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Archiv "Weltkongreß „Der alternde Mann“: Mehr Visionen als Fakten" (03.04.1998)

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arum sterben Männer in In- dustrieländern allen Fort- schritten der Medizin zum Trotz durchschnittlich sieben bis acht Jahre früher als Frauen? Bei einer Antwort auf diese Frage mußten die Experten beim 1. Weltkongreß „Der alternde Mann“ in Genf mangels ge- sicherter Daten passen – oder speku- lieren. Dies soll in Zukunft anders werden.

Die Internationale Gesellschaft zum Studium des alternden Mannes fordert in ihrem „Genfer Manifest“ zu einem interdisziplinären „Kraftakt“

auf, dessen Ziel es ist, den Alterungs- prozeß hinauszuschieben oder zumin- dest dessen Symptome zu lindern. Die Diskussion um eine Substitution der mit dem Alter abnehmenden Hormo- ne steckt noch in den Anfängen und ist auf vergleichbarem Stand wie die Hor- monsubstitution bei der Frau vor 25 Jahren. „Wir wollen keine Wit- wen kultivieren“, formulierte Kon- greßpräsident Prof. Bruno Lunenfeld (Tel Aviv), „sondern ihnen bis ins ho- he Alter auch einen gesundheitlich fit- ten Mann zur Seite stellen.“ Dazu müßten die Männer aber lernen, bei Beschwerden den Arzt aufzusuchen, an Früherkennungsprogrammen teil- zunehmen, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und vermeintliche oder tatsächliche Altersbeschwerden nicht als gottgegeben hinzunehmen (siehe DÄ-Titel Heft 9/1998). Denn Männer „hören“ nicht auf die Signale ihres Körpers, nehmen nur zu 16 Pro- zent an der Krebsfrüherkennung teil und sehen teilweise heute noch einen Herzinfarkt als „Heldentod“ an.

Lernen müssen ganz offensicht- lich auch die Ärzte: Wenn Mann we- gen kardiovaskulärer Beschwerden oder Schlaf- und Konzentrations- störungen, Irritabilität, fehlendem

„drive“ oder Depressionen den Haus- arzt aufsucht, erhält er in der Regel ein geeignetes Medikament gegen die

Beschwerden – der Gedanke an ein mögliches Hormondefizit muß erst geweckt werden. Der Weg zum Uro- logen wird „gebahnt“ durch BPH-Be- schwerden oder erektile Dysfunktion, für die ein breites Arsenal an Medika- menten und Hilfsmitteln vorliegt; im

„Normalfall“ ist der Urologe aber nicht überwiegend endokrinologisch, sondern chirurgisch ausgebildet und

wird im Fall einer anstehenden Sub- stitution tiefer in die Hormonlehre eindringen müssen.

Das wiederum haben Gynäkolo- gen und Endokrinologen ihm voraus – aber welcher Mann wird freiwillig den Gynäkologen konsultieren (es sei denn bei ungewollter Kinderlosig- keit)? Da es die Zusatzbezeichung

„Andrologie“ nicht gibt, wohin wen- det sich der therapiebereite Mann?

Wie sollen die vielfältigen Be- schwerden, die mit den abnehmenden Hormonwerten des Mannes einher-

gehen können, heißen? Feministin- nen sind für das Klimakterium virile.

Linguisten favorisieren die Andro- pause als Pendant zur Menopause, was biologisch allerdings nicht zu- trifft. In der „midlife crisis“ wird die psychosoziale Dimension angespro- chen. Endokrinologen finden Ge- schmack am partiellen Androgen- defizit des alternden Mannes – als PADAM abzukürzen.

Strikte Vertreter der Andrologie akzeptieren nur die Bezeichnung Hy- pogonadismus, wobei hier internatio- nal jedoch keine Einheit hinsichtlich der Grenzziehung besteht. Kritiker sehen die „Andropause“ als eine Fol- ge der Medikalisierung des Alters, Gesundheitspolitiker befürchten stei- gende Kosten – und die Pharmaindu- strie wittert ein breites Geschäftsfeld.

Hormonsubstitution:

Für wen, wann und wie?

