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Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen

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Academic year: 2022

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Prof. Dr. iur. Michael Elicker Staatsrechtslehrer

Stellungnahme zu

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN

17. Wahlperiode Drucksache 17/12383 19.01.2021

Gesetzentwurf der Fraktion der AfD

„Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen“

17

STELLUNGNAHME

17/4013

A07

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Mit der Föderalismusreform des Jahres 2009 ist das deutsche Staatsschuldenrecht insbe- sondere durch die Einführung der sog. „Schuldenbremse“ in das Grundgesetz grundle- gend reformiert worden.

Eingebettet ist das Staatsschuldenrecht der Bundesrepublik seit 1993 in Vorgaben des Unionsrechts („Maastricht-Kriterien“ – Stabilitäts- und Wachstumspakt, Art. 126 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insb. Art. 126 Abs. 2 Satz 2 und 3 AEUV i.V.m. dem Protokoll Nr. 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit - sog. „Defizitprotokoll“). Seit 2012 wird es überdies mitgeprägt durch völkerrechtliche Be- stimmungen (Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion - SKSV - vom 2. März 2012, in Kraft getreten am 1. Januar 2013 -„Fiskal- pakt“). Im Laufe der Corona-Pandemie scheinen diese europäischen Vorgaben allerdings EU-weit faktisch bedeutungslos geworden zu sein.

An die Einstandspflichten Deutschlands, die hiermit einhergehen werden in Form des sog.

Corona-Wiederaufbaufonds und weiterer „Rettungsschirme“, muss jetzt schon in besonde- rer Weise bei Anwendung der Haushaltsdisziplin auf den staatlichen Ebenen der Bundes- republik gedacht werden. Die schon in den vergangenen Jahrzehnten kontrovers diskutier- te Staatsschuldenproblematik wird durch die Folgen der Pandemie und das Ausscheiden des Netto-Zahlers Großbritannien aus der EU weiter an Brisanz gewinnen. Und wie so- gleich gezeigt werden wird, ist die „Schuldenbremse" nun einmal nur effektiv, wenn sie auch in den Verfassungstext des jeweiligen Landes übernommen wird.

Durch verfassungsänderndes Gesetz vom 29. Juli 2009 wurde unter anderem Art. 109 Abs. 3 in das Grundgesetz eingefügt. Die für die Länder maßgeblichen Sätze dieser Vor- schrift lauten wie folgt:

„(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Kredi- ten auszugleichen. 2Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichen- den konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. 3Für die Ausnahmerege- lung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. […] 5Die nähere Ausgestaltung

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für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kom- petenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.“

Art. 109 GG greift unmittelbar auf die Länder durch, so dass die Länder mit ihrem Landes- recht nicht von den Vorgaben der „Schuldenbremse“ abweichen können. Widersprechen- des Landesrecht wäre gemäß Art. 31 GG nichtig und unwirksam. Bei den genannten Re- gelungen des Art. 109 GG handelt es sich um sog. Durchgriffsnormen, die unmittelbar auch für die Länder gelten, deren Organe unmittelbar verpflichten, jedoch ohne selbst Be- standteil der jeweiligen Landesverfassung zu werden (letzteres wären sog. „Bestandteils- normen“). Den Ländern war für die Umsetzung durch Art. 143d Abs. 1 Satz 3 GG eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2019 eingeräumt.

Nun ist es noch herrschende Meinung, dass die grundgesetzliche Schuldenbremse auf Landesebene zwar einfachgesetzlich, nicht aber notwendigerweise auch ausdrücklich im Wortlaut der Landesverfassung umgesetzt werden müsse. Gleichwohl haben die befrag- ten Staatsrechtslehrer - egal welcher politischen Couleur - in den Anhörungen zu den Ge- setzgebungsverfahren auf Landesebene durchweg dafür plädiert, die Schuldenbremse in den Text der Landesverfassung selbst aufzunehmen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Es kann für ein Bundesland nicht wünschenswert sein, eine Verfassung zu haben, die in großen Teilen aufgrund Art. 31 GG unwirksam geworden ist und daher die grundle- gende rechtliche Ordnung des Landes in falscher Weise gegenüber Bürgern und Verfas- sungsakteuren deklariert. So etwas zuzulassen, ginge stark in die Richtung, sich als Land abzuschaffen.

