Helmut Fobbe
Werkstoffkunde der Kunststoffe Herstellung, Aufbau und Eigenschaften
2. Auflage 2017
Inhalt
3
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeine Eigenschaften von makromolekularen
Stoffen ... 6
1.1 Einleitung: Was sind makromolekulare Stoffe? ... 6
1.2 Wechselwirkungen und Ordnungszustände in Makro- molekülen ...7
1.3 Thermoplaste ... 8
1.4 Elastomere und Duroplaste ...11
2. Kettenwachstumsreaktionen ...14
2.1. Allgemeines zu Kettenwachstumsreaktionen ...14
2.2. Radikalische Polymerisation ...15
2.3. Insertionspolymerisation ...18
2.4. Kationische Polymerisation ...21
2.5. Anionische Polymerisation ...21
2.6. Copolymerisation ... 22
2.7. Technische Polymerisationsverfahren ... 23
3. Stufenwachstumsreaktionen ... 26
3.1. Allgemeines zu Stufenwachstumsreaktionen ... 26
3.2. Polykondensation ... 26
3.3. Polyaddition ... 28
4. Kunststoffe durch Kettenwachstumsreaktionen ...30
4.1. Polyethylen (PE) ...30
4.2. Polypropylen (PP) ...34
4.3. Weitere Polyolefine ...35
4.4. Halogenhaltige Polyolefine ... 39
4.5. Styrol-Polymerisate ...45
4.6. Polymethylmethacrylat (PMMA) ...51
4.7. Polyoxymethylen (POM) ...52
4.8. Polyacrylnitril (PAN) ...54
4.9. Polyamid 6 (PA 6) ...55
4.10. Polydien-Elastomere ...57
4
5. Kunststoffe durch Stufenwachstumsreaktionen -
Polykondensation ...61
5.1. Polyethylenterephthalat (PET) und Polybutylenterepht- halat (PBT) ...61
5.2. Ungesättigte Polyester ... 62
5.3. Polyamid 66 (PA 66) ...65
5.4. Phenolharze (Phenoplaste, PF) ... 66
5.5. Aminharze (Aminoplaste) ... 69
5.6. Polycarbonat ...72
6. Kunststoffe durch Stufenwachstumsreaktionen - Polyaddition ...74
6.1. Epoxidharze ...74
6.2. Polyurethane (PUR) ...77
7. Alterung und Recycling von Kunststoffen ...85
7.1. Allgemeines zur Alterung von Kunststoffen ...85
7.2. Alterung durch mechanische Energie ...85
7.3. Alterung durch Wasser, Säuren und Basen ...87
7.4. Alterung durch Wärmeeinwirkung ... 89
7.5. Alterung durch UV-Bestrahlung ... 92
7.6. Alterung durch Sauerstoffeinwirkung ... 92
7.7. Recycling von Kunststoffen ...94
8. Additivierung von Kunststoffen ... 98
8.1. Allgemeines zur Additivierung von Kunststoffen ... 98
8.2. Verarbeitungshilfsmittel ... 98
8.3. Flammschutzmittel ...101
8.4. Antioxidantien ...103
8.5. Lichtschutzmittel ...105
9. Praktikumsversuche ...109
9.1. Verhalten von Kunststoffen beim Erhitzen ...109
9.1.1. Theorie ...109
9.1.2. Versuchsdurchführung ...109
9.1.3. Versuchsauswertung ...110
9.2. Massepolymerisation von Methylmethacrylat (MMA) ...112
9.2.1. Theorie ...112
Inhalt
5
9.2.2. Versuchsdurchführung ...112
9.2.3. Versuchsauswertung ...113
9.3. Synthese von Phenoplasten und Aminoplasten ...113
9.3.1. Theorie ...113
9.3.2. Versuchsdurchführung ...113
9.3.3. Versuchsauswertung ...114
9.4. Herstellung von Polyurethanschäumen ...114
9.4.1. Theorie ...114
9.4.2. Versuchsdurchführung ...115
9.4.3. Versuchsauswertung ...115
9.5. Emulsionspolymerisation von Styrol ...116
9.5.1. Theorie ...116
9.5.2. Geräte ...116
9.5.3. Chemikalien ...117
9.5.4. Versuchsdurchführung ...117
9.5.5. Versuchsauswertung ...118
9.6. Verarbeitung von PVC-Plastisolen ...118
9.6.1. Theorie ...118
9.6.2. Charakterisierung der verwendeten Pasten: ...119
9.6.3. Versuchsdurchführung ...120
9.6.4. Versuchsauswertung ...120
10. Index ...121
1. Allgemeine Eigenschaften von makromolekula- ren Stoffen
1.1 Einleitung: Was sind makromolekulare Stoffe?
Polymere oder makromolekulare Stoffe bestehen aus Makromolekülen mit einer Molmasse von ca. 103 bis 6·106 g/mol. Innerhalb dieser Moleküle wiederholen sich bestimmte strukturelle Einheiten vielfach, d. h. diese Moleküle besitzen einen ket- tenartigen Aufbau. Bei Zugabe oder Wegnahme einiger dieser Einheiten ändern sich die Eigenschaften nicht wesentlich. Unter makromolekulare Stoffe fallen beispiels- weise
► Kunststoffe
► harzartige (zähflüssige) organische Stoffe
► mineralische Stoffe wie Quarz oder Glas
► Polysaccharide wie Stärke oder Cellulose (Werkstoff: Holz)
► Proteine (Eiweißstoffe)
► Nucleinsäuren (DNS, RNS)
Kunststoffe sind technische Werkstoffe (Aggregatzustand: fest), die aus Makro- molekülen mit organischen Gruppen bestehen und durch chemische Reaktionen gewonnen wurden. Die Herstellung der Kunststoffe erfolgt in der Regel vollsyn- thetisch durch chemische Verknüpfung aus kleineren Molekülen, den Monomeren.
Diese Reaktion wird allgemein Polymerisation genannt. In Einzelfällen ist auch die chemische Abwandlung makromolekularer Naturstoffe möglich. Ähnliches gilt für harzartige organische Stoffe. Hier gibt es neben Kunstharzen auch Naturharze und abgewandelte Naturharze.
Diese Lehreinheit befasst sich ausschließlich mit Kunststoffen. Sie baut auf den im Modul „Chemische Grundlagen“ vermittelten Kenntnissen der Chemie auf. Ihnen möglicherweise unklare Begriffe aus der Chemie schlagen Sie bitte dort nach.
Harzartige organische Stoffe zur Verwendung in Lacken werden nicht in diesem Modul, sondern im Modul „Oberflächentechnik – Beschichtungen und Überzüge“
behandelt.
Wechselwirkungen und Ordnungszustände in Makromolekülen
7
1.2 Wechselwirkungen und Ordnungszustände in Makromolekü- len
Innerhalb eines Makromoleküls treten ausschließlich kovalente Bindungen auf.
Zwischen verschiedenen Makromolekülen gibt es unterschiedliche Arten von Wech- selwirkungen:
Van der Waals-Kräfte (vdW-Kräfte) sind schwach und nehmen mit zunehmender Moleküloberfl äche zu. Sie sind nur dann dominant, wenn keine anderen intermole- kularen Wechselwirkungen vorhanden sind.
Dipol-Dipol-Wechselwirkungen sind deutlich stärker als vdW-Kräfte. Sie sind auf das Vorliegen von polaren kovalenten Bindungen zurückzuführen, die ein perma- nentes Dipolmoment aufweisen. Als Beispiel sei eine Kohlenstoff-Chlor-Bindung angeführt, wie sie im Kunststoff Polyvinylchlorid ( PVC) vorliegt. Hier ist die Elek- tronendichte zum Bindungspartner mit der höheren Elektronegativität (hier Cl) ver- schoben:
Wasserstoffbrückenbindungen stellen eine besonders starke Form der Dipol-Dipol- Wechselwirkungen dar. Sie treten nur auf bei F-H, O-H- und N-H-Bindungen. Bei makromolekularen Stoffen fi ndet man sie nur, wenn diese als funktionelle Gruppen beispielsweise Hydroxylgruppen oder Aminogruppen enthalten.
