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Zur Frage nach dem Ursprung des Alphabets.
Von H. Zimmern.
Es ist keineswegs meine Absicht, mich hier ausführlich über
diese viel erörterte Frage zu verbreiten. Vielmehr möchte ich nur
kurz eine von mir gemachte Beobachtung mittheilen, die uns, wie
ich glaube , der Lösung dieses schwierigen Problems um einen
Schritt näher bringen kann.
Diese Beobachtung hat nichts zu thun mit der Form der
einzelnen Buchstaben , von der man ja in der Regel bei der Her¬
leitung des sog. phönicischen Alphabets etwa aus dem Aegyptischen
oder Babylonischen ausgeht. Zu welchen Verirrungen die Ver¬
gleichung gerade der Formen des phönicischen Alphabets mit
ägyptischen, babylonischen u. s. w. Zeichen schon geführt hat, ist
ja genugsam bekannt. Bei dem jüngsten derartigen Versuch von
Delitzsch, Entstehung des ältesten Schriftsystems S. 229 f.,
wo für einige Zeicben des phönicischen Alphabets babylonische
Vorbilder angenommen werden, erscheint mir noch am ehesten ein¬
leuchtend die Vergleichung von phön. (Aleph) mit bab.
{alpu Ochs, eigentlich wohl Bild des Ochsenkopfes mit Hörnem),
eine Zusammenstellung, die übrigens auch bereits Hommel, Ge¬
schichte Babyloniens und AssjTiens S. 54, bietet. Indessen werden
wir mit der Zeichenvergleichung allein nie sehr weit kommen und
stets der Gefahr starker MissgrifFe ausgesetzt sein.
Ferner kann ich auch nicht so hohen Werth, wie Delitzsch
a. a. 0. S. 226 f., auf die Thatsache legen, ,dass von den 22 phö¬
nicischen Schriftzeichen nicht weniger denn 15 Gegenstände oder
Begriffe zur Darstellung bringen, welche auch in der babylonischen
Schrift durch Urzeichen ersten oder zweiten Grades [wie solche
Delitzsth in seinem Buche mit Recht nachgewiesen hat] Aus¬
druck gefunden haben '. Denn abgesehen davon , dass die von
Delitzsch aufgestellte Vergleichungsliste dieser 15 Zeichen weder
für das Phönicisehe noch für das Babylonische ganz einwandsfrei ist'), 1) So ist z. B. die Bedeutung „Umfassung" fiir Cliet docli äusserst un¬
sicher, ebenso wie die Zusammenstellung des Zeicbennamens H^n mit dem
668 Zimmern, Zur Frage ruush dem Ursprung des Alphabets.
so beschränkt sich „diese auffallende üebereinstimmung in der
Auswahl der den Scbriftzeicben zu Grunde gelegten Gegenstände"
eigentlich doch darauf, dass in beiden Systemen, den babylonischen Urzeichen und dem phönicischen Alphabet, nächst liegende Begriffe, wie Körperteile. Thiemamen, Werkzeuge u. s. w. ausschliesslich ver¬
treten sind, so dass es nur natürlich ist, wenn wir den 22 Gegen¬
ständen des phönicischen Alphabets unter den ca. 40 babylonischen
Urzeichen meistens wieder begegnen. Ich glaube allerdings mit
Dehtzsch, dass im vorliegenden Falle auch eine äussere historische
Verwandtschaft hinsichtlich der Auswahl der öegenstände zwischen
dem phönicischen Alphabet und der in den babylonischen Urzeichen
vorliegenden Reihe besteht. Aber ein wirklicher Beweis lässt sich
meines Erachtens aus dem blossen Vorhandensein dieser Ueberein¬
stimmung noch nicht gewinnen.
Auf viel sichereren Boden kämen wir meiner Ansicht nach
zu stehen, wenn sich erweisen liesse, dass die durch das griechische
Alphabet und die hebräischen alphabetischen Texte ja als sehr alt
bezeugte Reihenfolge des phönicischen Alphabets ihr Analogon
im Babylonischen hat. Diejenigen Buchstabennamen des phönici¬
schen Alphabets, die ihr unzweifelhaftes Aequivalent im Babylonischen haben, sind folgende:
1 Alef =
al/ni Rind (105)
2 Bet = bitu Haus (147)
3 Gimel =
gammalu Kameel
4 Dälet = dalu Thür (155)
10 Jöd idu Seite [140?]
11 Kaf :
kappu (hohle) Hand [140?]
13 Mem mü Wasser (1)
14 Nün nünu Fisch (17)
16 'Ajin -: - enu Auge (42)
17 Pe - -
pü Mund (51)
20 Re§ =
reSu Kopf (52)
21 §ln sinnu Zahn
Die Frage ist nun die, ob sich nachweisen lässt, dass im
Babylonischen die Wörter obiger Reihe ebenfalls in dieser gleichen
Aufeinanderfolge angeordnet zu werden pflegten. Diese Frage lässt
sich für 8 von den 12 Wörtem bejahend beantworten.
