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Lateinamerikanische Forschungen

Band 48

Herausgegeben von

Thomas Duve, Debora Gerstenberger, Christine Hatzky, Silke Hensel, Ulrich Mücke und Barbara Potthast Begründet von

Richard Konetzke (†) und Hermann Kellenbenz (†) Fortgeführt von

Günter Kahle (†), Hans-Joachim König, Horst Pietschmann, Hans Pohl, Peer Schmidt (†)

»Lateinamerikanische Forschungen« ist die Fortsetzung der Reihe

»Lateinamerikanische Forschungen. Beihefte zum Jahrbuch für

Geschichte Lateinamerikas«. Die Bandzählung wird fortgeführt.

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Katharina Schembs

Der Arbeiter als Zukunftsträger der Nation

Bildpropaganda im faschistischen Italien und im peronistischen Argentinien in transnationaler Perspektive (1922–1955)

Mit 95 Abbildungen

B Ö HLAU VERLAG WIEN K Ö LN WEIMAR

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetþber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

2018 by Bçhlau Verlag GmbH&Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Kçln

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt.

Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Giacinto Mondaini, »IX. Internationaler Automobilsalon«, Plakat (137 x 97 cm), Italien 1936. Civica Raccolta delle Stampe Achille Bertarelli, Castello Sforzesco, Mailand. / Ramos, »Perón hÐlt sein Wort. Sie gehçren schon uns!«, Plakat, Argentinien 1948. Archivo General de la Nación, Argentinien.

Vandenhoeck&Ruprecht Verlagejwww.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 0460-1467

ISBN 978-3-412-51286-6

(6)

Inhalt

Danksagung . . . 7

1 Einleitung . . . 9

1.1 Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung . . . 10

1.2 Definitionen, Quellen und Methodik . . . 25

2 Argentinien »colonia d’Italia«? Die italienisch-argentinischen Beziehungen 1922–1945 . . . 37

2.1 Italienische Emigration und faschistische Auslandspropaganda in Argentinien . . . 39

2.2 Argentinischer Nationalismus und die Rezeption des italienischen Faschismus bis zum Aufstieg Perjns . . . 52

3 Kulturpolitische Institutionen und Reformen im faschistischen Italien und im peronistischen Argentinien . . . 61

3.1 Ministerien, Staatssekretariate und die Produktion der Bildpropaganda . . . 63

3.2 Künstler und Grafiker im Dienst der Regime . . . 78

4 »Avantgarde« und »Hoffnung des Vaterlands der Zukunft«: Die Figur des Arbeiters in der Bildpropaganda des Faschismus und des Peronismus . . . 89

4.1 Ideologie und Aufwertung der Arbeiterfigur . . . 91

4.2 Sozialpolitik gegen Produktivität: Der Arbeiter als Empfänger sozialpolitischer Leistungen und als Produzent . . . 116

4.3 Stadt vs. Land? Bauern und Industriearbeiter in Italien und Argentinien . . . 127

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5 »Mussolini lavoratore« und Perjn als »primer trabajador«.

Propagandistische Darstellungen der Regierungschefs als vorbildliche

Arbeiter . . . 147

5.1 Neue Politikertypen . . . 149

5.2 Mussolini bei der Getreideernte und Perjn in Latzhosen . . . 173

5.3 Geteilte charismatische Herrschaft: Evita als »Vorkämpferin der Arbeit« . . . 182

6 Von Müttern, Krankenschwestern und Wählerinnen: Repräsentationen weiblicher Arbeit in der Bildpropaganda . . . 197

6.1 »Komplementarität« von männlicher und weiblicher Arbeit: Die Mutterrolle . . . 198

6.2 Die Frau als Arbeiterin . . . 213

6.3 Politisierung der weiblichen Bevölkerung und neue Aufgaben: Die Frauenorganisationen . . . 223

7 Das »Heer von Morgen« und »kleine Arbeiter«: Jugend, Arbeit und Berufsbildung . . . 237

7.1 Kinder und Jugendliche als neue politische Subjekte . . . 239

7.2 Bildungsreformen und die Politisierung der Lehrinhalte: Illustrationen in Schulbüchern . . . 250

7.3 Das Thema der Berufsbildung in der visuellen Propaganda . . . . 266

8 Arbeit, nationale Identitätsentwürfe und Feindbilder . . . 281

8.1 »Unzivilisierte Afrikaner« und »jüdische Parasiten« in der faschistischen Bildpropaganda . . . 282

8.2 Klasse statt ›Rasse‹ in der visuellen Propaganda unter Perjn . . . . 302

9 Fazit und Ausblick . . . 323

Abkürzungsverzeichnis . . . 343

Abbildungsverzeichnis . . . 345

Literaturverzeichnis . . . 351

Quellen . . . 351

Sekundärliteratur . . . 354 Inhalt 6

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Danksagung

Mein Dank gebührt an erster Stelle Prof. Alexander Nützenadel, mit dem zu- sammen das Dissertationsprojekt entstanden ist und für das erfolgreich Fi- nanzierung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworben werden konnte. Im Verlauf des Projektes kamen von ihm in Gesprächen und im Rahmen des Kolloquiums immer wieder wichtige Denkanstöße, die die Arbeit sehr be- reichert haben. Auch möchte ich mich ganz herzlich bei Prof. Stefan Rinke bedanken, der ohne Zögern die Zweitbetreuungübernahm und vor allem für den lateinamerikanischen Teil des Projektes wesentliche Hinweise gab.

Den verschiedenen MitdoktorandInnen und Mitgliedern der Kolloquien beider Professoren, mit denen ich das Forschungsprojekt in unterschiedlichen Stadien gewinnbringend diskutieren konnte, sei ebenfalls gedankt. Die zeit- weilige Unterstützung durch meine studentische Hilfskraft, Giorgio del Vecchio, beim Aufbau einer Bilddatenbank und der sonstigen Systematisierung des Ar- chivmaterials war unerlässlich. Grazie mille!

Bedanken möchte ich mich auch bei den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern staatlicher und privater Archive und Sammlungen in Italien und Argentinien, die mir den Zugang zu Archivmaterialien ermöglicht haben und mich ansonsten bei den Recherchearbeiten unterstützt haben. Stellvertretend seien hier Matteo Fochessati, Massimo und Sonia Cirulli sowie Silvana Castro und Dar&o Pulfer genannt.

Zentral für die Entstehung dieses Buches waren auch viele FreundInnen, KollegInnen und KorrekturleserInnen, die mir in Diskussionen und durch ihre Kommentare sehr weiter geholfen haben. Mein Dank geht insbesondere an Alina Enzensberger, Antonio Carbone, Cristina Alarcjn, Sadia Bajwa, Manju Ludwig, Anna Bessler und Toni Morant i AriÇo. Für den letzten Korrekturdurchgang möchte ich meiner sicherlich ausdauerndsten Leserin, Martina Rödinger- Schembs, ganz herzlich danken.Überhaupt wäre die Durchführung des Pro- jektes ohne die bedingungslose Unterstützung meiner Familie so nicht möglich gewesen. Vielen Dank dafür!

Köln im Mai 2018 Katharina Schembs

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1 Einleitung

Eine mächtige Arbeiterfigurüberragt eine Industrieszenerie mit Fabrikgebäu- den (Abb. 1, S. 10). Von der Stirn bis zu den Oberschenkeln ansichtig, trägt sie ein dunkles Hemd und bräunliche Latzhosen. Mit ihren starken, massiven Händen umfasst sie einmal vorderseitig, einmal von hinten ein Schriftbanner.

Die Hemdsärmel sind hochgekrempelt. Aus der Untersicht gezeigt, hat der Ar- beiter seinen starren Blick über den Betrachter hinweg gerichtet. Die Beine deuten eine Schrittstellung an, die Figur ist in Bewegung. Ihr zuunterst sind in kleinerem Maßstab einige Fahrzeuge angeordnet, ein mit schemenhaft er- kennbaren Personen bestückter Lastwagen und drei weitere Pkws. Ein zweites Plakat zeigt einen nahezu identischen Arbeiter (Abb. 2, S. 10). Der Körperaus- schnitt ist derselbe, die Kleidung mit Latzhose und Hemd stimmt bis auf wenige Details überein, ebenso die Handhaltung, mit der in diesem Fall jedoch eine dunkel-glänzende Lokomotive in Miniatur getragen wird. Die einzigen Unter- schiede liegen neben der helleren Farbigkeit der Figur im Hut und weißen Halstuch. Im Hintergrund sind blass mit hellblauen und weißen Streifen die argentinischen Nationalfarben angedeutet.

