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Studienbrief: Die biblischen Lesungen im Sonntagsgottesdienst

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Studienbrief: Die biblischen Lesungen im Sonntagsgottesdienst

„Liebe Gemeinde, der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei ...“

Mit diesen oder ähnlichen Worten beginnen Predigerinnen und Prediger Sonntag für Sonntag ihre Predigt. Ob die Auswahl des Predigttextes vorgegeben oder frei gewählt ist, wissen nur manche Gemeindeglieder. Einige kennen das Lektionar, um als Lektor oder Lektorin während des Gottesdienstes daraus die biblischen Lesungen vorzulesen. Zumindest ihnen ist geläufig, dass es offensichtlich eine Ordnung für die im Gottesdienst verwendeten Bibeltexte gibt. Welchen Prinzipien diese Ordnung folgt und wie sie funktioniert, bleibt den meisten allerdings

rätselhaft. Auch der Hinweis, dass diese Ordnung im Anhang des Gesangbuchs abgedruckt ist, verwirrt, denn nicht alle Regionalausgaben des Evangelischen Gesangbuchs enthalten alle Angaben. Die Verwirrung wird noch größer, wenn man feststellt, dass in der benachbarten römisch-katholischen Gemeinde am Sonntagmorgen ganz andere biblische Lesungen verwendet werden.

Die aktuell genutzte Ordnung der biblischen Lesungen für den Gottesdienst

wurde 1978 in den evangelischen und lutherischen Kirchen im deutschsprachigen Raum eingeführt. Zum Kirchenjahr 1999/2000 gab es einige kleine

Veränderungen, die vor allem den 10. Sonntag nach Trinitatis betrafen. Derzeit wird eine Revision der Ordnung vorbereitet.

Dieser Studienbrief möchte dazu beitragen, die gegenwärtig genutzte Ordnung für die biblischen Lesungen im deutschsprachigen evangelischen und

lutherischen Gottesdienst und ihre Grundprinzipien kennenzulernen (I). Für das bessere Verständnis hilft es, etwas über die Geschichte der gottesdienstlichen Lesungen zu erfahren (II) und auch die Unterschiede zu den Ordnungen für die gottesdienstlichen Lesungen in den anderen Kirchen kennenzulernen (III).

Abschließend soll auf die in Vorbereitung befindliche Revision der Perikopenordnung vorausgeschaut werden (IV).

I Die Lese- und Predigttextordnung Die gegenwärtige Perikopenordnung

Bei der Beschäftigung mit den gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexten ist ein Begriff entscheidend: die Perikope. Der Begriff Perikope wurde schon um 150 in der Apologie des Märtyrers Justin im Zusammenhang mit den christlichen Gottesdiensten benutzt. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bezeichnet ein „ringsherum herausgeschnittenes Stück“. Im Zusammenhang mit dem

Gottesdienst meint Perikope dann einen für den liturgischen Gebrauch bestimmten Bibelabschnitt, der an bestimmten Tagen des Kirchenjahrs vorgelesen wird.

• Eine Perikope ist ein aus einem biblischen Buch herausgeschnittenes Textstück.

• Bücher, in denen für jeden Sonn- und Feiertag diese so

herausgeschnittenen Textabschnitte zusammengesellt sind, werden Perikopenbuch genannt.

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• Als Lektionar bezeichnet man das Perikopenbuch dann, wenn die Perikopen besonders für den liturgischen Gebrauch hergerichtet und im Druck und Ausstattung für die liturgische Lesung eingerichtet sind.

Beim deutschsprachigen evangelischen und lutherischen Gottesdienst wird zwischen Leseperikopen und Predigtperikopen unterschieden.

Seit den Tagen der frühen Kirchen sind die biblischen Lesungen ein

unverzichtbarer Teil der gottesdienstlichen Zusammenkünfte. Im Evangelischen Gottesdienstbuch, das seit 1999 in Deutschland in den evangelischen und lutherischen Kirchen genutzt wird, haben die Lesungen im Teil B „Verkündigung und Bekenntnis“ ihren Ort. Das evangelische Gottesdienstbuch sieht eine Lesung aus dem Alten Testament, eine aus den Briefen des Neuen Testaments und eine Lesung aus den Evangelien vor1.

Diese drei zu lesenden Bibelabschnitte werden als Leseperikopen bezeichnet, weil sie unabhängig davon, ob sie im Gottesdienst ausgelegt werden, als liturgische Lesungen genutzt werden. Die zum Sonntag bzw. Festtag gehörenden

Leseperikopen kehren in jedem Jahr wieder und werden jeweils an dem Sonntag, zu dem sie gehören, wieder vorgelesen.

Übersicht zu den vier Teilen des Gottesdienstes2

A Eröffnung und Anrufung

B Verkündigung und Bekenntnis

Alttestamentliche Lesung Gesang

Epistel Halleluja Gesang Evangelium

[Glaubensbekenntnis] Gesang

Predigt

Lied/Musik/Stille Glaubensbekenntnis C Abendmahl

D Sendung Segen

1 In der Praxis verzichtet die Gemeinde häufig auf eine oder sogar auf zwei Lesungen.

Die alttestamentliche Lesung entfällt am häufigsten. Gelegentlich ersetzt sie aber auch die Lesung aus den Briefen des Neuen Testaments.

2 Vgl. Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, hg.von der

Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland und im Auftrag des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union,

Berlin/Bielefeld/Hannover 1999, 62.

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Neben den Leseperikopen gibt es die sogenannten Predigtperikopen. Sie werden im Gottesdienst nur vorgelesen, wenn sie auch in der Predigt ausgelegt werden.

In der gegenwärtig genutzten Perikopenordnung gehören zu jedem Sonn- und Festtag drei Leseperikopen und drei reine Predigtperikopen. Jedem Sonn- und Feiertag sind damit sechs biblische Abschnitte zugeordnet. Von diesen sechs Perikopen ist jeweils eine der Predigttext, so dass jede der Perikopen für den Sonn- bzw. Festtag alle sechs Jahre die Grundlage für die Auslegung in der Predigt wird. Die jährlich wiederkehrenden Leseperikopen sind damit auch Predigttexte.

