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Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg

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Herrn Kultusminister Andreas Stoch MdL

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Thouretstraße 6

70173 Stuttgart

Stuttgart, 27. Februar 2014

Stellungnahme der GEW Baden-Württemberg zur Bildungsplanreform 2015

Sehr geehrter Herr Kultusminister Stoch,

GEW und Verbände wurden über den Beirat aufgefordert, zum gegenwärtigen Stand und dem geplanten weiteren Ablauf der Bildungsplanreform 2015 Stellung zu nehmen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kommt dem gerne nach und verbindet damit die Hoffnung, dass Einwände und Kritikpunkte, die bereits weit vor dem eigentlichen Anhörungsverfahren eingebracht wurden, jetzt ernsthaft geprüft und aufgenommen werden.

Die Bildungsplanreform ist auf den Weg zu den Schulen gebracht worden. Inzwischen liegen erste

„Arbeitsfassungen“ von Bildungsplänen für die Grundschule und für die Orientierungsstufe zur Erprobung vor. Der Entwicklungsfortschritt und die Konkretisierungen auf den verschiedenen Ebenen der Reform erlauben es nun, Rückfragen an die Prämissen, Aufträge und Konzepte der Reform zu stellen.

Es ist durchaus verständlich, dass man sich nach dem Start auf einem doch mühsamen Weg durch ein ziemlich unübersichtliches und ungesichertes Gelände nur ungern aufhalten lassen möchte.

Trotzdem rät die GEW dringend dazu, innezuhalten und sich von notwendigen Korrekturen überzeugen zu lassen. Wann, wenn nicht jetzt?

Erinnert sei zunächst an jene Eckpunkte der Reform, denen wir grundsätzlich zustimmen:

• eine Reform, die die Bildungspläne gleichermaßen an die Orientierungspläne der frühkindlichen Bildung wie an die abschlussbezogenen Bildungsstandards der KMK anschließt (vertikale Kohärenz);

• die Formulierung von kompetenzbasierten Bildungsstandards, die die Zielerreichung von Lernprozessen nach Niveaus unterscheidet und nicht nach Schularten (horizontale Kohärenz und Vergleichbarkeit);

• eine Revision der von uns schon 2004 kritisierten Fächerverbünde, nicht, um die Fächer in disziplinäre Eingrenzungen zurückzuführen, sondern um sie aus einer gut fundierten Fachlichkeit heraus für bedeutungsvolle, themenzentrierte Überschreitungen und interdisziplinäre Kooperationen zu öffnen.

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Für eine Revision der „Leitprinzipien“

Beabsichtigt ist derzeit, dass in den Bildungsplänen folgende „Leitprinzipien“ verankert werden sollen:

• Berufliche Orientierung,

• Bildung für nachhaltige Entwicklung,

• Medienbildung,

• Prävention und Gesundheitsförderung,

• Verbraucherbildung.

In ihrer ersten Reaktion im März 2013 machte die GEW unter anderem darauf aufmerksam, dass sie Prinzipien wie „Kulturelle Kohärenz-Interkulturalität“, „Geschlechtersensibilität, „Toleranz und Gleichstellung“ sowie „Friedenserziehung“ vermissen würde. Wenn „Leitprinzipien“ über eine bloß deklamatorische Funktion hinausgehen sollen, müssen sie sich in den Einzelplänen konkretisieren.

Im Zuge dieser Operationalisierung in Form von Kompetenzen und Inhalten wurde der

Bedeutungsgehalt der genannten „Leitprinzipien“ durch inhaltliche Elemente der angemahnten Prinzipien ergänzt. Sieht man davon ab, dass sich die „Leitprinzipien“ ohnehin schon sehr in ihrem Gewicht und in ihrem Bedeutungsumfang unterscheiden, so wird man gleichwohl etwa

„Friedenserziehung“ eher nicht unter dem Kapitel „Prävention und Gesundheitserziehung“ und

„Akzeptanz sexueller Vielfalt“ unter keiner dieser Überschriften vermuten.