In seiner Arbeit „Die assyrische Zeichenordnung auf Grund
von S» und V R 45' Zeitschr. f. Ass. I (1886), S. 95—125 (dazu
als Nachtrag „Das Princip der assyrischen Zeichenordnung'tebenda
II (1887), S. 316—320), hat Peiser den Nachweis geführt, dass
babyloDischen bautecbniscben Ausdrucke Jjittu oder Jettu, der als ]jSttä ins Ara¬
mäisebe übergegangen ist. Dass die Stelle I R 7, HS, auf weicbe bin Delitzsch Handwörterbuch 271 b und ebenso Entstehung S. 228 lietu (statt h^tu oder iettu) liest, fehlerhaft veröffentlicht ist, baben Meissner-Rost in BSS IU 213 gezeigt.
Zimmem, Zur Frage nach dem Urspnmg des Alphabets. 669
die Babylonier eine bestimmte Ordnung ibrer ca. 400 Zeichen be¬
sassen und in gewissen Texten , so insbesondere in der grossen
Zeichensammlung S" (SyUabar*), befolgten. Nun nehmen in der
von Peiser auf Grund von S' und V R 45 sowie einiger weiterer
verwandter Texte zusammengestellten , ca. 200 Zeichen , also nur
etwa die Hälfte aller assyrischen Zeichen , umfassenden Liste die
Ideogramme für alpu, bitu, daltu ; mü '), nünu, enu, pü, resu die
resp. 105., 147., 155.; 1., 17., 42., 51., 52. Stelle ein! Was die
vier anderen Wörter gammalu, idu, kappu, Sinnu betriflft, so hat
Sinnu ,Zahn" im Assyrischen dasselbe Ideogramm wie pü ,Mund',
könnte also kaum durch eine besondere Nummer vertreten sein.
gammalu „Kameel" ist wahrscheinlich im Assyrischen nicht ein¬
heimisch, sondern erst aus der Sprache semitischer Nomaden auf¬
genommen; jedenfalls existirt für gammalu im Assyrischen kein
einfaches in obiger Liste zu emartendes Ideogramm, idu und
kappu haben gleicher Weise das Ideogramm ID, das allerdings in
der Liste ziemlich sicher als Nr. 140 vorkommt, demnach an einer
nicht zur phönicischen Reihenfolge passenden SteUe. Indessen ist
dazu zu bemerken, dass idu im Assyrischen nicht mehr die ur¬
sprüngliche Bedeutung „Hand", sondern nur die abgeleitete „Seite, Macht" hat, ferner, dass kappu „(hohle) Hand" im As.syrischen
allerdings vorkommt, aber doch pur als seltener gebrauchtes Wort.
Sollte es nun wirklich reiner ZufaU sein, dass in der babylo¬
nischen Zeichenordnung mü, nünu, enu, pü, reSu und ferner alpu,
bitu, daltu ähnlich einander folgen wie im phönicischen Alphabet
Mem, Nün, 'Ajin, Pe, ReS und andererseits Alef, Bet, Dälet? Es
wäre dies jedenfaUs ein sehr merkwürdiger Zufall ! Ich weiss nun
sehr wohl, dass noch grosse Schwierigkeiten vorliegen, so die un¬
mittelbare Aufeinanderfolge von pü und resu ^) , der Beginn der
Reihe mit mü statt mit alpu^) im Babylonischen. Aber ich denke
mir die Entstehung des phönicischen Alphabets auch nicht so
mechanisch , dass etwa eine babylonische Vorlage in Bausch und
Bogen ins Kanaanäische hinüber genommen worden wäre. Viel-
1) Das Zeichen A (Ideogr. für mü) ging sicher dem Zeichen A.A voraus.
Beachte dafür auch die Stichzeile am Schlüsse von Sa. Dieselbe beweist wohl das Vorbandensein eines weiteren , ebenso geordneten Syllabars , in welchem aber, wie in Sb, nicht die Zeichennamen, sondern die assyrischen Bedeutungen den Ideogrammen beigefügt waren.
2) Dass wenigstens Säde vielleicht nicht zum ursprünglichen Bestände des phönicischen Alphabets gehört, sondern erst aus Zajin durch Hinzufügung eines Striches differenzirt sein könnte, macht Hommel, Süd-arabische Chresto¬
mathie S. 5 wahrscheinlich. Ihm folgt hierin Winckler, Geschichte Israels I, S. 125.
3) Dieser Erscheinung könnte möglicher Weise eine Vertauschung von Obvers und Kevers in eiuer babylonischen Vorlage zu Grunde liegen. Anderer¬
seits ist vielleicht daran zu erinnem, dass auch das äthiopische Alphabet, wie es scheint, auf eine Anordnung zurückgeht, in welcher die beiden Hälften des phönicischen Alphabets in umgekehrter Folge erscheinen.
