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Archiv "Einengung oder Förderung der „Tages“-Chirurgie: Eine Kontradiktion" (27.11.1980)

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Selbstbeteiligung

spruch belastet zunehmend die Po- sition des einzelnen Arztes wie der Ärzteschaft im gesamten . Für die Einengung des ärztlichen Hand- lungsspielraums zwei Beispiele: Der BMÄ läßt in den meisten Fällen die Abrechnung einer Beratungsgebühr neben einer Sonderleistung nicht zu. Das führt dazu, daß der Arzt viele Leistungen, etwa Harnsediment, Blutsenkung, Hämoglobinbestim- mung, umsonst durchführen muß.

Selbstverständlich wird jeder Arzt bereit sein, irgend etwas auch um- sonst zu tun. Wird ihm aber die Ver- pflichtung zur kostenlosen Erbrin- gung von Leistungen in einem Um- fang auferlegt, wie es der BMÄ ver- langt, leidet seine Entfaltungsfrei- heit und Leistungsfähigkeit. Meist wird dies zu Lasten dessen getan, was mit der Beratungsgebühr abge- golten werden soll.

Das zweite Beispiel betrifft die Un- terbezahlung der Beratungsgebühr überhaupt. Ich habe für meine Pra- xis und auf das Jahr 1978 bezogen folgendes errechnet: Wenn ich mei- ne Praxiskosten auf diejenige Zeit umrechne, in der ich mit Patienten zusammen bin, so habe ich in dieser Zeit zwischen 42 DM und 44 DM Ko- sten pro Stunde. Das heißt: Ich muß pro Stunde mindestens sechs Pa- tienten beraten, um wenigstens die Kosten zu erwirtschaften (die Bera- tungsgebühr mit 7 DM angesetzt).

Das ist nervenaufreibend. Für ein in- dividuelles Eingehen auf die Bedürf- nisse des einzelnen Patienten bleibt nicht immer die nötige Zeit. Und noch schlimmer, die ständige Hetze zerstört die innere Gelassenheit und Muße, die man so oft brauchte . . Die gegenwärtige „Krankenschein- medizin" ist eine Mischung zwi- schen Individualmedizin und Staats- medizin. Sie ist zum größten Teil be- reits Staatsmedizin. Fast alles wird von oben her beeinflußt. Was dem Arzt an Individualmedizin verblieben ist, besteht im Durchlavieren durch die bestehenden Bestimmungen und in der Wahrung des Gesichts eines angeblich freien Arztes gegen- über seinem Patienten.

Die deutsche Ärzteschaft muß sich bewußt werden, daß in der Bundes-

republik in naher Zeit eine endgülti- ge Entscheidung zwischen Individu- almedizin oder Staatsmedizin fäl- lig wird. Ein Sowohl-als-Auch, wie es das Sachleistungsprinzip vor- täuscht, geht nicht mehr lange. Un- ter diesem Sowohl-als-Auch hat aus- schließlich das Image der Ärzte gelit- ten. Die Glaubwürdigkeit der Ärzte- schaft wurde angeschlagen. Von ei- ner Ärzteschaft, die vorgibt, frei zu sein, erwartet die Bevölkerung mehr, als diese beim geltenden Sachleistungsprinzip geben kann.

Die Bevölkerung vermißt das per- sönliche Gespräch, die individuelle Betreuung. Was ihr widerfährt, ist Massenabfertigung.

Diffamierung der Ärzteschaft Vor diesem Hintergrund ist auch die zunehmende Diffamierung der Ärz- teschaft in den letzten zehn Jahren zu verstehen. Sie wurde in Szene gesetzt von denjenigen, die den frei- beruflich tätigen Arzt abschaffen wollen. Die Resonanz in der Öffent- lichkeit war groß und der Effekt nachhaltig und nachwirkend. Die Öf- fentlichkeit ist eben mit den Ärzten nicht mehr zufrieden. Der Arzt von heute, mit dem sie es zu tun hat, ist der durch das Sachleistungsprinzip geprägte Arzt, auch wenn dieser ver- sucht, in diesem System sein Bestes zu geben.

Für die meisten Ärzte ist es wohl eine Selbstverständlichkeit, daß Me- dizin nur Individualmedizin sein kann. Sie neigen auf Grund dieser Selbstverständlichkeit dazu, die Tendenzen zur Staatsmedizin zu un- terschätzen. Gewiß, die Gruppen un- serer Gesellschaft, die die Staatsme- dizin erstreben, fallen durch ihren rabaukenhaften Ton auf und bekun- den dadurch, daß sie wenig von den Problemen verstehen und auch gar nicht verstehen wollen. Aber diese Anmaßung zeigt zugleich überdeut- lich, daß sich im allgemeinen Zeit- empfinden eine Vorstellung vom Wesen der Medizin entwickelt hat, die den persönlichen Bezug zwi- schen Arzt und Patient für zweitran- gig hält und anderes für wichtiger nimmt. Der Medizinjournalist Dr. Ge- org Schreiber hat dies treffend fol-

gendermaßen beschrieben: „Der Pa- tient bewundert die moderne Medi- zin. Er bewundert aber nicht auto- matisch den Arzt. Den nimmt er wahr als dienstverpflichtet gegen Kassenbeiträge. Und gelegentlich fragt er sich, ob der Arzt im Zeitalter der Computermedizin als Maschine- riegehilfe mit der modernen Appara- tur überhaupt noch zurechtkommt".

Man muß also damit rechnen, daß die Bevölkerung auf Grund dieser technisierten Vorstellung von Medi- zin sich dem Weg zur Staatsmedizin nicht widersetzen, sondern ihn mit- gehen wird. Daß er falsch sein wird, kann sie erst bemerken, wenn es zu spät ist. Gegen diese unheilvolle Entwicklung ist die Selbstbeteili- gung die einzig wirksame Gegen- maßnahme. Die empfindliche Reak- tion auf das „Blaue Papier" machte es deutlich. Warum denn sonst diese Aufregung über die maßvollen und zurückhaltenden Aussagen des Deutschen Ärztetages in Berlin?

