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Titel: Der EuGH und die Arbeitszeiterfassung – die Anforderungen steigen!

Autor: Steinfeld, RAin Maha Behörde / Gericht:

Datum: 01.04.2020

Aktenzeichen:

Gesetz:

Typ: Aufsätze

Kategorien: Arbeitsrecht, EU-Recht Rechtsstand:

Dokumentennummer: 20005805 ebenso Heft 4/2020, Seite 105

- von RAin Maha Steinfeld, Duisburg -*

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seiner Entscheidung vom 14. Mai 2019 grundlegende Aussagen zu Umfang und Art und Weise der Arbeitszeiterfassung in der Europäischen Union formuliert (EuGH vom 14.05.2019 - Rechtssache C-55/18 - CCOO ./. Deutsche Bank SEA). Danach müssen Arbeitgeber in den EU- Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet werden, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer »systematisch und vollständig« zu erfassen. Die Anforderungen des EuGH an die Arbeitszeiterfassung gehen über die derzeitigen Arbeitgeberpflichten nach den nationalen gesetzlichen Regelungen hinaus. Betriebe und Unternehmen befürchten daher erhebliche Auswirkungen des Urteils, v.a. einen weiteren Anstieg der Bürokratie. Es wird zudem in Frage gestellt, ob die neuen Vorgaben mit dem allgemeinen Trend zur Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen zu vereinbaren sind; Stichworte sind hier Vertrauensarbeitszeit oder mobile Arbeit. Das für die Umsetzung zuständige Arbeitsministerium (BMAS) hat sich bisher nicht offiziell dazu geäußert, welche gesetzlichen Änderungen aufgrund des Urteils zu erwarten sind. Anlass genug, den Inhalt des Urteils und erste Fragen, die sich für die Umsetzung in der Praxis stellen, näher zu beleuchten.

Die spanische Gewerkschaft CCOO hatte vor dem Nationalen Gerichtshof Spaniens auf Feststellung geklagt, dass die Deutsche Bank SAE zur Einrichtung eines Systems verpflichtet ist, um die tägliche Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Nach der spanischen Regelung war der Arbeitgeber nur dazu verpflichtet, die Überstunden der Mitarbeiter aufzuzeichnen, nicht aber zur Erfassung der gesamten täglichen Arbeitszeit. Der Nationale Gerichtshof hatte Zweifel an der Wirksamkeit dieser nationalen Regelung vor dem Hintergrund der maßgeblichen EU-Arbeitszeitrichtlinie und rief in einem Vorlageverfahren den EuGH an. Der EuGH gab der Gewerkschaft im Ergebnis Recht. Die in Spanien bestehende gesetzliche Regelung - mit der deutschen Regelung vergleichbar - wurde als nicht ausreichend angesehen, um die Rechte der Arbeitnehmer nach der EU-Arbeitszeitrichtlinie zu wahren.

Die Mitgliedsstaaten müssten vielmehr die Arbeitgeber dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, um die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit zu erfassen. Jeder Arbeitnehmer habe ein Grundrecht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten.

Als Rechtsgrundlage dieser Verpflichtung bezog sich der EuGH auf die europäische Arbeitszeitrichtlinie (Art.

3, 5 und 6 Buchst. b) der RL 2003/88/EG - im Folgenden: ArbZRL), die zudem im Lichte der europäischen Grundrechtscharta auszulegen sei (insbesondere Art. 31 II GRCh).

Das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sei eine Regel des Sozialrechts der Union, die besondere Bedeutung habe und zudem in der Grundrechtscharta verbürgt sei. Die ArbZRL 2003/88/EG sehe zudem vor, dass die

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Mitgliedsstaaten die »erforderlichen Maßnahmen« zu treffen haben, damit die Einhaltung der werktäglichen und wöchentlichen Ruhezeiten sowie der wöchentlichen Höchstarbeitszeit gewährleistet seien. Ohne ein solches System der systematischen Arbeitszeiterfassung sei es äußerst schwierig oder praktisch unmöglich, dass die Arbeitnehmer ihre Rechte durchsetzten.

