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Archiv "TOP II: Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte - Raus aus dem Jammertal" (01.06.2001)

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enug gejammert, ab sofort wird auf allen Ebenen Druck gemacht, die Ausbeutung der Arbeitskraft und die Überlastung insbesondere der jungen Ärztinnen und Ärzte wird nicht länger akzeptiert. Das ist die zentrale Botschaft des 104. Deutschen Ärzteta- ges in Ludwigshafen. Unter lang andau- erndem Beifall forderte Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Mitglied des Vor- stands der Bundesärztekammer, alle Ärzte auf, Überstunden exakt zu doku-

mentieren, Missstände öffentlich zu machen und innerhalb der Ärzteschaft solidarisch aufzutreten. Ausgebeuteten müsse Mut gemacht werden, sich zu- sammenzuschließen und ihre Rechte durchzusetzen. „Lassen Sie uns ge- meinsam die Gegenwehr organisieren und nicht länger den Druck von oben nach unten weiterreichen“, appellierte Montgomery an die Delegierten, von denen viele leitende Positionen in den Krankenhäusern besetzen. Der Präsi-

dent der Ärztekammer Hamburg sprach sich auch für die Einführung von Zeiterfassungsgeräten in den Kranken- häusern aus. Früher habe er die „Stech- uhren“ strikt abgelehnt, mittlerweile sei er aber überzeugt, dass die Arbeitsbela- stung der Krankenhausärzte auf diesem Wege dokumentiert werden könne.

Dr. med. Claudia Röhl aus Kiel, eine von Ausbeutung im Krankenhaus mas- siv betroffene junge Ärztin, hatte den Tagesordnungspunkt „Ausbeutung jun-

ger Ärztinnen und Ärzte“ eröffnet. Sie berichtete von ihrem Kampf gegen we- der mit Geld noch mit Freizeit ausgegli- chene Überstunden als Ärztin im Prak- tikum (AiP) in einem Kreiskranken- haus in Schleswig-Holstein. Dieser war letztlich erfolglos, weil die Mehrarbeit nicht ausreichend dokumentiert bezie- hungsweise nicht förmlich vom Chef- arzt angeordnet gewesen war. „Solange wir noch darüber diskutieren müssen, ob die Ärzte überhaupt Überstunden

an den Krankenhäusern leisten, sind wir noch weit davon entfernt, das Pro- blem zu lösen“, kommentierte Röhl, die mittlerweile als wissenschaftliche Assi- stentin an der Christian-Albrechts-Uni- versität Kiel tätig ist, die Misere. Sie be- zweifelte, dass sie nach ihrem „coming out“ (Montgomery) jemals wieder eine Stelle an einem Krankenhaus bekom- men wird. Dass dies nicht geschieht,

„dafür werde ich gegebenenfalls per- sönlich sorgen“, nahm ihr Prof. Dr.

med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident des Deutschen Ärztetages, diese Sorge.

Zur Wehr gesetzt gegen unhaltbare Zustände am Arbeitsplatz haben sich auch mehr als 50 Ärztinnen und Ärzte (vom leitenden Oberarzt bis zum AiP) des Städtischen Krankenhauses in Kiel.

Dr. med. Wolfhart Priesack, selbst Oberarzt, berichtete dem Ärztetag von wachsendem Unmut unter den Ärzten in seinem Krankenhaus, der in dem Entschluss mündete, das Urteil des Eu- P O L I T I K

104. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 22½½1. Juni 2001 AA1445

TOP II: Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte

Raus aus dem Jammertal

Es ist Zeit, den Aufstand der Klinikärzte zu organisieren, hieß es auf dem 104. Deutschen Ärztetag. Die Delegierten stimmten

sämtlichen Anträgen, die auf eine Verbesserung der Arbeitssituation im Krankenhaus zielten, mit großer Mehrheit zu.

Engagierte Appelle an die Delegierten des 104. Deutschen Ärzte- tages. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery: „Las- sen Sie uns gemeinsam die Gegenwehr organisieren und nicht länger den Druck von oben nach unten wei- terreichen!“

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ropäischen Gerichtshofs zum Arbeits- zeitgesetz auch für deutsche Ärzte zu erstreiten. Bezeichnenderweise hatte ihn sein Arbeitgeber für seinen Beitrag zum Ärztetag nicht freigestellt; er muss- te einen Tag Urlaub nehmen. „Auch wir beanspruchen die volle Anerken- nung von Überstunden und Bereit- schaftsdiensten als volle Arbeitszeit“, sagte Priesack. Die Klage werde in Kür- ze beim Arbeitsgericht eingereicht, und der Entschluss, notfalls durch alle In- stanzen zu klagen, stehe fest. „Erst wenn sich die deutsche Ärzteschaft ge- schlossen vom AiP über Assistenzarzt, Oberarzt und Chefarzt bis zum nieder- gelassenen Kollegen darauf besinnt, selbstbewusst dafür zu streiten, dass un- ter fairen Arbeitsbedingungen mit an- gemessener Vergütung eine qualitative hochwertige Patientenversorgung si- chergestellt werden kann, erst dann werden junge Ärztinnen und Ärzte wie-

der mit Begeisterung und hoher Ein- satzfreude ihre schöne, aber auch an- spruchsvolle Tätigkeit ausüben“, been- dete der Oberarzt sein Referat.

