• Keine Ergebnisse gefunden

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe"

Copied!
44
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen

Historisches Handbuch

der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe

Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster

Überblicksartikel

Die Juden in der Grafschaft Steinfurt von Willi Feld

E-Book

Münster 2021

(2)

HISTORISCHES HANDBUCH

DER JÜDISCHEN GEMEINSCHAFTEN IN WESTFALEN UND LIPPE

Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster

Herausgegeben von

Susanne Freund, Franz-Josef Jakobi und Peter Johanek Redaktion

Susanne Freund, Anna-Therese Grabkowsky und Rita Schlautmann-Overmeyer

Überblicksartikel

Die Juden in der Grafschaft Steinfurt von Willi Feld

Auszug aus:

E-Book Münster 2021

Die Druckfassung ist erschienen im Ardey-Verlag

Münster 2008

(3)

Impressum zur Open Access E-Book-Ausgabe

Die vorliegende Ausgabe ist ab Seite 1 text- und seitengleich mit der 2008 im Verlag Ardey erschienenen gedruckten Ausgabe.

© Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Historische Kommission für Westfalen

2021

Die Datei darf zu privaten Zwecken heruntergeladen und gespeichert werden. Biblio- theken, Archive und öffentliche Forschunsgeinrichtungen dürfen die Datei auf Servern

speichern und zu wissenschaftlichen Zwecken zur Verfügung stellen. Darüber hinaus gehende sowie jede Form der gewerblichen Nutzung bedarf der Genehmigung der His-

torischen Kommission. Jede Änderungen der Datei ist untersagt.

Lizenz: Creative Commons BY-SA-NC-ND 3.0 DE

(Weiterverwendung nur mit Namensnennung, unter gleichen Bedingungen, nicht kommerziell, ohne Berabeiteung)

(4)

Vorwort der Heraugeber zur Online-Ausgabe

Das „Historische Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe“ wird fünf Jahre nach Erscheinen des letzten Teilbandes in einer digitalen Fassung online zu- gänglich gemacht. Nachdem die vier Teilbände in Bibliotheken der ganzen Welt, von Je- rusalem über London und Washington, verfügbar sind, erhoffen sich die Herausgeber des Gesamtwerks von der Online-Stellung weitere Impulse für die Erforschung der jüdischen Geschichte in Westfalen. Sie sind dankbar dafür, dass alle Autorinnen und Autoren – be- ziehungswiese deren Erben – der einzelnen Artikel ihre Zustimmung zu einer elektroni- schen Veröffentlichung erteilt haben. Dazu gibt auch die positive Resonanz auf das Hand- buch Anlass. Die Rezensentinnen und Rezensenten würdigten einhellig die Absicht der Historischen Kommission für Westfalen, den Wissenstand zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch Ortsartikel und flankierende Überblicksartikel zu dokumentieren.

Damit sind aber die Arbeiten an der jüdischen Geschichte in Westfalen keineswegs ab- geschlossen. Allein durch die Digitalisierung von Archivbeständen werden neue Informa- tionen bereitgestellt, die weitere Forschungen initiieren werden. Wie lebendig die regio- nale Aufarbeitung der jüdischen Geschichte ist, zeigt die NRW-Bibliographie. Allein für 2019/2020 wurden knapp 60 Beiträge zu Orten in Westfalen in Printmedien nachgewie- sen. Die Historische Kommission für Westfalen wird deshalb allen an jüdischer Geschich- te Interessierten in Westfalen und darüber hinaus auch künftig ein Forum bieten, um sich in unregelmäßigen Abständen über Quellen, Projekte und Arbeitsfortschritte auszutau- schen. 2019 hat bereits ein erstes Treffen stattgefunden. Die Kommission wird auf dem Wege der Online-Publikation die erschienene neue Literatur vorstellen und ihre Internet- seiten für weitere Grundlagenwerke öffnen. In gleicher Form sind bereits die Orts- und Personenregister zum Handbuch erschienen.

Fundierte Kenntnisse zur jüdischen Geschichte in unserer Region sind vor dem Hinter- grund der antisemitischen Proteste – nicht erst im Mai 2021, u. a. in Gelsenkirchen und Münster – nötiger denn je. Die Herausgeber fühlen sich unverändert diesem Ziel ver- pflichtet, das schon die vieljährige Arbeit am Gesamtwerk so lohnend machte.

Münster und Paderborn, im Sommer 2021

Frank Göttmann Karl Hengst (†) Peter Johanek Franz-Josef Jakobi Wilfried Reininghaus

(5)

Die gedruckt verfügbaren Bände

Alle Bände sind auch weiterhin im Buchhandel oder beim Verlag erhältlich.

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster. Hrsg. von Su- sanne FREUND, Franz-Josef JAKOBI und Peter JOHANEK, Redaktion Anna-Therese GRABKOWSKY, Franz-Josef JAKOBI und Rita SCHLAUTMANN-OVERMEYER, Münster 2008, Unveränderter Nachdruck Münster 2017, 780 Seiten, 1 Falkarte (Veröf- fentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Quellen und Forschun- gen zur jüdischen Geschichte in Westfalen, Band 2) Ardey, ISBN 978-3-87023-282-5, Preis: 69,00 Euro.

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold. Hrsg. von Karl HENGST in Zusammenarbeit mit Ursula OLSCHEWSKI, Redaktion Anna-Therese GRABKOWSKY, Franz-Josef JAKOBI und Rita SCHLAUTMANN-OVERMEYER in Kooperation mit Bernd-Wilhelm LINNEMEIER. Münster 2013, 832 Seiten, Festein- band, 2 Karten und Gliederungsschema in Tasche (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Neue Folge 10). Ardey, ISBN 978-3-87023-283-2, Preis: 79,00 Euro.

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg. Hrsg. von Frank GÖTTMANN, Redaktion Burkhard BEYER, Wilfried REININGHAUS und Rita SCHLAUTMANN-OVERMEYER. Münster 2016, 860 Seiten, Festeinband, Glie- derung und Karte in Tasche (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für West- falen, Neue Folge 12). Ardey, ISBN 978-3-87023-284-9, Preis: 79,00 Euro.

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe.

Grundlagen – Erträge – Perspektiven. Hrsg. von Susanne FREUND, Redaktion Anna- Therese GRABKOWSKY, Franz-Josef JAKOBI und Rita SCHLAUTMANN-OVER- MEYER. Münster 2013, 415 Seiten, Festeinband, 2 Karten in Tasche (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Neue Folge 11). Ardey, ISBN 978-3-87023- 285-6, Preis: 66,00 Euro.

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Drei Regionalbände und ein Grundlagenwerk im Schuber, Ardey, 978-3-87023-394-5, Preis 274,00 Euro.

Der Schuber ist auf Anfrage auch einzeln in der Geschäftsstelle der Historischen Kom- mission erhältlich.

(6)

Die online verfügbaren Bände

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster. Hg. von Susan- ne FREUND, Franz-Josef JAKOBI und Peter JOHANEK, Redaktion Anna-Therese GRABKOWSKY, Franz-Josef JAKOBI und Rita SCHLAUTMANN-OVERMEYER (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Band 2).

Online-Ausgabe Münster 2021 verfügbar unter:

http://www.lwl.org/hiko-download/HiKo_XLV_2_(2021).pdf

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold. Hg. von Karl HENGST in Zusammenarbeit mit Ursula OLSCHEWSKI, Redaktion Anna-Therese GRABKOWSKY, Franz-Josef JAKOBI und Rita SCHLAUTMANN-OVERMEYER in Kooperation mit Bernd-Wilhelm LINNEMEIER. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Neue Folge 10) Online-Ausgabe Münster 2021 verfügbar unter: http://www.lwl.org/hiko-download/HiKo_Neue_Folge_010_(2021).pdf Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Arnsberg. Hg. von Frank GÖTTMANN, Redaktion Burkhard BEYER, Wilfried REININGHAUS und Rita SCHLAUTMANN-OVERMEYER. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Neue Folge 12) Online-Ausgabe Münster 2021 verfügbar unter:

http://www.lwl.org/hiko-download/HiKo_Neue_Folge_012_(2021).pdf

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Grund- lagen – Erträge – Perspektiven. Hg. von Susanne FREUND, Redaktion Anna-Therese GRABKOWSKY, Franz-Josef JAKOBI und Rita SCHLAUTMANN-OVERMEYER.

(Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Neue Folge 11) Online-Ausgabe Münster 2021 verfügbar unter:

http://www.lwl.org/hiko-download/HiKo_Neue_Folge_011_(2021).pdf

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Re- gister der Orte und Territorien. Bearb. von Florian STEINFALS. Online-Publikation Münster 2016 (Materialien der Historischen Kommission für Westfalen, Band 12).

Verfügbar unter:

http://www.lwl.org/hiko-download/HiKo-Materialien_012_(2016).pdf

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Re- gister der jüdischen und christlichen Namen. Bearbeitet von Burkhard BEYER und Florian STEINFALS. Online-Publikation Münster 2018 (Materialien der Historischen Kommission für Westfalen, Band 14). Verfügbar unter:

http://www.lwl.org/hiko-download/HiKo-Materialien_014_(2018).pdf

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Nach- träge, neue Forschungen und regionale Erinnerungskultur. Bearbeitet von Burkhard BEYER und Anna STRUNK. Online-Publikation Münster 2021 (Materialien der Histo- rischen Kommission für Westfalen, Band 20). Verfügbar unter:

http://www.lwl.org/hiko-download/HiKo-Materialien_020_(2021).pdf

(7)

Einführung

Mit dem von der Historischen Kommission für Westfalen initiierten und vom Koopera- tionspartner Institut für vergleichende Städtegeschichte Münster gGmbH mitgetragenen

‚Historischen Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe‘ liegt erstmals ein lexikalisches Nachschlagewerk vor1, das alle Bereiche jüdischen Lebens in Westfalen-Lippe umfasst. Es war schon lange ein Desiderat der Forschung, die Entwick- lung der jüdischen Gemeinden und Gemeinschaften in den drei Regierungsbezirken Arnsberg, Detmold und Münster aufzuarbeiten. Das Handbuch erscheint in vier Teil- bänden: ein Grundlagen-Band sowie ein Teilband für jeden Regierungsbezirk. Insgesamt konnten etwa150Autorinnen und Autoren, vor allem aus Archiven und Museen sowie sonstigen Kultur- und Bildungseinrichtungen, für die Bearbeitung der etwa270Ortsar- tikel gewonnen werden. Überblicksartikel greifen – damit nur an einer zentralen Stelle generelle Sachverhalte erörtert werden müssen – gesamtgeschichtliche Entwicklungen in den einzelnen Territorien Westfalens (bis zur Auflösung des Alten Reiches) und in Lippe auf und stellen die jeweils eigenständige territoriale Judenpolitik dar. Diesem Schema ent- sprechend finden in diesem Band das Fürstbistum Münster, die Herrschaften Anholt und Gemen sowie die Grafschaften Tecklenburg-Lingen, die Grafschaft Steinfurt und das Vest Recklinghausen Berücksichtigung. Die Herrschaft Werth wurde angesichts der ge- ringen Anzahl dort nachweisbarer jüdischer Haushalte und einer ungünstigen Überliefe- rungslage nicht behandelt.2Detaillierte Karten in jedem Teilband erfassen die erwähnten jüdischen Gemeinden und Gemeinschaften ebenso wie die von den preußischen Behör- den im Gesetz vom23. Juli1847festgesetzten und bisher für Westfalen noch nicht dar- gestellten Synagogenbezirke; veranschaulicht werden die behördlichen Vorgaben, d. h.

die in den1850er Jahren umgesetzte Einteilung, nicht die zuvor entstandenen Formen jüdischer Selbstorganisation. Nähere Erläuterungen sind der Karte beigegeben.

