveräne“ (S.

144).

Der Terror der französischen Revolution baut auf dem Kult des „Höchsten Wesens“. Und vice versa: Der Kult des höchsten Wesens ist auf den Fehlern der absoluten Vergötterung einer

undynamischen Natur und in der Verbindung mit dem a-dynamischen mechanischen Denkens aufgebaut.

„Die absolute Freiheit und der Schrecken“, so lautetet das Kapital in Hegels Phänomenologie über die franz. Revolution und den Terror. Es beginnt mit dem Satz: „Das Bewusstsein hat in der Nützlichkeit ihren Begriff gefunden.“

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Der Dogmatismus ist dann die Folge, weil es einen Gegensatz gibt zwischen dem tätlich erfindenenden Geist des Menschen – nach dem Sorgemodus des Sokrates – und dem

vorgefundenen Geist der Natur – nach dem Modus Platons – der die Vernunft in geometrischen Formen gesehen hat.

So wird von alles Sekten, die aus dieser Bewegung – bis hin zu den Illuminaten und ihren Einfluss in den USA – die Pyramide als die schönste Form der symbolischen Darstellung der Vernunft angesehen. Sie findet sich bis heute auf den Dollarnoten. Niemand aber hat den Zusammenhang mit der platonischen Geometrie und dem Widerspruch bisher bemerkt.

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8.4 Diese drei Zeitkonzeptionen ranken sich um das geschichtliche Werden.

„Werde wie du bist“ – erinnere dich an deinen innenliegenden Wesenskern. Platons Wiedererinnerungslehre verlangt in ihrem imperativen Teil: lege die Ur-Idee frei.2

„Werde wie man wird, was man ist“ – lege deine Instinkte frei. Nietzsches „Kunst der Selbsterhaltung“

mündet in die Freilegung des Willens der Natur.3 Sie verlangt in ihrem imperativen Teil: „liebe dein Schicksal (Amor fati)!“4 Dahinter steckt die Linie von Aristoteles über die Eugenik bis hin zur Rassenlehre.

„Werde sorgend, was du wirst“ – die Sorge des Sokrates um das Gut-Werden mündet in der

Aufforderung, das eigene Erkennen zu erfinden.5 Sie hat kein Imperativ, sondern mündet immer in der Aporie der Zeit: wir wissen die Zukunft nicht und können sie deshalb nur im Werden gestalten.6

Alle drei Grundsätze sind auf ihre je eigene Weise von der Intention des Besser-werden-wollens

getragen. Sie haben die Zeit und das Werden im Auge. Sie stimmen auch darin noch überein, dass die Menschen in der Zeit nur durch geistiges Handeln besser werden. Doch die

Übereinstimmung endet in den unterschiedlichen Zielen und den dahinter sich verbergenden Zeiten.

2 Zu dieser Zuspitzung siehe Platon: Dialog Menon, 81 a – 86 b.

3 Zu dieser Zuspitzung siehe Nietzsche, Friedrich: Ecce Homo. Warum ich so klug bin. Aphorismus 9, Bd. 4 Hauptwerke, S. 499. „Dass man wird, was man ist, setzt voraus, dass man nicht im Entferntesten ahnt, was man ist.“

4 Nietzsche, Friedrich: Die fröhliche Wissenschaft, Aphorismus 276, Bd. 2 Hauptwerke, S. 505. In „Nietzsche contra Wagner“ spricht er im „Epilog“ (Aphor. 1, Bd. 4, S. 248) über die „schwersten Jahre meines Lebens“, denen er „tiefer verpflichtet“ sei, als den anderen. Alle „Notwendigkeit sei aus der Höhe gesehen im Sinne einer großen Ökonomie, auch das Nützliche an sich – man soll es nicht nur tragen, man soll es auch lieben … Amor fati: das ist meine innerste Natur.“ Der Satz weist über die unglückliche Liebe zu Cosima Wagner hinaus, wennschon er dort seinen Ursprung hat.

5 Zu dieser Zuspitzung siehe Platon: Dialog Protagoras (Übersetzung Manuwald) 342 b – 347 a. Die zentrale Frage dreht sich um den Satz des Simonides: „Ein wahrhaft guter Mann zu werden (genésthai) ist schwierig (…)“, jedoch, so setzt Sokrates hinzu „(…) für eine gewisse Zeit wenigstens möglich“ (344 b-c).

6 Platon: Apologie 29 b. Dass „Unrecht tun (…) schlecht und schändlich ist, weiß ich. Anstelle der schlechten Dinge, von denen ich weiß, dass sie schlecht sind, werde ich niemals anderes, von dem ich nicht weiß, ob es nicht vielleicht sogar gut ist, fürchten oder zu meiden suchen.“ Der Zeitgegensatz von Zukunft, die ungewiss ist und Gegenwart die gewiss ist, steht hinter dieser ethischen Handlungskonzeption.

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Literatur zum 20.05.2021:

Brenner, Xaver: Zur Geburt von Kultur. Mit Sokrates gegen das platonische Paradigma. Bd. 1 u. 2, Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2016

Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil. Die Sprache [1923]. Darmstadt 1977 Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil. Das mythische Denken [1924].

Darmstadt 1977

Gehlen, Arnold: Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Menschen.

Reinbek bei Hamburg 1961

Hegel, G.W.F.: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 1970

Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht [1784], in ders.: Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik, hrsg. v. Karl Vorländer. Hamburg: Meiner, 1964 Kantorowicz, Ernst: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters. „The King´s Two Bodies“ (dtv, München 1990

Macpherson, C.B.: Die politische Theorie des Besitz-individualismus. Frankfurt am Main 1980 Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. (1928) Berlin 1975

Plessner, Helmuth: Conditio Humane, Propyläen Weltgeschichte. 1986 Platon: Apologie (Fuhrmann), Stuttgart 1986

Platon: Protagoras, übers. u. komm. v. Bernd Manuwald. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999

Röd, Wolfgang: Descartes. Die Genesis des cartesianischen Rationalismus. München 1995

Rohde, Erwin: Psyche. Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Zwei Bände, Darmstadt 1980 Rousseau, Jean-Jacques: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts [1762]. In Zusammenarbeit mit Eva Pietzcker neu übers. v. Hans Brockard. Stuttgart: Reclam, 1977

Rousseau, Jean-Jacques: Diskurs über die Ungleichheit / Discours sur l´inegalité. (1751) Hrsg. Heinrich Meier, Kritische Ausgabe des integralen Textes. München 2001

Politische Denker II. John Locke, Montesquieu, Jean, Jacques Rousseau, The Federalist (Hamilton, Jay, Madison), Abbé Sieyes, Edmund Burke, August Comte, Alexis de Tocqueville, John Stuart Mill, München

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Weber, Max: Protestantismus und kapitalistischer Geist, in ders., Soziologie, Weltgeschichtliche Analysen, Politik. Stuttgart 1968

Referenzen

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