• Keine Ergebnisse gefunden

Das Protestpotenzial des Christentums

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Das Protestpotenzial des Christentums"

Copied!
27
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Das Protestpotenzial des Christentums

Aufmüpfige Religion? Protestantismus und Protest

(Protestantisches Bildungszentrum Butenschoenhaus, 26./27. Juni 2015) Dr. Markus Sasse

Dr. Markus Sasse, Fachberater Ev. Religion an Gymnasien, IGS, Freie Waldorfschulen und Kollegs (Bezirk Pfalz), 2015.

http://rfb.bildung-rp.de/evangelische-religion.html/ mail an markus.sasse@beratung.bildung-rp.de

(2)

Inhalt

• Reformation als Protestbewegung

• Christianisierung und Protest

• Das frühe Christentum als Protestbewegung

• Die Jesusbewegung als Protestbewegung

• Auswertung und hermeneutischer Ausblick

(3)

Reformation als Protestbewegung

Lutherdenkmal vor der Stiftskirche in Landau

(4)

Luthers Protest gegen eine kirchliche Praxis

Luther sieht sich in seiner Kritik als treuer Diener seiner Kirche.

Die politischen Ereignisse machen aus einer innerkirchlichen Diskussion eine öffentliche Bewegung.

Der Grund für die Entwicklung von der Kritik zum Protest ist die Verweigerung der Diskussion.

Der Protest richtet sich gegen die Verweigerung der Diskussion.

Der Protest mündet in eine Neuordnung von kirchlicher und weltlicher Macht.

Luthers Predigtkanzel aus der Stadtkirche in Wittenberg, heute im Lutherhaus

(5)

Reformation als Systemwiederherstellung

Die Schrift als Urkunde des Urchristentums ist der Maßstab des Protests.

Die Erinnerung an die Ursprungssituation gibt die zentralen inhaltlichen Impulse für den

Protest und für die Umgestaltung der Kirche.

Luther identifiziert sich mit Paulus: „Von wem lasse ich mich beherrschen?“

Lutherstube, Wartburg

(6)

Christianisierung und Protest

San Vitale, Ravenna / Konstantin, Museo Capitolini Rom / Santa Constanza, Rom / San Paolo, Rom

(7)

Christianisierung

Bei der Christianisierung ging es nicht um die Institutionalisierung einer

Protestbewegung, sondern um den staatlich geförderten Übertritt in eine exklusive Kultgemeinschaft.

Bei der Herausbildung von Dogmen (Christologie und Trinität) ging es um kultische Bedürfnisse und nicht um inhaltliche Fragen. Kultische Fragen sind Machtfragen

San Clemente in Rom

(8)

Protest

Die ersten Mönche (3. Jh) knüpfen an die Lebensweise Jesu an, zählen aber auch alttestamentliche Gestalten wie Abraham und Elia sowie Wanderapostel wie Paulus zu ihren Vorbildern.

Sie protestieren gegen die Oberflächlichkeit der staatlichen

Christianisierung und nehmen als radikale Bekenner die Rolle der Märtyrer ein (geistliche Elite).

Das frühe Mönchtum ist eine Massenbewegung von jungen Menschen.

Es kommt zu einer Wiederbelebung der frühchristlichen Apokalyptik.

Versuchungskloster bei Jericho

(9)

Das frühe Christentum als Protestbewegung

Frühchristlicher Sarkophag, Durchzug durchs Rote Meer, Musei Capitolini Rom

(10)

Paulus

Für Paulus ist das „Christentum“ der Weg und das Mittel gegen die Macht der Sünde.

Gesellschaftliche Verhältnisse sind nicht im Blick

oder haben angesichts der vergehenden Welt nur eine geringe Relevanz (Doppelte Staatsbürgerschaft).

Der Kosmos ist die Gemeinde als Abbildung des Gottesverhältnisses (kontrafaktische Parallelwelt).

Die Gemeinde ist der verborgene Ort einer egalitären Lebensweise.

Paulus von Lovis Corinth, Kunsthalle Mannheim

(11)

Transethnie

Die stufenweise Auflösung der frühjüdischen Lebensweise ist kein Ausdruck von Protest.

Spätere heilsgeschichtliche Interpretationen sind Reaktionen auf faktisch vollzogene bzw.

irreversible Trennungsprozesse.

Die johanneische Gemeinde formuliert Protest gegen die Trennung.

Es fehlen Identity Markers.

Je stärker sich das Christentum verbreitet, desto mehr wird es zu einer Randgruppe.

Jüdische Steingefäße, Israelmuseum

(12)

Verfolgung

Die frühen Christen protestieren nicht gegen das Imperium.

Befremdlich ist die Einheit von Religion und Ethik (vgl. Plinius an Trajan).

Verfolgt werden sie wegen Kultverweigerung, die man als Ausdruck von Illoyalität interpretiert.

Das öffentliche Leiden wird als Protest wahrgenommen.

Bekennen heißt Dazugehören!

