Zur Klassifizierung der Kommissionen
der Internationalen Kartographischen Vereinigung (IKV)
Alexander Wolodtschenko (Dresden, Germany)
< alexander.wolodtschenko@tu-dresden.de >
Im Artikel wird ein Versuch unternommen, einige Klassifizierungsverfahren der Kommissionen der Internationalen Kartographischen Vereinigung (IKV) darzustellen. Nach pragmatischen Merkmalen (Erfahrung, Bezeichnung, Priorität, „klassisch“/„nicht-klassisch“
usw.) kann man alle IKV-Kommissionen charakterisieren, klassifizieren und bewerten. Ein neues Untersuchungsfeld „Kommissionsonomastik“ in der Kartographie wird somit vorgeschlagen.
Schlüsselbegriffe: IKV-Kommissionen, Klassifizierungsverfahren, Strukturmodelle in der und der Kartographie, IKV-Strategie, "Kommissionsonomastik"
Präambel
Die Anregungen für diesen Artikel erhielt ich aus meiner Diskussion mit Aileen Buckley (ESRI Inc.) und dafür ein Dankeschön an Aileen. Es war eine spontane Diskussion im Rahmen der realisierten bzw. geplanten IKV-Aktivitäten zur Popularisierung ausgewählten karto- graphischen Wissens, sowie über die Klassiker der Kartographie. Natürlich gab es weitere Diskussionsfragen wie: „Was ist klassisch und nicht-klassisch in der modernen Karto- graphie?“, „Quo vadis Bertin´s Graphic Semiology?“, „Quo vadis Theoretical Cartography?“,
„Who is Who in Cartography?“ oder „Who is Who in Theoretical Cartography?“ usw. – diese sind jedoch spezielle Fragen, welche das Thema der Klassifizierung der IKV-Kommissionen in meinem Diskussionsartikel nicht tangieren. Eine komplexe Analyse der Aktivitäten der IKV- Kommissionen für die Zeit 1964-2011 ist in diesem Artikel nicht geplant, obwohl in diesem Jahr die IKV ihr 50. Gründungsjubiläum feiert. Und in diesem Zusammenhang wären Kommissionsaktivitäten, -leistungen, -tendenzen und -strategien wichtig.
1. Über die Strukturmodelle in der Kartographie
Im Rahmen der theoretischen Kartographie nimmt die Frage der Strukturmodelle in der Kartographie einen wichtigen, aber nicht dominierenden Platz ein. Eine der Aufgaben der IKV- Kommission „Theoretische Kartographie“ ist es (der Autor des Artikels hat die Ehre sie schon 10 Jahren zu leiten), in allen drei Zeitperioden (1999-2003,2003-2007,2007-2011) diverse Modelle in der Kartographie zu untersuchen (ICA Commission on Theoretical Cartography, 2009). Die Untersuchungen zum Strukturmodell der IKV-Kommissionen sind von mir in zwei Artikeln beschrieben worden (Wolodtschenko, 2003a, 2003b). Der vollständige Artikel (2003a), der auch ausgewählte Strukturmodelle der IKV-Kommissionen vorschlägt und betrachtet, ist in der
2. Zu den IKV-Kommissionen
Im Statut der IKV findet sich in Abschnitt H (Organisation of activities) unter Artikel 24:
„Article 24. Commissions, Working Groups and Task Forces
The General Assembly of Delegates may establish commissions for the execution of important cartographic and GI science tasks. The tenure of office of a Commission is limited to the period between two General Assemblies, but may be extended for another period by a vote at a General Assembly of Delegates.” (ICA International Cartographic Association, 2009)
In einer Reihe von wissenschaftlichen IKV-Aktivitätsformen stehen die Kommissionen hinter den International Cartographic Conferences und Joint meetings auf Platz drei:
(1) International Cartographic Conferences (2) Joint meetings
(3) Commissions, Working Groups (4) Publications
Alle Kommissionen der IKV werden auf der jeweiligen General Assembly bestätigt und Commission-Chairpersons gewählt. Die Arbeitsgruppen bzw. Working Groups (WG) – im Prinzip mit Kommissionsrechten – werden vom Executive Committee für je zwei Jahre bestätigt.
3. Erscheinungsformen der Kommissionen und Arbeitsgruppen
Fünf Jahre nach der IKV-Gründung (1959) beschäftigte sich die General Assembly auf der London-Edinburgh Konferenz 1964 mit drei Hauptthemen: Training, Terminologie und Automation (Ormeling, 1987). Damit wurden auch die wichtigen Aufgaben der Kommissionsarbeit verbunden. Tabelle 1 zeigt die ersten drei Kommissionen für die Zeitperiode 1964-1968.
