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Die disziplinäre Identität der Erziehungswissenschaft

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Academic year: 2022

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Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft

forschung forschung

Die disziplinäre Identität

der Erziehungswissenschaft

Ein bibliometrisch-netzwerkanalytischer Zugang

Andreas Kempka

978-3-7815-2227-5

In Anknüpfung an disziplintheoretische Überlegungen Kuhns, Flecks und Stichwehs wird mit Hilfe bibliometrischer Methoden der Kern des Wissens aktueller Lehrbücher der Erziehungswissenschaft eruiert, der Schlüsse über das Wissen der Disziplin Erziehungswis- senschaft erlaubt. Den methodologischen Rahmen bilden Überlegun- gen zur Bedeutung von Zitationen, zur Modellierung relationaler Daten sowie zum Lehrbuchbegriff. Die im Zuge der Analyse ermittelten zitierten Autoren, Texte und Begriffe zeugen von geringgradigen Schnittmengen gemeinsamen Lehrbuchwissens, gleichwohl kann ein Normaltypus der Lehrbuchreferenzen aufgrund formaler Merkmale identifiziert werden, der die Lehrbuchkritik Kuhns relativiert.

Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft Band 43

Der Autor

Andreas Kempka, Dr. phil., seit 2009 wissen- schaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet Allgemei- ne Pädagogik an der TU Dortmund, seit 2014 im Lehrgebiet Systematische Erziehungswissen- schaft und Methodologie der Bildungsforschung

an der TU Dortmund.

Andreas K empka Die disziplinäre Identität der Erziehungs wissensc haft

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Kempka

Die disziplinäre Identität

der Erziehungswissenschaft

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Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft

Im Auftrag der Kommission Wissenschaftsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft herausgegeben vom Vorstand der Kommission

Band 43

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Andreas Kempka

Die disziplinäre Identität der Erziehungswissenschaft

Ein bibliometrisch-netzwerkanalytischer Zugang

Verlag Julius Klinkhardt

Bad Heilbrunn • 2018

(5)

Dieser Titel wurde in das Programm des Verlages mittels eines Peer-Review-Verfahrens aufgenommen.

Für weitere Informationen siehe www.klinkhardt.de.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

2018.l. © by Julius Klinkhardt.

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten.

Printed in Germany 2018.

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier.

ISBN 978-3-7815-2227-5

Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät 12: Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie der TU Dortmund unter dem Titel „Die disziplinäre Identität der Erziehungswissenschaft – Ein bibliometrisch- netzwerkanalytischer Zugang“ als Dissertation angenommen.

Gutachter: Prof. Dr. Peter Vogel; PD Dr. Peter Kauder.

Tag der Disputation: 22.02.2017.

Für M.

(6)

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 9

1.1 Fragestellung . . . 9

1.2 Vorgehen . . . 11

2 Lehrbücher als Quelle bibliometrischer Analysen 15 3 Lehrbuchtheorie 17 3.1 Wissenschaftliche Disziplin und Lehrbücher . . . 17

3.1.1 Kommunikationszusammenhang . . . 18

3.1.2 Korpus wissenschaftlichen Wissens . . . 19

3.1.3 Fragestellungen . . . 20

3.1.4 Forschungsmethoden und Problemlösungen . . . 21

3.1.5 Sozialisationsprozesse . . . 21

3.2 Zu erwartende Ergebnisse . . . 22

4 Korpuskonstruktion 25 4.1 Was kennzeichnet Lehrbücher im Allgemeinen? . . . 27

4.1.1 Buchform . . . 27

4.1.2 Systematik oder Didaktik . . . 28

4.1.3 Einsatzort und -zweck . . . 29

4.1.4 Zielgruppe . . . 30

4.1.5 Tiefe der Darstellung . . . 31

4.1.6 Wissenschaftliches Arbeiten . . . 32

4.2 Lehrbücher der gesamten Erziehungswissenschaft . . . 32

4.2.1 Darstellung der Gesamtdisziplin vs. Teildisziplinen . . . 33

4.2.2 Spezifische Phänomene, Fragestellungen und Perspektiven . . . 34

4.2.3 Zielgruppe . . . 38

4.3 Einschränkung des Korpus entlang der Fragestellung und Methode . . 39

4.3.1 Beschränkung auf Monographien . . . 39

4.3.2 Ausschluss mehrbändiger Werke . . . 41

4.3.3 Alter und Aktualität der Publikation . . . 41

4.3.4 Sprache und Stil . . . 42

4.4 Suchvorgang und Problemfälle . . . 42

5 Korpus 47 6 Methode 51 6.1 Datenlage . . . 51

6.2 Datenbank . . . 52

6.2.1 Erfordernisse an die Datenbankstruktur . . . 52

6.2.2 Erfasste Aspekte . . . 53

6.2.3 Datenbankmodell . . . 55

6.2.4 Normalisierung der Daten . . . 57

6.2.5 Codierung der Daten . . . 59

(7)

6 Inhaltsverzeichnis

6.2.6 Arten von Abfragen an den Datensatz . . . 63

6.3 Bibliometrie . . . 65

6.3.1 Allgemeines über Bibliometrie . . . 65

6.3.2 Eignung der Bibliometrie als Methode . . . 66

6.3.3 Deskriptive vs. evaluative Bibliometrie . . . 67

6.3.4 Untersuchungseinheiten: Referenzen und Zitationen . . . 68

6.3.5 Grundannahmen über den Zitiervorgang . . . 69

6.3.6 Motive von Zitationen . . . 71

6.3.7 Funktionen von Zitationen und Referenzen . . . 75

6.3.8 Was messen Zitationen? . . . 77

6.3.9 Verknüpfung von Lehrbuchtheorie und Bibliometrie . . . 79

6.3.10 Verwendete bibliometrische Techniken . . . 81

6.3.11 Probleme und Entscheidungen . . . 84

6.3.12 Spezifische Besonderheiten der Analyse von Lehrbüchern . . . 90

7 Ergebnisse 91 7.1 Umfang des Lehrbuchwissens . . . 92

7.1.1 Normseiten und Zeichenanzahl . . . 93

7.1.2 Anzahl der Texte und Referenzen . . . 98

7.1.3 Anzahl referenzierter Autoren . . . 101

7.1.4 Zusammenfassung: Wissensmenge der Lehrbücher . . . 105

7.2 Quantifizierbarer Konsens . . . 108

7.2.1 Texte . . . 111

7.2.2 Autoren . . . 121

7.2.3 Vergleich . . . 129

7.2.4 Zusammenfassung: Quantifizierbarer Konsens . . . 134

7.3 Kern des Lehrbuchwissens . . . 134

7.3.1 Häufig zitierte Texte . . . 134

7.3.2 Häufig zitierte Autoren . . . 151

7.3.3 Zusammenfassung: Kern des Lehrbuchwissens . . . 163

7.4 Bedeutsamkeit der Lehrbuchautoren und Lehrbücher . . . 165

7.4.1 Selbstzitation . . . 166

7.4.2 Fremdzitation . . . 168

7.4.3 Thematische Nischen der Lehrbuchautoren . . . 169

7.4.4 Zitationsnetzwerk der Lehrbuchautoren . . . 172

7.4.5 Zitationsnetzwerk der Lehrbücher . . . 173

7.4.6 Zusammenfassung: Lehrbuchautoren und Lehrbücher . . . 178

7.5 Struktur des Wissens . . . 180

7.5.1 Geschlecht . . . 180

7.5.2 Medienarten . . . 186

7.5.3 Sprache/Internationalität der Texte . . . 191

7.5.4 Zusammenfassung: Normaltypus zitierter Quellen . . . 196

8 Fazit 199 8.1 Zur Existenz eines disziplinären Kerns von Texten und Autoren . . . . 200

8.2 Zum Umfang des bibliometrischen Kerns . . . 206

(8)

Inhaltsverzeichnis 7

8.3 Zu Kuhns Lehrbuchkritik . . . 208

8.3.1 Graduelle Unterschiede . . . 208

8.3.2 Geschichtsabstinenz . . . 208

8.3.3 Aktualität, Forschungsbezug . . . 209

8.3.4 Phasenweise Veränderung . . . 210

8.3.5 Strukturmerkmale der Disziplin . . . 212

8.4 Alternative: Identitätsbildung durch einen begrifflichen Kern? . . . 212

9 Zusammenfassung 215 10 Ausblick und Desiderate 217 Literatur 219 Abbildungsverzeichnis 231 Tabellenverzeichnis 233 Liste der Quellcodes 235 Abkürzungsverzeichnis 237 Stichwortverzeichnis 239 Personenverzeichnis 243 Anhang 251 A Umfang des Wissens . . . 253