Während das erste Plakat aus Italien und dem Jahr 1936 stammt, handelt es sich bei dem zweiten, wie durch die Farbgebung des Hintergrunds ersichtlich, um ein argentinisches von 1948. Auf dem italienischen Exemplar wird für eine Automobilausstellung in Mailand während des Faschismus (1922–1943/45) ge- worben. Thema des zwölf Jahr jüngeren Plakats aus Argentinien ist hingegen die Nationalisierung der Eisenbahn unter der Regierung von Juan Domingo Perjn (1946–1955). Die frappierendeÜbereinstimmung der Arbeiterfiguren gibt An- lass zu der Frage, wie es zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in verschiedenen nationalen Kontexten zu einerähnlichen Bildsprache in der staatlichen Propa- ganda1kam. Denn bei den inhaltlichen und stilistischenÜbereinstimmungen der beiden Plakate handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Arbeiterfi- guren stellten auf vielen weiteren Propagandaplakaten und -illustrationen unter 1 In Kapitel 1.2 folgt eine ausführliche Definition des Propagandabegriffs.

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beiden Regimen die Hauptprotagonisten dar. In diesem Medium tauchten sie als Nutznießer der verabschiedeten Sozialreformen auf, als landwirtschaftliche und industrielle Produzenten oder, indem der Fortbestand des politischen Systems an ihren Arbeitseinsatz gekoppelt wurde, als Zukunftsträger der Nation.

Abb. 1: Giacinto Mondaini, »IX. Internationaler Automobilsalon«, Plakat (137 x 97 cm), Italien 1936.

Abb. 2: Ramos, »Perjn hält sein Wort. Sie gehören schon uns!«, Plakat, Argentinien 1948.

1.1 Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung

Wie viele andere Nationalregierungen in der Zwischenkriegszeit ging auch das faschistische Regime in Italien ab 1922 daran, die Wirtschafts- und Arbeits- ordnung des Landes zu reformieren. Dabeiübernahm es mit dem Aufbau eines korporativistischen Systems weltweit eine Vorreiterrolle. Die berufsständische vertikale Neuordnung der Wirtschaft, die sämtliche Arbeitgeber und -nehmer in staatlich kontrollierten Korporationen zusammenführte, sollteüberkommene Klassenkonflikte befrieden. Zwar führte die korporativistische Reformpolitik einerseits vielfach zu ersten sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Regelun- gen, andererseits aber auch zur Unterbindung von Streiks sowie zur strikten Einleitung 10

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Kontrolle der Arbeitsbeziehungen durch das faschistische Regime.2Wenngleich die Institutionalisierung der korporativen Organe nur schleppend verlief und ihre Funktionalität bereits zeitgenössisch angezweifelt wurde,3 stellte der auf- zubauendeStato Corporativo– und mit ihm die Arbeitsthematik – einen umso wichtigeren Gegenstand der staatlichen Propaganda dar. Der Korporativismus diente keineswegs ausschließlich als wirtschaftliches Reformprogramm, son- dern in der Sicht der Faschisten auch als nationale und soziale »Integrations- ideologie«,4die zurÜberwindung der regionalen Zersplitterung Italiens und der sozialen Unruhen der Nachkriegsjahre beitragen sollte.5 Ebenso spielte der Korporativismus eine wichtige Rolle in der Selbstrepräsentation des Faschismus als revolutionäres Regime, wies er doch in der Tat vor 1919 »keine ideologische Genealogie« auf.6 Die Erfindung und Konsolidierung einer neuen politischen Identität, mit der im ultranationalistischen Faschismus der Anspruch verbun- den war, dass sie mit der nationalen Identität koinzidierte, betrieb das faschis- tische Regime wesentlich im Medium der visuellen Propaganda.7

Der Korporativismus erwies sich nicht nur als für die italienischen Innen- politik relevant, sondern war zudem Gegenstand der Auslandspropaganda und als solcher »wichtigste[r] ideologische[r] Exportartikel« des faschistischen Re- gimes.8Beworben alsterza via, als »dritter Weg« zwischen liberalem Kapita- lismus und marxistischem Sozialismus, erschien der corporativismo zeitge- nössisch auch vielen lateinamerikanischen Wirtschaftsexperten und Politikern als attraktiver Weg der Krisenbewältigung.9In Argentinien scheiterten jedoch erste Versuche des Präsidenten Jos8 Felix Uriburu Anfang der 1930er Jahre, 2 Alessio Gagliardi,Il corporativismo fascista, Rom 2010, S. IXf.

3 Ebd., S. VII.

4 Alexander Nützenadel,Landwirtschaft, Staat und Autarkie. Agrarpolitik im faschistischen Italien (1922–1943), Tübingen 1997, S. 45, 73–108, 323–344: Als »nationale Integrations- ideologie« hat Alexander Nützenadel den faschistischen »Ruralismus« bezeichnet, der we- sentlich auf der korporativen Umgestaltung des Agrarsektors basierte.

5 Patrizia Dogliani,Il fascismo degli Italiani. Una storia sociale, Mailand 2008, S. 4, 18, 23.

6 Pierangelo Schiera, Korporativismus im Faschismus. Nur Element der Systemsteuerung oder notwendige pluralistische Komponente des italienischen Totalitarismus?, in: Gerd Bender/

Rainer Maria Kiesow/Dieter Simon (Hg.),Das Europa der Diktatur. Steuerung, Wirtschaft, Recht, Baden-Baden 2002, S. 53–75, hier S. 70f.; Simonetta Falasca-Zamponi,Fascist spectacle.

The aesthetics of power in Mussolini’s Italy, Berkeley 1997, S. 132.

7 Stanley G. Payne,Fascism, comparison and definition, Madison 1980, S. 7; Emilio Gentile, La nazione del fascismo. Alle origini del declino dello Stato nazionale, in: Arduino Agnelli/

Giovanni Spadolini (Hg.),Nazione e nazionalit/ in Italia. Dall’alba del secolo ai nostri giorni, Rom 1994, S. 65–124, hier S. 65f.

8 Alexander Nützenadel, Korporativismus und Landwirtschaft im faschistischen Italien, in:

Aldo Mazzacane/Alessandro Somma/Michael Stolleis (Hg.),Korporativismus in den südeu- ropäischen Diktaturen, Frankfurt 2005, S. 345–364, hier S. 345.

9 Howard J. Wiarda, Los Or&genes Corporativos de los Sistemas Ib8ricos y Latinamericanos de Relaciones Laborales, in:Estudios sociales(1979) H. 21, S. 11–44, hier S. 18.

Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung 11

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korporativistische Reformen zu verabschieden.10 Erst Juan Domingo Perjn gelang es ab 1943 in seiner Rolle als Staatssekretär für Arbeit und schließlich als Präsident ab 1946, die argentinische Wirtschaft nach korporativistischen Leit- linien umzuformen.11Dabei bezog er sich explizit auf Lehren, die er während eines Italienaufenthaltes in den Jahren 1939 bis 1941 gezogen hatte.12Im Rahmen seines Reformprogramms vereinheitlichte Perjn das Gewerkschaftswesen und stellte es unter strikte staatliche Kontrolle. Von dem unter Perjn neu gegrün- deten Arbeitsministerium ging eine breite Sozialgesetzgebung aus, mit der er auf bis dato weitestgehend ungeregelte Arbeitsverhältnisse reagierte und somit Gewerkschaften und arbeitende Schichten als Hauptstützen seines Regimes gewann.13 Die Arbeits- und Sozialreformen wurden ebenso umfassend von einem dem italienischen Faschismus nachempfundenen staatlichen Propagan- daapparat beworben. Dadurch versuchte sich der der Peronismus als eine seit 1943 neu entstandene politische Bewegung, eine politische Identität zu geben.

Ein Charakteristikum des national-populistischen peronistischen Regimes14war es ebenso, dass damit der Vorschlag einer neuartigen Konzeption von Staats- bürgerschaft und somit einer neuen nationalen Identität verbunden war.15

Thema der vorliegenden Arbeit sind Prozesse politischer und nationaler Identitätsbildung im Medium der visuellen Propaganda in der Zwischen- und unmittelbaren Nachkriegszeit. Damit reagierten Regime auf von ihnen attes- tierte Krisen. Inhaltlich basierten die Vorschläge neuer Identitäten in den in dieser Studie untersuchten Fällen des italienischen Faschismus und des Pero- nismus auf der Neuregelung der Arbeitsbeziehungen nach korporativistischen Prinzipien. Unter den Massenmedien, die erstmals von politischer Seite im großen Stil genutzt wurden, spielten insbesondere Bildmedien eine wichtige Rolle, fassten beide Regime sie doch als effektivste Mittel auf, um die Bürger zu neuen Identitäten zu erziehen. Durch den weitläufigen Einsatz von Plakaten, Flugblättern und anderem visuellen Propagandamaterial sollten nicht zuletzt

10 Howard J. Wiarda, Corporatist Theory and Ideology. A Latin American Development Pa- radigm, in: Jorge I. Dom&nguez (Hg.),The Roman Catholic Church in Latin America, New York 1994, S. 217–244, hier S. 231; Linda Chen, Corporatism under Attack? Authoritari- anism, Democracy, and Labor in Contemporary Argentina, in: Howard J. Wiarda (Hg.), Authoritarianism and Corporatism in Latin America – Revisited, Gainesville 2004, S. 197–

217, hier S. 200.