Die Perikopen sind jahresweise in Reihen (I bis VI) zu einem sechs jährigem Turnus zusammengestellt. Im ersten Jahr ist der Abschnitt aus dem Evangelium der Predigttext, im zweiten Jahr der Abschnitt aus den Briefen (Epistel). Diese kehren beide als jährliche Leseperikopen wieder. In den Jahren III bis VI sind die alttestamentlichen Lesungen, weitere Epistel- und Evangelienabschnitte als Predigttexte vorgesehen. Dabei wechseln die alttestamentliche Lesung und die weiteren Abschnitte aus den Briefen und den Evangelium Sonntag für Sonntag ab. So gibt es nur ein reines „Evangelienjahr“, in dem Sonntag für Sonntag über das Evangelium gepredigt wird und ein reines „Episteljahr“.

Übersicht zu den Predigttexten nach der Ordnung von 1978:

Reihe I Evangelium Reihe II Epistel

Reihe III Evangelien oder

Alttestamentliche Lesung Reihe IV Episteln oder

Alttestamentliche Lesung (vor allem Propheten)

Reihe V Evangelien (vor allem Johannes) und

Alttestamentliche Lesung Reihe VI Episteln (vor allem

Hebräerbrief) und

Alttestamentliche Lesung

Die gottesdienstlichen Lesungen und das Kirchenjahr

Die Auswahl der sechs Lesungen für die Sonn- und Festtage steht in engem Zusammenhang mit dem Kirchenjahr. Die Lesungen sind Teil des sogenannten Propriums des Gottesdienstes. Das Proprium umfasst die veränderlichen Teile des Gottesdienstes. Es steht vor allem im Zusammenhang mit dem Kirchenjahr und richtet sich in der Regel danach, wann im Laufe des Jahres der Gottesdienst

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begangen wird. So sind z.B. die Gottesdienste in der Osterzeit in ihren

veränderlichen Teilen von der Osterbotschaft bestimmt. Das betrifft auch die gottesdienstlichen Lesungen. Auch bei ihnen steht die Osterbotschaft im Vordergrund.

Für den Gottesdienst wird zwischen Ordinarium und Proprium unterschieden.

Zum Ordinarium gehören alle liturgischen Stücke, die unverändert wiederkehren. Dazu zählen u. a. das Kyrie und Gloria (Allein Gott in der Höh sei Ehr), das Glaubensbekenntnis, in der

Abendmahlsliturgie das dreimal Heilig, die Einsetzungsworte, Lamm Gottes, Vaterunser.

Als Proprium (das Eigene, das Besondere) bezeichnet man die veränderlichen liturgischen Stücke. Sie wechseln abhängig vom Kirchenjahr (Feste, Passionszeit etc.) oder Anlass (Konfirmationen, besondere Gedenkgottesdienste etc.). Im Gottesdienst sind dies u.a.

das Tagesgebet, der Psalm, die Lieder, Lesungen und Predigttext, Teile der Abendmahlsliturgie.

Die Liturgiewissenschaftler, die die jetzt gültige Perikopenordnung und ihre Vorgängerordnung maßgeblich mitentwickelten bzw. beeinflussten, hatten ein vergleichsweise steiles Bild vom Kirchenjahr. In ihrer Denkschrift zum

Kirchenjahr von 19343 vergleichen Wilhelm Stählin und Theodor Knolle das Kirchenjahr mit einer Kathedrale oder einem Dom, die aber nur noch als Ruine in einem „Trümmerfeld“ vorzufinden sind, weil in ihnen „planlos“ und „nach

persönlichem Geschmack“ herumgebaut worden sei. Das Bild des Domes oder der Kathedrale lag für sie nahe, denn durch das Kirchenjahr sahen sie das Ganze der Heilsgeschichte so vor Augen, wie man es in den alten Kathedralbauten entdecken konnte.4

Der Begriff Kirchenjahr taucht zu einer Zeit auf, in dem sich die weltliche Perspektive auf das Leben von der geistlichen und kirchlichen Sicht auf die Zeit emanzipierte. Der Gedanke, den Jahreslauf als Kirchenjahr zu deuten, stand so von Anfang an in Konkurrenz zu anderen Weisen, das Jahr zu gliedern und zu verstehen. Dies wirkt bis heute nach und das Kirchenjahr steht neben dem Kalenderjahr, dem Schuljahr, dem Wirtschaftsjahr, Naturjahr, den Jahresabläufen der verschiedenen Sportarten etc.

Erstmals verwendete der Magedburger Prediger Johannes Baumgart, genannt Pomarius, den Begriff Kirchenjahr 1587 in seinen Postillen.

Bis dahin gab es den Begriff weder sprachlich noch inhaltlich.

Baumgart grenzt das Kirchenjahr vom weltlichen Jahr ab und lässt es am 1. Advent beginnen. Er sieht den Beginn des Kirchenjahrs am ersten Advent, weil „Anfang, Mitte und Ende unserer Seligkeit auf Christi Advent und Wiederkunft beruhen“ und die Adventszeit als

3 Das Kirchenjahr. Eine Denkschrift über die Kirchliche Ordnung des Jahres. Im Auftrag der Niedersächsischen Liturgischen Konferenz und des Berneuchener Kreises hg. v.

Theodor Knolle und Wilhelm Stählin, Kassel 1934, 8.

4 Rudolf Spieker, Lesung für das Jahr der Kirche. Biblische Lesungen für Kirche und Haus.

Mit einer Ordnung des täglichen Gebets, 5. Aufl. Kassel 1966, XIII.

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Vorbereitungszeit auf Weihnachten auch die Vorbereitung auf die Wiederkunft Christi sei.

Damit wird die Zeit im Horizont des Glaubens an Christus und der Hoffnung auf Christi Wiederkunft wahrgenommen. In dem Moment, in dem nicht der Glaube an Christus den Blick auf die Zeit bestimmt, erhalten andere, weltliche, Kategorien den Vorrang. Wer vom

Kirchenjahr spricht, betrachtet die Zeit aus der Perspektive des Glaubens an Jesus Christus.

