Eine paläontologische Exkursion auf den Kühkopf im Jahre 1921
mit 3 Abbildungen
von
F.DreuEFmann
Ein Gebiet, wie es Dr.
Haas im
vorangehenden Aufsatz be- sclu»eibt, indem
Tier-und
Pflanzenwelt vonden
Eingriffen desMenschen
einigermaßen verschont geblieben ist, bietet nicht nurdem
Biologen vielseitiges Beobachtungsmaterial.Denn
hierleben
die Tiere und Pflanzen nicht allein unter natürlichen Lebensbedingungen, sondern sie sterb e n auch in der Natur und oft durch die Natur unbeeinflußtvom
Menschen.Und
da gleichzeitig in den stillen Altwässernund Kolken
ständig Staub- und Pflanzenmoder zuBoden
sinkt, da fernerim
Bereich des heute nochschwach
strömenden alten Rheinlaufs fortwährendSchlamm
abgelagert wird, so sind hier alleBedingungen
geboten,dem
Palaeontologen, der die Tier- und Pflanzenwelt der Vorzeit erforscht, zu zeigen, wie seineDokumente,
die Versteinerungen, entstehen. Sie sind ja nichts anderes, als Schalen undKnochen
von Tieren, die früher lebten, als kohlige Reste von Pflanzen der Vorzeit.Freilich,
wenn
Altrhein undTümpel
biszum Rande
mitWasser
gefüllt sind,dann
siehtman
niclit allzuviel.Wohl
er-kennt
man
gelegentlich die langgezogene Kriechspur einer Musclielim Boden und
sieht das. Tieram Ende
der Spur seinen langsamenWeg
fortsetzen, oder Fische spielenum
denKahn;
aber die Fülle des Lebens
kann man
höchstens ahnen.Anders
ist das Bild,
wenn
der Rhein sinlit,wenn
lange Trockenheit die Ufer freiwerden
läßt und Teile des sclilammigen Grundes ent- blößt. Sowar
esim
Frühling 1921, und Zoologen wie Palaeon- tologen haben das ganz veränderte Bild des Altrlieins gesehen, so wie ich es zu schildern versuchen will.Der
alte Flußarm, den derMensch
zulangsamem
Sterben verurteilt hat, fülii^te nur noch in ganz schmaler Rinne trübes stehendes Wasser. VieleMeter
breitwar
das Ufer frei, undselbst die langsame Strömung, die sonst vorhanden ist,
war
ver-49
f- - I ^
r
r
f
>,
^ \
:
^'v/^i^ \\l'^\
<
J3
:S
schwunden.
Denn
das Sinken des Wassers hatteden
Altrheinvom
offenen Strom abgescimitten;Sandbänke
ragten hier her- aus und trockenenFußes
gingman
über den gleichen Fluß, der denSchweden
vor 300Jahren
so viele Hindernisse bot,daß
sieden 'gelungienen
Übergang
durch einDenkmal
feierten! Die Schlammflächen auf beiden Ufernwaren
unter der glühenden Sonne ausgetrocknetund
tiefe Eisse, oft bis einen halbenMeter
tief, zerlegten die einheitliche graue
Masse
in regelmäßigeSäulen.
Und
auf der g-erissenen, leicht geneigten Fläche lagejjRohrstückchen
und
Blätter, Muschel-und
Sclineckenschalen inMenge
umher; die Tiere hatten nicht sclinellgenug dem
sinken- denWasser
folgenkönnen
undwaren
gestorben. Sie lagen meist in größeren Abständen, ganz unsortiert, großeund
kleine, Ano- donten, Unionenund
die kleinen Sphaerium-Museheln,Lymnaeen
undViviparen, bald hier, bald dort eine oder meln-ere beisammen, zu zehntausenden, so weit dasAuge
reichte (Abb. 1). DieMuscheln waren
alle zweiklappigund
klafften, weil das Tier und damit die starken Schließmuskeln verfault waren; sie steckten aber nichtmehr
aufrechtim Schlamm,
wieim
Leben, sondern die Tiere hatten offenbar, als sie die Grefahr fülilten, sich mit aller Kraft zu befreien gesuchtund
lagennun umgesunken
in derNähe
ihres Lebensplatzes. Gelegentlich lagen 10 oder 20Muscheln
dicht vereint,manchmal
zwei oder drei ineinander- geschachtet, und es sah aus, als ob die in den größeren Schalen steckenden Tiere hier die letzte rettende Feuchtigkeit gesucht hätten. HinterBaumstämmen
lagen oft eineMenge
bei- sanunen, wohl von der letztenschwachen Strömung
dorthin ge- tragen undmanche
der ineinander steckendenMuscheln mögen
wohl auch durch solchen Transport üu-e Erklärung finden. In den ausgetrockneten Einnsalen, die von einem der übrig ge- bliebenenTümpel
in den anderen führten (Abb. 2), sahman vom Bande nach
der Mitte zu eine ständigeZmiahme
derSclialeii, die sich an der letzten feuchten Stelle in
Massen
häuften. Stellenweise konnte
man
erkennen, wie in den Zeiten, in denen dasWasser
ganz langsam fiel oder gar dm^ch einenschwachen
liegen wieder etwas aufgefüllt wm^de, die meisten"Tiere sich gerettet hatten, wie dagegen bei sclmellerem Sinken des Spiegels die Toten sich häuften.