„Geschenk des Himmels“

Dr. Frank Ulrich Montgomery wertete das EuGH-Urteil zum Arbeitszeitgesetz vom 3. Oktober 2000 als „Geschenk des Himmels“. Es sei an der Zeit, den Auf- stand der Klinikärzte zu organisieren:

„Obwohl nach wie vor 12 000 Studenten die Universitäten als Ärzte verlassen, tauchen nur circa 6 000 im traditionellen Arztberuf auf.“ Dies habe seine Gründe:

80-Stunden-Wochen, 32-Stunden-Dien- ste, Arbeitslast im Bereitschaftsdienst

oft mehr als 49 Prozent, mehr Bereit- schaftsdienste als zulässig, bundesweit mehr als 50 Millionen Überstunden im Wert von zwei Milliarden DM, Teilzeit- stellen mit Vollzeitarbeit, „Bewährung“

auf unbezahlten „Gastarzt“-Stellen, AiP als Stationsarzt, fächerübergreifende Bereitschaftsdienste. Unhaltbare Zu-

stände, die Montgomery, der auch Vor- sitzender des Marburger Bundes ist, auf vier Ebenen bekämpft sehen will:

❃Politisch – Montgomery forderte den Gesetzgeber auf, das Arbeitszeit- gesetz zu ändern, die Arbeitsleistung für den Dokumentationsaufwand und den Mehrbedarf aus dem EuGH-Urteil in die DRG-basierten Entgeltpauscha- len einzukalkulieren und die Einfüh- rung des DRG-Systems zeitlich zu

„strecken“.

❃Kollektiv – Die Ärzteschaft dürfe das Gesetz über befristete Arbeitsver- träge mit Ärzten in der Weiterbildung nicht missbrauchen, müsse die Arbeits- zeitdokumenation durchsetzen, Miss- stände öffentlich machen und ärztliche Solidarität herstellen.

❃Bei den Körperschaften – Montgo- mery forderte die Selbstverwaltung auf, eine „niedrigschwellige“ Beratung für ausgebeutete Ärztinnen und Ärzte an- zubieten; alle Ärztekammern sollten ei- nen Ombudsmann bestimmen.

❃Auf der Ebene jedes Einzelnen – Alle Ärzte sollten sich der Probleme annehmen, sich solidarisieren und den Ausgebeuteten den Mut geben, sich zu- sammenzuschließen und ihre Rechte durchzusetzen. Jetzt sei Zivilcourage gefragt.

Hohe Leistung, mieser Lohn

„Zwischen dem, was junge Ärzte lei- sten, und dem, was die Gesellschaft dafür bezahlt, besteht eine Diskrepanz, die wir aus der Welt schaffen müssen“, eröffnete Prof. Dr. med. Harald Mau, Delegierter der Ärztekammer Berlin, die Aussprache. Diesem Gedanken fol- gend, stimmte der 104. Deutsche Ärzte- tag später einem Entschließungsantrag zu, der die Abschaffung des AiP for- dert. Bis zur Abschaffung der AiP-Zeit werden die Tarifpartner in einem ande- ren Beschluss aufgefordert, die AiP- Vergütung „deutlich und überpropor- tional“ anzuheben. Ove Schröder, De- legierter der Ärztekammer Berlin und Arzt im Praktikum, hatte zuvor ein- drucksvoll geschildert, wie schwer es ist, mit dem AiP-Gehalt in Höhe von etwa 1 600 DM eine Familie zu ernähren.

Sein Beschlussantrag, der die Einrich- tung einer Kommission „Junge Ärztin- nen und Ärzte“ bei der Bundes- ärztekammer zum Ziel hatte, wurde an den Vorstand der Bundesärztekammer

überwiesen. ✁

P O L I T I K 104. DEUTSCHER ÄRZTETAG

A

A1446 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 22½½1. Juni 2001

Keine Freistellung vom Arbeitgeber: Dr. med.

Wolfgang Priesack musste sich Urlaub nehmen, um dem Ärz- tetag berichten zu können.

Beeindruckte mit ei- nem mutigen, offenen Erfahrungs- bericht aus ihrer Zeit als Ärztin im Prakti- kum: Dr. med. Clau- dia Röhl

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In einer Entschließung fordert der 104. Deutsche Ärztetag die für den Ar- beitsschutz zuständigen Behörden (Ge- werbeaufsichtsämter) auf, die Einhal- tung der gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeitszeit in den Krankenhäusern besser und genauer zu kontrollieren.

