Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
„Risikozuschlag"
Der Einwand, daß dann auch Sportler, Radfahrer, Autofahrer oder Fußgänger — wie in einer Ka- rikatur im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT (Heft 42/1982) glossiert — zur Kasse gebeten werden müß- ten, kann in keiner Weise überzeu- gen. Sicherlich gibt es auch Sport- unfälle. Das ändert jedoch nichts daran, daß sportliche Betätigung weitaus mehr Krankheiten verhü- tet als Krankheiten verursacht.
Sonderfälle — wie etwa Drachen- fliegen — könnte man auch geson- dert behandeln, indem man von denen, die eine gefährliche Sport- art ausüben, eine Zusatzversiche- rung fordert. Autofahren — zweifel- los ebenfalls eine wichtige Krank- heits- und Todesursache, auch wenn die Zahl der Verkehrstoten noch nicht einmal ein Zehntel der Rauchertoten ausmacht — ist für die meisten von uns weniger ein Privatvergnügen, sondern ein un- verzichtbares Verkehrsmittel. Zu- dem wird der größte Teil der Un- fallkosten mit Personenschäden durch die Haftpflichtversicherung gesondert abgedeckt. Von einem Fußgänger, der einen Verkehrsun- fall mit „bedingtem Vorsatz" — wie beim Rauchen — selbst provozier- te, habe ich noch nie gehört.
Auch der Einwand, zweckgebun- dene Steuern seien haushalts- rechtlich nicht zulässig, wird durch die Praxis entkräftet (Reser- vierung eines Teils der Benzin- steuer für den Autobahnbau, Koh- lepfennig etc.). In unserem Nach- barland Belgien ist ein solcher
„Krebspfennig" auf Zigaretten be- reits Realität. Frankreich plant ebenfalls eine Sondersteuer von 10 Franc auf Spirituosen und rund einem Franc je Päckchen Zigaret- ten. Damit soll die Finanzierungs- lücke der französischen Kranken- kassen von rund 30 Milliarden Franc im Jahre 1983 gedeckt wer- den. Es geht also, wenn man wirk- lich ernsthaft will.
Eine ähnliche Situation haben wir beim Zucker, der mit Abstand wichtigsten Ursache der Zahnka- ries. Außerdem begünstigt Zucker in vielen Fällen auch Übergewicht.
Die Aufwendungen der gesetzli- chen Krankenkassen allein für Zahnbehandlung und Zahnersatz betrugen für 1981 rund 14 Milliar- den Mark; die Belastungen der Er- satzkassen kommen noch hinzu.
Die Aufwendungen der gesetzli- chen Krankenversicherung für das relativ kleine Organ der Zähne er- reichten demnach fast die Ausga- ben für ambulante Krankenbe- handlung sämtlicher anderer Or- gane zusammengenommen mit 16,5 Milliarden DM. Dieses grotes- ke Mißverhältnis kann nur besei- tigt werden, wenn man das Übel an der Wurzel packt und durch geeignete Maßnahmen den Zuk- kerkonsum senkt.
Allein für Tabakwaren gaben die bundesdeutschen Raucher 1981 nicht weniger als 20,6 Milliarden Mark aus. Im Vergleich auch dazu betrugen die Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversiche- rung für ambulante ärztliche Be handlung mit 16,5 Milliarden Mark sogar deutlich weniger. Kaum ein Zweifel dürfte daran bestehen, daß das Rauchen nicht als reines Pri- vatvergnügen betrachtet werden kann, wie beispielsweise Profes- sor Udo Smidt in einer Leserzu- schrift zu dem Beitrag von Profes- sor Stumpfe im DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATT (Nr. 42/1982) meint. Die
„genüßlich-vergnügliche Seite"
des Rauchens, die er in den Vor- dergrund stellt, kommt uns alle teuer zu stehen, völlig abgesehen von dem unermeßlichen menschli- chen Leid, das allein mit 27 000 Lungenkrebstoten jährlich ver- knüpft ist. Wir haben also nur die Alternative — entweder mehr oder weniger tatenlos Jahr für Jahr der Ausrottung einer mittleren deut- schen Großstadt durch das frag- würdige Vergnügen des Rauchens zuzusehen oder alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um die- ses tausendfache sinnlose Leiden und Sterben zu verhindern.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med.