Ein selbständiger Grundlagen-Band mit Überblicksdarstellungen für die Zeit vom En- de des Alten Reiches bis zur Gegenwart sowie mit Karten, Verzeichnissen und dem Orts- register für alle vier Bände verzahnt historische Entwicklungslinien in Westfalen-Lippe und ordnet die Forschungsergebnisse der drei Teilbände Arnsberg, Detmold und Müns- ter auf überregionaler Ebene in die allgemeine jüdische Geschichte ein. Nachgewiesen wird darin außerdem der aktuelle Stand der Diskussion zur westfälisch-jüdischen Ge- schichte.

Ausgehend von dem landesgeschichtlichen Arbeitsauftrag der Historischen Kommis- sion für Westfalen liegt dem Handbuch ein historischer, kein judaistischer Ansatz zu- grunde, wobei zudem die innerjüdische Sicht der Dinge schon wegen fehlender Erschlie- ßung und Auswertung der entsprechenden Überlieferung weitgehend unberücksichtigt bleiben musste. Dessen ungeachtet bieten Westfalen und Lippe, obwohl es dort Zentren jüdischer Niederlassungs- und Siedlungstätigkeit wie etwa im Rheinland nicht gab, gute Möglichkeiten zur Erforschung jüdischer Geschichte.3 Das ist in erster Linie dadurch 1 Vgl. dazu auchFreundSusanne /ReininghausWilfried, ‚Das Handbuch der jüdischen Ge- meinden und Gemeinschaften in Westfalen und Lippe‘ – ein neues Projekt der Historischen Kommission für Westfalen. In: WF53〈2003〉411–417undFreundSusanne /JakobiFranz-Jo- sef, Stadt und jüdisches Leben. In: Informationen zur modernen Stadtgeschichte2〈2005〉5–13.

2 Stattdessen wurden die wenigen verfügbaren Informationen bis zum Erwerb der Herrschaft durch das Hochstift Münster1709und dem Verlust der territorialen Selbständigkeit in den Orts- artikel Isselburg-Werth aufgenommen.

3 Das kann hier nur angedeutet werden; weiterführende Überlegungen dazu finden sich in der Einleitung zum Grundlagen-Band.

(8)

12

bedingt, dass Westfalen bis zum Ende des Alten Reiches politisch stark zergliedert war.

Für die Juden, deren Existenz bis zur staatsbürgerlichen Emanzipation, also bis in das 19. Jahrhundert hinein, einem diskriminierenden Privilegienrecht (Stichwort ‚Schutzju- den‘) unterworfen war, bedingte die politische Fragmentierung eine Vielzahl unterschied- lich restriktiver Judenordnungen. Die damit angesprochene Prägung jüdischen Alltags- lebens durch obrigkeitliche Geleitpolitik stellt einen der Schwerpunkte Frühneuzeitli- cher Forschung der vergangenen Jahre dar.4In diesem Kontext bietet Westfalen zahlrei- che Ansatzpunkte, um den Auswirkungen absolutistischen Judenrechts auf die einzelnen Haushalte, aber auch auf die Organe jüdischer Selbstverwaltung, also auf Gemeinden und Landjudenschaften, nachzuspüren. Darüber hinaus waren in den bis ins20. Jahrhundert hinein weitgehend agrarisch geprägten westfälisch-lippischen Wirtschaftsräumen zahl- reiche Juden in die dörflichen und kleinstädtischen Gefüge eingebunden. Dadurch kann dem zunehmenden Forschungsinteresse an der Existenz in einem vermeintlichen ‚Ab- seits‘5Rechnung getragen werden.6

Absicht des vorliegenden Handbuchs ist es, die Geschichte aller jüdischen Gemein- den und Gemeinschaften – letzterer Begriff meint lose Zusammenschlüsse von Juden – darzustellen, wobei die Gleichgewichtigkeit sozialer, politischer, gesellschaftlicher, öko- nomischer oder demographischer Aspekte sowie aller Perioden vom Mittelalter bis zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und zur gegenwärtigen Situation angestrebt wird. Das Projekt trägt damit auf lokal- und regionalgeschichtlicher Ebene neuen Ten- denzen der Forschung zur jüdischen Geschichte Rechnung, Juden als aktiven und gestal- tenden Teil der Gesellschaft7und nicht ausschließlich unter der erdrückenden Prämisse der Verfolgung im Nationalsozialismus wahrzunehmen. Ziel ist es, vergleichbare Ergeb- nisse – wie sie vielfältige überregionale Forschungen präsentieren – auf lokaler und regio-

4 Vgl. hierzu z. B. FleermannBastian, Jüdische Alltagskultur im Herzogtum Berg 1779bis 1847, Diss. Univ. Bonn〈2006〉. –LauxStephan, Zwischen Anonymität und amtlicher Erfas- sung. Herrschaftliche Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in den rheinischen Territorialstaa- ten vom16. Jahrhundert bis zum Beginn der „Emanzipationszeit“. In:GrübelMonika /Mö- lichGeorg (Hg.), Jüdisches Leben im Rheinland. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart〈Köln / Weimar / Wien2005〉79–110. –LinnemeierBernd-Wilhelm, Jüdisches Leben im Alten Reich.

Stadt und Fürstentum Minden in der Frühen Neuzeit (= Studien zur Regionalgeschichte,15)

〈Bielefeld2002〉.

5 deventerJörg, Das Abseits als sicherer Ort? Jüdische Minderheit und christliche Gesellschaft im Alten Reich am Beispiel der Fürstabtei Corvey (1550–1807) (= Forschungen zur Regional- geschichte,21)〈Paderborn1996〉.

6 Vgl. die Beiträge inRicharzMonika /RürupReinhard (Hg.), Jüdisches Leben auf dem Lan- de. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte (= Schriftenreihe des Leo Baeck Instituts,56)

〈Tübingen1997〉. –ObenausHerbert (Hg.), Landjuden in Nordwestdeutschland. Vorträge des Arbeitskreises Geschichte der Juden in der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 224)〈Hannover2005〉. –HödlSabine /RauscherPeter /StaudingerBarbara (Hg.), Hofju- den und Landjuden. Jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit〈Berlin / Wien2004〉. –Ullmann Sabine, Das Ehepaar Merle und Simon Ulman in Pfersee. Eine jüdische Familie an der Grenze zum Betteljudentum. In:HäberleinMark /ZürnMartin (Hg.), Minderheiten, Obrigkeit und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Integrations- und Abgrenzungsprozesse im süddeutschen Raum〈St. Katharinen2001〉269–291.

7 Vgl. hierzu z. B.:LässigSimone, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im19. Jahrhundert (= Bürgertum, N. F.1)〈Göttingen2004〉. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf das Forschungsvorhaben bei der Sächsischen Akademie der Wissen- schaften „Europäische Traditionen. Enzyklopädie jüdischer Kulturen“ unter der Leitung von Dan Diner in Kooperation mit dem Simon-Dubnow-Institut für Jüdische Geschichte und Kul- tur (Leipzig), das den Anteil der jüdischen Bevölkerung am kulturellen und gesellschaftlichen Leben in den Vordergrund rückt.

(9)

13 naler Ebene zu erzielen und somit eine ergänzende, gebündelte und aktualisierte Gesamt- dokumentation jüdischen Lebens in Westfalen und Lippe vorzulegen. Das vierbändige Handbuch mit seinem umfassenden chronologischen und thematischen Überblick zur westfälisch-jüdischen Geschichte soll so als Grundlage für weiterführende wissenschaft- liche Untersuchungen dienen.

1 Forschungsstand

Eine zusammenfassende Darstellung jüdischen Lebens in Westfalen und Lippe von den Anfängen bis zur Gegenwart fehlt bislang ebenso wie eine konzentrierte regionale Über- blicksdarstellung, die das facettenreiche jüdische Leben im Längsschnitt aufarbeitet. Bis- her wurden oft epochale Schwerpunkte gebildet, wie z. B. in einem an der Universi- tät Trier angesiedelten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten For- schungsprojekt8, dem von Alfred Haverkamp ‚Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Südalpen‘ und dem von Rosemarie Kosche ‚Studien zur Ge- schichte der Juden zwischen Rhein und Weser im Mittelalter‘9 oder in dem von der Hebräischen Universität Jerusalem (Michael Toch und Israel Yuval) und der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf (Stefan Rohrbacher) gemeinsam verantworteten Vorhaben

‚Germania Judaica‘10zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit. Diesem Zeitraum wid- met sich auch die von Diethard Aschoff herausgegebene Reihe ‚Westfalia Judaica‘,11die es sich zur Aufgabe macht, Quellen zur jüdischen Geschichte in Westfalen aus der Zeit des Alten Reiches zu edieren. Auf die Frühe Neuzeit konzentrieren sich Arbeiten von Jörg Deventer, Dina van Faassen, Bernd-Wilhelm Linnemeier und Klaus Pohlmann.12

8 Von Alfred Haverkamp betreutes Teilprojekt C1‚Zur Geschichte der Juden im hohen und späten Mittelalter in der Landschaft zwischen Rhein und Maas und angrenzenden Gebieten‘

des Sonderforschungsbereichs235‚Zwischen Maas und Rhein: Beziehungen, Begegnungen und Konflikte in einem europäischen Kernraum von der Spätantike bis zum19. Jahrhundert‘.