So lag hier die frühere Lebensstätte entblößt Vor
dem Auge
und iiiitci'scliipd sich nur weiiiü- vondem
Bildemancher
Schicht-51
fläche,
wo
Süßwasserniusclielii der Vorzeitgenau
so im festen Fels liegen, klaffend zwar, aber nicht zerrissen,und
unsortiert, großeund
kleine nebeneinander, so wie sie dereinst lebten.Welcher
Palaeontology denkt nicht anOeningen am
Bodensee oder anmanche
der slavonischen Ablagerungen, an die eigen- artigen, dunkelbraunen Schichten bei Uslaram
Soiling und so viele andere,wem
stehen nicht die Süßwasserschichten des Cyrenenmergels vor Augen, wie sie beimHafenbau
in Frank-R.Mollphot.
Abb. 2.
Rückzugs tümpel
des x\ltrheinsfmt
und Offenbach entblößt waren! Freilich wissen wir nicht allzuviel über dieUmwandlung
desweichen Schlamms
in hartes Gestein; aberwer
diese unter heißerSonne
erhärteten Ufer trockenenFußes
betrat,wer
sah, wie die tiefen Eisse wochen- lang unverändert blieben, ja wie der hartgewordene Schlamm
beim späteren Stelgen des Rheinsunter dem
Wasserspiegel noch lange Zeit die Klüfteund
das Totenfeld mit den Kriech- spuren derMuscheln und
denFußabdrücken
der Besucher be- wahrte, derkann
sich leicht vorstellen, wie der Forscher später bei der Betrachtungvon
Gesteinsplatten gelegentlich ähnlicheAuch am
Altrheinwaren
bereits vieleMuschebi und
Schneckenvon Schlamm
erfüllt;wer
die festgewordenenSchlammkerne
sorg-fältig herausnahm, der sah, wie sie die innere
Form
der Schale auf dasGenaueste wiedergaben, wie eigenartigeFurchen
undGänge
diesen Sclilamm ander
Stelle durchzogen,wo
die Feuchtigkeit sicham
längsten gehalten hatte. Kleine Muschel- krebschen und Insektenlarvenwaren
darinherumgekrochen —
wir
haben
sie oft gefunden— und hatten einen Ausweg
naich
dem
feuchten Lebenselement gesucht; ähnlicheGänge
findet der Palaeontologe oft auch an zweiklappigen Muschelsteinkernen aus den verschiedensten Süß- und Brackwasserschichten.Am
Ufer deszusammengeschrumpften
Altrheins, unter blühenden Büschen, ließ sich g-ut den hundertenvon
Vögeln zu- sehen, die ihreNahrung
ausdem
sterbenden Fluß holten.Der
Milan kreisteschwebend
über den trüben Tümpeln,kam
lang-sam
herunterund
holte sicheinenkranken
Fisch mit denFängen
heraus, der aus
dem
schlammerfülltenWasser
an die Ober- fläche gestiegen war,um
zu atmen.Am
Ufer sprühten bald darauf unter scharfen Schnabelhieben die blinkendenSchuppen
nach allen Seitenund
fanden ihren letzten Ruheplatz nebenden
toten
Muscheln und
Schnecken.Raben und Krähen
holten die noch lebendenMuscheln
ausdem
feuchtenSchlamm am
Ufer;die dünnschaligen
Anodonten
zerspaltete ein Schlag mitdem
an's Ufer getragen und dort an den Ufersteinen zerschlagen.