Aufgaben des Arztes

Der Arzt hat zunächst die Aufgabe, sich unmittelbar des kranken Men- schen anzunehmen. Weiter ist er der medizinischen Wissenschaft ver- pflichtet. Was das ist, muß er im Rin- gen mit den Problemen immer wie- der neu durchdenken und im Zuge der fortschreitenden Entwicklung neu formulieren. Nachdem sich heu- te im Denken der Öffentlichkeit ein sehr mechanistischer Begriff von medizinischer Wissenschaft breitge- macht hat und fest eingewurzelt ist, fällt dem Arzt ungewollt auch eine wichtige politische Aufgabe zu. Er muß sich dagegen wehren, daß die Primitivdenker der Zeit die Staats- medizin vollends herbeiführen und damit alles zerstören! Die Diskus- sion über die Selbstbeteiligung in der gesetzlichen Krankenversiche- rung entscheidet also über die Zu- kunft der Medizin hierzulande. Sie entscheidet auch dann, wenn sie nur lässig und lau geführt wird.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Paul Mössinger Arzt für Allgemeinmedizin Karlstraße 99

7100 Heilbronn

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 27. November 1980 2869

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So bestrickend logisch der von Bernd Landauer vorgelegte Über- sichtsaufsatz (12) zur Thematik der Ambulanznarkose ist (weil es kein plausibles Gegenargument zu den von ihm vorgebrachten, auf die Nar- kose bezogenen Darstellungen ge- ben dürfte), so wenig klarstellend und beitragsliefernd ist seine Forde- rung: Bernd Landauer fordert — sich absichernd durch die Motivation —

„in Anbetracht der Sicherheit unse- rer Patienten" und durch Mißbilli- gung eines gewissen „Stichwortka- taloges" (23), daß „ambulant-opera- tive Versorgungen auf einen vertret- baren Umfang reduziert werden sollten".

Das Bestreben, eine durch diesen Katalog in den Raum gestellte Aus- sage abschwächen zu wollen, wäre für mich kein Grund, nochmals Posi- tionsbezug zur Sache zu nehmen.

Ich suche weder einen Katalog, noch mich zu verteidigen, sondern ich hielt und halte es für angezeigt, auf die Entwicklung und den Stand der Ambulantchirurgie hinzuweisen, auf das, was sie will, was sie bedeu- tet und was sie zu leisten vermag.

Ambulant operieren oder nicht Ich hatte provokativ formuliert: „Wir können ambulant operieren, wir können es aber auch seinlassen".

Das „Können" bezieht sich auf den heutigen chirurgischen Leistungs- stand. Er findet seinen Niederschlag in einem Katalog, der nicht Attrak- tion zur Imitation in toto sein muß und will. Er ist die Vorstellung von Möglichkeiten ambulant-operativer Praktiken, die andere bereits ergrif- fen haben. Damit ist er Hinweis auf den heutigen Leistungsstand. Er ist es auch dann, wenn er manchen monströs erscheinen mag. Die Stichworte wurden der Literatur (siehe Verzeichnis) entnommen und als Möglichkeiten dieses Versor- gungsstils apostrophiert. Sie sind keine Visionen zu einer Theorie. Das

„Seinlassen" bezieht sich auf beruf- liches Behindertsein niedergelasse- ner Ärzte operativer Fächer.

Als vor zirka zwanzig Jahren einzel- ne Chirurgen — Angehörige operati- ver Fächer in Praxis und Klinik — unabhängig voneinander und ohne Kontakte zueinander angefangen

haben, einzelne Fallaufkommen von bis dato absoluter Anzeigestellung zur Stationärversorgung ambulant operativ zu behandeln, fanden sie sich obligatorisch auf dem Boden der Außenseitigkeit — sobald sie das Solitärstadium ihres Vorgehens überschritten hatten und sich be- mühten, ambulant-chirurgischen Praktiken Methode zu geben —. Als Außenseiter hatten sie spontan die Union von drei Blöcken der Gesell- schaft gegen sich — auf professionel- ler Ebene —, drei Blöcke, die sich stets gegen Neuentwicklungen zu stellen pflegen: Orthodoxie, Intellek- tualismus, Korruption.

Jede Neuentwicklung sieht sich nor- maliter mit einer Resistenz konfron- tiert. Die Kontroversen werden signi- fikant geführt, und in den Kommen- taren durchlaufen sie typische Pha- sen: Zunächst wird gesagt, daß die Sache nicht praktikabel sei, sodann

— nach Verlauf einiger Zeit — wird verlautbart, daß sie zwar praktikabel sei, aber keine praktische Bedeu- tung hätte, und endlich, wenn sich die vorher abgewertete, bagatelli- sierte und in Zweifel gestellte Ent- wicklung — entgegen ursprüngli- chen Prognosen — als progredient und expansiv erweist, dann wird von höherer Ebene festgestellt, daß die praktische Bedeutung dieser Ent- wicklung in einem gewissen Rah- men zwar unbestreitbar, jedoch überhaupt nicht neu sei. In dieser letztgenannten Phase der Kommen- tatur befindet sich gegenwärtig das, was unter der Überschrift „Ambu- lante Operationen" Ende der fünfzi- ger Jahre begonnen hatte und sich heute als „Tages-Chirurgie" präsen- tiert. Damit aber ist die Tages-Chir- urgie nicht als Teil dieses (Versor- gungs-)Systems integriert, vielmehr ist sie nach wie vor außenseitig. Es geht jetzt im gezielten Kritikansatz darum, „ambulant-operative Versor- gungen auf einen vertretbaren Um- fang reduziert" wissen zu wollen mit der Motivation „in Anbetracht der Sicherheit unserer Patienten".