9 HaverkampAlfred (Hg.), Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Südalpen. Kommentiertes Kartenwerk (= Forschungen zur Geschichte der Juden, Abt. A: Ab- handlungen,14), T.1: Kommentarband; T.2: Ortskatalog; T.3: Karten〈Hannover2002〉. –Ko- scheRosemarie, Studien zur Geschichte der Juden zwischen Rhein und Weser im Mittelalter (= Forschungen zur Geschichte der Juden, Abt. A: Abhandlungen,15)〈Hannover2002〉.

10 Die Germania Judaica IV (in Vorbereitung) wird Artikel zum Herzogtum Westfalen und zum Vest Recklinghausen (Bearbeiterin: NathanjaHüttenmeister) für den Zeitraum1520–1650 enthalten.

11 Westfalia Judaica, Bd.1: Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in Westfalen und Lippe 1005–1350〈2. Aufl. Münster1992〉; Bd.3.1: Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in der Stadt Münster1530–1650/62〈Münster2000〉; Bd.3.2: Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in der Stadt Hamm von den Anfängen bis zur Zeit des Großen Kurfürsten (1287–

1664)〈Münster2005〉.

12 Deventer, Das Abseits (wie Anm.5). –FaassenDina van, „Das Geleit ist kündbar“. Quellen und Aufsätze zum jüdischen Leben im Hochstift Paderborn von der Mitte des17. Jahrhun- derts bis1802(= Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg,3)〈Essen1999〉.Dies. / HartmannJürgen: „. . . dennoch Menschen von Gott erschaffen“. Die jüdische Minderheit in Lippe von den Anfängen bis zur Vernichtung. Katalog und Arbeitsbuch zur Wanderausstel- lung〈Bielefeld1991〉. –Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich (wie in Anm.4). –Ders.,

„Ob man dich oder einen Hund dohtsticht, ist ein Thun“. Christlich-jüdische Konfrontationen im frühneuzeitlichen Alltagsleben Westfalens. In: Praktiken des Konfliktaustrags in der frühen Neuzeit, hg. vonKrug-RichterBarbara (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme,6)〈Münster2004〉21–78. –Ders., Die Juden im kleinstädtisch-ländlichen Wirt- schaftsgefüge der frühneuzeitlichen Region Westfalen. In: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für Volkskunde52〈2007〉33-70. –PohlmannKlaus, Vom Schutzjuden zum Staatsbürger jüdi- schen Glaubens. Quellensammlung zur Geschichte der Juden in einem deutschen Kleinstaat (1650–1900) (= Lippische Geschichtsquellen,18)〈Lemgo1990〉.

(10)

14

Für das19. Jahrhundert sind u. a. die Arbeiten von Arno Herzig und Margit Naarmann zu nennen.13 Das bisher einzige epochenübergreifende Werk zur westfälisch-jüdischen Geschichte ist das fünfbändige Handbuch von Elfi Pracht-Jörns ‚Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen‘.14Demgegenüber dokumentiert der überwiegende Teil einschlä- giger Publikationen Forschungen zu Einzelaspekten. So liegen Untersuchungen zu fast jeder jüdischen Gemeinde mit dem zeitlichen Schwerpunkt1933–194515ebenso vor wie zu sachthematischen Aspekten, etwa zu Synagogen und Friedhöfen. Darstellungen, wie u. a. zu Wirtschaftsunternehmen, zur Literatur oder zum Schul- und Bildungswesen be- schränken sich ebenfalls oftmals auf westfälische Teilgebiete.

Von all diesen Vorhaben unterscheidet sich das ‚Historische Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe‘ in mehreren entscheidenden Punkten. Bei- spielsweise wählte Pracht-Jörns einen kunst- und baugeschichtlichen Ansatz mit ledig- lich einem knappen Überblick über die Gemeindegeschichte. Dagegen stellt das Hand- buch – im Gegensatz zu den zahlreichen historischen Einzeluntersuchungen – die west- fälisch-jüdische Geschichte im detaillierten Überblick dar; ein methodisches Vorgehen, das auch dem ‚Historischen Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen‘16zugrunde liegt. Das Handbuch rückt nicht wie mehrere Übersichtswerke17ein Einzelphänomen in den Mittelpunkt, sondern ist auch hier um Vollständigkeit bemüht.

13 HerzigArno, Judentum und Emanzipation in Westfalen (= Veröffentlichungen des Provinzial- instituts für Westfälische Landes- und Volkskunde, Reihe1: Wirtschafts-und Verkehrswissen- schaftliche Arbeiten,17)〈Münster1973〉. –Ders., Die westfälischen Juden im Modernisierungs- prozeß. In:VolkovShulamit (Hg.): Deutsche Juden und die Moderne (= Schriften des Histo- rischen Kollegs: Kolloquien,25)〈München1994〉95–118. –Ders. (Bearb.), Jüdische Quellen zur Reform und Akkulturation der Juden in Westfalen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV: Quellen und Forschungen zur jüdischen Geschichte in West- falen,1)〈Münster2005〉. –NaarmannMargit, Die Paderborner Juden1802–1945. Emanzipati- on, Integration und Vernichtung. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Westfalen im19. und 20. Jahrhundert (= Paderborner Historische Forschungen,1)〈Paderborn1988〉.

14 Pracht-Jörns Elfi, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Bd. 1: Regierungsbezirk Köln (= Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland,34,1)〈Köln1997〉; Bd.2:

Regierungsbezirk Düsseldorf (= Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland, 34,2)〈Köln2000〉; Bd.3: Regierungsbezirk Detmold (= Beiträge zu den Bau- und Kunstdenk- mälern von Westfalen,1,1)〈Köln1998〉; Bd.4: Regierungsbezirk Münster (= Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern von Westfalen,1,2)〈Köln2002〉; Bd.5: Regierungsbezirk Arnsberg (= Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern von Westfalen,1,3)〈Köln2005〉.

15 Der50. Jahrestag der Pogromnacht am9. November1988war Anlass für zahlreiche lokale und regionale Studien, für Ausstellungen und Veranstaltungen zur jüdischen Geschichte vor Ort.

Die inzwischen kaum noch zu überblickende Reihe von Veröffentlichungen zu diesem Thema stellt eindeutig die Judenverfolgung im Nationalsozialismus in den Vordergrund.

16 ObenausHerbert in Zusammenarbeit mitBankierDavid undFraenkelDaniel (Hg.), Histo- risches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen,2Bde.〈Göttingen 2005〉.

17 So stellen z. B.BirkmannGünter /StratmannHartmut (unter Mitarbeit von ThomasKohl- pothund DieterObst), Bedenke vor wem du stehst.300Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe〈Essen1998〉ebenso wieBrockeMichael, Feuer an Dein Heiligtum ge- legt. Zerstörte Synagogen1938. Nordrhein-Westfalen. Erarbeitet vom Salomon-Ludwig-Stein- heim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte〈Bochum1999〉und – überregional –Hammer- SchenkHarold, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im19. und20. Jahr- hundert (1780–1933),2Teile (= Hamburger Beiträge zur Geschichte der Deutschen Juden, 8)〈Hamburg1981〉die Geschichte der Synagogen und Betstuben in den Vordergrund. Auf Friedhöfe konzentrieren sich die Werke vonStratmannHartmut /BirkmannGünter, Jüdi- sche Friedhöfe in Westfalen und Lippe〈Düsseldorf1987〉sowie – deutschlandweit – die von DiamantAdolf, Jüdische Friedhöfe in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme〈Frankfurt1982〉

undDers., Geschändete jüdische Friedhöfe in Deutschland1945bis1999〈Potsdam2000〉.

(11)

15 2 Prinzipien der Darstellung

Die auf westfälisch-lippische Gemeinden bezogenen Hinweise aus den genannten Wer- ken sind in die Ortsartikel des vorliegenden Projekts ebenso eingeflossen wie diejeni- gen aus der von Shmuel Spector herausgegebenen national übergreifenden dreibändigen

‚Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust‘.18Weitere Erkenntnisse zur Situation der Juden in einzelnen Orten während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft erbrachte die Zusammenstellung antijüdischer Maßnahmen von Otto D. Kul- ka/Eberhard Jäckel ‚Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten1933–1945‘.19 Eine zentrale Aufgabe der Redaktion war die Einarbeitung der Ergebnisse dieser Litera- turrecherchen sowie der Erkenntnisse aus gedruckten Quellen und, soweit verfügbar, aus archivalischem Primärmaterial. Wichtige Archiv-Inventare20erleichterten den Quellen- zugriff bzw. den Überblick über die umfangreiche schriftliche Überlieferung im Staatsar- chiv Münster und im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem.

Zentrale Quellenbestände wie die Überreste des ‚Gesamtarchivs der deutschen Juden‘ in den Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem und in der Stif- tung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum21sowie Überlieferungen im Leo-Baeck Institut in New York (eine Unterabteilung befindet sich im Jüdischen Museum in Berlin) wurden – soweit möglich – neben der kommunalen und regionalen Überlieferung, erar- beitet durch die jeweiligen Autoren, zusätzlich einbezogen, wobei einige allerdings nur zum Teil berücksichtigt werden konnten.22Zudem fand der auch Westfalen betreffende Nachlass von Rabbiner Bernhard Brilling, Münster, deponiert im Jüdischen Museum in Frankfurt a. M., für das19./20. Jahrhundert Berücksichtigung. Durch den Hinweis von Jehoshua Pierce, einem Mitarbeiter des United States Holocaust Memorial Museums, Washington, im Jahr2002auf einen bis dahin unbekannten Aktenbestand im Besitz der jüdischen Gemeinde Hamburg23– einsehbar im Institut für die Geschichte der Juden in

18 SpectorShmuel (Hg.), The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, 3Bde.〈New York2001〉.

19 KulkaOtto Dov /JäckelEberhard (Hg.), Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933–1945(= Schriften des Bundesarchivs,62), mit CD-Rom〈Düsseldorf2004〉.