11 Chen, Corporatism under Attack?, S. 200.

12 Norberto Galasso,Perjn, Buenos Aires 2005, S. 122f.

13 Wiarda, Los Or&genes Corporativos de los Sistemas Ib8ricos y Latinamericanos de Rela- ciones Laborales, S. 15; Daniel James,Resistance and integration. Peronism and the Ar- gentine working class, 1946–1973, Cambridge 1988, S. 9f.

14 Gino Germani,Autoritarismo, fascismo y populismo nacional, Buenos Aires 2003, S. 149.

15 Mariano Ben Plotkin,MaÇana es San Perjn. A cultural history of Perjn’s Argentina, Wil- Einleitung 12

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auch die außerhalb der Städte vielfach noch nicht alphabetisierten Teile der Bevölkerung in beiden Ländern erreicht werden.16

Auch wenn diese Identitätsbildungsprozesse im faschistischen Italien und peronistischen Argentinien zeitlich und regional auseinanderlagen, fanden sie doch keineswegs isoliert voneinander statt. Abgesehen von Perjns Italienauf- enthalt und dem Austausch weiterer italienischer und argentinischer Politiker und Wirtschaftsexperten waren beide Länder nicht zuletzt durch die Tatsache, dass Argentinien seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eines der Hauptziele italienischer Auswanderer dargestellt hatte, traditionell stark verflochten. Be- sonders eng waren die Beziehungen zwischen beiden Ländern auch im Kultur- bereich und somit unter Künstlern und Grafikern,17auf die das faschistische und das peronistische Regime als Produzenten von Bildpropaganda zurückgriffen.

Trotz dieser vielfältigen konzeptuellen und personellen Verflechtungen und Austauschbeziehungen war ein Vergleich der faschistischen und der peronisti- schen Propaganda bisher noch nicht Gegenstand eingehender Studien. Dabei stellt sich die Frage, ob der Peronismus mit Teilen des korporativistischen Re- formprogramms auch die propagandistische Bildspracheübernahm, die damit im faschistischen Italien verbunden war. Inwiefern unterschieden sich die um Arbeit kreisenden propagandistischen Diskurse und daran geknüpften Identi- täten in beiden Ländern?

Die Literatur hat politische und nationale Identitätsbildungsprozesse unter dem faschistischen und dem peronistischen Regime bisher jeweils separat be- handelt. Unter den ersten, die sich mit für die Ausbildung einer politischen Identität des Faschismus zentralen Riten, Mythen und Symbolen auseinander- gesetzt haben, war Emilio Gentile. Zwar wurde seine bekannte These von der

»Sakralisierung der Politik« im Faschismus im Hinblick auf den Erfolg des faschistischen Regimes, tatsächlich originär faschistische Glaubensinhalte ge- schaffen zu haben, hinterfragt.18 Weiterhin gültig ist jedoch der von Gentile 16 1921 konnten 30 % der italienischen Bevölkerung nicht lesen und schreiben (vgl. Arnd Bauerkämper,Der Faschismus in Europa 1918–1945, Stuttgart 2006, S. 52). In Argentinien lag die Analphabetenrate 1947 zwar nur noch bei 13,6 %. In ländlichen Regionen, wie den Provinzen Santiago del Estero, Jujuy oder Corrientes, war sie jedoch mit 30 und 35 % deutlich höher (vgl. Lidia Rodr&guez, El adulto como sujeto pedagjgico y la construccijn de nuevos sentidos, in: Adriana Puiggrjs/S. Carli (Hg.),Discursos pedagjgicos e imaginario social en el peronismo, 1945–1955, Buenos Aires 1995, S. 259–284, hier S. 267f.).

17 Soweit im Folgenden Berufs- oder Personengruppen oder Angehörige von Nationalitäten bezeichnet werden, wird die generische männliche Form für beide Geschlechter verwendet.

Im spezifischen Fall der Künstler und Grafiker, die Bildpropaganda für beide Regime her- stellten, handelte es sich allerdings in der Tat fast ausschließlich um Männer (vgl. Kap. 3.2).

18 Alexander Nützenadel, Inszenierungen des Nationalstaats. Staats- und Parteifeiern im fa- schistischen Italien, in: Sabine Behrenbeck/Alexander Nützenadel (Hg.),Inszenierungen des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 127–

148, hier S. 128.

Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung 13

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herausgestellte Pioniercharakter des Faschismus, sich als »politische Religion«

in Szene gesetzt zu haben.19In der Folge haben sich weitere Autoren mit der Symbolpolitik und der politischen Inszenierung im Faschismus und deren identitätsbildender Rolle auseinandergesetzt. Dabei wurden Praktiken der An- eignung schon bestehender nationaler und religiöser Rituale der Schaffung neuer Traditionen durch das faschistische Regime, etwa im Falle von Staats-, Partei- und Jugendfeiern, gegenübergestellt.20Im Anschluss an Walter Benja- mins Diktum von der »Ästhetisierung der Politik«21im Faschismus haben unter anderen George L. Mosse22und Simonetta Falasca-Zamponi23auf die spezielle Rolle der Ästhetik im Faschismus hingewiesen. So wurde Mussolini in der Forschung als »Vorbote einer modernen visuellen Kultur« bezeichnet und festgehalten, der Faschismus habe eine »Politik der visuellen Kolonisierung des Raums« betrieben.24Für den Fall des Peronismus haben sich nach einer ersten kulturhistorisch ausgerichteten Arbeit von Alberto Ciria25von 1983 bisher am konsequentesten Mariano Plotkin26sowie Cecilia Pittelli und Miguel Rodr&guez Somoza27mit der Schaffung neuer Rituale und Symbole und dem gleichzeitigen Verhandeln bestehender Traditionen auseinandergesetzt. Claudia Soria hat herausgestellt, dass gerade der massive Einsatz von visueller Propaganda das peronistische Regime im Vergleich mit vorherigen und nachfolgenden argen- tinischen Nationalregierungen auszeichnete.28

19 Emilio Gentile, Der Liktorenkult, in: Rainer Hudemann/Christof Dipper/Jens Petersen (Hg.), Faschismus und Faschismen im Vergleich. Wolfgang Schieder zum 60. Geburstag, Vierow bei Greifswald 1998, S. 247–262, hier S. 247.

20 Nützenadel, Inszenierungen des Nationalstaats; Roberta Suzzi Valli, Jugendfeiern im fa- schistischen Italien, in: Behrenbeck/Nützenadel, S. 113–126; Petra Terhoeven,Liebespfand fürs Vaterland. Krieg, Geschlecht und faschistische Nation in der italienischen Gold- und Eheringsammlung 1935–36, Tübingen 2003.

21 Walter Benjamin,Gesammelte Schriften.(Hg. von Rolf Tiedemann, Hermann Schweppen- häuser, Hella Tiedemann-Bartels, Tillman Rexroth, Charles Baudelaire), Frankfurt 1991, S. 506.

22 George L. Mosse, Fascist Aesthetics and Society. Some Considerations, in: Journal of Contemporary History31 (1996) H. 2, S. 245–252, hier S. 247.

23 Falasca-Zamponi,Fascist spectacle.

24 Gabriele D’Autilia,Storia della fotografia in Italia. Dal 1839 a oggi, Turin 2012, S. 205, 209–

25 Alberto Ciria,210. Politica y cultura popular. La Argentina peronista 1946–1955, Buenos Aires 1983.

26 Mariano Ben Plotkin,MaÇana es San Perjn. Propaganda, rituales pol&ticos y educacijn en el r8gimen peronista (1946–1955), Buenos Aires 1994.

27 Cecilia Pittelli/Miguel Somoza Rodr&guez, Peronismo: Notas acerca de la produccijn y el control de s&mbolos. La historia y sus usos, in: Adriana Puiggrjs/Sandra Carli (Hg.),Dis- cursos pedagjgicos e imaginario social en el peronismo, 1945–1955, Buenos Aires 1995, S. 205–257.