Es ist richtig und nötig, Kritik anzu- bringen, solange sie sich auf allge- meingültige Erkenntnisse — dem heutigen Stand entsprechend — und

Einengung oder Förderung der „Tages"-Chirurgie

Eine Kontradiktion

Kurt Hoehle

Die sogenannte Tages-Chirurgie wird in der fachgebietlichen Arena ebenso wie in der standespolitischen entweder als „Top-Modell" oder als „schreckliches Kind" präsentiert und kommentiert. Sie fordert unmißverständlich Alimente (sprich: Nebenkostenersatz) für ihr Da- sein, nachdem sie ohne jede fremde Hilfe die Entwicklungsstadien hinter sich gebracht hat und jetzt fraglos Zeichen der Reife aufweist.

Der Verfasser widerspricht Bestrebungen, die in Zusammenhang mit der Diskussion zur „Ambulanznarkose" (Bernd Landauer, DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT, Heft 4/1980, Seite 193 ff.) darauf abzielen, ambulant-operative Praktiken wesentlich einzuengen.

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Tages-Chirurgie

auf eigene Erfahrungen stützt.

Bernd Landauer stützt sich auf eige- ne Erfahrungen und er orientiert sich gewissenhaft am heutigen Lei- stungsstand. Er stellt — beispielhaft für die Praxis —eine Reihe von Anäs- thesieformen vor, die er quasi als Sortiment von Ambulanznarkosen diskutiert. Bei der Diskussion dieser Narkosen ist er keineswegs vorein- genommen, auch nicht altgläubig, vielmehr kritisiert er objektiv. Die Objektivität liegt in der Konfronta- tion mit Risiken bei der Applikation von Anästhesien im allgemeinen und im speziellen.

Schlüsselfunktion der Narkose Obwohl es gar keine Frage ist, daß die Narkose eine wesentliche Schlüsselfunktion bei jeder operati- ven Behandlung einnimmt, insbe- sondere bei ambulant-chirurgischen Versorgungen, so ist seine Forde- rung zur „Reduktion ambulant-chir- urgischer Behandlungen auf einen vertretbaren Umfang" eine pauscha- le Begrenzung ohne Spezifikation der Grenzmarkierungen, eine Kom- petenzüberschreitung sowie ein Ausdruck von Erfahrung auf einem Teilgebiet. Sein Teilgebiet ist die Narkose, nicht die Operation. Und von Operationen — ambulanten Ope- rationen — wird hier gesprochen.

Vielleicht ist es hilfreich, die Rang- ordnung für Operationsmodelle richtigzustellen, daß nämlich der Operateur für die operative Therapie verantwortlich ist und dafür verant- wortlich gemacht wird. Ist der Anäs- thesist nicht in der Lage, ihm zur Durchführung der Operationsbe- handlung die geeignetste Narkose im Einzelfall anzubieten, müßte der Operateur im Extrem auf diese Anäs- thesie und diesen Anästhesisten ver- zichten. Der Operateur kann und muß eine adäquate — die „geeignet- ste" Narkose fordern, und zwar „in Anbetracht der Sicherheit unserer Patienten". Die adäquate Narkose ist nicht nur abhängig von Form, Methode und Technik. Mindestens ebenso bedeutungsvoll ist die Durchführung der Anästhesie. Sie sollte bei „ambulanten Operatio-

nen" nicht auf Ambulanzebene praktiziert werden, sondern durch- aus im Operationstrakt. Demzufolge wäre sie keine Ambulanznarkose.

Es liegt mir fern, mit nomenklatori- schen Handikaps zu argumentieren.

Die infolge sprachlicher Unvollkom- menheit aufkommenden Assoziatio- nen bei dem Wort „ambulant" oder

„Ambulanz" sind für uns alle pein- lich, denn es ist einfach nicht mög- lich und nicht vertretbar, Eingriffe mittlerer Größenordnung mit An- spruch auf Methode „im Vorbeige- hen", zwischen Tür und Flur von Wartezimmern durchzuführen re- spektive die entsprechend geeigne- te Anästhesie anzubringen und zu leiten. Im deutschen Sprachraum hat es eines Symposions bedurft (19), um sich auf den Terminus „Ta- ges-Chirurgie" festzulegen, worun- ter all das verstanden wird, was un- ter dem Sammelbegriff „ambulante Operationen" im Umlauf war. Die Amerikaner ziehen sich mit ihrer

„Outpatient Surgery" (1) sprachlich durchaus nicht aus der Affäre, denn

„Ambulation" heißt dort genau ge- nommen „Mobilisation" und/also nicht Entlassung in ambulante Nachbehandlung. Postoperative Schnellmobilisation aber ist metho- discher Bestandteil bei tageschir- urgischen Fallversorgungen, ihr muß nicht obligatorisch Schnellam- bulation folgen, denn trotz rascher Mobilisation post operationem kann stationäre Weiterbeobachtung indi- ziert sein.

Diskussion

um die Sicherheit des Patienten Es geht bei der Diskussion zur Stel- lung der Tages-Chirurgie ohne Zwei- fel primär um die Sicherheit unserer Patienten und gleichzeitig um die juristische Beurteilung dieses Ver- sorgungsstils. Dabei handelt es sich initial nicht um den Kostendämp- fungseffekt, der quasi ein „Neben- produkt" (23) ist. Infolge der kosten- senkenden Auswirkungen gewinnen ambulant-operative Behandlungs- modelle jedoch an volkswirtschäftli- cher Bedeutung, ohne Kausa und Vehikel zur Sanierung von Minusbi-

lanzen im Versorgungswesen sein zu können, erst recht nicht zu wol- len, insbesondere wenn und falls da- mit die primären Forderungen außer acht gelassen würden, denn das wä- re operateurseitige Leichtfertigkeit und würde zur Verunsicherung der Patienten führen. Aus diesem Grun- de habe ich an mich gerichtete Auf- forderungen des Fernsehens und anderer Laienmedien zur Abgabe von Informationen zur Tages-Chir- urgie abgelehnt. Es ist vorrangig nö- tig, sämtliche Detailfragen vorwegs im eigenen Lager affektfrei abge- klärt zu haben.

