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2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: ISBN E-Book:

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Wiener Jahrbuch für Theologie

Band 13/2021

Herausgegeben im Auftrag

der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien

Die Bände des Wiener Jahrbuchs für Theologie

sind peer-reviewed.

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Uta Heil / Annette Schellenberg (Hg.)

Theologie als Streitkultur

Mit 4 Abbildungen

V&R unipress

Vienna University Press

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V&R unipress.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Evangelisch-Theologischen Fakultät und des Rektorats der Universtät Wien.

© 2021, Vandenhoeck&Ruprecht GmbH&Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: © Gerd Altmann auf Pixabay

Vandenhoeck&Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 1607-4289

ISBN 978-3-8470-1321-1

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Inhalt

Vorwort . . . 7 Theologie als Streitkultur

Stefan Fischer

Streitkultur im Buch Hiob. Leiden im Horizont von Unschuld und

Schuldzuweisung . . . 11 Magdalena Lass

»Streit ist Krieg«. Überlegungen zu den Gewaltformen in Psalm 35 . . . . 31 Hans Förster

Zum Einfluss der Übersetzungen auf die Wahrnehmung der Dynamik

von Auseinandersetzungen im Neuen Testament . . . 63 Angela Standhartinger

Streitkultur im Neuen Testament. Dargestellt am Konflikt um

die Tischgemeinschaft in den paulinischen Homologumena . . . 81 Uta Heil

Streitende Heilige und heilsamer Streit. Zur christlichen Streitkultur

in den ersten Jahrhunderten . . . 93 Michaela Durst

Der Dialog als Selbstprüfung für denAgondes Priesters. Einige

Bemerkungen zu Johannes Chrysostomos’DialogDe sacerdotio . . . 119 Christian Danz

Theologie und Religion. Überlegungen zu einer umstrittenen

Unterscheidung . . . 139

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Ulrich H.J. Körtner

Christliche Sokratik. Emil Brunners Programm theologischer Eristik und

das Problem der Apologetik bei Rudolf Bultmann . . . 155

Michael Hackl Pluralität des Denkens. Cassirers »new horizon« in Naturwissenschaft und Religion . . . 169

Manuel Stetter Predigt und Pluralität. Zur Bearbeitung kultureller Differenz im Rahmen religiöser Rede . . . 181

Bernhard Lauxmann Bis die semantischen Fetzen fliegen! Auseinandersetzungen ums Christsein in spätmodernen Arenen christlich-religiöser Debattenkultur wiegutefrage.net,YouTubeund Co . . . 197

Rainer Lachmann Theologie als Streitkultur in Geschichte und Gegenwart der Religionspädagogik? . . . 237

Robert Schelander Streit um die Schule. Der »Schulkampf« in Österreich am Ende des 19. Jahrhunderts . . . 273

Aus der Forschungswerkstatt Uta Heil zusammen mit Maria-Lucia Goiana und Sandra Kubicz Das Martyrium der Corona . . . 291

Karl W. Schwarz »Sie haben […] geholfen, den nationalsozialistischen Einbruch in unsere Kirche abzuwehren.« Anmerkungen zu Gerhard Kittel und dessen Lehrtätigkeit in Wien . . . 319

Livia Wonnerth-Stiller Palästinensische Theologie als Streitkultur. Die Frage nach einem Dialog zwischen divergierenden kontextuellen Theologien . . . 341

Die Autorinnen und Autoren . . . 369

Bibelstellenregister . . . 371

Namensregister . . . 375 Inhalt 6

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Vorwort

Wo zwei oder drei Theologinnen oder Theologen zusammenkommen, ist Streit vorprogrammiert. Diese Aussage ist durch einen Rückblick auf die Geschichte des Christentums provoziert: Wie viele Auseinandersetzungen gab es hier schon (s. den Beitrag vonUta Heilzur Streitkultur in der Spätantike), inklusive solcher, die zu Verurteilungen und Schismen geführt haben! Bereits in der Bibel sind Streitgespräche nachzulesen (s. den Beitrag vonStefan Fischerzum Buch Hiob und den Beitrag vonAngela Standhartingerzum antiochenischen Zwischenfall) und wird Streit als selbstverständlich vorausgesetzt (s. den Beitrag vonMagda- lena Lass zu Psalm 35 und den Beitrag vonHans Försterzu Auseinanderset- zungen im Neuen Testament). Begleitet wurden solche Auseinandersetzungen von Überlegungen darüber, wie, wann, mit wem, vor welchem Forum, auf welcher Basis und zu welchem Zweck überhaupt eine Debatte zu führen sei: Tertullian hielt um 200 n.Chr. Streitereien mit Häretikern über Schriftauslegungen für sinnlos; Augustinus (gest. 430 n.Chr.) dagegen suchte solche Auseinanderset- zungen und empfahl jedem Bischof beispielsweise eine rhetorische Ausbildung, um in Streitgesprächen siegen zu können (s. auch den Beitrag vonMichaela Durst zu Johannes Chrysostomos); auch Peter Abaelard (gest. 1142) suchte den Streit und wurde dafür verurteilt, dennoch wurde sein kritisches Denken in die Dis- putationstechniken der entstehenden Universitäten des Hochmittelalters inte- griert, welche die Reformationszeit intensiv prägten.

Waren und sind die Protestanten daher besonders streitfreudig? An Ausein- andersetzungen untereinander und mit anderen Nicht-Evangelischen mangelte es jedenfalls nicht, auch die Einrichtung von Lehrstühlen zur Apologetik und Polemik an den protestantischen konfessionellen Fakultäten weisen darauf hin.

Allerdings wandelte sich mit der Zeit die Haltung zu Andersdenkenden in der Moderne, somit auch die gepflegte Streitkultur (s. den Beitrag von Rainer Lachmann zur Streitkultur in der Religionspädagogik sowie den Beitrag von Robert Schelander zum Schulstreit im 19. Jh.), sodass in der Gegenwart eher Pluralität, Dialog und Diskurs die passenderen Stichworte zu sein scheinen (s. den Beitrag vonChristian Danz, mit Überlegungen zur Unterscheidung von

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Theologie und Religion). Hinzu kommt die Entchristlichung der Gesellschaft, sodass der Gegenstand des theologischen Streits abhandengekommen zu sein scheint. Kann man heute noch über die Existenz Gottes oder die Wirklichkeit Gottes streiten (s. den Beitrag vonUlrich Körtnerzu Emil Brunner und Rudolf Bultmann)? Stehen nicht die vielfältigen Perspektiven der Weltdeutungen (s. die Beiträge von Michael Hackl zu Ernst Cassirer sowie auch Manuel Stetterzur Pluralität und Predigtkultur) dagegen, mit- oder gegeneinander zu streiten?

Allerdings ebben die Auseinandersetzungen nicht ab, sondern verlagern sich einerseits auf andere Themen (wie die Öffnung der Ehe für alle oder Freigabe der Abtreibung) oder in andere Foren wie die Social Media (s. den Beitrag von Bernhard Lauxmann).

Daher ist weder den Christen der Vormoderne der Vorwurf zu machen, sie haben damals gar kein echtes Streitgespräch führen können, da sie, im angeb- lichen Besitz der Wahrheit, keinen Spielraum für ein gemeinsames Ringen um Erkenntnis der Wahrheit zugelassen hätten–auch damals wurden im Streit erst neue Einsichten gewonnen–, noch sind die Streitfälle der Gegenwart allein von gelassener Rationalität und friedlicher Suche nach Konsens geprägt, wie eklek- tisches Argumentieren und emotionalisierte »Wahrheiten« zeigen.

Eine neue Verständigung über eine christliche Streitkultur auf einer Meta- ebene, wie, wann, mit wem, vor welchem Forum, auf welcher Basis und zu welchem Zweck überhaupt eine Debatte zu führen ist, wäre geboten. Die vor- liegenden Beiträge sind eine Anregung in diese Richtung. Die Pläne für den Sammelband »Theologie als Streitkultur« gehen auf eine interdisziplinäre Dis- kussionsrunde im Rahmen der Erasmustage an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien im März 2019 zurück.

Wie üblich, enthält auch dieses Wiener Jahrbuch im hinteren Teil wieder Beiträge aus aktuellen Forschungsprojekten (siehe die Beiträge vonUta Heilund Mitarbeiterinnen,Livia Wonnerth-StillerundKarl W. Schwarz), u.a. einen zur Heiligen Corona, passend für die Zeit, in der dieses Jahrbuch entstanden ist.

Wir danken Sarah Herzog für die redaktionelle Bearbeitung der Beiträge, Elisabeth Oberleitner für die Mitarbeit beim Erstellen der Register und Oliver Kätsch von Vandenhoeck & Ruprecht für die verlegerische Betreuung des Bandes.