A.1 Seiten und Normseiten . . . 253

A.2 Anzahl der referenzierten Quellen und Texte . . . 254

A.3 Seiten und Referenzen in Lehrbüchern der Psychologie . . . 255

A.4 Seiten und Referenzen in Lehrbüchern der Soziologie . . . 256

A.5 Anzahl der referenzierten Autoren . . . 257

B Quantifizierbarer Konsens . . . 258

B.1 Texte . . . 258

B.2 Autoren . . . 263

C Kern des Lehrbuchwissens . . . 268

C.1 Texte . . . 268

C.2 Autoren . . . 273

D Bedeutsamkeit der Lehrbuchautoren . . . 274

E Exkurs: Kosten der Lehrbücher . . . 276

E.1 Erziehungswissenschaft . . . 276

E.2 Psychologie . . . 277

E.3 Soziologie . . . 278

(9)
(10)

1 Einleitung

„Die Schnittmenge des gemeinsamen Wissens [...] bei Diplompädagogen von unter- schiedlichen Universitäten kann tendenziell Richtung null gehen.“ (Vogel1994, S. 380).

Erwartet man von Lehrbüchern der Erziehungswissenschaft ihren Titeln nach ei- ne Einführung in die Pädagogik (vgl. Braun1997;Giesecke2004;Lassahn 2000;Raithel/Dollinger/Hörmann2009), in ihr Grundwissen (vgl. Gudj- ons/Traub 2012;Kron2009) und in ihre Grundbegriffe (vgl. Dörpinghaus/

Uphoff2014; Koller2014), wird man bei der Lektüre dieser Werke gleich zu Beginn enttäuscht: Anstelle eines Fundaments werden dort oft Zweifel über die Disziplin gestreut, indem von einer „Umstrittenheit des pädagogischen Wissens“ (Koller2014, S. 11; Herv. im Orig.) berichtet wird oder der „Dissens als Merkmal der Auffassungen über Pädagogik“ (Gerspach 2000, S. 7) festgestellt wird. Ein

„apologetischer Duktus“ bzw. ein „Modus des Selbstmitleids“ (Keiner/Tenorth 2007, S. 155) prägt manche der Einleitungen der Lehrbücher der Erziehungswissen- schaft.

Einige Lehrbücherder Psychologie hingegen geben sich weitaus selbstbewusster1, indem sie ihrer Disziplin eine „solide wissenschaftliche Forschung“ (Gerrig/Zim- bardo 2008, S. XIX) bescheinigen und ihre „Einzigartigkeit und Einheitlichkeit“

(ebd., S. 1) herausstellen, die „immer stärker erweiternden Erklärungsmöglichkeiten“

der Psychologie betonen oder im Vergleich zu erziehungswissenschaftlichen Lehrbü- chern auffällig erfolgsmotiviert „ein noch besseres Buch zu entwickeln“ (Myers2008, S. VII) versuchen. Die dort präsentierten Erkenntnisse werden mancherorts sogar als „innerhalb der Scientific Community allgemein akzeptiert“ (Maderthaner 2008, S. 5) deklariert.

Sind Lehrbücher der Erziehungswissenschaft im Durchschnitt also bescheidener in ihrem Anspruch, oder deutet diese Vorsicht auf eine real existierende Unsicherheit, welches Wissen der Erziehungswissenschaft eigen ist?

1.1 Fragestellung

Diese Arbeit untersucht ein Korpus2 ausgewählter Lehrbücher3der deutschsprachi- gen Erziehungswissenschaft4 im Hinblick darauf, welche Informationen diesen Wer- ken über die Disziplin Erziehungswissenschaft zu entnehmen sind. Den Hintergrund

1 Auch wenn das positive Bild gelegentlich durch gegenteilige Aussagen zu relativieren ist, etwa durch Klagen über fehlendes „robustes Selbstbewusstsein“ (Prinz/Müsseler2008, S. 1) und eine Unübersichtlichkeit der Psychologie.

2 Das ausgewählte Korpus findet sich in Kapitel 5.

3 Gemeint sindwissenschaftliche Lehrbücher. Zur genauen Bestimmung des nicht trivialen Terminus ›Lehrbuch‹ und der Auswahlkriterien des Korpus siehe Abschnitt 4.

4 Der Terminus ›Erziehungswissenschaft‹ wird dem der Pädagogik in dieser Arbeit vorgezogen, da es sich um eine Analyse von Lehrbüchern handelt, die begleitend zu einem wissenschaftlichen Studium eingesetzt werden, gleichgültig ob sich die Werke als Lehrbücher der Pädagogik betiteln. Diese begriffliche Unschärfe ist bereits Teil des soeben beschriebenen Problems.

Beide Begriffe werden in den Lehrbüchern mal synonym (vgl.Lenzen2007, S. 25) gebraucht, mal werden sie unterschieden (vgl.Giesecke2004, S. 9).

(11)

10 Einleitung

der Untersuchung bilden Kommentare von namhaften Erziehungswissenschaftlern zu einer unklaren Lage der Disziplin Pädagogik/Erziehungswissenschaft oder ei- ner „Verunsicherung des Faches“ (Oelkers/D. Neumann1981, S. 630). Diese schreiben ihr nicht nur aktuell ein „aufgrund der Uneinheitlichkeit ihrer vielfältigen theoretischen Orientierungen [...] amorphes Erscheinungsbild“ (Breinbauer2010, S. 629) zu, sondern stellen mit einer gewissen Regelmäßigkeit stattfindende „paradig- matische Kontroversen über den wissenschaftlichen Status und die soziale Funktion“

(Tenorth1997, S. 126) fest. Kommentarlos werden „die grundlegenden Zweifel an der wissenschaftlichen Pädagogik überhaupt, also die Zweifel an ihrer Legitimität und Seriosität aufgrund dauernden Wechsels und fehlenden Fortschritts, mithin ihre Betrachtung als Mode“ als „so alt wie die Reklamierung der pädagogischen Wissen- schaft selbst“ (Oelkers/D. Neumann1981, S. 624) datiert. Diese Unsicherheit wird sogar als eine der „dominierenden Formen der Selbstreflexion“ dargestellt, im Zuge derer es dazugehört, „die Pädagogik immer neu vor den Richterstuhl der Vernunft zu zerren, ihre Legitimität zu prüfen“ (Tenorth1990, S. 15).

Ungeachtet der möglichen Triftigkeit dieser Diagnosen ist alleine ihre kontinuierliche Thematisierung ein Grund, nach belastbaren empirischen Indikatoren zu suchen, um auszuschließen, dass es sich um ein bloß definitorisches Problem handelt, das dann reale Konsequenzen5hat.

Betrachtet man Studierende als Rezipienten des (unsicher) scheinenden disziplinären Wissens, könnte – zumal beim Studium an unterschiedlichen Standorten – die

„Schnittmenge des gemeinsamen Wissens [...] tendenziell Richtung null“ (Vogel 1994, S. 380) gehen. Falls das zuträfe, wäre das symptomatisch für das beschriebene Problem einer möglichen Divergenz dieses pädagogischen Wissens.

Einer der Faktoren, der mit der Wissensdiffusion zusammenhängen könnte – um vorschnelle Kausalattribuierungen zu vermeiden – könnte in den Lehrbüchern des Faches gesucht werden, da diese von Studierenden häufiger gelesen6werden und eine

„Einweihung“ (Fleck 2012, S. 148) in die Wissenschaft leisten, die sie vermitteln.

Indem Lehrbücher eine wichtige Quelle des Wissens über die Struktur, Inhalte, Methoden und Probleme der Disziplin sind, setzen sie „immer ein bestehendes System voraus, das erklärt und in das eingeführt werden kann“ (Lassahn2000, S. 7) und spiegeln damit aus Sicht der jeweiligen Autoren das (Selbst-)Verständnis der Disziplin wider.

Wenn man also eine identitätsstiftende oder -transportierende Funktion dieser Werke unterstellt, verspricht eine Analyse ausgewählter Lehrbücher der disziplinären Lehrbücher Antworten auf die disziplinäre Verfasstheit der Erziehungswissenschaft.

