aben Sie bemerkt, daß die Welt am 11. August nicht unterge- gangen ist? Obwohl Flammen- schriften genug an der Wand standen;
es gab gar nicht so viel Wände wie Flammenschriften. Alle Unheilsbot- schaften deuteten am Ende auf den unheimlichen dies irae hin, den Tag der Sonnenfinsternis, den 11. August – da war auch für hartköpfige Vernünft- ler ein leichtes prophylaktisches Bib- bern durchaus angezeigt. Wie aber konnte es passieren, daß dann doch gar nichts passierte? Ein unerhörtes Rätsel. Wir möchten hier mit be- scheidenem Stolz mitteilen, daß wir dieses Rätsel gelöst haben – eben- falls durch höhere Inspiration. Es handelt sich um einen sehr geheim- nisvollen, tiefsinnigen und köstli- chen Gedanken.
Zunächst aber noch einmal zu den aufmarschierten Unheils-Zeu- gen, best-beleumundeten Perso- nen des öffentlichen Lebens, die immer wieder auch lehrreiche In- formationssendungen bereichern.
Wie etwa Pastor Flieges Schwirr- und Sums-Show der ganzheitli- chen Halbwahrheiten oder die
„Akte X“, die von einem engli- schen Wissenschaftler-Gremium als besonders effizientes Anäs- thetikum gegen den bohrenden Schmerz kritischen Denkens aus- gezeichnet wurde. Bei Fliege also (und von ihm wie ein Honig- brötchen umflügelt) schürzte zu- nächst Madame Teissier die schö- nen Lippen zum Horriblen: infolge von besonderem Planetenstand, dem
„Großen Kreuz“ nämlich, sei für den 11. August ein Kometeneinschlag in Mitteleuropa schier unvermeidbar.
Frau Teissier kündigte auch gleich an, daß sie, um wertvollste Menschenle- ben zu retten, den Termin von der südlichen Halbkugel aus beobachten werde.
Zugegebenermaßen hätte ein einfach denkender Mensch einwen- den können, das „Große Kreuz“ sei – wie überhaupt alle vom Menschen
entworfenen Stern-„Bilder“ – auch nur eine Be-Zeichnung, eine Fiktion – in diesem Fall eine geometrische. Ge- nau so möglich wäre zum Beispiel das Einlinieren eines, dann übrigens sehr glückverheißenden, „Großen Vier- ecks“. Man habe, könnte solcher Astro-Ignorant weiter dilettieren, ein Zeichen in den Himmel hineingelegt, das man unverändert wieder heraus- lese. Schließlich sei deshalb kein Un- heil zu entdecken, vom Unheil der mangelnden Einsicht in das eigene Tun abgesehen. Ganz penetrante
Zweifler hätten auch auf gewisse pro- phetistische Aberrationen hinweisen können. Im November 1998 zum Bei- spiel hielt Frau Teissier noch dafür, das Große-Kreuz-Weh werde ein großer Krieg sein, der sich an der Ko- sovo-Krise entzünden müsse. Erst nach dem – unter prophetischen Ge- sichtspunkten leicht enttäuschenden – Kosovo-Friedensschluß ging ihr auf, daß ein Komet gemeint war. Korrek- turen gab’s auch sonst. Religionser- neuerin Uriella, die unumstrittene Li-
lie religiöser Weißwäscherei (Motto:
Noch weißer als Papstweiß), die zu- dem unablässig dem eigenen Groß- hirn „fiat lux“ zuruft, erlitt des- ungeachtet einen Blackout und weis- sagte die Heimholung ihrer Gemein- de irrtümlich schon für 1998. Nun wurde klargestellt, daß interstellare Untertassen, von ihr als überirdische Funktaxis durch spirituellen Kontakt geordert, die Anhängerschaft zum 11.
August an Bord nehmen und dem ir- dischen Inferno entreißen würden.
In die apokalyptischen Unken- rufe stimmten Ufologen ein und er- klärten, sie erwarteten für den 11.