Dieser Versorgungsstil ist strikt ge- bunden an Voraussetzungen und Einhaltung von Bedingungen und Vorprogrammierung jedes einzel- nen Falles (17, 23, 24). Er bezieht sich auf ein selektives Fallaufkom- men und hat keine Inhalte zur Indi- kation: Er stellt Behandlungsmög- lichkeiten vor. Und die Bandbreite dieser Möglichkeiten ist beachtlich, ablesbar an Erfahrungsberichten, die in der Literatur über die Spanne von 20 Jahren rückverfolgbar sind.

„Reduktion tages-chirurgischer Fallversorgungen auf einen vertret- baren Umfang" würde keinen we- sentlichen Raum zur Ergreifung von Möglichkeiten offenlassen. Die Al- ternative zur Reduktion wäre letzt- lich — überspitzt formuliert — die Be- schränkung auf das Anlegen einer

„kalten Naht" zum Verschluß einer frischen Platzwunde. Das aber hat- ten wir schon.

Im Rahmen der Selbstauflagen, die dieser Versorgungsstil beherbergt, ist seine Praktik vertretbar, und die Vertretbarkeit basiert auf schul- chirurgischen Grundlagen. Die Grundlagen waren entweder vor sei- ner Entwicklung vorhanden und be- durften genauerer Interpretation, zum Beispiel auf dem Gebiet der Dy- namik der Wundheilung (3, 4) oder des Bauchinnendruckes (5), oder es handelte sich um nebenherige Ver- besserungen, die der Praktikabilität dieses Versorgungsstils ein willkom- menes Rüstzeug gegeben haben, so auf dem Gebiet der Nahtmaterialien, der Blutstillung und nicht zuletzt verbesserter Anästhesiemethoden.>

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 27. November 1980 2871

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Um mich nicht zu wiederholen, darf ich hinweisen auf meinen Aufsatz über „Tages-Chirurgie" — juristische Aspekte, fachbezogene Grundlagen, Bedingungen und Voraussetzungen der Durchführbarkeit — (24).

Keine Risikosteigerung

Es ist oberstes Gebot bei Durchfüh- rung jeder tages-chirurgischen Be- handlung, daß sie zu vergleichbarer stationärer Fallversorgung keine Ri- sikosteigerung beinhalten darf. Be- reits die Ahnung einer möglichen Ri- sikosteigerung bedeutet die Aus- klammerung eines solchen Falles.

Diese Ahnung ist keine Intuition, sondern ablesbar an Einzelheiten, betreffend Voraussetzungen, Ein- haltung von Bedingungen und Be- folgung von Forderungen an Ope- rateur und Patient im Rahmen der (Vor-)Programmierung solcher Fälle.

Was das Befolgen von Forderungen an den Operateur anbelangt: Er hat seine Methode auf den Patienten einzustellen, nicht umgekehrt. Es ist unzureichend, sein Bestes zu tun. Es ist unabdingbar, alles getan zu ha- ben, was nach dem letzten Stand als nötig erachtet werden muß. Er muß sicher sein, daß selbst bei mangel- hafter Kooperation des Patienten und bei unvorhergesehenen, post- operativen Sensationen (Kolik, Aller- gie, häuslicher Unfall) seine Metho- de nicht versagt, das heißt eine Risi- kosteigerung in bezug auf die ambu- lante Operationsbehandlung nicht abgeleitet werden kann.

Die Risikobeurteilung hat grund- sätzlich keinen unmittelbaren Bezug zur Größenordnung des Eingriffs, wenn es dabei um die Abklärung der Fragestellung geht, ob in geeigne- ten Fällen postoperativ-stationäre

Nachbehandlung verzichtbar, letzte- re durch ambulante Nachbehand- lung ersetzbar und vertretbar ist oder nicht. Der Vergleichsmaßstab ist immer der, der angelegt wird an die entsprechende stationäre Fall- versorgung. Nochmals: Bei ambu- lant-operativer Behandlung darf das exspektative Risiko nicht höher sein

als bei vergleichbarer stationärer Behandlung. Von der Verpflichtung an diese Direktive gibt es keine Ent- bindung.

Die Praktikabilität der Tages-Chir- urgie steht wesentlich in Abhängig- keit von der methodischen Prinzip- anwendung bei postoperativer So- fort- oder Schnellmobilisation des Patienten. Die Chance zur Verwirkli- chung postoperativer Schnellmobili- sation ist bei gewissenhafter Fallse- lektion, bei entsprechend geeignet erachtbaren Vorbefunden, Siche- rung von Voraussetzungen und Be- dingungen während der postopera- tiven Phase und von der Gewährlei- stung zuverlässiger Rahmenbedin- gungen für Operationsdurchführun- gen vorkalkulierbar, einschätzbar und im Einzelfall weitgehend vorher transparent zu machen. Ist diese Transparenz gegeben, dann liegt es an Methode und Technik der Opera- tion einerseits und der der Anäs- thesie andererseits, um sich auf das Vorhaben zur postoperativen Schnellmobilisation behandlerseitig im Vorwege einzustellen, weil es ei- ne Einstellbarkeit im Sinne von Ver- tretbarkeit gibt, die es vor zwanzig Jahren eben nicht gegeben hat.