Den Leserinnen und Lesern wünschen wir eine anregende Lektüre.

Uta Heil und Annette Schellenberg Wien, Februar 2021 Vorwort 8

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Theologie als Streitkultur

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Stefan Fischer

Streitkultur im Buch Hiob. Leiden im Horizont von Unschuld und Schuldzuweisung

Abstract

This essay examines the culture of criticism in the Book of Job and places it in the context of eristic dialectics. It collects and considers the disputes in the Book of Job and shows that the argumentative atmosphere is constructed to favour one party over another, rather than finding a common answer. This is not only true for the wager between God and Satan that leads to Job’s test, but this argumentative construct also divides Job and his friends. As for God, Job challenges him to a legal battle and deplores his silence as unjust action. God’s speeches do not answer Job’s complaints and accusations but lead him to be in the right, while speaking of God what is right.

1 Streitkultur

Eristische Dialektik ist die Kunst zu disputieren, und zwar so zu disputieren, dass man Recht behält, alsoper fas et nefas(mit Recht und mit Unrecht). Man kann nämlich in der Sache selbstobjectiveRecht haben und doch in den Augen der Beisteher, ja bisweilen in seinen eignen, Unrecht behalten.1

Genau diesen Eindruck kann gewinnen, wer sich mit dem Buch Hiob ausein- andersetzt. Beim Lesen der Gespräche zwischen Hiob und den drei Freunden (Hiob 3–31) sowie in der Erweiterung durch die Elihureden (Hiob 32–37)2wird das ursprüngliche Ziel des Besuches der Freunde, nämlich Hiobs Schicksal zu beklagen und ihm Trost zu spenden (Hiob 2,11), aus den Augen verloren. Für Engljähringer hat »das Gespräch der vier Männer von Anfang an denCharakter

1 Arthur Schopenhauer: Die Kunst Recht zu behalten, Hamburg102009, 10.

2 Auf die Reden Elihus wird in diesem Aufsatz nicht näher eingegangen. Sie sind zwar eine Reaktion auf die vorhergehenden Reden, bleiben aber selbst ohne Antwort. Als redaktioneller Einschub sind sie ein Fremdkörper, der eine jüngere Weisheit zu Wort kommen lässt. Vgl.

Harald-Martin Wahl: Der gerechte Schöpfer. Eine redaktions- und theologiegeschichtliche Untersuchung der ElihuredenHiob 32–37 (BZAW 207), Berlin 1993, 174.

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eines Streitgesprächs«,3welches sie durch Hiobs Rede (Hiob 3) ausgelöst sieht.

Wird Hiobs Schicksal anfänglich auf eine unbekannte Verfehlung des ansonsten stets vorbildlichen Gerechten zurückgeführt (Hiob 4,3–8), so werden ihm später offensichtliche Verfehlungen (Hiob 22,5–9), für die es keinen Anhaltspunkt gibt, vorgeworfen. Es entsteht der Eindruck, dass Hiob durch sich steigernde An- schuldigungen in die Enge getrieben werden soll, es den Freunden in den Streitgesprächen4 letztlich nur noch um Schuldzuweisung und Rechtbehalten geht. Bereits Köhler stellt fest:

Diese Reden sind Reden, wie sie vor der Rechtsgemeinde von den Parteien geführt werden, Parteivorträge würden wir sagen. Dafür ist schon der Aufbau bezeichnend. Vor der Rechtsgemeinde geht Rede und Gegenrede so lange hin und her, bis die eine Partei nichts mehr zu sagen weiss. […] Es soll ja nicht in Rede und Gegenrede […] ein Stück Wahrheit gefunden, sondern es soll mit die Zuhörer überzeugender, man darf wohl auch sagen überredender Kraft ein von vornherein festgelegter Standpunkt vertreten werden.5

Inhaltlich ist das Buch Hiob von einer Auseinandersetzung über das Leiden geprägt. Dabei ist es nicht die Theodizee-Frage »Warum lässt Gott es zu?«, ob- wohl diese mit Blick auf das Buch Hiob häufig gestellt wurde, sondern vielmehr die Fragen nach der Ursache des Leidens und wie mit dem Leiden umgegangen werden soll, die nicht nur im Gespräch mit den Freunden thematisiert werden, sondern das ganze Buch Hiob durchziehen, sodass die verschiedenen Blöcke einbezogen werden müssen.

Diachrone Analysen nehmen intertextuelle Bezüge und Spannungen zum Anlass, Wachstumsschichten des Textes und verschiedene Redaktionsphasen herauszuarbeiten. Hier soll keine weitere redaktionsgeschichtliche Arbeit hin- zugefügt werden, sondern eine synchrone Textanalyse erfolgen. Diese sieht den vorliegenden Text als »Resultat eines jahrhundertelangen theologischen Dis- kurses und nicht als einheitliches Werk eines Autors«6 an, sodass die unter- schiedlichen intertextuellen Bezugspunkte dem Lesenden Freiräume einer ei- genständigen Interpretation eröffnen.

Diese berücksichtigt insbesondere das Verhältnis von der Rahmenerzählung, dem Prolog und Epilog, zum poetischen Hauptteil. Zwar können die Reden ohne die Rahmenerzählung gelesen werden, da sie diachron betrachtet nicht einheit-

3 Klaudia Engljähringer: Theologie im Streitgespräch. Studien zur Dynamik der Dialoge des Buches Ijob (SBS 198), Stuttgart 2003, 42.

4 Das Streitgespräch als Formelement des Hiobbuches wird eingeführt durch Claus Wester- mann: Der Aufbau des Buches Hiob (CThM 6), Stuttgart 1977, 40–51.

5 Ludwig Köhler: Die hebräische Rechtsgemeinde, in: Jahrbuch der Universität Zürich, Zürich 1931, (3–23) 11.

6 Nina Meyer zum Felde: Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott. Studien zur Interpretation von Psalmentheologie im Hiobbuch (WMANT 160), Göttingen 2020, 24.

Stefan Fischer 12

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lich entstanden sind, aber im vorliegenden Text ist die Rahmenerzählung durch die Einführung der Freunde mit dem Redenteil verknüpft. Das im Prolog gezeichnete Bild eines vollkommenen Gerechten (Hiob 1,1) entspricht seiner Haltung der Unschuld. Jedoch widersprechen sich die Reaktionen des fatalistisch anmutenden Sich-Ergebens und des Aufbegehrens gegen Gott grundlegend, sodass sich hier unterschiedliche Herangehensweisen ans Leiden im Horizont von Unschuld und Schuldzuweisung auftun.

2 Ein himmlisches Streitgespräch

Setzt man zu Beginn des Buches Hiob an, so findet in der Rahmenerzählung, abgesehen von der kurzen Auseinandersetzung zwischen Hiob und seiner Frau, kein zwischenmenschliches Streitgespräch statt (Hiob 2,9.10). Stattdessen gibt es eines zwischen dem Satan7 und Jahwe. Der Satan hat Zugang zum Thronrat Jahwes. Jhwh ist stolz auf Hiob (Hiob 1,8). Daraufhin stellt der Satan die Inte- grität Hiobs in Frage und behauptet, seine Frömmigkeit sei nicht selbstlos, sondern eigennützig. Die divergierenden Ansichten zwischen dem Satan und Jahwe münden in die von Jahwe dem Satan gewährte Prüfung Hiobs. Diese kann als rechthaberische Wette8zwischen den beiden angesehen werden, die auf dem Rücken Hiobs ausgetragen wird.9

In zwei sich steigernden Prüfungen erhält der Satan die Macht über alles, was zu Hiobs Besitz zählt, einschließlich seiner Familie (Hiob 1,12), und über Hiob selbst mit Ausnahme seines Lebens (Hiob 2,5.6).10Hiob sieht sein Schicksal als in

7 »Satan« wird im Hiobbuch stets mit Artikel verwendet. Dieses geschieht, wenn das hinwei- sende Element betont und eine Figur als bekannt vorausgesetzt wird, ohne dass ihre Indi- vidualität betont wird. So auch »der Adam« (Gen 2,8), »die Sullamit« (Hld 7,1). Satan ist hier zwar (noch) kein Eigenname (vgl. Sach 3,1.2), aber doch personalisiert und damit mehr als eine generelle Bezeichnung eines Widersachers (vgl. Num 22,22.32; 1 Kön 11,23).

8 C.G. Jung: Antwort auf Hiob, Zürich 1953, 26–27 sieht die Ursache der Wette darin, dass Jhwh durch einen Zweifelsgedanken beeinflusst und in Bezug auf Hiobs Treue unsicher gemacht wurde und fragt, ob er nicht gegen Hiob einen geheimen Widerstand gehabt habe.