Diese Analyse müsste folglich klären, ob eine Unsicherheit bzw. Ambivalenz über die Disziplin durch ihre Lehrbücher gespiegelt oder ob sie gar hergestellt wird, indem Lehrbücher erhebliche Diskrepanzen zueinander hinsichtlich referenzierten

5 Gemäß dem Thomas-Theorem „If men define situations as real, they are real in their conse- quences“ (W. I.Thomas/D. S.Thomas1928, S. 572).

6 Weil die Disziplin leider wenig über das Leseverhalten ihrer Studenten weiß (vgl.Wigger 1997), bleibt der tatsächliche Einfluss der Lehrbücher auf Studierende verborgen. Dass Lehrbücher von Studierendengekauftwerden, ist angesichts der vielen Auflagen dieser Werke naheliegend, etwa an den insgesamt 16 Auflagen der Einführung in die Pädagogik von Giesecke(Giesecke2004). Weitere Informationen zu den Auflagen untersuchter Lehrbücher siehe Abschnitt 5.

(12)

Vorgehen 11 Texten und Autoren und hinsichtlich Inhalten enthalten. Mit anderen Worten ist das die Frage nach einer auf gemeinsamem Wissen basierten Identität der Disziplin, einem „‚Kern‘ des disziplinären Wissens“ (Vogel 2015, S. 144), damit man entweder genauer beschreiben kann, worin dieser Kern besteht oder damit man die Disparatheit des Wissens charakterisieren kann, die die Rede von einem disziplinären Kern obsolet macht.

1.2 Vorgehen

Das Vorhaben gliedert sich in mehrere Teile:

1. Zunächst wird die Kombination aus bibliometrischer Analyse als Methode und Lehrbüchern als Datenquelle begründet (Kapitel 2).

2. Mit Hilfe der wissenstheoretischen Ansätze von Fleck, Kuhnund Stichweh wird die disziplinstiftende Funktion von Lehrbüchern beleuchtet (Kapitel 3).

3. Darauf erfolgt eine Bestimmung des zu untersuchenden Gegenstandes (Kapitel 4). Diese dient der Bestimmung des Begriffs ›Lehrbuch‹, zunächst formal im Allgemeinen, darauf spezifisch für die Erziehungswissenschaft und schließlich entlang der methodischen Grenzen. Daraus werden Kriterien zur Bildung eines Korpus zu untersuchender Lehrbücher abgeleitet.

4. Das gewählte Korpus der Lehrbücher der Erziehungswissenschaft wird anschlie- ßend vorgestellt (Kapitel 5).

5. Der gewählte methodische Zugang und die im Zuge dessen getroffenen Entschei- dungen werden in einem eigenen Kapitel expliziert, begründet und reflektiert (Kapitel 6).

6. In der Ergebnispräsentation wird der Frage nach dem Ausmaß des Konsen- ses innerhalb der Disziplin und der Größe sowie den Elementen ihres Kerns nachgegangen (Kapitel 7).

7. Abschließend werden die vorangegangenen Überlegungen zusammengefasst und kritisch kommentiert (Kapitel 8).

Im Detail besteht das Grundgerüst der Analyse aus mehreren Schritten:

(a) Im Rahmen der Analyse der vorliegenden Arbeit ist zur Beantwortung der Frage ein Korpus von deutschsprachigen Lehrbüchern der Pädagogik gebildet worden, die in der neuesten Auflage seit den 1990er Jahren erschienen sind, und das aus 16 Werken aus den Publikationsjahren von 1997 bis 2014 besteht. Mangels der Existenz eines vollständigen Korpus von Lehrbüchern der Pädagogik7, das den Anforderungen der Methode genügt, sind Kriterien zur Korpusbildung bestimmt worden.

Aufgrund des „geradezu dürftigen“ und „mangelhaften“ (Kauder/Vogel 2015a, S. 7) Wissens8der Pädagogik/Erziehungswissenschaft über ihre Lehr-

7 Die Zusammenstellung vonPapenkort(2015) bietet bereits einen sehr guten Ausgangspunkt für ein Korpus.

8 Wenngleich einige Versuche existieren, diese Lücke zu schließen (vgl. u. a.Kauder/Vogel 2015b), herrscht kein umfangreiches Wissen über Lehrbücher der Pädagogik. Hinsichtlich des Lehrgebiets und der Rigidität ihrer Literaturempfehlungen scheinen sich die Teildisziplinen Allgemeine Pädagogik und Allgemeine Psychologie jedenfalls voneinander zu unterscheiden (vgl.Kraft2012, S. 288).

(13)

12 Einleitung

bücher ist die Analyse einerseits explorativ angelegt; zum Anderen bedient sie sich bibliometrischer und netzwerkanalytischer Methoden (siehe Unterkapitel 6.3). Angesichts der spärlichen9Datenlage zu bibliometrischen Daten in (Lehr-) Büchern der Pädagogik ist ein eigener Datensatz erhoben worden.

(b) Der recherchierte und codierte Datensatz umfasst bibliographische Daten aus den Literaturverzeichnissen und Fußnoten von 16 zwischen 1997 und 2014 letztaufgelegten Lehrbüchern. Diese beinhalten insgesamt 5357 Referenzen auf 4768 Quellen unterschiedlicher Auflagen, die sich auf 4144 auflagenindif- ferent zusammengelegte Texte reduzieren lassen. Die Quellen enthalten 7114 Autorenschaftsbeziehungen10 und sind mit 2806 unterscheidbaren Autoren verknüpft.

(c) Zu den untersuchten, aus den bibliographischen Daten und den Zitationsbezie- hungen ableitbaren Gesichtspunkten der Lehrbücher des Korpus gehören die konkreten Kernelemente des Lehrbuchwissens, d.h. oft zitierte Texte und Au- toren. Die Verteilung der Anteile von quantitativ ›exotischen‹ zu überwiegend akzeptierten Texten und Autoren innerhalb der Lehrbücher sowie ihre jeweilige Anzahl in den Lehrbüchern helfen dabei, die Größe des Kerns in Relation zum Gesamtdatensatz der Lehrbücher in Bezug zu setzen.

Die codierten Kernelemente des Lehrbuchwissens (siehe Unterkapitel 7.3) um- fassen

• häufig zitierte Texte (7.3.1) sowie

• häufig zitierte Autoren zitierter Texte (7.3.2).

Hierin wird eine Aufstellung derjenigen Autoren und Texte präsentiert, die im Großteil des Korpus verwendet werden und somit zum personellen und textuellen Kern der Lehrbücher gehören.

(d) Das Ausmaß an Übereinstimmung bzw. Disparität der Lehrbücher hinsichtlich des Umfangs des Lehrbuchwissens (7.2) wird an folgenden Aspekten gemessen:

• Der Anzahl der Referenzen und distinkter Texte (7.2.1) und

• der Anzahl der darin referenzierten Autoren (7.2.2).

Das Vorhandensein an Disparitäten im Hinblick auf die Quantität des Lehr- buchwissens wird einerseits an der lehrbuchspezifischen Größe der jeweiligen Aspekte, andererseits am Verhältnis zwischen der Anzahl gängiger und rand- ständiger Elemente gemessen. Auch interessiert der Grad der bibliographischen Kopplung der Lehrbücher zueinander, um weitere Ähnlichkeiten zwischen ihnen festzustellen oder auszuschließen.

(e) Die Herkunft, Struktur und Entstehungsbedingungen des Lehrbuchwissens (7.5) erfahren u.a. durch folgende Merkmale eine Analyse:

• Geschlechterkonstellationen, unter denen das Wissen entstanden bzw. rezi- piert worden ist (7.5.1),

9 Zum Stand bibliometrischer Daten für die Pädagogik siehe die Anmerkung in Unterkapitel

10 6.1.Unter einer Autorenschaftsbeziehung wird die Zuordnung von einem Autor zu einem Text verstanden, Co-Autorenschaften werden dabei in einzelne Teilbeziehungen zerlegt (siehe Abschnitt 6.2.3).

(14)

Vorgehen 13

• Medienarten rezipierter Texte, darunter Sammelbände, Beiträge, Zeitschrif- tenartikel, Monographien, Internetquellen und sonstige Textarten (7.5.2) sowie

• die Internationalität bzw. sprachliche Herkunft des Lehrbuchwissens (7.5.3).

Diese Merkmale dienen der Identifikation eines jenseits der gemeinsamen Ele- mente des Wissens existierenden formalen ›Normaltypus‹ des Lehrbuchwissens.

Dabei interessiert, ob diesbezüglich Unterschiede zwischen den Lehrbüchern existieren oder ob die Merkmale zeitlich variieren oder miteinander zusammen- hängen.

