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Held der Hausär zt e

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it wem in der Antike fühlt sich der Hausarzt seelenverwandt? Mit Asklepios? Mit Hygieia?

Oder doch eher mit Sisyphos, dem Vater des Odys- seus und dem Sohn von Windgott Aeolos? Er hatte dem Flussgott Asopos verraten, dass Zeus dessen Tochter ent-/verführt hatte, worauf ihm der Götter- vater zur Strafe Thanatos vorbeischickte. Aber der

«verschlagenste aller Menschen» machte den Todes- gott betrunken und legte ihn in Fesseln. Niemand starb mehr. Es brauchte die Intervention des Kriegs- gottes Ares, um den Todesgott zu befreien und den dreisten Sisyphos in die Unterwelt zu befördern.

Aber der schaffte es durch eine List, zu den Leben- den zurückzukehren. Dort spottete er über den Gott der Unterwelt, bis dieser ihn erneut holte und ihm die Strafe auferlegte, einen Felsblock einen steilen Hang hinaufzurollen. Sisyphos gab sich redlich Mühe, aber laut Homer gelang es ihm nie: «Von Neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stiess ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiss ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.» Homer lobt diese Ausdauer, diese Hartnäckigkeit nicht. Er schreibt auch nicht, ob sich Sisyphos je gefreut oder ausgeruht hat. Ganz so alt- griechisch geht es in Hausarztpraxen vermutlich nicht zu. Aber der Job ist ähnlich. Täglich versuchen wir, Blöcke aus dem Weg zu räumen: Abhängig- keitserkrankungen, Depressionen, Fehlernährung, Malignome, Malcompliance … Und immer, wenn man den Gipfel des Berges fast erreicht hat, dann rollt der Block zurück und begräbt einen selbst fast noch unter sich. Aber man startet von Neuem. Ver- sucht, Berge zu versetzen, den Tod zu überlisten oder ihn zumindest für eine Weile in Fesseln zu legen.

Kurz – man leistet täglich Sisyphosarbeit. Aber an- ders als der König von Ephyros hat man diese Arbeit gewählt und nicht als Strafe von unberechenbaren Göttern aufgebrummt bekommen. Wenn man äch- zend den Block bewegt, langsam den Gipfel er- klimmt, hofft man auf Erfolg und freut sich über

kleine Fortschritte. Es mögen nur kleine Freuden sein, doch sie freuen einen trotzdem: Der Alkoholi- ker hat es geschafft, zwei Monate lang trocken zu bleiben. Die junge Migrantin scheint die Technik der Empfängnisverhütung nun doch zu beherrschen.

Der 40-Jährige mit COPD überlegt ernsthaft, mit Rauchen aufzuhören. Dass die 60-jährige Diabetike- rin tatsächlich vier Kilo abgenommen hat, wird nicht nur von ihr behauptet, sondern auch von der Waage gezeigt. Der am Dienstag eröffnete Abszess des jungen Gärtners ist am nächsten Montag schon fast verheilt. Der Blutdruck des alten Treuhänders sinkt endlich auf Normwerte – nachdem die siebte Kombi- nation von Antihypertonika ausprobiert wurde.

Man freut sich, sitzt abends noch lächelnd über den Krankengeschichten, versorgt sie guten Mutes. Und am nächsten Morgen steht die Migrantin am Tresen und fragt, ob wir Schwangerschaftstests machen.

Sehen wir den COPD-Kranken vor der Eingangstüre noch schnell die Zigarette austreten. Hängt der Al- koholiker schräg im Fauteuil im Wartezimmer, mit Foetor aethylicus und roten Augen. Stopft die Diabe- tikerin vor der Blutentnahme noch verschämt das angebissene Rosinenweggli in ihre Handtasche. Für Albert Camus ist es absurd, dass Menschen danach streben, dauerhaftes Glück zu erreichen, obwohl sie wissen, dass es unmöglich ist. Versöhnlicher sieht es Friedrich Dürrenmatt: »Ich schreibe, um das Ab- surde dieser Welt wissend, aber nicht verzweifelnd, denn wenn wir auch wenig Chancen haben, sie zu retten – es sei denn, Gott sei uns gnädig – bestehen können wir sie immer noch.» Darum ist der Konol- finger mein Hauspoet. Darum ziehe ich vergnügt den weissen Schurz an, parat zum Steinerollen. Und sehe die Telefonnotiz meiner MPA: «Herr G. kommt nicht mehr zur Nachkontrolle. Abszess ist perfekt ver- heilt.»

arsenicum

Held der Hausär zt e

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550

ARS MEDICI 14 2010

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