9 Diese Wette bot die Vorlage für Goethes Faust, wo es im Prolog im Himmel zu einer Wette zwischen Gott und Mephisto kommt und letzterem der Faust überlassen wird. Im Unter- schied zu einer herkömmlichen Wette fehlt der Wetteinsatz. Nach meinem Verständnis ist das Rechtbehalten als Wetteinsatz eine Sache der Ehre und ausreichend, um die Prüfungen als Wette zwischen dem Satan und Jhwh anzusehen. Dass der Satan im Epilog nicht mehr auftritt, kann als unehrenhaftes Verschwinden nach der Wettniederlage verstanden werden. Ob der Begriff der Wette angemessen ist, ist umstritten. Vgl. Konrad Schmid: Das Hiobproblem und der Hiobprolog, in: M. Oeming, K. Schmid (Hg.): Hiobs Weg: Stationen von Menschen im Leid (BThSt 45) Neukirchen-Vluyn 2001, (9–34) 20 Anm. 32.

10 Hier bleibt eine Ehrfurcht vor dem Leben gewahrt, dass Gott als Schöpfer über Anfang und Ende des Lebens verfügt. Außerdem ließe sich über die Gottesfürchtigkeit eines Toten nichts

Streitkultur im Buch Hiob 13

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der Hand Gottes liegend an, sodass er Besitz wie Verlust ursächlich mit Gott in Verbindung bringt (Hiob 1,21) und in der zweiten Prüfung das Böse annimmt, weil er auch das Gute von Gott empfangen hat (Hiob 2,10a). Beide Prüfungen werden vom Erzähler mit ähnlichen Worten als bestanden zusammengefasst:

»Bei alldem sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes gegen Gott.« (Hiob 1,22)

»Bei alldem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen.« (Hiob 2,10b)

Da Hiob beide Prüfungen bestanden hat und keine weitere Prüfung vorgenom- men wird, kann daraus geschlossen werden, dass der Satan die Wette verloren hat. Ein Eingeständnis des Satans gibt es nicht. Er verschwindet aus der Erzäh- lung.

3 Die Theologie der Rahmenerzählung

Wenn Prolog und Epilog unter Ausklammerung der Dialoge gelesen werden, so wird hier ein Tun-Ergehen-Zusammenhang aufrechterhalten, der die vollkom- mene Integrität Hiobs ins Zentrum rückt. Er wird vollständig restituiert und darüber hinaus mit doppeltem Besitz und langem Leben, dem alttestamentlichen Segen eines gottwohlgefälligen Lebens, belohnt (Hiob 42,12–13).

Zwar ist die Rahmenerzählung für den modernen Leser anstößig, da der Mensch zum Spielball anderer Mächte wird, aber sie bietet eine in sich plausible Erklärung und eine ethische Haltung an, sich in Gottergebenheit zu üben.

Da in der Erzählperspektive der Rahmenerzählung durch einen auktorialen Erzähler eine Nullfokalisierung eingenommen wird, erhalten die Leser einen Einblick in die Figur Hiobs und in die himmlischen Thronratssitzungen, der über das Wissen der beteiligten Figuren hinausgeht. Sie kennen Hiobs Gedanken (Hiob 1,5), welche dessen Handeln plausibel machen. Hiob hingegen bleibt das himmlische Geschehen zwischen dem Satan und Jahwe verborgen. Das Nicht- wissen um die Wette zwischen Jhwh und dem Satan setzt sich in den Dialogen des poetischen Teils fort. Bei einer synchronen und fortlaufenden Leseweise geht der Lesende mit dem Wissen vom Prolog in die Streitgespräche und weiß mehr als jeder Redner. Dadurch wird Spannung aufgebaut, ob nämlich einer der Reden- den die Wette zwischen dem Satan und Jhwh als Möglichkeit anführen oder ob diese völlig außerhalb des Horizonts bleiben wird.

mehr aussagen, wollte man nicht noch einen weiteren Horizont des Jenseits/der Unterwelt eröffnen. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Stefan Fischer 14

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4 Hiobs Freunde (Hiob 2,11–13; 42,7–9)

Die im Prolog skizzierten Umstände ohne regulierten Kult oder Tempel sowie die Verortung im Land Uz (Hiob 1,1) lassen Hiob als einen Frommen in vorstaat- licher Zeit erscheinen. Die drei Freunde Hiobs werden als Gesprächspartner eingeführt (Hiob 2,11–13), die ihm nach Herkunft und Rang ebenbürtig sind. In den Streitgesprächen geben sie sich als Vertreter verschiedener und doch ähn- licher weisheitlicher Theologien zu erkennen; sie sind repräsentative Vertreter eines Standes von Weisen.11Ihre Herkunftsangaben »Elifas, der Temaniter, und Bildad, der Schuchiter, und Zofar, der Naamatiter« (Hiob 2,11) lassen sie als Vertreter internationaler Weisheit erkennen.12

Dass die Freunde aus aller Herren Länder stammen, zeugt von der Wichtigkeit der Person Hiobs sowie der seiner Freunde. Sie stehen aber auch für die Uni- versalität der Fragestellung des Leidens und können mit der schlussendlichen Durchsetzung und Anerkennung Jhwhs, des Nationalgottes Israels, als Plädoyer für seine Vorherrschaft von Anfang an und über die Völker verstanden werden.

Der fiktionale und didaktische Charakter des Hiobbuches zeigt sich im raf- fenden Erzählstil, der Unwahrscheinliches nicht hinterfragt, sondern plausibel zusammenfügt. So erfahren die Freunde von den Schicksalsschlägen Hiobs und treffen zeitgleich bei ihm ein. Ihre Reaktion beim Anblick des durch Krankheit, Schaben und Asche entstellten Hiob (Hiob 2,7.8) geschieht mit den üblichen Gebärden, um Entsetzen und Trauer auszudrücken (Hiob 2,12). Ihr siebentägiges Schweigen entspricht der Zeit für die Klage über einen Verstorbenen (Gen 50,10).

So werden sie als anteilnehmende gute Freunde eingeführt.13Hier ist nichts davon zu erkennen, dass sich bald heftige Streitgespräche zwischen Hiob und ihnen entwickeln werden, in denen es nicht mehr um Trost geht.

5 Die Streitgespräche des poetischen Teils

Der Begriff Streitgespräch scheint passender als Dialog, da es sich einerseits nicht um ein Zwiegespräch handelt, als würden die Freunde immer mit einer Stimme reden, sodass eher von einem Polylog gesprochen werden müsste, und ande-

11 Josef Wehrle: Der leidende Mensch. Ein Beitrag zur Anthropologie und Theologie des Alten Testaments (Bibel und Ethik 4), Münster 2012, 148.

12 Elihu wird in den Horizont israelitischer Weisheit gerückt, da er als Busiter (Hiob 31,3) zu den Nachkommen eines Neffen Abrahams gehört (Gen 21,20–21).

13 Stefan Fischer: Hiobsbotschaftenvon guten Freunden und schlechten Ratgebern. Theo- logische Existenz als Beitrag zu einer holistischen Weltsicht, in: Wilfried Engemann (Hg.):

Glaubenskultur und Lebenskunst. Interdisziplinäre Herausforderungen zeitgenössischer Theologie (WJTh 10), Wien 2014, (69–84) 70–71.

Streitkultur im Buch Hiob 15

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rerseits den Streitgesprächen inhaltlich die Dialogfähigkeit verloren geht. Es kommt zu keiner Annäherung, sondern die Streitgespräche eskalieren. Obwohl die Streitgespräche Poesie sind, fügen sie sich doch in den Endtext so ein, dass sie Teil der Handlung einer Erzählung sind. Dieses erfolgt durch die Einführung der Freunde am Ende des Prologs. Ebenso tauchen die Freunde am Übergang zum Epilog wieder auf.14Sie nehmen eine Scharnierfunktion zwischen den beiden Teilen des Hiobbuches ein.

Die Streitgespräche werden vom Erzähler nur durch die Rednerangabe durchbrochen (Hiob 3,1; 4,1; 6,1; etc.). Zusätzliche Zeit scheint nicht zu vergehen, sodass Erzählzeit und erzählte Zeit im Unterschied zur Rahmenerzählung de- ckungsgleich sind. Ortswechsel finden nicht statt. Eine Veränderung der äußeren Umstände gibt es erst bei der Antwort Gottes aus dem Sturm. Er antwortet Hiob, die Freunde verschwinden aus dem Blick (Hiob 38,1). Die Streitgespräche selbst kennen keinen äußeren Handlungsfortgang. Sie stehen dem Lyrischen Drama nahe, welches definiert wird als

ein sehr handlungsarmes Schauspiel, das sich durch eine lyrisch-stilisierte Sprache auszeichnet und meist durch den Monolog einer Hauptperson tief in seelische Zustände blicken läßt.15

Hiob ist die Hauptperson. Seine Redeanteile sind deutlich größer als die seiner drei Freunde. Er gibt betont Einblick in sein inneres Geschehen.