August einen Angriff aus dem Weltraum, der ungünstige Folgen für Erdlinge haben würde. Vor al- lem aber hallte, dunkel und sonor, über vier Jahrhunderte die Stimme des Nostradamus zu den erschrok- kenen Nachfahren – um so unheim- licher, als schon immer unverständ- lich. Das verworren durcheinan- derbrodelnde Verse-Potpourri ist von jeher gleich geheimnisvoll für Narren wie für Toren.
Anhängern gelang es immer wieder, die ganze Realgeschichte bis zur jeweiligen Gegenwart voll- kommen richtig zu entziffern – nur leider darüber hinaus, in die Zu- kunft hinein, wurde regelmäßig eklatant Falsches herausgelesen.
Einer der großen Nostradamus- Kenner der Gegenwart, Professor A. Tollmann, hat trotzdem erneut eine bis ins Militärtechnische rei- chende präzise Voraussage gewagt.
Er orakelte, daß zum Unheilstermin russische Armeen überfallartig nach Mitteleuropa vorstoßen würden – und dies nicht etwa, um hier massenhaft Asylantrag zu stellen. Nein, Tollmann sagte es: mit „schnellen Panzerkei- len“. Die auch keineswegs als Rost- haufen liegenbleiben würden oder in- folge mangelnder Löhnung auf den nächsten Weltbankkredit warten müß- ten – bei Köln solle es zu einer verhee- renden Entscheidungsschlacht kom- men. Kölle alaaf?
A-2202 (30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 36, 10. September 1999
P O L I T I K GLOSSE
Propheten
Des Rätsels Lösung
H
Zeichnung: Ralf Brunner
Ein anderer Nostradamus-Kund- ler, der Pariser Mode-Zar Rabanne, hat gar ein Buch zur Würdigung des 11. August herausgebracht, in dem er – eigenwillig apartes Greuel-Szena- rio – den Absturz des Raumschiffs
„MIR“ ankündigte; es werde am 11.
August zielgenau und samt allem Plu- tonium auf Paris aufschlagen. Wenn das nicht eintreffen sollte, drohte Ra- banne eine zweite Atrozität an: „Dann werde ich keine Zeile mehr schreiben.“
Etwas gedämpfter, aber auch nicht frohsinnig, äußerte sich K. Allgaier (der als eine der ersten astrologischen Adressen in Deutschland firmiert): Er zeigte sich ebenfalls von Planetenkon- stellation und Nostradamus-Wortsalat beeindruckt und meinte, es sei nicht ge- nau festzulegen, ob etwa der Kosovo- Krieg „wieder aufflammt“, oder sonst irgendwie die kosmisch aufgestauten
„Katastrophenspannungen“ sich entla- den. Allgaier zeigte sich auch insofern als festgegründeter Glaubensmensch, als er sich zum Glauben an die eigenen Fähigkeiten bekannte: Er sei es schließ- lich gewesen, der „schon im Jahr 1980“
den Untergang der UdSSR vorausge- sagt habe. In einem Buch Allgaiers aus dem Jahr 1981 heißt es allerdings, die Annahme, daß Nostradamus den Un- tergang des Ostblocks ankündige, sei
„sicherlich falsch“. Das muß demnach ein Druckfehler sein.
Bleibt die Frage, wieso die Kata- strophe ausgeblieben ist. Eine Ant- wort ergab sich auch uns erst nach hochprozentig spirituöser und mehr- facher inspirativer Augäpfelkreuzung.
Diese Einsicht ist uns tatsächlich auch erst nach härtesten Bußübungen – Lektüre mehrerer Astrologiebücher – zuteil geworden. Die Antwort lautet:
Es war die geballte Prophezeiungs- kraft, die – auf geheimwissenschaft- lich noch nicht ganz geklärte Weise – das angesagte Unheil durch eine Art machtvollen Schub verhinderte und zerstreute.
