Arzneimittelgruppen mit umstrittener Wirksamkeit:
Verordnungen und Umsatz 1987 Arzneimittelgruppen Verordnungen
in Millionen
Umsatz in Millionen DM (in Klammern Veränderung
zu 1986)
Durchblutungsfördernde Mittel 22,0 (+ 3,1) 1358,0 (+ 6,6) Expektorantien (inkl. Kombinationen) 41,6 (+ 3,2) 623,4 (+ 4,7)
Grippemittel 4,5 (-10,0) 39,8 (- 6,9)
Pflanzliche Hypnotika 4,5 (+ 7,1) 59,3 (+ 6,1) und Kombinationen
Kardiaka (Pflanzenauszüge) 5,6 (+ 2,5)
Magnesiumpräparate 5,7 (+21,4)
Mund- und Rachentherapeutika 8,9 (+ 1,4) Ophthalmika (sonstige) 5,2 (+ 2,8) Rheumamittel (Externa) 25,4 (+11,9) Rhinologika-Kombinationen 5,3 (+ 1,9)
Umstimmungsmittel 4,7 (+10,6)
Urologika (Kombinat. und sonstige) 10,8 (+ 5,9)
Venenmittel 20 ,1 (+ 5,4)
96,0 (+ 4,0) 103,2 (+22,2) 78,6 (-h 3,2) 67,1 (+ 8,7) 416,3 (+12,1) 52,0 (+ 8,1) 76,2 (+ 9,4) 257,7 (+ 9,9) 590,4 (+ 5,8) Die gesetzlichen Krankenkassen gaben 1987 rund 5 Milliarden DM für 30 in ihrer „Wir- kung umstrittene Arzneimittelgruppen" aus, wie es der Arzneiverordnungs-Report '88 des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen ausdrückt. Zusammengenom- men entfallen auf diese Gruppen rund 204,8 Millionen Verordnungen, was einem Anteil von 29,3 Prozent am Verordnungsvolumen des gesamten GKV-Arzneimittelmarktes ent- spricht. Der Report '88 schließt daraus: In der Reduzierung oder Streichung aus der Ver- ordnungsfähigkeit liegen erhebliche Sparpotentiale. Ungeklärt ist indes die Frage, wie das rechtlich einwandfrei gemacht werden könnte; denn immerhin sind auch die angeb- lich umstrittenen Mittel vom Bundesgesundheitsamt, Berlin, zugelassen worden. Die Ta- belle oben enthält eine Auswahl der wichtigsten Arzneimittelgruppen und der Umsätze (Quelle: Schwabe/Paffrath: Arzneiverordnungsordnungs-Report '88, Stuttgart 1988)
Ein Forscher
wollte nicht forschen
Darf ein Arzt aus Gewissens- gründen die Erforschung eines Me- dikamentes ablehnen, von dem er annimmt, daß es in einem Atom- krieg für militärische Zwecke miß- braucht werden soll? Diese Frage hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf kürzlich in zweiter Instanz indirekt verneint, indem es die Rechtmäßig- keit einer Kündigung bestätigte, die das Pharma-Unternehmen B eecham- Wülfing seinem Angestellten Dr.
Bernd Richter wegen Arbeitsverwei- gerung ausgesprochen hatte. Der Düsseldorfer Arzt hatte gegen diese Kündigung geklagt und war bereits beim Arbeitsgericht Mönchenglad- bach gescheitert. Der Fall hatte bun- desweit Aufsehen erregt.
Richter war im Frühjahr 1987 als Leiter der Abteilung Human- Pharmakologie in der Hauptverwal- tung der deutschen Tochter des bri- tischen Beecham-Konzerns beschäf- tigt. Die Muttergesellschaft war bei Forschungen auf die Substanz BRL 43694 gestoßen, die sich als beson- ders wirksames Anti-Emetikum er- wies. Die Ärzte in der Neusser Ab- teilung für Human-Pharmakologie wurden mit der weiteren Erfor- schung an Freiwilligen beauftragt.
Alle drei Ärzte, darunter der Abteilungsleiter Dr. Richter, ver- weigerten diesen Auftrag: Aus inter- nen Firmenunterlagen und den Pri- vatnotizen eines verantwortlichen Mitarbeiters hatten sie den Schluß gezogen, daß in NATO-Kreisen In- teresse an der neuen Substanz signa- lisiert worden sei, um damit in ei- nem Atomkrieg verstrahlte Soldaten zu behandeln und sie unter Aus- schaltung des Erbrechen-Symptoms länger einsatzfähig zu erhalten. Der Arbeitgeber beharrte jedoch darauf, daß das neue Medikament in der Krebs- und Migränetherapie einge- setzt werden solle, wo es einen gro- ßen Fortschritt bedeute. Als die drei Ärzte bei ihrer Weigerung blieben, wurde ihnen gekündigt.
Der Berufung Richters gegen das erstinstanzliche Urteil von Mön- chengladbach gab das Düsseldorfer
Gericht nicht statt. Der Kläger hatte sich auf das Grundrecht der Gewis- sensfreiheit nach Artikel 4, Absatz 1 des Grundgesetzes berufen. Die
„innere Belastung" des Arztes sah das Gericht indes als nicht ausrei- chend an: „Vom Kläger wird nicht die Identifikation mit einem von ihm aus medizinisch-ethischen Gründen abgelehnten Standpunkt verlangt."
Das aber sei Grundlage einer Gewis- sensnot. Der Forschungsauftrag sei
„wertneutral" , der Beitrag im Rah- men der Gesamtforschung zu gering für eine Identifikation mit dem Pro- dukt und seinen Anwendungsmög- lichkeiten. Das Landesarbeitsgericht folgte im übrigen der Argumenta- tion des Konzerns, daß es auch nicht
möglich gewesen sei, den Kläger mit anderen Tätigkeiten zu beauftragen.
Durch die Weigerung aller drei Arz- te in der Abteilung Human-Pharma- kologie wären dem Konzern unzu- mutbare Folgen entstanden, da da- mit gerechnet werden müsse, daß sich zukünftig auch andere Ärzte in vergleichbaren Situationen auf Ge- wissenskonflikte berufen könnten.
Die Organisation „Internatio- nale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs e. V." (IPPNW) hat sich, wie zu erwarten war, bestürzt über das Urteil von Düsseldorf ge- äußert. Das Gericht stelle dem Ar- beitgeber einen Persilschein für jede beliebige Forschung aus. (Aktenzei- chen: 11 Sa 1349/87) OD A-2884 (24) Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988