Wenn in den Krankenhäusern in zahllo- sen Fällen gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen werde, liege das auch daran, dass die Kontrollen durch die staatliche Gewerbeaufsicht oft vernachlässigt werden. Wo sie durchgeführt würden, blieben sie meist an der Oberfläche:

„Die Gewerbeaufsichtsämter prüfen typischerweise tagsüber die Dienstplä-

ne, auf denen keine Überstunden ver- zeichnet sind, statt sich nachts die Rea- lität auf den Stationen anzusehen“, brachte Montgomery das Problem auf den Punkt. Er betonte, dass die Gewer- beaufsichtsämter auch bei anonymen Hinweisen aktiv werden müssen.

Gewerbeaufsicht wird aktiv

Am Rande des Ärztetages machte Dr.

med. Theodor Windhorst, Delegierter der Ärztekammer Westfalen-Lippe, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt auf eine begrüßenswerte Neuregelung in Nordrhein-Westfalen aufmerksam:

Dort werden die für die Krankenhäuser zuständigen Abteilungen in den Ge-

werbeaufsichtsämtern in Kürze perso- nell aufgestockt und inhaltlich besser geschult.

Eine weitere Entschließung des 104. Deutschen Ärztetages richtet sich an die Staatsanwaltschaften. Diese müssten gemäß § 291 des Strafgesetz- buches („Wucherparagraph“) bei of- fensichtlicher Ausbeutung junger Ärz- tinnen und Ärzte in den Kliniken gegen die Krankenhausträger beziehungswei- se Arbeitgeber vorgehen. „Es ist uner- träglich, mit anzusehen, mit welchem Engagement sich die Staatsanwälte auf angebliche Abrechnungsbetrügereien niedergelassener Ärzte stürzen, bei der

Ausbeutung im Krankenhaus jedoch nicht aktiv werden“, sagte Montgo- mery. In einem Strafverfahren hatte der Bundesgerichtshof 1997 entschieden, dass die Beschäftigung eines Arbeit- nehmers zu unangemessen niedrigem Lohn Wucher sein kann. § 291 Strafge- setzbuch lautet: „Wer die Zwangslage, die Unerfahrenheit et cetera eines an- deren dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten für seine sonstigen Leistungen Vermögensvorteile verspre- chen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Lei- stung . . . stehen, wird mit einer Frei- heitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft . . .“

Prof. Dr. med. Detlef Kunze, Dele- gierter der Bayerischen Landesärzte-

kammer, und Dr. med. Dieter Mitren- ga, Delegierter der Ärztekammer Nordrhein, verwiesen auf die in- nerärztliche Dimension des Ausbeu- tungsproblems: „Wir dürfen nicht ver- gessen, dass auch einige Kollegen aus Machtinteressen Dinge unter den Tep- pich kehren“, sagte Kunze. Ausbeu- tung erfolge sowohl aus wirtschaft- lichen Interessen durch die Kran- kenhausverwaltungen als auch aus Machtinteressen durch Ärzte. „Derje- nige Chef, dem die Patienten wichtig sind, dem liegen in erster Linie seine Mitarbeiter am Herzen“, betonte Mi- trenga. Dr. med. Claudia Röhl hatte in ihrem Erfahrungsbericht bemängelt, dass ihre Kollegen sie bei ihrem Kampf um den Überstundenausgleich „über- haupt nicht“ unterstützt hätten: „Das war das Deprimierendste.“

Hoppe: Enormes Engagement

Knapp fünf Stunden Diskussion, unge- wöhnlich viele Wortbeiträge und stets ein volles Plenum im „Pfalzbau“: Es war erstaunlich, wie intensiv der Ärzte- tag das Thema „Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte“ angenommen hat. „Damit hatte ich nicht gerechnet“, sagte Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident des Deutschen Ärztetages, in der Abschlusspresse- konferenz. Es sei wichtig, die Missstän- de abzubauen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass eine Ärztegeneration von Drückebergern heranwachse, sagte Hoppe.

Derweil hat der Marburger Bund (Verband der angestellten und beamte- ten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands) angekündigt, den Druck auf die Ar- beitgeber zu erhöhen, um diese nach zahlreichen Verzögerungen zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die Tarifverhandlungen für das Kranken- haus ziehen sich bereits seit eineinhalb Jahren hin und waren mehrmals ver- schoben worden. Am Rande des Ärzte- tages sagte Lutz Hammerschlag, Ver- handlungsführer des Marburger Bun- des, dem Deutschen Ärzteblatt, dass

„weitergehende Maßnahmen“ in ein- zelnen Krankenhäusern nicht ausge- schlossen seien. Was dies genau heißt, ließ er offen. Jens Flintrop P O L I T I K

104. DEUTSCHER ÄRZTETAG

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A1448 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 22½½1. Juni 2001

Freude über die offene Aussprache an den herrschenden Zuständen und breite Zustimmung zu den zahlreichen Anträgen zur Verbesserung der Situation junger Ärztinnen und Ärzte.

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