Falscheinschätzung im Einzelfall ist gleichbedeutend mit Inpraktikabili- tät von Maßnahmen zur postoperati- ven Schnellmobilisation. Falsch- orientierung ist ein relativ seltenes Ereignis und weder Verlust noch Blamage für Patient und Operateur.

Mögliche Falschorientierung wird normaliter unter der Operation oder unmittelbar danach festgestellt, in- dem es sich dabei zeigt, daß Maß- nahmen zur postoperativen Schnell- mobilisation nicht zumutbar respek- tive anwendbar sind. In solchen (Ausnahme-)Fällen gibt es ganz ein- fach kein „grünes Licht" zur post- operativen Schnellambulation, kei- ne Entlassung am Operationstage in ambulante Nachbehandlung. Aus ei- nem zur tages-chirurgischen Be- handlung vorgesehenen Kasus wird beim Versagen der vorgefaßten Ab- sicht zur Sofortmobilisation ein Fall, der weiterbeobachtet werden muß.

Er wird zu einem stationären „Zwei- tags"- oder „Dreitags-Fall", respek-

tive zieht sich seine Verweildauer solange hin, bis seine stationäre Entlassung vertretbar ist.

Gefahren

der Schnellambulation

Solche irregulären Verlaufsformen wären kein Malheur, kein ausrei- chender Grund zur Reduktion des Umfanges der Möglichkeitsergrei- fung von tages-chirurgischen Be- handlungen. Allerdings wäre es ein nicht wiedergutzumachendes Un- glück — bei dem Patient und Opera- teur „kalte Füße" bekommen könn- ten —, falls um des Prinzips willen auf einem Prinzip bestanden würde, das hieße einen nach der Operation nicht alsbald mobilisierungsfähigen vielleicht zeitlich und örtlich noch nicht orientierten, mit morschen Kreislaufverhältnissen behafteten, peripher mangeldurchbluteten, grobneurologisch irgendwie auffälli- gen und nicht kontaktfähigen Pa- tienten als liegenden Transport nicht zur Weiterbeobachtung auf die Station (wo er hingehört), sondern mit allen seinen Risiken hoffnungs- voll, gutgläubig und leichtfertig mit oder ohne Begleitperson nach Hau- se zu entlassen. Diese Art von Vor- gehen und Verhalten hat mit Ambu- lantchirurgie nichts gemein und liegt außerhalb des Vorstellungsbe- reiches jedes Chirurgen.

Es ist das Konzept der Ambulant- chirurgie, daß der Patient nach der Operation sofort quasi „aufgearbei- tet wird", um danach grundsätzlich als sitzender Taxentransport mit oder ohne Begleitperson nach Hau- se gehen zu können: Er ist zum Zeit- punkt der Entlassung kontaktfähig, grobneurologisch und kreislaufmä- ßig unauffällig, schmerzfrei, zeitlich und örtlich orientiert, mit oder ohne Assistenz gehfähig (soweit nicht ein Eingriff an den unteren Extremitäten vorgenommen wurde, wobei dann sinngemäße Beurteilung die Entlas- sung in ambulante Nachbehandlung bestimmt). Bei diesem durch metho- disches Vorgehen erreichten Fä- higsein des Patienten hat jeder am- bulant operativ Versorgte additiv Di- rektiven (die im Zuge von Patienten-

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Aufsätze • Notizen Tages-Chirurgie

information vorher schriftlich fixiert und durch Unterschrift anerkannt sind). Die Direktiven werden ge- wöhnlich auf ein Minimum be- schränkt.

Eine der Anordnungen ist striktes Verbot der selbständigen Teilnahme am Straßenverkehr am Operations- tage, und zwar aus forensischer Sicht, nicht unbedingt aus medizini- schen Gründen. Wenn Statistiken vorliegen, wie Bernd Landauer sie anführt (12), nach welchen „in Zu- sammenhang mit ambulant-operati- ven Praktiken 33 Prozent Mortalität"

genannt werden, so sind diese prima vista unerklärlich, weil es ein Si- gnum dieses Versorgungsstils ist, daß er sich durch deutliche Herab- setzung operativer und postoperati- ver Zwischenfälle und Komplikatio- nen legitimiert zu vergleichbarer sta- tionärer Fallversorgung, zum Bei- spiel deshalb, weil es sich um ein Selektiv von Patienten handelt, aber nicht nur deshalb.

Indem die alarmierende Statistik exi- stiert, so kann sie lediglich verbal, aber nicht faktisch in Relation zu dem stehen, was die Grundlagen der Ambulantchirurgie (24) anbelangt.

Ich habe wiederholt in Vorträgen (19) und in Publikationen (17, 24) in Zusammenhang mit eigenen Erfah- rungen mit Nachdruck betont: „Bei chirurgisch-ambulanter Versorgung wird das Krankenhausbett mit dem eigenen Bett des Patienten nicht einfach vertauscht. Die Krankensta- tion wird nicht als `extended arm' nach außen verlagert".

Nur dann, wenn eine völlige „Ver- drehung" der Therapieprinzipien er- folgt sein sollte, dann wird diese er- schreckende Statistik erklärlich — um abschreckend zu sein —, aber sie stößt nicht auf Verständnis. Sie wäre in Anbetracht der Sicherheit der Pa- tienten Anlaß zur berufs- und straf- rechtlichen Verfolgung der Behand- ler. Die Abwendung von Wiederho- lung wäre nicht durch die Auflage zur Begrenzung auf einen vertretba- ren Umfang erzielbar, sondern durch Verordnung von „Nulldiät" im Sinne von Unterlassung.