Wenn es im Kirchenjahr um das Ganze der Heilsgeschichte geht, dann dienen die gottesdienstlichen Lesungen dazu, sich im Laufe des Jahres die Fülle des Heils zu vergegenwärtigen. Dreh- und Angelpunkt des Heils ist Jesus Christus. So steht Christus auch im Mittelpunkt des Kirchenjahrs. Das Kirchenjahr ist das

Christusjahr. Die großen Feste, die seit der frühen Kirche begangen wurden, orientieren sich am Leben, Sterben und Auferstehen Christi. In der Gesamtschau orientiert sich die Abfolge der Feste am Leben Jesu Christi. Geburt

(Weihnachten), Leiden und Sterben (Passion und Karwoche) und die

Auferstehung (Ostern) sind die Fixpunkte. Die Zeit der Erwartung (Advent) wird in diese Abfolge einbezogen, so wie jeder Geburt eine Zeit des Wartens

vorangeht. Der Auferstehung folgt die Zeit der Gemeinschaft der Jünger mit dem Auferstandenen (Osterzeit), die zu Pfingsten mit der Ausgießung des Heiligen Geistes in eine neue Qualität überführt wird. Das Lukasevangelium, das die zeitliche Zuordnung der biographischen Daten Jesu vorgenommen hatte, dient als Taktgeber für das Kirchenjahr5. Die Feste mit den dazugehörigen Sonntagen übernehmen so die Aufgabe, durch die Erinnerung an Jesu Leben, Sterben und Auferstehen in ihrer liturgischen Gestaltung das Heilsgeschehen zu

vergegenwärtigen.

Am deutlichsten stellen im Gottesdienst die biblischen Texte den Bezug zum Heilsgeschehen durch Christus her. Sie geben den Sonntagen ihr

unverwechselbares Gesicht und setzen ihn unmittelbar zum Zeitpunkt innerhalb des Kirchenjahres in Beziehung. Sie dienen dazu, den Glaubensgrund in Jesus Christus zu vergegenwärtigen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom anamnetischen (vergegenwärtigenden, erinnernden) Charakter der biblischen Lesungen.

Die vergegenwärtigende Funktion der Lesungen beschränkt sich nicht nur auf die erste Hälfte des Kirchenjahrs, die sich von Advent bis Pfingsten an Jesu Leben und Auferstehen orientieren. Auch in der zweiten, von vielen als festlose Hälfte des Kirchenjahrs benannten Zeit zwischen Trinitatis und Advent, behalten die Lesungen die Funktion, das Evangelium Jesu Christi zu vergegenwärtigen.

Hierbei kommt es freilich zu einer Verschiebung. Nicht der biographische Rahmen bietet den Ansatzpunkt, sondern einzelne Themen des Glaubens an Jesus

Christus. Ermahnung und Trost stehen vielfach im Vordergrund, auch wenn diese drei Aspekte in der Zeit von Advent bis Pfingsten gleichfalls eine Rolle spielen.

Hier werden sie stärker in Beziehung zum Christusleben gesetzt, in der zweiten Hälfte, der Trinitatiszeit, eher zum Christenleben. Diese Funktion wird auch als

5 Die Festsetzung der 40 Tage nach Ostern für die Erinnerung an Christi Himmelfahrt ist dem Lukasevangelium entnommen. Die 50 Tage nach Ostern mit der zeitlichen

Zuordnung von Pfingsten gleichfalls. Auch die Feste im Zusammenhang mit der Geburt, Neujahr als Tag der Beschneidung, 2. Februar als Tag der Darstellung des Kindes im Tempel beziehen sich auf die Angaben des Lukasevangeliums.

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die parakletische (tröstende) Aufgabe der biblischen Lesungen bezeichnet. Neben die vergegenwärtigende und die tröstende und ermahnende Funktion der

gottesdienstlichen Lesungen tritt die doxologische, preisende Funktion. Der zum Gottesdienst gehörende Lobpreis Gottes ist nicht allein auf die Lieder und Gebete beschränkt, sondern kommt genauso in den Lesungen zum Ausdruck.

Das Bild von der Kathedrale ist zunächst schlüssig, wenn man auf die beeindruckende Gestalt des Kirchenjahres schaut. Denkt man an die vielen Überlegungen zum Kirchenjahr, mit denen man für die zweite Hälfte des Jahres eine plausible Ordnung schaffen wollte, die genauso „logisch“ ist, wie die

Orientierung an der Biographie Jesu Christi, dann scheint auch die mit dem Kathedralbild verbundene Charakterisierung nicht verkehrt. Tatsächlich wurde nach „persönlichen Geschmack“ an der Kathedrale herumgebaut. 6 Dennoch trifft dieses statische Bild nicht zu. Das Kirchejahr ist gewachsen und nicht konstruiert worden. Das Kirchenjahr ist aus dem gelebten Glauben an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten entstanden. Es liegt ihm keine planvolle Konstruktion zugrunde. Aus der wöchentlichen Feier der Auferstehung am Sonntag erwuchs das jährliche Gedenken an die Auferstehung zu Ostern, um dann später mit der Erinnerung der Geburt Jesu verbunden zu werden. Erst in Zeiten, die ein

Bedürfnis nach Systemen entwickelten, wurde die Trinitatiszeit zum Feld von gezielten und zusammenhängenden Strukturüberlegungen. Letztlich sind diese Bemühungen zu keinem überzeugenden Ergebnis gekommen. Es gibt einige herausragende Festtage (Johannestag, Michaelistag) bzw. Themen (Erntedank, Gedenken an die Verstorbenen, Israelsonntag), aber keine zwingende Idee, unter welchem herausragenden Glaubensthema die gesamte verbleibende Zeit des Jahres stehen soll. Eine Logik für das Kirchenjahr ist nicht künstlich

herstellbar.

Das Sonntagsproprium und der „rote Faden“ im Gottesdienst

Die gültige Perikopenordnung trägt diesem Mangel an Logik Rechnung und hat letztlich davon abgesehen, die lange Trinitatiszeit in ein System zu pressen. Nur de letzten Sonntage vor dem Advent wurden als Zeit geformt, in der die

Erwartung des Jüngsten Gerichts und die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben im Vordergrund stehen.

Wenn auch das Bedürfnis nach Systematik oder einem „roten Faden“ für das Kirchenjahr als Ganzes für die Trinitatiszeit nur eingeschränkt befriedigt werden konnte, so hat man zumindest für die jetzt gültige Ordnung versucht, die

Sonntage jeweils durch die Auswahl der Lesungen mit einem deutlicher erkennbaren Profil zu versehen. Jedem Sonn- und Festtag ist ein Proprium zugeordnet.