Dem Kenner sei hinzugefügt: Es ist genau das, was die Heisenbergsche Unschärferelation in fortschrittlicher New-Age-Sicht aussagt – wenn ich den Ort festlege, stimmt die Zeit nicht, so daß alles eigentlich nur stimmt, wenn es nicht stimmt. Wir se- hen also, daß die Prophezeiungen, ge- rade weil sie richtig waren, nicht ein- treten konnten. Heinz Knapp
A-2203
P O L I T I K GLOSSE/MEDIZINREPORT
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 36, 10. September 1999 (31) ur Behandlung von primären
Lebertumoren und Metasta- sen der Leber werden immer häufiger kleine Gefriersonden ein- gesetzt, die das maligne Gewebe ge- zielt vereisen und so zerstören. Der Eingriff erfolgt intraoperativ unter Ultraschallkontrolle. Zum Vereisen wird flüssiger Stickstoff verwendet.
Weltweit ist die Methode bislang bei über 1 000 Patienten mit gu- tem Ergebnis angewendet worden.
Die Risiken der Behandlung sind relativ gering, und die Langzeiter- gebnisse entsprechen in etwa de- nen der Resektion (Zweijahresrate:
47 Prozent).
Prof. Theodor Junginger, Direk- tor an der Klinik und Poliklinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie in Mainz, nennt drei Indikationen für die Kältebehandlung:
1. Die kurative Behandlung nicht resektabler Lebertumoren (allein oder in Ergänzung mit einer Resekti- on). Nach groben Statistiken könne davon ausgegangen werden, daß etwa 15 Prozent der Patienten, die mit allei- niger Resektion inoperabel wären, durch die zusätzliche Kryotherapie ei- ne Heilungschance erhalten.
2. Die palliative Behandlung hor- monaktiver Metastasen und neuroen- dokriner Tumoren. Gelingt es durch Kryotherapie, etwa 80 Prozent des Tumorgewebes auszuschalten, könne eine langfristige symptomatische Bes- serung erwartet werden.
3. Die Vereisung des Schnittran- des nach Resektion von Lebermeta- stasen, um das Resektionsausmaß zu begrenzen. Wesentlich bei der Resek- tion von Metastasen sei die Entfer- nung im Gesunden, also unter Einhal- tung eines Sicherheitsabstandes. Dies erfordere insbesondere bei großen
Tumoren ausgedehnte Eingriffe. Mit Hilfe der Kryotherapie könne das Re- sektionsausmaß begrenzt, die Radika- lität aber dennoch gewährleistet wer- den. „Die Kryotherapie ist eine Me- thode, die in Ergänzung zur Resek- tion von Lebertumoren bei einigen Patienten eine Heilungschance er- möglicht. Sie ist innerhalb eines in- terdisziplinären und multimodalen Therapiekonzeptes einzusetzen“, ur- teilt Junginger, an dessen Klinik seit 1996 mehr als 50 Kältebehandlungen durchgeführt wurden.
Kältesonden unter örtlicher Betäubung
Ein neues Kryoverfahren, bei dem Lebertumoren minimal-invasiv und unter örtlicher Betäubung vereist werden, haben Radiolo- gen der Universitätsklinik Aachen entwickelt. Prof. Rolf Günther und Dr. Josef Tacke führen die Kälteson- den unter kernspintomographischer Kontrolle in das Tumorgewebe ein.
Die Sondenspitze kann dann in ei- nem umschriebenen Bereich auf minus 100 Grad Celcius herunter- gekühlt werden.
Der Vorteil der Therapieüber- wachung mittels Kernspintomogra- phie ist nach Angaben der Aachener Mediziner die hervorragende Dar- stellbarkeit des Tumorgewebes, des umgebenden gesunden Gewebes so- wie des entstehenden Eisbereiches.
Dadurch sei eine gezielte und dosierte Behandlung auch mehrerer Tumor- herde möglich. Außerdem sei das Verfahren für den Patienten nahezu schmerzfrei, weil die Schmerzleitun- gen durch die Vereisung unterbro- chen werden. Jens Flintrop