5.1 Hiobs Monologe (Hiob 3; 29–31)

Der poetische Teil der drei Redegänge mit den Freunden wird durch Monologe Hiobs umrahmt.16Auf die Anwesenheit der Freude wird kein Bezug genommen.17 Das einleitende »Danach« (ירחא) schlägt eine Brücke zur vorhergehenden Szene des siebentägigen Schweigens und Trauerns in Gegenwart der Freunde.

Was das siebentägige gemeinsame Schweigen betrifft, so kann dieses in einer psychologischen Exegese als Zeit des inneren Prozesses verstanden werden, der in der Figur des Hiob zu einem Stimmungsumschwung führt. Die siebentägige

14 Die Dialoge mit den Freunden sind demnach primär als kohärent zu lesen, auch wenn es sekundäre Umstellungen und Erweiterungen gegeben haben sollte.

15 Elke Reinhardt-Becker: Lyrisches Drama, 2009, verfügbar unter: http://www.einladung-zur-li teraturwissenschaft.de/index2328.html?option=com_content&view=article&id=355 [01.10.

2020].

16 Josef Wehrle: Der leidende Mensch (s. Anm. 11), 53.

17 Westermann: Der Aufbau (s. Anm. 4), 41, ist der Ansicht, hier würde die Kontroverse zwi- schen Hiob und Gott beginnen. Dem kann insofern zugestimmt werden, dass bei Hiob, auch wenn Gott hier nicht angesprochen wird, eine innere Entwicklung einsetzt, die in die Aner- kennung Gottes nach den Gottesreden mündet.

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Trauer, die nicht nur den Gepflogenheiten entspricht, sondern auch symbolisch als vollkommene Zahl aufgefasst werden kann, weist darauf hin, dass es zu keiner plötzlich umschwenkenden Gemütsverfassung kommt, sondern dieser Um- schwung in ihm gereift ist. In Hiob 3 ist er nicht mehr der fromme und gerechte leidende Dulder (Hiob 1,21; 2,10), der unerschütterlich alles hinnimmt und so in der prophetischen Überlieferung zusammen mit anderen urzeitlichen Gerechten als ein Vorbild der Gerechtigkeit (Ez 14,14.20) und im Neuen Testament als Vorbild des Glaubens rezipiert worden ist (Jak 5,11). Stattdessen schreit er seine Verzweiflung heraus.18Im jetzigen Textzusammenhang kontrastiert sein Reden den Hiob des Prologs. Während dort die Aufforderung der Frau Hiobs »Fluche Gott und stirb!« (Hiob 2,9) als törichte Rede abgetan wurde (Hiob 2,10), nähert sich Hiob nun dieser Position an, denn er verflucht den Tag seiner Geburt (Hiob 3,3), also sein Leben, nicht aber Gott, wie der Satan es vorausgesagt hatte (Hiob 1,11). Hiob erscheint als eine Person, die unter ihrem Schicksal leidet und den Lebenswillen verloren hat. Programmatisch stellt er eine Fülle von Fragen (Hiob 3,11.12.20), mit denen er der Ursache seines Leidens auf den Grund gehen will. Es ist offensichtlich, dass diese Fragen ohne Antwort bleiben. Es wird kein Raum zum Antworten gelassen, sondern Frage an Frage gereiht. So sind sie vielmehr Ausdruck davon, in welcher Verzweiflung er steckt.

Die anschließenden Reden der Freunde nehmen auf Hiobs einleitende Rede ebenfalls keinen Bezug. Ebenso scheint Hiob in seiner abschließenden Rede (Hiob 29–31) alles, was zwischenzeitlich gesagt wurde, zu ignorieren. Stattdessen spricht Hiob von seinem früheren Glück und jetzigem Unglück und bekundet mit einem Reinigungseid seine Unschuld und appelliert an Gott.

Am Ende seiner einleitenden Rede spricht er von sich als einem Mann, dem Gott seinen (Lebens)weg verborgen hat und der sich von Gott eingezäunt fühlt (Hiob 3,23). Auf diese Metaphern des Dunkels und der Enge hin gewährt er tiefen Einblick in sein inneres Befinden und verleiht diesem Ausdruck, indem er am Ende des einleitenden Monologes Metaphern verwendet, welche Emotionen konzeptualisieren: »Denn vor meinem Brot mein Seufzen. Es ergießt sich wie Wasser mein Schreien.« (Hiob 3,24). Brot und Wasser sind Grundnahrungsmittel für den minimalen Lebensunterhalt.19Als Wortpaar werden sie bei Menschen in elenden Situationen wie Gefangenen (1 Kön 22,27), Flüchtenden (1 Kön 17,6)20 oder sich wegen Kriegsgefahr Sorgenden (Ez 12,18–19) verwendet. Wenn Hiobs

18 An Hiob zeigen sich »typische Ausdrucksformen und Phasen eines Schwerkranken oder Trauernden. […] Im Verhalten von Leid stark betroffener Menschen sind starke Stim- mungsumschwünge […] an der Tagesordnung.« Eva Jenny Korneck: Das Buch Hiob als pädagogisches Konzept. Die Rede von Gottes Allmacht in religiösen Bildungsprozessen (Altes Testament und Moderne 27), Berlin 2014, 40.

19 David Clines: Job 1–20 (WBC 17), Dallas 1989, 102.

20 Elia wird als Zeichen der Fürsorge Gottes zudem mit Fleisch versorgt.

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Seufzen sein tägliches Brot ist und seine Schreie aus ihm herausfließen wie Wasser (3,24), so stärkt ihn das Brot nicht (vgl. Ps 104,15). Seine schlechten Umstände sind wie schlechtes Essen und nicht mal dieses kann er halten. Deshalb ist seine Klage gerechtfertigt, wie van Loon ausführt:

If the audience agrees that sighing is indeed bad food, they cannot blame Job for crying as they will recognize that crying is as inevitable and necessary as one’s rejection of bad food.21

Hiob setzt mit einer zweiten Begründung fort, in welcher Metaphern der Bewe- gung Hiobs Zustand der Unruhe als durch räumliche Ereignisse, die mit Gewalt auf ihn eindringen, verursacht erscheinen lassen:22

»Denn ich fürchtete mich sehr und wovor ich Angst hatte, drang zu mir. Ich war nicht ruhig geworden, ich war nicht still geworden, ich war nicht zur Ruhe gekommen und es kam Widrigkeit.« (Hiob 3,25–26).

Im Rückblick äußert Hiob, er hätte gefürchtet, ein Unglück könnte geschehen. In parallelen Sätzen spricht er von der Angst, die zu ihm drang und der Widrigkeit/

dem Unglück, das zu ihm kam. Auch wenn die Intention des Prologs offen- sichtlich ist, Hiob und sein Handeln als das eines Gerechten darzustellen, kann dieses nun anders beurteilt werden. Hiobs rechtschaffene, redliche Gottesfurcht, sein Wohlergehen und sein priesterliches Handeln (Hiob 1,1–5) waren von Verlustängsten getrieben.

5.2 Die Streitgespräche zwischen Hiob und seinen drei Freunden (Hiob 4–27)

Die Reden zwischen Hiob und seinen drei Freunden gliedern sich in drei Zyklen, in denen die Freunde in der jeweils gleichen Abfolge reden und Hiob auf jede einzelne Rede antwortet. Hiob führt parallel eine dreifache Auseinandersetzung, welche in einer szenischen Darstellung gleichzeitig stattfinden könnte. Die Streitgespräche wirken künstlich, da sich die Freunde in den langen Reden ausreden lassen und nichts über begleitende Gesten gesagt wird. Hier zeigt sich eine Gattungsmischung, denn der Begriff »Streitgespräch« gehört in den Um- kreis des Rechts,23der sich jedoch durch die poetische Gestalt mit der Gattung Poesie mischt. Da die Streitgespräche von Anfang an als schriftliche Rede kon- zipiert wurden, ist es literarisch schwierig, dem anderen ins Wort zu fallen, den

21 Hanneke van Loon: Metaphors in the Discussion on Suffering in Job 3–31. Visions of Hope and Consolation (BiInS 165), Leiden 2018, 73.