Zwar herrschte - auch in der juristischen Ausbildung - über Jahrzehnte ein defizitäres In- teresse an den Landesverfassungen vor. Dies hat sich aber umgekehrt durch den starken Bedeutungszuwachs der Landesverfassungen in den letzten 30 Jahren, was zunächst mit einer zeitgemäßen Verfassunggebung in den neuen Ländern zusammenhängt, aber auch mit Änderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die die Bedeutung von Landesverfassungen und der Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder gerade in staatsorganisatorischen Angelegenheiten stark anhoben. Vor allem sollte das größte Land der Bundesrepublik sich nicht die Blöße geben, die eigene Verfassung nicht ajour zu hal- ten.

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Die Bürger des Landes, die politischen Akteure und vor allem die Verfassungsorgane soll- ten der eigenen Verfassung die geltende Rechtslage entnehmen können. Wenn gerade festgestellt wurde, dass die Übernahme in den Verfassungstext des Landes vom Grund- gesetz nicht zwingend gefordert sei, dann bezieht sich das auf das Verfassungsrecht des Bundes, nicht des einzelnen Landes. Sehr viel interessanter ist die Frage, ob das Landes- verfassungsrecht selbst es zulassen kann, dass in der Verfassungsurkunde immer mehr (teilweise) unwirksame Regelungen stehen, ganz als ob sie wirksam seien und sowohl Bürger als auch Verfassungsakteure am Ende nicht mehr erkennen können, welche Teile nun gelten und welche nichtig sind. Insofern kann hier nur auf die in der Literatur vorzüg- lich und umfänglich aufgearbeitete Diskussion um die Funktionen des Textes der Verfas- sungsurkunde hingewiesen werden und auf das ausdrückliche Verbot der Verfassungs- durchbrechung - also das insbesondere den Bürger schützende Verbot einer Verfas- sungsänderung ohne Änderung ihres Wortlauts. Selbst wenn man diese grundlegenden Erwägungen nicht auf Verfassungsänderungen durch die Bundesebene in den Ländern bezöge, geht mit der stillen Verfassungsänderung ein Verlust der Autorität und Praktikabili- tät der ganzen Verfassung einher.

Aber auch in dieser Warn- und Deklarationsfunktion, denen der Verfassungstext hinsicht- lich der Schuldenbremse auf jeden Fall gerecht werden sollte, erschöpft sich das Argu- ment für die Übernahme in die Landesverfassung noch lange nicht.

Es ist vielmehr in erster Linie das Problem der sog. „formellen Justitiabilität“ der Schulden- bremse, die nur durch die Aufnahme in den Verfassungstext einigermaßen befriedigend gelöst werden kann.

Es ist bekannt, dass die verfassungsrechtlichen Schuldengrenzen in der Geschichte der Bundesrepublik sehr selten getreulich eingehalten wurden. So sollte mit der Haushalts- rechtsreform 1969 die Möglichkeit einer antizyklischen Konjunkturpolitik im „keynesiani- schen“ Sinne geschaffen werden. Diesem Schema folgte der Haushaltsgesetzgeber für genau einen Konjunkturzyklus, d.h. die zusätzlich aufgenommenen Schulden wurden mit anziehender Konjunktur auch wieder zurückgeführt. Genau ein Mal. Danach nutze man die Abschaffung des materiellen Haushaltsausgleichs bekanntlich für eine immer weiter in die Verschuldung führende Kreditfinanzierung insbesondere von konsumtiv wirkenden So- zialleistungen.

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Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Schuldenbremse nur dann funk- tionieren wird, wenn die Einhaltung der Verschuldungsgrenzen auch kontrolliert werden kann.

Man kann es auch so formulieren: Der Erfolg einer „Schuldenbremse" hängt davon ab, ob es Instanzen gibt, die ihre Einhaltung in effektiver Weise kontrollieren können und ob es Anstoßgeber gibt, die eine solche Überprüfung herbeiführen können. Eine solche „formelle Justitiabilität“ ist auch durch Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gefordert.

Korioth, Länderautonomie in der Verschuldungspolitik. In: Konrad, Kai A. / Jochim- sen, Beate (Hg.): Föderalismuskommission II: Neuordnung von Autonomie und Verantwortung. Frankfurt a. M. 2008, S. 35.

Die materielle Justitiabilität der Finanzverfassung hat das Bundesverfassungsgericht ent- gegen anderslautenden Literaturmeinungen ausdrücklich festgestellt - es handele sich nicht um Verfassungsrecht „minderer Normativität“.

BVerfGE 39, 96 (109); 41, 291 (311); 55, 274 (301); 72, 330 (388).

Worin kann nun aber diese - gerade vor dem Hintergrund eines allzu freimütigen Umgangs in der Vergangenheit - durch unsere wichtigsten Verfassungsprinzipien geforderte Kontrol- le erkannt werden?