Einleitung 14

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Im Unterschied zu politischen Ritualen und trotz des Hinweises auf die Re- levanz derÄsthetik im Faschismus und im Peronismus hat die Forschung die Bildpropaganda unter beiden Regimen jedoch bisher nur in Ansätzen und in jeweils nationalstaatlicher Perspektive in Betracht gezogen. Während im italie- nischen Fall sogenannte Hoch- und Populärkultur gemeinhin getrennt vonein- ander untersucht wurden29– eine Kategorisierung, die jedoch gerade der Fa- schismus durch seine Kulturpolitik hinterfragte – stellt die Rolle der klassischen Hochkünste unter dem faschistischen Regime ein besser erforschtes Thema dar.30 Dabei wurde beispielsweise die Rolle verschiedener Künstlergruppie- rungen, wie des Futurismus, während des ventenniobeleuchtet.31 Abgesehen davon haben sich Studien zur Propaganda unter dem Faschismus bisher hauptsächlich mit Schriftmedien, wie der Presse, auseinandergesetzt.32Wurde faschistische Bildpropaganda in Betracht gezogen, dann in der Regel zentriert um militärische Kampagnen wie denÄthiopienkrieg, den Zweiten Weltkrieg oder die letzten Kriegsjahre während derRepubblica Sociale Italiana (RSI).33 Wissenschaftliche Arbeiten, die die visuelle Propagandaproduktion während des gesamten ventennio in den Blick nehmen und gleichzeitig eingehende Bildanalysen liefern, existieren so gut wie nicht. Was fotografische Propaganda im Faschismus angeht, wurde lediglich die Geschichte desIstitutoLUCE, das Fotografien und Filme für das faschistische Regime realisierte, aufgearbeitet.34 An Inhalten der Propagandafotografien stand allein die Herrscherikonografie Mussolinis im Vordergrund.35Eine Untersuchung von bildlichen Repräsenta- tionen des Korporativismus und der Arbeit in der grafischen und fotografischen in: Claudia Soria/Paola Cort8s Rocca/Edgardo Dieleke (Hg.),Pol&ticas del sentimiento. El peronismo y la construccijn de la Argentina moderna, Buenos Aires 2010, S. 31–48, hier S. 32.

29 Marla Stone,The patron state. Culture and politics in fascist Italy, Princeton 1998, S. 12.

30 Vgl. z.B. Nadine Bortolotti (Hg.),Gli anni trenta. Arte e cultura in Italia, Mailand 1983.

31 Monica Cioli,Il fascismo e la sua arte. Dottrina e istituzioni tra futurismo e Novecento, Florenz 2011; Fabio Benzi,Arte in Italia tra le due guerre, Turin 2013.

32 Nicola Tranfaglia (Hg.),La stampa del regime, 1932–1943. Le veline del Minculpop per orientare l’informazione, Mailand 2005; Enrica Bricchetto,La verit/ della propaganda. Il Corriere della sera e la guerra d’Etiopia, Mailand 2004.

33 Adolfo Mignemi,Immagine coordinata per un impero. Etiopia, 1935–1936, Turin 1984; ders., Propaganda politica e mezzi di comunicazione tra fascismo e democrazia, Novara 1995;

Attilio Brilli/Francesca Chieli/Emily Braun (Hg.),Immagini e retorica di regime. Bozzetti originali di propaganda fascista, 1935–1942, Mailand 2001; Walter Marossi,Credere, ob- bedire, convincere. Propaganda e comunicazione 1943/1945, Mailand 2003; Fondazione Luigi Micheletti,1943–45. L’immagine della RSI nella propaganda, Mailand 1985; Ernesto Zuc- coni,Repubblica Sociale. I manifesti, Mailand 2002.

34 Ernesto G. Laura,Le stagioni dell’aquila. Storia dell’Istituto LUCE, Rom 2000.

35 Enrico Sturani, Mussolini auf Postkarten. Symbol oder Dokument?, in: Martin Loiperdin- ger/Rudolf Herz/Ulrich Pohlmann (Hg.),Führerbilder. Hitler, Mussolini, Roosevelt, Stalin in Fotografie und Film, München 1995, S. 101–109; Wolfgang Schieder,Faschistische Dikta- turen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008, insbesondere: Kapitel 6 »Duce und Führer. Fotografische Inszenierungen«.

Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung 15

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Propaganda stellt bisher – trotz ihrer Zentralität als propagandistische Themen – ein Desiderat der historischen Forschung dar. Ein Grund dafür liegt mögli- cherweise darin, dass der Korporativismus bis vor wenigen Jahren als rein propagandistischer Bluff abgetan wurde, der wenig praktische Konsequenzen gezeitigt habe.36Demgegenüber hat die jüngere Forschung die Relevanz des Korporativismus gerade für den Bereich der Neuordnung der Arbeitsbezie- hungen herausgestellt.37

Kulturhistorische Studien über die Propaganda während des Peronismus haben sich zumeist ebenso allein Schriftmedien, wie doktrinären Texten des Regimes, gewidmet.38Explizit mit peronistischer Bildpropaganda hat sich bisher hauptsächlich die argentinische Kunsthistorikerin Marcela Gen8 beschäftigt.39 In eineähnliche Richtung wie die These vom faschistischen Korporativismus als propagandistischem Bluff geht auch Gen8 im Bezug auf die peronistische Pro- paganda: Ihr zufolge habe Perjns Regime der Visualisierung seiner Reform- vorhaben ebensolche Wichtigkeit beigemessen wie ihrer eigentlichen Umset- zung.40Zwar zieht Gen8 punktuell auch das faschistische Italien als Vergleichsfall heran, kann jedoch keinen umfassenden italienischen Quellenkorpus vorwei- sen. Andere Autorinnen, wie Natalia Milanesio41und Claudia Soria,42haben sich mit der peronistischen Bildpropaganda in rein nationalstaatlicher Perspektive nur am Rande in vereinzelten Aufsätzen beschäftigt. Gegenüber der über- schaubaren Anzahl an Studien zur Propagandagrafik stellt Forschung zur fo- tografischen Propaganda des peronistischen Regimes eine völlige Brache dar.43 Die argentinische Kunstgeschichte der 1940er und -50er Jahre wurde ihrerseits weitestgehend separat von der politischen geschrieben. Auf die – wenn auch

36 Vgl. z.B. Gianpasquale Santomassimo,La terza via fascista. Il mito del corporativismo, Rom 2006.

37 Nützenadel, Korporativismus und Landwirtschaft im faschistischen Italien, S. 346, 356;

Gagliardi,Il corporativismo fascista, S. VIII.

38 Ciria,Politica y cultura popular.

39 Marcela M. Gen8,Un mundo feliz. Im#genes de los trabajadores en el primer peronismo, 1946–1955, Buenos Aires 2005.

40 Dies., Pol&ticas de la imagen. Sobre la propaganda visual del peronismo, in: Patricia M.

Berrotar#n/An&bal J#uregui/Marcelo Rougier (Hg.),SueÇos de bienestar en la nueva Ar- gentina. Estado y pol&ticas pfflblicas durante el peronismo, 1946–1955, Buenos Aires 2004, S. 327–346, hier S. 328.

41 Natalia Milanesio, A Man Like You. Juan Domingo Perjn and the Politics of Attraction in Mid-Twentieth-Century Argentina, in:Gender&History26 (2014) H. 1, S. 84–104.

42 Soria, La propaganda peronista.

43 Bildbände wie der von Samuel Amaral (Samuel Amaral/Horacio Botella,Im#genes del pe- ronismo. Fotograf&as 1945–1955, Buenos Aires 2010) oder von Fernando Diego Garc&a (Fernando Diego Garc&a/Alejandro Labado/Enrique Carlos V#zquez (Hg.),Evita. Im#genes de una pasijn, Madrid 1997) versammeln lediglich fotografisches Material zum Peronismus, Einleitung 16

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seltene – Indienstnahme der klassischen Hochkünste durch den Peronismus zu propagandistischen Zwecken geht sie kaum ein.