Der EuGH betont im Ergebnis den Spielraum der Mitgliedsstaaten zur Umsetzung seiner Vorgaben. Es obliege den Mitgliedsstaaten selbst, die konkreten Modalitäten zu bestimmen. Dabei könnten sie die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten bestimmter Unternehmen berücksichtigen.

Um zu untersuchen, welche Änderungen sich aufgrund des Urteils künftig ergeben können, soll zunächst die derzeitige Rechtslage in Bezug auf die wichtigsten Aspekte - die Pflichten der Arbeitszeiterfassung und der geltende Arbeitszeitbegriff - dargestellt werden.

Nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) besteht eine arbeitgeberseitige Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitsstunden, die über die reguläre werktägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden hinausgehen oder die auf Sonn- und Feiertage fallen (§ 16 Abs. 2 Satz 1ArbZG).

Die derzeitige Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers erfasst somit i.d.R. (nur) die Überstunden, nicht hingegen die gesamte Arbeitszeit, Pausen oder Ausgleichszeiten der Arbeitnehmer (vgl. dazu LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.06.2013 - 8 Sa 571/12).

Die Aufzeichnungspflichten nach dem Arbeitszeitgesetz sind nach dem neuen EuGH-Urteil daher als nicht ausreichend anzusehen.

Arbeitgeber in bestimmten Branchen (etwa: Baugewerbe, Speditionsgewerbe, Gaststättengewerbe) bzw. mit geringfügig Beschäftigten haben umfassendere Aufzeichnungspflichten für Arbeitnehmer zu erfüllen, sofern sie eine Vergütung von bis zu EUR 2.958 Euro brutto/Monat erhalten.

Sie sind verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufzubewahren (vgl. § 17 Abs. 1 MiLoG). Dasselbe gilt im Anwendungsbereich spezieller Tarifverträge (§ 19 Abs. 1 AEntG) bzw. bei Anwendung einer Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung (§ 17c Abs. 1 AÜG).

Es ist davon auszugehen, dass die hiernach geltenden strikteren Aufzeichnungspflichten im Grundsatz den Vorgaben des neuen EuGH-Urteils entsprechen, da sich aus den Aufzeichnungen die täglichen Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten ergeben. Zu beachten ist, dass von den umfassenden Dokumentationspflichten Ausnahmen bei Ausführung mobiler Arbeit bereits erlaubt sind (vgl. § 1 Abs. 1 MiLoAufzV). Zudem ist anzumerken, dass es nach der Rechtsprechung zulässig ist, die Aufzeichnungspflicht auf den Arbeitnehmer zu übertragen, da es sich dabei nicht um eine höchstpersönliche Pflicht handeln soll (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 03.05.2005 - 1 Ss 115/05 zum AEntG).

Für leitende Mitarbeiter (i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG) gelten die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes nicht (vgl. § 18 Abs. 1 Ziff. 1 ArbZG). Auch Leiter von öffentlichen Dienststellen und deren Vertreter sowie Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die zu selbständigen Entscheidungen in Personalangelegenheiten befugt sind, sind von dem Anwendungsbereich ausgenommen (vgl. § 18 Abs. 1 Ziff. 1 ArbZG).

Für diese Personen gelten weder die Vorgaben zu Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz noch Vorgaben zu Aufzeichnungspflichten.

Auch nach der ArbZRL sind Ausnahmen für leitende Angestellte vorgesehen (Art. 17 Abs. 1 Buchst. a) ArbZRL), so dass diese auch künftig in Betracht kommen.

Weder der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvÖD) noch der Tarifvertrag für Versorgungsbetriebe (TV- V) enthält Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung. Es sind daher grundsätzlich die gesetzlichen Regelungen anwendbar. Allerdings werden in der Praxis im Zusammenhang mit Betriebs- oder Dienstvereinbarungen über die Einrichtung und Führung von Arbeitszeitkonten (vgl. § 10 Abs. 2 und 3 TVöD, § 11 TV-V) häufig

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Regelungen zur Erfassung der Arbeitszeiten für Tarifangestellte aufgestellt, die ergänzend zu beachten sind.