Die formelle Justitiabilität der jeweils geltenden Schuldengrenzen hat sich durch die feh- lende Übernahme in die Verfassung für Nordrhein-Westfalen in Wahrheit in Luft aufgelöst.

Der Bürger kann das Haushaltsgesetz nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde angrei- fen, da er nicht unmittelbar selbst betroffen ist.

Vgl. BVerfGE 123, 186, 227.

Auch organschaftliche Kompetenzen oder Statusrechte werden durch Haushaltsgesetze in der Regel nicht verletzt sein, sodass der Verfassungsorganstreit grundsätzlich nicht in Be- tracht kommt, jedenfalls nicht . Ein Bund-Länder-Streitverfahren gegen ein Land, das die Schuldenbremse verletzt, wird ebenfalls als unzulässig anzusehen sein.

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Koemm, Wie justitiabel ist die Schuldenbremse des Grundgesetzes?, Journal für Generationengerechtigkeit 13 (2013), 2, pp. 79-86.

Somit kommt nur die abstrakte Normenkontrolle als objektives Beanstandungsverfahren in Betracht.

Die parlamentarische Opposition Nordrhein-Westfalens, der diese Kontrollfunktion zu- kommen sollte, hat hierzu allerdings kein Antragsrecht beim Bundesverfassungsgericht.

Beim Verfassungsgerichtshof des Landes kann sie aber die nun geltende Schuldengrenze ebenfalls nicht zur Überprüfung stellen, weil die grundgesetzlichen Regelungen zur Schul- denbremse als Durchgriffsnormen - im Gegensatz zu Bestandteilsnormen - nicht Teil der Verfassung Nordrhein-Westfalens sind.

Gerade der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen aber hat in der Vergangenheit die Notwendigkeit einer effektiven Kontrolle des Haushaltsgesetzes in herausragender Weise betont.

VerfGH NRW, Urteil vom 12.03.2013 - VerfGH 7/11, Deutsches Verwaltungsblatt, Jg. 2011, 554; VerfGH NRW, Urteil vom 15. März 2011 - VerfGH 20/10; VerfGH NRW, Beschluss vom 18. Januar 2011, VerfGH 19/10, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter, Jg. 2011, 216.

Die Kontrolle durch den Landesrechnungshof, der freilich am gesamten einschlägigen Recht messen kann, ist demgegenüber nicht gleichwertig, schon weil die Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse viel zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit findet und der Rech- nungshof von den politischen Akteuren - auch mangels Durchsetzungsmöglichkeiten - oft nicht ernst genug genommen wird.

Der mit der Föderalismusreform 2009 neu geschaffene „Stabilitätsrat“ schließlich setzt sich nach § 1 Abs. 1 StabiRatG

„Gesetz zur Errichtung eines Stabilitätsrats und zur Vermeidung von Haushalts- notlagen“ (Stabilitätsratsgesetz), Art. 13 des Begleitgesetz zur zweiten Föderalis- musreform vom 10. August 2009, BGBl. I, S. 2705.

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aus den Finanzministern von Bund und Ländern sowie dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie zusammen.

Koemm, Wie justitiabel ist die Schuldenbremse des Grundgesetzes?, Journal für Generationengerechtigkeit 13 (2013), S. 79 (81 f.).

Würde man ihn als valide Kontrollinstanz ausgeben, so würde man „den Bock zum Gärt- ner“ machen. Auch er kann ganz offenkundig eine richterliche Überprüfungsmöglichkeit nicht ersetzen.

Deswegen ist es unverzichtbar, die Schuldenbremse als Inhalt auch in die eigene Verfas- sung hineinzuschreiben.

Der von Waldhoff übernommene konkrete Formulierungsvorschlag sollte noch dahinge- hend präzisiert werden, für welche Zwecke die Nettokreditaufnahmen in konjunktur- und notlagenbedingten Sondersituationen verausgabt werden dürfen, also z.B. Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen oder unmittelbare Maßnahmen zur Abwehr der Notlage. Zu Zei- ten von Corona hat sich nämlich gezeigt, dass viel zu viel Geld aus den vorgeblichen Co- rona-Haushalten abgezweigt wird für „bunte Politikprojekte“ aller Art, die wieder den Par- teigängern der regierungstragenden Parteien zugute kommen anstatt der Allgemeinheit.

4. Mai 2021

Prof. Dr. iur. habil. Michael Elicker Staatsrechtslehrer

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