Während die Forschung die Propaganda und Kulturgeschichte beider Regime bisher nur getrennt voneinander betrachtet hat, wurden der italienische Fa- schismus und der Peronismus hauptsächlich auf ihre Ideologien hin vergli- chen.44Im Rahmen der ab den 1980er Jahren geführten Debatte um einen ge- nerischen Faschismusbegriff wurden ebenso zahlreiche außereuropäische po- litische Systeme auch nach 1945, wie das peronistische Regime, dazu gezählt.45 Das Gros der jüngeren Faschismusforschung geht hingegen von einer ver- gleichsweise engen Faschismusdefinition als einem rein europäischen Phäno- men der Zwischenkriegszeit aus und fasst den Peronismus folglich nicht dar- unter.46Selbst Autoren, die grundsätzlich eine Existenz des Faschismus in La- teinamerika als europäischer Siedlungskolonie für möglich halten, beziehen sich eher auf andere lateinamerikanische Bewegungen und Regime, wie den brasi- lianischen Integralismus der 1930er Jahre oder die Militärdiktatur unter General Uriburu in Argentinien von 1930 bis 1932.47

Gegen eine Definition des Peronismus als faschistisch oder totalitär werden in der Forschung, unter anderem von Ranaan Rein, folgende Argumente ins Feld geführt: Perjn wurde 1946 demokratisch gewählt und 1951 mit großer Mehrheit im Präsidentenamt bestätigt. Auch wenn das peronistische Regime die Presse- freiheit erheblich einschränkte und sich oppositionelle Parteien Gängelung von Regierungsseite ausgesetzt sahen, kann kaum von einer Einparteienherrschaft die Rede sein. Demokratische Institutionen, wie das Parlament, blieben intakt.

Auch das Maß an politischer Gewalt im peronistischen Argentinien reichte schwerlich an dasjenige in NS-Deutschland oder im faschistischen Italien heran.

44 Paul H. Lewis, Was Perjn a Fascist? An Inquiry into the Nature of Fascism, in:The Journal of Politics42 (1980), S. 242–256; Federico Finchelstein,Transatlantic fascism. Ideology, vio- lence, and the sacred in Argentina and Italy, 1919–1945, Durham 2010; Cristi#n Buchrucker, Nationalismus, Faschismus und Peronismus 1927–1955. Ein Beitrag zur Geschichte der po- litischen Ideen in Argentinien, Berlin 1982.

45 Lewis, Was Perjn a Fascist?; Alistair Hennessy, Fascism and Populism in Latin America, in:

Walter Laqueur (Hg.),Fascism. A reader’s guide: analyses, interpretations, bibliography, Berkeley 1978, S. 255–294.

46 Ernst Nolte,Der Faschismus in seiner Epoche. Action franÅaise, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus: mit einem Rückblick nach fünfunddreißig Jahren, München 2000;

Renzo De Felice,Le interpretazioni del fascismo, Rom 1986; George L. Mosse (Hg.),Inter- national fascism. New thoughts and new approaches, London 1979; Stein Ugelvik Larsen (Hg.),Fascism outside Europe. The European impulse against domestic conditions in the diffusion of global fascism, Boulder 2001; Payne,Fascism, comparison and definition.

47 Roger Griffin, Caught in its own Net. Post-war fascism outside Europe, in: Stein Ugelvik Larsen (Hg.),Fascism outside Europe. The European impulse against domestic conditions in the diffusion of global fascism, Boulder 2001, S. 46–70, hier S. 49f.; Finchelstein,Transat- lantic fascism, S. 61.

Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung 17

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Exekutionen oder das Verschwindenlassen von politischen Gegnern gab es unter Perjn nicht.48Als weitere Differenz werden zudem die Vorbedingungen und die Unterstützer der jeweiligen Regime angeführt: Argentinien ermangelte es der Kriegserfahrung des Ersten Weltkriegs, aus dessen Veteranen der italienische Faschismus große Teile seiner Anhängerschaft rekrutierte.49Anders als die eu- ropäischen Faschismen, die sich außerdem vorrangig auf die Mittelschichten und das Bürgertum stützen,50bezog das peronistische Regime seine Basis vor allem aus den Arbeiterorganisationen und den unteren Schichten, die es mit umfassenden Rechten ausstattete.51Ferner wies der Peronismus im Unterschied zum italienischen Faschismus keinerlei expansionistische Bestrebungen auf.52 Schließlich wich die politische Rolle von Perjns Frau Eva eklatant von den männlich dominierten Faschismen in Europa und den dort hochgehaltenen reaktionären Geschlechtervorstellungen ab.53

Die Anwendung der Faschismusdefinition auf lateinamerikanische Regime und Bewegungen hat des Weiteren den Vorwurf eines konzeptuellen Eurozent- rismus auf sich gezogen.54Stattdessen befindet eine Reihe von Autoren den Populismus, trotz der Vieldeutigkeit des Konzeptes, für den für Lateinamerika adäquateren Interpretationsrahmen. Auch wenn der lateinamerikanische Po- pulismusähnliche Wurzeln wie die europäischen Faschismen aufweise, wie den Eintritt der Massen in die Politik und Verstädterungs- und Industrialisie- rungsprozesse, werde er lokalen Gegebenheiten doch gerechter. Denn er ziehe Vorläufer lokaler Herrschaftsstrukturen, wie den Caudillismo des 19. Jahrhun- derts, in Betracht und benenne die Oligarchie, die die agroexportorientierte Wirtschaft und die Politik dominierte, als Feindbild, gegen die sich populisti- sche Regime formierten.55Als urbanes, klassenübergreifendes, gewähltes und von einem charismatischen Führer geleitetes Regime wird der Peronismus zu- sammen mit dem Varguismus in Brasilien (1930–1945) und dem Cardenismus in Mexiko (1934–1940) als paradigmatisches Beispiel des lateinamerikanischen Populismus genannt.56An die zusätzliche Klassifizierung des Peronismus als 48 Raanan Rein,Peronismo, populismo y pol&tica. Argentina, 1943–1955, Buenos Aires 1998,

S. 23.

49 Ciria,Politica y cultura popular, S. 46.

50 Bauerkämper,Der Faschismus in Europa 1918–1945, S. 65.

51 Robert O. Paxton,Anatomie des Faschismus, München 2006, S. 284; Matthew B. Karush/

Oscar Chamosa, Introduction, in: dies.,The new cultural history of Peronism. Power and identity in mid-twentieth-century Argentina, Durham 2010, S. 1–20, hier S. 5.

52 Rein,Peronismo, populismo y pol&tica, S. 21f.; Ciria,Politica y cultura popular, S. 45.

53 Rein,Peronismo, populismo y pol&tica, S. 22.

54 Rein,Peronismo, populismo y pol&tica, S. 22; Ciria,Politica y cultura popular, S. 44.

55 Rein,Peronismo, populismo y pol&tica, S. 24f.; James,Resistance and integration, S. 18f.

56 Michael L. Conniff, Introduction. Toward a Comparative Definition of Populism, in: ders., Latin American populism in comparative perspective, Albuquerque 1985, S. 3–45, hier S. 3;

Einleitung 18

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national-populistisches Regime, die als erster der italo-argentinische Soziologe Gino Germani 1962 vorgenommen hat und die auch Anleihen beim Nationa- lismus der 1930er Jahre mit in Betracht zieht, wird auch in dieser Arbeit ange- schlossen.57

Zwar wurde bei der Gegenüberstellung der Ideologien des italienischen Fa- schismus und des Peronismus gerade die staatliche Propaganda und Kontrolle der Massenmedien als eine wesentliche Parallele beider Regime benannt.58Dies hat bisher jedoch noch keinen Anlass geboten, die Bildpropaganda beider Re- gime systematisch zu vergleichen. Allein die Propaganda des faschistischen Italien wurde in einen Zusammenhang mit derjenigen anderer Diktaturen, wie dem Dritten Reich und der Sowjetunion, gebracht.59 Diesem Vergleich der klassischen Totalitarismen liegt die These zugrunde, dass insbesondere auto- ritäre Regime exzessiven Gebrauch von Bildern zu propagandistischen Zwecken machen.60Dabei haben gerade systemübergreifende Studien, die auch die de- mokratischen USA in der Zwischenkriegszeit mit einbeziehen, gezeigt, dass dort in den 1930er Jahren in staatlichen Medien zu ähnlichen Bildsprachen und -themen gegriffen wurde wie in NS-Deutschland oder im faschistischen Italien.61 So hat beispielsweise Bernard Reillyüberzeugend demonstriert, dass auch im Rahmen der Reformpolitik des New Deal unter Franklin D. Roosevelt (1933–

1945) die symbolische Aufwertung von Arbeit zu einem wesentlichen Inhalt staatlicher Bildmedien avancierte. Wie von Reilly angedeutet, erhoben in der 57 Gino Germani,Pol&tica y sociedad en una 8poca de transicijn. De la sociedad tradicional a la sociedad de masas, Buenos Aires 1962. Andere Aspekte wurden an Germanis Studie in der Folge kritisiert: Murmis und Portantiero (Miguel Murmis/Juan Carlos Portantiero,Estudios sobre los or&genes del peronismo, Buenos Aires 2011) stellten beispielswese seinen moder- nisierungstheoretischen Ansatz in Frage, demzufolge Perjn seine Unterstützer hauptsäch- lich aus Kreisen der »irrationalen«, da noch immer in »vormodernen Gesellschaftsstruk- turen« verhafteten internen Migranten bezogen habe.