22 Vgl. van Loon: Metaphors (s. Anm. 21), 73–74.

23 Westermann: Der Aufbau (s. Anm. 4), 40.

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Satz fortzusetzen oder gleichzeitig zu reden. So entstehen längere Abhandlungen mit dem für ein Streitgespräch unnatürlichen Eindruck eines gepflegten Dialogs mit klarer Kennzeichnung der Sprecherwechsel, welcher erst im dritten Rede- zyklus verwässert. Dort werden die Reden kürzer, als ob die Freunde nichts mehr zu sagen hätten; ihre Argumente verpuffen. Schließlich fällt die dritte Rede Zofars aus; Zofar hat nicht mehr zu sagen. An seiner Stelle wird ein weisheitliches Lehrgedicht (Hiob 28) eingefügt. Es bildet einen vorläufigen Abschluss der Reden im Vorgriff darauf, dass der gesamte Redekomplex durch die Gottesreden ab- geschlossen wird. Auch inhaltlich nimmt es einiges vorweg, was in den Gottes- reden wieder aufgenommen wird: Weisheit und Einsicht in die Schöpfung blei- ben dem Menschen letztlich verborgen (Hiob 28,1–22), sie erschließen sich nur Gott, der den Menschen belehrt (Hiob 28,23–28).24

Die Reden der Freunde sind didaktische, weisheitliche Lehrreden, in welche Elemente aus den Psalmen und dem Recht eingeflossen sind. Zu ihnen zählen u.a. Verhör, Schwur, Selbstverfluchung, Klage und Hymnus. Im Buch Hiob findet sich ein »Reichtum literarischer Gattungen, die miteinander verschlungen sind«.25Durch die Gattungsmischung finden sich die verschiedenen Gattungen

»in einer anderen als ihrer ursprünglichen Funktion, so daß die jeweilige Re- deform zusätzlich aus den Rahmenversen zu bestimmen ist.«26

Gerade die Klage über die Abwesenheit Gottes ist ein häufiges Motiv in den Psalmen (Ps 13; 22; 28; 31; 35; 71; 143), da die Abwesenheit als strafendes Handeln Gottes empfunden wird, welches Hiob ebenfalls verwendet. Lindström fasst zu- sammen:

Like the poet Job, the poet in Ps 39 uses prayer and complaint motifs from the individual complaint psalms for is reflection on human conditions in an apparently godless world.

Experiences which have been preserved in the psalm’s depictions of affliction function in our psalm like the presentations of the dialogues, as a description of the reality of human existence on the whole.27

Da Hiob sich stets als unschuldig versteht, geht er von der Klage zur Anklage Gottes über. Bspw. sind es die Rahmenverse Hiob 21,2–5.27.34, welche die Schil-

24 Vgl. Martin Leuenberger: Die personifizierte Weisheit vorweltlichen Ursprungs von Hi 28 bis Joh 1. Ein traditionsgeschichtlicher Strang zwischen den Testamenten, in: ZAW 120 (2008), (366–386) 369.

25 Johann Hempel: Die althebräische Literatur und ihr hellenistisch-jüdisches Nachleben, Wildpark-Potsdam21968, 179.

26 Markus Witte: Vom Leiden zur Lehre (BZAW 230), Berlin 1994, 57. Einen Überblick über literarische Gattung und Beispiele von Vertretern von Gattungsmischungen bietet er in ders.: Hiobs viele Gesichter. Studien zur Komposition, Tradition und frühen Rezeption des Hiobbuches (FRLANT 267), Göttingen 2018, 37–64.

27 Frederik Lindström: Suffering and Sin. Interpretation of Illness in the Individual Complaint Psalms (CB.OT 37), Stockholm 1994, 255.

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derung des Wohlergehens der offensichtlich unrecht handelnden Frevler zur Klage und Anklage werden lassen.28Wenn eine traditionelle Form nicht nur in einem anderen Kontext verwendet wird, sondern auch mit einem anderen Inhalt gefüllt wird, tritt ein Verfremdungseffekt ein, der bis hin zur Parodie gehen kann.

Katherine J. Dell unterscheidet hier zwischen »›misuse‹of forms and the›reuse‹of forms«.29Sie sieht eine missbräuchliche Verwendung dort als gegeben an, wo eine traditionelle Form nicht nur in einem anderen Kontext verwendet wird, sondern auch eine andere Funktion hat:

Traditional forms from legal, cultic and wisdom spheres are deliberately misused by the author to convey his scepticism.30

Dies geschieht bspw. in der zweiten Antwort Hiobs an Zofar:

21:7–13 presents the prosperity of the wicked in a parody of wisdom poem which would normally have described the prosperity of the righteous.31

Und bereits Whedbee32findet in der karikierenden Beschreibung der Freunde, den Reden Hiobs, Elihus und Gottes Elemente der Parodie. Dabei greift Hiob auf traditionelles Erbe zurück, um es neu zu interpretieren. Für Whedbee ist Hiob 7,17–18 ein Beispiel für eine Parodie, da hier Psalm 8 verdreht und lächerlich gemacht wird.33

Was ist der Mensch, dass du ihn groß machst und dein Herz auf ihn richtest. Aber jeden Morgen suchst Du ihn heim, prüfst ihn jeden Augenblick. (Hiob 7,17.18)

Mir scheint die Umgestaltung des Lobs auf den Schöpfer in Psalm 8 zu einer Klage ein typisches Beispiel für Verfremdung durch eine Gattungsmischung zu sein, welche mit Lindström als »perversion of psalm theology«34 bezeichnet werden kann. An die Stelle der Gottergebenheit tritt die Klage mit spöttischem Unterton, denn Hiob fühlt sich von Gott im negativen Sinn geprüft und ge- mustert. Anders als im Prolog, in dem das eigene Schicksal als Prüfung Gottes verstanden wird,35spricht Hiob hier über Gottes ungerechtes Handeln mit Zy- nismus und Bitterkeit.

Von den Freunden erfahren wir nur wenig Persönliches, gerade mal eine Angabe über ihre Herkunft und relative Altersangaben. Selbst durch ihr unter-

28 Witte: Vom Leiden (s. Anm. 26), 139.

29 Vgl. Katherine J. Dell: The Book of Job as Sceptical Literature (BZAW 197), Berlin 1991, 110.

30 Dell: The Book of Job (s. Anm. 29), 110.

31 Dell: The Book of Job (s. Anm. 29), 114.

32 William Whedbee: The Comedy of Job, in: Semeia 7 (1977), (1–39) 1.

33 Whedbee: The Comedy of Job (s. Anm. 32), 15.

34 Lindström: Suffering and Sin (s. Anm. 27), 464.

35 Dieser Gedanke ist in der Hebräischen Bibel kein fremder, vgl. die Bindung Isaaks, Gen 22,1–

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schiedliches Alter gewinnen die Figuren nicht an Tiefe. Bereits von der Form eines weisheitlichen Diskurses her sind flache Figuren zu erwarten. Als Vertreter traditioneller Weisheit sind Erfahrung und Alter Argumente dafür, dass sie mit ihrer Weisheit Hiob überlegen sind, wie besonders Elifas hervorhebt (Hiob 15,9–

10).36

Hawley37hat die Streitgespräche unter dem Aspekt des Redens analysiert und stellt fest, dass Hiob seine eigene Rede und die der Freunde evaluiert und dass die Freunde ihn zwar ebenfalls evaluieren, aber nie in sich gehen. Sie kommen auch nicht miteinander über ihre unterschiedlichen Positionen ins Gespräch. Diese fehlende Selbstreflexion trägt dazu bei, dass die Freunde als flache Figuren er- scheinen.

Die Freunde treten als Vertreter einer konnektiven Gerechtigkeit auf. Hier unterscheiden sie sich nicht von Hiob. Es gibt keine sachlichen Missverständnisse zwischen ihnen. Ihre Differenz liegt in der unterschiedlichen Schuldzuweisung für die Ursache des Leidens.

Hiob und seine Freunde gehen von der gleichen Voraussetzung aus, dass nichts zufällig in dieser Welt geschieht und somit auch das Leiden Hiobs nicht ohne Ursache ist. Die Freunde ziehen von Hiobs Leiden den Rückschluss, Hiob müsse irgendeine Schuld auf sich geladen haben, sodass Gott ihn nun straft und somit die Möglichkeit zur Umkehr ermöglicht. Da Hiob dies vehement verneint, sieht er sein Ergehen als ungerechtes Handeln Gottes an.

Die Freunde unterscheiden sich in der Legitimation ihrer Positionen. Urmas Nõmmik hat die Freundesreden detailliert untersucht und hält fest:

[…], daß sich die Legitimationen der Freundesreden als sehr unterschiedlich erweisen.

