Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON
Ich bin unglücklich, weil ich etwas verloren habe, das man mit einem unersetzlichen Manuskript verglei- chen könnte. Ich habe nämlich ver- säumt, sämtliche Ablehnungsbriefe meines Lebens zu sammeln. Was für eine interessante Sammlung wäre dies geworden. Ich habe zwanzig Jahre lang und länger wissenschaft- liche und literarische Manuskripte eingereicht und Dutzende von Ab- lehnungsbescheiden erhalten. Die Ablehnungen verhielten sich zu den Annahmen wie 20:1. Mit welchem Vergnügen würde ich sie jetzt lesen und kommentieren. Bei einigen wür- de ich sagen: Gut, daß der Aufsatz nicht angenommen wurde. Bei an- deren, die mir jetzt verstaubt in die Hände fallen, sage ich mir: Eigent- lich schade, sie lesen sich ganz gut, und es hat sich gezeigt, daß sie stim- men; ich bräuchte sie nicht aufhe- ben, denn das täten jetzt die Biblio- theken für mich. Also stauben sie weiter bei mir statt dort.
Ich erinnere mich, daß das Ergebnis meiner Untersuchungen bei einem Mitherausgeber einer Zeitschrift Empörung auslöste. Er zeigte dies zunächst, indem er mich mehr als ein halbes Jahr warten und mir dann einen spitzen Brief schicken ließ. Anderwärts erschien mein Be- richt dann anstandslos, das Ergeb- nis wurde durch weitere Arbeiten gesichert, die alle zu den Einen ge- hörten und auch nicht vorüberge- hend den Zwanzig zuzurechnen wa- ren (es handelte sich um Unterschie- de der Leberfunktionen von einigen wichtigen Spezies von Laborato- riumstieren).
Einmal fand ich in einem abgelehn- ten und von mir abgelegten Manu- skript später einen Zettel. Ein Mitbe- urteiler hatte geschrieben: Ich habe bei dem und dem Institut nachge- fragt, die Ergebnisse stimmen nicht.
Schluß. Er hat es sich leicht ge- macht, das Thema lautete: Arterien
in den Venenwänden; Ergebnisse gab es dort nicht, es handelte sich um Beschreibungen aus dem Gebiet der Anatomie, Fotos waren beige- fügt.
Wunderbar lesen sich Ablehnungen, die, durch Teamarbeit fundiert, be- sonders vernichtend sind, zumal sie regelmäßig einstimmig beschlossen werden. Die einzelnen Teamer ge- ben sich meist nicht zu erkennen, die Unterschrift erfolgt im Auftrag (unleserlich) oder durch den Her- ausgeber (teamworkgedeckt).
Sollten sie sich einmal zu erkennen geben, so kann man sich auf Gesin- nungsnähe verlassen. Manchmal hat man die Freude, daß die Beurtei- ler von vorneherein bekannt ge- macht sind und sogar mit unter- schreiben. Ihre einzelnen Begutach- tungen, die meist schriftlich gege- ben werden, da sie nicht am glei- chen Ort wohnen, sollten auch dem Einreicher bekannt werden, damit er daraus profitieren kann. Den Her- ausgebern ist dies nicht der Mühe wert, sie thronen zu hoch. Hat man seine Ablehnung in der Hand, schaut man sich nochmals die Zeit- schrift an, in der man sich gern ge- druckt gesehen — und ein Minitröpf- chen Unsterblichkeit erhascht hätte.
Man fragt sich dann oft: Warum ist dieser oder jener Artikel erschienen, oder warum ist er nicht wenigstens redaktionell überarbeitet worden?
Oder hätte das den Mut erfordert, der bei meinen Arbeiten nicht nötig war?
Trotzdem hätte man seine Freude an den Ablehnungsschreiben. Man er- kennt immer noch rechtzeitig, daß die Beurteiler auch nur Menschen sind, wie man selbst, daß die Ver- nichtung nicht stattfand. Nachsich- tig waren sie nie, man hätte es ge- braucht, aber man hat es verkraftet.
Man sieht seine eigene Bemühung und ist ein wenig beruhigt.
Diesen Beitrag wollte der Au- tor nicht mit seinem Namen publizieren, sondern partout unter Pseudonym. Die Redak- tion, die in der Regel weder
Pseudonyme noch Anonyma akzeptiert, war in diesem Fall
— um des Gags willen — einver- standen: Dieses Pseudonym zeigt eben die Empfindlichkeit von Autoren, deren Beiträge nicht angenommen werden.
(Für Redaktionen ist es die allerunangenehmste Pflicht, Ablehnungsbriefe schreiben zu müssen.) Und zeigt das Pseudonym nicht auch, daß sich der Autor vermutlich ebenfalls — wie er das kritisch beschreibt — anonym äußern würde, wenn er ein wissen- schaftliches Manuskript zu beurteilen und abzulehnen hätte? DÄ
Erwähnt werden muß auch die äuße- re Form der Ablehnungsbriefe. Sie ist immer auf dickem Papier tadellos geschrieben; sicher weil die Beurtei- ler alles tadellos machen, dann viel- leicht auch, um der Ablehnung Nachdruck zu verleihen und zu zei- gen, welche wunderbare und teuere Büroeinrichtung und Tipp-topp-Se- kretärin zur Verfügung steht, ent- sprechend der Bedeutung der Her- ausgeber. Ihnen ist ja nichts gut ge- nug. Wahre Urkunden waren es, auf- hebenswert, und ich habe zerrissen, was mir jetzt eine Freude wäre.
Natürlich, wo viel geschrieben wird, muß auch viel abgelehnt werden, das ist der Lauf der Welt, und viele mußten Gleiches mitmachen, viel- leicht ist diesen meine Betrachtung lesenswert. Und für manche Redak- tionen und Lektorate sind die einge- sandten Manuskripte sicher eine Plage, allerdings eine freiwillig über- nommene (und bezahlte). Aber man liest ja auch immer wieder Artikel oder Bücher, bei denen man sich sagt: So was hätte ich auch gerne zustande gebracht.
Dr. med. Scribifax
Wie ein verlorenes Manuskript
Erinnerung an Ablehnungsbriefe
1054 Heft 15 vom 12. April 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT