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BEMERKUNGEN ZU VAISE§IKA-SUTRA 6.1.1-3 (Resümee)
Von Albrecht Wezler
Vorgetragen wurden erste Ergebnisse einer umfangreicheren, noch nicht
abgeschlossenen Arbeit, die unter dem Titel „Textkritische und exege¬
tische Untersuchungen ziun Vaisesikasütra. 1. Der 6. Adhyäya" in nicht
allzu femer Zukunft, voraussichtlich in den „Alt- und Neu-Indischen Stu¬
dien", publiziert werden soll.
Diese Ergebnisse betreffen die sütras 6.1.1-3, deren ursprünglicher
Wortlaut sich wie folgt wiedergewinnen läßt:
buddhipürvä väkyakrtir vede //l
TWL cäsmadhuddhibhyo lingam r^eh //2, sowie
brähmanmamjnäkarma siddhilingam //3.
Exegetisch gilt es, den Schleier zu durchstoßen, den die Kommentatoren insofern über diese Textaussagen gelegt haben, als sie den offensichtlich erst später vom Valäe^ika adaptierten isvaraväda in diese sütras hineinpro- jizierten. Aus dem Wortlaut selbst ergibt sich nämlich unmißverständlich,
daß hier eine ältere, d.h. noch nicht theistisch umgestaltete, insgesamt
bemerkenswert altertümliche Form der Sprachentstehungstheorie des Vai¬
sesika bezeugt ist, in der mit Gründen dargelegt wird, daß die Sprache,
d.h. für den Verfasser natürlich: das Sanskrit, vrie sie/es zuerst im Veda
belegt ist, von den (vedischen) R^is geschaffen wurde, nachdem sie die ein¬
zelnen zu benennenden Gegenstände aufgmnd ihres besonderen, dem
unseren überlegenen Erkenntnisvermögens sinnlich wahrgenommen hat¬
ten.
Die bei Prasastapäda etc. bezeugte Sprachenentstehungstheorie läßt
sich damit als sekundäre theistische Umformung einer Lehre erweisen, die
in ihrer ursprünglichen, stark vedisch geprägten Gestalt im VS selbst noch
greifbar ist.
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ZUM VERHÄLTNIS SRI - BRAHMAN IM PA5JCARATRA
(Resümee)
Von Irmtraud Höhn, Göttingen
Der Text „Öribrahmatvavyudäsah", „die Widerlegung (der Lehre), die
Öri sei mit dem Brahman identisch", ist die rezente Schrift eines Päncarä-
trin, der vornehmlich im Visi§tädvaita und Nyäya bewandert ist. Er nimmt
ein offenbar wiederkehrendes Dilemma indischen Philosophierens mit eini¬
ger Schärfe auf
Das Dilemma besteht darin, daß die indisch-hinduistische Geistesge¬
schiehte in konstituierender Weise bestimmt ist durch die Lehre von der
Identität des Atman mit dem Brahman, daß also ein grammatikalisches
Neutrum und ein grammatikalisches Masculinum als weseneins erklärt
werden. Dieser bewußtseinslogische Widerspruch blieb lange Zeit
unbeachtet. Auch als der Theismus sich Bahn brach, wurde der nun perso¬
nal-gestalthaft aufgefaßte Atman als Isvara nach uns bisher bekannten
Zeugnissen niemals in seiner Männlichkeit zum Problem. Als jedoch die
Päncarätra-Sarphitäs in Verbindung mit Saktistischen Lehren die Sri als
wesensgleich mit dem Paramätman und dem Brahman definieren, wird der
Konflikt offenbar. Ihre weibliche Seinsweise (stritva) konnte in diffuser
oder eindeutiger Weise als mit der Seinsweise des Brahman/Ätman unver¬
einbar empfunden werden, und je entsprechend verfochten die Denker
ihre Argumente. Der Autor des als Anriß dieser Problematik vorgestellten
Textes spricht der Öri unter Anwendung traditionell-scholastischer
Methoden jede Transzendenz auf gleicher Seinsstufe mit dem Brahman und
dem Ätman ab; dennoch muß er das Öakti-Konzept in abstrakter Begriff¬
lichkeit beibehalten, sodaß der maskuline Sudarsana die Öaktifunktionen
bezeichnet.
Die Wechselbeziehung zwischen Metaphysik und sozial relevanter Wer¬
tung deutet sich an, und soll in Zusammenhang mit der Herausgabe von
vier weiteren Texten zur Theologie der Öri aus der F. 0. Schraderschen
Sammlung herausgearbeitet werden. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung
ist noch nicht absehbar,,