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Ein Kommentar zum Fall Veronique Le Guen

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Academic year: 2022

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LEITARTIKEL

Ist die Forschung zu weit gegangen?

Francis Le Guen greift heute die Initiatoren des Höhlenversuchs scharf an und wirft ihnen Verant- wortungslosigkeit und die Schuld am Tod seiner Frau vor. Der Speläo- loge Michel Siffre, der das Experi- ment w ä h r e n d der ganzen Zeit leite- te, weist die Vorwürfe zurück und sieht bei dem Selbstmord rein priva- te G r ü n d e als ausschlaggebend an.

Es dürfte aber außer Zweifel stehen, d a ß eine Grundregel psych- iatrischer Forschung, nämlich die

postexperimentelle Überwachung der Probandin, sträflich vernachläs- sigt wurde. Denn eine bis zum Suizid gestörte Persönlichkeit hätte bei der Beobachtung auffallen müssen.

M a n kann davon ausgehen, d a ß die Probandin Veronique Le Guen vor dem Höhlenversuch psychiatrisch völlig normal war. Es hätte wenig Sinn gehabt, eine Psy- chopathin in die Tiefe zu schicken, denn daraus hätte die Wissenschaft keinerlei Nutzen ziehen können. Die junge Frau wird also sicherlich me-

dizinisch ausreichend untersucht und getestet worden sein. Die Tatsa-

che, d a ß sie ihr Leben freiwillig beendete, m u ß daher wohl in Verän- derungen begründet liegen, die sich während der Einsamkeit in ihrer Psyche entwickelten. Das belegen auch ihre Aufzeichnungen. Ist die Forschung zu weit gegangen?

Die Forschung zeigt sich un- beeindruckt: Es verlautet lediglich, d a ß die rund 15 000 Tests, die wäh- rend des Höhlenlebens angefallen sind, derzeit ausgewertet werden.

Dr. Hans-Heinrich Vogt, Somborner Str.

31 a, 8755 Alzenau

Hat die Wissenschaft die Seele getötet?

Ein Kommentar zum Fall Veronique Le Guen

Der Fall Veronique Le Guen machte Schlagzeilen in der Weltpresse. 111 Tage harrte sie in einer Höhle in Frankreich aus — zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Folgen des Experiments: Die Probandin beging Selbst- mord. Dr. Hans-Heinrich Vogt, Alzenau, setzt sich in sei- nem Leitartikel mit diesem erschreckenden Kapitel wis-

senschaftlicher Forschung auseinander. Welches sind die Hintergründe solcher Versuche, mit welchen Zielsetzun- gen werden sie durchgeführt, wie können Gefahren für die Versuchspersonen vermieden werden? Dazu ein Kommen- tar von Dr. R. Lund, Gauting, Prof. Dr. R. A. Wever und Dr. J . Zulley, Andechs.

Der Fall Veronique Le Guen macht betroffen. N a c h einem Ver- such, bei dem Frau Le Guen sich 111 Tage in einer Höhle in Frankreich aufhielt, beging sie Selbstmord. Of- fensichtlich veränderte Frau Le Guen sich durch den Versuch psy- chisch. Diese Veränderungen in Form einer inneren Leere und Selbstauflösung hatte sie schon wäh- rend des Versuchs in Protokollen, die auch den Experimentatoren vor- lagen, beschrieben. A u c h nach dem Experiment hatte nach Angaben des Ehemannes diese W e s e n s ä n d e r u n g weiterbestanden, ohne d a ß Frau Le Guen eine psychotherapeutische Hilfe zuteil geworden wäre.

Es haben schon zahlreiche Versuche stattgefunden, in denen

Versuchspersonen sich freiwillig für Dr. R. Lund, Gauting

3 Monate und länger von Umwelt- einflüssen isolieren ließen.

Die Erforschung biologischer Rhythmen

Warum werden häufig Versu- che, bei denen alle äußeren Einflüs- se wie Licht-Dunkel-Wechsel, Ge- räusche, Kenntnis der Uhrzeit, Fernsehen oder soziale Kontakte ausgeschlossen werden, ü b e r h a u p t durchgeführt? Es geht dabei um die Frage, wie das zirkadiane System, das als Oberbegriff für die tagesperi- odischen Schwankungen psycholo- gischer und physiologischer Funk- tionen steht, ohne diese sogenann- ten Zeitgeber, die die Schwankun- gen mit einem 24-Stunden-Rhyth- mus synchronisieren, funktioniert.

TW NEUROLOGIE PSYCHIATRIE 4, Mai 1990 347

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KOMMENTAR

Eines der Ergebnisse war die Erkenntnis, d a ß sich das zirkadiane System auch unter den konstanten Bedingungen autonom verhält und einen sogenannten freilaufenden Rhythmus von ca. 25 Stunden ein- nimmt. Praktische Anwendungen fanden diese und andere Ergebnisse in der Psychiatrie, bei der Schichtar- beit, den Zeitzonenverschiebungen und bei Schlafstörungen.

Worauf ist bei

solchen Versuchen zu achten?

Aus der Fragestellung wird deutlich, d a ß bei diesen Versuchen die Grundlagen eines Systems, dem nur die zeitlichen Informationen entzogen werden, erforscht werden sollen. Zusätzliche Störungen, wie z. B. Streß, müssen aber weitgehend ausgeschlossen werden.

