Einf¨ uhrung in die Chemie des Bodenwassers – Vorlesung und
Ubung ¨ LV 911.022
Robert Jandl
Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum f¨ ur Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW)
Seckendorff Gudent Weg 8, A – 1131 Wien
19. M¨ arz 2007
1Tel 87838 - 1302, Handy: 0664 826 99 07,
Email-Adressen:robert.jandl@boku.ac.at und robert.jandl@bfw.gv.at
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung 4
1.1 Uberblick . . . .¨ 4
1.2 Information am Web . . . 6
2 Pools und Bilanzen 8 2.1 Pools . . . 8
2.2 Bilanzen: Protonen, Ladung, Masse . . . 8
3 Thermodynamik – Gleichgewichtschemie 11 3.1 Grundlagen . . . 11
3.1.1 Einheiten . . . 11
3.1.2 Speziierung . . . 12
3.1.3 Haupts¨atze . . . 12
3.2 Formen des Massenwirkungsgesetzes . . . 17
3.3 Reaktionskinetik . . . 18
3.4 Kombination von chemischen Gleichungen . . . 20
4 Tableau - Methode 21 4.1 Erstellung eines Tableaus . . . 21
4.2 Numerische L¨osung von Gleichgewichtsaufgaben . . . 28
4.2.1 Bausteine des Tableaus . . . 28
4.2.2 Massengleichgewichtsgleichungen . . . 29
4.2.3 Massenbilanzgleichungen . . . 30
4.3 Gleichgewichtschemie . . . 31
4.4 Korrekturen f¨ur ”Nicht – ideale L¨osungen” . . . 35
4.5 Inhalt eines Tableau - Zusammenfassung . . . 38
5 Graphische L¨osung 39 5.1 Erstellung von Bjerrum - Plots . . . 39
5.2 c-pH Diagramm . . . 41
5.3 Regeln zur L¨osung von Gleichgewichtsaufgaben . . . 45
5.4 Formeln f¨ur die L¨osung von Gleichgewichtszusammensetzungen . 45 6 S¨auren und Basen 47 6.1 Schwache S¨auren . . . 47
6.2 Starke S¨auren . . . 49
6.3 Kohlens¨aure im geschlossenen System, keine Festphase, keine Gasphase, ¨Aquivalenzpunkt . . . 49
1
INHALTSVERZEICHNIS 2
7 Alkalinit¨at 53
7.1 Definition der Alkalinit¨at . . . 53
7.2 Alkalinit¨at - rechnerisch . . . 55
7.3 Alkalinit¨at des Bodenwassers . . . 63
7.4 Alkalinit¨at des Bodenwassers - Saure Bedingungen: . . . 63
7.5 Alkalinit¨at – Photosynthese und Respiration . . . 65
7.6 Analytische Bestimmung der Alkalinit¨at – Grantitration . . . 65
7.7 Fraktionierungsfaktoren . . . 70
8 Gleichgewicht mit der Gasphase 71 8.1 Kohlendioxid –CO2 . . . 71
8.2 Ammoniak in der Luft –N H3 . . . 73
8.3 Mehrere Gase . . . 75
8.4 Mischung von 2 W¨assern . . . 77
9 Pufferung im Bodenwasser und im Boden 81 9.1 Pufferung im aquatischen System . . . 81
9.2 Pufferbereiche im Boden . . . 82
9.3 Pufferbereiche der Boden–Festphase . . . 84
9.3.1 S¨aurewirkung der Kohlens¨aure . . . 84
9.3.2 Al Puffer . . . 85
9.3.3 Kationenaustausch . . . 85
10 L¨osung der Festphase 89 10.1 Vorbemerkung . . . 89
10.2 Quarzverwitterung . . . 91
10.3 Stabilit¨atsdiagramme – L¨osung von Magnesiumsilikat . . . 92
10.4 Verwitterungsprodukte – Anorthit . . . 93
10.5 Oxidverwitterung . . . 94
10.6 Karbonatl¨osung – offenes System . . . 99
10.7 Maximale L¨oslichkeit von Karbonaten . . . 106
10.8 Koexistenz von Feststoffen . . . 107
10.9 Gew¨asserreinigung durch Ausf¨allung - Fallstudie . . . 109
10.10Nachbemerkung . . . 112
10.11S¨aurekonsumation durch chemische Gesteinsverwitterung . . . . 113
10.11.1 Bildung eines Tonminerals aus Prim¨armineralen . . . 113
10.11.2 Verwitterung von Prim¨ar- zu Sekund¨armineralen; ”inkon- gruente Verwitterung” . . . 113
10.11.3 Kongruente Verwitterung . . . 114
10.11.4 Tonzerfall . . . 114
10.11.5 Erl¨auterung . . . 114
11 Komplexbildung 117 11.1 Vorbemerkung . . . 117
11.2 Einteilung der Komplexe . . . 117
11.3 Ionenpaare . . . 121
11.4 Anorganische Komplexe von Spurenmetallen . . . 122
11.4.1 log c –pH Diagramm f¨ur gel¨oste Metalle . . . 126
11.5 Metall - organische Komplexe . . . 126
11.5.1 Pre-Dominanz Diagramm . . . 128
INHALTSVERZEICHNIS 3
12 Modellierung des Kationenaustausches 130 12.1 Bodenfestphase als hoch-konzentrierter Bestandteil der Bo-
denl¨osung . . . 130
12.2 Konventionen zur Darstellung des Ionentausches . . . 131
12.3 Kationenaustausch im Speziierungsprogramm . . . 135
13 ¨Ubungsbeispiele 137 13.1 ¨Ubungen zu Kapitel 2.2 . . . 137
13.2 ¨Ubungen zu Kapitel 3.4 . . . 139
13.3 ¨Ubungen zu Kapitel 4.2 . . . 139
13.4 Zusammenhang Wasser/Bodenchemie? . . . 141
13.5 ¨Ubungen zum Kapitel 6 . . . 141
13.6 ¨Ubungen zu Kapitel 10 . . . 143
13.7 ¨Ubungen zu Kapitel 11 . . . 144
13.8 ¨Ubungen zu Kapitel 12 . . . 144
13.9 Junkyard . . . 144
14 Fallstudien - Exkurse 146 14.1 Achenkirch . . . 146
14.2 Magnesiumd¨ungung . . . 146
14.3 Schottenwald . . . 146
14.4 Gel¨oster organischer Kohlenstoff – DOC . . . 146
14.4.1 Herkunft, Bedeutung und Definition des DOC . . . 146
14.4.2 Mengen - Konzentrationen - Fl¨usse . . . 147
14.5 Kalziumern¨ahrung von B¨aumen – Limits . . . 147
14.6 Kritische Literaturanalyse . . . 150
References 152
Kapitel 1
Problemstellung
file:vo.p1table.tex
1.1 Uberblick ¨
Die Bodenkunde hat seit etwa 1970 viele wissenschaftliche Anleihen bei der aquatischen Chemie genommen, um detaillierte und mechanistische Sichtweisen von chemischen Bodenprozessen zu gewinnen. Das Bodenwasser ist der Reak- tionsraum f¨ur die chemischen Prozesse. Die meisten Reaktionen k¨onnen in die folgenden Kategorien eingeordnet werden: ’S¨aure/Base-Reakionen’, ’Komplexie- rung’, ’L¨osung/Ausf¨allung’, ’Redox-Reaktionen’ und ’Adsorption/Desorption’.