(15)
(16)

2 Lehrbücher als Quelle bibliometrischer Analysen

„Warum sollten wir die Werkzeuge der empirischen Wissenschaften nicht auf die Wissenschaft selbst anwenden?“ (de Solla Price1974, S. 9). Weshalb befasst man sich im Rahmen einer bibliometrischen Untersuchung zur Disziplin Erziehungs- wissenschaft ausgerechnet mit ihren Lehrbüchern, und welchen Beitrag liefert diese Analyse für das Wissen über die Disziplin?

Im Rahmen bibliometrischer Analysen dienen – entgegen dem in dieser Arbeit gewählten Zugang – häufig Zeitschriftenartikel als Quelle, da sie durch das Review- System und ihre Publikationspraxis weitaus standardisierter sind (vgl. Glänzel 2003, S. 12) und somit eher als andere Publikationsarten quantitativ analysiert werden können. Auch spricht die (teilweise) Verfügbarkeit darin erfasster Zitations- beziehungen in bibliometrischen Datenbanken11 aus bibliometrischer Sicht zunächst für die Analyse dieser Gattung. Somit stellt das (Lehr-)Buch in bibliometrischen Analysen nicht das bevorzugte, da leicht auszubeutende Analysematerial dar. Be- trachtet man jedoch die geringe Anzahl von in diesen Datenbanken12 erfassten deutschsprachigen pädagogischen bzw. erziehungswissenschaftlichen Zeitschriften, relativiert dies die Datenlage erheblich. Angesichts der Vielzahl für die Erziehungs- wissenschaft relevanter13 Zeitschriften aus ihren Teil- und Bezugsdisziplinen scheint die große und nicht durchgängig verfügbare Datenmenge an Zeitschriftenartikeln gegenwärtig mit Methoden manueller Datenerfassung nicht handhabbar.

Die Bedeutung von Zeitschriftenartikeln14für die Disziplin Erziehungswissenschaft ist jedoch eingeschränkt: Im Unterschied zu den Natur-, Lebens- und Ingenieurwis- senschaften, deren Kommunikation in großen Teilen über Zeitschriften organisiert ist, verteilen Sozial- und Geisteswissenschaften ihre Literatur auf diverse Publi- kationsarten (vgl. Kuhberg-Lasson/Singleton/Sondergeld 2014, S. 136;

Hornbostel/Klingsporn/Ins 2009, S. 19). Nimmt man die Studierende päd- agogischer Studiengänge als Rezipienten des wissenschaftlichen Wissens, ist trotz der geringen Datenlage zu erkennen, dass Zeitschriftenartikel für diese Zielgruppe nicht von primärer Bedeutung sind (vgl. Wigger 1997, S. 795). Wagt man vor- greifend einen Blick in die Zitationspraxis innerhalb von Lehrbüchern, spielen dort Zeitschriftenartikel eine eher untergeordnete Rolle15.

Dadurch, dass Lehrbücher als Wissensvermittler tendenziell am Ende des „Sedi- mentationsprozesses wissenschaftlichen Wissens“ (Havemann 2009, S. 20) in einer Disziplin stehen, anstatt – wie bei Zeitschriftenartikeln üblich – aktuelle und vorläu- fige Erkenntnisse zu thematisieren, erscheint das in Lehrbüchern geronnene Wissen für die Analyse der „Definition der Disziplin und ihrer wichtigsten Bestandteile“

(Horn 1998, S. 20) interessanter.

11 So z.B. imSocial Science Citation Index bzw. demWeb of ScienceoderScirius.

12 Zum Stand der Datenlage einiger bibliometrischer Datenbanken siehe Unterkapitel 6.1.

13 NachBradfords ›law of scattering‹ dürften bei einer bibliometrischen Analyse nur peripher erscheinende Zeitschriften jedenfalls nicht ausgeklammert werden (vgl.Glänzel 2003, S.

42 ff.).

14 Für eine vergleichende Analyse derZeitschrift für Pädagogik undZeitschrift für Erziehungs- wissenschaftsiehe z.B.Keiner/Tenorth2007.

15 Zu den referenzierten Medienarten siehe Abschnitt 7.5.2.

(17)

16 Lehrbücher als Quelle bibliometrischer Analysen

Da sich die Fragestellung zudem auf die Konstruktion der Disziplin für ihren studentischen Nachwuchs konzentriert und dieser durch (allgemeine und Über- blick verschaffende) Lehrbücher eher angesprochen wird als durch (spezialisierte)16 Fachartikel, scheint die Verwendung von Lehrbüchern als Quelle vielversprechend.

Lehrbücher der Erziehungswissenschaft versprechen Antworten über die disziplinäre Verfasstheit zu liefern, sie sind jedoch kaum in bibliografischen Datenbanken erfasst.

Die dort erfasste Datenstruktur erschwert zudem einige der späteren Analyseaspekte, sodass ein manuell zu erhebendes Korpus notwendig ist. Dieses müsste idealerweise durch formale und inhaltliche Kriterien soweit einzuengen sein, dass es eine für die Frage ausreichende, aber nicht zu große Menge an Daten erzeugt. Zugleich sollte es relevante Daten über zentrale Elemente der Disziplin bereitstellen. Die später vorgestellten Kriterien (siehe Kapitel 4) beschäftigen sich mit der Beschaffenheit eines solchen Korpus. Zuvor ist es jedoch notwendig, sich mit dem Stellenwert von Lehrbuchwissen für eine wissenschaftliche Disziplin zu befassen.

16 Siehe dazu die von Papenkort nach Flecksowie Krohn/Küpperszusammengefasste Unterscheidung der Lehrbücher als dem „esoterischen“ Kreis der „allgemeinen Fachmänner“, im Gegensatz zu Zeitschriften, die an „spezielle Fachmänner“ (Papenkort2015, S. 15 ff.) adressiert sind.

(18)

3 Lehrbuchtheorie

Welches Wissen über die Disziplin Erziehungswissenschaft verspricht die bibliometri- sche Analyse ihrer Lehrbücher? Hierzu lassen sich Merkmale einer wissenschaftlichen Disziplin mit Theorien über Lehrbücher und ihre disziplinierende Funktion verglei- chen.

Im pädagogischen Diskurs findet sich gegenwärtig keine geschlossene Theorie über Lehrbücher (vgl. Zierer 2010, S. 140; 150) und ihre Bedeutung für die Disziplin, die sie abbilden. Darauf haben nicht zuletzt die 2007 in Dortmund stattgefun- dene Tagung der Kommission Wissenschaftsforschung der DGfE mit dem Titel Lehrbücher der Erziehungswissenschaft als Spiegel der Disziplin? Die Exploration eines vernachlässigten Themassowie der daraus resultierende Tagungsband (vgl.

Kauder/Vogel 2015b) aufmerksam gemacht: Aussagen über die Funktion und (wissenschaftstheoretische) Bedeutung von Lehrbüchern finden sich verstreut in wissenschaftstheoretischen, -historischen und wissenssoziologischen Schriften als Teil von Studien und größeren Theoriegebäuden. Einige dieser Theoriefragmente werden nachfolgend thematisiert.

3.1 Wissenschaftliche Disziplin und Lehrbücher

Aus Sicht der Soziologie schreiben Lynch/BogenLehrbüchern eine disziplinrele- vante Funktion zu. Lehrbücher sind Teil von stabilen, hochgradig standardisierten, weit verbreiteten pädagogischen Maßnahmen innerhalb der Disziplin. Als solche sind sie intrinsisch bedeutend für die Konstruktion und die Aufrechterhaltung der Disziplin (vgl. Lynch/Bogen1997, S. 482). Nach Seitterdrückt die Existenz von Einführungsliteratur aus, dass eine Disziplin ausreichend gesättigt ist und eine gewisse Reife hinsichtlich ihres Forschungsstands erreicht hat (vgl. Seitter 2005, S. 114).

Für die Überlegungen des Stellenwerts von Lehrbüchern für die Disziplin sind drei Theorien hinsichtlich ihrer Aussagen zum vermuteten Zusammenhang zwischen Lehrbüchern und ihrer Disziplin einschlägig:

1. Stichwehs Charakterisierung einer wissenschaftlichen Disziplin (vgl. Stich- weh 1994, S. 17),

2. Aussagen über die „Lehrbuchwissenschaft“ (Fleck2012, S. 148) und die Rol- le von Einführungen von Fleck im Rahmen seiner Schrift zuDenkstil und Denkkollektiv (ebd.),

3. die Eigenschaften und Funktionen von Lehrbüchern in KuhnsStruktur wissen- schaftlicher Revolutionen (Kuhn2012) sowie dem Sammelband Die Entstehung des Neuen (Kuhn 1978a).