6 Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jh. gab es eine Vielzahl von Vorschlägen, wie die zweite Hälfte des Kirchenjahrs strukturiert werden könnte. Die wenigsten

sytematisierenden Vorschläge haben eine breitere Wirkung entfalten können. Einige Ideen konnten sich durch die Berneuchner Bewegung und ihren starken kirchlichen Einfluss nach dem 2. Weltkrieg in den liturgischen Entscheidungen ab den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchsetzen und wirken bis heute.

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Zur Orientierung über das Proprium des Sonntags wird inzwischen der sog. Wochenspruch herangezogen. Der Wochenspruch ist eine vergleichsweise neue liturgische Erfindung. Heute ist er so

selbstverständlich, dass viele seine Herkunft mindestens bei Luther vermuten. Tatsächlich gibt es die Wochensprüche erst seit wenigen Jahrzehnten. Sie wurden von der Berneuchner Bewegung seit den frühen 1930er Jahren aus eher pädagogischen Gründen eingeführt, um die Jugend an den Sinn der sonntäglichen

Gottesdienstgestaltung heranzuführen. Die gottesdienstliche Nutzung setzte erst später ein. Noch die Agenden aus den 1950er Jahren sahen die Wochensprüche nicht vor. Im Evangelischen Kirchengesangbuch von 1951ff. waren sie in den beigefügten

Kalendern aufgeführt. Erst die Erneuerte Agende von 1990 fügte sie als Biblisches Votum den Propriumstexten für jeden Sonntag hinzu.

Das Proprium des Sonntags ist in der Regel vom Sonntagsevangelium her bestimmt7. Das Sonntagsevangelium prägt als sog. „Rektor“, als caput et prinicipale8 des Gottesdienstes die Zusammenstellung der Lesungen für den Sonntag.

Diese Charakterisierung der Evangelienlesung als „caput“, als Haupt, des Gottesdienstes hat Auswirkungen bis in die äußeren liturgischen Vollzüge. Die Evangelienlesung wird inszeniert. Selbst in den eher nüchtern gestalteten

protestantischen Gottesdiensten sind durch die Rahmenstücke (Versikel) und das Aufstehen der Gemeinde beim Hören Reste der besonderen Inszenierung der Evangelienlesung erkennbar geblieben9. Auf die Lesung des Evangeliums läuft der Gottesdienst dramaturgisch zu. Sie ist der Höhepunkt des Wortgottesdienstes bzw. der Teile A Eröffnung und Anrufung und B Verkündigung und Bekenntnis nach dem Evangelischen Gottesdienstbuch.

Diese Wertschätzung des Evangeliums als „Haupt“ und „Rektor“ hat zur Folge, dass es für die biblischen Lesungen im Gottesdienst eine Rangordnung gibt. Das Evangelium hat den höchsten Stellenwert und ihm kommt eine höhere Würde zu als den anderen Lesungen. Aus der Perspektive einer biblischen Theologie ist diese von der Inszenierung her gedachte Wertung aber schwierig. Die liturgische Gestaltung vermittelt, dass vor allem im Evangelium die Stimme Christi zu hören ist. Die Einsicht, dass Christus auch in den anderen biblischen Lesungen zur Gemeinde spricht, muss so ohne die äußerlich und liturgisch gestaltete Unterstützung wahrgenommen werden. Aber die besondere Stellung der

Evangelienlesung im Gottesdienst gibt auch zu erkennen, dass die theologische Mitte der biblischen Lesungen die Christologie ist. Es geht um Christus. Sein

7 Ausnahmen sind der Pfingsttag und dem 6. Sonntag nach Trinitatis, hier ist die Epistellesung der Orientierungspunkt.

8 Diese Formel geht auf Michael Prätorius zurück, der 1615 in seiner Syntagma Musicam das Evangelium als caput et principale bezeichnete.

9 Andere liturgische Traditionen kennen für die Lesung des Evangeliums eine z.T.

opulente liturgische Gestaltung. So wird in der römischen Messe, das Evangeliar von Kerzen begleitet zum Ambo getragen. Es kann mit Weihrauch geehrt werden und wird in einem eigenen Lektionston vorgetragen. In anglikanischen Gottesdiensten kann das Evangelienbuch in die Mitte der Gemeinde getragen werden, auch begleitet von Kerzen, um dann inmitten der Gemeinde vorgelesen zu werden. In beiden liturgischen

Traditionen ist die Verlesung des Evangeliums das Privileg der Priester.

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Leben, Leiden, Sterben, Auferstehen - sein Wort ist das Zentrum, an dem sich biblischen Lesungen orientieren müssen.

Angesichts der ausgeprägteren traditionellen Wertschätzung für die Evangelienlesung war die Entscheidung, für die jetzt verbindliche Perikopenordnung, diese Vorordnung des Evangeliums beizubehalten, konsequent.

Bei der Erarbeitung der letzten Perikopenordnung von 1978 gab es das

Bemühen, für eine Vielzahl an Sonntagen bei den Lesungen einen gemeinsamen verbindenden Gedankengang herzustellen. Für die Lesungen eines Sonntags sollte sich eine Konsonanz, ein „roter Faden“ ergeben. Der die Lesungen des Sonntags verbindende „rote Faden“ nimmt seinen Ausgangspunkt in der Regel beim Evangelium.

Einzelne Sonntage der Trinitatiszeit haben herausgehobene Themen:

6. Sonntag nach Trinitatis Taufe

7. Sonntag nach Trinitatis Abendmahl 8. Sonntag nach Trinitatis Licht Gottes 10. Sonntag nach Trinitatis Israelsonntag 13. Sonntag nach Trinitatis Nächstenliebe

20. Sonntag nach Trinitatis Ehe- und Familiensonntag

II. Zur Geschichte der gottesdienstlichen Lesungen

Der hinter der gegenwärtig genutzten Perikopenordnung stehende Grundgedanke ist immer noch vom Bild der gotischen Kathedrale beeinflusst. Sie ist weiterhin das heimliche Modell, nach dem die Lesungen dem Sonntag und der

Kirchenjahreszeit zugeordnet sind. Die Kathedrale mag inzwischen in einigen Seitenkappellen wohnlicher eingerichtet worden sein, bequemere Bänke mögen aufgestellt worden sein. Die Sichtachsen durch das Gebäude mögen bereinigt worden sein, damit man von allen Ecke und Winkeln die Kanzel und den Altar erkennen kann. Das Festhalten an der starken Prägung durch das Bild von der Kathedrale ist angesichts der Geschichte der gottesdienstlichen Lesungen nicht verwunderlich.