Diese Prozesse hinterlassen Signaturen in der Zusammensetzung des Wassers, welche auf die Intensit¨at verschiedener geochemischer und biologischer Prozesse schliessen lassen.
Die chemische Analyse von Wasserproben liefert zumeist Gesamtgehalte an Elementen oder Stoffgruppen. Seltener ist bekannt, als welche chemische Spezies ein Element vorhanden ist. Dabei haben verschiedene Spezies eines Elements oft deutlich unterschiedliche Eigenschaften.
Beispiel:Aluminium kommt in Bodenw¨assern in verschiedenen For- men vor. Nur die ’monomere’ FormAl3+ ist phytotoxisch. – Freies BleiP b2+ ist giftig, doch ein erheblicher Teil des Bleis wird im Bo- denwasser von organischen Liganden komplexiert.
Die analytische Feststellung der Konzentrationen aller relevanten Spezies ist extrem aufwendig bzw. labortechnisch nicht m¨oglich. Die thermodyna- mischen Informationen ¨uber verschiedene Elemente und ihre Verbindugen sind jedoch ausreichend, um aus den Gesamtkonzentrationen der Elemente die Konzentrationen der einzelnen Spezies unter vorgegebenen Randbedin- gungen zu ermitteln. Dazu werden in der Regel ’Speziierungsprogramme’
verwendet. Einen ¨Uberblick ¨uber einen Teil der Bodenwasserforschung in Osterreich gibt die Arbeit von Jandl et al. (1997). Grundlegende Information¨ uber Bodenwasserstudien ist in mehreren Reviewarbeiten und Lehrb¨¨ uchern erl¨autert (Lawrence & David, 1996; Sposito, 1995; Wolt, 1994; Benjamin, 2002).
Anwendungsbereiche der Bodenwasserchemie:
4
KAPITEL 1. PROBLEMSTELLUNG 5
oberirdischer Effekt Rezeptorarten
Wege??
Boden, Wasser 6
?
Abbildung 1.1: Zur Diskussion von Grenzwerten etc. siehe (Tarazona et al., 2002).
• Feststellung der Konzentration von toxischen Elementspezies; Interpreta- tion der Ergebnisse aufgrund einschl¨agigen Wissens
• Monitoring von Systemzust¨anden anhand des zeitlichen Verlaufes der Kon- zentrationen von Ionen; vgl. (DVWK, 1997)
• Risikoabsch¨atzung bei Massnahmen; etwa Kl¨arschlamm
• Beschreibung des aktuellen Systemzustands und Absch¨atzung der Folgen wohldefinierter Systemver¨anderungen
• Stoffflussbilanzen (in Verbindung mit Bodenphysik)
Die Bodenwasserchemie bietet noch kein risk assessment, jedoch wesentli- che Hilfen zur Beurteilung eines Risikos. Risk Assessments m¨ussen immer auf einen Rezeptororganismus bezogen sein. Die Angabe eines Grenzwertes (z.B.
0.0001 mg Metall/L als Grenze zur Toxizit¨at) kann keinesfalls universell (f¨ur al- le Organismen) g¨ultig sein. Hinweis zur Debatte ¨uber Grenzwerte: Die folgende Darstellung (Abbildung 1.1) ist zu vereinfachend, da f¨ur jeden Organismus der Response auf den externen Effekt abgekl¨art werden muss. Ein Grenzwert f¨ur Boden / Wasser allein ist unzureichend (Tarazonaet al., 2002).
For every complex problem there is a simple solution. And it’s always wrong! – Benjamin Franklin
Aktuelle Forschungsschwerpunkte der Bodenwasserchemie:
• Reduktions-Oxidations (Redox-) Prozesse
• Oberfl¨achenreaktionen
• Organische Liganden
• Kopplung von chemischen Modellen (diese Vorlesung) mit bodenphysika- lischen Modellen
KAPITEL 1. PROBLEMSTELLUNG 6
1.2 Information am Web
Amwww sind viele Informationen ¨uber Bodenwasser, Wasserchemie und ver- wandte Themen verf¨ugbar.
Wichtige Home-Pages: ich bitte um
Updates
• Bodenkunde - Kurse mit Wasserschwerpunkt
– http://pubpages.unh.edu/~harter/soilchem.html
– http://syllabus.syr.edu/esf/rdbriggs/for345 Beschreibung der Vorlesung von Dr. Briggs; Links zu Bodenseiten!!
– http://soils1.cses.vt.edu/mje/Environmental Soil Chem; Vir- ginia Tech
– http://soils.stanford.edu/Stanford Classes
– http://syllabus.syr.edu/CIE/CEJOHNS/CIE471/ Chris Johnson Syracuse
– http://www.public.iastate.edu/~jdwolt/ Linksammlung; Zu- gang zu vielen anderen Bodenwasser-Ressourcen
– http://soilslab.cfr.washington.edu/S-7 Linksammlung der amerikanischen Bodenkundlichen Gesellschaft
• Geologie, Mikrobiologie
– http://commtechlab.msu.edu/sites/dlc-me/ Digital learning center for microbial ecology
• Modelle
– http://www.epa.gov/ceampublModelle, die mit US-Steuergeldern entwickelt wurden, und daher bei der Environmental Protection Agency frei verf¨ugbar sind; Center for exposure assessment mode- ling; spezifische Information zum Thema Wasser http://www.epa.
gov/ebtpages/water.html
– http://www.epa.gov/ceampubl/mmedia/minteq/Minteqa2:Spe- ziierungsprogrammMinteqals Shareware mit ausf¨uhrlichem Manu- al und ausgearbeiteten ¨Ubungsbeispielen
– http://www.mineql.comNetzinfo von Bill Schecher ¨uber MINEQL;
Web-Page mit guter Beschreibung von MINEQL; DOS Version von Mineqlals freeware
– http://www.geo.vu.nl/users/posv/phreeqc/index.html
Phreeqc f¨ur Windows; Geochemisches Modell, in dem Was- serchemie und Transportprozesse vereinigt sind; flache Lernkurve;
perfektes tool; perfektes Manual (Parkhurst & Appelo, 1999). Von USGS wird eine Version mit GUI vertrieben
– http://www2.chemeng.lth.se Programm Profile als Shareware, siehe Kapitel 10; kann die chemische Verwitterung von Waldb¨oden simulieren. Dieses Programm wird in Deutschland zur Absch¨atzung von Critical Loads/Critical Levels der Schadstoffeintr¨age verwendet.