Abb. 1.1 polare kovalente Bindung
N H
R H
N H
R H
O R H
O R H
Abb. 1.2 Wasserstoffbrückenbindungen
Aus den oben beschriebenen Wechselwirkungen zwischen Makromolekülen resul- tieren die folgenden Ordnungszustände:
Ein Feststoff kann generell entweder kristallin (regelmäßige, defi nierte Anordnung der Atome bzw. Moleküle) oder amorph (regellose Anordnung wie in einer Flüs- sigkeit) vorliegen. Bei Kunststoffen tritt als Besonderheit auf, dass beide Zustände unter Umständen nebeneinander vorliegen können.
Der kristalline Zustand wird durch den Schmelzpunkt (Fp) charakterisiert, der eine thermodynamische Stoffkonstante darstellt. Der amorphe Zustand wird hingegen durch die Glasübergangstemperatur (TG) charakterisiert. Er entspricht dem Zustand einer unterkühlten Schmelze: Die Kristallisation ist thermodynamisch möglich, aber mangels Beweglichkeit der Moleküle behindert. TG ist die Temperatur, bei bzw. ober- halb der die Moleküle einer unterkühlten Schmelze sich aneinander vorbeibewegen können. Bei TG ändert sich das mechanische Verhalten wie folgt: Unterhalb von TG ist das Material ist nicht verformbar, spröde und zerbrechlich (wie Glas). Oberhalb von TG ist es ist plastisch, verformbar und verhält sich wie eine hochviskose Flüs- sigkeit. TG ist im Gegensatz zum Fp keine Stoffkonstante, sondern hängt von der Vorgeschichte des Systems, z.B. von der Abkühlgeschwindigkeit ab. Oft wird auch für TG ein Temperaturbereich von mehreren Grad angegeben.
1.3 Thermoplaste
Die Kunststoffe lassen sich nach ihrem Verhalten beim Erwärmen einteilen in Ther- moplaste, Elastomere und Duroplaste. Thermoplaste zeichnen sich durch das Vor- liegen von individuellen Makromolekülen aus. Diese können entweder linear aufge- baut sein oder Verzweigungen enthalten, siehe Abb. 1.3:
112
Abb. 1.3 schematische Molekülstruktur von Thermoplasten
Thermoplaste
9
Die Molmasse hat bei Thermoplasten – ganz im Gegensatz zu niedermolekularen Stoffen – keinen festen Wert. Stattdessen liegt hier eine herstellungsbedingt unver- meidbare Molmassenverteilung vor, siehe Abb. 1.4 (schematische Darstellung).
Thermoplaste werden beim Erwärmen fl üssig und sind in diesem Zustand zu Form- teilen verarbeitbar. Sie werden eingeteilt in amorphe und teilkristalline Thermo- plaste. Diese unterscheiden sich strukturell grob schematisch dargestellt gemäß der nachstehenden Abb. 1.5.
Bei amorphen Thermoplasten sind die Molekülketten völlig regellos angeordnet (wie gekochte Spaghetti auf einem Teller). Sie besitzen keinen Schmelzpunkt (die- ser ist nur defi niert für kristalline Strukturen) und eine Glasübergangstemperatur oberhalb der Raumtemperatur (andernfalls würden sie sich wie eine hochviskose
Häufigkeit
Molmasse Abb. 1.4 Molmassenverteilung bei Thermoplasten
amorph teilkristallin
Abb. 1.5 Amorphe und teilkristalline Thermoplaste
Flüssigkeit verhalten und wären nicht formstabil). Eine Kristallisation aus dem fl üs- sigen Zustand heraus ist nicht möglich.
Demgegenüber gibt es bei teilkristallinen Thermoplasten sowohl amorphe als auch kristalline Bereiche. (wie gekochte Spaghetti, die jedoch teilweise aneinander kle- ben und Bündel bilden). Sie besitzen daher sowohl einen Schmelzpunkt als auch eine Glasübergangstemperatur. Der Schmelzpunkt liegt immer oberhalb der Raumtem- peratur (andernfalls wäre der Kunststoff fl üssig und als Werkstoff unbrauchbar).
Die kristallinen Bereiche sind für die Formstabilität verantwortlich. Die Glasüber- gangstemperatur liegt typischerweise unterhalb der Raumtemperatur (andernfalls wäre das Material spröde wie Glas). Die amorphen Bereiche, in denen die Molekül- ketten bei mechanischer Beanspruchung aneinander vorbei gleiten können, verlei- hen dem Material die für Kunststoffe charakteristische Zähigkeit.
Thermoplaste sind nie zu 100 % kristallin: Die Bewegungsfreiheit der Molekülkette wird – ausgehend vom Zustand einer Flüssigkeit - mit fortschreitendem Kristallisa- tionsvorgang beim Abkühlen immer weiter eingeschränkt, bis keine weitere Kristal- lisation mehr möglich ist.
Die Molmassenverteilung von Thermoplasten kann nicht nur mit Hilfe von Dia- grammen nach Abb. 1.4. wiedergegeben werden, sondern wird oft über Zahlenmit- tel, Gewichtsmittel und Uneinheitlichkeit charakterisiert. Es gelten die folgenden Beziehungen:
Für das Zahlenmittel Mngilt:
∑
∑ ⋅
=
=
Ni Mi Ni n
m Mn
(1-1) Für das Gewichtsmittel Mwgilt:
∑ ⋅
∑ ⋅
∑ =
∑ ⋅
=
Mi Ni
2 Mi Ni mi
Mi mi Mw
(1-2)
Schließlich gilt für die Uneinheitlichkeit U:
1 Mn Mw U= −
(1-3)
111
Elastomere und Duroplaste
11
Dabei ist m die Masse in g, n die Stoffmenge in mol und N die Teilchenzahl.
Das Zahlenmittel wird schon durch einen geringen Anteil niedermolekularer Bestandteile, die auf ihre Masse bezogen kaum ins Gewicht fallen, stark erniedrigt.
Das Gewichtsmittel gewichtet höhere Molmassen stärker, es ist immer größer als das Zahlenmittel, reagiert viel unempfi ndlicher auf niedermolekulare Verunreinigungen und stellt in der Praxis den realistischeren, aussagekräftigeren Wert dar. Die fi ktiven Rechenbeispiele der folgenden Tabelle (drei Proben, die der Einfachheit halber nur zwei unterschiedliche Arten von Molekülen aufweisen, insgesamt 1000 Moleküle) verdeutlichen diese Zusammenhänge:
Probe 1 Probe 2 Probe 3
Zusammen- setzung /gmol-1
500 à 104 g/mol 500 à 8·103 g/mol
900 à 104 g/mol 100 à 102 g/mol
90 à 105 g/mol 910 à 102 g/mol
Mn/gmol-1 9000 9010 9091
Mw/gmol-1 9111 9989 99000
U 0.012 0.109 9,890
1.4 Elastomere und Duroplaste
Während bei Thermoplasten die Molekülketten aus zwar sehr großen, aber indivi- duellen Einzelmolekülen bestehen, ist dies bei Elastomeren und Duroplasten nicht der Fall. Hier sind die Molekülketten chemisch miteinander verknüpft (vernetzt).
Es liegt praktisch nur ein einzelnes Molekül mit einer „unendlich“ hohen Molmasse vor. Dies ist schematisch in Abb. 1.6 dargestellt.
Aufgrund der Vernetzung ist die Beweglichkeit der Molekülketten so weit einge- schränkt, dass eine Kristallisation nicht möglich ist: Elastomere und Duroplaste besitzen keinen Schmelzpunkt. Sie sind zu 100 % amorph. Duroplaste sind engma-
Verdeutlichung von Mn und Mw anhand fi ktiver Rechenbeispiele
Abb. 1.6 Vernetzte Elastomere und Duroplaste
schig, Elastomere weitmaschig vernetzt. Dies hat ein unterschiedliches mechani- sches Verhalten zur Folge:
Bei Elastomeren können die Molekülketten bei Raumtemperatur aneinander vor- bei gleiten, d. h. die Glasübergangstemperatur liegt unterhalb der Raumtemperatur.
Sie zeigen ein gummiartiges Verhalten und dementsprechend deutliche Elastizität.
Die molekularen Vorgänge beim Dehnen von Elastomeren veranschaulicht folgende Darstellung:
Kühlt man das Elastomer unter Raumtemperatur ab, so wird es bei Unterschreitung der Glasübergangstemperatur spröde. So lässt sich beispielsweise ein mit fl üssigem Stickstoff gekühlter Gummischlauch mit einem Hammer leicht zerschlagen.