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670 Zimmern, Zur Prage nach dem Urspmng des Alphabets.
mehr werden wir am wahrscheinlichsten im phönicischen Alphabet
ein mixtum compositum aus babylonischen und ägyptischen Ele¬
menten zu erkennen haben, wobei das Babylonische den Grundstock
der Wörter des Alphabets und zwar bereits in einer schon bei den
Babyloniern festgelegten Reihenfolge , das Aegyptische das Princip der Akrophonie geliefert haben wird. Bei solcher freischaltenden Thätigkeit des kanaanäischen Schrifterfinders ist es aber von vorn
herein nur wahrscheinlich, dass er auf einer übemommenen baby¬
lonischen Grandlage noch selbstständig weiter gebaut hat, wenn
sich auch vielleicht im Laufe der Zeit der eine oder der andere
Buchstabe ebenfalls noch einem babylonischen Ideogramm der obigen Liste nach Bedeutung und Stellung entsprechend herausstellen wird.
Dass wir für die Teil el-Amarna-Periode nicht nur im All¬
gemeinen eine gewisse Kenntniss der babylonischen Sprache und
Schrift bei bestimmten Kreisen in Palästina und Aegypten voraus¬
setzen dürfen, sondem dass speciell auch die geläufigeren und sogar
auch die selteneren babylonischen Ideogramme im Westen recht
wohl bekannt waren , das beweisen die palästinensischen Teil el-
Amarna-Briefe auf Schritt und Tritt. Ausserdem fanden sich ja
bekanntlich in Teil el-Amarna auch einige Bruchstücke ähnlichen
Charakters wie die assyrischen Syllabare. Trotz der ganz un¬
genügenden Veröfientlichung dieser Täfelchen durch Sayce in
Flinders Petrie Teil el Amama PI. XXXI—XXXIII lässt sich
doch aus Nr. XII daselbst eine für unseren Zweck sehr wichtige
Thatsache entnehmen. Die Zeichen auf Nr. XII weisen nämlich
genau dieselbe Ordnung auf, wie die oben besprochene auf S* u. s. w.
vorliegende ! Daraus folgt, dass thatsächlich diese alte babylonische
Zeichenordnung in der Teil el-Amama-Pei-iode nach dem Westen
gewandert ist und dort als Material für Exercitien in der baby¬
lonischen Schrift gedient hat. Ich glaube daram, dass auch die
nothwendigen historischen Voi'aussetzungen vorhanden sind, um die
Annahme zu rechtfertigen, dass die aufgewiesene üebereinstimmung
in der Reihenfolge des phönicischen Alphabets mit der babylo¬
nischen Zeichenordnung kein Zufall ist.
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Erklärung.
Auf Jensens Artikel ,Die philologische und historische
Methode in der Assyriologie', Heft II des vorliegenden Bandes S.241 ff.,
vrerde ich in einer Abhandlung „Philologische und historische
Methode auf altorientalischem Gebiet' antworten, in welcher ich
nicht nur darthun werde, dass die von mir angefiihrten FäUe durch¬
aus geeignete Belege für den von mir hervorgehobenen Fehler in
Jensens Methode waren, sondem auch mein diesen methodischen
Fehler betreffendes Urtheil eingehender darlegen und durch neue
schlagende Belege zu stützen und zu begründen gedenke.
Diese Abhandlung wird jedoch erst in einem der folgenden
Hefte dieser Zeitschrift erscheinen können. Ein behagliches Tempo
der Ausarbeitung wird ohnehin m. E. der dringend erwünschten Ruhe
Nüchternheit der Discussion und nur förderlich sein köimen. Auch
habe ich um so weniger Gmnd mich zu überstürzen , als vor
Kurzem von mir eine noch vor Veröffentlichung von Jensen's
Erörterungen geschriebene und durch den Dmek geführte Darlegung
erschienen ist, in der ich auf „einen erneuten besonders handgreif¬
lichen Beleg für den Fehler in J e n s e n's Methode ' hingewiesen habe. S.: „Chaldisch' und „Armenisch', Recueil XVIII S. 209—217, bes. S. 213.
Aus den dort gegebenen Erörterungen wird auch aufs Nene
mit Deutlichkeit hervorgehen , dass mir nichts femer gelegen hat
und Uegt, als etwa die Philologie auf Kosten der Geschichte herab¬
zusetzen, — einer Geschichtsforschung das Wort zu reden, die die
streng phUologische Interpretation der historisch zu verwerthenden
Monumente für entbehrlich erklärte, und somit, „in das Blaue
hinein bauend ihren Namen nicht verdiente' (vgl. Jensen S. 262).
Ich sage : „aufs Neue', denn für jeden Unbefangenen war das, wie
ich denke, aus dem ganzen Tenor meiner Recension, durch welche
Jensen's Artikel hervorgerufen ist, zu erkennen — ganz abge¬
sehen davon , dass die FormuUnmg meines Urtheils schon ihrem
Wortlaute nach eine derartige Missdeutung von vornherein aus¬
schloss (s. Bd. 49 S. 302: „gleiche Berücksichtigung und
gegenseitige Abwägung'*).
1) Von mir jetzt gesperrt.