20 SchnorbusUrsula (Bearb.), Quellen zur Geschichte der Juden in Westfalen. Spezialinventar zu den Akten des Nordrhein-Westfälischen Staatsarchivs Münster (= Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschungen,15)

〈Münster1983〉. – Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer hg. vonJersch-WenzelStefi /RürupReinhard, Bd. II: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kul- turbesitz, T.1: Ältere Zentralbehörden bis1808/10und Brandenburg-Preußisches Hausarchiv, bearb. vonKohnkeMeta〈München1999〉; Bd. V: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kultur- besitz, T.2: Sonderverwaltungen der Übergangszeit1806–1850. . . , bearb. vonMetschiesKurt u. a.〈München2000〉; Bd. VI: Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“,2Teile, bearb. u. a. vonWelkerBarbara〈München2001〉.

21 Dieser Quellenbestand enthält Gemeindeakten, persönliche Zeugnisse und Unterlagen aus dem religiösen, sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben der Juden in Deutsch- land.

22 Die Bestände der Central Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem und des Leo-Baeck Instituts in New York wertete für Westfalen Rita Schlautmann-Overmeyer teilweise in den1990er Jahren aus. – Zusätzliche Recherche-Ergebnisse für Orte in den westfälischen Ter- ritorien des Alten Preußen (Fürstentum Minden, Grafschaften Ravensberg, Mark, Tecklenburg und Lingen) konnte der im Jahr2006als Mitarbeiter gewonnene Tobias Schenk, Marburg, auf Basis seiner noch ungedruckten Dissertation über friderizianische Judenpolitik zwischen1763 und1812einarbeiten.

23 Vgl. dazuSchlautmann-OvermeyerRita, Ein Aktenfund in Hamburg zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Münster. In: WF53〈2003〉419–427undHartmannJürgen, Von den Nationalsozialisten während des Pogroms1938beschlagnahmte Akten und Kultgegenstände jüdischer Gemeinden in Lippe – Zum Hintergrund eines fast50Jahre verschollenen Aktenbe-

(12)

16

Deutschland (Hamburg) – konnten für Westfalen Archivalien zu jüdischen Gemeinden aus Detmold, Lippe und Münster ausgewertet werden. Diese erweitern vor allem für die Zeit des Nationalsozialismus den Kenntnisstand und ergänzten die lokalen Recherchen.

Die Einbeziehung gedruckter Quellen war von ebenso hoher Bedeutung für die voll- ständige Darstellung der Lokalgeschichte. Den ‚Berichten über die Marks-Haindorf- Stiftung‘ in Münster (1827–1911/13) waren neben dem Ausbildungszeitraum auch die Namen und Einsatzorte von jüdischen Lehrern, Handwerkslehrlingen sowie die Spen- den der jüdischen Gemeinden für die Stiftung zu entnehmen, ebenso dem ‚Statistischen Jahrbuch deutscher Juden‘ (1905) sowie dem ‚Führer (bzw. Handbuch) durch die Jü- dische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland‘ (1907,1909,1911, 1913,1924/25,1927/28und1932/33) Hinweise auf die Organisation einzelner jüdischer Gemeinden und auf Vorstandsmitglieder, Vereine und Einrichtungen und deren Vor- sitzende, außerdem auf das Vorhandensein einer jüdischen Elementarschule bzw. einer Religionsschule oder eines sogenannten ‚Wanderunterrichts‘, ferner auf die Namen der Lehrer.

Ohne dass ein gesonderter Hinweis im Gliederungspunkt4.4erfolgt, flossen Ergeb- nisse in die Ortsartikel ein: aus der Edition von Manfred Jehle für1843, aus den preußi- schen Statistiken24von1871,1895und1925ebenso wie aus dem ‚Handbuch der Kom- munalarchive‘ (NRW) und dem ‚Handbuch der historischen Stätten‘ (NRW), ferner aus dem von Scheffler/Schulle herausgegebenen Riga-Gedenkbuch und aus dem En- de2006erschienenen, vollständig überarbeiteten Gedenkbuch des Bundesarchivs Ko- blenz.25 Dem Verzeichnis ‚Die Juden als Soldaten‘ (Zeitraum:1864, 1866), dem ‚Ge-

standes. In: Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte1〈Juli2005〉20–28. – Für Lippe nahm Jürgen Scheffler eine erste Auswertung vor. Vgl.SchefflerJürgen, „Juden betreten diese Ortschaft auf eigene Gefahr“. Jüdischer Alltag auf dem Lande in der NS-Zeit: Lippe1933–1945.

In:BaumeierStefan /StieweHeinrich (Hg.), Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold – Landesmu- seum für Volkskunde,24)〈Bielefeld2006〉263–279, hier269–272.

24 Ein methodisches Grundproblem besteht darin, dass in diesen Statistiken nur Personen erfasst sind, die sich zum jüdischen Glauben bekannten, nicht aber Menschen jüdischer Herkunft, die konvertiert waren. Zu diesem Aspekt vgl. auchLipphardtVeronika, Zwischen „Inzucht“ und

„Mischehe“ – Demographisches Wissen in der Debatte um die „Biologie der Juden“. In: Tel Avi- ver Jahrbuch für deutsche Geschichte XXXV (2007): Demographie – Demokratie – Geschichte, hg. von José Brunner〈Göttingen2007〉45–66, besonders55f.

25 BrunsAlfred (Bearb.), Handbuch der Kommunalarchive in Nordrhein-Westfalen, T.2: Lan- desteil Westfalen-Lippe (= Westfälische Quellen und Archivpublikationen,21)〈Münster1996〉.

– Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherr- schaft in Deutschland1933–1945,2Bde., bearb. und hg. vom Bundesarchiv, Koblenz, und dem Internationalen Suchdienst, Arolsen〈Koblenz1986;2. erw. Aufl.,4Bde. mit CD-ROM Ko- blenz 2006〉. – Gemeindelexikon für die Provinz Westfalen. Auf Grund der Materialien der Volkszählung vom2. Dezember1895und anderer amtlicher Quellen mit einem Anhange, be- treffend die Fürstentümer Waldeck und Pyrmont, bearb. vom Königlichen statistischen Bureau (= Gemeindelexikon für das Königreich Preußen, X)〈Berlin1897〉. – Gemeindelexikon für den Freistaat Preußen. Nach dem endgültigen Ergebnis der Volkszählung vom16. Juni1925und anderen amtlichen Quellen unter Zugrundelegung des Gebietsstandes vom1. März1931, bearb.

vom Preußischen Statistischen Landesamt, Bd. XI: Provinz Westfalen〈Berlin1931〉. – Die Ge- meinden und Gutsbezirke der Provinz Westfalen und ihre Bevölkerung. Nach den Urmateriali- en der allgemeinen Volkszählung vom1. December1871, bearb. vom Königlichen statistischen Bureau (= Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preussischen Staates und ihre Bevölkerung, IX)〈Berlin1874〉. –GrotenManfred /JohanekPeter /ReininghausWilfried /WenskyMar- gret (Hg.), Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands: Nordrhein-Westfalen, hg. durch die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe〈3., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart 2006〉. –JehleManfred (Hg.), Die Juden und die jüdischen Gemeinden Preußens in amtlichen

(13)

17 denkbuch an den deutsch-französischen Krieg von1870–71für die deutschen Israeliten‘

und dem Gedenkbuch ‚Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen‘ (1914–1918) ließen sich – nicht immer zu- verlässige – Angaben zum Einsatz jüdischer Soldaten aus einzelnen Orten, ferner über ihre Beförderungen und Auszeichnungen entnehmen.26Die Auswertung der kompletten Jahrgänge der ‚Allgemeinen Zeitung des Judenthums‘ (1837–1922), der ‚Central-Vereins- Zeitung‘ (1923–1938) und des ‚Israelitischen Familienblatts‘ (1898–1938)27erbrachte in Bezug auf Westfalen und Lippe für zahlreiche jüdische Gemeinden und Gemeinschaften Hinweise u. a. auf die Gemeindestruktur, das religiöse und gesellschaftliche Leben, auf Synagogenbauten, Aktivitäten von Vereinen und Verbänden, familiäre Ereignisse, aber auch auf Reaktionen der Juden auf antisemitische Tendenzen vor Ort. Außerdem wur- den folgende Internetprojekte für die Erarbeitung des Handbuchs herangezogen: ‚Jüdi- sche Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Westfalen‘ (Universität Paderborn); die vom Holocaust-Memorial-Museum (Washington) erstellte Datenbank ‚westphalian jews‘; die

‚Central Database of Shoah Victims’ Names‘ der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, sowie die Dokumentation der jüdischen Friedhöfe des Zentralarchivs der deutschen Juden in Heidelberg. Teilerkenntnisse resultieren aus digitalisierten und im Internet abrufbereiten deutsch-jüdischen Zeitschriften und Zeitungen.28

3 Auswahlkriterien

Erfasst sind alle Orte der jeweiligen Regierungsbezirke, für die ein eigenständiges jüdi- sches Leben, d. h. zumindest die Existenz eines Friedhofs bzw. einer Betstube, nachge- wiesen ist. Inhaltlich reicht das Spektrum vom ersten Nachweis bis zur heutigen Erinne- rungskultur bzw. zur Entwicklung der wenigen nach dem Zweiten Weltkrieg wiederer- standenen jüdischen Gemeinden. Für die heutige politische Gliederung der Orte wurde die kommunale Gebietsreform mit den Eingemeindungen bis1975zugrunde gelegt. Den Herausgebern und Redaktionsverantwortlichen war von Anfang an das methodische Grundsatzproblem bewusst, das sich aus der Strukturierung des Handbuchs nach den gegenwärtigen Verwaltungseinheiten und Ortschaften ergibt. Jüdisches Leben – sei es in

Enquêten des Vormärz,4Teile (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin,82), T.3: Enquête des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Ange- legenheiten über die Kultus-, Schul- und Rechtsverhältnisse der jüdischen Gemeinden in den preußischen Provinzen1843–1845: Provinzen Posen, Schlesien, Sachsen, Westfalen〈München 1998〉. –SchefflerWolfgang /SchulleDiana (Bearb.), Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden,2Bde.〈München 2003〉.

