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ergangenes Jahr wurde der deutsche Bücher- markt von Publikationen überschwemmt, die die Ge- fahr der gastrointestinalen Pilzbesiedelung zu verdeutli- chen versuchten. Kerninhalt war das Candida-Hypersensi- tivitäts-Syndrom, das für eine breite Palette aller möglichen Gebrechen verantwortlich sein soll. Darunter fallen so hetero- gene Symptome wie Herz- beschwerden, Dyspnoe un- ter Belastung, Meteorismus, Heißhungerattacken, chroni- sche Müdigkeit sowie Arthriti- den und Myalgien. Ebenso fehlte es nicht an diversen diä- tetischen Empfehlungen.Wegen dieser Veröffentli- chungen wurden zahlreiche Gesunde aufgrund banaler Beschwerden verunsichert.
Sie suchten die Praxen auf und verlangten nach einem Pilznachweis im Stuhl. Das
„Candida-Syndrom“ wurde 1976 als Hypothese aufge- stellt. Zehn Jahre später wur- de dieses Konzept von der American Academy of Aller- gology and Immunology als
„spekulativ und unbewiesen“
verworfen.
In einer plazebokontrol- lierten Cross-over-Studie war nämlich dargelegt worden, daß die genannten Beschwer- den von Patienten mit positi- vem Pilznachweis im Stuhl auf Nystatin nicht besser an- gesprochen hatten als auf Pla- zebo (jeweils nur 25 Prozent).
Nun ist es aber so, daß bei
zwei von drei Gesunden ein Pilzbefall der Faeces nachzu- weisen ist, konstatierte Prof.
Wolfgang Rösch (Frankfurt).
Den Gastroenterologen ist bekannt, daß bei immunge- schwächten Patienten das Plattenepithel von Mundhöh- le und Ösophagus mit Pilzen besiedelt ist.
Bei rund einem Viertel der Kranken mit Magenge- schwür findet sich am Ulkus- grund Candida, was aber den Heilungsprozeß nicht be- einträchtigt. Eine diffuse Schleimhautbesiedelung im Zylinderzellbereich von Ma-
gen, Dünn- und Dickdarm kommt laut Rösch „praktisch nicht vor. Umfragen unter Gastroenterologen und Pa- thologen lassen die Existenz einer invasiven Candidose in diesem Bereich als Mythos erscheinen.“
Es existieren zumindest von immunkompetenten Pa- tienten weder Fallberichte noch endoskopische oder hi- stologische Aufnahmen. Eine massive Darmbesiedelung mit Candida, die zu chroni- schen Durchfällen führt, kommt vereinzelt bei alten und mangelhaft ernährten Patienten vor, die schwer krank sind, eine lange Hospi- talisation durchgemacht ha- ben und antibiotisch sowie chemotherapeutisch vorbe- handelt worden sind. Dieses Krankheitsbild spricht aber auf orales Nystatin an und ist nach spätestens vier Tagen
A-3041 Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 46, 15. November 1996 (77)
V A R I A AUS UNTERNEHMEN
Pilze im Gastrointestinaltrakt
Vom Mythos der
Candida-Besiedelung
geheilt. Rösch sieht derzeit keine Veranlassung, gegen im Darm aufgespürte Hefen mit einem Antibiotikum vorzuge- hen. Das gilt speziell für Can- dida. Zwar verschwindet der Pilz unter antibiotischer Inter- vention aus den Faeces, oder die Pilzmenge reduziert sich unter die Nachweisgrenze.
Doch einige Tage nach- dem das Mittel abgesetzt wur- de, lassen sich die Pilze erneut nachweisen. „Meteoristische Beschwerden bei positivem Pilznachweis im Stuhl sind Ausdruck des zugrunde- liegenden Colon irritabile und nicht auf eine Gaspro- duktion im Rahmen von Ver- gärungsvorgängen durch Can- dida bedingt“, so der Ga- stroenterologe.
Hefepilze
Aus labordiagnostischer Sicht wurde das vermeintli- che Problem von Dr. Anna Sander (Freiburg) unter die Lupe genommen. So sind von den mehr als 200 bekannten Candida-Arten weniger als
zehn als humanpathogen ein- zustufen. Primär pathogene Hefen kommen aber beim Menschen nicht vor. Passage- re Hefen, etwa Saccharomy- ces cerevisiae, finden sich in Lebensmitteln wie Bier, ver- schwinden aber sehr rasch.