Ferdinand Schmidt
Klinische Fakultät Mannheim Maybachstraße 14-16 6800 Mannheim 1
KURZBERICHTE
Unlauterer Wettbewerb mit Kupferarmbändern
Rund zehn Jahre hatte es gedau- ert, bis durch wiederholte Anträge auf Ermittlung gegen verschiede- ne Versandhändler von Kupfer- armbändern das Amtsgericht Bruchsal aktiv wurde.
Allerdings bewirkte damals das Gutachten eines Oberarztes aus Hannover, daß das Verfahren ein- gestellt wurde und der Angeklagte lediglich eine „freiwillige" Geld- strafe von 750 Mark entrichtete.
Das war 1978.
Bei seinem Gutachten bezog sich der Arzt auf eine „psychologi- sche" Studie von Walker und Keats, Department für Chemie und für Psychologie der Universität New Castle, Shortland, Australien.
Darin wurde berichtet, daß Träger von Kupferarmbändern sich sub- jektiv deutlich besser gefühlt hät- ten. Ärztliche Angaben über Be- funde, Diagnosen und Zusammen- setzung des Patientenkreises fehl- ten jedoch.
Dieses Gutachten habe ihm viel Ärger eingebracht, erklärte der be- treffende Oberarzt Jahre später in einer Fernsehsendung des Bayeri- schen Fernsehens zum Thema
„Kupfer am Arm, Amulette am Hals, die Wunderwelt der Einbil- dung."
Eine einschlägig bekannte Werbe- firma in Genf verschickte umge- hend vierseitige Prospekte: „Mil- lionen Menschen in aller Welt at- men auf! Jetzt wird durch die Uni- versitätsklinik Hannover bestätigt:
Kupferarmbänder helfen! Kupfer- Armbänder heilen!" — „In der me- dizinisch-wissenschaftlichen Lite- ratur bestehen Hinweise, daß bei entzündlichen rheumatischen Er- krankungen in den Körper verab- reichtes Kupfer wirksam ist", lau- tete ein aus dem Zusammenhang gerissener Satz, dazu Fotomonta- gen bekannter Personen, denen im Foto ein Kupferarmband ans Handgelenk praktiziert worden 80 Heft 9 vom 4. März 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A
Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen KURZBERICHTE
war. Dutzende anderer Versand- händler zogen mit unterschiedli- chen Werbebehauptungen nach.
Zwei Jahre später erhielt ein Kup- ferarmband-Verkäufer vom Amts- gericht Lindau eine Geldbuße von 2000 Mark. Der Verkäufer nahm die Strafe an und zahlte prompt.
Ein anderer Anbieter, der (vom Verfasser des vorliegenden Arti- kels) zur Anzeige gebracht worden war, wollte dagegen nicht klein beigeben. Er berief sich auf das damalige Urteil des Landgerichts Hannover. Diesmal ermöglichte das Obergutachten des Diplom- Physikers K. Dirnagl (München) endlich, dem irreführenden Wer- bespuk für Kupferarmbänder durch eine rechtskräftige Verurtei- lung ein Ende zu machen. „Es kann weder ein Wirkungsmecha- nismus gefunden noch eine empi- risch begründete Wirksamkeit wis- senschaftlich anerkannt werden", hieß es im Urteil. Die Geldbuße betrug 5000 Mark.
Zum Schluß noch ein Blick auf die Konkurrenz aus dem Ausland: Fir- men mit Sitz oder nur mit Bestell- adresse im Ausland, die bundes- deutsche Werbevorschriften des Heilmittelwerbegesetzes und des Gesetzes gegen unlauteren Wett- bewerb (UWG) außer acht lassen, sind von deutschen Behörden schwer zu belangen.