Teller mit Märtyrerin zwischen zwei Löwen, Nordafrika 4. Jh, Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz)

(13)

Die Jesusbewegung als Protestbewegung

Blick vom Berg Arbel auf die Ginnosarebene

(14)

Frühjüdische Voraussetzungen (1)

Die Tora ist die schriftliche Fixierung einer normativen Lebensweise (Verfassung des Staates Juda)

Geschichte – Kult – Recht – Ethik

Heimat: Recht und Kult

Diaspora: Ethik

Prophetie und Apokalyptik als Protestbewegungen

San Clemente in Rom

(15)

Frühjüdische Voraussetzungen (2)

Der Makkabäerkrieg (167-141 v.Chr.) war ein priesterlicher Bürgerkrieg um die Einheit von Lebensweise und Kult.

Märtyrertheologie (Auferstehungshoffnung) und Apokalyptik

Dadurch dass Menschen für die Bewahrung ihrer Lebensweise gestorben sind, kommt es zur Aufwertung der frühjüdischen Normen.

Jüdisches Ritualbad vor den Tempelaufgängen / Steingefäße, Israelmuseum

(16)

Pharisäer und Sadduzäer

Einheit von Religion und Ethik

Übertragung von Kultkriterien auf die Ethik (Reinheit)

Gesellschaft als Kultgemeinschaft mit erkennbarer Lebensweise (ethische Toraobservanz)

Einheit von Kult und Nation

Offenheit für hellenistische

Lebensformen (außerhalb des Kultes)

Volk/Nation als Kultgemeinschaft (kultische Toraobservanz)

Unterschiedliche soziale Kontrolle

(17)

Pharisäer und Sadduzäer

Individualität und „freier Wille“

Lineares Zeitverständnis (Gericht)

Auferstehung

Schicksalsgläubigkeit

Zirkuläres Zeitverständnis (Kult)

Keine Auferstehung Jerusalem:

unterschiedliche Modelle der Gottesherrschaft

Ossuarium, Israelmuseum / Inschrift (Schofar), Davidson Center, Jerusalem

(18)

Sozialer und politischer Kontext

Galiläa ist erst seit 104/103 v.Chr. mehrheitlich

jüdisch durch Zwangsjudaisierung und Besiedelung aus Judäa.

Unter Herodes (37-4 v.Chr.) wird Galiläa vernachlässigt.

Enormer wirtschaftlicher Aufschwung unter Herodes Antipas (4 v.-39 n.Chr.): politische und wirtschaftliche Eliten vor Ort (Sepphoris, Tiberias)

Religiöse Ausrichtung auf Jerusalem (unter römischer Kontrolle)

Ginnosarebene / Wohneinheit in Kapernaum

(19)

Die Krise der Krisendeutung

Bornkamm: Krise der jüdischen Religion

Theißen: Krise der jüdischen Gesellschaft

Jesus war kein Prophet in schwerer Zeit.

Das Bedürfnis nach Erneuerung und Umkehr (Johannes der Täufer) bildet den Anfang seines Ausstiegs aus den familiären Bindungen.

(20)

Jesus: ohne Worte!

Ein Lehrer und 12 Schüler

Gebiet der verlorenen 10 Stämme

Trennung von sozialen Bindungen

Öffentlichkeit: Anhänger und Gegner; Frauen

Symbolhandlungen: Speisungen, Einzug in Jerusalem, Tempelreinigung

Grenzüberschreitungen (geographisch und kultisch): Heilungen, Mahlgemeinschaft

Brotvermehrungskirche, Tabgha

(21)

Asozialität / Devianz

Als heimatloser Aussteiger verkörpert Jesus seine Botschaft und repräsentiert die Herrschaft Gottes.

Wurde Jesus wegen der Randgruppen zu einem Aussteiger? Oder ist der Ausstieg Ausdruck seines Gottesbildes? (Schekina, Menschensohn)

Der Inhalt der Botschaft ist nicht unabhängig von der Art seiner Verkörperung.

Jesus ist die Botschaft. Die besonders intensive Erfahrung der Einheit von Person und Botschaft ist der Ansatzpunkt für die Übertragung von

Gottesaussagen und Inkarnationstheologien.

(22)

Expliziter Protest gegen Deutungsmonopole

Exorzismen und Mahlfeiern als Protest gegen die Ausgrenzung von Randgruppen.

Programmatisches Fehlen von Berührungsängsten.

In diesem Sinne ist Jesus ein Sozialrevolutionär. Es geht um eine gerechte Gesellschaft aus der Sicht Gottes (Gotteskindschaft).

Jesus wird von seinen Gegnern zum Staatsfeind gemacht, damit sie nicht anerkennen müssen, dass sich Jesu Protest auf ein offensichtliches Problem bezieht.

(23)

Impliziter Protest gegen eine gottlose Globalisierung

Machtdelegation

Entsakralisierung von weltlicher Macht

Jesus bietet Ansätze zu einem Ausgleich von machtpolitischen und göttlichen Interessen. Dies führt zur Entpolitisierung der Christologie.

Der zentrale Streitpunkt ist das Verhältnis von Religion und Ethik: Von wem stammen die Lebensregeln? Wird die herrschende Elite ihrer

heilspädagogischen Rolle (Erwählung) gerecht?