Methodische Raffung der postoperativen Phase

Tages-Chirurgie hat die Kapazität, zweierlei zu bestätigen, daß erstens dieser Versorgungsstil nicht die Si- cherheit des Patienten hintenan- stellt, sondern sie privilegiert, so daß auch nicht der geringste Anflug von Leichtfertigkeit mit im Spiel sein kann und jede postoperativ mögli- che Komplikation im stationären Be- reich gegebenenfalls genauso we- nig vermeidbar gewesen wäre oder sein würde, das heißt, daß im Kom- plikationsfall sofortiger ärztlicher Beistand ebensowenig Unterschied machen würde wie eine weniger prompte Arztpräsens nebst sämtli- chen Equipments, da ja zweitens bei ambulant-operativen Praktiken alles (jede Sache) genauso wie im statio- nären Bereich Berücksichtigung fin- det: Das besondere — und damit die Unterschiedlichkeit prägende — Merkmal besteht exklusiv in der me- thodischen Raffung der postoperati- ven Phase auf Stunden an Stelle von Tagen. Die Raffung ist bei geeigne- ten, nicht in allen Fällen möglich, wie oben ausgeführt. Die Möglich- keit liegt in gezielten Maßnahmen, postoperative Sofort- oder Schnell- mobilisation zum methodischen Be- standteil der Versorgung erheben zu können. Der an einer Reihe von Pa- rametern objektivierbare Grad wie- dererreichter Mobilisation des Pa- tienten als Ausdruck der Wiederher- stellung seiner normalen Physiolo- gie ist Signalisation für die Chance zur Schnellambulation: Der Patient kann nach Hause gehen, um als sit- zender Taxentransport nach Hause zu gelangen. Er hat zum Zeitpunkt der Entlassung in ambulante Nach- behandlung — einige Stunden nach der Operation — pensummäßig soviel hinter sich gebracht, wie ein ver- gleichbarer Fall, der nach sechs und mehr Tagen aus stationärer Behand- lung den Nachhauseweg antritt.

In dieser Bestandsaufnahme liegt Attraktion, die nicht das „Profil einer verführerischen Frau" (12) haben muß, da zum Verführen zwei gehö- ren. Niveau und Format derer, die Ambulantchirurgie nach Methode üben, müssen dergestalt sein, daß

sie verführerischen Leichtfertigkei- ten keine Angriffsflächen bieten: Die Zuverlässigkeit dieses Vorsorgungs- stils macht ihn im Rahmen seiner Möglichkeiten vertretbar. Die Ver- tretbarkeit hat Grenzen, die in den Selbstauflagen dieses Vorgehens geradezu manifestiert sind. Diese Grenzen haben keinen engen Bezug auf den Umfang, nicht auf die Band- breite an Fallversorgungsmöglich- keiten. Herabsetzung im Sinne von Begrenzung dieser Fallversorgun- gen auf einen Umfang wäre Anlaß zur Festlegung auf einen Indika- tionskalender und damit auf ein Di- saster. Warum? Niemand kann in diesen Versorgungsstil „hinein- springen", sich selbst „umfunktio- nieren" mit der Beschlußfassung, ab dato diese oder jene Fallaufkommen ambulant operativ zu behandeln. Je- der bedarf einer Anlaufzeit und gründlicher Vororientierung hierfür.

Indem „1-Tags"-Chirurgie vom Be- handler je Fall eine ärztliche „1- Tags"-Leistung konsequent abfor- dert, letztere aber in der Bundesre- publik Deutschland an niedergelas- sene Ärzte der operativen Fächer durch einen Handwerkerstunden- lohn brutto (einbezüglich der dabei aufkommenden Nebenkosten) als abgegolten erachtet wird, habe ich Verantwortliche im Versorgungswe- sen auf die infolge Ausklammerung dieses Versorgungsstils praktizierte Antiwirtschaftlichkeit hingewiesen, da ja seine Integrierung eine Kosten- reduktion in Höhe einiger Milliarden DM jährlich sein könnte.

Natürlich gibt es bei tages-chir- urgischen Praktiken Probleme, Komplikationen, Zwischenfälle, irre- guläre Fallverläufe. Tatsächlich ste- hen Komplikationen und Zwischen- fälle anteilmäßig mehr in Zusam- menhang mit der Anästhesie als mit der geübten Operationsmethode und -technik. Sofern Ambulantchir- urgie sich als — wie Landauer sagt —

„verabscheuungswürdige Hexe"

(12) präsentieren kann, dann vor- zugsweise deshalb, weil die Chir- urgie auf festeren, die Anästhesie auf weniger festen Füßen steht. Mit dieser Feststellung gebe ich keine Klassifizierung und ergänze diese

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 27. November 1980 2873

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Aussage: Es gibt zwar kleine, nach Methode und Technik unschwer durchzuführende Operationen, aber es gibt keine kleine Anästhesie, und jede vorher harmlos anmutende Nar- kose kann in ihrem Ablauf und da- nach mit einer Serie von Peinlichkei- ten aufwarten und vorgefaßte Kon- zepte „umstoßen". Indem aber bei- de — Operation und Narkose — rezi- prok zueinander stehen, bedarf es dringend der Abhilfe im Schwach- stellenbereich: Anästhesisten soll- ten es sich zur besonderen Aufgabe stellen, sich mit vorhandenen Anäs- thesiemethoden auf die bei ambu- lant operativen Praktiken an die An- ästhesie gerichteten Forderungen einzustellen, bestrebt sein, Anästhe- siemethoden zu entwickeln, die auf die Zielsetzung zur postoperativen Sofort- oder Schnellmobilisation an- gelegt sind, damit Schnellambula- tion an einem erweiterungsfähigen und nicht an einem zu verschmäch- tigenden Umfang von Fallaufkom- men realisierbar sein kann.