Es gibt eine Version, in der die Anwendung in Microsoft Access ¨uber- tragen wurde: Google ”CL-Profile”; CL steht f¨ur Critical Loads.
KAPITEL 1. PROBLEMSTELLUNG 7
– http://www.agronomy.org/bzwhttp://www.soils.orgHomepa- ge der Amerikanischen Bodenkundlichen Gesellschaft – zahlreiche goodiesf¨ur bodenkundliche Fragestellungen, Bodensystematik, Bild- material.
– http://www.usgs.gov/ Programme, Daten ¨uber Geologie, B¨oden;
UnterverzeichnisTechnical Resources - Software
– http://www.ars.usda.gov/pwa/riverside/gebjsl (Bodenphysi- kalische Modelle des U.S. Salinity Labs in Riverside, CA; z.B. Un- satchem, (Suarez & ˘Simunek, 1997))
– http://www.pc-progress.cz/Pg_Hydrus_Downloads.htm Ver- schiedene Generationen von Hydrus (bodenphysikalisches Modell) (ˇSim˚uneket al., 1998)
– http://www.palmers.atmore models
Die Stadt Wien erzeugt ihr Trinkwasser in bewaldeten Einzugsgebieten in den Kalkalpen→http://www.wien.gv.at/wald/quelle/index.htm.
Kapitel 2
Pools und Bilanzen
2.1 Pools
Die wichtigsten N¨ahrstoffpools f¨ur die aquatische Chemie siehe (Morel & Hering, 1993, Kapitel 1). Der Hauptanteil der meisten Elemente ist in der Lithosph¨are.
Ausnahme: Stickstoff befindet sich ¨uberwiegend in der Atmosph¨are.
Verweilzeit, ”residence time”τ= pool fluss.
Zwischen den Pools laufen Austauschprozesse ab. Dabei wird ein Pseudo- equilibrium angenommen
• sehr langsame Reaktionen: ignoriert
• langsame Reaktionen: mit Reaktionskinetik beschrieben
• schnelle Reaktionen: mit chemischen Gleichgewichtsreaktionen beschrie- ben (Kapitel 3)
2.2 Bilanzen: Protonen, Ladung, Masse
Bei der Berechnung des chemischen Gleichgewichtszustandes von chemischen Systemen werden Bilanzgr¨ossen als Randbedingungen verwendet. Nach dem Ab- lauf der unterstellten Reaktionen darf Materie weder entstanden noch vernichtet sein.
Protonenbilanz:
Protonen nehmen bei der Interpretation von chemischen Wasserdaten eine Schl¨usselrolle ein.
Reines Wasser: F¨ur jedes dissoziierte H2O-Molek¨ul entsteht ein H+ und ein OH−, daher gilt
[H+] = [OH−] (2.1)
Verd¨unnte S¨aure HA:H+ entstehen aus der Dissoziation von Wasser (Glei- chung 2.1 und aus der Dissoziation von HAals HA=H++A−. Die Summe der Konzentration anOH− und A−, der Dissoziationsprodukte, ist daher das Mass f¨ur dieH+-Konzentration
8
KAPITEL 2. POOLS UND BILANZEN 9
[H+] = [OH−] + [A−] (2.2)
Salzl¨osung NaA: Alle H+ kommen aus der Dissoziation von Wasser (Glei- chung 2.1). Als zus¨atzliche Reaktion kommt A−+H2O =HA+OH− (”Hy- drolyse vonA−”) hinzu. Aus dieser Reaktion kommen gleich vieleHAwieA−. Die Gesamtkonzentration anOH− ist daher
OH−
= [HA] + [H+] (2.3)
Zweiprotonige S¨aureH2B:
[H+] = [OH−] + [HB−] + 2[B2−] (2.4) InN aHB:Es finden die ReaktionenN aHB=N a++HB−,HB−=B2−+ H+ undHB−+H2O=H2B+OH− statt; ausserdem dissoziiert Wasser. Die Gesamtgleichung lautet
[H+] + [H2B] = [OH−] + [B2−] (2.5) Ladungsbilanz:
Bei allen chemischen Aufgaben muss eine Ladungsbalanz bestehen, da ein chemisches System nicht elektrisch geladen ist und im Zuge der Reaktionen elektrische Ladungen weder gebildet noch verbraucht werden k¨onnen.
Kationen=
Anionen (2.6)
Massenbilanz:
Wenn eine L¨osung einer bestimmten Konzentration hergestellt wird, gehen die Ingredienzien (”Rezept”) verschiedene Reaktionen ein. Sie dissozieren, sie bilden Komplexe . . . . In Summe m¨ussen die Bestandteile jedoch erhalten blei- ben.
Im Zuge der chemischen Berechnungen werden die Gleichungen der Tabelle 2.1 verwendet. Die Gleichugen sind nicht unabh¨angig und k¨onnen teilweise durch Linearkombinationen ineinander ¨uberf¨uhrt werden.
KAPITEL 2. POOLS UND BILANZEN 10
Tabelle 2.1: Protonenbilanz, Ladungsbilanz, Massenbilanz; aus Lehrbuch von Pankow (Pankow, 1991).