Bei Duroplasten können die Molekülketten aufgrund der engmaschigen Vernetzung weder bei Raumtemperatur noch bei erhöhter Temperatur aneinander vorbei gleiten.
Duroplaste besitzen demzufolge keine Glasübergangstemperatur. Beim Erhitzen tritt lediglich – wie bei jedem Kunststoff – ab einer bestimmten Temperatur chemische Zersetzung ein. Duroplaste sind daher nicht elastisch, sondern bei Raumtemperatur und erhöhter Temperatur hart (lat. durus = hart).
Das unterschiedliche thermische Verhalten von Kunststoffen ist nochmals zusam- mengefasst in der Abb. 1.8 wiedergegeben.
113
dehnen entspannen
Abb. 1.7 Dehnung von Elastomeren
114
Elastomere und Duroplaste
13
amorpher Thermoplast
teilkristalliner Thermoplast
Elastomer
Duroplast
RT = Raumtemperatur
TG = Glasübergangstemperatur TM = Schmelzpunkt
TZ = Zersetzungstemperatur
= Gebrauchsbereich
RT
RT
RT T
GT
GT
MT
ZT
ZT
Z Abb. 1.8 Temperaturverhalten von Kunststoffen2. Kettenwachstumsreaktionen
2.1. Allgemeines zu Kettenwachstumsreaktionen
Unter der Polymerisation von Monomeren durch Kettenwachstumsreaktion versteht man die chemische Verknüpfung kleiner Moleküle zu Makromolekülen in einer Ket- tenreaktion, ohne dass dabei weitere kleine Moleküle gebildet werden.
Im Gegensatz zur Stufenwachstumsreaktion (siehe Kap. 3) enthält das reagierende Gemisch bei einer Kettenwachstumsreaktion nur Monomer, Polymer und schnell wachsende reaktive Kettenmoleküle. Einzelheiten zum Mechanismus siehe Kap. 2.2 bis 2.5. Als Monomere werden in der Regel Verbindungen mit einer Doppelbindung (meistens Alkene, diese enthalten eine C-C-Doppelbindung) verwendet.
Hier soll noch auf wichtige thermodynamische Besonderheiten der Kettenwachs- tumsreaktion eingegangen werden. Für jede chemische Reaktion gelten in verein- fachter Darstellung folgende Zusammenhänge:
DRH = HE - HA (2-1)
Dabei ist DRH die Reaktionsenthalpie, also die bei der Reaktion zu- oder abgeführte Wärmemenge und HE bzw. HA sind die Enthalpien der Endprodukte bzw. Ausgangs- stoffe. In ähnlicher Weise gilt für die Entropie:
DRS = SE - SA (2-2)
Dabei ist DRS die Reaktionsentropie, die eine Aussage darüber macht, ob der Ord- nungszustand bei der Reaktion zu- oder abnimmt. SE bzw. SA sind die Entropien der Endprodukte bzw. Ausgangsstoffe.
Ob eine Reaktion thermodynamisch möglich ist oder nicht, wird schließlich durch die Reaktions-Gibbs-Energie DRG festgelegt. Es gilt:
A + A + A + A + A + A... A - A - A - A - A - A...
Monomere Polymer
Abb. 2.1 schematische Reaktionsgleichung einer Kettenwachstumsreaktion
Radikalische Polymerisation
15
DRG = DRH - TDRS (2-3)
Eine chemische Reaktion ist nur möglich, wenn die Reaktions-Gibbs-Energie klei- ner als Null ist (DRG < 0).
Für eine Polymerisationsreaktion durch Kettenwachstum gelten nun die folgenden Besonderheiten:
► Sie ist immer exotherm (DRH < 0)
► Durch die Bildung eines Makromoleküls aus vielen Monomermolekülen erhöht sich der Ordnungszustand, die Reaktionsentropie ist immer negativ (DRS < 0)
► Daraus folgt, dass (- TDRS) immer > 0 ist)
Eine Polymerisation durch Kettenwachstumsreaktion ist bei Raumtemperatur und leicht erhöhter Temperatur normalerweise möglich, d.h. DRG < 0. Wie aus der For- mel in Abb. 2.3 ersichtlich ist, muss jedoch mit steigender Temperatur DRG irgend- wann > 0 werden, da (- TDRS) mit steigender Temperatur immer größer wird, wäh- rend DRH nur eine vergleichsweise geringe Temperaturabhängigkeit besitzt.
Dies hat zur Folge, dass die Polymerisation thermodynamisch unmöglich wird, wenn DRH = TDRS und DRG = 0 wird. Die entsprechende Temperatur heißt Ceiling-Tem- peratur TC. Der Begriff „ceiling“ (engl. „Decke“) wurde gewählt, um anzudeuten, dass hier eine obere Temperaturgrenze für die Polymerisation vorliegt. Es gilt:
(2-4)
Bei T >TC zerfallen daher derartige Polymere in die Monomere, da die Rückreaktion thermodynamisch möglich wird. TC liegt je nach Kunststoff bei ca. 200°C bis 400°C.
Dies wäre theoretisch eine ideale Methode, um Kunststoffe durch Aufspaltung in ihre Monomere dem chemischen Recycling zuzuführen. Leider ist dies in der Praxis jedoch nicht möglich, da bei den meisten Kunststoffen schon unterhalb TC andere Zersetzungsreaktionen auftreten.
2.2. Radikalische Polymerisation
Die radikalische Polymerisation ist ein sehr wichtiges Polymerisationsverfahren, mit dessen Hilfe viele Kunststoffe hergestellt werden. Der Reaktionsmechanismus soll am Beispiel der Polymerisation von Ethen ( Ethylen) zu Polyethylen erläutert wer- den. Die Bruttogleichung dieser Reaktion lautet:
TC =
∆RS
∆RH
107
Hierdurch wird jedoch noch nichts über den Mechanismus ausgesagt. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Stufenwachstumsreaktionen um Kettenreaktionen. Sol- che Kettenreaktionen sind aus der Organischen Chemie bekannt, beispielsweise von der radikalischen Halogenierung von Alkanen. Man unterscheidet die Teilreaktionen Initiierung, Startreaktion, Kettenwachstumsreaktion und Kettenabbruchreaktion:
Die Initiierung besteht im Zerfall eines Radikalstarters in Radikale. Dies sind reak- tive Moleküle, die ein einzelnes, ungepaartes Elektron enthalten, dargestellt durch den Punkt in der Formel. Der Zerfall fi ndet bei erhöhter Temperatur statt, wobei in der Regel weniger als 100°C ausreichen, um genügend Radikale zur Verfügung zu stellen.
Die Radikale reagieren in einem zweiten Schritt mit den Monomeren unter Bildung eines neuen Radikals. Diese Reaktion ist die Startreaktion:
Dieses neu gebildete Radikal reagiert nun mit weiteren Monomeren im Zuge einer Kettenwachstumsreaktion. Dieser Schritt wiederholt sich innerhalb weniger Sekun- den (= Lebensdauer einer Kette) mehrere tausend mal, d. h. n ≈ 1000 – 5000 (n = Anzahl der sich wiederholenden Monomereinheiten in der Polymerkette).
n
n
H
2C CH
2C
H
2C H
2
Abb. 2.2 radikalische Polymerisation von Ethen
Radikalstarter Radikale
A
A A ·
+A ·
Abb. 2.3 Initiierung
C
H2 C H2 A C H2 C H· 2
A·
+
Abb. 2.4 Startreaktion
Radikalische Polymerisation
17
Das Kettenwachstum setzt sich jedoch nicht immer weiter fort. Vielmehr nimmt mit der Zeit auch die Wahrscheinlichkeit zu, dass sich zwei Radikale treffen und miteinander reagieren. Diese Reaktionen werden Kettenabbruchreaktionen genannt.
Es können beispielsweise zwei Radikalkettenenden oder ein Initiatorradikal und ein Radikalkettenende miteinander reagieren. Bei einer Rekombination bilden die beiden Radikalelektronen eine neue kovalente Bindung. Bei einer Disproportionie- rung abstrahiert ein Radikal ein Wasserstoffatom in direkter Nachbarschaft zu einem anderen Radikal, so dass sich ein gesättigtes Kettenende und eines mit Doppelbin- dung bilden.