Anästhesietrauma muß rasch ausklingen

Vom point de vue des Chirurgen sind die Forderungen der Tages- Chirurgie an die dazugehörige Anäs- thesie und damit an den Anästhesi- sten folgende: Sie soll bei gesicher- ter Operationstoleranz wenig allge- mein belastend sein, sie soll rasch wieder ausklingen, am liebsten

„ausklinkbar" sein und nach Opera- tionsende schnellstens volle Orien- tierung des Patienten bedingen, da- mit methodische Maßnahmen seiner Remobilisation eingeleitet werden können. Das ist — wie wir wissen — leichter gesagt als getan. Für die Er- füllung dieser Forderungen bietet sich bei Erwachsenen vorzugsweise die Regionalanästhesie als peridura- le Applikationsform an. Falls Lokal- anästhesie möglich ist, sollte ihr bei diesem Versorgungsstil stets der Vorzug gegeben werden (Weichteil- brüche), weil sie — wie keine andere

— postoperative Sofortmobilisation — vom Operationstisch weg — gestat- tet. Randbemerkung: Lokalanästhe- sie heute ist nicht die Durchträn- kung von Gewebe mit Überdosen ei-

nes Lokalanästhetikums bis zur Un- kenntlichkeit der anatomischen Ver- hältnisse in diesem Bereich. Man kann mit sehr wenig Menge von ört- lichen Betäubungsmitteln Schmerz- freiheit und Operationstoleranz lo- kal erreichen durch Infiltration der entsprechenden Nervenendbahnen.

Ende der Randbemerkung.

Ist Vollnarkose angezeigt (Kinder), so hat diese sich betont an den oben genannten Forderungen zu orientie- ren. An Extremitäten haben Lei- tungsanästhesien — soweit anwend- bar — das Privileg. Sofern Epidural- anästhesie kontraindiziert ist (Ober- bauch, Brustkorb, Hals), so ist im Blick auf die Absicht zur postopera- tiven Schnellmobilisation sogar die Kombination eines Vollnarkotikums in niedriger Dosierung in Verbin- dung mit Lokalanästhesie zu er- wägen.

Die ETN hat in der Ambulantchirur- gie kein Primat — Alleinvertretungs- recht —. Sie sollte bei ambulanten Operationen eine Art Reserve — eine Nachhut für besondere Fallverläufe

— sein. Bei ihrer Einsatznotwendig- keit wird grundsätzlich die Unver- tretbarkeit zur Schnellambulation

„mitgeliefert", speziell deshalb, weil medikamentöse Adjuvantien — auf die Bernd Landauer im Rahmen der Diskussion von Vollnarkosen hinge- wiesen hat — nicht schnell genug abgebaut werden und somit der Schnellmobilisation und/also der Schnellambulation „im Wege ste- hen".

Der raschen Überwindung des Anäs- thesietraumas kommt bei diesem Versorgungsstil eine Schlüsselfunk- tion zu. Nach rascher Überwindung des Anästhesietraumas kommt es darauf an, schnellstens das Opera- tionstrauma zu überwinden. Letzte- res muß keine Frage von Tagen sein, sondern kann eine von Stunden sein. Es geht bei diesem Versor- gungsstil um „Pensumerfüllung" in- nerhalb von Stunden, weil er sich bei Nichterfüllung durch sich selbst verbietet: Die normale Physiologie hat sich spätestens 24 Stunden nach der Operation in Beantwortung des Anästhesie- und des Operationstrau-

mas umgestellt, und die Rückfüh- rung in zuvor gewohnte Rhythmen braucht Tage. Anders gesagt: Wenn Maßnahmen zur postoperativen Schnellmobilisation am Operations- tage versagen, dann wurde die Chance zur Schnellambulation ver- paßt.

Vorschriftsmäßiges Tempo der Schnellmobilisation

Der Schnellmobilisation kommt ne- benher ein Seiteneffekt von promi- nent praktischer Bedeutung hinzu:

Je intensiver sie nach der Operation

— in geeigneten Fällen — betrieben wird (Umhergehen, to walk some blocks an the operating day), desto weniger stellt sich ein postoperati- ver Schmerz ein. Dies gilt insbeson- dere bei alten Patienten, die bei die- sem Versorgungsstil postoperativ häufig überhaupt keine Schmerzmit- tel benötigen. Dieser als Phänomen beschriebene (2) Effekt bedarf der Aufdeckung hinsichtlich der neuro- vaskulären Mechanismen. Das „vor- schriftsmäßige" Tempo der Schnell- mobilisation verhindert — eigenen Beobachtungen zufolge — die Artiku- lation von Begleitsymptomen, wie Brechreiz, Übelkeit, Schwindel, Schmerz, die als Ausdruck von Re- aktion auf das Anästhesie- und Ope- rationstrauma bei regulärer Statio- närversorgung als passagere Be- gleiterscheinungen und als mehr oder minder normaler Verlauf „regi- striert" werden. Die an die Anästhe- sie gerichteten Forderungen werden zwar nicht ideal, jedoch als „brauch- bar" für ambulant-operative Prakti- ken erfüllt von Lokal-, Leitungs-, pe- riduraler Regionalanästhesie, und im Falle der Vollnarkosen steht ein- sam die Ketamin-Verwendung, das Ketanest, als „brauchbarer" Reprä- sentant im Vordergrund.

Dieses Sortiment des „Brauchba- ren" ist spärlich, läßt jedoch einen nicht unbedeutenden Handlungs- spielraum für ambulantchirurgi- sches Vorgehen. Die „Spärlichkeit"

hat den Vorteil des ständigen Wie- derholens und damit des Vertraut- seins mit dem, was diese „Ambu- lanznarkosen" leisten, ferner wo ih-

(7)

Tages-Chirurgie

re Grenzen liegen, sowohl hinsicht- lich der Dosierungen als auch hin- sichtlich der Narkosenebenwirkun- gen und der erlernbaren Fähigkeit, letzteren recht- oder vorzeitig entge- genwirken zu können. Das kleine Narkosesortiment kommt der Ambulantchirurgie entgegen, weil es bei seiner Praktik sich zum tägli- chen Exerzitium gestaltet, zu einem Drill. Intuition hat dabei wenig Raum. Und das ist positiv in Anbe- tracht der Mängel unserer Hilfskräf- te, deren I. Q. rückläufig ist im Ver- gleich mit der vorigen Generation.

