von Streßreaktionen (insbesondere neurovegetativer Art) einsetzen kön- nen. Dem Personenkreis selbst sind die hier angesprochenen intrapsychi- schen Abläufe sicherlich nicht be- wußt. Mit diesen aus unserer Sicht bedeutsamen Befunden erfährt die sogenannte „Spannungs-Reduktions- Hypothese“ des Alkoholismus, einem Ätiologiekonzept mit langer Traditi- on, eine eindrucksvolle Stützung.
Das in diesem Aufsatz dargestell- te, neuere Arbeitsfeld innerhalb der Alkoholismusforschung hat unseres Erachtens nicht nur theoretische, son- dern vor allem auch praktische Rele- vanz. Zum einen eröffnet es gute Aus- sichten, daß psychobiologische Mar- ker zur Verfügung gestellt werden können, anhand derer sich feststellen läßt, ob bei einer Person (auch unab- hängig von einer familiären Bela- stung) ein erhöhtes Risiko zur Sucht- entwicklung angenommen werden muß. Darüber hinaus ergeben sich in-
teressante Anwendungsmöglichkei- ten auch in bezug auf den Alkohol- kranken selbst. So könnte während einer stationären Behandlung über ei- ne psychophysiologische Labordia- gnostik geklärt werden, ob bei einem Patienten Alkohol (neurovegetative) Streßreaktionen in ausgeprägtem Maße dämpft. Ein derartiger Befund hätte für eine individuell angelegte Therapieplanung Konsequenzen.
Diese wären nicht in Behandlungsfäl- len indiziert, in denen andere Mecha- nismen einer Suchtentwicklung anzu- nehmen sind.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-231–234 [Heft 5]
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Gen. Psychiat. 1987; 44: 938–941 Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Dr. phil.
Robert Olbrich Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Postfach 12 21 20 68072 Mannheim
A-234
M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG/FÜR SIE REFERIERT
(46) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 5, 31. Januar 1997 In den Jahren 1967 bis 1970 ha-
ben die Epidemiologen der Londoner Medizinischen Fakultät damit begon- nen, alle Bediensteten der britischen Zentralregierung medizinisch und so- zialmedizinisch zu beobachten – es waren zu Beginn 18 133 Männer (von Frauen ist in dem referierten Aufsatz nicht die Rede). Eine der Fragen war:
Was hat der Dienstgrad, und was hat ein nicht (unbedingt) mit dem Dienst- grad zusammenhängendes Merkmal, nämlich der Besitz eines Autos, mit der Sterblichkeit zu tun?
Zunächst wurden aus den jetzt mehr als 25 Jahre laufenden Beob- achtungen die Dienstränge der Un- tersuchungsobjekte ermittelt – ver- gleichbar mit unserem einfachen, mittleren, gehobenen und höheren Dienst. Für die Untersuchung der Mortalität in den Altersgruppen wurde der Auswärtige Dienst nicht berücksichtigt, da die Rangstufen dort ganz anders sind; außerdem die über Neunzigjährigen, weil man mit den wenigen keine fundierte Stati- stik machen kann. Nach vielfältigen statistischen Bereinigungen der er- mittelten Zahlen ergab sich, daß die
Angehörigen des einfachen Dienstes zwischen 40 und 64 Lebensjahren ein mehr als dreifaches Sterberisiko (3,12) aufwiesen als die des höheren Dienstes – die anderen Laufbahnen lagen dazwischen.
Nach dem normalen Pensionie- rungsalter sanken die Differenzen:
zwischen 65 und 69 Lebensjahren auf 1,73, zwischen 70 und 89 Jahren auf 1,86. Dies bedeutet, daß der Unter- schied in der Mortalitätsrate zwar sank, aber trotzdem bestehen blieb.
Die Autoren spekulieren, daß die unterschiedlichen Arbeitsbedingun- gen für die verschiedenen Sterbera- ten verantwortlich sein können. Bei den Autobesitzern aller Laufbahnen waren die Unterschiede geringer – auch im Altersverlauf: Die Nicht- Autobesitzer hatten ein Sterberisiko von jeweils 1,57, 1,37 und 1,34 in den drei Altersgruppen.
Die Interpretation der Ergeb- nisse durch die Autoren gibt Rätsel auf. Ist Autofahren weniger gefähr- lich als Nicht-Autofahren? Unter de- nen, die kein Auto haben, gab es vor der Pensionierung eine um 57 Pro- zent höhere Mortalität als bei den
Autobesitzern, später um 34 Pro- zent. Was die Laufbahnstufen be- trifft, so waren die Unterschiede weit höher: 212 und 86 Prozent vom un- tersten zum höchsten Dienstgrad.
Wer besitzt in den verschiedenen Laufbahnstufen ein Auto? Auch hierfür gibt es Zahlen, allerdings oh- ne große Differenzen: Das Risiko für Nicht-Autobesitzer ist in der ersten Altersgruppe zwischen dem einfa- chen und dem höheren Dienst 2,41 und sinkt nach der Pensionierung auf 1,83 und 1,77. Allerdings: Stellt man die absoluten Zahlen der Probanden einander gegenüber, dann ergibt sich, daß die Zahl der beobachteten Auto- oder Nicht-Autobesitzer nur zwei Drittel der Gesamtzahl umfaßt:
Daß weniger als die Hälfte der Be- diensteten von Whitehall Autobesit- zer seien, wäre erstaunlich. bt Marmot MG, Shipley MJ: Do socioeco- nomic factors in mortality persist after retirement? 25 years follow up of civil servants from the first Whitehall study.
Brit Med J 1996; 313: 1177–1180 Prof. M. G. Marmot, Department of Epi- demiology and Public Health, University College London Medical School, Lon- don WC1E 6BT, England