Durch die Kettenabbruchreaktionen wird die Radikalkonzentration im reagierenden Gemisch verringert. Damit die Reaktion nicht zum Stillstand kommt, müssen die verloren gegangenen Radikale durch Initiierung neu gebildet werden. Ferner wird durch diese Vorgänge die erzielbare Molmasse und die Molmassenverteilung des Polymeren entscheidend beeinfl usst.
Konkrete Beispiele für Radikalstarter sind Azo-bis-(isobutyronitril), Dibenzoylpero- xid und Kalium- bzw. Ammoniumperoxodisulfat. Letztere sind salzartig aufgebaut und daher für Reaktionen in wässriger Lösung geeignet.
A C H
2 C H
2
· H C
2 C H
2 C H
2 C H
2
C H · C H 2
A 2
+
Abb. 2.5 Kettenwachstumsreaktion
Rekombination
Disproportionierung
Kette
Kette Kette Kette
Kette Kette Kette Kette
Kette Kette
C H C H2
C H· 2 C H
2 C H· 2 C H
3
C H· 2 C H
2
· C H
2 C H2
C H· 2 C H
A 2
A·
+
+ +
+
Abb. 2.6 Kettenabbruchreaktionen
Die Struktur der durch Radialkettenreaktion erhaltenen Makromoleküle ist nicht linear, wie es die Bruttoreaktionsgleichung Abb. 2.4 nahelegen würde. Vielmehr tre- ten durch Nebenreaktionen, auf die an diese Stelle nicht näher eingegangen werden soll, Verzweigungen auf (siehe auch Abb. 1.3). Je nach Kettenlänge spricht man von einer Kurzkettenverzweigung (nur einige C-Atome in der Seitenkette) oder einer Langkettenverzweigung, die mehrere hundert C-Atome umfassen kann.
2.3. Insertionspolymerisation
Bei der Insertionspolymerisation fi ndet die Polymerisationsreaktion mit Hilfe von Katalysatoren statt. Dabei besteht das reaktive Zentrum des Katalysators aus einem Metallatom bzw. -ion, in dessen Koordinationssphäre die Kettenverlängerung abläuft. Dort setzt ständig neues Monomer an (lat. inserere = ansetzen).
Die wichtigsten Katalysatortypen sind die Ziegler-Natta-Katalysatoren und die Metallocen-Katalysatoren.
Ziegler-Natta-Katalysatoren wurden nach dem zweiten Weltkrieg im Max-Planck-In- stitut für Kohleforschung in Mülheim an der Ruhr in der Arbeitsgruppe von K. Zieg-
2 N2
2 2
N N
–O O
O
S O O O– O S O
T
·O O–
O S O T
O C
O O
C O
O·
C O C
H3
C H3 C C H3 C N N C H3 C C N
C H3
C H3 C·
C T
+
Peroxodisulfat (Kationen K+ oder NH4+):
Dibenzoylperoxid:
Azo-bis-(isobutyronitril):
Abb. 2.7 Beispiele für Radikalstarter
106
Insertionspolymerisation
19
ler entwickelt. 1963 erhielt er zusammen mit G. Natta für diese Arbeiten den Nobel- preis für Chemie.
Diese Katalysatoren werden aus Titantetrachlorid (TiCl4) und Triethylaluminium (AlEt3) über mehrere Zwischenstufen hergestellt. Das katalytische Zentrum besitzt oktaedrische Struktur und hat eine koordinative Leerstelle (). An dieser Leerstelle lagert sich das Monomer zunächst an. In einem zweiten Reaktionsschritt schiebt es sich in die wachsende Kette ein, wobei sich gleichzeitig die Leerstelle zurückbildet und für den nächsten Wachstumsschritt zur Verfügung steht. Nachstehende Abbil- dung veranschaulicht die Reaktionen am Beispiel Ethen:
Die Reaktionsbedingungen sind in der Regel milder als bei der radikalischen Polymerisation und die Polymere weisen deutlich weniger Verzweigungen auf.
Metallocenkatalysatoren wurden etwa ab 1980 unter maßgeblicher Beteiligung deut- scher Hochschulen wie z. B. der Universität Hamburg entwickelt.
Als Metallocene bezeichnet man eine Gruppe von metallorganische Komplexverbin- dungen, in denen im einfachsten Fall ein zentrales Metallatom (formal ein Kation) zwischen zwei aromatischen Cyclopentadienyl-Liganden (C5H5-) angeordnet ist.
Das erste Metallocen, das Ferrocen (Eisen als Zentralatom) wurde im Jahre 1951 erstmalig beschriebenen und hat die folgende Struktur:
CH2
CH2 CH2
CH2
Ti X X
R
X X
Ti X X
X X C H2
C H2
R
Ti X X
R
X X
+
Abb. 2.8 Insertionspolymerisation am Ziegler-Natta-Katalysator
105
Fe
Abb. 2.9 Ferrocen
Metallocen-Katalysatoren enthalten ebenfalls ein Metallatom mit zwei gegenüber- liegenden Cyclopentadienyl-Liganden, sind jedoch insgesamt komplexer aufgebaut.
Ein Beispiel zeigt Abb. 2.10.
Metallocen-Katalysatoren besitzen nur ein katalytisch aktives Zentrum (single site), Ziegler-Natta-Katalysatoren hingegen mehrere davon (multi site). Das katalytisch aktive Zentrum wird – wie bei Ziegler-Natta-Katalysatoren - durch das Metallatom (in der Regel Zr) gebildet, welches eine durch den speziellen Aufbau des Metal- locen-Katalysators geometrisch klar defi nierte Umgebung besitzt.
Als Konsequenz zeigen die nach diesem Verfahren erzeugten Kunststoffe einen sehr einheitlichen und klar defi nierten Aufbau, was bei Verwendung von Ziegler-Nat- ta-Katalysatoren nicht in diesem Maße der Fall ist. Die Molmassenverteilung ist sehr eng und die Taktizität (Defi nition siehe Kap 4.2.) ist klar vorgegeben. Somit ist eine maßgeschneiderte Molekülstruktur und infolge dessen auch ein optimales, an die jeweiligen Anforderungen angepasstes Eigenschaftsprofi l des Kunststoffe reali- sierbar.
Als weiterer Vorteil kommt eine extrem hohe, bislang nur von Enzymen bekannte katalytische Aktivität hinzu. So können beispielsweise mit nur einem Gramm Zir- konium 40 Tonnen Polyethylen (PE) produziert werden. Die Reaktionsbedingungen sind im Folgenden wiedergegeben:
► T = 95°C
► p = 8 bar
► cKat = 6.2 ·10-8 mol/l
M = Zr, Hf
Cl M
Cl
Abb. 2.10 Metallocen-Katalysator
Kationische Polymerisation
21
Die Insertionsdauer eines Ethenmoleküls beträgt 3 · 10-5 s, d. h. pro Stunde und Zr-Atom werden 46000 Makromoleküle gebildet (0.087 s für 1 Makromolekül).
2.4. Kationische Polymerisation
Die kationische und auch die im nächsten Kapitel behandelte anionische Polymeri- sation haben technisch bei Weitem nicht die Bedeutung der radikalischen Polyme- risation und der Insertionspolymerisation und sollen daher hier nur kurz vorgestellt werden.
Die kationische Polymerisation ist nicht auf C-C-Doppelbindungen beschränkt, sondern sie ist z. B. auch bei Epoxiden, anderen cyclischen Ethern und cyclischen Siloxanen möglich. Als reaktive Spezies tritt ein instabiles, positiv geladenes Kohlenstoffatom ( Carbenium-Ion) auf. Dieser Reaktionstyp ist folglich bevorzugt, wenn das Carbenium-Ion eine Stabilisierung durch entsprechende Substituenten erfährt. Dies ist z. B. der Fall bei Vinylethern, Styrol und Isobuten. Als Initiatoren werden Kationen oder Lewis-Säuren (BF3, BCl3, TiCl4) eingesetzt. Man unterscheidet wie bei der radikalischen Polymerisation Startreaktion, Kettenwachstumsreaktion und Kettenabbruchreaktionen, im Folgenden dargestellt am Beispiel eine C-C- Doppelbindung:
2.5. Anionische Polymerisation
Die anionische Polymerisation ist ebenfalls nicht auf C-C-Doppelbindungen beschränkt, sondern tritt z. B. auch bei Epoxiden, Carbonylverbindungen und
Startreaktion
Kettenwachstumsreaktion
Kettenabbruchreaktion
Kette C H2 C H+ Kette X
C H C H X R C H2 C H+
X
C H2 C H X
R C H2 C H X
C H2 C H+ X C
H2 C H X
R C H2 C H+ X
H+ R+
+ +
+
Abb. 2.11 Reaktionen bei der kationischen Polymerisation
bestimmten cyclischen Verbindungen, u.a. Siloxanen ein. Als reaktive Spezies tritt hier ein negativ geladenes Kohlenstoffatom (Carbanion) auf. Sie ist folgerichtig bevorzugt, wenn dieses stabilisiert ist. Das ist z. B. der Fall bei Acrylnitril, Styrol und Cyanacrylat (Sekundenkleber). Als Initiatoren werden Anionen oder Lewis-Ba- sen (NaOH, KOH, NaNH2, n-BuLi) eingesetzt. Man unterscheidet auch hier Startre- aktion, Kettenwachstumsreaktion und Kettenabbruchreaktionen, wie in Abb. 2. 12 am Beispiel eine C-C-Doppelbindung dargestellt.
Als Besonderheit bei der anionischen Polymerisation tritt hier der Kettenabbruch erst bei Zugabe eines Protonenlieferanten ein. Wird dieser nicht zugefügt, so bilden sich am Ende des Polymerisationsvorganges sog. „lebende Polymere“ mit reaktiven, anionischen Kettenenden.
2.6. Copolymerisation
Wird bei einer Polymerisation nur ein Monomer eingesetzt, so spricht man von Homopolymerisation bzw. bei den entstehenden Polymeren von Homopolymeren.
Es ist prinzipiell möglich, unterschiedliche Monomere einzusetzen. In diesem Fall spricht man von Copolymerisation bzw. Copolymeren Auf diese Weise können Poly- mere mit speziellen Eigenschaften erhalten werden. Es gibt verschiedene Arten von Copolymeren, im Folgenden dargestellt am einfachen Beispiel zweier Monomerer A und B.
Bei statistischen Copolymeren ist die Reihenfolge der Monomereinheiten beliebig, bei alternierenden Copolymeren wechseln sich die Monomereinheiten ab. Bei Block- Copolymeren liegen längere einheitliche Sequenzen vor .Bei Pfropf- Copoly-
Startreaktion
Kettenwachstumsreaktion
Kettenabbruchreaktion
Kette C H Kette
2 C H– X
C H C H X R C H2 C H–
X
C H2 C H X
R C H2 C H X
C H2 C H– X C
H2 C H X
R C H
2 C H– X
H+ R–
+ +
+
Abb. 2.12 Reaktionen bei der anionischen Polymerisation
Technische Polymerisationsverfahren
23
meren schließlich liegt eine einheitlich aufgebaute Hauptkette vor, von der Seiten- ketten mit einer anderen Monomereinheit abzweigen. Abb. 2.13 veranschaulicht dies.
2.7. Technische Polymerisationsverfahren
Die praktische Durchführung einer Polymerisationsreaktion kann auf sehr unter- schiedliche Weise erfolgen. Folgende Fragen sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung:
► In welcher Form wird der Kunststoff benötigt (Ganulat, feines Pulver, Lösung etc.)?
► Wie gelingt die Abführung der freigesetzten Wärmeenergie (Reaktionsethalpie) am besten?
► Wie lässt sich der Prozeß ökonomisch und ökologisch am günstigsten gestalten?
Die letzten beiden Fragen sind insbesondere für die industrielle Produktion von Kunststoffen bedeutsam. Insbesondere auf die Problematik, die Temperatur wäh- rend der Reaktion durch Kühlung konstant halten zu müssen, sei näher eingegangen.
statistische Copolymere
alternierende Copolymere
Block-Copolymere
Pfropf-Copolymere
- A - B - B - A - A - B - A -
- A - A - A - A - A - A - A - A - A - A - A - A - A - B - B - B - B - B - B - B - B - B - B -
B - B - B - B - B -
- A - A - A - B - B - B - B - B - B - B - A - A - A - - A - B - A - B - A - B - A -
Abb. 2.13 Arten von Copolymeren
Während im Labor die Abführung der Reaktionsenthalpie in der Regel kein Prob- lem darstellt, wird dies mit zunehmender Größe des Reaktionsgefäßes (= Reaktors) zunehmend schwieriger. Dies liegt daran, dass das Volumen des Reaktors mit der dritten, die Oberfl äche jedoch nur mit der zweiten Potenz des Radius des Reaktions- gefäßes zunimmt. Mit anderen Worten: Je größer der Reaktor, umso mehr Wärme- energie muss bei einer angestrebten isothermen Fahrweise pro Zeiteinheit über die Oberfl äche abgeführt werden, und umso schwieriger wird dies. Die verschiedenen technischen Polymerisationsverfahren wollen hier Abhilfe schaffen.
Die Massepolymerisation ist das auf den ersten Blick einfachste Polymerisationsver- fahren. Als Edukte werden nur Monomer und Starter eingesetzt. Die Polymerisation ist ggfl s. in einer geeigneten Form möglich. Man erhält ein sehr reines Produkt, jedoch ist die Abführung der entstehenden Wärme wie vorab diskutiert möglicher- weise schwierig.
Bei der Lösungspolymerisation wird die Reaktion in einem Lösemittel durchgeführt, in dem sowohl das Monomer als auch das Polymer löslich sind. Das Lösemittel wirkt als eine Art „thermischer Ballast“ und heizt sich während der Reaktion mit auf, was die Temperaturproblematik etwas entschärft. Die Viskosität der Lösung steigt während der Reaktion zwar an, bleibt aber verglichen mit der Massepolymerisation niedriger, was einen effi zienteren Wärmetransport durch effektives Rühren ermög- licht. Auch dadurch wird die Kühlung des Reaktionsmediums begünstigt.
Allerdings dürfen Nebenreaktionen des Lösemittels nicht außer Acht gelassen wer- den. Ferner ist das Entfernen des Lösemittels durch Destillation aufwändig, weshalb oft die Lösung weiterverarbeitet wird.
Die Fällungspolymerisation ähnelt in gewisser Weise der Lösungspolymerisation.
Auch hier wird ein Lösemittel verwendet, in dem jedoch im Gegensatz zur Lösungs- polymerisation nur das Monomer, nicht jedoch das Polymer löslich ist. Letzteres fällt während der Polymerisation aus und kann leicht durch Filtration abgetrennt werden. Die Viskosität bleibt während der Reaktion niedrig. Die Reaktions- und Temperaturkontrolle ist aus denselben Gründen wie bei der Lösungspolymerisation gut. Jedoch sind auch hier Nebenreaktionen des Lösemittels möglich.
Bei der Suspensionspolymerisation (Perlpolymerisation) wird ein wasserunlösliches Monomer durch kräftiges Rühren in Wasser verteilt. Es bilden sich Tröpfchen (Ø 0.01 - 0.5 cm), in denen die Polymerisation stattfi ndet. Auch hier sind Reaktions- und Temperaturkontrolle aus denselben Gründen wie bei der Lösungspolymerisation gut. Es bildet sich ein sehr reines Produkt. Zwar muss das Verkleben der Tropfen
109
Technische Polymerisationsverfahren
25
während der Reaktion durch Zusatzstoffe (sog. Schutzkolloide) verhindert werden, jedoch sind diese in der Regel gut abtrennbar.
Auch bei der Emulsionspolymerisation wird das wasserunlösliche Monomer zunächst mit Wasser zusammengebracht. Neben diversen Hilfsstoffen werden ferner sog. Tenside, auch Emulgatoren genannt, zugesetzt. Tenside sind Moleküle, die sowohl einen wasserfreundlichen (hydrophilen) als auch einen fettfreundlichen (hydrophoben, lipophilen) Molekülteil haben, siehe Abb. 2.14 links unten. Diese bilden zusammen mit dem Monomer Tröpfchen (Ø ca. 1 – 10 mm) sowie sehr viel kleinere Micellen (Ø ca. 5 – 15 nm). In den Micellen fi ndet die Polymerisation statt.