Schon die ersten Christen lasen bei ihren Zusammenkünften aus den Heiligen Schriften vor. Zunächst waren dies allein die Zeugnisse aus dem Alten

Testament.

In der frühchristlichen gottesdienstlichen Praxis war die Gemeinde dem Judentum liturgisch nahe, das sich zeitgleich für seine Gottesdienste ohne Tempel und außerhalb des Heiligen Landes in der Diaspora neu orientierte.

Judentum und Christentum waren unabhängig davon, dass sie das Alte Testament gemeinsam als Heilige Schrift nutzten, als Buchreligionen und

Erzählgemeinschaft eng verwandt und grenzte sich gegen die vielfältigen Kulte in der Antike ab. Schon in Nehemia 8,1-12 sind die typischen Elemente der

gottesdienstlichen Schriftlesung benannt: Aufruf zur Lesung aus der Tora durch den Priester Esra, das Vorlesen stehend auf einer hölzernen Erhöhung und das Öffnen der Torarolle durch den Vorbeter, dem die Gemeinde/das Volk mit ihrem Amen antwortet. Das spätantike Judentum kannte die Lesung einzelner

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Schriftabschnitte im Synagogengottesdienst und die Einteilung der Schrift in einzelne Abschnitte10.

In den frühchristlichen Gottesdiensten wurde bereits zu der Zeit, als das Neue Testament entstand, zusätzlich zu den alttestamentlichen Lesungen Abschnitte aus den Briefen der Apostel vorgelesen.

In der um 150 entstandenen Apologie des Märtyrers Justin heißt es:

„An dem nach der Sonne benannten Tag findet eine Zusammenkunft aller, die in Stadt und Land weilen, an einem bestimmten Ort statt, und es werden die

Denkwürdigkeiten der Apostel oder die Schriften der Propheten vorgelesen, solange die Zeit reicht.“ 11 Quellen aus dem 4. Jh. sind bereits konkreter und benennen die Reihenfolge der Lesungen: Altes Testament, Psalmengesang, Apostelgeschichte und Paulusbriefe, Lesung aus den Evangelien.12

Genaue Listen, welche biblischen Abschnitte vorgelesen wurden, sind aus dieser Zeit nicht überliefert. Die ersten Listen sind die sog. „Armenischen Lektionare“

und stammen aus dem 5. Jh. aus Jerusalem.

Zu weitreichender Bedeutung kommen zwei spätere Listen:

eine Liste der Evanglienlesungen, die spätestens 645 für die Kirche in der Stadt Rom fixiert wurde

und

eine Liste der Epistellesungen, die im 8. Jh. in der gallikanischen Kirche genutzt wurde.

Beide Listen wurden auf Initiative von Karl d. Gr. durch Alkuin zusammengeführt und im Karolingischen Reich genutzt. Diese karolingische Leseordnung wirkt bis in unsere heutige Perikopenordnung hinein. Sie wurde über die Jahrhunderte hinweg genutzt. Die Episteln dieser Reihe werden bis heute als altkirchliche

Episteln bezeichnet und die Evangelien als altkirchliche Evangelien. Luther hat sie in seinen liturgischen Schriften weiterhin für die Sonntagsgottesdienste als

Predigttexte vorgesehen. Sie wurden auch in der römisch-katholischen Kirche nach dem Konzil von Trient mit der Einführung des Missale Romanum (1570), das man auch als Reaktion auf die Reformation verstehen kann, beibehalten13. Die altkirchlichen Episteln und altkirchlichen Evangelien sind über Jahrhunderte Sonntag für Sonntag in den Gottesdiensten vorgelesen worden. In ihrem

Kernbestand sind sie die Reihen I und II der gegenwärtigen Perikopenordnung.

Bei der Überarbeitung der Lesereihen in den 1970er Jahren wurde allerdings ca.

ein Viertel der Lesungen ausgetauscht. Gleichwohl gehören die

Sonntagsevangelien und Sonntagsepisteln zu den liturgischen Teilen, die über ihre jahrhunderte lange Tradition die heutigen Gemeinden mit der abendländisch geprägten Gemeinde Jesu Christi der vergangenen Jahrhunderte verbinden.

Da die Epistelreihe aus der gallikanischen Kirche unabhängig von der

Evangelienreihe entstanden ist und beide Reihen „nur“ zusammengefügt wurden, sind sie auch nicht thematisch aufeinander abgestimmt. Epistel und Evangelium können deswegen nicht durch eine planvolle Entscheidung konsonant sein. Einen

„roten Faden“ kann man aufgrund der Entstehung eigentlich nicht erwarten.

10 Lukas 4,16-17 berichtet davon, wie Jesus beim Synagogengottesdienst aufgerufen wurde, aus den Propheten vorzulesen.

11 Kap. 67

12 vgl. Apostolische Konstitutionen II, 57

13 Einige kleine Verschiebungen gab es jedoch bei den Lesungen in der Trinitatiszeit.

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Diese Spannung zwischen Evangelien und Episteln am Sonntag trug mit dazu bei, dass im Laufe des 19. Jh. in Deutschland der Ruf nach einer neuen

Perikopenordnung und sogar nach der Abschaffung der Verpflichtung auf die Perikopen lauter wurde. Darauf reagierte die Eisenacher Kirchenkonferenz 1896 und erarbeitete neue Perikopenreihen. Diese neuen Eisenacher Episteln-

Evangelienreihen wurden neben die alten Reihen gestellt. Wenig später kam auch eine reine alttestamentliche Reihe hinzu. Die Kriterien für die Auswahl der neuen Reihen waren:

• Lektionabilität (gute Verwendung als Vorlesestück)

• Prädikabilität (Eignung als Predigttext)

• eine größere Auswahl aus der Fülle der biblischen Überlieferung

• verwandte Beziehungen zu den altkirchlichen Lesereihen.14 Das Bedürfnis nach Konsonanz der Lesungen und einem thematischen

Zusammenhang der Teile im Gottesdienst kam in den Blick und wurde – wenn auch sehr zurückhaltend – bei der Auswahl der Lesungen berücksichtigt.