Wer soll überhaupt wann und wo- mit substituiert werden? Ein französi- scher Teilnehmer, der nach eigenen Angaben eine überaus lukrative Ein- richtung für „Männer in den besten Jahren“ betreibt und von Patienten fast überrannt wird, forderte: „Jeder Mann ab 50 Jahren muß substituiert werden – nicht nur mit Testosteron, sondern individuell auch mit Melato- nin, DHEA, Wachstumshormon und Östrogenen.“

Mit dieser Einstellung stand der Franzose jedoch allein, die Mehrheit der Experten ist schon bei Testoste- ron vorsichtig, weil weltweit nur sechs Studien vorliegen – allesamt mit klei- nen Patientenkollektiven, unter- schiedlichen Therapieformen und kurzen Beobachtungszeiten. Für alle übrigen Hormone fehlen valide Da- ten, überwiegend ist auch ihre physio- logische Rolle nicht ganz geklärt, so Prof. Alex Vermeulen (Gent).

In Deutschland scheint unbestrit- ten zu sein, daß unter einer Serum- konzentration von 300 ng/dl ein Testosteronmangel gegeben ist und bei entsprechenden Beschwerden ei- ne Substitution möglich erscheint. In- ternationale Gültigkeit wird vom Er- gebnis einer „task force“ erwartet. Es sollten physiologische Tagesspiegel angestrebt werden, weil supraphysio- A-796 (28) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

P O L I T I K MEDIZINREPORT

Weltkongreß „Der alternde Mann“

Mehr Visionen als Fakten

Die Hormonsubstitution steckt noch in den Anfängen.

W

Die Vergänglichkeit – das Altern – kommt auch in der Plastik „Der Schattenboxer“ des Künstlers Ro- man Peter zum Ausdruck. Foto: Silvia Aulehla

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logische Testosteronlevel ein athero- genes Lipidprofil bewirken. Injizier- bare Depotpräparate stuft Prof. Eber- hard Nieschlag (Münster) bei älteren Männern nicht wegen der unvermeid- lichen Hormonspitzen, sondern auch mangels „Neutralisierungsmöglich- keiten“ im Fall einer Prostataerkran- kung als ungeeignet ein.

Neues zum Testosteron

Oral applizierbare Testosteron- ester wie Testosteronundecanoat müs- sen im Acht-Stunden-Rhythmus ein- genommen werden, die Pflaster wer- den täglich erneuert. Das Skrotalpfla- ster soll im März auf den Markt kom- men. Nach mehrjährigen Erfahrungen in den Niederlanden ist von seiten des Patienten jedoch eine extrem hohe Compliance erforderlich, ein nicht ge- ringer Teil der Männer „sprang“ des- halb ab. Das Pflaster, das an weniger schamhaften Stellen aufgebracht wer- den kann, ist recht rigide und groß, darüber hinaus mit nicht unerhebli- chen Hautirritationen belastet.

In Frankreich ist eine Cremeform erhältlich, die allerdings Dihydro- testosteron enthält. Hier ist nicht die volle Testosteronwirkung zu erwar- ten, weil keine Metabolisierung zu Estrogenen erfolgt, die sich positiv auf Knochen, Gehirn und Gefäße auswir- ken. In der Entwicklung ist ein Testo- steronvorläufer für die nasale Appli- kation. Bereits gefunden ist eine ge- eignete Basis für eine topische An- wendung, die die Penetration von männlichen Sexualhormonen um auf das Elffache verbessert – Probleme macht die weitere Galenik. Nach An- gaben von Nieschlag normalisieren sich bei einer physiologischen Substi- tution die Leptinspiegel; ein übermäßi- ges Prostatawachstum sei nach bisheri- gen – allerdings limitierten – Erfahrun- gen nicht zu erwarten. Vor Beginn der Testosterongabe müßten jedoch nor- male Werte des prostataspezifischen Antigens (PSA) vorliegen.

In der prospektiven, inzwischen mehr als zehn Jahre laufenden Massa- chusetts Male Aging Study (MMAS) ergab sich – ohne Substitution – ein 14faches Risiko für Männer, inner- halb von zehn Jahren ein Prostatakar- zinom (PCA) zu entwickeln, wenn zu

Studienbeginn ein erhöhter Wert für totales PSA gemessen wurde. In 13 von 18 Studien zur Testosteronsubsti- tution ist ebenfalls kein PSA-Anstieg dokumentiert; allerdings betrug die längste Beobachtungszeit vier Jahre, insgesamt nur rund 655 Männerjahre.

Fundierte Aussagen darüber, ob durch Testosteron langfristig Prosta- takarzinome induziert werden kön- nen, sind heute nicht möglich.