Gesetzliche und kollektivrechtliche Regelungen sind künftig an die Vorgaben des EuGH anzupassen.

Arbeitszeit im Sinne des ArbZG ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen (§ 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG).

Zweck des ArbZG ist es vor allem, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten; zudem sollen der Sonntag und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe geschützt werden (vgl. § 1 ArbZG). Von den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes darf selbst mit Einverständnis des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht abgewichen werden. Verstöße gegen das ArbZG können zudem als Ordnungswidrigkeiten (vgl. § 22 ArbZG) oder in bestimmten Fällen als Straftaten (§ 23 ArbZG) sanktioniert werden.

Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf i.d.R. acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden (vgl. § 3 ArbZG). Die Arbeit ist durch Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden insgesamt zu unterbrechen (§ 4 Satz 1 ArbZG). Zudem müssen die Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben (vgl. § 5 ArbZG).

In der europäischen ArbZRL wird Arbeitszeit als jede Zeitspanne definiert, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt (Art. 2 Nr. 1 ArbZRL).

Auf dieser Grundlage wird etwa der ärztliche Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit (vgl. BAG, Urteil vom 28.01.2004 - 5 AZR 530/02), die Rufbereitschaft für sich genommen grundsätzlich aber als Ruhezeit gewertet (vgl. BAG, Urteil vom 11.07.2006 - 9 AZR 519/05, grundlegend: EuGH, Urteil vom 03.10.2000 - Rs. C 303/98).

Die Pflichten zur Zeiterfassung - und somit das Urteil des EuGH - beziehen sich grundsätzlich auf den arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeitbegriff.

Davon zu unterscheiden ist der vergütungsrechtliche Begriff der Arbeitszeit. Vergütungsrechtlich wird an die

»Leistung der versprochenen Dienste« angeknüpft (§ 611 Abs. 1 BGB i.V. mit dem Arbeitsvertrag), also an die von dem Arbeitgeber verlangte oder damit unmittelbar zusammenhängende Tätigkeit.

Die Arbeitszeitrichtlinie regelt dagegen keine Fragen des Entgeltes (EuGH vom 21.02.2018 - C-518/15).

Festzuhalten ist daher, dass sich die Vorgaben des EuGH nicht unmittelbar auf die vergütungsrechtliche Arbeitszeit beziehen. Zudem ist festzuhalten, dass die vergütungsrechtliche Arbeitszeit nicht stets identisch mit der arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeit ist.

Beispiele:

Bereitschaftszeit ist zwingend als Arbeitszeit zu erfassen; sie kann jedoch geringer als die »Normalarbeit« - im Rahmen der Vorgaben des Mindestlohngesetzes - vergütet werden (vgl. etwa § 10 Abs. 3 TV-V:

Vergütung von Rufbereitschaft durch Zahlung einer Pauschale). Dienstreisezeiten wiederum sind grundsätzlich zu vergüten, unabhängig davon, ob während dessen »Normalarbeit« geleistet wird (vgl. BAG, Urteil vom 17.10.2018 - 5 AZR 553/17); arbeitsschutzrechtlich ist dagegen für die Einordnung der Dienstreisezeiten als Arbeitszeit entscheidend, ob die Zeit zur freien Verfügung steht. So können Reisezeiten als Beifahrer vergütungspflichtig sein, obwohl es sich hierbei nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn handelt (LAG Köln, Urteil vom 14.05.2019 - 4 Sa 755/17). Ebenso können für Überstunden etwa Regelungen zur Pauschalabgeltung vorgesehen werden, wonach eine bestimmte Zahl von Überstunden pro Monat mit dem Gehalt abgegolten ist. Arbeitsschutzrechtlich sind die Überstunden jedoch komplett als Arbeitszeit zu erfassen.

Nach dem Urteil des EuGH müssen die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber dazu verpflichten, entsprechende ausreichende Arbeitszeiterfassungssysteme einzurichten (vgl. EuGH vom 14.05.2019 -Rechtssache C-55/18, Rz. 60, VW-DokNr. 19005190). Es obliegt daher in erster Linie den Mitgliedsstaaten, diese umzusetzen.

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Gleichwohl wird die Frage allgemein diskutiert, ob sich aus dem Urteil unmittelbare Handlungspflichten für Arbeitgeber ergeben, die sofort zu beachten und umzusetzen wären. Diese Frage stellt sich insbesondere für öffentliche Arbeitgeber als Träger der öffentlichen Gewalt.

Unmittelbare Handlungspflichten zur sofortigen Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeiten der Arbeitnehmer könnten sich aus einer unionskonformen Auslegung der bestehenden gesetzlichen Regelungen ergeben. Es müsste möglich sein, eine Verpflichtung zur umfassenden Aufzeichnung der Arbeitszeiten aus den bestehenden Regelungen durch eine unionskonforme Auslegung herzuleiten. Eine solche Auslegung wäre dann nicht möglich, wenn der eindeutige Wortlaut des Gesetzes eine entsprechende Auslegung nicht zulässt.

Das Arbeitszeitgesetz fordert nach seinem eindeutigen Wortlaut die Erfassung lediglich von Überstunden (§

16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG). Dieser eindeutige Wortlaut lässt die Herleitung umfassender Aufzeichnungspflichten, wie vom EuGH gefordert, nach der derzeitigen Rechtslage wohl nicht zu.

Zudem wird zwar aus Art. 31 II der EU-Grundrechtecharta eine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten, abweichend von Art. 51 I GRCh, nach dem grundsätzlich nur die Mitgliedsstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts durch die Grundrechte gebunden werden, angenommen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die jeweilige Norm einen wesentlichen Grundsatz des Unionsrechts beinhaltet. Es spricht einiges dafür, dass die Verpflichtung, Arbeitszeit aufzuzeichnen, keinen solchen Grundsatz des Unionsrechts darstellt. Mit dem EuGH, der die Mitgliedsstaaten als Verpflichtete ansieht, ist daher wohl davon auszugehen, dass keine unmittelbare Pflicht der Arbeitgeber formuliert wird, sondern vielmehr den Staaten die Umsetzung und Ausgestaltung aufgetragen wird. Dabei steht den Mitgliedsstaaten ein Spielraum zur Umsetzung der Vorgaben des EuGH zur Verfügung, die die konkreten Modalitäten der Umsetzung bestimmen und die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten bestimmter Unternehmen berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 14.05.2019 - C-55/18, Rz. 63).

In erster Linie dürfte daher der Gesetzgeber verpflichtet sein, die Modalitäten der Arbeitszeiterfassung gesetzlich festzulegen. Allerdings ist es nicht vollständig auszuschließen, dass Gerichte bereits vor dem Tätigwerden des Gesetzgebers die Arbeitgeberpflichten der Arbeitszeiterfassung entsprechend den Vorgaben des EuGH auslegen und daher entsprechende Sanktionierungen bzw. Urteile zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten bereits zuvor ergehen.

Lt. EuGH müssen die Arbeitgeber dazu verpflichtet werden, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, um die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit zu erfassen. Jeder Arbeitnehmer habe ein Grundrecht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten.

Bereits jetzt bestehen in vielen Unternehmen technische Lösungen zur Erfassung der Arbeitszeiten. In Frage kommen etwa App-Lösungen, Chipkarten, Token oder Zeiterfassung mittels biometrischer Erkennung. Ob eine Zeiterfassung künftig anhand von handschriftlichen Aufzeichnungen möglich ist, ist dagegen fraglich.

Sofern technische Lösungen bereits vorhanden sind oder künftig eingeführt werden sollen, so sind folgende Anforderungen zu beachten:

Die Zeiterfassung muss für die Arbeitnehmer allgemein zugänglich sein (vgl. EuGH, Urteil vom 14.05.2019 - C-55/18, Rz. 60). Welche Anforderungen hier genau zu erfüllen sind, muss sich noch zeigen. Es ist davon auszugehen, dass den Arbeitnehmern umfassende Einsichts- und Zugangsrechte zur Zeiterfassung zu gewähren sind.

