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Archiv "Frauenärzte informieren zögernde Frauen" (02.04.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

Frauenärzte

informieren zögernde Frauen

Was geschieht

bei der Krebs-Vorsorge?

Als „ernüchternd" stufte Dr.

Eduard Koschade (Dachau), Präsi- dent des Berufsverbandes der Frauenärzte, vor der Presse in München die Erfahrung ein, daß im Jahr 1983 (neuere Zahlen lagen noch nicht vor) nur 30,9 Prozent der berechtigten Frauen die ko- stenlosen Untersuchungen zur

Früherkennung bestimmter Krebs- Erkrankungen in Anspruch ge- nommen haben.

Weniger skeptisch ließe sich der Verlauf, den das Früherkennungs- Programm seit seinem Start vor fünfzehn Jahren in der Bundesre- publik Deutschland genommen hat, wohl auch kaum beurteilen.

Darauf angelegt, daß sich jede Frau vom zwanzigsten Lebensjahr an einmal jährlich „auf Schein"

vergewissern kann, ob bei ihr eine behandlungsbedürftige Verände- rung im Genitalbereich, an Brust, Haut oder Darm vorliegt, hätte nämlich diese großzügige und nur unter erheblichen Anstrengungen zustande gekommene Aktion ei- gentlich zu einer weit positiveren Bilanz führen müssen.

Aber die Statistiken warten mit Zahlen auf, an denen sich nicht deuteln läßt. 1980, zehn Jahre nach Beginn des Programms, hat- te die Zahl der teilnehmenden Frauen schon 6 237 078 erreicht.

1981 erfolgte noch einmal ein nen- nenswerter Sprung auf 6 904 304.

Weitere zwei Jahre später schlug der Anstieg — auf 6 912 577 — kaum noch zu Buche.

An diesem Bild von Verlangsa- mung, gegebenenfalls sogar Still- stand auf einem höchstrangigen Feld des Gesundheitswesens kön- nen auch einige ermutigende sta-

tistische Aufschlüsse nur wenig ändern — zum Beispiel, daß der prozentuale Anteil von Frauen un- ter fünfzig Jahren bei deutlich mehr als 40 v. H. liegt und daß die 40- bis 44jährigen Frauen sogar mit 45,8 v. H. vertreten sind. Sol- chen Spitzenwerten steht, begin- nend mit dem fünfzigsten Lebens- jahr, ein steiler Abstieg gegen- über. Der Deutlichkeit halber soll er hier aufgeschlüsselt werden (Angaben in Prozent): 50 bis 54 Jahre 38,1; 55 bis 59 Jahre 31,4; 60 bis 64 Jahre 27,8; 65 bis 69 Jahre 18,5; 70 bis 74 Jahre 12,8; 75 Jahre und darüber 5,2 (l).

In der Absicht, sowohl die Stagna- tion als auch die unterschied- lichen Beteiligungsquoten zu überwinden, stellte man sich beim Berufsverband der Frauenärzte zwei Aufgaben. Erstens: mehr über die Gründe zu erfahren, die so viele Frauen davon abhalten, zur Vorsorge-Untersuchung zu ge- hen. Zweitens: mit geeigneten Mit- teln dazu beizutragen, daß die Hemmungen und Vorbehalte die- ser vielen Frauen abgebaut wer- den — und das so leicht verständ- lich und plausibel wie möglich.

Ergebnis des Nachdenkens über die letztere Aufgabe ist eine vier- seitige Informationsschrift, die in einer Auflage von 1,2 Millionen Stück an die Frauenärzte verteilt werden und überdies den Auftakt für eine Serie gleichgerichteter Publikationen bilden soll. Unter Verzicht auf modernistische gra- phische Gags ist das Blatt in nahe- zu raffinierter Manier auf konser- vative Weise so flott und locker aufgemacht, daß es seinen Zweck kaum verfehlen dürfte: via sehr de- zente und trotzdem neugierig ma- chende farbige Bilder — auf jeder Seite steht eins — zunächst zur Kenntnisnahme einiger druck- technisch hervorgehobener

„Spots" und danach zum Lesen des gesamten Textes zu animie- ren. Dieser wiederum reduziert den alle Laienleser abschrecken- den medizinischen Ballast auf ein Mindestmaß und bedient sich ins- gesamt einer Ausdrucksweise, die

mit großer Wahrscheinlichkeit auch vom berühmten Lieschen Müller verstanden werden kann.