Eine Disziplin als Form „sozialer Institutionalisierung eines mit vergleichsweise unklaren Grenzziehungen vorlaufenden Prozesses kognitiver Differenzierung der Wissenschaft“ (Stichweh1994, S. 17) wird von Stichwehso charakterisiert:

1. Ein hinreichend homogener Kommunikationszusammenhang von Forschern, eine sogenannte ›scientific community‹,

(19)

18 Lehrbuchtheorie

2. ein Korpus wissenschaftlichen Wissens, der in Lehrbüchern repräsentiert ist, d.h.

sich durch Kodifikation, konsentierte Akzeptation und prinzipielle Lehrbarkeit auszeichnet,

3. eine Mehrzahl je gegenwärtig problematischer Fragestellungen,

4. ein ›set‹ von Forschungsmethoden und paradigmatischen Problemlösungen, 5. eine disziplinenspezifische Karrierestruktur und institutionalisierte Sozialisati-

onsprozesse, die der Selektion und ›Indoktrination‹ des Nachwuchses dienen.

Ausgehend von diesen einzelnen Definitionsmerkmalen wissenschaftlicher Disziplinen nach Stichweh wird deutlich, dass Lehrbücher in einen wissenschaftssoziologi- schen Zusammenhang eingebunden sind. Die Gedankengänge Flecks und Kuhns dazu können dazu genutzt werden, diesen Zusammenhang zu ergänzen bzw. zu differenzieren.

3.1.1 Kommunikationszusammenhang

Lehrbücher betreffen den Kommunikationszusammenhang der Disziplin und bilden Teile davon ab. Die Analyse der Kommunikationsstruktur, die in den Referenzen der Lehrbücher enthalten ist, bildet die Kommunikationsstruktur der Disziplin aus Sicht der Lehrbuchautoren ab. Lehrbücher kommunizieren Wissen innerhalb der ›scientific community‹, nach Fleckinnerhalb des „esoterischen Kreises“ der

„allgemeinen Fachmänner“17 (Fleck 2012, S. 147 ff.) des Faches.

Die wichtigste Zielgruppe von Lehrbüchern bilden die Studierenden eines Faches, dies lässt sich jedenfalls aus der direkten Erwähnung18 dieser Adressatengruppe in den Lehrbüchern schließen, aber auch aus den nachfolgend präsentierten Definitionen (siehe Kapitel 4).

Ein Gedankenaustausch zwischen Mitgliedern der Disziplin, der auch durch Lehrbü- cher geschieht, formiert ein stabiles „Denkkollektiv“19(ebd., S. 136), dem gelegentlich eine „besondere Sprache, oder wenigstens besondere Worte“ (ebd., S. 136) eigen sind. Zwar kann sich ein Denkstil verändern, Meinungssysteme besitzen jedoch eine

„Beharrungstendenz“ (ebd., S. 40), die sie gegen abweichende Meinungen stabilisiert.

Auch Kuhn stellt die Existenz einer „bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft“

(Kuhn2012, S. 25; 57;Kuhn1978b, S. 262) fest. Für das Bestehen eines Kommuni-

17 Der Status als (allgemeine) Fachmänner bzw. -frauen erscheint für die Lehrbuchautoren und -autorinnen des Korpus anhand ihrer Qualifikation plausibel: Mit Ausnahme der Co-Autoren RuthKaiser, WolfgangOrtleppund Ina KatharinaUphoffhaben alle übrigen 21 Autoren und Autorinnen eine Professur inne, die beiden letztgenannten sind promoviert.

18 Studierende werden entweder direkt in den Einleitungen adressiert bzw. erwähnt (vgl.Bern- hard2012, S. 6;Dörpinghaus/Uphoff2014, S. 8;Gudjons/Traub2012, S. 12;Klika/

Schubert2013, S. 7;Kron2009, S. 13 f.;Lassahn2000, Klappentext;Lenzen2007, S. 9;

Marotzki/Nohl/Ortlepp2006, S. 5;Menck2012, S. 5;Raithel/Dollinger/Hörmann 2009, S. 7; Stein2009, S. 10) oder indirekt über die Relevanz der Bücher für einen be- stimmten Studiengang bzw. eine bestimmte Lehrveranstaltung (siehe Unterabschnitt 4.2.2).

Die Zielgruppe der Studierenden ist ein Definitionsmerkmal von Lehrbüchern und somit des gewählten Korpus (siehe Abschnitt 4.1.4).

19 Mit dem Begriff ›Denkkollektiv‹ meintFleckden Gedankenaustausch zwischen mindestens zwei Menschen.Suter(vgl. 2015, S. 288) setzt das Denkkollektiv sogar mit der wissenschaft- lichen Disziplin gleich. Neben zufälligen und momentanen Denkkollektiven existieren auch stabile, die sich um organisierte soziale Gruppen bilden. Innerhalb eines Denkkollektivs kann dabei ein gemeinsamer ›Denkstil‹ entstehen (vgl.Fleck2012, S. 135).

(20)

Wissenschaftliche Disziplin und Lehrbücher 19 kationszusammenhanges ist notwendigerweise eine gemeinsame Sprache notwendig, die diese Kommunikation regelt. Nach Kuhn sind Lehrbücher auf das Vermitteln einer „aktuellen wissenschaftlichen Sprache“ (Kuhn2012, S. 147), darunter eines Vokabulars und einer Syntax20(vgl. ebd., S. 147), ausgerichtet und werden geändert, wenn sich diese Sprache ändert (vgl. ebd., S. 148).

Die unterstellten Kommunikationszusammenhänge aus der Perspektive der Lehrbü- cher können mit bibliometrischen und netzwerkanalytischen Methoden freigelegt werden. Mit Hilfe von Co-Zitationsanalysen kann die Kooperation zwischen diszi- plinrelevanten Autoren veranschaulicht werden. Zitationsbeziehungen eignen sich für die Analyse der Rezeption von Autoren in Lehrbüchern.

3.1.2 Korpus wissenschaftlichen Wissens

Lehrbücher bilden wesentlich die grundlegenden, systematisch zusammengefassten Wissensbestände einer Disziplin ab. Über dieses Wissen herrscht ein erkennbarer Konsens und es wird insofern informell weitgehend verbindlich in der Disziplin anerkannt.

Die von Fleckunternommene Unterscheidung differenter, für die Wissenschaft relevanter Publikationsformen (vgl. Fleck2012, S. 147 ff.) folgt einer ähnlichen Argumentation. Handbuchwissenschaft21 zielt auf die Bildung eines „geschlossenen Systems“ durch „Auswahl und geordnete Zusammenstellung“ (ebd., S. 158), nicht durch die bloße Summation widersprechenden, fragmentarischen Zeitschriftenwissens.

Handbuchwissenschaft wirkt vergleichsweise gewisser und bewiesener, aber auch weniger aktuell, und wird zu einem „Denkzwang“, der „den Grundpfeiler des Systems“

(ebd., S. 160) bildet, der „gelehrt und allgemein gebraucht“ (ebd., S. 160) wird und über Grundbegriffe, Methoden und Richtungen der Forschung entscheidet (vgl. ebd., S. 158).

Kuhns Annahme der Existenz einer „normalen Wissenschaft“22 (Kuhn 2012, S.

25; 148) ist mit den vorherigen Gedanken eines akzeptierten wissenschaftlichen Wissens vergleichbar. Er bezeichnet damit eine Forschung, die „fest auf einer oder mehreren wissenschaftlichen Leistungen der Vergangenheit beruht“23, die „von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Zeitlang als Grundlagen für ihre weitere Arbeit anerkannt werden“ (ebd., S. 25). Ein derartiger Konsens ist notwendig

20 Syntax lässt sich hierbei metaphorisch als Syntax der zulässigen Art der Beweisführung interpretieren (siehe dazuSchwab1972, S. 45–48).

21 Lehrbücher werden beiFleckmeist mit Handbüchern synonym verwendet (vgl.Hilbig/

Schumann2015, S. 45), daher lassen sich einige Erkenntnisse über Handbücher auch für Lehrbücher extrapolieren, eine trennscharfe Ausnahme bildet die Unterscheidung zwischen Handbuch- und Lehrbuchwissenschaft, wobei er letztere als „weniger wichtig“ (Fleck2012, S. 148) erachtet und leider nicht weiter darauf eingeht.

22 ObKuhnder Erziehungswissenschaft, bzw. den Sozialwissenschaften als nächsten, von ihm thematisierten Wissenschaftsbereich, einen normalwissenschaftlichen, reifen Status zuschreibt, darf bestritten werden, da er Sozialwissenschaften an vielen Stellen von den reifen Natur- wissenschaften unterscheidet, etwa durch eine größere Vielfalt von „konkurrierenden und inkommensurablen Lösungen“ (Kuhn2012, S. 176). Mindestens unterstellt er den Sozialwis- senschaften jedoch in einigen Teilen Anfänge einer ersten Konsensbildung (vgl.Kuhn1978c, S. 315).

23 Jedenfalls darauf, „was die wissenschaftliche Gemeinschaft zu wissen glaubt“ (Kuhn2012, S. 151).

(21)

20 Lehrbuchtheorie

für das Fortbestehen der Normalwissenschaft (vgl.Kuhn2012, S. 38). Dieses als „von der Fachwissenschaft anerkannt“ (Kuhn 1978b, S. 262) bezeichnete Wissen hat in Lehrbüchern seinen Platz. Lehrbücher stellen damit ein „Vehikel für das Fortbestehen der normalen Wissenschaft“ (Kuhn 2012, S. 148) dar. Die Präsentation der Inhalte geschieht in diesen Büchern „so getrennt und so entwirrt wie nur möglich“ (ebd., S. 151), da sie „in pädagogischer Absicht geschrieben“ (Kuhn1978c, S. 262) wurden, um „pädagogisch zu wirken“ (Kuhn 2012, S. 15). Lehrbücher sind somit an der Lehrbarkeit ihrer Inhalte ausgerichtet.

Für eine bibliometrische Analyse bedeutet es, dass es legitim ist, einen Kern wissen- schaftlichen Wissens in Lehrbüchern zu vermuten, nach dem bibliometrisch gesucht werden kann. Liegt im Korpus ein empirisch bestimmbarer Konsens über wichti- ge Texte, Themen und Autoren vor, können diese als disziplinrelevant betrachtet werden. Eine Analyse der in diesen Werken erörterten oder referenzierten Themen kann daher zur Klärung für die Disziplin bedeutsamer Inhalte beitragen.

3.1.3 Fragestellungen

Der für Fleckzentrale Begriff des ›Denkstils‹ (vgl.Fleck2012, S. 130 ff.) ist mit Stichwehs Konzept von Fragestellungen als Bestandteil von Disziplinen teilweise kongruent, da er als „gerichtetes Wahrnehmen“ definiert wird und „gemeinsame Merkmale der Probleme“ (ebd., S. 130; im Orig. hervorgeh.) beinhaltet. Diese Fest- legung auf „wirkliche Probleme“ durch „stilgemäße Beschränkung der zugelassenen Probleme“ (ebd., S. 137) und Ausrichtung auf einen Gegenstand unter Ausblendung anderer macht gezielte Fragestellungen möglich. Die Fragestellungen und Probleme werden jedoch nicht durch die Forscher gefunden, sondern durch ihren Denkstil erst konstruiert. Aus der Interpretation der Gedanken Flecks sind Lehrbücher für die Genese eines Denkstils, und darin enthaltener Fragestellungen, von großer Bedeutung, indem sie Anfänger in einen Denkstil einführen (vgl. Hilbig/Schu- mann 2015, S. 49), da von didaktischen Einführungen ein „sanfter Zwang“ (Fleck 2012, S. 137) ausgeht und diese Einführung durch Lehrbücher geschieht (vgl. ebd., S. 149).

Normale Wissenschaft24und dazu gehörende „normale Forschungsprobleme“ (Kuhn 2012, S. 49) richten sich nicht darauf, unerwartete Neuheiten hervorzubringen, sondern Rätsel zu lösen (vgl. ebd., S. 49) und damit eine bestimmte Art von Problemen zu bearbeiten (vgl. Hoyningen-Huene1989, S. 169). Rätsel zeichnen sich durch ihre sichere Lösbarkeit (vgl. Kuhn2012, S. 51) und dabei zu befolgende Regeln25(vgl. ebd., S. 52 f.), ein Netz von Verpflichtungen theoretischer, begrifflicher, instrumenteller und methodologischer Art (vgl. ebd., S. 56), aus. Dieses „Rätsellösen“

(ebd., S. 177) geschieht innerhalb einer Tradition, die von Lehrbüchern abgebildet wird (vgl. ebd., S. 177).

24 Im Sinne Stichwehs ist die Disziplin die „primäre Einheit interner Differenzierung der Wissenschaft“ (Stichweh1994, S. 17), folglich sind Aussagen über Wissenschaft insgesamt auf Disziplinen übertragbar.

25 Ähnlichen Regeln wie Rätsel unterliegt auch die Entwicklung eines ausgereiften wissenschaft- lichen Spezialgebietes, dazu zählt ein System apparativer Methoden, Begriffe, Gesetze und Theorien (vgl.Kuhn1978d, S. 348).

(22)

Wissenschaftliche Disziplin und Lehrbücher 21 Disziplinbildung wirkt selektiv auf die Fragen, die innerhalb der Wissenschaft gestellt werden können (vgl. Stichweh 1994, S. 19). Lehrbücher verpflichten durch die in ihnen enthaltenen Fragestellungen auf eine Sichtweise der Disziplin.

Wenn Wissenschaft als Evolution ihrer Probleme begriffen werden kann, bei der Ausgangsfragestellungen durch neue Problemformulierungen ersetzt werden (vgl.

ebd., S. 38), können Lehrbücher, die derartige Probleme und Fragen kodifizieren, als disziplinstiftend betrachtet werden.

3.1.4 Forschungsmethoden und Problemlösungen

Der Denkstil bestimmt das „gedankliche und sachliche Verarbeiten“ (Fleck2012, S. 130; im Orig. hervorgeh.). Methoden lassen sich demnach, ähnlich den Frage- stellungen einer Disziplin, unter den Begriff des Denkstils subsumieren. „Welche Methoden lobenswert heißen“ (ebd., S. 158), bestimmt das Handbuch (vgl. ebd., S. 158) und damit das in enger Verwandtschaft befindliche Lehrbuch (vgl. Hil- big/Schumann 2015, S. 45). In den Grenzen von Denkkollektiven, und damit zusammenhängend abhängig von Denkstilen, findet eine „stilgemäße Beschrän- kung der zugelassenen Probleme“ (Fleck2012, S. 137) statt. Die „Kontrolle der Stilgemäßheit“ (ebd., S. 157) der Gedanken einzelner Forscher geschieht durch die unpersönliche Handbuchwissenschaft und somit durch die nicht klar davon abzugrenzende Lehrbuchwissenschaft.

Auch nach Kuhnbeschreiben Lehrbücher die in einer Disziplin verwendeten Me- thoden bzw. damit zusammenhängende „Anwendungen“ (Kuhn 2012, S. 25; 57;

60 f.), „Beobachtungen und Experimente“ (ebd., S. 25) sowie von der Fachwelt akzeptierte „konkrete Problemlösungen“ (Kuhn1978c, S. 312). Schließlich ist der vonKuhn verwendete Begriff des ›Paradigmas‹26, das in (naturwissenschaftlichen) Lehrbüchern vorgeführt wird (vgl. ebd., S. 312), Ausdruck der Existenz anerkannter Problemlösungen in einer Disziplin. Insofern ist die Vermutung plausibel, die in Lehrbüchern referenzierten Methoden als disziplinrelevant einzustufen.

3.1.5 Sozialisationsprozesse

Lehrbücher sind an den Sozialisationsprozessen einer Disziplin beteiligt, zugespitzt formuliert in Form von „Indoktrination“ (L.Schäfer/Schnelle2012, S. XXXVI) des wissenschaftlichen Nachwuchses, vorsichtiger durch die Herstellung von „relativ dauerhaften Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen“ (so die Definition des Begriffs ›Sozialisation‹ bei Hurrelmann/Grundmann/Walper 2008, S. 12) dieser Gruppe. Das Lehrbuch dient „der Ausbildung des Anfängers zum vollwertigen Mitglied der Disziplin“ (Suter2015, S. 289).