Die einzige randomisierte, kon- trollierte Studie zur längerfristigen Testosteronbehandlung bei älteren Männern mit nachgewiesenem Defi- zit hat Prof. Joyce Tenover (Atlanta) durchgeführt. Nach dreijähriger Ga- be von Plazebo, Testosteronundeca- noat oder aber Testosteron in Kom- bination mit Finasterid stieg das Prostatavolumen in der Kombinati- onsgruppe am geringsten; der PSA- Wert in der Androgen- und Plazebo- gruppe war bei Studienende ver- gleichbar. Bei den Serumlipiden nahm das Gesamtcholesterin um zwölf Prozent ab, die LDL-Fraktion sank um 13 Prozent, HDL blieb un- verändert. Nachzuweisen war eine abnehmende Menge an Körperfett (von 30 auf 25 Prozent) und eine Zu- nahme der „lean body mass“ um vier Kilogramm. Die Knochendichte stieg in der Wirbelsäule um 0,8, an der Hüfte um 0,3 Prozent.

Gegen diese Vorteile sind poten- tielle Risiken der Androgengabe – Lebertoxizität, Flüssigkeitsretention, Gynäkomastie, Exazerbation einer Schlafapnoe, Anstieg von Hämo- globin und Hämatokrit, koronarer Herzkrankheit, benigner Prostata- hyperplasie und PCA-Induktion oder -Exazerbation – abzuwägen. Bei der Dreijahrestherapie mit physio- logischen Testosteronspiegeln sind diese Nebenwirkungen limitiert und abschätzbar, die Langzeitrisiken hin- sichtlich Myokardinfarkt- und Apo- plexierisiko blieben jedoch ungewiß, mahnte Frau Tenover. Ob die positi- ve Wirkung auf die Knochen tatsäch- lich zu einer reduzierten Rate an Hüftfrakturen führt, bleibe ebenfalls abzuwarten. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns“, so die Geronto- login. Dies gilt insbesondere auch für die modifizierten Androgene, die zur Testosteronsubstitution ent- wickelt werden. Analog zu den selek-

tiven Estrogen-Rezeptor-Modulato- ren (SERMs) wird für die Männer nach SARMs geforscht, modifizier- te Androgene oder auch Estrogene, die gewebespezifisch (nichtgonadal) wirken sollen. Ein Aspirant der ersten Gruppe ist das 7a-Methyl-19-Nortesto- steron (MENT) – eine Substanz, die in Primaten zehnmal potenter auf nicht- gonadale Prozesse wirkt als übliche Testosteronester, auf die Prostata aber nur doppelt so stark Einfluß nimmt und so für eine Gelzubereitung oder ein Pflaster geeignet scheint.

Mit steigendem Alter sinken beim Mann aber auch die Estrogen- spiegel. Estrogene spielen eine gesi- cherte Rolle in der Spermatogenese und Samenzellreifung, höchstwahr- scheinlich beim Erhalt der Knochen- masse und sind möglicherweise auch für den Erhalt kognitiver Funktionen wichtig. Zur Substitution liegen je- doch nur vereinzelt Berichte mit ge- ringen Fallzahlen vor.

Schutz vor oxidativem Streß

Da das weibliche Sexualhormon 17ß-Estradiol beim Mann feminisie- rend wirkt, Brustdrüsen und Prostata stimuliert, setzen die Forscher der Jenapharm auf das nichtfeminisieren- de 17a-Estradiol, das bei klimakteri- schen Frauen zwar Hitzewallungen unterbindet, aber kaum Wirkung auf Gonaden und Mamma zeigt. Die Hor- monderivate reagieren schwach mit den Genen im Zellkern, aber stark an Membranen; im Gehirn kommt es aber auch zur Anschaltung von estro- genabhängigen Genen – offensichtlich über einen dritten Weg. Zumindest in vitro läßt sich an Zellmembranen eine reduzierte Lipidperoxidation nach- weisen, was gleichbedeutend ist mit ei- nem Schutz vor oxidativem Streß. Das Unternehmen bezeichnet diese Estro- gene deshalb als „Scavestrogens“

(to scavenge = wegfangen). Nach Prof. Michael Oettel scheinen diese Estrogenderivate die erwünschten Wirkungen des 17ß-Estradiols auf die Gefäße zu zeigen und – nach In-vitro- Studien an Neuroblastomzellen – ge- hirnprotektiv zu wirken; bis zur Markt- reife werden allerdings noch Jahre ins Land gehen. Dr. Renate Leinmüller A-798

P O L I T I K MEDIZINREPORT

(30) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 14, 3. April 1998

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