Der Umfang der Aufzeichnungen sollte nicht nur das Tagessaldo hinsichtlich der geleisteten Arbeitsstunden enthalten. Es muss auch Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit aufgezeichnet werden, um die Einhaltung der Mindestruhezeiten überprüfen zu können. Fraglich ist, ob auch tägliche Ruhezeiten (Pausen) einschließlich der Lage der Ruhezeiten zu erfassen sind; sie sollten daher vorsorglich erfasst werden.

Üblicherweise ist das Zeiterfassungssystem an die Lohn- und Gehaltsabrechnung gekoppelt. Die Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der

vergütungsrechtlichen Arbeitszeit, die die Grundlage für die Lohn- und Gehaltsabrechnung darstellt (siehe oben, Punkt II. 2.). Daher ist davon auszugehen, dass hier entsprechende Anpassungen des Zeiterfassungssystems erfolgen müssen, so dass nicht lediglich die vergütungsrechtliche Arbeitszeit aufgezeichnet wird.

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Es stellt sich die Frage, ob Eigenaufzeichnungen des Arbeitnehmers - üblicherweise mittels einer App oder aber auch in Form handschriftlicher Stundenzettel - künftig den Anforderungen an die Arbeitszeiterfassung entsprechen. Dies wird insbesondere in kleinen Unternehmen sowie bei mobiler Arbeit - Home-Office-Arbeit - oder etwa auch beim Einsatz bei Kunden des Arbeitgebers praktiziert.

Gegen die Zulässigkeit solcher Eigenaufzeichnungen und handschriftlicher Stundenzettel könnte sprechen, dass es sich dabei nicht um objektive Aufzeichnungen im Sinne des EuGH-Urteils handeln könnte (vgl.

EuGH, Urteil vom 14.05.2019 - C-55/18, Rz. 60). Eigenaufzeichnungen beruhen i.d.R. auf subjektiven Einschätzungen des Arbeitnehmers und könnten als anfällig(er) für Manipulationen anzusehen sein.

Im Ergebnis sind dem Urteil des EuGH konkrete Vorgaben zu den Modalitäten der Zeiterfassung nicht zu entnehmen. Das Gericht betont, dass dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der näheren Ausgestaltung der Zeiterfassung zusteht. Hier sind flexible Lösungen aufgrund Tariföffnungsklauseln oder durch betriebliche Regelungen denkbar. Nach der derzeit geltenden Rechtslage ist auch grundsätzlich der Arbeitgeber für die Dokumentation der Arbeitszeit verantwortlich (vgl. § 16 Abs. 2 ArbZG). Eine Delegation der Pflichten auf den Arbeitnehmer wird aber als zulässig angesehen (vgl. etwa LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.06.2013 - 8 Sa 571/12). Zu beachten ist dabei, dass die Einhaltung der Verpflichtungen durch stichprobenartige Kontrollen seitens des Arbeitgebers überprüft werden sollte. Zudem trägt der Arbeitgeber das Risiko, dass die Arbeitszeiten fehlerhaft dokumentiert werden und möglicherweise eine Sanktionierung in Form eines Bußgeldes erfolgt (vgl. § 22 Abs. 1 Ziff. 9 ArbZG).

Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtslage dürfte auch künftig der Gesetzgeber die Delegation der Arbeitszeiterfassung auf den Arbeitnehmer zulassen. Klarheit kann hier allerdings nur durch den Gesetzgeber selbst geschaffen werden.

Es wird allgemein diskutiert, ob die Vertrauensarbeitszeit künftig noch durchführbar ist. Bei der Vertrauensarbeitszeit erfüllt der Arbeitnehmer die arbeitsvertragliche Arbeitszeit selbstständig, ohne dass der Arbeitgeber Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit festlegt. Der Arbeitgeber verzichtet auf eine Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeit und auf eine Zeiterfassung (HWK/Gäntgen ArbZG § 7 Rn. 29). Er vertraut darauf, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen (vgl. BAG, Urteil vom 23.09.2015 - 5 AZR 767/13).