Steingefäße und lokale Keramik, Israelmuseum

(24)

Auswertung und hermeneutischer Ausblick

(25)

Erinnerung und Protest

Das Christentum bezieht sein Protestpotenzial aus der Erinnerung.

Jesu Protest richtet sich gegen nachrangige Klassifizierungen von Menschen und die daraus entstehenden Folgen.

Die Herrschaft Gottes kennt keine Differenzierungen: Dabei Sein ist alles!

Judentum und Christentum haben ein grundsätzlich misstrauisches Verhältnis zu menschlichen Machtansprüchen.

(26)

Kompetenz und Potenzial

Die Protestkompetenz des Christentum besteht darin, über den Weg der Erinnerung das Protestpotenzial aktivieren zu können – aber auch, es nicht aktivieren zu müssen.

Erinnerung ist nur über den Weg der Auslegung möglich. Das Konstruieren von historischer Plausibilität ist ein notwendiger Schritt vor der Anwendung (Protest).

Der Protest ist für die Botschaft da – nicht umgekehrt.

(27)

Zur Weiterarbeit …

Walter Dietrich / Moises Mayordomo: Widerstand / Martyrium, in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 649-652.

Martin Ebner: Face to face-Widerstand im Sinn der Gottesherrschaft. Jesu Wahrnehmung seines sozialen Umfeldes im Spiegel seiner Beispielgeschichten, in: EC 1 (2010), 406-440.

Johanna Erzberger / Carsten Jochum-Bortfeld: Soziale Bewegungen, in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 530-533.

Friedrich Wilhelm Graf / Klaus Wiegandt (Hrg.): Die Anfänge des Christentums, Frankfurt/Main 2009.

Dale B. Martin: Jesus in Jerusalem. Armed and Not Dangerous, in: JStNT 37 (2014), 3-24.

Karl-Heinrich Ostmeyer: Armenhaus und Räuberhöhle? Galiläa zur Zeit Jesu, in: ZNW 96 (2005), 147-170.

Marius Reiser: Der unbequeme Jesus (BThSt 122), Neukirchen-Vluyn22012.

Markus Sasse: Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels. Historische Ereignisse, Archäologie, Sozialgeschichte, Religions- und Geistesgeschichte, Neukirchen-Vluyn 2004 / 22009.

Markus Sasse: „Die Welt ist nicht genug!“ – die frühen Christen als Weltbürger?, in: Brennpunkt Gemeinde 3/2014, 102-105.

Stefan Schreiber: Der politische Jesus. Die Jesusbewegung zwischen Gottesherrschaft und Imperium Romanum, in: MThZ 64 (2013), 174-194.

Ekkehard W. Stegemann: Jesu Stellung im Judentum seiner Zeit, in: Wolfgang Stegemann /Bruce J. Malina / Gerd Theißen (Hrg.): Jesus in neuen Kontexten, Stuttgart, Berlin, Köln 2002, 237-245.

Gerd Theißen: Jesus und die symbolpolitischen Konflikte seiner Zeit. Sozialgeschichtliche Aspekte der Jesusforschung (1997), in: Ders.: Jesus als historische Gestalt. Beiträge zur Jesusforschung (FRLANT 202), Göttingen 2003, 169-193.

http://whgonline.de/pages/projekte/religion/historischer-jesus.php(Themenseite „Historischer Jesus“ mit ausführlichen Literaturverzeichnissen und Linktipps)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Nicht behandelt wird des Weiteren in der Tiefe das Genre der Protestmusik – angefangen von Singer-Songwritern über Folk- und Bluesgruppen bis zu zornigen Rock- bands, die

Kurz vor der Abstimmung hatte er sogar eine ganzseitige persönliche Anzei- ge in der britischen Tageszeitung Daily Mail schalten lassen: „Sie entschei- den, aber ich möchte Sie

Der Bund Naturschutz und das Bündnis für eine gentechnikfreie Metropolre- gion rufen gemeinsam mit weiteren von 30 Verbänden und Organisation aus Umwelt- und Tierschützern,

„Jugend musiziert“ teilgenommen und in jedem Jahr ist er mit einem ersten Preis nach Hause gegangen. Auch beim Bad Sodener Mendelssohn-Wett- bewerb war er vier Mal

‚Armutsästhetik.‘ das Label präsentiert seine Kleider wie (Kunst-)Objekte und nicht wie Waren, sie sind Teil eines Gesamtkonzepts, dass sich auch in der Architektur

Begleitet wird das ganze durch eine Diskussion über „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete: für die Guten Integration, für die Schlechten Haft und Abschiebung!. Genau hier

Sprecher des BFAV warnten davor, dass die flächendeckende haus- und fachärztliche Ver- sorgung, gerade für Menschen in ländlichen Regionen, extrem gefährdet sei.. Die aktuelle

Handelt es sich bei diesen Grundrechten doch grundlegend um ‚Menschenrechte‘, die im natürlichen Recht wurzeln, vom positiven recht nicht (wie Grundrechte bisherigen Stils)