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Der Fün f- vo r- zwölf -P atient

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Meistens kommt er fünf vor zwölf und wirkt harmlos.

Ich bin dann nicht harmlos, denn ich habe Hunger und bin müde. Trotzdem ist man ja ein Vollprofi und gibt sich Mühe wie immer. Macht eine korrekte Anamnese, untersucht sorgfältig. Nur bei Frau Ober- grainer habe ich mal ein Auge zugedrückt, denn wegen meines eigenen knurrenden Magens wollte ich nicht noch einmal all das über ihr Kolon irrita- bile und ihre Hämorrhoiden hören, was sie mir seit 17 Jahren mindestens einmal pro Woche erzählt. Sie listete mir genau auf, was sie alles in den letzten Wochen gegessen hatte und was ihr davon vermut- lich nicht wohlgetan habe. Ich hatte bereits das Stethoskop in die Ohren gestopft, was ihre Logorrhö zumindest dezibelmässig dämpfte. Ihr Abdomen rumorte weniger als meines. Die Palpation war unauffällig, ein bisschen stöhnte sie, aber das tut sie immer. Mit freundlichen Worten beruhigte und verabschiedete ich sie. Heute ausnahmsweise mal ohne Rektaluntersuchung, denn ich wollte vor dem Mittagessen nicht noch die mir bekannten Marisken bei fünf und sieben Uhr betrachten. Der Austritts- brief aus unserem örtlichen Spital machte mir dann Magengrimmen: anämisierende Meläna bei Blutung im Kolon transversum. Nie wieder, schwor ich mir, nie wieder lasse ich eine Untersuchung aus, nur weil es zwölf schlägt. Ausgenommen die Lungenperkus- sion, diesem Relikt des vorletzten Jahrhunderts. Die dient nur dem Patienten als Psychotherapie, damit er meint, sein Arzt habe ihn gründlich untersucht.

Leider bestehen meine alten Patienten darauf. Auch Frau Hugendubler. Sie ist eine Stammkundin, hat eine Menge ernst zu nehmender Diagnosen, die jedoch symptomlos bleiben, aber noch mehr Befind- lichkeitsstörungen ohne objektives Korrelat, die ihr und mir das Leben schwer machen. «Ich kann nicht atmen!», trällerte sie wie so oft, «Ich bekomme kein bisschen Luft!» Man merkte nichts davon, als sie ins

Sprechzimmer eilte und mich mit einer Suada über- schüttete. Nein, eine Orthopnoe hatte sie nicht und auch keinen Husten, und die Atemfrequenz war wie immer 18. Ich hörte sie ab, aber mehr schon horchte ich auf das Gekicher meiner MPAs, die draussen zu- sammenpackten. «Und das Böpperle?», rief sie empört mit starker Stimme, als ich ihre Bluse wieder in ihren Rockbund stopfen wollte. Ich böpperlete. Und bildete mir eine Dämpfung ein. Ich perkutierte stärker, in der Hoffnung, die Dämpfung wegzuklopfen. Sie blieb.

«Sollten wir nicht röntgen?», fragte Frau Hugen- dubler. Warum ich darauf eingegangen bin, weiss ich nicht. Wahrscheinlich, weil ich fünf nach zwölf keine Lust mehr auf Grundsatzdiskussionen hatte.

Im Thorax p.a. sah man dann den Pleuraerguss, bei St. n. Mammakarzinom, der bis zur Kuppel reichte.

«Bittä, Spritzä!» bettelte mich tags drauf Herr Midovic mit der Lumbalgie an. Ja, ich weiss – man spritzt in diesen Fällen nicht mehr i.m. sondern behandelt oral. Nur dass Herr Midovic aus einer Gegend stammt, wo immer gespritzt wurde und nur das hilft. Gerade setzte ich zur tiefglutäalen Injektion an, da schaute meine MPA ins Zimmer, um mir zu sagen, dass es drei vor zwölf sei. Und rief: «Aber der ist doch antikoaguliert!» War er in der Tat. Mit einem Quick von 8 Prozent. Es ist gut, MPA zu haben, die fünf vor zwölf für einen denken. «Was kann ich dagegen machen?», fragte ich sie. «Weniger Leute einschreiben!», antwortete sie prompt. «Morgens mehr essen und eine kleine Znünipause einschalten!», schlug der dicke Schnupperlehrling vor. «Nichts, du wirst halt alt», schnaubte meine Frau. «Mich nur weit vorher oder um 13.30 einschreiben!», forderte mein Ökonomen-Freund.

Nur mein Vorgänger, diese Grundversorger-Legende, tröstete mich. «Dann bist du aber noch gut! Ich hatte in deinem Alter morgens die zwei nach acht Patien- ten, mittags die fünf vor zwölf Patienten und abends die fünf vor sechs Patienten, bei denen ich falsche Entscheide fällte. Und alle zwei nach zwei Patienten haben sich immer beschwert, dass mir die Augen zufielen.»

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ARS MEDICI 9 2007

arsenicum

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