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Die Bibliothek der Zukunft: Vielleicht gar nicht so revolutionär, wie man sie sich vorstellt?

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Academic year: 2022

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www.b-i-t-online.de 22 (2019) Nr. 3 online

Bibliothek. Information. Technologie.

 201

EDITORIAL

Die Bibliothek der Zukunft: Vielleicht gar nicht so revolutionär, wie man sie sich vorstellt?

Chefredakteur Dr. Rafael Ball Direktor der ETH-Bibliothek Zürich

Roboter gehen im Lesesaal umher und stehen für alle Fragen der Nutzer zur Verfügung, sie beherrschen das komplette Wikipedia-Wissen und sind perfekt mit den Dienstleistun- gen und Produkten der Bibliothek vertraut. Sie sprechen natürliche Sprachen, selbstverständlich antworten sie in der jeweiligen Landesprache dessen der sie anspricht.

Mehrsprachigkeit ist kein Problem mehr. Anfragen nach analogen Medien wie Lehrbüchern oder älterer, noch nicht digitalisierter Literatur werden nicht nur sofort kompetent beantwortet, eine Weiterleitung an den Serviceroboter sorgt dafür, dass die verlangte Literatur sofort aus dem Magazin gebracht und bei Interesse digitalisiert wird. Elektronische Literatur und allgemeine Anfragen werden drahtlos und sofort an den automatisch erkannten Account des Nut- zers oder der Nutzerin übertragen, die Ergebnisliste samt Erläuterungen und Analysen liegen auf dem elektronischen Workpad der Nutzer bereit. Selbstverständlich wurden alle diese Informationen im Backoffice von intelligenten Algorith- men vor- und aufbereitet. Text-, Daten und Inhaltanalysen sind Standardangebote einer wissenschaftlichen Bibliothek der Zukunft, alle verfügbaren Inhalte, ob vor oder hinter der Paywall, werden zu intelligenten Datensätzen verknüpft, analysiert und ausgewertet. Auf den unterschiedlichsten, individuell bestellbaren Aggregationsebenen werden die Ergebnisse zusammengefasst und bereitgestellt. Weder Schnittstellen noch Datenformate sind ein Thema, seit Big Data Technologien jede Art von strukturierten und unstruk- turierten Daten sinnvoll verarbeiten.

Bei der Planung von Experimenten und anderen Wissen- schaftsaktivitäten werden auf Wunsch der Forscherinnen spezielle und individuelle Designs für das jeweilige For- schungsvorhaben vorgeschlagen, aus denen der Forscher dann ein passendes auswählen kann. Wird der Zugang zu den Geräten und Maschinen im Labor freigegeben, werden die Parameter sofort ins Labor geschaltet und die Geräte entsprechend justiert und parametrisiert. Die eigentliche wissenschaftlich-kognitiv Leistung kann sich dann nur noch auf die intellektuelle Auswertung und Interpretation der Ergebnisse sowie das Einordnen in den gesamtwissenschaft- lichen Kontext beschränken. Auch hierbei werden wieder Interpretationshilfen aus der Bibliothek angeboten: Durch die Auswertung von Millionen von Experimenten weltweit machen die Systeme der Bibliothek dem Forschenden einen Interpretationsvorschlag. Die Entwicklung der Forschungs- fragen bleibt jedoch vorerst das intellektuelle Highlight für die Forschenden. Aber auch hier werden Systeme vorbe- reitet, die Ideen für Forschungsfragen auf der Basis des weltweiten Gesamtmaterials vorschlagen.

Damit wird – zumindest in diesem Zukunftsszenario – ein Großteil der wissenschaftlichen Vor- und Nacharbeiten direkt durch die Bibliothek geleistet.

Auch wenn wir heute soweit noch nicht sind, ist es hilfreich genau hinzusehen, wo der Schuh in Wissenschaft und For- schung drückt und wie Bibliothekarinnen hier helfen können.

Es ergeben sich eine ganze Reihe von Angebotsmöglichkei- ten, die ganz und gar nicht visionär oder utopisch anmuten, aber dennoch bislang kaum in bibliothekarischen Portfolios zu finden sind.

Pre- und Postpublishing Services könnte man sie nennen – also jene Aufgaben, die (junge) Forscherinnen zu leisten haben, wenn sie ihre Experimente abgeschlossen haben und die Paper einreichen und veröffentlichen möchten. Denn der Elan der Forscher endet meist mit dem Abschluss des Experiments – alles was danach kommt ist „notwendiges Übel“. Hier kann die Bibliothek, hier können Bibliotheka- rinnen und Bibliothekare einspringen und mit Diensten unterstützen, die den Forscher von derlei (administrativen) Aufgaben entlasten. Dies ist umso sinnvoller, da hier das Prinzip der „Production of Scale“ greift: Wer als Wissen- schaftler publiziert hundertmal beim gleichen Verlag und in der gleichen Zeitschrift? In der Bibliothek genügt es, sich die Prozesse und Verfahren einmal anzueignen, um sie hundert- fach weitergeben und Anfragen erledigen zu können – an jeweils andere Wissenschaftlerinnen. Auch damit lohnt sich das Geschäftsfeld der Pre- und Postpublishingdienste. Dazu gehören etwa Sprachberatung, Übersetzungsleistungen, Formate- und Datenmanagement, Zitierregeln, Systembe- herrschung beim Einspeisen in die Publishingsysteme der Verlage, Abrechnungen von Zusatzkosten wie Page Charges, Colour Charges, Open Access-Gebühren oder die (juristi- sche) Prüfung der Autorenverträge und vieles andere mehr.

Da entstehen Geschäftsfelder, die bislang nur sehr zaghaft in Angriff genommen worden sind, weil sie eine Neuausrich- tung des Dienstleistungsportfolios und der Qualifikation des Personals erfordern. Aber auch hier gilt Gorbatschows viel zitierter Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.

Denn wer mit offenen Augen durch die Startup-Szene läuft sieht, dass genau diese Dienstleistungen bereits Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftlern direkt (an der Biblio- thek vorbei) angeboten werden – als kommerzielles Produkt.

Es wäre fatal, wenn Bibliotheken sich hier den Schneid abkau- fen lassen würden, nur weil sie die Ideen und Geschäftsfelder solange prüfen, bis der Markt Tatsachen geschaffen hat.

Herzlich Ihr Rafael Ball

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