In der Lehrbuchwissenschaft geschieht die „Einweihung in die Wissenschaft nach besonderen pädagogischen Methoden“ (Fleck2012, S. 148), Lehrbücher sind das Medium, das in diese Wissenschaft einführt (vgl. ebd., S. 149). Jede didaktische

26 Der Begriff ›Paradigma‹ wird in dieser Arbeit verstanden als „konkrete Problemlösungen [...], die die Fachwelt [...] akzeptiert hat“ (Kuhn 1978c, S. 312; siehe zusammenfassend beiHoyningen-Huene1989, S. 144). Für einen Überblick über die diversen Bedeutungen und eine komplexe sowie präzise Begriffsbestimmung des Paradigmabegriffs beiKuhnsiehe Kauder2010.

(23)

22 Lehrbuchtheorie

Einführung enthält zeitweise „rein dogmatisches Lehren“ und bedeutet gewisserma- ßen eine „Einführungsweihe“ (Fleck2012, S. 73). Der kollektive Denkstil, der über Lehrbücher transportiert wird, erfährt „soziale Verstärkung“ (ebd., S. 130) innerhalb einer Gemeinschaft, sodass er „zum Zwange für Individuen“ (ebd., S. 130) wird und bestimmt, „was nicht anders gedacht werden kann“ (ebd., S. 130). Die Idee, dass Lehrbücher „mental sets“ (Kuhn 1978c, S. 312) oder Einstellungen erzeugen (vgl.

ebd., S. 312), macht die sozialisatorische Leistung dieser Buchgattung plausibel.

Auch Kuhnunterstellt den wissenschaftlichen Lehrbüchern eine Autorität, die sie auf ihre Rezipienten ausüben (vgl. Kuhn2012, S. 147), sie suggerieren ihren Lesern eine Tradition von Wissenschaft, die aufgrund der Ausblendung von historischen Vorläufern des Wissens in der Form nie existiert hat und nur den Stand der letzten wissenschaftlichen Revolution abbildet (vgl. ebd., S. 149). Inhalte von Lehrbüchern werden oft aufgrund der Autorität27 ihres Verfassers akzeptiert (vgl. Kuhn1978b, S. 258), Studierende seien sogar „in bedauerlichem Maße willens“ (Kuhn 1978e, S. 429) auf die ihnen gebotenen Lehrbücher zu hören. Durch das Studium der in Lehrbüchern enthaltenen Paradigmen lernen Studierende ihr Fach28 (vgl. Kuhn 2012, S. 57). Gleichermaßen zeugt ein „wachsendes Vertrauen“ (ebd., S. 148) in Lehrbücher beim Auftauchen eines neuen Paradigmas von der sozialisatorischen Wirkung dieser Werke. Dass Lehrbüchern der Erziehungswissenschaft offenbar vertraut wird, lässt sich an ihrem kontinuierlichen und großen Absatz erkennen.

Die Annahme eines sozialisatorischen Einflusses von Lehrbüchern auf Studierende der Erziehungswissenschaft ist zwar nachvollziehbar, seine Offenlegung ist mit den gewählten Methoden der Netzwerkanalyse und Bibliometrie jedoch nur begrenzt möglich. Die biliometrisch bestimmbaren in Lehrbüchern gemeinsam referenzierten Texte, Autoren und Themen können lediglich aufpotentiellsozialisatorisch wirksame Elemente der Disziplin hinweisen. Aufgrund der vielfältigen Einflüsse auf Studie- rende in Lehrkontexten29 sowie der Unklarheit, inwiefern Studierende überhaupt die relevanten Lehrbücher ihres Faches gelesen haben (vgl. Wigger 1997), ist nicht auszumachen, welchenkonkreten Beitrag Lehrbücher zur Sozialisation ihrer Studierenden leisten.

3.2 Zu erwartende Ergebnisse

Ausgehend von den Theoriefragmenten Stichwehs, Kuhns und Flecks lassen die bibliometrische Analyse und Netzwerkanalyse folgende Ergebnisse erwarten:

• Geht man von der Existenz eines gemeinsamen disziplinären Wissens aus, ist zu erwarten, dass die Lehrbücher mindestens einige Texte gemeinsam zitieren. Diese

27 Lehrbücher entfalten nicht nur auf unerfahrene Anfänger des Faches eine stark autoritäre Wirkung, auch auf bereits in der Disziplin etablierte Wissenschaftler üben sie einigen nor- mativen Zwang aus. Für einige interessante historische Beispiele der Autorität überholten Lehrbuchwissens sei auf den Beitrag vonAbelverwiesen (vgl.Abel2015, 10 f.).

28 Die von Kuhn vorgebrachte Kritik, Studierende naturwissenschaftlicher Studiengänge erführen durch ihre (lehrbuchdominante) Ausbildung eine „dogmatische Einführung in eine vorgegebene Tradition“ (Kuhn1978c, S. 313) mag zwar für die Erziehungswissenschaft zu relativieren sein, prinzipiell lässt sich die normative Wirkung von erziehungswissenschaftlichen Lehrbüchern auf Studierende nicht ausschließen.

29 Siehe dazu die Bemerkungen vonVogel2015, S. 140 f.

(24)

Zu erwartende Ergebnisse 23 könnten bei quantitativ hohem Vorkommen im Datensatz auch als Kern bzw.

zentrale Quellen des disziplinären Wissens gedeutet werden.

• Mit Hilfe einer bibliometrischen Analyse könnten wichtige, da häufig zitierte Ak- teure der ›scientific community‹ der Erziehungswissenschaft identifiziert werden.

• Ein Kommunikationszusammenhang müsste auch zwischen Lehrbuchautoren zu beobachten sein, da diese aus derselben Disziplin stammen und sich mit demselben Gegenstand befassen. Kommunikation ließe sich durch gegenseitige Zitation der Lehrbuchautoren offenlegen.

• Die Altersstruktur des Wissens müsste einerseits nachKuhn (2012, S. 15) eine Lücke hinsichtlich historischer Texte aufweisen, andererseits auch, im Unterschied zur Zeitschriftenwissenschaft, aktuelle Texte unterrepräsentieren (vgl. Fleck 2012, S. 163), dennoch viele aktuelle Texte aus der Zeit nach der letzten wissen- schaftlichen Revolution (vgl. Kuhn 2012, S. 148) referenzieren.

(25)
(26)

4 Korpuskonstruktion

Die Konstruktion des Korpus bibliometrisch bearbeitbarer Lehrbücher der gesamten Erziehungswissenschaft erfolgt mehrschrittig und ist aus Kriterien, die Lehrbücher im Allgemeinen betreffen (4.1), eingeengt um Kriterien, die spezifisch zu Lehrbü- chern der gesamten Erziehungswissenschaft gehören (4.2), und solche, die einer bibliometrischen Bearbeitbarkeit des Materials im Wege stehen (4.3), zusammenge- setzt.

Ein Lehrbuch ist in dieser Analyse charakterisiert30

• als Buch oder elektronisches Äquivalent im Umfang von mehr als 49 Seiten,

• das eine Systematik oder alternativ einen didaktischen Aufbau beinhaltet,

• sich an die Zielgruppe Studierender eines universitären Faches richtet,

• in der Disziplin anerkanntes Basiswissen vermittelt

• und den Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens genügt.

Der disziplinspezifische Begriff des ›Lehrbuchs der (gesamten) Erziehungswissen- schaft‹ ist zusätzlich zum allgemeinen Lehrbuchbegriff um folgende Aspekte einge- schränkt:

Es werden nur Lehrbücher analysiert, die

• die Disziplin Erziehungswissenschaft in ihrer Gesamtheit abbilden,

• keine spezifische methodische oder historische Perspektive einnehmen,

• zum Gebrauch im Rahmen pädagogischer Studiengänge konzipiert worden sind

• und sich an die Zielgruppe von Studierenden pädagogischer Fächer und angehen- den Lehrpersonen richten.

Die Lehrbücher der Erziehungswissenschaft werden, um mit den Methoden der Bibliometrie und Netzwerkanalyse bearbeitet zu werden, eingeschränkt auf

• nach 1990 erneut publizierte und zugleich nur nach 1950 erstveröffentlichte Bücher,

• Monographien,

• einbändige Werke und

• deutschsprachige Werke.