Die wichtigsten Voraussetzungen für eine „unbehinderte Akzep- tanz" der Aufklärung sind dem- nach gegeben.

Die Zielrichtung der Aufklärung ergibt sich aus den Erkenntnissen, die dem Bundesverband der Frau- enärzte bei der Klärung der Frage zugewachsen sind, warum so viele Frauen den Untersuchungen auf eine mögliche Krebs-Erkrankung fernbleiben. Auf der Liste der viel- schichtigen Gründe für diese Zu- rückhaltung rangieren vier an der Spitze:

Das Thema „Krebs" wird tabui- siert und verdrängt.

Die Ärzte selbst geben zu weni- ge Anstöße zur Teilnahme.

Es fehlt an Vertrauen in die Ver- läßlichkeit der Untersuchungser- gebnisse.

(r)

Die Untersuchungen werden für unangenehm gehalten, weil viele Frauen nicht wissen, was dabei wirklich passiert. Jedem dieser Hauptgründe trägt die neue Infor- mationsschrift ausreichend Rech- nung.

Die Punkte 1, 3 und 4 werden so angesprochen, daß die Leserinnen prüfen können, ob und wieweit es berechtigt ist, der Krebs-Vorsorge mit Vorbehalten oder gar Ableh- nung zu begegnen. Dabei wird je- der Anschein überheblicher Be- lehrung vermieden. Als Reaktion auf den Vorwurf an die Arztkolle- gen, schon von sich aus nicht ge- nug zum besseren Verständnis und zur richtigeren Einschätzung der Früherkennung beizutragen, darf die Aufklärungsaktion in ihrer Gesamtheit gelten. Allerdings konnte bezüglich dieses Punktes 2 auch am schnellsten und leichte- sten etwas Praktisches getan wer- den, weil er als einziger nichts mit dem Bereich der Emotionen zu tun hat, dem die drei anderen an- gehören.

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 14 vom 2. April 1986 (27) 941

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

Die Herausgeber der Informations- schrift waren gut beraten, als sie sich psychologischen Beistands versicherten. Das demonstrierte Dr. med. Diplom-Psychologe Rolf Verres, Oberarzt in der Abteilung für Psychotherapie und Medizini- sche Psychologie der Psychoso- matischen Universitätsklinik Hei- delberg, als er bei der Vorstellung des neuen Aufklärungs-Instru- ments Einblicke in die Überlegun- gen gewährte, die sein Fach zur Gestaltung der Schrift beigetra- gen hat.

Nach Verres, der sich auf empiri- sche Studien bezog, hängt die Be- reitschaft, an Früherkennungs-Un- tersuchungen teilzunehmen, maß- geblich von dem Grad des Ver- trauens ab, das ein Mensch ganz allgemein der Medizin entgegen- bringt. Wer die Untersuchungen in Anspruch nimmt, bekunde häufig auch eine stärkere Bereitschaft, sich persönlich mit dem „Vorstel- lungsthema Krebs" gedanklich auseinanderzusetzen. Folglich komme es weniger auf Appelle oder Argumente zur Prävention im Speziellen an, als vielmehr darauf, die Einstellung der angesproche- nen Menschen zur Medizin über- haupt zu verbessern. — Aus der Sicht des Psychologen, so Verres, sollte der Bevölkerung weit stär- ker als bisher glaubhaft deutlich gemacht werden, daß sich die Ärz- teschaft auf dem Kampffeld Krebs nicht nur um Lebensverlängerung, sondern auch um Lebensqualität bei der Therapie bemüht. An viel- versprechenden ärztlichen Bemü- hungen sei kein Mangel: eine wirksamere Schmerzbekämpfung, das freimütige Gespräch mit Pa- tienten über die einzelnen Thera- pieschritte, wo irgend möglich das Offenhalten von Wahlmöglich- keiten bei der Behandlung der Krankheit.

Solche Bemühungen und ihre Er- folge seien bis jetzt viel zu wenig bekanntgemacht worden. Je voll- ständiger sie der Öffentlichkeit vermittelt werden, desto eher wer- de die Bereitschaft der noch ab- seits Stehenden wachsen, sich mit

dem gemiedenen Thema Krebs vertrauter zu machen, die Mög- lichkeit einer Erkrankung in ihre eigenen Vorstellungen einzube- ziehen und zugleich den Sinn ei- ner regelmäßigen Vorsorge zu be- greifen.