58 Ciria,Politica y cultura popular, S. 45; Plotkin,MaÇana es San Perjn, S. 21; Paxton,Ana- tomie des Faschismus, S. 285.

59 Igor Golomshtok,Totalitarian art in the Soviet Union, the Third Reich, Fascist Italy and the People’s Republic of China, New York 1990; Wendy Kaplan (Hg.),Designing modernity. The arts of reform and persuasion, 1885–1945: selections from the Wolfsonian, New York 1995; Jan Tabor (Hg.),Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei, Malerei inÖsterreich, Deutsch- land, Italien und der Sowjetunion, 1922–1956, Baden 1994.

60 Jens Jäger,Fotografie und Geschichte, Frankfurt 2009, S. 140, 143; Sabine R. Arnold/Fuhr- meister, Christian, Schiller, Dietmar, Hüllen und Masken der Politik. Ein Aufriss, in: Sabine R. Arnold/Christian Fuhrmeister/Dietmar Schiller (Hg.), Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert. Zur Sinnlichkeit der Macht, Wien 1998, S. 7–24, hier S. 12f.

61 Reilly, Bernard F., Emblems of Production. Workers in German, Italian, and American Art during the 1930s, in: Kaplan, S. 286–313; Gian Piero Brunetta/Maurizio Vaudagna (Hg.), L’estetica della politica. Europe e America negli anni Trenta, Rom 1989; Marianne Lamonaca, Collecting and Exhibiting. Propaganda at The Wolfsonian, in: Hans-Jörg Czech/Nikola Doll (Hg.),Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945, Dresden 2007, S. 464–469, hier S. 466.

Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung 19

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Zwischenkriegszeit und insbesondere nach der Weltwirtschaftskrise politische Systeme verschiedenster ideologischer Orientierungen die Neuregelung der Arbeitsverhältnisse zu wesentlichen Inhalten ihrer Agenda. Obwohl das auch in einigen lateinamerikanischen Staaten der Fall war, wie neben Argentinien in Mexiko unter L#zaro C#rdenas (1934–40) und in Brasilien unter Getffllio Vargas (1930–45), blieben lateinamerikanische Regime aus solchen länder- und sys- temübergreifenden Gegenüberstellungen bisher außen vor.62

Gegenstand der vorliegenden Studie ist ein Vergleich der Bildpropaganda des faschistischen Italiens und des peronistischen Argentiniens, der nach Unter- schieden und Gemeinsamkeiten in den um Arbeit kreisenden Identitätsbil- dungsprozessen fragt. Dabei besteht dasübergeordnete Ziel in einer Ikonografie von Arbeit unter beiden Regimen, die einerseits nationale und regimespezifische Eigenheiten und andererseits transnationale Verflechtungen in der propagan- distischen Inszenierung des Korporativismus verdeutlicht. Im Anschluss an die Literatur, die auf die zentrale Rolle derÄsthetik unter beiden Regimen verweist, wird in dieser Arbeit argumentiert, dass sowohl der italienische Faschismus als auch der Peronismus die visuelle Propaganda dazu nutzten, um ein neues kor- poratives Gesellschaftsmodell zu entwerfen. Sofern die in der Propaganda evozierten Bilderwelten noch keine Realitäten abbildeten, dienten sie als »vi- suelles Skript«,63das die angestrebten sozialen Ordnungen verdeutlichte. Die zunächst abstrakten korporativistischen Theorien und die daran geknüpften Identitäten wurden somit erstmals im Medium der Propaganda manifest. Auf diese Weise fungierte die Bildpropaganda als zukunftsgerichtetes Modell und antizipierte einerseits vielfach Entwicklungen und Reformen. Andererseits vermittelte sie aber auch gesellschaftliche Utopien, war der Wahrheitsgehalt oder Realismus der Botschaften doch eindeutig dem Ziel der Konsensstiftung und des Machterhalts untergeordnet.64

Durch den Vergleich der Propaganda des faschistischen Italien mit derjenigen des formal demokratischen peronistischen Argentinien wird erstens die in der Literatur zu Propaganda und politischer Inszenierung vorgebrachte These, es sei alleiniges Merkmal von Diktaturen, sich Bildpropaganda zu bedienen, hinter- fragt.65Zwar nahm Perjns Herrschaft insbesondere ab Anfang der 1950er Jahre autoritäre Züge an. Er ging jedoch zweimal aus demokratischen Wahlen als

62 Francisco Zapata,Hacia una sociolog&a latinoamericana del trabajo, M8rida, Yucat#n, M8- xico 2010, S. 134.

63 Victoria E. Bonnell,Iconography of power. Soviet political posters under Lenin and Stalin, Berkeley 1997, S. 14.

64 Thymian Bussemer,Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2005, S. 28f.; vgl. die ausführliche Definition des Propagandabegriffs in Kapitel 1.2.

65 Jäger,Fotografie und Geschichte, S. 140, 143; Arnold/Fuhrmeister, Christian, Schiller, Diet- Einleitung 20

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Sieger hervor. Wie bereits die Gegenüberstellung der politischenÄsthetik im faschistischen Italien und in den USA während des New Deal gezeigt hat, de- monstriert auch der Vergleich von Faschismus und Peronismus in dieser Arbeit, dass vielmehr ein breites Spektrum von politischen Systemen visuelle Medien zu politischen Zwecken einsetzte.66

Zum zweiten verdeutlicht die Gegenüberstellung der faschistischen und pe- ronistischen Bildpropaganda, dass eine um eine korporative Gesellschaftsord- nung kreisende Identitätsbildung, wie sie im faschistischen Italien angestrebt worden war, nach 1945 keineswegs an Attraktivität verloren hatte. Obwohl der Faschismus international diskreditiert war und mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs autoritäre Formen des Korporativismus in Europa verschwanden, erschien er Perjn 1946 noch immer als vielversprechender Weg der Krisenbe- wältigung.67 Dass Perjn zur Verbreitung des neuen korporativen Gesell- schaftsmodells ebenso auf die nach 1945 als Demagogie in Verruf geratene Propaganda zurückgriff, brachte ihm bereits unter Zeitgenossen den Vorwurf ein, Faschist zu sein.68 Entgegen dieser Anschuldigungen fungierte der Fa- schismus für Perjn jedoch keineswegs als uneingeschränktes Modell. Soäußerte er durchaus auch Kritik am italienischen Vorbild. Laut dem »Time Magazine«

hielt er Mussolini zwar für »den größten Mann des Jahrhunderts«, er habe jedoch einige verheerende Fehler begangen, aus denen Perjn lernen könne.69 Allein auf terminologischer Ebene war eines der Anzeichen für die nicht voll- ständigeÜbernahme des italienischen Modells, dass das peronistische Regime den Korporativismus, anders als im Falle des italienischenStato Corporativo, nicht zu seinem namensgebenden Konzept erhob.70Stattdessen erklärten die Peronisten soziale Gerechtigkeit zur zentralen Begrifflichkeit, von dem sich die Bezeichnung ihrer Doktrin,Justicialismo, ableitete.

Vor dem Hintergrund dieser und weiterer ideologischer Differenzen wird in der vorliegenden Arbeit die These vertreten, dass der Peronismus in steter Auseinandersetzung mit dem italienischen Vorläufer im Medium der Propa- ganda eine vom Faschismus abweichende politische und nationale Identität entwarf. So wird anhand des Vergleichs der grafischen und fotografischen 66 Reilly, Emblems of Production, S. 289.

67 Howard J. Wiarda, Introduction: Whatever Happened to Corporatism and Authoritarianism in Latin America?, in: ders.,Authoritarianism and Corporatism in Latin America – Revisited, Gainesville 2004, S. 1–28, hier S. 16. Tatsächlich stellt das peronistische Argentinien im internationalen Vergleich im Hinblick auf Umsetzung korporativistischer Reformen ein spätes Beispiel dar (vgl. Chen, Corporatism under Attack?, S. 200).

68 Gen8,Un mundo feliz, S. 14.

69 Zitiert nach George I. Blanksten,Perjn’s Argentina, Chicago 1953, S. 279: »Mussolini was the greatest man of our century, but he committed certain disastrous errors […] I, who have the advantage of his precedent before me, shall follow his footsteps but also avoid his mistakes«.

70 Wiarda, Corporatist Theory and Ideology, S. 232.

Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung 21

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Propaganda beider Regime gezeigt, dass das im Rahmen der Identitätsbildung anvisierte Gesellschaftsmodell im Peronismus in vielerlei Hinsicht zukunftsge- richteter und integrativer war. Denn statt auf rückständige Wirtschaftszweige, wie die Landwirtschaft, und die Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung wurde in Bildmedien unter Perjn vielmehr ein Fokus auf die Industrialisierung des Landes und auf »soziale Harmonie«71in der Bevölkerung gelegt.