Im Zusammenhang mit der Neuordnung des kirchlichen Lebens nach dem Ende des 2. Weltkriegs entstand eine neue Perikopenordnung, die die Eisenacher Ordnung ablöste. Diese Ordnung von 1958 stand im Zusammenhang mit der Einführung der Agende I in den 1950er Jahren in den lutherischen und unierten Kirchen in Deutschland.15 Für die Auswahl der Lesungen wurde nun die

Ausrichtung am Evangelium des Sonntags vorrangig. Die anderen Lesungen konnten allerdings auch kontrastierend oder kontrapunktisch zum Evangelium stehen. Für manche Sonntage wurde der Wunsch nach Konsonanz freilich nicht erfüllt und die verschiedenen Texte standen weiterhin jeweils für sich.

Nur 20 Jahre später wurde die jetzt gültige Lese- und Predigttextordnung eingeführt. Sie war das Ergebnis einer Arbeit, die unter den schwierigen

Bedingungen der deutschen Teilung zustande kam und hat so dazu beigetragen, die Zusammengehörigkeit der Christen über die Grenze hinweg zu bestärken16. Bei der Erarbeitung dieser Ordnung waren folgende Kriterien leitend:

• Die Lesungen sollten dazu dienen, den Rechtfertigungsglauben zu stärken und in der Predigt die Dialektik von Gesetz und Evangelium zur Sprache zu bringen.

14 Vgl. Karl-Heinrich Bieritz, Es wechseln die Zeiten – Perikopenreformen seit 1896 und ihr hermeneutischer Horizont, in: Auf dem Weg zur Perikopenrevision. Dokumentation einer wissenschaftlichen Fachtagung, hg. vom Kirchenamt der EKD, Amt der UEK, Amt der VELKD, Hannover 2010, 115-134.

15 Vgl. dazu, Herwarth von Schade, Perikopen. Gestalt und Wandel des gottesdienstlichen Bibelgebrauchs (Reihe Gottesdienst 11 hg. im Auftrag der Lutherischen Liturgischen Konferenz), Hamburg 1978, 47-53.

16 Nach der Wiedervereinigung ist dieser politische Aspekt der gemeinsamen

Perikopenordnung bereits in Vergessenheit geraten. Man darf aber davon ausgehen, dass die gemeinsamen Texte bedeutsam für die Verbindung der Gemeinden zwischen Ost und West waren. So wurde zumindest im geistlichen Feld die Gemeinschaft nicht zur

Disposition gestellt. Predigtmeditationen, wie die Göttinger Predigtmeditationen und die Evangelischen Predigtmeditationen kooperierten über die Grenze hinweg. Die Kirche blieb eins, trotz der formalen Trennung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR von der EKD.

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• Bei der Auswahl der Lesungen wurde die Konsonanz zum formalen Prinzip.

Die Texte wurden kürzer zugeschnitten, um die Merkbarkeit und das Mithören zu erleichtern.

• Der Anteil der alttestamentlichen Predigttexte wurde so erhöht, dass in den Jahren III bis VI alle vier Sonntage über eine alttestamentliche Perikope zu predigen ist.

Darüber hinaus erwog man, das in den Gottesdienstbefragungen der 1960er Jahre sichtbar gewordenen Bedürfnis nach Texten für einzelne Themen

unabhängig vom Kirchenjahr zu berücksichtigen und eine eigene Themenreihe zu erarbeiten. Gewünschte Themen waren damals: „Krieg und Frieden,

Gerechtigkeit, Erziehung, Autorität, Liebe, Schuld, Lebensgestaltung, Alter, Leiden, Schicksal, Glück, Krankheit, Angst, Tod – nicht aber politische

Themen“17. Diese Reihe steht bis heute aus. Zu manchen dieser Themen bieten die zu jedem Sonntag angebotenen sog. Marginaltexte18 Lesungen an.

III Leseordnungen in der Ökumene

Die römisch-katholische Leseordnung (Ordo Lectionum Missae)

Wenige Jahre vor der Einführung der Lese- und Predigttextordnung war es allerdings in der Ökumene zu einer einschneidenden Veränderung für die

gottesdienstlichen Lesungen gekommen. Als Folge des 2. Vatikanischen Konzils veränderte die römisch-katholische Kirche ihre Gottesdienste. Das äußerlich deutlichste Kennzeichen der Liturgiereform des 2. Vatikanums war die

Einführung der Landessprache für die Messfeier und die „Wiederentdeckung“ der Predigt. Die Messe sollte in der Feier der Eucharistie auch den „Tisch des Wortes reichlicher decken“. Dazu wurde eine vollkommen neue Leseordnung, der Ordo Lectionum Missae (OLM) mit drei Jahreszyklen entwickelt und ab 1969

eingeführt19. Die drei Lesejahre folgen den drei Evangelien, A = Matthäusjahr, B

= Markusjahr und C = Lukasjahr. Das Johannesevangelium wird in der Osterzeit, in der Fastenzeit und an einigen Sonntagen im Markusjahr vorgelesen. Für jeden Sonntag sind drei Lesungen (Altes Testament, Epistel, Evangelium) vorgesehen.

Die Benennung der Sonntage wurde vereinfacht. Man unterscheidet zwischen den geprägten Festzeiten und den Sonntagen im Jahreskreis. Für die Sonntage im Jahreskreis werden die Episteln und die Evangelien als sog. Bahnlesung

verwendet. Das bedeutet, dass die Texte aus den biblischen Büchern Sonntag für Sonntag fortlaufend weitergelesen werden, allerdings mit Auslassungen. Für die Auswahl der alttestamentlichen Lesung war der Bezug zum Evangelium

ausschlaggebend.20

17 Schade, Perikopen, 71f.

18 Im Lektionar werden diese mit M gekennzeichnet.

19 1981 kam es zu einer leichten Revision und in den Jahren nach 1982 wurde das deutsche Messlektionar neu herausgegeben.