Die von der GEW geforderte Aufnahme von Kompetenzen zur "Akzeptanz von sexueller Vielfalt"

durch ihre Integration in die schon vorliegenden "Leitprinzipien" ist - wie auch die öffentliche Diskussion gezeigt hat - misslungen. Deren substantielle Integration unter einem neuen

„Leitprinzip“ wie etwa „Anerkennung gesellschaftlicher und kultureller Diversität“ wäre dringend zu empfehlen.

Ganz grundsätzlich würden wir eine revidierte Formatierung der „Leitprinzipien“ in ihrer Systematik und eine Neubestimmung ihrer Funktion für die einzelnen Bildungspläne sowie für Erziehung und Unterricht begrüßen.

Gemeint sind damit offensichtlich vorfachliche normative Prämissen, die jedem Bildungsplan möglichst explizit und konsensfähig vorausgehen und die sich im Blick auf anzustrebende Einstellungen, Orientierungen und kognitive Bestände meist auf mehrere Fächer und über alle Lernphasen hinweg erstrecken und die einzelnen Curricula mitformen. Es ist nicht abwegig, bei der Begründung solcher Leitziele an die „Zeitsignaturen“ zu erinnern, die die NRW-

Bildungskommission vor etwa zwanzig Jahren (!) beschrieben hat: „Pluralisierung der Lebensformen und der sozialen Beziehungen“, „Veränderung der Welt durch neue Technologien und Medien“,

„die ökologische Frage“, „Bevölkerungsentwicklung und Migration“, „Internationalisierung der Lebensverhältnisse“ und „Wandel der Werte“. Mit solchen Referenzen werden

Aufmerksamkeitsrichtungen einer zeitgemäßen Bildung zum Ausdruck gebracht, wird die ethische, politisch grundlegende und empathische Innenausstattung einer Schule in einer lebendigen Demokratie eingefordert. Es ist nicht zu übersehen, dass hier gleichsam notleidende,

besorgniserregende gesellschaftliche, auch globale Entwicklungstendenzen in „Schulaufgaben“

übersetzt werden, die als „Schlüsselprobleme“ der Gegenwart bearbeitet, deren Unübersichtlichkeit und Konflikthaltigkeit mit Neugier freigelegt und anhand derer belastbare

Handlungsorientierungen ausgebildet werden sollen. Wenn Schule nicht zu einem geistlosen

Lernbetrieb verkommen soll, muss sie sich dafür öffnen ohne sich mit falschen, politisches Handeln ersetzenden Erwartungen überfordern zu lassen. - Es sollen hier keine abschließenden Vorschläge

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für eine Überarbeitung der „Leitprinzipien“ gemacht werden, sondern es soll hier nur das Plädoyer für eine überzeugendere Systematisierung und Formatierung begründet werden.

Fachlichkeit als Problem: „Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung“

Die curriculare Programmatik allgemeinbildender Schulen – von dieser ist hier die Rede – kann und darf weder inhaltlich noch systematisch aus einer didaktisch ungebrochenen Korrespondenz mit den wissenschaftlichen Disziplinen hervorgehen. Es ist nicht zuletzt dieser, bis in die Erstellung von Bildungsplänen hineinwirkenden Korrespondenz von Wissenschaftsdisziplin und Schulfach geschuldet, dass schulisches Lernen – übrigens schon immer – im Sog einer nicht einholbaren und dramatisch expandierenden Wissensproduktion zu verelenden droht und die Didaktik als

Methodenlehre verkümmert. Wenn Schulpolitik und Schule mit guten Gründen dem Ansinnen entgegentreten müssen, für jedes problematisch werdende Thema ein Schulfach einzurichten, dann müssen sich die Schulfächer (wie auch die vorausgehende Lehrerbildung) für affine Wissens- und Lernbereiche und eine interdisziplinäre Kooperation öffnen.