L¨osung Protonenbilanz Ladungsbilanz Massenbilanz Wasser [H+] = [OH−] [H+] = [OH−] [H+] = [OH−] S¨aure
HA [H+] = [A−]+[OH−] [H+] = [A−]+[OH−] AT = [HA] + [A−] NaASalz [H+] + [HA] =
[OH−]
[Na+] + [H+] = [OH−] + [A−]
AT = [HA] + [A−] [Na+] =AT
S¨aure
H2B [H+] = [OH−] + [HB−] + 2[B2−]
[H+] = [OH−] + [HB−] + 2[B2−]
BT = [H2B] + [HB−] + [B2−] S¨aure
NaHB [H+] + [H2B] = [OH−] + [B2−]
[Na+] + [H+] = [OH−] + [HB−] + 2[B2−]
BT = [H2B] + [HB−] + [B2−] [Na+] =BT NaSalz2B [H+] + [HA−] +
2[H2A] = [OH−]
[Na+] + [H+] = [OH−] + [HB−] + 2[B2−]
BT = [H2B] + [HB−] + [B2−] [Na+] = 2BT
Kapitel 3
Thermodynamik –
Gleichgewichtschemie
3.1 Grundlagen
3.1.1 Einheiten
1 mol = 6.023×1023 Teilchen – Avogadro Konstante Formelgewichtist das Gewicht eines Mols
1 mol Na: 22.99 g 1 mol Cl: 35.45 g 1 mol NaCl: 58.44 g
1. Konzentration[Masse/Volumen], [mg/L], [g/L]
2. Molarit¨at(mol/L = M): Anzahl Mol pro Liter
3. Normalit¨at ( ¨Aquivalente/L): Anzahl Ladungstr¨ager in der L¨osung, [molc/L]; fr¨uher auch [eq/L]
1 mol Ca2+ = 2 molc Ca2+
4. Molanteil:(dimensionslos)
Xi=ni jnj
Beispiel: 30 g Wasser + 0.1 mol NaCl (komplett aufgel¨ost)
• 1 molH2O = 18 g
• 30 g H2O = 1.667 mol
• 0.1 m NaCl dissoziiert in 0.1 mol Na+, 0.1 mol Cl−
•
XH2O= 1.667
1.667 + 0.1 + 0.1 = 0.893 XN a+=XCl− = 0.1
1.667 + 0.1 + 0.1 = 0.054 11
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 12
• Die L¨osung besteht zu 89.2% aus H2O und zu je 5.4% aus Na+ und Cl−.
3.1.2 Speziierung
Die chemische Speziierung ist das Set von Konzentrationen der chemischen In- haltsstoffe eines Systems. Die Speziierung kann thermodynamisch bestimmt wer- den: im Zustand des chemischen Gleichgewichts definiert die thermodynamische Energie der Inhaltsstoffe die Speziierung.
3.1.3 Haupts¨ atze
Thermodynamik umfasst alle physikalischen und chemischen Vorg¨ange, bei de- nen W¨armeentwicklung eine Rolle spielt.
Die Thermodynamik gibt Auskunft ¨uber den Zustand eines Systems, der eintritt, wenn wir Geduld beweisen und auf die Einstellung des chemischen Gleichgewichts warten k¨onnen. Sie enth¨alt keine Infomation ¨uber die kine- tische Rate, mit welcher der Gleichgewichtszustand angestrebt wird. Leider (Bewertung seitens des chemischen Aufwandes) sind B¨oden nie im Gleichge- wichtszustand, da sie als offene Systeme Senken oder Quellen von Energie darstellen1. Im Wasser laufen viele Reaktionen so schnell ab, dass der jeweils festgestellte Zustand als das chemische Gleichgewicht betrachtet werden kann.
”Geschlossene Systeme”: chemisches Gleichgewicht, ”offene Systeme”:steady - state.
Haupts¨atze der Thermodynamik:
1. Die Summe aus thermischer und mechanischer Energie ist einem geschlos- senen System konstant.
2. Im Zuge von in der Natur vorkommenden Prozesse nimmt die Summe der Entropien aller beteiligten K¨orper zu.
3. Es ist unm¨oglich, eine Substanz g¨anzlich ihrer Entropie zu berauben (d.h.
der absolute Nullpunkt ist unerreichbar.
4. inofficial ”Conservation Law in moral philosophy”: The sum of pain and pleasure in this world is always exactly zero (Benjamin Franklin).
Es w¨are zu w¨unschen, dass alle Zwischenprodukte von chemischen Reaktio- nen erfasst werden. Der aktuelle Forschungsstand ¨uber die Reaktionskinetik von Prozessen im Boden ist aber von diesem Ziel weit entfernt. Daher werden im Zuge der Gleichgewichtschemie die Endprodukte von chemischen Reaktionen behandelt.
G=
ni×μi (3.1)
G=H−T ×C (3.2)
1Nico van Breemen (1993) hat in einer Arbeit den Boden als lebendes System mit Selbst- regulation hingewiesen – Gaia-Hypothese; vgl. auch Tilman (1998).
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 13
Reaktionen verlaufen in Richtung einer Verringerung von G. G setzt sich zusammen aus der chemischen Energie einer Spezies, der chemischen Energie zufolge der Konzentration dieser Spezies, der chemischen Energie zufolge der Interaktionen von Spezies.
Das ”chemische Potentialμ” ist der freien EnergieG¨ahnlich und ist definiert als
μi = ∂G
∂n
T,p
. (3.3)
Es bedeuten in Gleichungen 3.1, 3.2 und 3.3:
G . . . Gibbs free energy, freie Energie des Systems [kJ mol−1] H . . . Enthalpie [kJ mol−1]
T . . . Temperatur [K]
μ. . . chemisches Potential; molare freie Energie S . . . Entropie [J mol−1 K−1]
n . . . Anzahl der Mole Beispiel:
Ein System enth¨alt B(OH)3, NaOH, H2O
H2O → H++OH− H+
[OH−] = K
B(OH)3+H2O → B(OH)−4 +H+ [B(OH)−4][H+]
[B(OH)3][H2O] = 10−9.24
Bemerkung: Die Konstante 10−9.24enth¨alt bereits H2O2.
Die freie Energie G ist die Summe der freien Energie der Spezies (Glei- chung 3.4):
G = nH2OμH2O+nH+μH++nOH−μOH−+ nN a+μN a++nCl−μCl−+
nB(OH)3μB(OH)3+nB(OH)−
4μB(OH)− 4
Daraus ergibt sich wieder Gleichung eq:gibbs1:
G=
ni×μi (3.4)
Beispiel: (Morel & Hering, 1993, thermochpt) erkl¨areξ
H2O → H++OH− dG
dξ
dG =
μi
∂ ni
∂ξ + ni
∂ μi
∂ξ dξ
0
Gibbs-Duhem , see (Morel & Hering, 1993, S. 51)
2Siehe ausf¨uhrliche Diskussion in Anorganische Chemie, Riedl (2004).