Die Kombination medizinischer und psychologischer Gesichts- punkte hat dazu geführt, daß die neue Informationsschrift den er- wiesenen Nutzen der Früherken- nung hervorheben kann, ohne in Lobpreisungen der Vorsorge-Un- tersuchungen zu verfallen, die un- ter den gegebenen Umständen nicht gerechtfertigt wären. Hinter dieser Ausgewogenheit steht er- kennbar der Vorsatz, Pluspunkte als solche darzustellen, um Minus- punkte aber nicht herumzureden.

Dafür zwei Beispiele.

Pluspunkt: Bei einem früh erkann- ten Brustkrebs liegt die Überle- benschance dreimal so hoch wie bei späterer Entdeckung, und auch beim Zervix-Karzinom läßt sich der Nutzen der Früherken- nung nachweisen. Minuspunkt:

Trotz vieler Erfolge sollten die Möglichkeiten der Früherkennung nicht überschätzt werden. Plus- punkt: Bei sechs Millionen Unter- suchungen wurden rund 78 000 Veränderungen an der Brust und rund 54 000 Veränderungen am Gebärmutterhals entdeckt, so daß in diesen Fällen die Heilungschan- cen beträchtlich gesteigert wer- den konnten. Minuspunkt: Die Vorsorge-Untersuchung ist keine Versicherung gegen jede Art von Krebs, weil einige Krebsformen selbst bei regelmäßiger Untersu- chung noch immer unbemerkt entstehen können.

Die Ratschläge, die den Frauen in der Schrift erteilt werden, ergehen in einem Jargon, der den Leserin- nen aus der Werbung geläufig ist.

„Geben Sie dem Krebs keine Zeit!", heißt es da. „Nutzen Sie zu Ihrem eigenen Wohl, was die Ärzte längst wissen: Früh erkannte, klei- ne Tumoren haben eine beinahe hundertprozentige Heilungschan- ce. Darum betrachten Sie den Vor-

sorgeschein zur Früherkennung von Krebs als Glückslos, das Ihnen die gesetzlichen Krankenkassen alljährlich pünktlich ins Haus schicken!"

Bezüglich der wünschenswerten Verhaltensnormen gingen die Frauenärzte vor der Presse ins De- tail. Auf die Frage, was Frauen selbst können, um der Gefahr Krebs zu begegnen, hielten sie zwei Generalantworten bereit. Die eine: Sich nicht nur regelmäßig untersuchen lassen, sondern sich auch nach ärztlicher Anleitung sy- stematisch selbst beobachten. Die zweite: Die Vorbeugung durch veränderte Lebensweise erleich- tern — was vor allem heißt: die Risi- kofaktoren Rauchen, Trinken und Ernährung kontrollieren:

Vorsorge oder Früherkennung?

Sprachempfindliche Teilnehmer der Konferenz, auf der die neue Schrift vorgestellt wurde, stießen sich zum soundsovielten Mal an den Begriffen „Vorsorge" oder

„Früherkennung". Ohne das Urteil der linguistisch weniger sensiblen Teilnehmer zu verdienen, diese Diskussion sei „sophistisch" (für jeden der Einwände sprechen ja gute Gründe), wird das Sprach- problem in der Alltagspraxis keine philologische Klärung erfahren.

Auch in Zukunft wird es bei dem eingeführten Begriff „Vorsorge- Untersuchung" bleiben — nicht et- wa weil für ihn nur die Herkömm- lichkeit spräche, sondern weil er auch Bestandteil des neuen Mut- terpasses ist und eine Wortände- rung nur unerwünschte Verwir- rung auslösen würde.

Um so lieber erinnerte man sich in München daran, daß der Gynäko- loge Professor Zander sich dem Wort-Dilemma durch eine Neu- schöpfung entzogen hat, zu deren Übernahme nur geraten werden kann. Zander spricht — was den Kern der Sache so gut trifft wie keine andere Bezeichnung — von

„Vorsichts-Untersuchung".

Kurt Gelsner 942 (28) Heft 14 vom 2. April 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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