Die aus dem entsprechenden „Leitprinzip“ hervorgehende „Berufliche Orientierung“ kann diese ja keineswegs neue, unstrittige Zielsetzung fächerübergreifend und mit unterschiedlicher

Akzentuierung über die schulischen Lern- und außerschulischen Erfahrungsphasen hinweg verfolgen. Unstrittig ist auch die Bedeutung von Kompetenzen, die die Orientierungs-, Analyse- und Handlungsfähigkeit auch unter ökonomischen Aspekten stützen und stärken. Die

Berufsorientierung bedarf zweifellos auch der Durchdringung der Arbeits- und Wirtschaftswelt als Feld gesellschaftlicher Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten. Aber bedarf es dazu eines eigenen Fachs „Wirtschaft“?

Nachdem dieses Fach auf Kosten der Lernzeitbudgets von Geografie und Politischer Bildung ohne erkennbaren diskursiven Kontext eingeführt werden soll, muss die kritische Debatte um das Fach und seine didaktische Auslegung nachholend geführt werden. Die gleichsam apriorische

Bezugnahme des Faches auf Wirtschaftswissenschaften, die sich paradigmatisch dem Modell des

„homo oeconomicus“ verpflichtet fühlen, bedarf dringend und ganz im Sinne des

„Überwältigungsverbots“ der mehrperspektivischen Relativierung. Eine der Allgemeinbildung verpflichtete ökonomische Bildung kann nicht zulassen, dass im Wege einer fachlichen Arbeitsteilung hier die Themen unter Maximen ökonomischer Rationalität und dort unter Gesichtspunkten von strukturell erzeugter Armut, ökologischer Verantwortbarkeit oder auch des Primats demokratisch legitimierter Politik verhandelt werden.

Von Bildungsstandards zum Unterricht - Was brauchen Lehrerinnen und Lehrer?

Die Bildungsstandards und Kompetenzen der Arbeitsfassungen sind im Vergleich zu denen der Bildungspläne 2004 sehr viel ausführlicher und detaillierter gefasst. Zusammen mit den tabellarisch aufgelisteten Teilkompetenzen beschreiben sie einen Zielhorizont, der aus der Tradition der

Lernzielorientierung gesehen, nicht befremden muss. Soweit wir dies beurteilen können, werden die allgemeinen Kompetenzbeschreibungen von der in der erziehungswissenschaftlichen

Grundsatzdebatte gegen die Kompetenzorientierung vorgetragenen Kritik der Inhaltslosigkeit, der Ignoranz gegenüber Verstehensprozessen und der Zensur durch das Diktat einer testbasierten Kontrollierbarkeit nicht oder kaum getroffen. Auch wenn die Operatorensprache in der

Formulierung der Kompetenzen zuweilen den Eindruck einer testfreundlichen Kontrollierbarkeit erweckt, wird sich die Zielerreichung vieler der inhaltsbezogenen Kompetenzen tatsächlich kaum

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anders und die der prozessbezogenen Kompetenzen gar nicht anders als an den Ergebnissen der üblichen Präsentations-, Produktions- und Leistungsformen beurteilen lassen. Mit der

Operationalisierung der Bildungsstandards („allgemeine Lernziele“) in Teilkompetenzen („Grobziele“) und in Kompetenzraster („Feinziele“) werden die Plankonstrukte freilich von

Problemen eingeholt, von denen sich die Curriculumentwicklung seit mehreren Dekaden nicht hat frei machen können.

(1) Die Projektion der Kompetenzmodelle auf die fachlichen „Wissensdomänen“, die man in der früheren Curriculumforschung auch als „Struktur der Disziplin“ zu fassen versuchte, wird spätestens dann problematisch, wenn erkennbar wird, dass das zwangsläufig

unterstellte fachdidaktische Konzept entweder dem aktuellen Diskussionsstand nicht

entspricht oder sich der Kritik alternativer fachdidaktischer Konzeptionen stellt. Gerade weil den Kompetenzen die sie tragende fachdidaktische Konzeption nicht immer gleich

anzusehen ist, müssen sie expliziert, dem fachdidaktischen Diskurs ausgesetzt und den Lehrkräften transparent gemacht werden.