In
Menge waren
ganz frische Freßplätzeam
Ufer zu sehen, häufig noch die Schalenim Zusammenhang,
aber stets die eine zertrümmertund
das Tier bis auf die festenMuskeln
heraus- gefressen. Kiebitzeund
Strandläufer belebten denschlammigen
Strandund
hinterließen überall ilire dreizeliigen Fährten inwirrem
DLu-cheinander. Die Wasserflächewar von
hundertenvon
Wildenten bedeckt, deren Kot sich mitdem
zuBoden
sin-kenden
Pflanzenmoder undden
Leichen der Milliarden von mikroskopisch kleinen Wassertierenund
Pflanzen mischteund
aUes Tote aufdem Grunde
zudecken half.Im Wasser
selbst aberwimmelte
esvon
kranken Fischen, die keine Atemluftmehr
fanden und ausdem
früheren größeren Lebensbereich dort zu-sammengedrängt
Rettung suchten.Wie
gut erklärt dies Bilddem
Palaeontologen dieimmer
wieder vorAugen
tretende Tatsache,daß
fischreiche Schichten53
nur wenig'e andere Tiere (Muscheln, Scliiieclven u.s.w.) bergen und daß umgekehrt Gesteinsplatten, die mit
Muschehi
und Seluiecken bedeckt sind, nur selten Fische enthalten!Beim
Ein- schrumpfen eines Gewässersund beim
Zerfall einer früher zu-sammenhängenden
ausgedehnten Wasserfläche sondern sicli die flüchtenden Tiere nach ihrer Sclinellig-keit,und
der Palaeobio- loge, der dasLeben
der Vorzeit wieder aufbauen will, nniß stetsim
Auge
behalten,daß
eine Schichtflächeihm zwar
denGrund
eines früheren Wassers darbietet,
daß
abei- die darauf liegenden versteinerten Reste nm' einen Ausschnitt ausdem
blühenden;Leben
des früher stehenden Wassers darstellen können.Um-
gekehrt
werden
diewenigen im
tiefenWasser
lebendenMuscheln
und Schnecken nachdem
Austrocknen eingemeinsames Grab
mit den Fischen finden; an den Bodenschlanmi gebundeneTiere liegen also neben lebhaftenSchwimmern,
ja mit hineingewehten Blättern, nebeneinem
erti'unkenen Vogel, und eine der wich- tigsten palaeontologisclien Arbeitsmethoden, die biologische Ana-lyse, hat sie wieder zu sondern und die früher getreiniten ver- schiedenen
Lebensräume
festzustellen.Vier
Wochen
später: dasWasser war
gestiegen und wieder gefallen. .Auf einerBank
des Altrheins hatte das leicht strö-mende Wasser
von weit her dieMuscheln zusammengetragen
(Ablj. 3) und wie verschieden
war
das Bild geworden! Muschel- schalen zu Tausenden dicht beieinander, sodaß
fast jeder Schritt des Beobachters einige zertreten mußte, lagen wie ausgesät, nach derGröße
gesondert umher, so wie die nachlassende Kraft des Wassers sie fallen gelassen hatte. Vielevon
den Doppel- sclialenwaren
schon auseinandergefallen; das elastischeBand
oder Ligament, das sie zusannnenhielt,war
zerfallen, und dasWasser
hatte die eine Schale hier, die andere dort liegen ge- lassen. Sowar
ein zweites ganz verändertes Bild entstanden, dieStrömung
des Wassers hatte die Schalen des Leichenfeldes nach ihrerGröße
gesondert und ausweitem Umkreis zusammen-
getragen,wenn
auch nicht allzufern von ilu-em Lebensbezirk und Todesort. Trotzdemwären
schon hier Verschiebungen fest- zustellen,denn
seltene Muscheln, die derSammler
sonst nurmühsam
mitdem
Grundnetz ausdem Schlamm
holt, lagen hier inMengen
beisammen, weil geradeihre Größe
sie für den Transport geeignet machte.—
oo—
Dem
Palaeontologen ist auch dieses Bild vertraut; jeder Fundort von Flußsanden aus frühererZeit zeigt es, undwenn
auf Gesteinsplatten, die alsSchlamm im bewegten
Wasser, sei esSüß- wasser von Fluß oderSee, sei es das Salzwasser desMeeres, abge- lagert wurden, geradeeine
Muschelart in Hülle und Fülle liegt, die in Einzelschalen zerfallen ist, so wird er sich der sondernden Kraft desbewegten Wassers
erinnern-.Und
abermals vierWochen
später: Ein dichter grüner Tep- pich vonAlgen
und Rimesse bedeckt das Leichenfeld von ehedem.Die Sprünge des unter der Somie zerrissenen Strandes sind fast bedeckt von zarten Pflanzen, die alle Muschelschalen
und
Fisch- schuppen,Schlamm und
Treibholz überwuchern. So rasch ändert die Natur ihr Bild; aus einem Totenacker läßt sie neuesLeben
grünen.Und was
wird der Palaeontologe aus diesem letzten Ex^ursionstag lernen?Wenn
jetzt dieAlgen
langsam unterWasser
verkohlen, so wird eine dünne, dunkelgefärbte Schicht auf die Gresteinslage mit denMuscheln
folgen, die sich zeitlich unmittelbar anscliließtund
ohne irgendwelche gewaltsameUm- wandlung
in der Natur zu erklären ist.Auch
solche Fundorte sind inMenge
bekannt;wer
einmal im großen Steinbrucham
Heßler bei