Man könnte sie vielleicht packen, wenn durch private Bestellungen die Kontonummer dieser unseriö- sen Anbieter ermittelt würde; dann könnte die Staatsanwaltschaft bei Verstößen gegen deutsche Werbe- vorschriften die entsprechenden Konten beschlagnahmen. Hinwei- se sind am besten an den Verfas- ser zu richten.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Gerhard Rose Zentrale zur Bekämpfung der Unlauterkeit
im Heilgewerbe Stephanienufer 18 6800 Mannheim 1
Thomas Ruf (CDU):
Durchforstung des GKV-Leistungskatalogs
Für eine systematische Durchfor- stung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) und deren Zurückfüh- rung auf ihren ursprünglichen Versicherungszweck hat sich der ehemalige CDU-Bundestagsabge- ordnete, das Mitglied des CDU- Wirtschaftsrates, Diplom-Volks- wirt Thomas Ruf, Esslingen, in ei- nem soeben fertiggestellten Gut- achten mit dem Titel „Zur Selbst- beteiligung der Versicherten" aus- gesprochen (demnächst veröffent- licht in der Reihe „PKV-Dokumen- tationen", Band 7, Köln, 1983). Zu- gleich sollten faire Wettbewerbs- bedingungen zwischen den Trä- gern der sozialen Krankenversi- cherung einerseits und im Verhält- nis zur privaten Krankenversiche- rung in ihrer Ergänzungs- und Al- ternativfunktion andererseits ge- schaffen werden.
Ruf plädiert für eine konsequente und durchgängige Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips in der GKV. Der Gesetzgeber dürfe sich nicht darauf beschränken, der Selbstverwaltung mehr Kompe- tenzen zuzuweisen, sondern er müsse auch die Eigenvorsorge und Eigenverantwortung des ein- zelnen stärker ins Blickfeld rük- ken. Sogenannte Wahltarife in der gesetzlichen Krankenversiche- rung, wie sie vor einiger Zeit von der FDP propagiert wurden, lehnt Ruf mit dem Argument ab, sie wür- den das tragende Prinzip der GKV unterhöhlen, nämlich das Umlage- finanzierungs- und Solidaritäts- prinzip außer Kraft setzen. Auch eine wahlweise Kostenerstattung (bei Beibehaltung des Sachlei- stungsverfahrens als Regelprin- zip) sei in der Sozialversicherung nicht praktikabel; allenfalls befür- wortet Ruf ein obligatorisches, durchgängiges Koste n e rstat- tu ngsverfah ren für freiwillig Versi- cherte und Höherverdienende in der gesetzlichen Krankenversiche- rung.
Auch sollten kostenregulierende Selbstbehalttarife für Höherver- dienende erwogen werden, denn es könne nicht angehen, daß in der gesetzlichen Krankenversiche- rung Niedrigverdienende dazu
„eingespannt" werden, um Höher- verdienende zu subventionieren („inverse Umverteilung").
Nach den Feststellungen des Bun- desverbandes der Betriebskran- kenkassen, Essen, würden die frei- willig Versicherten (mit einer in der Regel höheren Anzahl mitver- sicherter Familienangehöriger und einem höheren Anspruchsni- veau) zu „Kostgängern" der Pflichtversicherten werden. Diese Feststellung dürfe aber nicht zur Forderung führen, die Beitragsbe- messungsgrenze willkürlich zu er- höhen. Dies könnte auch zu einer entsprechend erweiterten Versi- cherungspflicht führen mit der Konsequenz, eines Tages die tota- le Versicherungspflicht für alle zu dekretieren. Vielmehr sollte erwo- gen werden, auch für höherverdie- nende Arbeiter eine Versiche- rungspflichtgrenze einzuführen und ab einer bestimmten Ver- diensthöhe die Eigenverantwor- tung durch Selbstbehalttarife zu aktivieren. Den Vorschlag eines 1981 publizierten Gutachtens des Instituts für Gesundheits-System- Forschung, Kiel (Direktor: Prof.
Dr. med. Fritz Beske, Vorsitzender des Bundesfachausschusses für Gesundheitspolitik der CDU), die gesetzlichen Leistungen auf be- stimmte umrissene Grundleistun- gen zu beschränken, lehnte Ruf entschieden ab. Dieser Plan, der auch von den Ersatzkassenver- bänden favorisiert wird, sieht vor, daß den Versicherten gleichzeitig die Wahlmöglichkeit eingeräumt wird, sich in der GKV Zusatzlei- stungen wahlweise „hinzuzukau- fen". Ein solches Modell sei nicht nur ordnungspolitisch verfehlt, sondern würde auch, so befürch- tet Ruf, zu einer „Entsolidarisie- rung der Versicherten" und zu ei- nem „Mehrklassensystem" in der gesetzlichen Krankenversiche- rung zu Lasten der sozial Schwä- cheren führen. HC Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 9 vom 4. März 1983 83