Die Erfahrung des alten Elifas, die Tradition der Väter und die »ewige«, wohl »göttliche«

Wahrheit bei Zofar bilden keinesfalls zu unterschätzende Argumente gegenüber der existentiellen Erfahrung Hiobs.38

Die Figur des Hiob hat mehr Tiefe und dies nicht nur, weil er in der Rahmen- erzählung beschrieben wurde, sondern auch, weil er in den Streitgesprächen spürbarer ist. Er zeigt Emotionen, wenn er Gott herausfordert und mit den Freunden streitet.

Während die Freunde Hiob mit Argumenten überhäufen, sind seine Ant- worten von Klagen durchzogen.39Die Streitgespräche mit den Freunden, die sich 36 Entsprechend hat Elihu wegen seiner Jugend seine Rede zurückgehalten. Als er schließlich spricht, äußert er scharfe Kritik, denn alte Menschen sind nicht zwingend weise (Hiob 32,6–

37 Lance R. Hawley: Metaphor Competition in the Book of Job (JAJSup 26), Göttingen 2018,10).

73–77.

38 Vgl. Urmas Nõmmik: Die Freundesreden des ursprünglichen Hiobdialogs. Eine form- und traditionsgeschichtliche Studie (BZAW 410), Berlin 2010, 234.

39 Westermann: Der Aufbau (s. Anm. 4), 40.

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von der zu erwartenden Anteilnahme zu heftigem Streit entwickeln, sind emo- tionsgeladen und voll von gegenseitigen Vorwürfen. Hiob quälen die Reden seiner Freunde. Sie verhöhnen ihn. Es setzt ihm zu (Hiob 19,2). Grundsätzlich wäre Hiob bereit gewesen, sich von den Freunden zurechtweisen zu lassen, sie als Lehrer zu akzeptieren, aber sie taugen dazu nicht, da seine verzweifelte Rede bei ihnen im Wind verhallt. Sie handeln gegenteilig zur Weisheit, wie er ihnen mit dem drastischen Bild vorwirft, sie würden über eine Waise das Los werfen und um ihren Freund feilschen (Hiob 6,24–27). Aus solcher Rede klingt Hiobs tiefe Verzweiflung.

In seinen Reden adressiert Hiob nicht nur den einzelnen zuvor sprechen- den Freund, sondern alle drei (Hiob 6,21.25–28; 12,2.3; 13,2–13; 16,2–5; 17,10;

19,2–6.22.28.29; 21,5.27–29.34; 27,5.11.12).40Da die Freunde eine gemeinsame Grundüberzeugung teilen, ist dies gut möglich. Außerdem sind alle drei Freunde als jeweils anwesend zu denken. Dennoch muss sich Hiob mit allen drei Argu- mentationssträngen auseinandersetzen. Auch wenn es keine direkten Repliken auf Gesagtes gibt, so greifen die Reden doch durch Anspielungen auf zuvor Gesagtes zurück.

So wehrt sich Hiob gegen die zehnfache Verhöhnung seitens der Freunde, die ihn mit vielen Worten peinigen (Hiob 19,2–4), so wie dies die Frevler tun. Er könnte darauf anspielen, dass Elifas ihn mundtot machen will, indem er ihm in weisheitlichen Lehrsätzen Bosheit, die zum Schweigen gebracht wird (Hiob 5,16), und eine geißelnde Zunge (Hiob 5,21) unterstellt. Hiob geht nicht direkt auf Elifas ein, aber er wirft ihnen vor, ihn mit Worten so niederzumachen, wie dies böse Menschen tun.41

Der wiederholte Rückgriff auf einzelne Metaphern fördert die Wiedererken- nung von Anspielungen, so bspw. bei der Windmetapher. Hawley analysiert Hiob 6,26; 8,2; 15,2–3.30; 16,2.3 und hält fest:

The WORDS ARE WIND metaphorical expressions demonstrate a basic disagreement between Job and his friends over the value of Job’s speeches. Job never admits to his speech being »wind« but readily perceives that the friends view his speeches as ephemeral.42

Hiob wird als Figur greifbarer, indem er viel von sich und dem Unrecht, das er erfährt, redet. Elfmal verwendet er zur Betonung das unabhängige Personal- pronomen »Ich« (ניא), während es von den Freunden einzig Elifas (dreimal)

40 Elihu adressiert sie ebenfalls gemeinsam (Hiob 32,6–12).

41 Vgl. Hawley: Metaphor Competition (s. Anm. 37), 106.

42 Vgl. Hawley: Metaphor Competition (s. Anm. 37), 105.

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verwendet,43 ohne dabei Einblick in sein inneres Geschehen zu geben. Hiob hingegen gewährt Einblick in sein inneres Befinden. Er grenzt sich so von einer Rollenzuteilung seitens seiner Freunde ab, von denen er sich belehren lassen würde, wenn sie Recht hätten (Hiob 6,24). Er wehrt sich dagegen, in die Rolle eines Feindes, wie sie durch Metaphern von Meer und Drache symbolisiert werden, gedrängt zu werden (Hiob 7,11–12). Er betont seine Rechtschaffenheit (Hiob 9,20–21) mit dem Schlüsselwort »unschuldig/vollkommen/rechtschaffen«.

Der Wurzelםמת, mit welchem er in der Rahmenerzählung (1,1) eingeführt wird.

Dort, wo er sich von seinen Freunden nicht verstanden, sondern niedergemacht fühlt, hebt er hervor, nicht geringer als sie zu sein (Hiob 13,2) und betont, in der Tat mit Gott reden zu wollen (Hiob 13,3), weil er überzeugt ist, recht zu behalten (Hiob 13,18). Schließlich bringt er damit seine Überzeugung zum Ausdruck, dass sein Löser lebt und er ihn sehen wird (Hiob 19,25–27).

Die Freunde kamen, um Hiob zu trösten, aber sie verhärten sich in ihren Positionen immer mehr. Ihre Argumente erhellen sich nicht gegenseitig, sondern engen ein. Zusehends gehen sie in die Rolle von Verteidigern Gottes über und werden so zu Hiobs Gegnern. Bildads letzte Rede (Hiob 25) ist eine einzige Verteidigungsrede Gottes, in der er Hiobs Niedrigkeit, er sei weniger als eine Made oder ein Wurm (Hiob 25,6), drastisch vor Augen stellt und durch Motten und Würmer auch rasche Vergänglichkeit, Tod und Verrottung assoziiert (Hiob 7,5; 13,28; 27,18). Das Streitgespräch mit den Freunden hat zu keinen kon- struktiven Lösungen geführt. Es endet seitens der Freunde mit vernichtenden Vorwürfen und seitens Hiobs mit einem entsprechenden Gegenangriff, sodass Hiob Bildad in einer rhetorischen Frage »Wessen Geist44geht von dir aus?« (Hiob 26,4) spöttisch unterstellt, dass sein Reden keine Einhauchung Gottes und folglich nichtssagend ist.

So wird Hiob in seinem Leid nicht getröstet. Im Gegenteil, die Streitgespräche laufen auf einen doppelten Kampf hinaus, den Hiob mit Gott und gegen seine ihn mit Vorwürfen überhäufenden Freunde führt. So entsteht ein verbaler Schlag- abtausch, der aus dem Ruder läuft. Treffend fasst der Erzähler dies bei der Einführung der Figur Elihus zusammen. Dieser wird über Hiob zornig, weil »er sich gegenüber Gott im Recht betrachtete« (Hiob 32,2), was von außen betrachtet als eine Anmaßung erscheinen muss. Über die Freunde wurde er zornig, »weil sie keine Antwort gefunden und Hiob doch verdammt hatten« (Hiob 32,3).

Dass Hiob sich gegen Gott wendet und ihn als ungerecht handelnd anklagt, ist das Neue und Provokative bei Hiob. Da steigert er sich immer mehr hinein, 43 Elifas verwendet »Ich« (ניא) zur Betonung seiner selbst gemachten Beobachtung (Hiob 5,3), seines Ratschlags, wenn er an der Stelle Hiobs wäre (Hiob 5,8), und um sich von Hiob abzugrenzen (Hiob 15,6).

44 Der verwendete Begriffחמשנwird sonst für den Atem Gottes (Schaddai) gebraucht, der den Menschen eingehaucht wird (Hiob 32,8; 33,4, vgl. Gen 2,7).

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sodass er Gott in seiner letzten Antwort in einer Selbstverfluchung anklagt, er würde ihm sein Recht verweigern und seine Seele bitter machen (Hiob 27,2). Hiob halte an seiner Gerechtigkeit (Hiob 27,6) und im Gegensatz zu Gott am Tun- Ergehen-Zusammenhang fest (Hiob 27,7–23).