Im Max-Planck-Institut in Er- ling-Andechs, i n dem von 1961 bis 1988 insgesamt 450 Versuchsperso- nen unter solchen Bedingungen un- tersucht wurden, wurde aus diesem G r u n d auf einige wichtige Dinge ge- achtet: Die Versuchspersonen wur- den eher unterbezahlt, um eine Teil- nahme am Versuch aus Geldgrün- den auszuschließen. Bei Beginn des Versuchs wurden sie ausdrücklich darauf hingewiesen, d a ß sie keine Helden mit Durchhaltewillen sein sollen, sondern d a ß sie den Versuch jederzeit abbrechen k ö n n e n und so- gar sollen, falls sie sich nicht wohl- fühlen.

Für die Versuchspersonen be- stand jederzeit die Möglichkeit, den Raum zu verlassen und damit das Experiment zu beenden. Die R ä u m e waren relativ komfortabel einge- richtet und hatten eine separate D u - sche und Küche.

Die Versuchsdauer wurde i n den meisten Fällen auf 30 Tage be- schränkt, das diese Länge zur Erfor- schung des zirkadianen Systems aus- reichend ist. Es gab auch stichpro- benartig einige längere Versuche bis zu 3 Monaten, um zu zeigen, d a ß die biologischen Rhythmen auch wäh-

Aus: Basler Zeitung vom 27. 4. 90

Unerträgliche E i n s a m k e i t

Madrid. S P K . E i n ungewöhnliches wissenschaftliches Experiment ist i n Spanien gescheitert. Der spanische Höhlenforscher Emilio Reyes, der ein Jahr völlig isoliert in der Höhle Anas bei Lerida verbringen wollte, muss sein Vorhaben nach zwei Monaten wegen psychischer und physischer Probleme abbrechen. Reyes kehrt am heutigen Freitag auf Anraten des Kontrollteams an die Oberfläche zu- rück.

Er hat seit dem Abstieg i n die Höhle am 18. Februar drei schwere Depressionskrisen durchgemacht, zwölf Kilogramm Gewicht verloren und unter Angstgefühlen gelitten.

Ferner verlor Reyes den Appetit, die Lebenslust und zeitweise das Ge- dächtnis. Es kostete ihn zuletzt eine enorme Anstrengung, sein Zelt auf dem G r u n d der Höhle zu kleinen Ausflügen zu verlassen. Der über- wachte Forscher konnte sich mit dem Kontrollteam aber nur über einen Personalcomputer und eine einbah- nige Telefonleitung verständigen, das heisst, keine menschliche Stimme empfangen. Das Experiment sollte Aufschluss über die Auswirkungen einer totalen Isolierung des Menschen von Umwelt, Licht und Zeit geben.

rend eines so langen Versuches un- verändert weiterlaufen.

V o r und nach dem Versuch wurden von den Probanden Per- sönlichkeitsfragebögen ausgefüllt.

W ä h r e n d des Versuchs wurden an jedem „subjektiven" Tag schriftliche

Notizen vom Probanden gemacht, von den Versuchsleitern gelesen und, falls nötig, schriftlich beant- wortet.

Die Richtigkeit dieses K o n - zeptes zeigt sich darin, d a ß von den 450 Probanden nur 10 den Versuch vorzeitig abbrachen. Ungefähr 80%

wollten den Versuch wiederholen.

Tatsächlich waren es 50 Probanden, die teilweise mehrmals an einem Versuch teilnahmen. Die G r ü n d e für den Abbruch waren nur i n einigen Fällen auf die Unfähigkeit der Pro- banden, mit der Einsamkeit umzu- gehen, zurückzuführen.

Das Experiment Le Guen:

Wissenschaftlich überflüssig und ethisch nicht vertretbar Es fällt schwer, sich ohne ge- naue Informationen über den in Frankreich durchgeführten Höhlen- versuch ein Urteil zu bilden. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist der Versuch als überflüssig und auch als falsch angelegt zu beurtei- len. Es gab offensichtlich zu viele belastende Faktoren, die sich eher negativ auf die Erforschung biologi- scher Rhythmen auswirken mußten.

Es ist auch ethisch nicht zu vertreten, d a ß hier ein Rekordver- such im Aushalten von Einsamkeit und widrigen Bedingungen, bei dem offensichtlich die Presse mit Regie führte, durchgeführt und auch noch wissenschaftlich unterstützt wurde.

Mitentscheidend ist bei sol- chen Experimenten sicherlich die Persönlichkeit der Versuchsperso- nen — ist für den einen eine Ver- suchsdauer von 3 Monaten kein Problem, besteht bei dem anderen bereits nach wenigen Wochen die Gefahr, psychische Schäden davon- zutragen. Die physische und psychi- sche Gesundheit der Probanden darf bei allem wissenschaftlichen Enthusiasmus nicht aus den Augen verloren werden.

Für die Verfasser: Dr. phil. R. Lund, Diplompsychologe, Zentralkrankenhaus Gauting, Unterbrunner Str. 85, 8035 Gauting

348 TW NEUROLOGIE PSYCHIATRIE 4, Mai 1990

KOMMENTAR

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