20 Dieser Umstand wird in der katholischen Liturgiewissenschaft kritisch diskutiert, weil die Sicht auf das Alte Testament so verengt wird und die eigenständige Botschaft des Alten Bundes allein aus der christologischen Perspektive wahrgenommen wird. Aber auch

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Übersicht über die Leseordnung für die Sonntage im Jahreskreis:

Lesejahr A Matthäus

Lesejahr B Markus

Lesejahr C Lukas Altes Testament

ausgewählt in Bezug zum Evangelium

Altes Testament ausgewählt in Bezug zum Evangelium

Altes Testament ausgewählt in Bezug zum Evangelium Psalm bezogen auf

die Lesung aus dem AT

Psalm bezogen auf die Lesung aus dem AT

Psalm bezogen auf die Lesung aus dem AT Epistel in

Bahnlesung

Epistel in Bahnlesung

Epistel in Bahnlesung Matthäusevangelium

in Bahnlesung

Markusevangelium in Bahnlesung

Lukasevangelium in Bahnlesung

In der Osterzeit stehen an Stelle der alttestamentlichen Lesung Abschnitte aus der Apostelgeschichte21.

Bei den drei Lesungen für den Sonntag wird nicht zwischen Lese- und

Predigtperikopen unterschieden. Die Predigt kann sich auf den Zusammenklang der drei Texte beziehen – vor allem in den geprägten Zeiten des Kirchenjahrs. In der Praxis ist vor allem das Evangelium der Bezugspunkt.

Mit dieser Reform hat sich die römisch-katholische Kirche von den seit über 1000 Jahren genutzten altkirchlichen Evangelien- und altkirchlichen Epistelreihen verabschiedet. Diese Entscheidung hatte weitreichende Wirkung. Als Weltkirche führte die römisch-katholische Kirche die neue Leseordnung in allen Weltteilen ein.

Das Revised Common Lectionary (RCL)

Innerhalb von wenigen Jahren war der dreijährige Lesezyklus der römisch-

katholischen Kirche weltweit etabliert und strahlte auf die anderen Konfessionen aus. Vor allem im englischsprachigen Raum wurde die römisch-katholische Leseordnung von den verschiedenen anderen Konfessionen übernommen. Eine die evangelische Lese- und Predigttextordnung folgt im Prinzip bisher in ihrer Auswahl diesem Kriterium.

21 Neben der Ordnung für die Sonntage gibt es auch eine Ordnung für die Lesungen an den Wochentagen. Hier sind zwei Lesungen vorgesehen. Die erste aus den Episteln und dem Alten Testament, die zweite ist die Evangelienlesung.

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ökumenisch zusammengesetzte Gruppe aus Vertretern von vielen

englischsprachigen protestantischen Kirchen, die Consultation on Common Texts22 erarbeitete ein Lektionar, das sich an die römisch-katholische

Leseordnung anlehnte. 1983 erschien das Common Lectionary, das nach einer Erprobung noch einmal überarbeitet wurde und seit 1992 als Revised Common Lectionary (RCL) weltweit genutzt wird. Vor allem die weltweite Anglikanische Kirchengemeinschaft, die Methodisten und die englischsprachigen Lutheraner wenden diese Leseordnung an. Sie unterscheidet sich von der römisch-

katholischen Leseordnung vor allem in der Auswahl der Texte aus dem Alten Testament. Sie sieht in der ungeprägten Zeit des Jahres auch für das Alte

Testament Bahnlesungen vor. Damit ist der engführende Zugang zu den Texten des Alten Testaments zwar geheilt. Bei drei Bahnlesungen kann es allerdings keine geplante Konsonanz geben. Dennoch schließt gerade das

Zusammenklingen der Texte nicht aus, dass es zu einer gegenseitigen Auslegung der Schrift durch die Schrift kommen kann.

Mit der Entscheidung der großen englischsprachigen Kirchen, in wesentlichen Teilen die Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Leseordnung zu suchen, befindet sich die deutschsprachige evangelische und lutherische Lese- und Predigttextordnung zwar im großen Traditionsstrom der über die Zeiten bestehenden Kirche. Dennoch ist sie nun aus der Perspektive der weltweiten Ökumene nun in einer Minderheitenrolle.

IV Ausblick auf die Perikopenrevision

Bereits in den 1990er Jahren hatte es einen Vorstoß gegeben, die Ordnung von 1978 zu revidieren. Der Vorschlag kam zur Unzeit, denn das Evangelische Gesangbuch war gerade in den gemeindlichen Gebrauch gekommen. Das Evangelische Gottesdienstbuch stand kurz davor. Beide Werken hatten sich an die Ordnung von 1978 gebunden, so dass die Einführung einer neuen Ordnung weder praktisch umsetzbar und vermittelbar war. Inzwischen sind beide Bücher seit über einem Jahrzehnt in Gebrauch, so dass der Blick auf eine Überarbeitung der Perikopen möglich ist. Zudem lenkt die Vorbereitung des

Reformationsjubiläums 2017 den Blick auf das Proprium der reformatorischen Spiritualität und das Selbstverständnis der Kirchen der Reformation aus dem biblischen und gepredigten Wort.

Nach einer Konsultation und der Auswertung einer empirischen Studie der Universität Leipzig zur Perikopenordnung23 haben die EKD, die Union Evangelischer Kirchen und die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland beschlossen, die derzeitige Perikopenordnung maßvoll zu überarbeiten und zum Reformationsjubiläum 2017 eine neue Ordnung einzuführen. Vom Grundsatz her soll das derzeitige Perikopenmodell weiter entwickelt, aber nicht aufgeben werden. Eine Orientierung an den ökumenischen Ordnungen ist nicht vorgesehen. Eine Arbeitsgruppe hat bereits die Arbeit

aufgenommen.

Als Kriterien für die Revision wurden im Vorwege diskutiert:

• Mehr Texte aus dem Alten Testament.

22 Vgl dazu den Link: http://www.commontexts.org/

23 Die Studie ist in der epd-Dokumentation 44/2010 vorgestellt. Eine genauere Würdigung und Analyse zur Studie legt die PTh 1/2012 vor.

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• Die Lektionabilität (Verstehbarkeit) der Texte.

• Die Prädikabilität (die Eignung als Predigttext) der Texte.

• Die Texte sollen existentielle Grunderfahrungen deuten und Texte weisheitlicher Lebensführung sollen hinzukommen.