Diese Kriterien werden zunächst in den Titelstichworten des Suchvorgangs (siehe Kapitel 4.4) abgebildet und mit den daraus resultierenden Lehrbuchkandidaten inhaltlich verglichen, um über eine endgültige Aufnahme in das Korpus zu entschei- den.Die Frage nach einem Korpus der Lehrbücher mag überflüssig erscheinen und die Notwendigkeit, ›das Rad neu zu erfinden‹ nicht unmittelbar einleuchten, wenn bereits einige Bibliographien31oder Sammelrezensionen32zu Lehrbüchern existieren

30 Die Kriterien werden an dieser Stelle vorab präsentiert und im weiteren Verlauf des Kapitels genau begründet.

31 Ein umfangreiches, aktuelles Beispiel liefertPapenkort(2015).

32 Zum BeispielHorn1996;Horn1998.

(27)

26 Korpuskonstruktion

bzw. Lehrbücher am Titel33 zu erkennen sein müssten, wenn sie ihrer Zielgruppe, den Anfängern des Faches, sichtbar sein sollten.

Problematisch an der titelbasierten Suche ist aber, dass kaum ein Lehrbuch der Erziehungswissenschaft, und sogar keines aus dem analysierten Korpus (siehe Kapitel 5), den Begriff ›Lehrbuch‹ im Titel oder Untertitel trägt. Die Verschlagwortung von Bibliotheken als Lehrbuch erweist sich ebenfalls nicht als hilfreich, da dort häufig teildisziplinäre und somit nicht die Erziehungswissenschaft in ausreichender Breite abdeckende Werke gelistet werden. Ferner veraltet jede manuell gepflegte Literaturliste aufgrund des recht produktiven Lehrbuchmarktes34schnell, sodass eine Aktualisierung notwendig wird.

Die Notwendigkeit einer eigenen Definition sowohl des allgemeinen als auch des disziplinspezifischen Lehrbuchbegriffs erwächst also aus dem Mangel einer einschlä- gigen, erschöpfenden und trennscharfen theoretischen Definition sowie dem Fehlen eines allgemein anerkannten Lehrbuchkorpus für die Erziehungswissenschaft.

Einerseits scheint ein nicht explizierter „informeller Konsens“ (Kauder/Vogel 2015b, S. 51) über die Definition des Begriffs zu herrschen. Andererseits steht die Banalität dieser Frage im deutlichen Gegensatz zu den in vielerlei Hinsicht unterschiedlichen Antworten. Sowohl lexikalisch35als auch theoretisch ist der Begriff nicht klar umrissen. Auch die pragmatische Verwendung des Lehrbuchbegriffs, etwa in Rezensionen oder bei der Verschlagwortung in Bibliotheken, wirft mehr Fragen auf als sie hinsichtlich der Klärung des Gegenstandes beantwortet.

Diese begrifflichen und klassifikatorischen Barrieren erfordern eine vorangehende Systematisierung, um an die obige Arbeitsdefinition36 des Begriffs Lehrbuch zu gelangen, die für die spätere Korpusbildung genutzt werden kann, es gilt aber auch im Definitionsprozess getroffene Entscheidungen zu legitimieren.

33 Eine entsprechende Titelsuche erweist sich als nicht ertragreich: Die erste Suche nach den Wer- ken mit der Titelstichwortkombination „Lehrbuch Pädagogik“ nach 1990 in der Online-Suche derDeutschen Nationalbibliothekliefert 49 Einträge, davon 10 Personen. Darunter findet sich genau ein (!) in Frage kommendes Lehrbuch, das jedoch aufgrund der Publikationsform Sammelband (siehe Abschnitt 4.3.1) verworfen wird.

Die analoge Suche nach der Titelstichwortkombination „Lehrbuch Erziehungswissenschaft“

ergibt 12 Treffer, davon lediglich zwei Werke, die sich auf die Erziehungswissenschaft im Kontext eines wissenschaftlichen Studiums beziehen.

34 Die Produktivität des Lehrbuchmarktes ist an den häufigen Auflagen der Lehrbücher er- kennbar: Die meisten der analysierten Lehrbücher liegen in einer erneuten Auflage vor. Zwei Lehrbücher erreichen eine zweistellige Anzahl an Auflagen (siehe Tabelle 1). Zählt man darüber hinaus die Neuauflage vonGieseckes Lehrbuch fortlaufend, kommt dieses Buch auf insgesamt 16 Auflagen.

35 Eine umfangreiche Zusammenstellung erziehungs-, buch- und bibliothekswissenschaftlicher Le- xikonartikel zum Lemma ›Lehrbuch‹ findet sich beiKauder(2015b) sowie zusammenfassend in einer Übersicht beiKauder/Vogel(2015a).

36 Der im Zuge dieser Bemühungen definierte Typus von Büchern ist durch eine spezifische Fragestellung begründet und damit ein Konstrukt und nicht alternativlos. Das Vorhandensein von alternativen Definitionen des Lehrbuchbegriffs weist bereits darauf hin, dass der hier verwendete, spezifische Begriff des Lehrbuchs im Verlauf zu begründen ist.

(28)

Was kennzeichnet Lehrbücher im Allgemeinen? 27

4.1 Was kennzeichnet Lehrbücher im Allgemeinen?

Die Bestimmung eines potentiellen Korpus’ von Lehrbüchern der Erziehungswissen- schaft erfolgt zunächst anhand einer Definition allgemeiner Aspekte eines Lehrbuchs.

Als Lehrbücher im Allgemeinen gelten

• Bücher bzw. elektronische Pendants mit mehr als 49 Seiten,

• die eine Systematik oder didaktische Ansätze erkennen lassen,

• für den Gebrauch im Hochschulstudium gedacht sind,

• sich entsprechend an die Zielgruppe der Studierenden richten,

• eine zur Zielgruppe passende Komplexität der Inhalte aufweisen, d.h. Basiswissen anstelle von reinen Problematisierungen und Vertiefungen bereitstellen

• und den Standards wissenschaftlichen Arbeitens genügen.

Ergänzende Beispiele zum Einschluss oder Ausschluss bestimmter Exemplare in das Korpus sowie die dazugehörigen Begründungen dienen der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der Korpuswahl.

Die Auflistung von ›Lehrbuch‹ als Formschlagwort37 – und nicht als inhaltliches Titelstichwort – in denRegeln für den Schlagwortkatalog (RSWK)der Deutschen Nationalbibliothek (vgl. Scheven2009, A 48) und die häufige Verwendung dieses Regelwerks zur Klassifizierung von Büchern in Bibliotheken legen bereits die Plausibilität formaler Kriterien nahe, nach denen sich ein Lehrbuch bestimmen ließe.

Die anschließend präsentierten Merkmale von Lehrbüchern setzen sich aus der Schnittmenge an Eigenschaften, die einem Lehrbuch zugeordnet werden, sowie aus in mehreren Definitionen aufgeführten Attributen zusammen.

4.1.1 Buchform

Da eine Sachverwandtschaft des Lehrbuchs mit dem Buch besteht, da beide Begriffe nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind (vgl. Horneyet al. 1970, S. 182), können Merkmale eines Buches hinzugezogen werden, um Lehrbücher zu charakte- risieren. Die Definition der übergeordneten Publikationsform Buch, die nach der Begriffsbestimmung der UNESCO nicht-periodisch38erscheinende, öffentlich pu- blizierte, gedruckte Werke mit einem Seitenumfang von mehr als 49 Seiten umfasst (vgl. UNESCO1965, S. 144), lässt sich auf das Lehrbuch übertragen, um potenti- elle Lehrbücher anhand ihrer Erscheinungsweise und des Dokumenttyps vorläufig zu bestätigen. Hierbei ist zu beachten, ob Kompendien, einerseits als synonyme39 Bezeichnung für ein Lehrbuch (vgl. Dudenverlag2015b), andererseits als ver- kürzte Form des Lehrbuchs (vgl. Dudenverlag 2015a;Wahrig-Redaktion

37 Als Formschlagworte von Werken liefern dieRSWK formale Merkmale, wie z.B. „die Erschei- nungsweise, die Art der Darstellung, die physische Form eines Dokuments (den Dokumenttyp) sowie in Einzelfällen das Niveau der Darstellung“ (Scheven2009, S. 175), um Literatur zu katalogisieren.

38 Neuauflagen, auch veränderte Auflagen eines Buches werden hierbei nicht als Periodikum aufgefasst.

39 Für die Annahme der synonymen Verwendung spricht die Bezeichnung des Buches von Gudjons/Traub(2012) im Untertitel u.a. als „Kompendium“, das mit einem Umfang von 399 Seiten zu den beiden umfangreichsten Lehrbüchern im Korpus gehört.

Referenzen

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