Bei der Analyse stehen – wie auf dem Plakatpaar am Anfang (Abb. 1 u. 2, S. 10) – verschiedene Mitglieder der Gesellschaft im Fokus, an die sich die Propagandabotschaften richteten bzw. für die eine eigene Rolle im korporativen Gesellschaftsmodell vorgesehen war. Schließlich sahen beide Regime in der Konstruktion einesitaliano nuovobzw. einesargentino nuevoeine der zentralen Aufgaben der Propaganda.72Da diese palingenetischen Entwürfe hauptsächlich die Gestalt des Arbeiters annahmen, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen damit für die jeweilige Konzeption einer nationalen Identität im faschistischen Italien und im peronistischen Argentinien verbunden waren. Angesichts der sozialrevolutionären Diskurse beider Regime, die sich auf die Fahnen schrieben, als erste für die arbeitende Bevölkerung einzutreten, ist zuüberprüfen, inwie- fern in der visuellen Propaganda in beiden Ländern präexistente Ikonografien, etwa der Publizistik linksgerichteter Parteien, verhandelt wurden. Zusätzlich gilt es zu bewerten, welcher Typus Arbeiter in den visuellen Medien der beiden agrarisch geprägten Länder, deren Regierungen sich mit der Herausforderung der Industrialisierung konfrontiert sahen, im Vordergrund stand. Während zum Korporativismus und den damit einhergehenden Sozialreformen im Faschismus und Peronismus eine breite Forschungsliteratur existiert,73war die Arbeiterfigur

71 C8sar Seveso, Political emotions and the origins of the Peronist resistance, in: Matthew B.

Karush/Oscar Chamosa (Hg.),The new cultural history of Peronism. Power and identity in mid-twentieth-century Argentina, Durham 2010, S. 239–270, hier S. 261.

72 Enrica Bricchetto, La fotografia dentro il giornale. L’archivio storico del »Corriere della sera«

e l’Africa orientale, in: Riccardo Bottoni (Hg.), L’impero fascista. Italia ed Etiopia, 1935–1941, Bologna 2008, S. 307–320, hier S. 313; Gen8,Un mundo feliz, S. 82.

73 Vera Zamagni,The economic history of Italy, 1860–1990, Oxford 1993; Beatrix Körner,Vom residualen zum institutionellen Wohlfahrtsstaat Italien. Sozialsystem im Wandel zwischen dem Glanz der Gesetze und den Schatten der Realität, Baden-Baden 1993; Aldo Mazzacane/

Alessandro Somma/Michael Stolleis (Hg.),Korporativismus in den südeuropäischen Dikta- turen, Frankfurt 2005; Maria Sophia Quine,Italy’s social revolution. Charity and welfare from liberalism to fascism, Basingstoke 2002; Dogliani,Il fascismo degli Italiani; Howard J. Wiarda (Hg.),Authoritarianism and Corporatism in Latin America – Revisited, Gainesville 2004;

Patricia M. Berrotar#n/An&bal J#uregui/Marcelo Rougier (Hg.),SueÇos de bienestar en la nueva Argentina. Estado y pol&ticas pfflblicas durante el peronismo, 1946–1955, Buenos Aires 2004; Noem& M. Girbal-Blacha,Mitos, paradojas y realidades en la Argentina peronista, 1946–1955. Una interpretacijn histjrica de sus decisiones pol&tico-econjmicas, Buenos Aires 2003; James,Resistance and integration; Ricardo Augusto Podest#,Peronismo vs. peronismo.

Einleitung 22

(24)

in der faschistischen Propaganda bisher nur Thema eines Aufsatzes.74Für den argentinischen Fall ist dazu lediglich eine schmale Monografie von Marcela Gen8 erschienen.75 Angesichts der heroischen Darstellungsweise der eingangs ge- zeigten männlichen Arbeiter (Abb. 1 u. 2, S. 10) erweist sich die visuelle Pro- paganda auch als zentrale Quelle, wenn es um unter beiden Regimen konstru- ierte Geschlechterbilder geht. Arbeiten zu vom Faschismus und Peronismus propagierten Geschlechterrollen haben sich bisher kaum mit visuellen Quellen auseinandergesetzt und weisen zudem einen Schwerpunkt auf der weiblichen Bevölkerung auf.76Schlüsse auf das konstruierte Männlichkeitsbild lassen sie somit oftmals nur ex negativo zu.

Als herausragende Vorbilder für die männliche Bevölkerung wurden in der staatlichen Propaganda des Faschismus und des Peronismus die jeweiligen Regierungschefs, Mussolini und Perjn, gehandelt. Das Medium wurde dazu genutzt, einen ausgesprochenen Persönlichkeitskult um den italienischenDuce und den argentinischen L&derzu inszenieren. Zwar hat das Thema der Herr- scherikonografie im Faschismus im Gegensatz zum Peronismus schon mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren.77Das in der Bildpropaganda kon- struierte Rollenbild der politischen Führer als Arbeiter wurde bisher jedoch nicht beachtet. In Argentinien stand neben ihrem Ehemann ebenso Eva Perjn im Zentrum des medialen Interesses. Trotz der Flut an wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Literatur zur Person und zum Kult um »Evita« hat sich die Forschung bisherüberraschenderweise nur sehr zögerlich mit bildli- chen Repräsentationen der bekanntesten primera dama Lateinamerikas be- schäftigt.78Daran schließt sich die Frage an, welche Rollenbilder die faschisti- 74 Reilly, Emblems of Production.

75 Gen8,Un mundo feliz.

76 Diese einseitige geschlechterhistorische Perspektive hat auch Petra Terhoeven konstatiert (Terhoeven,Liebespfand fürs Vaterland, S. 7). Die wenigen Werke, die sich mit Konzeptionen von Männlichkeit im Faschismus, allerdings eher in literatur- und filmwissenschaftlicher Perspektive auseinandergesetzt haben, sind: John Champagne,Aesthetic modernism and masculinity in fascist Italy, London 2013 und Barbara Spackman,Fascist virilities. Rhetoric, ideology, and social fantasy in Italy, Minneapolis 1996. Für das peronistische Argentinien ist hier hauptsächlich Natalia Milanesio (Milanesio, A Man Like You) zu nennen, in filmhis- torischer Perspektive Currie Kerr Thompson,Picturing Argentina. Myths, movies, and the Peronist vision, Amherst, New York 2014.

77 Sturani, Mussolini auf Postkarten; Martin Loiperdinger/Rudolf Herz/Ulrich Pohlmann (Hg.),Führerbilder. Hitler, Mussolini, Roosevelt, Stalin in Fotografie und Film, München 1995; Schieder,Faschistische Diktaturen, insbesondere: Kapitel 6 »Duceund Führer. Foto- grafische Inszenierungen«.

78 Mit der Ikonografie Eva Perjns in der Propaganda haben sich bisher nur Andrea Giunta (Andrea Giunta,Escribir las im#genes. Ensayos sobre arte argentino y latinoamericano, Buenos Aires 2011) sowie Paola Cort8s Rocca und Mart&n Kohan (Paola Cort8s Rocca/Mart&n Kohan,Im#genes de vida, relatos de muerte. Eva Perjn, cuerpo y pol&tica, Buenos Aires 1998) beschäftigt. Der fotografische Bildband von Fernando Diego Garc&a (Garc&a/Labado/V#z-

Korporativismus, Propaganda und Identitätsbildung 23

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sche und die peronistische Bildpropaganda jeweils für Frauen in Bezug auf Arbeit vorsahen. Die reiche Forschungsliteratur zu auf Frauen fokussierten Geschlechterfragen unter beiden Regimen hat die Repräsentation der weiblichen Bevölkerung in der Regierungspropaganda allerdings nur am Rande und nicht systematisch behandelt.79

Als weitere Zielgruppe der Propaganda visierten der Faschismus und der Peronismus Kinder und Jugendliche an. Die breite Forschung zu in beiden Ländern tiefgreifenden Bildungsreformen und neu ins Leben gerufenen Ju- gendorganisationen bezieht Illustrationen in Schulbüchern, die beiden Regimen ebenso als Propagandamedien dienten, jedoch nicht mit ein. Auf dort von Re- gierungsseite kreierte Rollenbilder für Kinder und Jugendliche und ihre Ver- knüpfung mit der Arbeitsthematik wurden diese Quellen daher noch nicht be- fragt.