Tabelle 1: IKV-Kommissionen 1964-1968
IKV-Kommissionen 1964-1968
1 Training of Cartographers
2 Definition, Classification and Standardization of Cartographic Terms
3 Automation in Cartography
Tabelle 2 zeigt ausgewählte Beispiele der Formierung von Erscheinungsformen der Kommissionen und Arbeitsgruppen, sowie ihre Anzahl in den konkreten Zeitperioden. Diese Beispiele dienen auch der Modellbildung zur Klassifizierung der Kommissionen.
Tabelle 2: Ausgewählte Erscheinungsformen der IKV-Kommissionen und Arbeitsgruppen IKV-Kommissionen und Arbeitsgruppen 1984-1987
Kommissionen Ad-Hoc Kommissionen Working Groups Joint Working Groups (IKV-IFLA, IKV-IGU)
3 5 3 2
IKV-Kommissionen und Arbeitsgruppen 1995-1999
Ständige Kommissionen Kommissionen Working Groups
3 8 7
IKV-Kommissionen und Arbeitsgruppen 1999-2003
Kommissionen Working Groups
17 1
IKV-Kommissionen und Arbeitsgruppen 2007-2011
Kommissionen Working Groups
22 8
4. Zu Klassifizierungsverfahren
Man kann verschiedene Kriterien oder Merkmale der Klassifizierung von Kommissionen nutzen, z.B. nach Erfahrungsgrad, Realisierung der Aufgaben, Zugehörigkeitsgruppen usw.
Tabelle 3 präsentiert vier ausgewählte Klassifizierungsverfahren von IKV-Kommissionen.
In Wolodtschenko (2003a) wurde das Vergleichsverfahren von Kommissionen beschrieben, das auf der Bildung von Gruppen im System „Technologie-Theorie“ der Kartographie basiert.
Alle IKV-Kommissionen unterscheide ich hier in drei Gruppen: theoretisch orientierte, theoretisch-technologisch orientierte und technologisch orientierte. Tabelle 4 zeigt das Strukturmodell der IKV-Kommissionen (1999-2003). Abhängig von den theoretischen oder technologischen Aufgabenlösungen kann die Anzahl von Kommissionen in den Gruppen variabel sein.
Tabelle 3: Ausgewählte Klassifizierungsverfahren
Klassifizierungsverfahren der IKV-Kommissionen 1 Nach Aufgabenlösung
Theoretisch-orientierte Kommissionen
Theoretisch-technologisch orientierte Kommissionen
Technologisch orientierte Kommissionen 2 Nach Prioritätsmerkmalen
Ständige Kommissionen Ad-Hoc Kommissionen
3 Nach dem Grad der Erfahrung
„Veteranen“- Kommissionen „Newcomer“- Kommissionen 4 Nach onomastischen Zugehörigkeitsmerkmalen
„Klassische“ Kommissionen „Nicht-klassische“ Kommissionen
Tabelle 4: Strukturmodell der IKV-Kommissionen (1999-2003) IKV-Kommissionen 1999-2003 Theoretisch-orientierte
Kommissionen
Theoretisch-technologisch orientierte Kommissionen
Technologisch orientierte Kommissionen Cartography and Children
(J.M.Anderson/Canada)
Education and Training (V.S.Tikunov/Russia)
Map Production (S. van der Stehen /Netherlands) Gender and Cartography
(E.Krzywicka-Blum/Poland)
Maps and Graphics for Blind and Visually- Impaired People (A.F.Tatham/UK)
Mapping from Satellite Imagery (S. Le Blanc/France) Census Cartography
(Tim Davis/Canada)
Marine Cartography (R.Furness/Australia) Maps and the Internet ( M.Peterson/USA) History of Cartography
(C.Board/UK)
Mountain Cartography (L.Hurni/Switzerland) Map Generalization
(R.Weibel/Switzerland)
National and Regional Atlases (T.Trainor/
USA) Theoretical Cartography
(A.Wolodtschenko/Germany)
Planetary Cartography (K.Shingareva/Russia) Spatial Data Standards
(H.Moellering/USA)
Visualization and Virtual Environments (A.MacEachren/USA)
6 8 3
Eine weitere Möglichkeit ist, nach ständigen und einfachen (ad-hoc) Kommissionen zu unterscheiden. Diese Variante wurde für die Zeitperiode 1995-1999 realisiert.
Die Unterscheidung der Kommissionen nach dem Grad der Erfahrung („Veteranen“- und
„Newcomer“- Kommissionen) kann nur symbolischen Charakter tragen. Die Prozentanteile zweier Gruppen können den Erneuerungsgrad der Kommissionen in einer Periode von vier Jahren charakterisieren.