26 Gedenkbuch an den deutsch-französischen Krieg von1870–71für die deutschen Israeliten, hg.

von der Redaktion der Allgemeinen Zeitung des Judenthums〈Bonn1871〉. – Die Juden als Soldaten, hg. von dem Comité zur Abwehr antisemitischer Angriffe in Berlin (= Die Juden in Deutschland, II)〈Berlin1896〉. – Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen1914–1918. Ein Gedenkbuch, hg. vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten〈Berlin1932; ND Moers1979〉.

27 Vgl. dazuMöllenhoffGisela, Die Allgemeine Zeitung des Judenthums und das Israelitische Familienblatt als historische Quellen zur jüdischen Gemeinde- und Personengeschichte Westfa- lens. In: WF53〈2003〉429–445. Die Allgemeine Zeitung des Judentums und die C. V.-Zeitung sind auch über das Internet recherchierbar; vgl. www.compactmemory.de (zuletzt gesehen: No- vember2007).

28 ‚Jüdische Periodika im deutschsprachigen Raum‘, vgl. www.compactmemory.de der Universi- tätsbibliothek Frankfurt a. M., der Bibliothek Germania Judaica, Köln, und der Rheinisch-West- fälisch-Technischen Hochschule Aachen. Vgl. ferner ‚Jüdische Zeitschriften in NS-Deutschland‘

(Deutsche Nationalbibliothek, Deutsches Exilarchiv1933–1945) unter: http://deposit.d-nb.de / online / jued / jued.htm (zuletzt gesehen: November2007).

(14)

18

kleineren Gemeinschaften und Familienverbänden, in Gemeinden oder Synagogenbezir- ken – lässt sich so nicht lückenlos erfassen. Die spezielle Mobilität und der weitreichende Aktionsradius einzelner Personen und Verwandtenkreise über Grenzen hinweg sowie deren gleichzeitige Präsenz – bis hin zu Haus- und Grundbesitz – an mehreren Orten kommen auf diese Weise in ihrer ganzen Komplexität nicht in den Blick. Die Beiträ- ge des Grundlagen-Bandes bieten die Möglichkeit, diese Einzelphänomene nachzuvoll- ziehen.

Die Vergabe der Ortsartikel hingegen orientiert sich – wie bereits erwähnt – an Kri- terien innerjüdischen Lebens, insbesondere an der Existenz einer eigenen Betstube bzw.

einer Synagoge und/oder eines eigenen Begräbnisplatzes. Dieses Verfahren stellte nicht nur methodisch, sondern auch inhaltlich ein Problem dar, denn die Kriterien ließen sich nicht immer strikt einhalten. So wurden Ausnahmen gemacht (z. B. Münster-Amels- büren und Senden-Bösensell), weil einzelne jüdische Ansiedlungen aufgrund einer sehr günstigen Quellenlage in unmittelbarem Zusammenhang mit einer in diesem Band dar- gestellten Gemeinde stehen und zusätzliche wertvolle Informationen bieten. Für diese jüdischen Gemeinden entstanden ebenfalls eigenständige Ortsartikel. Alle übrigen klei- nen jüdischen Ansiedlungen, die entweder einer Nachbargemeinde angeschlossen waren oder nur für einen kurzen Zeitraum bestanden haben, erhielten keinen eigenständigen Ortsartikel, sondern finden Erwähnung in anderen Ortsartikeln. Ihre Erschließung er- folgt über das Register im Grundlagen-Band; ferner sind sie in der beiliegenden Karte verzeichnet.

Insgesamt wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Dies betrifft vor allem die als Gemeinschaften bezeichneten einzelnen jüdischen Familien in kleinen Orten. Denn von Gemeinde wird nur gesprochen, wenn in einem Ort regelmäßig Gottesdienste, die das Vorhandensein eines Minjan voraussetzen, stattfinden konnten und Hinweise auf Gemeindeleben vorliegen. Eine Gemeinschaft hingegen geht lediglich von der Ansied- lung weniger Juden in kleinen Orten aus. Von einer Synagogengemeinde ist die Rede, wenn diese laut Gesetz vom23. Juli1847nach dessen Umsetzung in den1850er Jah- ren diesen Status erhielt. Die Bezeichnungen ‚Synagogen-Gemeinde‘ und ‚Synagogen- Bezirk‘ wurden laut Gesetz vom23. Juli1847synonym verwandt.29

4 Gliederungsprinzip

Den Ortsartikeln liegt in erster Linie ein chronologisches Gliederungsprinzip zugrunde, wobei soziale, kulturelle, gesellschaftliche und politische Aspekte ebenso berücksichtigt werden wie demographische und ökonomische Entwicklungen. Alle Ortsartikel folgen einem einheitlichen Schema, so dass Vergleiche gezogen, Parallelen und Divergenzen her- ausgearbeitet werden können. Der allgemeine Aufbau eines Ortsartikels orientiert sich aber auch an der Sachthematik. Details wie z. B. die Beteiligung der Juden am politischen und gesellschaftlichen Leben oder die Angabe der Bevölkerungszahlen (Gliederungs- punkt2.2.1) in den Zeitschnitten1843,1871,1895und1925lassen die Vergleichbarkeit der Situation in den behandelten Orten zu (ausgenommen sind die Orte in Lippe, weil es dafür kein entsprechendes statistisches Material gibt). Die ortsspezifische Bevölkerungs- entwicklung wird in den chronologischen Zeitabschnitten dargestellt.

Nach kurzen Informationen über wechselnde Zugehörigkeiten zu Territorien und Verwaltungsbezirken in Gliederungspunkt1folgen in Gliederungspunkt2Ausführun- gen zur Geschichte der jüdischen Gemeinschaft des jeweiligen Ortes in zeitlichen Ab- schnitten. Berücksichtigung finden ferner ihre innere Struktur und Verfassung sowie die Betätigung einzelner Mitglieder in der eigenen Gemeinschaft wie auch in Kultur und Wissenschaft und im politischen Umfeld. Die Beschreibung von Gemeindeeigen-

29 Jahrbuch für die jüdischen Gemeinden Preußens auf das Jahr5617[1856].

(15)

19 tum (z. B. Synagogen, Friedhöfe) und privaten Gebäuden in jüdischem Besitz erfolgt in Gliederungspunkt3. Dabei wird nur Grundsätzliches referiert und gegebenenfalls auf Pracht-Jörns verwiesen. Abschließend finden sich unter Gliederungspunkt 4Quellen und Literatur.

5 Benutzungshinweise

Viele Einzelfragen ließen sich je nach Quellenlage in unterschiedlichem Umfang beant- worten. Um jedoch ein überschaubares Handbuch vorzulegen, musste der Seitenumfang der einzelnen Ortsartikel limitiert werden. Die Beiträge setzen dennoch eigene Akzente und Schwerpunkte, insbesondere bei Nennung von Personen und bei der Gewichtung von genealogischen Angaben. Solche Unterschiede in den Ortsartikeln erklären sich häu- fig aus dem Forschungsstand der Lokalgeschichte.

Inhaltliche Ergänzungen aus nicht publizierten Quellen zum Mittelalter und zur Frü- hen Neuzeit bzw. neue Forschungserkenntnisse (von Diethard Aschoff, Bernd-Wilhelm Linnemeier und Tobias Schenk) werden mit [eckigen Klammern] gekennzeichnet.

Für die einzelnen Gliederungspunkte gilt Folgendes: Da die Gesetzgebung und deren praktische Umsetzung bei Änderungen der territorialen Zugehörigkeit30(Gliederungs- punkt1.2) zeitlich nicht übereinstimmten, werden teilweise zwei Jahreszahlen angege- ben, z. B.1806/07. Genannt werden Stadt- und Wigboldrechte. Die Änderung der Amts- und Kreiszugehörigkeit war – vor allem im19. Jahrhundert – ein dynamischer Prozess, der nicht generell dargestellt werden kann; berücksichtigt sind deshalb nur die zentra- len Änderungen durch die Gebietsreform (bis1975). Bei der Auflistung der Archivalien (4.1) sind nur die benutzten Bestände der einzelnen Archive erwähnt, nicht die Akten- nummern. In Gliederungspunkt4.3(gedruckte Quellen) werden die für die Beiträge aus- gewerteten Einzelartikel der Zeitungen – z. B. ‚Israelitisches Familienblatt‘ – mit konkre- tem Datum nachgewiesen. Wurden mehr als drei Artikel für einen Beitrag ausgewertet, erfolgt nur die Angabe der Jahrgänge, um die Quellenangaben nicht zu überfrachten.

Auf einen Anmerkungsapparat wurde bei den Ortsartikeln verzichtet und stattdessen die benutzte Literatur summarisch zusammengefasst. So ist unter Gliederungspunkt4.4 ortsübergreifende, unter4.5ortsbezogene Literatur aufgeführt. Jeder der Teilbände für die drei Regierungsbezirke enthält zusätzlich ein Verzeichnis derjenigen Werke, die in den Ortsartikeln abgekürzt zitiert werden.

In den Texten entfällt der Zusatz ‚jüdisch‘ in der Regel, wenn sich der Bezug aus dem Kontext ergibt. Außerdem wird nicht bei jeder Erwähnung des Haindorfschen Vereins, seit1866 ‚Marks-Haindorf-Stiftung‘, auf dessen Standort Münster verwiesen. Bei den Daten in Klammern hinter den Herrschernamen handelt es sich um Regierungs-, nicht um Lebensdaten.

Alle Ortsnamen erscheinen grundsätzlich in der jeweils üblichen deutschsprachigen Form. Im Ortsregister im Grundlagenband, das alle vier Bände erschließt, finden sich gegebenenfalls auch die landessprachlichen Namen. Die in den Quellen unterschiedlich wiedergegebene Schreibweise von Personennamen wird in den einzelnen Ortsartikeln weitgehend vereinheitlicht. Die Schreibweise insgesamt folgt der neuen Rechtschreibung;

sind alte und neue Schreibweise möglich, wird der alten der Vorzug gegeben. „Doppelte Anführungszeichen“ finden sich nur bei vollständig wiedergegebenen Inschriften und Satzzitaten, ‚einfache‘ bei Distanzierungen von NS-Begriffen und bei Bezeichnungen (z. B. Firmennamen, Vereinsbezeichnungen, Zeitungsnamen, Titel), ferner bei Zitaten,

30 Die genauen Daten der Zugehörigkeit zum Großherzogtum Berg und zum Kaiserreich Frank- reich werden ebenso wenig angeführt wie die der Übergangszeit1813–1815(preußisches Zivil- / Militärgouvernement zwischen Weser und Rhein).