Schließlich stellt sich die Frage, wer aus den von beiden Regimen propa- gierten korporativen Gesellschaftsmodellen ausgeschlossen blieb. Denn für die Identitätsbildungsprozesse im Faschismus und im Peronismus spielte die Ab- grenzung von einem ›Anderen‹ eine unterschiedlich wichtige Rolle. Welche expliziten Feindbilder kursierten in visuellen Medien des faschistischen Italiens und peronistischen Argentiniens? Für den Faschismus wurden Rassismus und Antisemitismus als soziale Ausschlussmechanismen behandelt und zuletzt auch frühere apologetische Tendenzen der Forschungsliteratur, die die Italiener als brava genteund die »Rassengesetze« von 1938 allein als ideologischen Import aus NS-Deutschland darstellten, widerlegt.80Die unter der Fragestellung des Rassismus und der Schaffung von Feindbildern untersuchten Bildmedien be- schränken sich im Großen und Ganzen auf eine Zeitschrift (»La Difesa della Razza«).81Dass – wie zu zeigen sein wird – Arbeit als zusätzliches Ausschluss- kriterium fungierte, fiel hierbei bisher unter den Tisch. Für Argentinien ist Marcela Gen8s Feststellung, es habe während des Peronismus in staatlichen Bildmedien keine Feindbilder gegeben, bisher unüberprüft geblieben. Subtilere Methoden der sozialen Ausgrenzung in visuellen Medien und nicht personifi- zierte Feindbilder, die durchaus existierten, zieht sie nicht in Betracht.

Nicht zuletzt lassen sich durch die Untersuchung der angesprochenen Rol- lenbilder, die das faschistische und das peronistische Regime wesentlich in der quez,Evita) ist eher biografisch angelegt und lässt eine Analyse desüber Eva Perjn er- schienen Bildmaterials vermissen.

79 Victoria De Grazia,How fascism ruled women. Italy, 1922–1945, Berkeley 1992; Terhoeven, Liebespfand fürs Vaterland; Gen8,Un mundo feliz.

80 Robert S. C. Gordon, Race, in: R. J. B. Bosworth (Hg.),The Oxford handbook of fascism, Oxford, New York 2009, S. 296–316, hier S. 296f.

81 Marco Giuman/Ciro Parodo,Nigra subucula induti. Immagine, classicit/ e questione della razza nella propaganda dell’Italia fascista, Padua 2011; Francesco Cassata,La difesa della Einleitung 24

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Bildpropaganda schufen, vielfachüber Schriftmedien hinausgehende Erkennt- nisse über die angestrebten Gesellschaftsmodelle erlangen. Denn, wie diese Arbeit stellenweise verdeutlicht, ergaben sich unter beiden Regimen häufig Brüche zwischen propagandistischen Schrift- und Bildmedien. So fanden ei- nerseits Themen, die in Texten oder Reden breit diskutiert wurden, bisweilen keine bildliche Entsprechung oder umgekehrt wurden in Bildmedien reprä- sentierte Aspekte anderweitig nicht verbalisiert. Insgesamt leistet die vorlie- gende Studie damit einen weiterführenden Beitrag zur Kulturgeschichte beider Regime, zur Untersuchung von Prozessen politischer und nationaler Identi- tätsbildung und zur Geschichte der Arbeit in der Zwischen- und unmittelbaren Nachkriegszeit.

1.2 Definitionen, Quellen und Methodik

Wenn im heutigen Sprachgebrauch ein pejoratives Verständnis von Propaganda vorherrscht, dann ist dies der Medienpolitik totalitärer Staaten geschuldet, die beginnend mit den Faschismen und dem Sowjetkommunismus damit Mecha- nismen der Indoktrination der Bevölkerung bezeichneten.82Der Begriff weist jedoch eine lange Geschichte auf, während der er vielfach auch positiv besetzt war und die mit seiner Prägung am Beginn des 17. Jahrhunderts im religiösen Kontext der Gegenreformation ihren Anfang nahm. Zunächst stand die von Papst Gregor XV. 1622 eingerichtete päpstliche Behörde Sacra congregatio de propaganda fideund das vom lateinischen »propagare« (»ausdehnen«, »fort- pflanzen«) abgeleitete Gerundiv für die Missionstätigkeit der katholischen Kirche.83 Aus diesem Grund erhielt Propaganda in protestantischen Kreisen auch umgehend einen negativen Beigeschmack. Erst im Zuge der französischen Revolution kamen zu bis dato rein kirchlich-religiösen, nun auch politische Konnotationen hinzu.84 Durch die Ausweitung seines Sinngehalts büßte der Begriff seine institutionelle Bindung ein und wurde vielmehr zum positiv be- setzten »politischen Aktionsbegriff«.85Im 19. Jahrhundert verschwammen die Konturen des aus dem Französischen in den deutschen Sprachgebrauchüber- gegangenen Terminus, dessen Bedeutungen zwischen »politischer Überzeu-

82 Wolfgang Schieder/Christof Dipper, Propaganda, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.),Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 69–112, hier S. 70.

83 S. Doering-Manteuffel/A. Kirchner, Propaganda, in: Gerd Ueding (Hg.),Historisches Wör- terbuch der Rhetorik, Bd. 7, Tübingen 2005, hier S. 273.

84 Schieder/Dipper, Propaganda, S. 74.

85 Ebd., S. 90.

Definitionen, Quellen und Methodik 25

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gungsarbeit« und »Demagogie« schwankten.86Verschiedene politische Grup- pierungen und Ideologien, wie der Sozialismus, der Anarchismus und zeitweise auch die Sozialdemokratie,übernahmen ihn, um damit einen Teil ihres legiti- men politischen Instrumentariums zu bezeichnen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert kam der Bereich der kommerziellen Reklame als Verwen- dungszusammenhang des Begriffs hinzu. Dieser völlig unpolitische Gebrauch als Synonym für Wirtschaftswerbung ebnete den Weg dafür, dass er im deut- schen Kaiserreich als Bezeichnung bewusster politischer Außendarstellung eingesetzt werden konnte.87Der Erste Weltkrieg gilt vielfach als Initialzündung eines strategischen Einsatzes moderner Propaganda durch die verschiedenen Kriegsparteien. Denn die sich entwickelnden modernen Massenmedien er- reichten nun auch eine breitereÖffentlichkeit, jenseits einer bürgerlichen Elite.88 Erstmals wurden separate staatliche Institutionen, wie dieBritish War Mission oder das deutsche »Reichsaufklärungsamt«, gegründet, die mit der Erstellung von »Kriegspropaganda« betraut waren.89In Italien, wo sich Propagandaakti- vitäten nach dem Kriegseintritt 1915 vergleichsweise langsam entwickelten, wurde erst 1917 eine separate Propagandaabteilung innerhalb der Armee ein- gerichtet.90In den 1920er Jahren setzte dann eine sozialwissenschaftliche Aus- einandersetzung mit der Praktik der Propaganda ein, deren Ergebnisse im Anschluss zum Teil von politischer Seite genutzt wurden.91Sowohl im Sprach- gebrauch des Sowjetkommunismus als auch des Nationalsozialismus wurde Propaganda auf euphemistische Weise als Synonym für die Aufklärung und Schulung der Bevölkerung verwendet.92

Während die kommunistische Führung Propaganda als individuelleÜber- zeugungsarbeit der Parteielite von Agitation alsÜbertragung von Ideen an die Masse der Bevölkerung abzugrenzen versuchte, bemühten sich die Nazis den Begriff unter Ausschluss der Wirtschaftswerbung allein für den politischen Bereich zu vereinnahmen.93Im faschistischen Italien wurde er ebenso haupt- sächlich für politische Überzeugungsarbeit – »Erziehung« in den Augen der Faschisten – verwendet.94Die zuständigen Regierungsabteilungen trugen dort 86 Doering-Manteuffel/Kirchner, Propaganda, S. 276.

87 Schieder/Dipper, Propaganda, S. 70, 100.

88 Bussemer,Propaganda, S. 17.

89 Schieder/Dipper, Propaganda, S. 103f.

90 Thomas Row, Mobilizing the Nation. Italian Propaganda in the Great War, in:The Journal of Decorative and Propaganda Arts24 (2002), S. 140–169, hier S. 144–147 .

91 Bussemer,Propaganda, S. 14, 20, 27.

92 Ebd., S. 26.

93 Schieder/Dipper, Propaganda, S. 99; Bussemer,Propaganda, S. 26.

94 Elisabetta Besussi, Propaganda di regime e informazione indipendente, in: Andrea Baravelli (Hg.),Propagande contro. Modelli di comunicazione politica nel XX secolo, Rom 2005, S. 29–

Einleitung 26

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