Ein viertes (letztes), aber interessantes Verfahren ist das kartosemiotisch-onomastische Prinzip (nach Namensbildung oder Benennung der Kommissionen), die „klassischen“ und
„nicht-klassischen“ Kommissionen zu unterscheiden. In diesem Fall ist es wichtig, die
„semantischen Felder“ der Kartographie durch Schlüsselwörter (Identifikationswörter) zu bestimmen und danach die Kommissionsgruppen zu bilden.
Die Kommissionen von drei Perioden 1972-1976, 1984-1987 und 2007-2011 wurden nach Schlüsselwörten („Cartography/Map/Mapping“ und „Varia“) gruppiert und tabellarisch in
„klassische“ und „nicht-klassische“ Kommissionen gegliedert (Tab. 5, 6, 7).
Tabelle 5: Sechs Kommissionen (1972-1976)
Sechs Kommissionen (1972-1976)
„Klassische“ Kommissionen „Nicht-klassische“ Kommissionen
Nach Schlüsselwörtern: Cartography/Cartographic Varia (0) Cartography (6)
Automation in Cartography
Definition, Classification and Standardisation of Technical Terms in Cartography
Education in Cartography Thematic Cartography Cartographic Communication
Cartographic Technology
Tabelle 6: Neun Kommissionen (1984-1987)
Neun Kommissionen (1984-1987)
„Klassische“ Kommissionen „Nicht-klassische“ Kommissionen
Nach Schlüsselwörtern: Cartography/Map/ Mapping Varia (2) Cartography (5)
History of Cartography Marine Cartography Population Cartography
Tactile Cartography Urban Cartography
Map (1)
Map Production Technology Mapping (1)
Thematic Mapping from Satellite Imagery
Advanced Technology Training and Education
Tabelle 7: 22 Kommissionen (2007-2011)
22 Kommissionen (2007-2011)
„Klassische“ Kommissionen „Nicht-klassische“ Kommissionen
Nach Schlüsselwörtern: Cartography/Map/Mapping Varia (7) Cartography (8)
Cartography and Children History of Cartography
Marine Cartography Mountain Cartography Planetary Cartography Theoretical Cartography
Under-represented Groups and Cartography Digital Technologies in Cartographic Heritage
Map (5)
Management and Economics of Map Production Map Projections
Maps and Graphics for Blind and Partially Sighted People Maps and Society
Maps and the Internet Mapping (2)
Mapping from Satellite Imagery Ubiquitous Mapping
Education and Training
Generalisation and Multiple Representation Geospatial Analysis and Modelling
Geospatial Data Standards Geovisualization National and Regional Atlases
Use and User Issues
4.1. Zur „Kommissionsonomastik“
Einige kartosigmatische bzw. onomastisch-toponomische Untersuchungen habe ich bezüglich ausgewählter Karten, Kartenlegenden, Atlanten bzw. Atlasregister realisiert (Wolodtschenko, 1993, 1999, 1995, 2006, 2009). Die „kommissionsonomastische“ Untersuchung von ausgewählten IKV-Aktivitätsformen (z.B. die IKV-Kommissionen als Organisations- einheiten) wird hier erstmalig dargestellt.
Die Frage der Entstehung und Bezeichnung von IKV-Kommissionen und Arbeitsgruppen hat eine wichtige Bedeutung aus kartosemiotischer Sicht; sie ist auch interessant für die Reflexion und Vergleichsanalyse z.B. bezüglich anderer geowissenschaftlicher Organisationen und Institutionen. Das semiotische Potenzial der „Kommissionsonomastik“ ist groß, vielseitig und braucht weitere, wenn auch exemplarische Untersuchungen.
4.2. Weitere Vergleichsmodelle bzw. -analyse
Basierend auf der Anzahl von Commission-Chairpersons und Kommissionen in konkreten Zeitperioden kann man verschiedene Vergleichsmodelle konstruieren. Zwei Beispiele werden in Tabelle 8 und 9 präsentiert. Tabelle 8 zeigt die Anzahl von Commission-Chairpersons von 1999 bis 2011 nach Kontinenten geordnet: europäische Chairpersons dominieren in dieser Periode mit über 50%. Nach Staaten betrachtet stellen die USA mit 12 Vertretern die meisten Commission-Chairpersons in den jüngsten drei Zeitperioden (Tab. 9).