(16)

20

die nur aus wenigen Wörtern bestehen. Dadurch wird die Lesbarkeit des Textes erheb- lich verbessert.

In das Glossar wurden nur Begriffe mit jüdischen Betreffen – sowohl Religion und Kultus als auch jüdische Institutionen und rechtliche Sachverhalte, u. a. aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft – aufgenommen. Die Schreibweise hebräischer Begrif- fe orientiert sich am ‚Philo-Lexikon‘.31

Am Ende des jeweiligen Bandes erleichtert eine alphabetisch geordnete Liste aller in den Teilbänden für die drei Regierungsbezirke behandelten jüdischen Gemeinden und Gemeinschaften deren Auffinden, da sie sowohl die frühere Bezeichnung als auch die heutige politische Zugehörigkeit des Ortes aufführt.

Die Manuskripte der Orts- und Überblicksartikel dieses Bandes wurden von den Au- toren vor ca. drei Jahren abgeschlossen, die Überarbeitung und Ergänzung durch die Redaktion und ihre Mitarbeiter im November2007.

Herausgeber und Redaktion

31 Philo-Lexikon. Handbuch des jüdischen Wissens〈ND der3. Auflage von1936, Frankfurt 1992〉.

(17)

Liste der Ortsartikel

Ahaus Ahlen

Ahsen→Datteln-Ahsen

Amelsbüren→Münster-Amelsbüren Anholt→Isselburg-Anholt

Ascheberg-Herbern Beckum

Beelen Billerbeck Bocholt

Bösensell→Senden-Bösensell Borghorst→Steinfurt-Borghorst Borken

Borken-Gemen Bottrop

Buer→Gelsenkirchen-Buer

Burgsteinfurt→Steinfurt-Burgsteinfurt Cappeln→Westerkappeln

Castrop-Rauxel Coesfeld

Darfeld→Rosendahl Darup→Nottuln-Darup Datteln

Datteln-Ahsen

Dingden→Hamminkeln-Dingden Dorsten

Dorsten-Lembeck Dorsten-Wulfen Drensteinfurt Dülmen Dülmen-Rorup

Enniger→Ennigerloh-Enniger Ennigerloh-Enniger

Ennigerloh-Ostenfelde Epe→Gronau

Freckenhorst→Warendorf-Freckenhorst Gelsenkirchen

Gelsenkirchen-Buer Gelsenkirchen-Horst Gemen→Borken-Gemen Gescher

Gladbeck

GronauundGronau-Epe Groß Reken→Reken Halternam See Hamminkeln-Dingden Havixbeck

Heek-Nienborg

(18)

141 Herbern→Ascheberg-Herbern

Hopsten

Horst→Gelsenkirchen-Horst Horstmar

Ibbenbüren Isselburg-Anholt Isselburg-Werth Klein Reken→Reken Laer

Legden

Lembeck→Dorsten-Lembeck Lengerich

Lüdinghausen Metelen Münster

Münster-Amelsbüren Münster-Wolbeck

Nienborg→Heek-Nienborg Nottuln

Nottuln-Darup Ochtrup Oelde

Oelde-Stromberg Olfen

Ostenfelde→Ennigerloh-Ostenfelde Osterwick→Rosendahl

Raesfeld Recklinghausen

RekenOrtsteile Groß und Klein Reken Rhede

Rheine

Rorup→Dülmen-Rorup

RosendahlOrtsteile Osterwick und Darfeld Schöppingen

Senden-Bösensell Sendenhorst Stadtlohn

Steinfurt-Borghorst Steinfurt-Burgsteinfurt Stromberg→Oelde-Stromberg Südlohn

Tecklenburg Telgte Vreden Wadersloh Waltrop Warendorf

Warendorf-Freckenhorst Werth→Isselburg-Werth Westerkappeln

Wolbeck→Münster-Wolbeck Wulfen→Dorsten-Wulfen

(19)

Gliederungsschema der Ortsartikel

1 KURZINFORMATION

1.1 Ort, Kreiszugehörigkeit

1.2 Staatliche und kultische Zugehörigkeit

2 GESCHICHTE, ORGANISATION UND TÄTIGKEITSFELDER DER JÜDISCHEN GEMEINSCHAFT

2.1 Geschichte der Gemeinschaft

2.1.1 Jüdisches Leben bis zum Ende des Alten Reiches

2.1.2 Jüdisches Leben im19. Jahrhundert und in der Weimarer Republik 2.1.3 Jüdisches Leben in der Zeit des Nationalsozialismus

2.1.4 Neuanfänge in der Nachkriegszeit und Erinnerungskultur 2.2 Verfassung, Organisation und Tätigkeitsfelder der Gemeinschaft 2.2.1 Innere und äußere Organisation

2.2.2 Kultus und Kultusort

2.2.3 Schul- und Religionsunterricht 2.2.4 Soziale Betätigung

2.3 Tätigkeitsfelder einzelner Gemeindemitglieder 2.3.1 Amts- und Funktionsträger

2.3.2 Herausragende Persönlichkeiten

2.3.3 Beteiligung an politischen und sonstigen Vereinigungen

3 BAU- UND KUNSTDENKMÄLER

3.1 Gemeindeimmobilien

3.2 Wohnhäuser, gewerbliche und industrielle Anlagen 3.3 Friedhöfe

4 QUELLEN UND LITERATUR 4.1 Archivalien

4.2 Fotos, Gemälde, Ansichten, Grundrisse und Lagepläne

4.3 Gedruckte Quellen, Quellensammlungen, Findbücher, Regesten- und Nachschla- gewerke

4.4 Ortsübergreifende Literatur 4.5 Ortsbezogene Literatur

(20)

Die Juden in der Grafschaft Steinfurt

von Willi Feld

Im Jahre1357wurde den Edelherren zu Steinfurt von Kaiser Karl IV. die Reichsunmit- telbarkeit ihrer Herrschaft zuerkannt.1492wurde diese durch Kaiser Maximilian I. zu einer Reichsgrafschaft erhoben. Das Territorium umfasste zu dieser Zeit außer der Stadt Burgsteinfurt und den drei Bauerschaften Sellen, Hollich und Veltrup auch noch Laer, Holthausen, Borghorst, Höpingen und Beerlage. Die Reichsunmittelbarkeit der Graf- schaft wurde jedoch von den Bischöfen von Münster immer wieder in Frage gestellt.

1548begann aus diesem Grund vor dem Reichskammergericht ein langwieriger Prozess.

1660wurde die Stadt Burgsteinfurt von Bischof Christoph Bernhard von Galen besetzt.

1716schloss die Gräfin Isabella Justina van Hoorn schließlich mit dem münsterischen Fürstbischof Franz Arnold einen Vergleich, in dem die Grafschaft Steinfurt auf die Stadt Burgsteinfurt und das Kirchspiel Steinfurt mit den drei Bauerschaften beschränkt wurde.

1806wurde die Grafschaft Steinfurt aufgelöst und das Territorium dem Großherzogtum Berg einverleibt.

Juden haben in der Grafschaft Steinfurt immer nur in der Stadt Burgsteinfurt gelebt.

Wann die Grafen zu Steinfurt das Judenregal erhielten, ist unbekannt. Ein entsprechendes Privileg ist nicht überliefert. Fest steht, dass Graf Philipp Konrad1662die ersten beiden jüdischen Familien, die des Samuel Meyer und die eines gewissen Gottschalck, in seiner kleinen Residenzstadt aufnahm. 1724kam eine weitere Familie hinzu.1735 waren es bereits vier,1740sechs und1750zehn. Bis zur Auflösung der Grafschaft Steinfurt stieg die Anzahl weiter bis auf23Familien mit insgesamt knapp130Personen.1

1 Geleitwesen

Alle Geleite, die die Grafen im Laufe der Zeit gewährten, waren Einzelgeleite. Gruppen- oder Gesamtgeleite gab es nicht. Die ersten dieser Geleite, auch Schutzbriefe genannt, waren zeitlich befristet. So durfte sich Samuel Meyer mit seiner Familie zunächst für 20Jahre in Burgsteinfurt ‚häuslich niedersetzten‘. Danach konnte der Schutz zwar ver- längert werden, ein Anspruch darauf bestand jedoch nicht.2Offenbar recht bald wurde diese zeitliche Befristung aufgegeben, wann genau, ist nicht überliefert. Durch das Ge- leit geschützt war zunächst immer die ganze Familie. Starb das Familienoberhaupt, ging das Privileg an seine Witwe über. Heiratete diese wieder, konnte ihr neuer Ehemann das Geleit übernehmen. Kinder waren geschützt, solange sie als Unselbständige zu Hause wohnten und beide Elternteile lebten. Wollten sie sich selbständig machen oder verwais- ten sie, mussten sie einen eigenen Schutzbrief erwerben oder Burgsteinfurt verlassen.3 Erste Voraussetzung für den Erwerb eines Geleitpatents war, dass der jeweilige Aspirant ein entsprechendes Gesuch beim Grafen einreichte. Empfehlungen waren nicht erforder- lich, konnten aber nützlich sein. Unter dem Regiment des Grafen Ludwig (1780–1806) 1 Vgl.Feld, „. . . daß die hiesigen Juden für Steinfurt wichtig sind“. Die Juden in der Geschich- te der ehemaligen Stadt Burgsteinfurt (= Geschichte und Leben der Juden in Westfalen,1)

〈Münster1996〉19f,24,59. – Die demographische Entwicklung lässt sich anhand der Rentamts- rechnungen, die für den Zeitraum von1662bis1806fast vollständig erhalten sind (Fürstliches Archiv zu Burgsteinfurt, G4445ff), recht genau rekonstruieren.

2 Feld, „. . . die hiesigen Juden . . . “ (wie Anm.1)20.

3 Die hier beschriebene Vergeleitungspraxis wurde anhand der Rentamtsrechnungen, Hauptkas- senbücher, Regierungsprotokolle und anderer Dokumente rekonstruiert. Eine schriftlich fixierte Grundsatzregelung ist nicht überliefert.