(2) Der - wie auch immer – konstruierte oder deduzierte Zusammenhang zwischen

Bildungsstandards, Kompetenzen, Teilkompetenzen und Kompetenzraster kann sich auf keine Logik stützen, derzufolge aus einem linearen oder auch additiven „Abarbeiten“ von Teilkompetenzen, wie es etwa die „Lernwegelisten“ vorzeichnen, die komplexen

Könnensformen aufgebaut würden oder die anspruchsvollen Handlungsdispositionen hervorgehen müssten. Das – wie schon bei den Lernzieltaxonomien und

Lernzielhierarchien - ungelöste „Deduktionsproblem“ spricht nicht grundsätzlich gegen die Einbeziehung der Kompetenzraster bei geeigneten Lerngegenständen und für

individualisierte Lernprozesse, erinnert jedoch an deren begrenzte didaktische Tragfähigkeit und Reichweite.

(3) Wenn wir die Perspektive auf die Bildungspläne aus der Sicht von Lehrerinnen und Lehrern einnehmen, die Jahrespläne, Wochenpläne und Unterrichtseinheiten aus diesen übersetzen und entwickeln müssen, dann wird eine erhebliche Kluft zwischen den Zielhorizonten einerseits und den konstruktiven wie arbeitspraktischen Anforderungen andererseits

erkennbar. Zusammengedacht ergeben die Kompetenztabellen zwar eine mehr oder weniger konsistente und überzeugende Vorstellung von dem, was die Schülerinnen und Schüler am Ende auf den je unterschiedlichen Niveaus können sollen. Aber sie ergeben noch keine Projektion von Curricula und Unterricht in ihrer zeitlichen Abfolge, in ihrer stets mehrdimensional bildenden Gleichzeitigkeit und mit ihren Verweisen auf erforderliche Medien und Materialien.

Über die Handreichungen für den individualisierten Unterricht hinaus brauchen Schulen und Lehrkräfte unbedingt Hilfen für eine praxisbezogene Komposition von Teilcurricula und Beispiele für Aufgabenformate, an denen die angestrebten Kompetenzen

zusammengeführt und ausgebildet werden können.

Die Erstellung von Teilcurricula und Unterrichtsentwürfen sollte im Mittelpunkt von schulnahen und auf den Bedarf spezifischer Schul- und Unterrichtskontexte hin angelegter

Fortbildungsveranstaltungen stehen. Dort könnten aus einer interessierten und kritischen

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Aneignung der neuen Bildungspläne Motive für ein innovativ eingreifendes und kooperatives pädagogisches Handeln gedeihen. An keiner Stelle und in keiner Phase des Reformprozesses dürften zusätzliche Investitionen lohnender sein.

Fazit

Mit der Bildungsplanreform 2015 hat die Landesregierung ein notwendiges Vorhaben auf den Weg gebracht, das wir, wie eingangs begründet, voll und ganz unterstützen. Angesichts der zahlreichen ungeklärten Fragen und offenen Punkte ist eine vertiefte Diskussion mit den Beteiligten unbedingt erforderlich. Der bislang vorgesehene sehr enge Zeitplan lässt eine gehaltvolle Debatte jedoch kaum zu. Die GEW schlägt deshalb vor, den Zeitplan um ein Jahr zu strecken. Dies würde auch die Berücksichtigung der Rückmeldungen aus der Erprobung ermöglichen. Den Gemeinschaftsschulen, die ja auf einen horizontal kohärenten Bildungsplan angewiesen sind, könnte man die Option einer Erprobungsschule für den Bildungsplan eröffnen. Sie sind ohnehin prädestiniert dafür.

Die GEW plädiert ausdrücklich dafür, die Qualität und Funktionalität des neuen Bildungsplans zum Maßstab der Umsetzung zu machen. Zeitdruck ist bei Reformen dieser Dimension nicht hilfreich.

Mit freundlichen Grüßen

Doro Moritz

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