Tabelle 8: Anzahl von Commission-Chairpersons nach Kontinenten
Kontinente Anzahl von Commission-Chairpersons
1999-2003 2003-2007 2007-2011
Europa 10 (52,6%) 12 (54,5%) 14 (60,9%)
Nordamerika 6 5 4
Südamerika - - 1
Afrika - 2 2
Asien - 2 1
Australien 1 1 1
17 22 23
Tabelle 9: Anzahl von Commission-Chairpersons nach Staaten (1999-2011)
1999-2003 2003-2007 2007-2011
USA 4 USA 5 USA 3
Canada GB Russia Switzerland
je 2
France GB Russia
je 2
Austria Germany South Africa
je 2
Australia France Germany Netherlands
Poland
je 1
Australia Belgium
Finland Germany
Hungary Israel Japan Kenya Poland South Africa
Switzerland
je 1
Australia Belgium Bulgaria Canada
Chile France
GB Greece Hungary
Japan Netherlands
Poland Russia
je 1
17 22 23
5. Schlussbemerkungen
Basierend auf einer soliden Analyse der ersten 25 Jahre der IKV (Ormeling, 1987) lassen sich in den Strategien der IKV-Kommissionen folgende Richtungen skizzieren:
• eigene kartographische Forschung (Schwerpunkte: Ausbildung, Terminologie, Automation)
• gemeinsame Wege in der Forschung mit Schwesterorganisationen (International Geographical Union (IGU), International Federation of Library Associations (IFLA) usw.)
Natürlich haben auch die zweiten 25 Jahre in den IKV-Kommissionen und Arbeits- gruppen Spuren hinterlassen; eine fundierte vergleichende Analyse für 50 Jahre wäre interessant und wichtig aus ontologischer Sicht der Kartographie.
Einige Fragen wie: „Wohin, wie und mit wem geht die moderne Kartographie?“ kann man auch mit Hilfe von Klassifikationsverfahren der IKV-Kommissionen beantworten. Diese Fragen standen im Hintergrund meiner Klassifizierungsanalyse, wenn auch nicht immer
Im Artikel wurde erstmalig versucht, die IKV-Kommissionen nach ausgewählten Kriterien zu gruppieren bzw. zu unterscheiden. Die IKV-Kommissionen sind wichtige und selbstorganisierte Funktionseinheiten der IKV. Sie sind „Arbeitsbienen“ der IKV mit unterschiedlichem Leistungspotenzial. Nicht zuletzt wird die IKV-Strategie mit Hilfe von Kommissionen und Arbeitsgruppen realisierbar.
Nach pragmatischen Merkmalen (Erfahrung, Bezeichnung, Priorität, „klassisch“/„nicht- klassisch“ usw.) kann man alle Kommissionen charakterisieren, klassifizieren und bewerten.
Hierbei braucht auch die "Kommissionsonomastik" weitere Untersuchungen bezüglich der Entstehung, Bezeichnung, Bedeutung usw. von IKV-Kommissionen und Arbeitsgruppen aus historischem und ontologischem Sichtwinkel.
6. Literatur
ICA Commission on Theoretical Cartography. (2009). Terms of Reference. Abgerufen Juli 5, 2009, von http://rcswww.urz.tu-dresden.de/~wolodt/tc-com/tor-st.htm.
ICA International Cartographic Association. (2009). ICA statutes and By-Laws. Abgerufen Juli 5, 2009, von http://cartography.tuwien.ac.at/ica/index.php/TheAssociation/ICA-statutes.
Ormeling, F. J. (1987). ICA 1959 - 1984: the 1st 25 years of the International Cartographic Association.
Enschede: International Cartographic Association.
Wolodtschenko, A. (1993). Kartojazykovye problemy i kartosemiotika. Dresden.
Wolodtschenko, A. (1999). Kartosemiotische und konzeptionelle Aspekte der 90er Jahre. Dresden:
Selbstverlag TU Dresden.
Wolodtschenko, A. (1995). Einige Aspekte der kartosigmatischen Untersuchungen von Atlanten. In 11.
kartographische Konferenz (S. 72-78). Bratislava.
Wolodtschenko, A. (2003a). IKV Kommissionen in den Zeitperioden 1999-2003 und 2003-2007. In: H.
Schlichtmann, A. Wolodtschenko (Eds.): Diskussionsbeiträge zur Kartosemiotik und zur Theorie der Kartographie, Internationales Korrespondenz-Seminar, 6 (Selbstverlag TU Dresden), (S. 55-60). [In digitaler Form → .pdf]
Wolodtschenko, A. (2003b). Structural Models in Cartography. In The Selected Problems of Theoretical Cartography 2002. Proceedings of a seminar of the ICA-Commission on Theoretical
Cartography. Gdansk, Poland, July 20-21, 2002 (S. 73-81). Dresden: ICA.
Wolodtschenko, A. (2006). Атласная картосемиотика. [Atlaskartosemiotik]. Dresden.
Wolodtschenko, A. (2009). Atlasregister: Struktur, Systematik und Namensammlung (am Beispiel des Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland). In Proceedings of the 23rd International Congress of Onomastic Sciences (ICOS-2008). Toronto: CDROM.