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 14
∂nH2O
∂ξ =−1 ∂nH+
∂ξ = +1 ∂nOH−
∂ξ = +1 (3.5)
∂G
∂ξ =
μi
∂ni
∂ξ = ∂
∂ξ
μi×ni
∂G
∂ξ =
μ0H2O×(−1) +μ0H+×(1) +μ0OH−×(1)
+RTlnXHXOH
XH2O
ΔG = ΔG0+RTlnQ
Das chemische Gleichgewicht ist beim minimalen Energielevel, d.i. ΔG= 0.
ΔG0 = −RTlnQ Q = Keq
oder Q = exp(−ΔG0 RT ) Keq = exp(−ΔG0
RT ) ΔG0 = −RTlnKeq
Das chemische Potential aus Gleichung 3.3 ist von der Konzentration, vom Druck und von der Temperatur abh¨angig und leitet sich von einem ”Standard- potentialμoi ”3 ab:
μi=μoi +RTlnai (3.6)
wobei ai =ni/nT.RTlnai ist die Konzentration der Spezies.
μN a+ = μ0N a++RTlnXN a+
XN a+ = nN a+
nT
Konventionen f¨urμi sind:
• Festk¨orper: ai aus Gleichung 3.6 gleich 1, daher μi =μoi, Merksatz: ”Es ist nur der Festk¨orper im Festk¨orper”
• L¨osungen: anstelle des Molbruches ai den Quotienten der Konzentratio- nen verwenden; dies entspricht der ¨ublichen Darstellung in der Literatur;
Voraussetzung ist Vorliegen einer verd¨unnten L¨osung
• F¨ur Wasser gilt in w¨assrigen L¨osungen (sic!)μWasserμoWasser
• F¨ur Gase ist der Molbruchni/nT gleich dem Quotienten der Partialdrucke pi/p, falls System unter Standarddruckμi=μoi +RTlnpi.
3. . . bei Standardbedingungen T = 25oC (i.e. 298.15 K) und p = 1 atm (i.e.105Pa); In angels¨achsischer Literatur oft ”STP” f¨urstandard temperature & pressure.
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 15
Bei jeder chemischen Reaktion wird Energie umgesetzt. Die Gleichgewichts- konstante f¨ur die Reaktion
aA+bB=cC+dD lautetKeq=acC×adD
aaA×abB (3.7) K . . . temperatur- und druckabh¨angige Gleichgewichtskonstante
Allgemein ausgedr¨uckt K≡
xj[xj]νj, wobeiν f¨ur Produkte der Reaktion positiv und f¨ur Edukte negativ ist. - Bei positivem ν wird Arbeit im System gespeichert, bei negativemν wird Arbeit verrichtet.
Die ”Gibbs free energy” pro reagierendem Mol in einer Reaktion ist die Differenz der freien Energie der Reaktionsprodukte und der Ausgangsstoffe der Reaktion.
ΔGr=GP rodukte−GEdukte (3.8)
Die Ver¨anderung der freien Energie ΔGr [kJ/mol] errechnet sich aus ΔGr= ΔG0r+RTln[C]c[D]d
[A]a[B]b (3.9)
mit ΔG0r . . . freie Energie der Reaktion (”standard Gibbs free energy”),R . . . Gaskonstante,T . . . absolute Temperatur.
Wenn jeder Reaktionsteilnehmer eine Konzentration von 1 hat, ist ΔGr = ΔG0r, wenn ΔGr > 0, verl¨auft die Reaktion nach links, wenn ΔGr < 0 nach rechts, wenn ΔGr= 0, herrscht chemisches Gleichgewicht.
Somit l¨asst sich Gleichung 3.9 bei chemischem Gleichgewicht reduzieren zu ΔG0r=−RTln[C]c[D]d
[A]a[B]b (3.10)
Das Produkt der Konzentrationen ist die MassengleichgewichtskonstanteK:
ΔG0r=−RTlnK (3.11)
Substituiert man nun die Gleichung 3.11 in die urspr¨ungliche Gleichung 3.9 zur¨uck, erh¨alt man
ΔGr= − RTlnK Gleichgewicht
+RTln[C]c[D]d [A]a[B]b
geg. L¨osung
(3.12)
In der Gleichung 3.12 steht im Prinzip eine Energiedifferenz zwischen dem Gleichgewichtszustand und der gegebenen Zusammensetzung der Wasserprobe.
Aus der Gleichung 3.11 kann man f¨ur eine gegebene Reaktionsgleichung aus den tabellierten Formationsenergien ΔG0f der Reaktionsteilnehmer die ΔG0rder Reaktion errechnen:
ΔG0r=
ΔG0f,produkt−
ΔG0f,reaktant (3.13)
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 16
Das chemische Gleichgewicht wird von derGibbs’schen Freien Energie”G”
[kJ] bestimmt. Eine chemische Reaktion ist m¨oglich, wenn sie zu einem niedri- geren G (im Vergleich zum Ausgangspunkt) f¨uhrt. - ¨Uber die Geschwindigkeit der Reaktion sagt G bzw. ΔG nichts aus.
Gleichung 3.8 formuliert mittels chemischer Potentiale lautet
ΔGr=cμC+dμD−aμA−bμB (3.14) Setzt man Gleichung 3.6 in Gleichung 3.14 ein, erh¨alt man
ΔGr=cμoC+cRTlnaC+dμoD+dRTlnaD−aμoA+aRTlnaA−bμoB+bRTlnaB
(3.15) Einiges Umformen bringt
ΔGr=cμoC+dμoD−aμoA−bμoB+RTln
acC×adD aaA×abB
(3.16) und dieses ist gleich
ΔGr= ΔGo+RTln
acC×adD aaA×abB
(3.17) Im Gleichgewichtszustand ist ΔGr= 0, daher gilt
−RTln
acC×adD aaA×abB
= ΔGo (3.18)
und weiter
(acC×adD
aaA×abB) = exp
−ΔGo RT
=Keq (3.19)
Beispiel:ReaktionCaCO3 Ca2++CO2−3 , die freien Energien sind f¨ur 25oC tabelliert:
ΔG0f [kJ/mol]
CaCO3 −1128.8
Ca2+ −553.6
CO32− −527.8
ΔG0r ΔG0f,Ca2++ ΔG0f,CO2−
3 −ΔG0f,CaCO3
ΔG0r 47.4
(3.20)
Mit Hilfe von Gleichung 3.11 kann mit diesem Ergebnis derK-Wert errechnet werden:
47.4 = −(8.314×10−3)×(298.15)×(2.3) logK (3.21)
= −5.701 logK
logK = 47.4/−5.701 =−8.31 (3.22)
Korrektur f¨ur andere Temperaturen . . . .