Wird das Angebot an Ambulanznar- kosen wesentlich erweitert, so si- gnalisiert die Erweiterung spontan und linear ansteigend die Skala von Bedenken und Warnungen, auf die Bernd Landauer nicht nur mit Fug und Recht hingewiesen hat, sondern weil er damit beiträgt, durch Index und Codex unverzichtbare Orientie- rungsmaßstäbe in unser aller Inter- esse zu setzen. Es geht um nichts weniger als um Absicherung gegen Risiken im Interesse der Patienten und damit um Absicherung der Be- handler selbst.

Die U.S.-Amerikaner haben sich ty- pisch rückversichert, um möglichen

„Pannen" vorzubeugen. Sie drük- ken damit den Respekt vor War- nungshinweisen aus, die – ohne ge- schrieben sein zu müssen – jeden Operateur „verfolgen", nicht nur den, der exklusiv zur ambulant- chirurgischen Tätigkeit disqualifi- ziert ist (wie das Gesetz es befahl).

Sie haben Night-Wards (1) empfoh- len und eingerichtet – Wachstatio- nen für Nachtbetrieb –, um über die Tageszeiten bei tages-chirurgischen Behandlungen hinausgehen zu kön- nen, das heißt die Vertretbarkeit der Entscheidung zur Entlassung in am- bulante Nachbehandlung in Zwei- felsfällen um Stunden verschieben zu können. Die Prolongierung die- ses „Wechsels" ist nicht Retoure in das Reservat und die Exklusivität zur Stationärversorgung. So einfach können wir es uns nicht mehr ma- chen.

„Operieren – das ist nicht automa- tisch Krankenhaus" ist nicht ledig-

lich der Aufhänger zu einer Abhand- lung in einer medizinischen Tages- zeitung (26). Er bedeutet Konfronta- tion, der die Ärzteschaft, die Chir- urgenschaft, die Kostenträger die- ses Versorgungssystems, die Ärzte- kammern, die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht länger auswei- chen können. Diese „Akte" erledigt sich nicht von selbst durch Liegen- lassen.

Vordringlich dürfte „Tuchfühlung"

zwischen Klinikern und Nichtklini- kern sein. Bei der „Tuchfühlung"

steht allerdings die betonierte Mau- er zwischen Klinik und Praxis stö- rend dazwischen, wodurch das Krankenhaus für niedergelassene Ärzte der operativen Fächer zum ab- soluten Sperrgebiet erhoben wor- den ist (wie das Gesetz es befahl).

Das Präsidium der „Deutschen Ge- sellschaft für Chirurgie", vormals Berlin, hatte sich 1973 dazu bekannt (13), quasi eine Fußbreite von Öff- nung zwischen Klinik und Praxis als Einlaß für Außenärzte in das Kran- kenhaus zu legitimieren. Dieses

„Quasi-Manifest" liegt seitdem inert in der Schublade der Vergessenheit.

Es hat niemals praktische Bedeu- tung erlangt, es sei denn die, daß seitdem die Zahl der „abgehalfter- ten" Belegärzte, die halbwegs „in- nen" waren, größer geworden ist.

Die Amerikaner kennen vorzugswei- se nur den Typ des Belegarztes. Sie haben als solche ständige „Tuch- fühlung". Wie sagte jemand aus der Provinz? Er stellte fest: „Wir können nicht amerikanische Verhältnisse auf unser Versorgungssystem über- tragen". Grundsätzlich hat seine Aussage hier und heute das Signum der Unumstößlichkeit. So haben wir auch keine „Colleges of physicians and surgeons".

Bei uns sind Chirurgen nominell nicht im Aushängeschild der Ärzte- kammern verzeichnet. Sie fehlen dort, genauso wie Belegärzte von der Liste gestrichen worden sind und weiterhin nach System abge- baut werden. Wir aber haben einen Kassenärztestand. Es bedarf zur Verdeutlichung von Kontrasten

nicht des Echos aus der Provinz. Wir müssen uns nicht provinziell orien- tieren. Wir können nicht umhin, uns global zu messen, um nicht An- schlüsse zu verpassen.

Die Chirurgenschaft – das ist das Gesamt der Angehörigen operativer Fächer– hat ein tragfähiges Konzept zur Kooperation nötig und die ent- sprechende Konzeption. Die Tages- Chirurgie ist geeignet, diese Fällig- keit katalytisch zu beeinflussen.

Literatur im Sonderdruck

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Kurt Hoehle Leitender Arzt der Chirurgischen Abteilung am Augusta-Hospital 4294 Isselburg-Anholt

ZITAT

Keineswegs so schlecht

„Die ambulante Versorgung des Patienten ist sicher nicht optimal, aber keineswegs so schlecht, wie es in der öf- fentlichen Kritik gesagt wird.

Diese Kritik stammt selten von Patienten. Sie trägt deutlich ideologische Züge.

Wenn also den Patienten ei- ne bessere Versorgung zu- teil werden soll, so würde mit nicht unerheblichen Ko- sten vor allem etwas bewirkt, was die Patienten derzeit of- fenbar nicht durchweg ver- missen: die Verbesserung der Anleitung zum gesund- heitsgerechten Leben."

Prof. Dr. med. Hans Schae- fer, emeritierter Ordinarius für Physiologie, ehemaliger Direktor des Instituts für So- zialmedizin an der Universi- tät Heidelberg in „Leistung und Finanzierung des Ge- sundheitswesens in den achtziger Jahren", WId0- Materialien, Band 8, Bonn 1979, Seite 140

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 48 vom 27. November 1980 2875

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