• Kulturell bedeutsame und repräsentative Texte (für die abendländische Kultur) sollen aufgenommen werden

• Große literarische Texte sollen aufgenommen werden

• Die Sozialkritische Dimension und nicht nur soteriologische der prophetischen Texte soll zur Sprache kommen

• „Frauentexte“ sollen stärker berücksichtigt werden

Erinnert man sich an die Kriterien, die die Eisenacher Kirchenkonferenz

berücksichtigen wollte, dann zeigt sich, dass die Anfragen und Probleme mit den altkirchlichen Episteln und Evangelien auch nach über 100 Jahren gleich

geblieben sind.

Ähnlich wie bei der Perikopenrevision durch die Eisenacher Kirchenkonferenz, die auf eine Vielzahl von privaten Leseordnungen reagiert, sind auch im Vorwege zur jetzt angestrebten Revision einige Leseordnungen entstanden, die in den

Gemeinden zum Teil breiter rezipiert wurden.

• Die bereits in den späten 1980er Jahren zusammengestellten Reihen

„feministisch gelesen“ haben eine Fülle von Texten als Perikopen erschlossen, in denen aus der Perspektive von Frauen der Glaube zur Sprache kommt24.

• Im Auftrag der Konferenz Landeskirchliche Arbeitskreise Christen und Juden (KLAK) entstand ein fünfgliedriges Lektionar25, in dem für jeden Sonntag neben dem Psalm und der Epistel- und Evangelienlesung drei Texte aus dem Alten Testament jeweils aus der Tora, den Propheten und den Schriften vorgeschlagen werden.

• Die Liturgische Konferenz hat im Blick auf die Regionen, in denen nicht in jeder Kirche sonntäglich Gottesdienste stattfinden das sog. Elementare Kirchenjahr vorgelegt. Diese Ordnung orientiert sich am Monatsrhythmus.

Für jeden Monat gibt es ein den einzelnen Sonntag übersteigendes Schwerpunktthema, das in drei Unterthemen mit je drei Perikopen (aus dem Alten Testament, Epistel, Evangelium) gegliedert ist. Zusätzlich zu den Festen werden eigene Texte in einer „komprimierten Auswahl“

vorgeschlagen. Diese Ordnung verzichtet bewusst auf die Bindung an das Mondjahr, wie sie mit der Festlegung des Ostertermins beim Kirchenjahr vorliegt. Die Spannung zwischen Monatsrhythmus und Kirchenjahr kann jedoch auch produktiv sein und durch die Berücksichtigung des

Lebensbezugs der Gemeinde in den Texten des Elementaren Kirchenjahrs zu neuen Glaubenseinsichten führen.26

24 Eva Renate Schmidt, Mieke Korenhof, Renate Jost (Hgin.), Feministisch gelesen.

Ausgewählte Bibeltexte für Gruppen, Gemeinden, Gebete für den Gottesdienst, Stuttgart 1988 und 1989.

25 Die ganze Bibel zu Wort kommen lassen. Ein neues Perikopenmodell erarbeitet im Auftrag der Konferenz Landeskirchliche Arbeitskreise Christen und Juden (KLAK), in:

Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum, Sonderheft 2009.

26 Eine ausführliche Wertung und Darstellung des KLAK-Modells und des Kirchenjahres bei Henning Theißen, Was wird aus der Perikopenordnung? Zwei aktuelle Vorschläge aus den Bereich der EKD, PfrBl. 2010, 353- 357. Ders., Eingedenk Israels predigen. Die

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Anregungen aus diesen Modellen werden vermutlich auf die Revision einwirken.

Erste Überlegungen gehen dahin, dass die Beibehaltung eines reinen

Episteljahres fraglich ist, wobei die Epistel als Leseperikope nicht aufgegeben werden soll, sondern im Laufe des sechsjährigen Turnus in die unterschiedlichen Predigtreihen eingestreut wird. In den empirischen Studien wird gerade die altkirchliche Epistelreihe, trotz der Veränderungen nach 1978, als

beschwerlichster Teil der gesamten Lese- und Predigttextordnung angesehen.

Auch ist im Gespräch, Psalmen als Predigttexte in den Predigttextzyklus aufzunehmen, unabhängig von der eigenen Reihe der Sonntagspsalmen.

In Abgrenzung zum steilen Bild, mit dem die führenden Liturgiewissenschaftler des vorigen Jahrhunderts das Kirchenjahr mit einer Kathedrale verglichen, hat Karl-Heinrich Bieritz das Kirchenjahr als „Haus in der Zeit“ beschrieben. „Viele Generationen richteten sich wohnlich darin ein, bauten weiter an dem großen Haus, gestalteten es nach ihren Bedürfnissen, ihrem Geschmack.“27 Dieses Bild vom Kirchenjahr eröffnet für die gegenwärtige Generation einen leichteren

Zugang für die Wahrnehmung des Kirchenjahres. In dem Haus wohnt der Glaube an Christus genauso, wie er die Gestalt der Kathedralen geformt hat. Die

Architektur ist den Menschen bei einem Haus näher. Die Räume sind schneller zu durchschreiten. Die zu renovierenden und aufzuräumenden Räume sind auch zügiger zu ordnen. Jede Generation richtet es mit ihren Möglichkeiten ein und überlässt es später der nächsten Generation weiter darin zu leben, aber es auch neu einzurichten, zu schmücken und auszubauen. Gegenüber der Kathedrale hat das Haus einen unschlagbaren Vorteil. In einem Haus kann und darf der Mensch in seiner Zeit wohnen und Zuhause sein.

Für die anstehende Perikopenrevision wird das heimliche Modell der

Perikopenordnung vermutlich das Haus sein, in dem der Glaube an Christus für die nächste Generation wohnen kann. Sicherlich werden auch viele Elemente aus der Kathedrale in dieses Haus eingebaut werden, aber das Kirchenjahr ist

schließlich ein Haus in dem die ganze Gemeinde zu Hause sein soll, um dort Gottes Wort zu hören und zu feiern und dafür braucht die Gemeinde ein großes und kostbares Haus.

Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise „Christen und Juden“ schlägt ein neues

Perikopenmodell vor, Pastoraltheologie 99, 2010, 418-434.

27 Karl-Heinrich Bieritz, Das Kirchenjahr, in: Hans-Christoph Schmidt-Lauber/ Karl- Heinrich Bieritz, Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis des Kirche, Leipzig-Göttingen 1995, 2. Aufl., 453.

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