(21)

in den letzten Jahrzehnten der Grafschaft Steinfurt gab die Burgsteinfurter Judenschaft selbst gelegentlich solche Empfehlungen ab, weil ihr daran lag, die gemeinsamen Aus- und Abgaben auf möglichst viele Schultern zu verteilen.4Der Preis für die Gewährung eines Geleits konnte in gewissen Grenzen ausgehandelt werden. Als ein Grundsatz galt jedoch spätestens von den1740er Jahren an, dass Juden, die von außerhalb kamen, in et- wa doppelt so viel bezahlen mussten, wie die Kinder Einheimischer. So hatten die einen zwischen1740und1780im Durchschnitt150bis250Rtlr. aufzubringen, die anderen nur 50bis100Reichstaler. Nach1780stieg der Preis auf300bis450Rtlr. für Auswärtige und auf170bis290Rtlr. für Einheimische.5Da viele Interessenten solche Forderungen nicht ohne Schwierigkeiten erfüllen konnten, bot der zu dieser Zeit regierende Graf Ludwig verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten an. Natürlich konnte der gewöhnliche Weg eingeschlagen werden und der ausgehandelte Betrag sofort als ungeteilte Summe an das gräfliche Rentamt entrichtet werden. War ein Aspirant dazu nicht in der Lage, verfügte aber über ausreichende Sicherheiten, genügte es oft, dass er die Hälfte, manchmal auch nur ein Drittel der Kaufsumme sofort beglich. Den in einer Schuldverschreibung festge- legten Rest konnte er dann entweder en bloc im darauffolgenden Jahr unverzinst beglei- chen oder aber, auf einen größeren Zeitraum verteilt, in Raten mit einem Aufschlag von 5% Zinsen an die gräfliche Domänenkammer abführen. Einigen Interessenten gelang es auch, sich zunächst gegen eine geringe jährliche Gebühr von ca.6Rtlrn. für einige Zeit als sogenannte Toleranzjuden aufnehmen zu lassen, um dann später, wenn die Toleranz abgelaufen war und sie das nötige Geld hinzuverdient hatten, den vollen Schutz zu erwer- ben.6Diese Regelung sorgte jedoch für viel Ärger. Da ein Toleranzjude im Unterschied zu den ordentlichen Schutzjuden nichts zu den Gemeindeausgaben beizutragen brauch- te, obwohl ihm umgekehrt die Vorteile der jüdischen Gemeinde und ihrer Einrichtungen zugutekamen und er zudem, wenn er verarmte, von der Gemeinde unterhalten werden musste, kaufte die Burgsteinfurter Judenschaft dem Grafen1791für400Rtlr. die Zu- sicherung ab, das großzügige Toleranzsystem weitgehend aufzugeben und – von genau bezeichneten Ausnahmen abgesehen – von da an nur noch ‚ordentliche Schutzjuden‘ in Burgsteinfurt zuzulassen.7Dafür schuf der Graf aber in der2. Hälfte der1790er Jahre einen anderen außerordentlichen Aufnahmemodus. Dieser war hauptsächlich auf sol- che Juden zugeschnitten, die im Zuge der französischen Eroberungskriege unverschul- det in Schwierigkeiten geraten waren und nun einen neuen Aufenthaltsort suchten, ohne auf Anhieb sagen zu können, ob sie sich an diesem Ort auf Dauer oder nur vorüber- gehend niederlassen wollten. Damit solche Juden, wenn sie sich unter den Schutz des Grafen begaben, ohne allzu große finanzielle Verluste jederzeit in ihre Heimat zurück- kehren konnten, hatten sie die Möglichkeit, Patente zu erwerben, deren Kaufpreis von vornherein in fünf gleiche Teile von je100Gulden gestückelt war. Diese hatten sie dann in fünf aufeinanderfolgenden Jahren abzutragen, vollständig aber erst, nachdem sie sich mindestens vier Jahre in Burgsteinfurt aufgehalten hatten. Zogen sie vorher wieder ab, so hatte es bei den bis dahin geleisteten Zahlungen sein Bewenden, während die restli- chen entfielen. Auch wurde ihnen zugesichert, dass sie bei einer vorzeitigen Heimkehr keine ‚Abzugsgelder‘ zu zahlen brauchten. Diese musste ansonsten jeder Jude, der aus Burgsteinfurt fortzog, an das gräfliche Rentamt entrichten. Ihre Höhe war auf10% der Vermögenswerte, die der Abziehende aus Burgsteinfurt mitnahm, festgesetzt. Angaben darüber mussten nach bestem Wissen und Gewissen gemacht werden; in Zweifelsfällen waren sie zu beeiden.8

4 Feld, „. . . die hiesigen Juden. . . “ (wie Anm.1)61f.

5 Ebd.25,60.

6 Ebd.60.

7 Ebd.76f.

8 Ebd.60f.

(22)

Hatte ein Jude erst einmal ein Geleitpatent für Burgsteinfurt erworben, musste er jedes Jahr zu einem festgesetzten Termin eine weitere Abgabe, Tribut genannt, für den Erhalt des Schutzes an das gräfliche Rentamt abführen. Dieser jährliche Tribut belief sich zu- nächst auf zehn, von1680an auf fünf Reichstaler.9Seine Einforderung wurde von der gräflichen Regierung lange sehr großzügig gehandhabt. Mehrfach wurde Juden, die in ge- schäftliche Schwierigkeiten geraten waren, der Betrag gestundet oder gar erlassen, bis sie

‚zu besserem Stande gekommen‘ waren. Andere brauchten aus dem gleichen Grund nur die Hälfte zu bezahlen. Als1748Gottfried Israel starb und seine Frau Judith Philipp mit vier unmündigen Kindern zurückließ, wurde deren Tribut auf drei Rtlr. herabgesetzt, bis sie entweder wieder heiratete oder ihr ältester Sohn Samson20Jahre alt geworden war.

Ähnliches widerfuhr auch Israel Salomon. Als er plötzlich und unerwartet seine Toch- ter verlor, brauchte er wegen dieses ‚schweren accidents‘ eine Zeitlang nur noch2½Rtlr.

zu entrichten.10Verarmte ein Jude endgültig, hatte aber über viele Jahre hinweg immer pünktlich seine Abgaben bezahlt, wurde er häufig weiter geduldet. Es kam aber auch vor, dass verarmte Juden ausgewiesen wurden und nur in Burgsteinfurt bleiben durften, weil die Judenschaft deren Verpflichtungen übernahm. Unter Graf Ludwig kamen solche Fälle mehrfach vor.11

2 Verpflichtungen gegenüber der Stadt Burgsteinfurt

Da die Juden in der Stadt Burgsteinfurt wohnten und ihr Brot verdienten, mussten sie zusätzlich zu ihren Abgaben an das Grafenhaus auch sämtliche Kommunalabgaben und andere Bürgerpflichten tragen. In dem ersten1662an Samuel Meyer vergebenen Schutz- brief heißt es dementsprechend, dass Samuel Meyer und den Seinen erlaubt sei, ‚aller- hand bürgerliche Nahrung zu treiben‘, dass sie dafür aber auch ‚alle bürgerlichen Lasten gleich anderen zu verrichten und abzutragen schuldig‘ seien. Von den ‚Wachtdiensten‘

und dem ‚Glockenschlag‘ konnten sie sich am Sabbat und an jüdischen Feiertagen befrei- en, wenn sie jeweils für Ersatz sorgten.12Von Anfang an klagten die Juden darüber, dass die Stadt die ihr auf solche Weise vom Grafen zugestandenen Rechte missbrauchte. Na- mentlich über die Höhe ihrer Veranlagung zu den sogenannten ordentlichen Kontribu- tionen, einer Abgabe, die nach der Vermögenslage und dem Umfang des Gewerbes eines jeden Abgabepflichtigen bemessen wurde, gab es ständig Beschwerden, die erste im Jahre 1662, nur wenige Tage nach der Vergeleitung Samuel Meyers, die letzte im Jahre1804.13 Nicht eindeutig geklärt war zunächst die Rechtslage der Juden bei Einquartierungen.

Dass sie sich daran beteiligen mussten, war unstrittig, nicht jedoch, ob sie sich eventuell in schwierigen Situationen auch durch Ersatzleistungen davon freikaufen konnten.1741 kam es darüber erstmals zu einem Streit. Als1762während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) Truppen, die in Burgsteinfurt im Winterquartier lagen, über das Pessachfest hinaus in ihren Quartieren bleiben sollten, entschlossen sich die Juden, ihre Gäste in den Gasthäusern der Stadt unterzubringen, weil sie nur so den für Pessach vorgeschriebenen Reinlichkeitsgeboten nachkommen konnten. Die Umquartierung kostete sie einen Gul- den pro Tag. Da sie aber nicht sicher sein konnten, dass die Stadt ihnen nicht gleich neue Quartiergäste zuweisen würde, erwirkten sie beim Grafen einen Erlass, durch den die Stadtkommission angewiesen wurde, „die hiesige Judenschaft während ihres Osterfes- tes mit einer weiteren Einquartierung als derjenigen, die sie jetzt hat, zu verschonen“.14

9 Fürstliches Archiv zu Burgsteinfurt, G4445und G4454.

10 Feld, „. . . die hiesigen Juden. . . “ (wie Anm.1)26f.

11 Fürstliches Archiv zu Burgsteinfurt, A717; G5044u. a.

12 StadtA Steinfurt, A Xc2.

13 Feld, „. . . die hiesigen Juden. . . “ (wie Anm.1)21,79.

14 StadtA Steinfurt, A IIId12. – Dazu auchFeldWilli, Nicht nur Mazzenbäcker – Die lange Geschichte der Familie Marcus in Burgsteinfurt. In:Ders., Lebensbilder. Die Juden in der ehe-

(23)