Festzuhalten bleibt, dass Hiob, auch wenn er Gott anklagt, sich dabei doch an Gott wendet. Während er in seinem einleitenden Klagemonolog (Hiob 3) noch ganz auf sich selbst bezogen ist, ändert sich dies in den Streitgesprächen. Dort spricht er in seiner ersten Rede erst über (Hiob 6,6–10) und dann zu (Hiob 7,17–

21) Gott.

Schließlich lässt der rasche Wechsel der Anrede Gottes in der dritten und zweiten Pers. Sing. beide Redeformen als eine anklagende Reflektion der eigenen Situation vor Gott erscheinen: »Gewiss, nun hat er mich müde gemacht. Du hast meinen ganzen (Familien)kreis45vernichtet« (Hiob 16,7). Auf die bittere Anklage Gottes (Hiob 16,11–14) setzt die Suche nach Gott46ein: »Unter Tränen blickt mein Auge zu Gott auf.« (Hiob 16,20).

Hiob geht den Weg eines Beters in den Klagepsalmen, von der Klage (Hiob 3) mit dem Wunsch zu sterben (Hiob 6,8–10; 7,13–16), über die angesichts des bevorstehenden Todes vertrauensvolle Anrede Gottes unter Tränen (Hiob 16,20–

22) hin zu einem neuen Vertrauensbekenntnis. Meyer zum Felde beobachtet:

In allen Buchteilen pflegt Hiob–wenn auch in heftigen Klagen und Anklagen–mit traditionsgesättigter Psalmensprache seine persönliche JHWH-Reaktion. An keiner Stelle lässt er den Gebetsfaden abreißen.47

Zwar folgen auf diese Rede Hiobs das Lehrgedicht der Weisheit (Hiob 28), der Schlussmonolog Hiobs (Hiob 29–31) und die Worte Elihus (Hiob 32–37), aber die eigentliche Antwort auf Hiobs Anklage wird erst in den Gottesreden gegeben.

6 Gottesreden

Hiob hat eine Theophanie. Gott spricht aus dem Sturm zu ihm. Er redet, indem er fragt. Er antwortet, ohne auf Hiob direkt einzugehen. In den Gottesreden stellt Gott sich selbst dar. Er nimmt Hiobs Herausforderung, mit Gott einen Rechts- streit zu führen an, während er die Reden der Freunde ignoriert.48Er übergeht sie, 45 Wilhelm Gesenius: Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, Berlin u.a.182013, s.v.

ע ד ה .

46 Vgl. Marlen Bunzel: Ijob im Beziehungsraum mit Gott. Semantische Raumanalysen zum Ijobbuch (BS 89), Freiburg 2018, 304. Für sie setzt die Suche des klagenden Hiob nach einem persönlichen Gott dort ein, wo Hiob zu Gott spricht.

47 Vgl. Meyer zum Felde: Hiobs Weg (s. Anm. 6), 17.

48 Vgl. Wehrle: Der leidende Mensch (s. Anm. 11), 177: »Die Gottesreden gehen auf die Theo- logie der Freunde in keiner Weise ein. Der von den drei Freunden zunächst nur angedeutete, Stefan Fischer 24

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sodass daraus geschlossen werden kann, dass ihre theologischen Konzepte ver- sagen und nicht stichhaltig sind.

Die erste Gottesrede ist geprägt von rhetorischen Fragen zur Größe und Un- durchschaubarkeit der Welt. Diese Antworten sind nicht sofort ersichtlich, sondern sind voller Anspielungen und Bezugnahmen innerhalb des Hiobbuches.

Gott spricht von der Weltschöpfung und Welterhaltung.49 Die Anfänge der Schöpfung, die Naturgewalten und der Kosmos (Hiob 38,1–38) erschließen sich Hiob ebenso wenig wie die Tierwelt (Hiob 38,39–39,30). Das Nachvollziehen dieser Realitäten rückt das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf zurecht, sodass seine Herausforderung Gottes zu einem Rechtsstreit obsolet wird.50

Hiob wird auf diese Weise von Gott dazu gebracht, darüber nachzusinnen, welche Rollen ihm und Gott zukommen. Wenn ihm der große Kosmos gezeigt wird, so soll ihn dies dazu bringen, dass er seinen auf sein eigenes Leid verengten Blick aufgibt und sich in einem veränderten Weltbild neu orientiert.

In der zweiten Gottesrede weitet sich der Horizont auf Jhwh als den Vernichter der Frevler und Hochmütigen (Hiob 40,7–14) als auch den Bezwinger der zur Schöpfung gehörenden Chaosmächte Behemot und Leviatan (Hiob 40,15–41,25).

Jahwe stellt sicher, dass sich die zerstörerischen Kräfte nicht verselbstständigen, ebenso wie er dem zerstörerischen Wirken des Satans eine Grenze setzt und ihm die Macht über das Leben Hiobs verwehrt (Hiob 2,6). Ebenso wenig wie der Hiob des Prologs Einblick in die Geschehnisse im himmlischen Thronrat hatte, er- schließen sich ihm die der Schöpfung innewohnenden Mächte und Prozesse.51 Die Reden Gottes aus dem Sturm geben weder Antwort auf die Vorwürfe Hiobs noch nehmen sie auf den Prolog Bezug. Es findet keine Aufklärung über den wahren Grund des Leidens Hiobs, der Wette zwischen dem Satan und Jhwh, statt. Trotz allem Getöse des Sturms und den wortreichen Ausführungen Jhwhs bleibt die wahre Ursache verborgen. Sie wäre zu banal. In dieser Hinsicht herrscht Stille zwischen der himmlischen und der irdischen Sphäre.

aber dann offen ausgesprochene Verdacht, Ijobs Sündhaftigkeit sei der Grund für sein Lei- den, wird vorerst mit Stillschweigen übergangen. Diese Beobachtung impliziert, dass die theologischen Argumente und Denkmuster der Freunde zurückgewiesen werden.«

49 Nina Gschwind: Kontingenzbewältigung, Sinnstiftung und Lebenssinn durch die JHWH- Relation am Beispiel von Hiob 38,1–42,6, in: Distant Worlds Journal 1 (2016), (143–157) 145.

50 Vgl. Michaela Bauks: »Was ist der Mensch, dass du ihn großziehst?« (Hiob 7,17). Überle- gungen zur narrativen Funktion des Satans im Hiobbuch, in: dies. u.a. (Hg.): »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?« (Psalm 8,5). Aspekte einer theologischen Anthropologie.

Festschrift für Bernd Janowski zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2008, (1–13) 4: »Es geht vielmehr um das langsame Nachvollziehen von Realitäten im Sinne einer Horizonter- weiterung. Es geht um die Transformation des Gottesbildes durch Hiob.«

51 Insofern kann mit Bauks: Was ist der Mensch (s. Anm. 50), 10 gefragt werden, ob der Satan

»als Metapher der dem Menschen abträglichen Bereiche der Schöpfungsordnung« gezeichnet wird.

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Gott spricht nicht nur zweimal zu Hiob, sondern wendet sich zu Beginn52des Epilogs auch an Elifas, alsprimus inter paresder Freunde, und macht ihnen den Vorwurf, im Unterschied zu Hiob nicht recht zu53ihm geredet zu haben (Hiob 42,7). Dies ist eine überraschende Umkehrung der Verhältnisse der vorherge- henden Reden, in welchen die Freunde meinten, das Wahre über Gott zu reden, und Hiob sich in schwere Vorwürfe gegenüber Gott steigerte.

Aber genau darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen Hiob und sei- nen Freunden. Hiob hat direkt zu Gott geredet, während die Freunde stattdessen objektivierend über Gott und Hiob gesprochen und ihr Weisheitssystem appli- ziert haben.

Wenn Gott auch nicht direkt auf die Reden Hiobs eingeht, so wird in den Gottesreden doch offensichtlich, dass Gott sich von Hiob angegriffen fühlte, denn er verteidigt seine Rechtschaffenheit, bestreitet aber nirgends diejenige Hiobs.54 Hiob wird durch das Zurechtrücken des Autoritätsgefälles Gott-Mensch von Gott zurechtgewiesen (Hiob 40,2) und aufgefordert, ihm Antwort zu geben.