Bei Gesunden ist der Gastro- intestinaltrakt in zwei bis 80 Prozent der Fälle mit Candi- da besiedelt – je nach Labor, wie Sander anmerkte.
Am häufigsten ist Candi- da albicans. Dieser Hefepilz konnte in einer Freiburger Untersuchung in rund der Hälfte aller Stühle dingfest gemacht werden. Verglichen mit Aerobiern und Anaero- biern sind Hefen schwache Gasbildner, wie Sander be- tonte, und sind daher nicht für Blähungen verantwort- lich zu machen. Candida albi- cans gehört also zur physiolo- gischen Darmflora. Nur bei Risikopatienten kann der Darm ein Erregerreservoir für invasive Mykosen dar- stellen. Eine dauerhafte Era- dikation der Hefen aus dem Gastrointestinaltrakt ist nicht möglich. Karl B. Filip
In Deutschland werden jedes Jahr mehr als 1 500 Arz- neimittel zugelassen, von de- nen die meisten längst be- kannte Arzneistoffe enthal- ten. Die Zahl der Medika- mente mit neuen Wirkstoffen liegt mit etwa 20 bis 30 pro Jahr deutlich niedriger, echte Innovationen mit neuartigem Wirkprinzip sind noch selte- ner. Doch gerade diese haben große Chancen, den von der Pharmazeutischen Zeitung ausgeschriebenen Innova- tionspreis zu erhalten.
In diesem Jahr geht diese Auszeichung an das erste Antihypertensivum aus der neuen Wirkstoffklasse der Angiotensin-II-Rezeptor-Ant- agonisten: Losartan (Lor- zaar®, MSD). Die Substanz vermittelt die Blutdrucksen- kung über eine selektive Blockade des Angiotensin-II- Typ-1-Rezeptors (AT1-Re- zeptor). Substanzspezifische Nebenwirkungen anderer Antihypertensiva wie trocke- ner Husten (ACE-Hemmer), Ödeme (Calciumantagoni- sten), Müdigkeit (Beta-Re- zeptorenblocker) oder Stoff- wechselstörungen (Diureti- ka) sind daher unter Losartan nicht zu erwarten.
Im Rahmen von klini- schen Studien wurde die Sub- stanz bei etwa 5 000 Patien- ten untersucht; inzwischen wurden weltweit bereits mehr als 1,5 Millionen Patienten mit Losartan behandelt. Der Angiotensin-II-Rezeptor-Ant- agonist senkte den Blutdruck
sowohl bei leichter als auch bei mittelschwerer und schwerer Hypertonie zuver- lässig, und zwar unabhängig vom Alter und Geschlecht der Patienten. In den klini- schen Studien wurde unter Losartan bis auf Schwindel (vier Prozent) keine Neben- wirkung häufiger als unter Plazebo beobachtet (Schwin- del bei Plazebo 2,5 Prozent).
Die Langzeitwirkungen von Losartan sowie mögliche weitere Indikationen für den Einsatz des neuen Arznei- stoffs werden zur Zeit bei äl- teren Hypertonikern mit linksventrikulärer Hyperto- nie (LIFE-Studie), bei älte- ren Patienten mit Herzinsuf- fizienz (ELITE-Studie) sowie bei Patienten mit nicht-insu- linpflichtigem Diabetes mel- litus und Nephropathie (RENAAL-Studie) unter- sucht. Nach den ersten Er- gebnissen zeichnet sich vor allem die Herzinsuffizienz als weitere Indikation für Losar-
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Paracodin® retard Kap- seln – Das Unternehmen Knoll Deutschland teilt mit, daß derzeit aus technischen Gründen Paracodin® retard Kapseln zur Behandlung von Erkrankungen der Atemwe- ge nicht lieferbar sind. Es wird empfohlen, auf die an- deren Darreichungsformen von Paracodin®wie zum Bei- spiel Paracodin® Tabletten auszuweichen. pe A-3042 (78) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 46, 15. November 1996
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