Vehement von den Juden angezweifelt wurde während des Siebenjährigen Krieges das Recht der Stadt, sie zu den sogenannten Ordonnanzen – öffentliche Arbeiten wie Dre- schen und Heubinden – heranziehen zu dürfen. Ihren Angaben nach war das bis dahin noch nie geschehen und sie wollten natürlich, dass das so blieb. Auch hielten sie es für ungerecht, dass die Stadtkommission sie1761wie alle anderen Bürger und Einwohner der Stadt zur Finanzierung eines ‚freiwilligen Geschenks‘ an den Grafen mit einer außer- ordentlichen Kontribution belegte. Das Geschenk war als Dank für die Hilfe des Grafen während der bis dahin abgelaufenen Kriegszeit gedacht und aus eben diesem Grund hat- te die Judenschaft dem Grafen schon ein eigenes ‚freiwilliges Geschenk‘ gemacht. Die Auseinandersetzungen führten schließlich zu zwei Prozessen vor dem gräflichen Hofge- richt, die1766beide jeweils mit einem Vergleich endeten. In dem einen verpflichtete sich die Judenschaft, „künftig die Ordonanzen und andere Bürger- oder Stadtwerke gleich denen übrigen Bürgern und Einwohnern, so viel als ihre Religion ihnen zulässt, jeder- zeit willig zu entrichten“. In dem anderen sagte sie zu, sich von nun an in ähnlichen Fällen der Stadtkommission ‚willig unterwerfen‘ zu wollen, also auch die außerordentli- chen Kontributionen mitzutragen.151793begann Graf Ludwig damit, die ordentlichen wie die außerordentlichen Kontributionen der Juden der Stadtkasse zu entziehen und sie der gräflichen Hofkasse zuzuführen. Seine Begründung lautete, die Kontributionen seien bisher nur deshalb der Stadt zugeflossen, weil er ihr diese Gunst gewährt habe, sie ihr aber auch jederzeit wieder entziehen könne. Im umliegenden Münsterland werde es ähnlich gehandhabt. Die Entscheidung des Grafen war Teil eines langwierigen Streites zwischen dem Grafenhaus und der Stadt, der gleichzeitig juristisch vor dem Reichskam- mergericht ausgefochten wurde.16

3 Handel und Gewerbe

Wie überall, so waren auch in der Grafschaft Steinfurt die Erwerbsmöglichkeiten der Juden beschränkt. Als1662Samuel Meyer die Erlaubnis bekam, sich in der Stadt Burg- steinfurt niederzulassen, war es noch so selbstverständlich, dass er kein zunft- oder, wie es in Burgsteinfurt hieß, gildegebundenes Handwerk ausüben durfte, dass es in seinem Schutzbrief nicht einmal vermerkt war. Dagegen wurde ihm die Möglichkeit, Kreditge- schäfte zu tätigen, gezielt und ausdrücklich erleichtert. So durfte Samuel Meyer, wenn er Geld verlieh, wöchentlich ‚von jedem zwanzigsten Stüber einen Deut‘ als Zinsfuß neh- men. Da es wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation allgemein üblich war, ein Darlehen durch Pfänder abzusichern, waren in seinem Schutzbrief auch dafür genaue Konditionen festgelegt. Danach sollte ein Pfand, wenn nach einem Jahr und sechs Wo- chen nicht alle Zinsen bezahlt waren und es nicht ordnungsgemäß eingelöst wurde, in sei- nen Besitz übergehen. Es stand ihm dann frei, über dieses Pfand zu verfügen, es also auch selbständig zu verkaufen. Wurden alle Zinsen bis zur abgelaufenen Frist vereinbarungs- gemäß bezahlt, das Pfand aber dennoch nicht pünktlich eingelöst, sollte der Schuldner die Möglichkeit zur Einlösung vier Wochen über die vorgegebene Frist von einem Jahr und sechs Wochen hinaus behalten. Erst danach stand es Samuel Meyer frei, darüber zu verfügen. Ein besonderer Punkt legte seine Rechte für den Fall fest, dass er einmal unwissentlich gestohlene Sachen kaufte. Gestohlenes Kirchengerät konnte dann inner- halb eines Jahres, andere Gegenstände innerhalb von sechs Wochen gegen Erstattung des dafür entrichteten Preises von ihren jeweiligen Besitzern zurückverlangt werden. Hat- te Samuel Meyer diese Gegenstände aber schon weiter veräußert, sollte er dafür ‚nicht maligen Stadt Burgsteinfurt II (= Geschichte und Leben der Juden in Westfalen,7)〈Münster 2004〉15–82, hier24.

15 Feld, „. . . die hiesigen Juden. . . “ (wie Anm.1)54f. –Ders., Nicht nur Mazzenbäcker (wie Anm.14)24.

16 StaatsA Münster, Reichskammergericht Anh. B23,2.

(24)

weiter responsabel sein noch angesprochen werden‘, also nicht weiter haftbar gemacht werden können.17

Diese Vergünstigungen des Judenreglements von1662wurden im Laufe des18. Jahr- hunderts eingeschränkt oder aufgehoben. Genau bezeugt ist dies von der Bestimmung, die den unwissentlichen Ankauf gestohlener Dinge so großzügig regelte.1795brachte Graf Ludwig ein Edikt heraus, in dem es hieß, jedem Juden, der gestohlene oder ‚sonst verdächtige Sachen‘ ankaufe, drohe der Verlust des Schutzbriefes. Diese Neuregelung war ihm so wichtig, dass er sogar einen neuen Standardschutzbrief entwerfen und ins Regierungsprotokoll eintragen ließ, in dem ein entsprechender Passus eine zentrale Stelle einnahm.18Die Burgsteinfurter Judenschaft protestierte heftig gegen diese Maßnahme.

Sie sah sie als einen Akt der Rufschädigung und Diskriminierung an und vermisste ein verbindliches Kriterium dafür, wann ein zum Kauf angebotener Gegenstand als ‚ver- dächtig‘ anzusehen war und wann nicht. Die gräfliche Regierung kam nicht umhin, zu bestätigen, dass sich alle Juden in Zweifelsfällen bisher immer korrekt verhalten hätten.

Dennoch sah der Graf keine Veranlassung, seine einmal getroffene Neuregelung wieder zurückzunehmen.19Auch das Recht, nicht eingelöste Pfänder eigenmächtig zu verkau- fen, wurde definitiv aufgehoben. Spätestens seit der2. Hälfte des18. Jahrhunderts waren die Steinfurter Juden dazu verpflichtet, solche Pfänder gerichtlich verkaufen zu lassen.20

Schon im Jahre1693war es Israel Salomon, einem Nachfolger Samuel Meyers, ge- lungen, die Unzugänglichkeit der Burgsteinfurter Gilden für Juden aufzubrechen. Insge- samt sieben solcher Gilden – der Schmiede und der Schuhmacher, der Schneider und der Wandschneider, der Leineweber sowie der Holzwerker und der Bäcker – gab es in der Stadt. Ihre Statuten, wie überall in detaillierten Gildebriefen festgehalten, waren nach münsterischem Vorbild angelegt, mit dem Unterschied allerdings, dass die Gilden in Burgsteinfurt nicht unter der Aufsicht der Stadt, sondern unter der des gräflichen Lan- desherrn standen. Nachdem der besagte Israel Salomon1693schon ‚längere Zeit‘ mit der Wandschneidergilde in Streit gelegen hatte, wahrscheinlich weil er auch außerhalb freier Jahrmärkte mit Wollwaren und anderen Textilprodukten Handel getrieben und damit das Vorrecht der Gilde verletzt hatte, ließ sich die Gilde auf einen Vertrag mit ihm ein.

Darin erhielt Israel Salomon die Erlaubnis, ‚den freien Handel nach Gilderecht sein Le- belang‘ zu treiben, wenn er der Gilde dafür13½Rtlr. bezahlte. Nach seinem Tod sollte seine Familie dieses Recht, das eine Ausnahmeregelung blieb, jedoch nicht weiter aus- üben dürfen.21

Das änderte sich Ende der1740er Jahre, als die Burgsteinfurter Juden unter bestimm- ten Bedingungen grundsätzlich die Möglichkeit erhielten, wie die Mitglieder der Wand- schneidergilde mit Wollwaren und anderen Textilprodukten zu handeln. Voraussetzung dafür war, dass der jeweilige Interessent die Gilde ‚mietete‘. Solche Mietverträge, de- ren Gebühr sich nach dem Umfang des vorgesehenen Handels richtete, konnten jeweils für einen befristeten Zeitraum von einem Jahr bis zu vier Jahren abgeschlossen werden.

Im Einzelnen gestatteten die schriftlich fixierten Mietverträge ihrem jeweiligen Besitzer, während des vereinbarten Zeitraums „alles WullenZeug, so zu dieser Gilde gehöret, so wie andere Wandschneider in seinem Hause frey auszuschneiden und zu verkaufen“.

Damit ‚auf den Gassen herumzugehen‘ und es anzubieten, war ihm allerdings verboten

17 StadtA Steinfurt, A Xc2.

18 Feld, „. . . die hiesigen Juden. . . “ (wie Anm.1)65. – Eine Reproduktion des Musters dieses Standardschutzbriefes aus dem Regierungsprotokoll der Grafen zu Bentheim-Steinfurt ist ab- gedruckt beiFeld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte, Zerstörung, Gedenken〈Steinfurt 2004〉5.

19 Feld, „. . . die hiesigen Juden. . . “ (wie Anm.1)65.

20 StadtA Steinfurt, B117a.

21 Feld, „. . . die hiesigen Juden. . . “ (wie Anm.1)22.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dezember 1941 wurden die letzten sechs noch in Warendorf lebenden Juden nach Münster abtransportiert: die alleinstehende Berta Sa- muel, das Ehepaar Hugo Spiegel (geb. 1878

Kanalstraße Grevener Straße.

Telgte oder Bielefeld, fahren über den Ring und nehmen die Kanalstraße

Hier ist insbesondere an die Guthaben des LWL-Liquiditätsverbundes (LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen, LWL-Maßregelvollzugseinrich- tungen, LWL-Jugendheime, LWL-BLB) wie auch an

Wir sind sehr optimistisch, dass unsere Kunden weiter gut durch die Krise kommen und rechnen nicht mit weitreichenden Kreditausfällen in diesem Jahr. Sorgen um die Stabilität

In den Einrichtungen sind Schutzkonzepte gegen sexuali- sierte Gewalt verbindlich umgesetzt und das dort tätige Personal für das Thema sexualisierte Gewalt gegen Kinder

(Bearb.), Jüdische Quellen zur Reform und Akkulturation der Juden in Westfalen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV: Quellen und Forschungen zur

(Bearb.), Jüdische Quellen zur Reform und Akkulturation der Juden in Westfalen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV: Quellen und Forschungen zur