7 Hiobs Antworten an Gott und die Kunst, nicht Recht behalten zu müssen

Hiob gesteht in seinen beiden Antworten (Hiob 40,3–5; 42,1–6) ein, zu gering zu sein, um zu antworten, und beschließt, zu schweigen. Dies ist keine Resignation Hiobs, weil Gott ihm den Rechtstreit verwehrt,55sondern Anerkennung seiner Position als schweigender Gottesschüler (Hiob 40,4). Dieses kann zur wahren Rede gezählt werden, die Hiob von Gott zuerkannt wird (Hiob 42,7). Aber wo hat Hiob so geredet? Gott fühlt sich von ihm unter Umkehrung des Autoritätsgefälles Gott-Mensch zurechtgewiesen (Hiob 40,2). Insofern redete Hiob nicht recht von Gott. Somit bleiben die Optionen, dass Hiobs Antworten oder seine Reden aus den Streitgesprächen als »wahre Rede« aufgefasst werden. Es wäre zwar auch möglich, dass direkt auf den frommen Hiob des Prologs rekurriert wird, aber dies würde den Verlauf des Hiobbuches ausblenden und ihm die gesamte span- nungsgeladene Auseinandersetzung nehmen.

52 42,7 leitet durch »und es geschah« einen neuen Erzählabschnitt ein. Vgl. Jürgen van Oorschot:

Gott als Grenze. Eine literar- und redaktionsgeschichtliche Studie zu den Gottesreden des Hiobbuches (BZAW 170), Berlin 1987, 9.

53 Zur Übersetzung von Verb und Präposition als »zu jemandem reden« vgl. Meik Gerhards: Art.

Gerechter, leidender, in: Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013, (188–193) 54 Vgl. van Oorschot: Gott als Grenze (s. Anm. 52), 236: »In den Fragen der Entgegnung be-190.

streitet Gott nicht Hiobs Rechtschaffenheit, sondern verteidigt vielmehr seine eigene.«

55 So jedoch David Clines: Job 38–42 (WBC 18B), Dallas 2011, 1224.

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Die zweite Antwort Hiobs führt an den Ausgangsort des poetischen Teils zurück. Der duldende, hinnehmende Hiob saß in der Asche (Hiob 2,8) und nun sitzt Hiob wieder (oder dem Erzählverlauf nach immer noch) in Staub und Asche (Hiob 42,6).

Engljähringer formuliert treffend:

Mit 42,6 kommt die Gestalt Ijobs, wie sie der Redeteil profiliert, genau dort an, wo der Ijob der Rahmenerzählung zu finden ist: Er ist mit Gott und seiner schrecklichen Lage versöhnt. Ijob, der mit seinen Freunden und mit seinem Gott ringt, »buchstabiert«

mühsam den Weg, den sein anderes Ich im Rahmenteil scheinbar so einfach geht.56 Hiobs Selbst-, Welt- und Gottesbild haben sich verändert.57Er anerkennt seine Hybris, Gott herausgefordert zu haben. Er erkennt, dass er nicht von seinem persönlichen Schicksal her die gesamte Weltordnung in Frage stellen kann und er erfährt eine neue Nähe des Gottes, der die Chaosmächte bändigt und in un- durchschaubarer Weise diese Welt kontinuierlich erhält.

7.1 Zynismus der Rahmenerzählung

Auf die Ursache des Leides nach der Rahmenerzählung wird nicht mehr zu- rückgekommen. Die dort angegebene Ursache des Leidens ist für den modernen Leser schwer verdaulich, da sie ein zynisches Gottesbild zeichnet. Der Mensch ist ein Spielball der Rechthaberei Gottes. Leiden wird als göttliche Prüfung inter- pretiert, die auf dem zulassenden Willen Gottes beruht. Die Rolle des Satans bleibt Hiob stets verborgen, sodass er Jahwe als Ursache des Guten wie des Bösen ansieht und sich in sein von Gott gesandtes Schicksal ergibt. Diese Gotterge- benheit wird als die vorbildliche Haltung angesehen (Hiob 1,21; 2,10). Somit gewinnt Jahwe die Wette und Hiob besteht die Prüfung.

Eine Wette zwischen Jhwh und dem Satan wird in den Streitgesprächen sowie im Epilog nie in Erwägung gezogen und auch in den Gottesreden wird das Geheimnis der Wette nicht gelüftet.58

Selbst wenn dieses auf einen diachronen Wachstumsprozess der Texte zu- rückzuführen wäre, kann für die Endgestalt doch gefragt werden, ob dies vor- sätzlich verschwiegen wird. Hat Gott seine Wette bereut und verschweigt sie nun?

56 Engljähringer: Theologie im Streitgespräch (s. Anm. 3), 195. Ähnlich sieht es Korneck: Das Buch Hiob als pädagogisches Konzept (s. Anm. 18), 40.

57 Gschwind: Kontingenzbewältigung (s. Anm. 49), 153: »In Hi 42,6 erst kommt der Rebell Hiob wieder dort an, wo er als Dulder bereits war. Beide Haltungen sind aber notwendige Aspekte der Auseinandersetzung mit Leid.«

58 Der Satan spielt keine Rolle, was in einer diachronen Leseweise die Frage aufwirft, ob die himmlische Thronratsszene aus einer späteren Zeit stammt.

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Reue wäre möglich. Sie gehört zu den anthropomorphen Eigenschaften Gottes (Gen 6,6; 1 Sam 15,35; Ps 106,45).

Wüsste Hiob um diese Wette, so wäre dies eine weitere Dimension der Prü- fung. Die Vorstellung, der Wetteinsatz Gottes zu sein, würde Hiobs neugewon- nene Einsichten und anerkennende, aber nicht bedrohliche Nähe Gottes zu- mindest gefährden, wenn er nicht daran irre würde.59 Einen dazu passenden Dialog zwischen dem Satan und Gott entwirft Türcke:

Und der Satan antwortete Jahwe und sprach: Solange ein Mann Gott nicht kennt, kann er wohl gottesfürchtig sein. Aber strecke deine Hand aus und rühre seine Augen an, dass ihm offenbar werde, was wir über ihn geredet haben. Wahrlich, er wird dir ins Angesicht fluchen. Da entbrannte der Zorn Jahwes gegen den Satan, und er verstieß ihn von seinem Angesicht.60

7.2 Hiob und die Kunst, von Gott recht zu reden

Wenn Schopenhauer die Möglichkeit einer vorsätzlichen Lüge in Betracht zieht, um Recht zu behalten, so findet sich Besagtes bei Elifas, welcher in seiner letzten Rede selbst zum Ankläger Hiobs wird, ihn mit eklatanten Anschuldigungen über moralisches Fehlverhalten und gotteslästerliche Rede überhäuft (Hiob 22,5–20) und dies mit einem Aufruf zur Umkehr zu Gott (Hiob 22,2–.23) verbindet.61Die Instrumentalisierung Gottes ist ein weiteres Indiz gescheiterter Gespräche, ins- besondere da Hiob stets betont hatte, dass die Ursache seines Leidens nicht in eigenem Fehlverhalten liegt. Elifas und die anderen Freunde reden, als ob sie Anwälte und Richter Gottes wären, die nicht nur den von Gott garantierten Tun- Ergehen-Zusammenhang verteidigen, sondern auch Hiob wegen unrechter Rede verurteilen.

Kommt man am Schluss nochmals auf Schopenhauer zurück, so kann für ihn eine Disputation gelingen, wenn die Disputanten

an Gelehrsamkeit und an Geist ziemlich gleichstehn. Fehlt es Einem an der ersten, so versteht er nicht Alles, ist nichtau niveau.Fehlt es ihm an zweitem, so wird die dadurch herbeigeführte Erbitterung ihn zu Unredlichkeiten und Kniffen [oder] zu Grobheit verleiten.62

59 Die Prüfung Abrahams, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern (Gen 22,1–2) führt ebenfalls in ein schwieriges Gottesbild, gegen welches der aufgeklärte Mensch aufbegehren sollte. Vgl.

Stefan Berg: Morija, in: HBl 1/2 (2011), 87–95.

60 Christoph Türcke: Umsonst Leiden. Der Schlüssel zu Hiob, Springe 2017, 47.

61 Vgl. Hawley: Metaphor Competition (s. Anm. 37), 146–147.

62 Schopenhauer: Die Kunst (s. Anm. 1), 92.

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Aus dieser Perspektive ist Hiob zwar seinen Freunden überlegen, aber die daraus resultierende Verhärtung fordert eine andere Lösung. Und diese erfolgt durch die Gottesreden. Schopenhauers letzter Kunstgriff beginnt mit: »Wenn man merkt, dass der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird« und setzt fort mit »so werde man persönlich, beleidigend, grob.«63Im Kontrast dazu steht Hiobs Anerkennung Gottes. Hiob erkennt, es gibt mehr als Recht behalten zu müssen, nämlich recht von Gott zu reden (Hiob 42,7).

63 Schopenhauer: Die Kunst (s. Anm. 1), 89.

Streitkultur im Buch Hiob 29

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konkreter Weise möglich war.« 25 Doch nicht nur die von Kreisky so gescholtene övp, sondern auch die fpö ließ wissen, dass sie im Nationalrat dem Regierungsbericht über die

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