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 17
Die Van’t Hoff’sche Gleichung lautet dlnK
dT = ΔHr0
RT2 (3.23)
Die Reaktionsenthalpie ΔHr0ist negativ bei exothermen Reaktionen und po- sitiv bei endothermen Reaktionen. Die Formationsenthalpie ΔHf0ist tabelliert.
Die Berechnung f¨ur ΔHr0 erfolgt analog zum obigen Beispiel f¨ur ΔG0r. Da ΔHr0 nur minimal von der Temperatur abh¨angt, kann es als konstant erachtet werden.
Integration von Gleichung 3.23 ergibt f¨ur zwei Temperaturen logK1−logK2= −ΔHr0
2.303R 1
T1− 1 T2
(3.24) Beachte dass diese Gleichung eine Differenz ergibt.
Beispiel:F¨ur das obere Beispiel mit Kalziumkarbonat w¨urde sich ΔHr0=
−13 [kJ/mol] ergeben. Es sei zu ermitteln, wie gross derK-Wert f¨ur eine Tem- peratur von 10o C w¨are:
logK25−logK10=
13
−ΔHr0 2.303 R
8.314×10−3
1
T298.15 − 1 T283.15
=−0.12 (3.25)
F¨ur 25o C hatte sich ein log K von -8.31 ergeben, bei 10o C w¨are logK =
−8.31 + 0.12 =−8.19.
Bei einer exothermen Reaktion steigt die L¨oslichkeit mit sinkender Temperatur – endotherm / sinkt /sinkend.
Weiterf¨uhrende Literatur in Lehrb¨uchern der Bodenwasserchemie (Appelo
& Postma, 1993; Stumm & Morgan, 1996).
3.2 Formen des Massenwirkungsgesetzes
• Azidit¨atskonstante
HAc→H++Ac− Ka =[H+][Ac−]
[HAc] (3.26)
• Komplexierungskonstante
Hg2++ 3Cl−→HgCl−3 K= [HgCl3−]
[Hg2+][Cl−]3 (3.27)
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 18
• Gel¨oste Substanz im L¨osungsmittel
CO2,aq+H2O = H2CO3 KH2CO3 = [H2CO3]
[CO2,aq] (3.28)
oder
H2O → H++OH− KW =
H+ OH−
Ionenprodukt Wasser (3.29)
• Henry - Konstante f¨ur gel¨oste Gase
CO2,g = CO2,aq
KH = [CO2.aq] PCO2
(3.30)
• L¨osung der Festphase
CaCO3,s =Ca2++CO32−
Ks= [Ca2+][CO2−3 ] (3.31) Konventionen:
• Stabilit¨atskonstante, falls linke Seite der Reaktionsgleichung Feststoff
• Azidit¨atskonstante, fallsH+ auf rechter Seite der Reaktionsgleichung
• H¨aufig wird die Gleichgewichtskonstante als Logarithmus log K oder als negativer Logarithmus
pK =−logK angegeben.
F¨ur die Reaktion 3.14 gilt bei chemischem Gleichgewicht Gleichung 3.19. Ist das System nicht im Gleichgewicht, ist das IonenKonzentrationsProdukt (ion activity product IAP) nicht gleich Keq. Gebr¨auchlich ist die Verwendung des IAP bei der L¨osung von Feststoffen, wenn der Grad der Unters¨attigung bzw.
Ubers¨¨ attigung einer L¨osung beschrieben werden soll (vgl. Kapitel 10).
3.3 Reaktionskinetik
Lehrbuch (Morel & Hering, 1993, Ch 2 Sect 5.1.-5.6) Beispiele zum Thema:
• CH4sollte in der Gegenwart von O2brennen (oxidieren), aber die Reaktion ist so langsam, dass CH4angereichert wird.
• Fe2+ sollte komplett oxidieren, aber die Reaktion ist langsam.
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 19
• Diamant ist nur unter hohen Druck stabil, aber . . . CH4, Fe2+ und Diamant sind ”metastabil”.
Geschlossenes System:
2H++CO32− H2CO3
Schritt 1: H++CO32− k2,−k2 HCO−3 K2= [HCO3−] [H+][CO2−3 ] Schritt 2: HCO−3 +H+ k1,−k1 H2CO3∗ K1= [H2CO∗3]
[H+][HCO3−] Die Rate der Reaktionkh¨angt ab von
• der Formation der Reaktionsprodukte
• dem Verschwinden der Ausgangssubstanzen Die Raterder Reaktion ist
k= d[H2CO∗3] dt =−1
2 d[H+]
dt =−d[CO32−]
dt =k[CO2−3 ]x[H+]y (3.32) Bemerkung: Zur Bedeutung des ”∗” inH2CO∗3 siehe Kapitel 6.
• Die Reaktions-Ordnung f¨ur Karbonat istx
• Die Reaktions-Ordnung f¨ur H+ isty
• Die gesamte Reaktions-Ordnungx+y
Die Reaktionsordnung wird experimentell festgestellt.
• Reaktion erster OrdnungA→P, z.B. radioaktiver Zerfall.
• Reaktion zweiter OrdnungH++A−→HA; falls diese Reaktion in einer gepufferten L¨osung abl¨auft, ist es eine ’Pseudo-first-order-reaction’, da durch den Puffer [H+] konstant gehalten wird
d[H2CO∗3]
dt = −k−1[H2CO∗3] +k1[HCO−3][H+] mit [HCO−3] = 1
K1
[H2CO3] [H+] d[H2CO∗3]
dt = k−1[H2CO3] + k1
K1[H2CO3]
KAPITEL 3. THERMODYNAMIK – GLEICHGEWICHTSCHEMIE 20
3.4 Kombination von chemischen Gleichungen
Das Gleichungssystem
F e3++OH− = F eOH2+ KH1= 1011.8 F eOH2++OH− = F e(OH)+2 KH2= 1010.5
F e3++ 2OH−+F eOH2+ = F eOH2++F e(OH)+2 K=KH1×KH2= 1022.3 (3.33) kann umgedreht werden:
[F eOH2+]
[F e3+]×[OH−] = 1011.8 [F e3+]×[OH−]
[F eOH2+] = 10−11.8 und die folgende, genauso g¨ultige Version entsteht:
F e3++ 2OH− = F e(OH)+2 K= 1022.3
− (F e3++OH− = F eOH2) KH1= 1011.8 F eOH2++OH− = F e(OH)+2 KH2= 1010.5
(3.34) Das Gleichungssystem 3.34 ist gleichbedeutend mit Gleichungssystem 3.35:
F e3++ 2OH− = F e(OH)+2 K= 1022.3 F eOH2+ = F e3++OH− KH1= 10−11.8 F eOH2++OH− = F e(OH)+2 KH2= 1010.5
(3.35)
Kapitel 4
Tableau - Methode
4.1 Erstellung eines Tableaus
Bei der Einstellung des chemischen Gleichgewichts im Wasser werden die Ele- mente zu verschiedenen Spezies umgesetzt. Bei der Errechnung der Konzentra- tionen, der Speziierung, macht man sich als Randbedingungen zunutze, dass (1) die Masse der Elemente erhalten bleibt (”Prinzip der Massenerhaltung”) und dass (2) in einer Wasserprobe die positiven und negativen Ladungen ausgegli- chen sind (”Prinzip der Elektroneutralit¨at”; vgl. Kapitel 2.2).