Auch hier ist die Temperatur- und Reaktionskontrolle gut. Das Polymer fällt nach Aufarbeitung als feines Pulver an. Die Entfernung des Tensides ist jedoch schwie- rig. Oft wird das Polymer auch direkt als wässrige Dispersion eingesetzt, z. B. in Anstrichstoffen.
108
Abb. 2.14 Tensidmolekül, Micelle und Monomertröpchen
001
3. Stufenwachstumsreaktionen
3.1. Allgemeines zu Stufenwachstumsreaktionen
Bei Kettenwachstumsreaktionen enthält das reagierende Gemisch nur Monomer, Polymer und schnell wachsende reaktive Kettenmoleküle. Bei Stufenwachstums- reaktionen ist dies grundsätzlich anders: Das reagierende Gemisch enthält wenig Monomer(e) und wenig „fertiges“ Polymer, dafür aber sehr viele Moleküle mittlerer Molmasse. Innerhalb der Stufenwachstumsreaktionen unterscheidet man zwischen Polykondensation und Polyaddition, die neben Gemeinsamkeiten auch wichtige Unterschiede aufweisen. Damit können die Möglichkeiten der Herstellung von Poly- meren aus Monomeren in folgendem Schema zusammengefasst werden:
Polyaddition und Polykondensation weisen die folgenden Gemeinsamkeiten auf:
▶ Es handelt sich um Stufenwachstumsreaktionen
▶ Es reagieren in der Regel zwei unterschiedliche funktionelle Gruppen miteinander
Daneben gibt es jedoch wichtige Unterschiede, die in den folgenden beiden Kapiteln näher erläutert werden.
3.2. Polykondensation
Die Polykondensation zeichnet sich durch die folgenden Besonderheiten aus:
117
Stufenwachstums- reaktion
kationische Poly- merisation anionische
Poly- merisation radikalische
Poly- merisation
Insertions- poly- merisation
Kettenwachstums- reaktion Polymerisation
Poly- addition Poly-
kondensation
Abb. 3.1 Möglichkeiten der Herstellung von Polymeren aus Monomeren
Polykondensation
27
► Bei der Polykondensationsreaktion wird ein kleines Molekül (z. B.
Wasser) abgespalten
► Die Polykondensation ist in der Regel eine Gleichgewichtsreaktion, d. h. sie läuft nur bei ständiger Entfernung des entstehenden kleinen Moleküls vollständig ab
► Die Polykondensation kann jederzeit problemlos unterbrochen werden, in der Regel durch Absenken der Temperatur
Allgemeine Reaktionsgleichungen für Polykondensationsreaktionen sind im Fol- genden wiedergegeben:
Als „kleine Moleküle“ werden hier Wasser, Alkohol oder Salzsäuregas abgespalten.
Der Prozess der Stufenwachstumsreaktion soll am Beispiel der Bildung eines Polyesters durch Veresterung einer Dicarbonsäure mit einem Diol näher betrachtet werden. Das Prinzip wird nachstehend in Abb. 3.3 anhand von Reaktionsgleichun- gen verdeutlicht.
In der 1. Stufe bildet sich ein Ester, welcher jedoch noch eine Carboxyl- und eine Hydroxylgruppe enthält. Dieser kann in einer 2. Stufe z. B. mit sich selbst reagieren, wobei dann ein höhermolekularer Ester entsteht, welcher jedoch ebenfalls noch eine Carboxyl- und eine Hydroxylgruppe enthält (HOOC- bzw. HO-). Dieser Prozess
115
n
n
n n
n n
n n
+ 2 n
+ 2 n
+ 2 n + 2 n
ROH
n
n n
n
OR OR
C O
O O B
C O N H
A C O
N B H C
O
O A C
O O B C
O
O A C
O O B
O H B O H C
O Cl Cl
C O O H A C O O H
N H2 B N H2 C
O A C O
O H B O H C
O O H A C O O H
O H B O H
Cl H
O H2
O H2
+
+
+ +
Bildung eines Polyesters durch Veresterung
Bildung eines Polyesters durch Umesterung
Bildung eines Polyamides
Bildung eines Polycarbonates
Abb. 3.2 Reaktionsgleichungen von Polykondensationsreaktionen
kann sich stufenweise fortsetzen und wird abgebrochen, wenn sich Makromoleküle der gewünschten Molmasse gebildet haben.
Man sieht, dass die Monomere schon bei Reaktionsbeginn verschwinden und sich zunächst Oligomere (Zwischenprodukte, die aus einigen Monomereinheiten aufge- baut sind) bilden. Der Stufenwachstumsvorgang erfolgt nach statistischen Gesetz- mäßigkeiten. Neben den in Abb. 3.3 gezeigten existiert eine Vielzahl weiterer mög- licher Wachstumsschritte.
3.3. Polyaddition
► Bei der Polyadditionsreaktion wird kein kleines Molekül abgespalten
► Die Polyaddition ist in aller Regel keine Gleichgewichtsreaktion, sondern DRH und DRG sind erheblich
► Bei der Polyadditionsreaktion kann die Reaktionskontrolle schwierig sein aufgrund der starken Erwärmung. Ein Abbruch durch Abkühlung ist meist nicht möglich, da die Reaktion oft auch bei RT langsam weiterläuft
HOOC–A–COOH + HO–B–OH HOOC–A–COO–B–OH + H2O
1. Stufe
2. Stufe
3. Stufe
2 HOOC A COO B OH HOOC A COO B OOC A COO B OH + H2O
2 HOOC A COO B OOC A COO B OH usw.
Abb. 3.3 Ablauf einer Stufenwachstumsreaktion am Beispiel einer Veresterung
116
Polyaddition
29
Allgemeine Reaktionsgleichungen für Polyadditionsreaktionen sind im Folgenden wiedergegeben:
Bildung eines Polyurethans
Bildung eines Epoxidharzes
n O C N A N C O + n HO B OH O C N A N C O B
O O
H H
n
n n H2C CH A HC CH2 + n HO B OH O CH2 CH A HC H2C O B
O O OH OH
Abb. 3.4 Reaktionsgleichungen von Polyadditionsreaktionen
4. Kunststoffe durch Kettenwachstumsreaktionen 4.1.
Polyethylen (PE)Die Synthese von Polyethylen durch Polymerisation von Ethen ( Ethylen) ist durch die folgende Reaktionsgleichung beschrieben:
Man unterscheidet drei grundlegende Polyethylen-Typen. Dies sind:
► LDPE oder PE-LD: „Low density polyethylene“, ein PE niedriger Dichte. Vorsicht! Es wird auch als Hochdruckpolyethylen bezeichnet, nicht mit HDPE verwechseln!
► HDPE oder PE-HD: „High density polyethylene“, ein PE hoher Dichte. Es wird auch als Niederdruckpolyethylen bezeichnet
► LLDPE oder PE-LLD: „Linear low density polyethylene“, ein
„lineares“ PE niedriger Dichte
LDPE wird durch radikalische Polymerisation hergestellt; als Initiatoren werden Sauerstoff oder org. Peroxide verwendet. Die Reaktionstemperaturen liegen bei 150 - 300oC, der Druck bei 1400 - 3500 bar, Ethen befi ndet sich dabei im überkritischen Zustand. Das Polymer ist unter diesen Bedingungen im Monomer löslich.
Als Eigenschafen von LDPE sind insbesondere zu nennen:
► = 2-5·104 g/mol
► vergleichsweise niedrige Dichte wegen der vielen Verzweigungen
► viele Langkettenverzweigungen
► viele Kurzkettenverzweigungen, insbes. Ethyl-, Butyl- und 2-Ethylhexylreste
Hauptanwendungsgebiet von LDPE ist der Verpackungssektor, hier wiederum Folien. Für Lebensmittelverpackungen ist LDPE als alleinige Schicht unbrauchbar wegen zu hoher Sauerstoffdurchlässigkeit, weshalb hier Mehrschichtsysteme wie z.
118
Ethen (Ethylen) Polyethylen n H2C CH2 H2C CH2
n Abb. 4.1 Bruttoreaktionsgleichung zur Herstellung von Polyethylen
Mw
Polyethylen (PE)
31
B. „Tetra Pak“ zum Einsatz kommen (LDPE + Aluminium + Papier). Dabei dient das Aluminium als Dampfsperre und das Papier zur mechanischen Stabilisierung.