Anzumerken ist hier zunächst, dass nach der bestehenden Rechtslage die Vereinbarung einer Vertrauensarbeitszeit in dem Sinne, dass ein vollständiger Verzicht auf Zeiterfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten stattfindet, bereits gegen das ArbZG verstößt. Denn derzeit gilt Folgendes:

Der Arbeitnehmer ist auch bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit dazu verpflichtet, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit zu erbringen (BAG, Urteil vom 15.05.2013 - 10 AZR 325/12), die insofern zumindest zu messen und in diesem Zusammenhang wohl auch üblicherweise zu erfassen ist.

Die gesetzlichen Aufzeichnungspflichten hinsichtlich der Arbeitsstunden, die über die reguläre

werktägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden hinausgehen oder die auf Sonn- und Feiertage fallen (§ 16 Abs. 2 ArbZG), sind auch bei Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit zu beachten. Es muss jede Überstunde aufgezeichnet werden. Sofern der Arbeitnehmer die Aufzeichnungen selbst anfertigt, ist der Arbeitgeber bereits jetzt gehalten, die Dokumentation stichprobenweise zu kontrollieren.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG ist die Pauschalabgeltung von Überstunden im Vertrauensarbeitszeitmodell zudem unzulässig (BAG, Urteil vom 26.06.2019 - 5 AZR 452/18).

Festzuhalten ist daher, dass bereits derzeit ein vollständiger Verzicht auf die Erfassung der Arbeitszeiten bei Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit nicht möglich ist.

Die darüber hinaus gehenden Vorgaben des EuGH zur Arbeitszeiterfassung würden zu einer (weiteren) Einschränkung der Vertrauensarbeitszeit führen, sofern die tägliche Arbeitszeit einschließlich Beginn und Ende uneingeschränkt aufgezeichnet werden müssten. Möglich und zu hoffen ist daher, dass der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum hier ausnutzt und Erleichterungen für die Arbeitszeiterfassung bei flexiblen Arbeitszeitmodellen vorsieht.

Der Arbeitszeitbegriff, auf den sich die Aufzeichnungspflichten beziehen, ist, wie bereits dargestellt, nicht stets deckungsgleich mit der zu vergütenden Arbeitszeit. Gleichwohl wird befürchtet, dass die Umsetzung des EuGH-Urteils faktisch zu einer vermehrten Überstundenabgeltung und damit Belastung des Arbeitgebers führt.

Zur Durchsetzung von Überstundenvergütung ist von dem Arbeitnehmer in einem Prozess vorzutragen, dass

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die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit erforderlich waren (st. Rspr., vgl. BAG, Urteil vom 10.04.2013 - 5 AZR 122/12).

Dabei gilt nach heutiger Rechtsprechung bereits: Wird die Arbeitszeit des Arbeitnehmers (elektronisch) erfasst und zeichnet der Arbeitgeber oder für ihn ein Vorgesetzter des Arbeitnehmers die entsprechenden Arbeitszeitnachweise ab, kann der Arbeitnehmer im Überstundenprozess der ihm obliegenden Darlegungslast für die Leistung von Überstunden schon dadurch genügen, dass er die vom Arbeitgeber abgezeichneten Arbeitsstunden und den sich ergebenden Saldo vorträgt (BAG, Urteil vom 26.06.2019 - 5 AZR 452/18). Die vollständige Arbeitszeiterfassung (und Abzeichnung oder Bestätigung von Überstunden durch den Arbeitgeber) führen also de facto zu einer erleichterten Durchsetzbarkeit von Überstundenvergütung.

Daher ist durchaus zu erwarten, dass bei einer flächendeckenden (elektronischen) Arbeitszeiterfassung Arbeitnehmer die Überstunden vermehrt durchsetzen könnten. Sofern keine anderslautenden tariflichen Regelungen bestehen, können in diesem Zusammenhang vertragliche Abgeltungsklauseln bis zu einem im Arbeitsvertrag festgelegten Umfang im Rahmen des nach der AGB-Kontrolle Zulässigen Abhilfe schaffen.

Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Arbeitszeiterfassung, weil er die Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften gewährleisten und kontrollieren muss (vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 Buchst. c DS-GVO). Allerdings muss dies unter Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes der Arbeitnehmer in einem verhältnismäßigen Rahmen geschehen und darf insbesondere nicht zu einer Totalüberwachung des Arbeitnehmers führen. Es wäre etwa unzulässig, über Keylogger-Protokolle zu ermitteln, ob und wann die Beschäftigten für den Arbeitgeber aktiv sind (BAG, Urteil vom 27.07.2017 - 2 AZR 681/16).

Sofern (elektronische) Zeiterfassungssysteme eine Dokumentation der Arbeitsleistung ermöglichen, sind sie mitbestimmungspflichtig (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG - technische Überwachungseinrichtung) und zumeist auch nach § 87 Abs. 1 Nr.1 BetrVG - Leistungs-/Ordnungsverhalten). Je nach System ergeben sich die Mitbestimmungsrechte zudem aus § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 6 BetrVG.

Es ist daher unerlässlich, bei Einführung bzw. Neugestaltung der Zeiterfassungssysteme den Betriebsrat/Personalrat direkt mit einzubinden.

1. Die Vorgaben des EuGH in seinem Urteil zur Arbeitszeiterfassung gehen über die derzeitigen nationalen Pflichten hinaus. Die Arbeitgeber müssen künftig umfassend dazu verpflichtet werden,

Zeiterfassungssysteme einzuführen, mit denen die tägliche Arbeitszeit einschließlich der

Mindestruhezeiten dokumentiert werden. Ziel der Vorgaben ist ein besserer Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer.

2. Es obliegt den Mitgliedsstaaten, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Vorgaben des EuGH umzusetzen. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass Gerichte bereits jetzt die bestehenden Regelungen unmittelbar entsprechend den Vorgaben des EuGH auslegen und sich daraus im Ergebnis für

Unternehmen ungünstige Rechtsfolgen ergeben. Daher sind Arbeitgeber gut beraten, Maßnahmen zur Umsetzung vorzubereiten bzw. umzusetzen.

3. Der Gesetzgeber kann bei der konkreten Umsetzung der Vorgaben die Modalitäten selbst bestimmen und dabei die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten bestimmter

Unternehmen berücksichtigen. In diesem Rahmen sind Ausnahmen von den strikten Vorgaben denkbar, etwa in bestimmten Branchen oder im Fall von mobiler Arbeit.

4. Sofern in Unternehmen Zeiterfassungssysteme vorhanden sind, ist mit Anpassungsbedarf der vorhandenen Systeme an die neuen Vorgaben zu rechnen. Unternehmen, die derzeit keine Zeiterfassungssysteme installiert haben, sollten Entsprechendes vorbereiten. Dabei ist generell zu beachten, dass die Zeiterfassung nicht an die Lohn- und Gehaltsabrechnung gekoppelt werden kann, da sich die Vorgaben des EuGH auf die Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn beziehen, nicht dagegen auf die Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn, die zum Teil voneinander abweichen.

5. Flexible Arbeitszeitmodelle werden durch das Urteil des EuGH nicht per se ausgeschlossen. Eine umfassende Zeiterfassung ist jedoch grundsätzlich auch hier erforderlich. Dabei wird es neben der selbstständigen Aufzeichnung der Arbeitszeit durch den Arbeitnehmer nebst stichprobenhafter Kontrolle der Aufzeichnungen durch den Arbeitgeber oftmals keine Alternativen geben. Abzuwarten ist, ob der Gesetzgeber in diesen Bereichen ggf. Ausnahmen oder Lockerungen vorsieht.

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6. Es ist denkbar, dass es zu einer vermehrten Durchsetzung von Überstundenvergütung aufgrund der umfassenden Zeiterfassung kommen wird. Im tariflichen Bereich, in dem bereits Zeiterfassung vorgenommen wird und oftmals Arbeitszeitkonten bestehen, ist jedoch in dieser Hinsicht nicht mit größeren Änderungen zu rechnen. Im außertariflichen Bereich können vertragliche Abgeltungsklauseln Abhilfe schaffen.

* Die Autorin ist Fachanwältin für Arbeitsrecht bei PKF Fasselt Schlage Partnerschaft mbB in Duisburg.

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