Die chemische Zusammensetzung eines Systems nach Einstellung des chemi- schen Gleichgewichtes kann mit der Tableau-Methode (so benannt von ihrem gallischen Erfinder F.F. Morel (Morel & Hering, 1993)) gel¨ost werden. In Form einestableauswerden die in einem System vorkommenden ”Spezies” durch einen Satz von ”Komponenten” ausgedr¨uckt. Es ist dabei unerheblich, ob das ”Sy- stem” eine Salzl¨osung in einem Becherglas im Labor, das Wasser eines offenen Gerinnes oder das Wasser im Porensystem des Bodens ist.
Beispiel 1:
Rezept.Vorgegeben ist eine L¨osung der Zusammensetzung 1 LH2O1, 10 mgB(OH)3 (= 1.7×10−4 M), und 0.4 mg N aOH (= 10−5M). Die Bausteine N aOH und B(OH)3 gehen in L¨osung, Wasser dissoziiert. Es wird angenommen, dass N aOH vollst¨andig dissoziiert.
Im System laufen die folgendenReaktionenab:
H2O→H++OH− (4.1)
N aOH→N a++OH− (4.2)
11 LH2Oenth¨alt 55.4 M: Molgewicht von Wasser = 18, 1 L Wasser wiegt 1000 g, oder genau genommen bei 25 Grad Celsius nur 997 g. — 99718
Lg
molg =99718 g×g×molL = 55.4molL = 55.4M
21
KAPITEL 4. TABLEAU - METHODE 22
(H2O +) B(OH)3→B(OH)−4 +H+ (4.3) Demnach liegen nach Einstellung des chemischen Gleichgewichts in der L¨osung die Spezies H2O, H+, OH−, N a+, B(OH)3 und B(OH)−4 vor.
Massenbilanz.Als Buchhalter der Chemie kann man die involvierten Ele- mente als Verrechnungseinheit verwenden. F¨ur jedes kann eine Massenbilanz- gleichung aufgestellt werden, in der die Gesamtkonzentration jedes Elementes der Summe der Konzentrationen der chemischen Spezies, in der das Element vorkommt, gleichgesetzt wird.
T ot H = 2[H2O] + [OH−] + [H+] + 3[B(OH)3] + 4[B(OH)−4] =
= 2[H2O]T + [N aOH]T + 3[B(OH)3]T =
= 2×55.4 + 10−5+ 3×1.7×10−4≈110.8M (4.4)
T ot O = [H2O] + [OH−] + 3[B(OH)3] + 4[B(OH)−4 =
= [H2O]T + [N aOH]T + 3[B(OH)3]T =
= 55.4 + 10−5+ 3×1.7×10−4≈55.4M (4.5)
T ot B= [B(OH)3] + [B(OH)−4] = [B(OH)3]T = 1.7×10−4M (4.6)
T ot N a= [N a+] = [N a(OH)]T = 1×10−5M (4.7) Die Gleichungen 4.4, 4.5, 4.6, 4.7 dr¨ucken aus, dass die Summe der Kon- zentrationen jedes Elementes, das in Form verschiedener Spezies in der L¨osung vorliegt, gleich der Summe der Konzentrationen des jeweiligen Elements imRe- zeptdes Gesamtsystems ist.H+kommt 2 mal in Wasser und 3 mal in Bors¨aure vor, siehe Gleichung 4.4; f¨ur die anderen Elemente gilt eine entsprechende Vor- gangsweise. Damit ist die Verteilung des Elementes auf einige Spezies unter der Voraussetzung einer bestimmten Gesamt – Konzentration in der L¨osung be- stimmt. Andere (stark verd¨unnt vorliegende) Spezies in der L¨osung (Gleichun- gen 4.3) fallen f¨ur H+ wegen der hohen Konzentration von Wasserstoffatomen im Wasser nicht mehr ins Gewicht.
Erweiterung des Rezepts.Dem System wird nunO2(1×10−4 M) zuge- setzt. Der Sauerstoff reagiert nicht mit den anderen Spezies in der L¨osung und liegt als gel¨oster Sauerstoff (O2,aq) vor. Die Massenbilanzen f¨ur H, B und Na (Gleichungen 4.4, 4.6, 4.7) werden nicht ver¨andert. F¨urT ot O(Gleichung 4.5) muss eine Modifikation durchgef¨uhrt werden.
KAPITEL 4. TABLEAU - METHODE 23
T ot O = [H2O] + [OH−] + 3[B(OH)3] + 4[B(OH)−4] + 2[O2,aq] =
= 55.4 + 1×10−5+ 3×1.7×10−4+ 2×10−4M ≈
≈ 55.4M (4.8)
Obwohl nunmehr eine g¨ultige (d.i. formal nicht falsche) Sequenz von Massen- bilanzgleichungen vorliegt, wird das System nicht mehr vollst¨andig beschrieben.
Der Sauerstoff, der nicht mit dem Rest des Systems reagiert hat, muss konser- viert werden:
T ot O2= [O2.aq] = [O2]T = 10−4M (4.9) Letzteres kann leicht ¨ubersehen werden, da der Unterschied zwischen den beiden Sets an Gleichungen subtil ist: Mit Gleichung 4.8 wird ein System beschrieben, in demO2,aqreagieren ”k¨onnte”. Unsere Vorbedingungen aus dem
’modifizierten Rezept’ w¨are damit verletzt, da explizit festgestellt wurde, dass der Sauerstoff nicht reagiert. Nur durch Gleichung 4.9 wird sichergestellt, dass der Sauerstoff g¨anzlich und unver¨andert in L¨osung bleibt.