Weitere Anwendungen sind geblasene Hohlkörper wie Reinigungsmittelflaschen, Kanister etc.
HDPE wird durch Insertionspolymerisation mit Ziegler-Natta-, Phillips- (Cr(VI) auf SiO2/Al2O3-Trägermaterial)- oder Metallocen-Katalysatoren hergestellt. Einzelhei- ten der Herstellung sind in der Regel unveröffentlicht. Der Druck ist sehr viel nied- riger als bei der Herstellung von LDPE, er beträgt nur ca. 20 bar.
Als Eigenschaften von HDPE sind zu nennen:
► = 3·104 – 5·105 g/mol
► vergleichsweise hohe Dichte aufgrund weniger Verzweigungen als bei LDPE
Hauptanwendungsgebiet von HDPE ist der Spritzguss (Mülltonnen, Flaschenkästen, Schraubkappen für Getränkeflaschen) sowie Folien. Diese sind dünner und knistern im Gegensatz zu den nicht knisternden, weicheren Folien aus LDPE. Daneben wird HDPE zu Rohren sowie auch zu Fässern und Heizöltanks verarbeitet.
Wie hängt nun die Dichte von Polyethylen mit der Anzahl und Art der Verzweigun- gen zusammen? Hier gilt zunächst: Polyethylen ist ein teilkristalliner Thermoplast.
Je mehr Verzweigungen vorhanden sind, umso schwieriger ist die Kristallisation und umso höher ist der amorphe Anteil. Die Dichte der amorphen Bereiche ist naturge- mäß etwas niedriger als die der kristallinen Bereiche. So wird verständlich, warum LDPE mit seinen vielen Verzweigungen eine niedrigere Dichte als HDPE besitzt.
Die amorphen Bereiche sind mechanisch natürlich viel flexibler und verformbarer als die kristallinen Bereiche. Ferner ist dort mehr Platz für Gas- bzw. Lösemittelmoleküle vorhanden, die sich einlagern können (Quellbarkeit!) bzw. dort hindurch diffundieren können.
Diese Zusammenhänge werden in der folgenden Tabelle verdeutlicht, die charakte- ristische Merkmale von LDPE und HDPE vergleicht:
Mw
LDPE HDPE
TG / oC - 95 - 95
Fp / oC 105 - 110 ca. 135
Verzweigung der Hauptkette höher niedriger
Kristallinität [%] ca. 45 ca. 70
mech. Eigenschaften weicher, zäher härter, spröder
Dichte [g/cm3] 0.910 - 0.935 0.950 - 0.965
Gewichtszunahme bei Lagerung in Toluol
(Quellbarkeit) [%] 18 5
O2-Durchlässigkeit und H2O-
Dampfdurchlässigkeit höher geringer
PE besitzt keine funktionellen Gruppen und ist daher chemisch sehr widerstandsfähig (inert).
Die intermolekularen Wechselwirkungen sind bei Polyethylen sehr schwach. Es handelt sich um van der Waals-Kräfte, deren Betrag mit der Oberfl äche des Moleküls zunimmt. Die mechanischen Eigenschaften des Polyethylens hängen daher stark von der Kettenlänge ab ( Molmasse, Molmassenverteilung, Uneinheitlichkeit etc.).
Die Quellbarkeit hängt ab vom Kristallisationsgrad und vom Lösemittel. Hierbei gilt: Unpolare, dem PE ähnliche Lösemittel quellen stärker als polare Lösemittel („similia similibus solvuntur“ - Gleiches löst sich in Gleichem).
In diesem Zusammenhang sei kurz auf das Vorhandensein von Überstrukturen in allen teilkristallinen Kunststoffen (nicht nur in PE) hingewiesen. Die kristallinen Bereiche sind aus sog. Faltkristallen aufgebaut, d.h. die Polymerkette faltet sich wie folgt lamellenartig auf:
Abb. 4.2 Faltkristall
Vergleich verschiedener Eigenschaften von LDPE und HDPE
Polyethylen (PE)
33
Die Dicke dieser Lamellen beträgt ca. 20 bis 60 nm. Die obige Darstellung ist natür- lich eine Idealisierung. In der Praxis ist die Kristallisation durch Fehlstellen gestört und die Anordnung ist bei Weitem nicht so regelmäßig.
Die Faltkristalle können sich zu weiteren Überstrukturen wie Sphärolithen zusam- menlagern. Diese entstehen zunächst als kugelförmige Strukturen aus der Schmelze und wachsen zwangsläufi g bei der weiteren Vergrößerung zu Polyedern zusammen.
Der Sphärolith besteht aus in gewendelter Form (Wendel ist in Abb. 4.3 nicht darge- stellt) eingebauten Faltkristallen. Dazwischen liegen die amorphen Bereiche.
Der dritte wichtige PE-Typ ist das LLDPE, wie bereits erwähnt ein lineares Polyethylen niedriger Dichte. Es wird wie HDPE durch Insertionsverfahren mit Ziegler-Natta- oder Metallocenkatalysatoren hergestellt.
Im Gegensatz zu LDPE und HDPE handelt es sich bei LLDPE um ein Copoly- mer. Als Comonomere werden 5-12 % 1-Olefi ne eingesetzt, insbesondere 1-Buten, 1-Penten, 1-Hexen und 1-Octen. So wird bewusst eine Kurzkettenverzweigung her- beigeführt, welche die Kristallisation behindert. Als Eigenschaften von LLDPE sind zu nennen:
► = 3·104 - 3·105 g/mol
► niedrige Dichte von 0.910 - 0.940 g/cm3, ähnlich wie LDPE aufgrund vieler Verzweigungen der Hauptkette
► Festigkeit und Steifi gkeit besser als LDPE, aber schwerer verarbeitbar
Abb. 4.3 Sphärolith
002
Mw
Das Metallocen- LLDPE setzt sich aufgrund besserer Eigenschaften wie höherer Zähigkeit, besserer Transparenz und besserer Oxidationsstabilität mehr und mehr durch. Die Verwendung von LLDPE ähnelt der von LDPE.
4.2. Polypropylen (PP)
Die Synthese von Polypropylen durch Polymerisation von Propen ( Propylen) ist durch die folgende Reaktionsgleichung beschrieben:
Die Herstellung erfolgt durch Insertionspolymersiation wie bei HDPE. Es tritt hier jedoch eine Besonderheit auf, die man beim Polyethylen nicht fi ndet: Jedes zweite Atom im Polypropylen ist chiral, d. h. es besitzt vier verschiedene Substituenten.
Dies führt im Ergebnis zur Erscheinung der Taktizität. Man unterscheidet hier drei Formen, die in der folgenden Abbildung am Beispiel des Polypropylens dargestellt sind:
119
n
n H2C CH2
C H3 C
H2 C H C H3
Propen (Propylen) Polypropylen
Abb. 4.4 Bruttoreaktionsgleichung zur Herstellung von Polypropylen
isotaktisches Polypropylen
syndiotaktisches Polypropylen
ataktisches Polypropylen
H H H H
H H H H
H H H H
Abb. 4.5 Taktizität bei Polypropylen
Weitere Polyolefine
35
Die verschiedenen Formen der Taktizität unterscheiden sich folgendermaßen: Befin- det sich die Hauptkette, um deren C-C-Einfachbindungen freie Drehbarkeit herrscht, genau in der Zeichenebene, so zeigen die Methylgruppen
► bei isotaktischem Polypropylen alle nach vorn oder hinten
► bei syndiotaktischem Polypropylen im Wechsel nach vorn und hinten
► bei ataktischem Polypropylen regellos nach vorn oder hinten.
Diese Formen des Polypropylens haben völlig unterschiedliche Eigenschaften. Nur das isotaktische Polypropylen hat technische Bedeutung. Ataktisches Polypropylen ist klebrig und als Konstruktionswerkstoff unbrauchbar.
Isotaktisches Polypropylen zeichnet sich wie folgt aus:
► Mw = 1.5·105 - 6·105 g/mol
► TG = ca. 3°C, beim Abkühlen wird PP spröde
► Fp = ca. 160 - 165°C
► Kristallinität 60 – 70 %
► Dichte 0,895 - 0,920 g/cm³
► Wenig Verzweigungen der Hauptkette wie HDPE
Die Hauptanwendungen von Polypropylen liegen in den Bereichen Fasern, Folien, flexible und starre Verpackungen, Automobilsektor und Haushaltsgeräte.