→ Eine einfache Massenbilanzierung der chemischen Elemente ist zwar intuitiv ausreichend. Das Beispiel der Konservierung von Sau- erstoff (oben) zeigt aber, daß mitunter einiges an fallspezifischen Uberlegungen (Vorinfo¨ etc.) notwendig sein kann, um das chemische System richtig beschreiben zu k¨onnen. F¨ur eine routinem¨assige Er- stellung von Massenbilanzen ist eine Methode erw¨unscht, bei der Fehler weitgehend vermieden werden bzw. bei der mit einem Mini- mum an Vorwissen eine richtige Massenbilanz erstellt werden kann.
• • ♥♥♥ • •
G¨unstiger ist es, anstelle von chemischen Elementen die tats¨achlichenchemi- schen Speziesals Verrechnungseinheit zu verwenden. Anstatt zu formulieren ”...
Wasser besteht aus 2 Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom ...”, wird (nach Aufsetzen der Denkm¨utze und der darauf folgenden chemischen Erkennt- nis) gesagt, ” . . . Wasser besteht aus einem Hydroxylion und einem Wasserstof- fion . . . ”:
Wasser = (H+)1(OH−)1 (4.10) Die Spezies aus Beispiel 1 werden nun in Form m¨oglichst weniger Kompo- nenten, mit welchen alle Spezies chemisch beschrieben werden k¨onnen, formu- liert. Es kann als ein System aus denKomponentenH+, OH−, N a+, B(OH)3, durch die alleSpeziesdes Systems ausgedr¨uckt werden, verstanden werden.
Spezies . . . zusammengesetzt aus den Komponenten . . . H2O = (H+)(OH−)
KAPITEL 4. TABLEAU - METHODE 24
H+ = (H+) OH− = (OH−)
N a+ = (N a+) B(OH)3 = (B(OH)3) B(OH)−4 = (B(OH)3)(OH−)
Die Massenbilanzgleichungen werden aufgestellt, indem zusammengez¨ahlt wird (”chemische Buchhaltung”), als welche Spezies die Komponenten in der Liste vorkommen.
T ot [H] = [H+] + [H2O]
T ot [OH] = [H2O] + [OH−] + [B(OH)−4] T ot [N a] = [N a+]
T ot [B(OH)3] = [B(OH)3] + [B(OH)−4] (4.11) Mit dieser Notation wird eintableau(Tabelle 4.1) erstellt. Die Information, die in Gleichung 4.11 enthalten ist, ist im Tableau 4.1 in ¨ubersichtlicher und f¨ur Computer verdaulicher Form zusammengefasst.
Tabelle 4.1: Tableau f¨ur Beispiel Bors¨aure und Natronlauge Komponenten
H+ OH− N a+ B(OH)3
Species H2O 1 1 0 0
H+ 1 0 0 0
OH− 0 1 0 0
N a+ 0 0 1 0
B(OH)3 0 0 0 1
B(OH)−4 0 1 0 1
Rezept [H2O]T 1 1 0 0
[N aOH]T 0 1 1 0
[B(OH)3]T 0 0 0 1
Begriffsbestimmungen:
Tableau: Das Tableau ist eine Matrix st¨ochiometrischer Koeffizienten, in wel- cher die Komponenten als Spalten dargestellt sind. Die Zeilen stellen im oberen Teil des tableaus die Spezies, im unteren Teil das Rezept dar. Die st¨ochiometrische Formel der Spezies, formuliert als die Komponenten, ist zeilenweise angef¨uhrt, die Koeffizienten der Massenbilanzgleichungen sind spaltenweise angegeben.
Komponenten: Komponenten sind chemische ”Ganzheiten”, die eine vollst¨andige st¨ochiometrische Beschreibung des Systems erm¨oglichen. Ma- thematisch formuliert handelt es sich um ”unabh¨angige Variable der Mas- senbilanzleichung”. Die Anzahl der Komponenten ist ’die Anzahl der Spe- zies’ minus ’die Anzahl der unabh¨angigen Reaktionen’.
KAPITEL 4. TABLEAU - METHODE 25
Tabelle 4.2: Ein anderes g¨ultiges Tableau f¨ur das Beispiel ”Bors¨aure und Na- tronlauge”; inhaltlich gleich wie Tableau 4.1.
Komponenten
H+ OH− N a+ B(OH)4
Species H2O 1 1 0 0
H+ 1 0 0 0
OH− 0 1 0 0
N a+ 0 0 1 0
B(OH)3 0 -1 0 1
B(OH)−4 0 0 0 1
Rezept [H2O]T 1 1 0 0
[N aOH]T 0 1 1 0
[B(OH)3]T 0 -1 0 1
Spezies: sind die chemischen ”Teilchen” (Molek¨ule, Ionen), die im chemischen Systems, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken, vorkommen.
• • ♥♥♥ • •
Ein chemisches System kann in mehrfacher Form g¨ultig beschrieben werden.
Durch das Rezept des Systems sind die Massenbilanzen und die vorkommenden Spezies festgelegt. Es ist aber noch offen, mit welchen Komponenten wir das System am besten beschreiben. W¨ahrend wir in Tableau 4.1 die Spezies aus dem Gleichungs-System 4.11 mit den KomponentenH+,OH−,N a+ undB(OH)3 beschrieben haben, entscheiden wir uns in Tableau 4.2 anstelle vonB(OH)3f¨ur B(OH)−4 als Komponente. Beachte, dass die Bors¨aure nun beschrieben wird als B(OH)3= (B(OH)−4)1(OH−)−1 (4.12) Regeln f¨ur die Auswahl von Komponenten
• Die Massenbilanzen der Komponenten m¨ussen alle Teile des Systems bein- halten (. . . );
• Alle Spezies in der L¨osung m¨ussen durch die Komponenten eindeutig und unique beschreibbar sein;
• Keine Komponente soll aus den anderen Komponenten formelm¨assig ab- leitbar sein;
• Komponenten m¨ussen nicht Spezies oder real vorkommende Molek¨ule sein;
es ist allerdings schlau, Spezies als Komponenten zu w¨ahlen;
• Wasser H2O sollte immer als Komponente gew¨ahlt werden. Da aus der Mol-Bilanz-Gleichung und aus der entsprechenden Spalte im Tableau keine n¨utzliche Information gewonnen wird, wird Wasser in den den Tableaus (etwa Tableau in Tabelle 4.1) als Komponente subsummiert, aber nicht angeschrieben;
• H+ sollte immer als Komponente gew¨ahlt werden, da die H+ - Spalte explizit erw¨unschte Informationen bietet;