4.3. Weitere Polyolefine
Neben Polyethylen und Polypropylen gibt es noch einige weitere Polyolefine, also Polymere, die durch Polymerisation von Alkenen (Olefinen) hergestellt werden.
Auf einige dieser Kunststoffe sei im Folgenden kurz eingegangen.
Es gibt zwei technisch bedeutsame Polybutene, das Poly-1-buten und das Polyiso- buten. Sie werden hergestellt aus 1-Buten bzw. Isobuten und unterscheiden sich in ihren Eigenschaften fundamental voneinander.
Poly-1-buten wird durch Insertionspolymerisation hergestellt und ähnelt in seinen Eigenschaften dem Polyethylen und dem Polypropylen. Demgegenüber erhält man das Polyisobuten durch kationische Polymerisation bei -50°C (das Kation ist stabilisiert!). Die Molmasse kann von ca. 3·103 - 2·105 g/mol variiert werden. Es ergibt sich ein je nach Molmasse öliges bis gummiartiges, wenig kristallines und nicht formbeständiges Produkt.
Als weiteres Polyolefi n ist ferner an dieser Stelle das Elastomer EPDM ( Ethylen- Pro- pylen- Dien-Elastomer) zu nennen.
Einige allgemeine Eigenschaften von Elastomeren wurden bereits in Kap. 1.6. vor- gestellt. Elastomere bilden dreidimensional vernetzte Netzwerke aus und haben somit keinen Schmelzpunkt. Daher kann keine Verarbeitung durch nachträgliches Aufschmelzen wie bei Thermoplasten ( Spritzguss, Extrusion etc.) erfolgen. Viel- mehr muss bereits die Vernetzung in einem Hohlraum (einer „Form“) stattfi nden, der in seiner Gestalt dem zu produzierenden Gegenstand (Formteil) entspricht.
Die Verarbeitung von Elastomeren (und auch von Duroplasten) erfolgt daher zwangs- läufi g in einem zweistufi gen Verfahren. Zunächst wird ein vernetzbares, thermo- plastisches Vorprodukt hergestellt. Dies wird in einem zweiten Schritt in die Form gegeben und dort vernetzt. Bei Elastomeren wird dieser Vorgang häufi g auch als Vulkanisation bezeichnet. Am Beispiel des EPDM sollen diese Vorgänge im Detail verdeutlicht werden.
Das thermoplastische Vorprodukt für EPDM ist ein Copolymer aus Ethen, Propen und einem Dien. Diene sind Verbindungen, die zwei C-C-Doppelbindungen enthal- ten. Dabei ist es, wie wir später sehen werden, vorteilhaft, wenn diese Doppelbin- dungen chemisch nicht gleichwertig (äquivalent) sind.
1-Buten Poly-1-buten (PB)
n
Isobuten Polyisobuten (PIB)
n
n
C2H5
n
C2H5
C H2 C
C H3
C H3
C H2 C C H3 C H3
C
H2 C H C H2 C H
Abb. 4.6 Bruttoreaktionsgleichungen zur Herstellung von Poly-1-buten und Polyisobuten
120
Weitere Polyolefine
37
Wichtige Beispiele für Diene zeigt die folgende Abbildung:
Man erkennt, dass all diese Diene zwei nicht gleichwertige Doppelbindungen enthalten. Eine davon ist zwangsläufi g reaktiver als die andere. Bei der Polymerisation zum thermoplastischen Vorprodukt reagiert nun bevorzugt die reaktivere der beiden Doppelbindungen (welche das im Einzelfall ist, soll hier nicht näher betrachtet werden) mit in die Polymerkette ein, während die andere am Ende des Polymerisationsvorgang noch vorhanden ist. Das führt dazu, dass das thermoplastische Vorprodukt noch reaktionsfähige Doppelbindungen enthält und die folgende schematische Struktur aufweist:
Die Herstellung des vernetzten Endproduktes, des Elastomeren, verläuft wie folgt:
Das Vorprodukt wird mit Schwefel sowie gegebenenfalls weiteren Zusatzstoffen, z. B. Füllstoffen, Ruß, etc., vermengt und in die Form gegeben. Dort wird es bei erhöhter Temperatur (ca. 140°C – 170°C) vernetzt.
Der Mechanismus der Vernetzung ist recht kompliziert; es laufen parallel mehrere Vernetzungsreaktionen ab. Fest steht, dass die Vernetzung über Schwefelbrücken erfolgt und dass das fertige Elastomer noch einen erheblichen Anteil an Doppelbin- dungen enthält. Der folgende Reaktionsmechanismus, illustriert am Beispiel von in die Hauptkette des EPDM eingebautem 1,4-Hexadien, erscheint vor diesem Hinter- grund plausibel:
1,4-Hexadien Dicyclopentadien Ethylidennorbornen
Abb. 4.7 Beispiele für Diene
Abb. 4.8 Struktur des thermoplastischen Vorproduktes (schematisch, Ausschnitt)
EPDM wird beispielsweise für Dichtungen und Schläuche eingesetzt. Es ist bestän- dig gegen Heißwasser und Heißdampf sowie gegen Säuren, Laugen und polare Lösemittel. Für den Kontakt mit unpolaren Lösemitteln und Ölen ist es nicht geeig- net, da es selbst unpolar ist.
Schließlich sei noch auf das Cycloolefi n- Copolymer ( COC) hingewiesen. Dieser thermoplastische Kunststoff ist erst seit etwa 2000 erhältlich und wird mit Hilfe von Metallocen-Katalysatoren hergestellt. Aufgrund der Auswahl der Monomere ist das COC amorph (TG = ca. 80°C bis 180°C je nach Typ) und hochtransparent. Ferner besitzt es gute mechanische Eigenschaften und die mit r = 1.02 g/cm3 die niedrigste Dichte eines hochtransparenten Kunststoffes.
Als Monomere werden Ethen und besonders sperrige Cycloolefi ne eingesetzt, wel- che eine Kristallisation verhindern und die Glasübergangstemperatur heraufsetzen.
Insbesondere sind hier Norbornen und Tetracyclododecen zu nennen, siehe folgende Abbildung:
2
+ S Hauptkette
Hauptkette
Hauptkette C H2C H2C H C H2 C H2
C H2
C H C H C H3
C H2C H2C H C H2C H2 C H2
C H C H C H2 S C H C H3 C H2
C H2 C H C H2 C H2
C H2
Abb. 4.9 Vulkanisation von EPDM mit Schwefel
121
Norbornen Tetracyclododecen
Abb. 4.10 Sperrige Diene als Monomere für COC
Halogenhaltige Polyolefine
39
Durch Art und Menge der Monomere lassen sich die Eigenschaften in weitem Rah- men variieren. Die Struktur kann (am Beispiel von Norbornen als Cycloolefi n) fol- gendermaßen dargestellt werden:
COC ist für höherwertige Anwendungen geeignet. Als Beispiele seien medizinische Geräte wie Spritzen und Blisterfolien für Medikamente, Verpackungs- und Konden- satorfolien sowie Glasersatz (auch in der Optik) genannt.
4.4. Halogenhaltige Polyolefi ne
Der mengenmäßig wichtigste halogenhaltige Kunststoff ist das Polyvinylchlorid ( PVC). Die Synthese von Polyvinylchlorid durch Polymerisation von Vinylchlorid (Chlorethen) ist durch die folgende Reaktionsgleichung beschrieben:
Es wird radikalisch durch Suspensions-, Emulsions- oder Massepolymerisation her- gestellt.
Bei halogenhaltigen Polyolefi nen wie PVC treten Dipol-Dipol-WW auf, die C-Cl- Bindung ist stark polarisiert, siehe Abb. 1.1. Damit ist die Kraftübertragung zwi- schen verschiedenen Polymermolekülen erleichtert und die Relativbewegung der Ketten erschwert. Die Glasübergangstemperatur ist viel höher als bei PE und PP. Als weitere Eigenschaften seien genannt:
n m
H2C CH2 C H
C H
Abb. 4.11 Schematische Struktur von COC
122
Vinylchlorid (Chlorethen) Polyvinylchlorid n
n H2C CH2
Cl C
H2 C H Cl
Abb. 4.12 Bruttoreaktionsgleichung zur Herstellung von Polyvinylchlorid