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Für die Militärgeschichte in einem engeren Sinn werden vor allem die Beiträge von Denis Casey und Jörn Münkner interessant sein

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War and Peace. Critical Issues in European Societies and Literature 800–1800.

Ed. by Albrecht Classen and Nadia Margolis, Berlin, Boston: de Gruyter 2011, VIII, 647 S. (= Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture, 8), EUR 99,95 [ISBN 978-3-11-026807-2]

Die Reihe der »Fundamentals« besteht erst seit wenigen Jahren und kann bereits eine ansehnliche Anzahl von größtenteils umfangreichen Sammelbänden aufwei- sen. Dieser nun vorliegende befasst sich mit Krieg und Frieden als Grundverfasst- heiten menschlichen Zusammenlebens. Auf eine – wie mittlerweile von der Reihe gewohnt – umfassende Einleitung des Mitherausgebers Classen (S. 1–80) folgen insgesamt 23 Einzelbeiträge, durchweg in englischer Sprache. Unter ihnen domi- nieren die historischen Literaturwissenschaften; entsprechend stehen häufig die Repräsentationen von Krieg und Frieden im Mittelpunkt der Betrachtungen.

Für die Militärgeschichte in einem engeren Sinn werden vor allem die Beiträge von Denis Casey und Jörn Münkner interessant sein. Letzterer befasst sich mit Alb- recht Dürers »Etliche vnderricht / zu bestigung der Stett / Schlosz vnd flecken« von 1527, einer Schrift zur Anlage von Verteidigungsbauwerken, die Dürer unter dem Eindruck der Türkenangst dem bald darauf zum römisch-deutschen Kaiser ge- salbten böhmisch-ungarischen König Ferdinand widmete. Dabei werden überzeu- gend die Quellen herausgearbeitet, die Dürer verarbeitete. Denis Casey behandelt die Einquartierung englischer Truppen im mittelalterlich-frühneuzeitlichen Irland, die er als eine Art ›Vorgeschichte‹ des stehenden Heeres betrachtet.

Einen zweiten Themenschwerpunkt, der stetig – und gerade in den letzten zwanzig Jahren wieder ganz besonders – im Fokus der Militärgeschichte gestanden hat, bildet die Theorie des gerechten Krieges. Dieser Denkfigur wenden sich eine ganze Reihe von Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven, mit Blick auf un- terschiedliche Zeiten und Orte zu. George Arabatzis etwa diskutiert ihre Ausfor- mung in der Kreuzfahrerliteratur nach dem Fall von Konstantinopel 1453, Ben Snook wendet sich in einem enger rezeptionsgeschichtlich gefassten Beitrag noch einmal dem angelsächsischen England zu, um das Bild, das John Cross von den

»Ethics of War in Old English« bereits 1971 gezeichnet hatte, zu korrigieren, und John Campbell befasst sich mit der Ideologie des Heiligen Krieges in den Tragödien Racines.

Einen dritten Schwerpunkt bilden jene Beiträge, die sich mit Konfliktregula- tion und -beilegung auseinandersetzen. Andrew Breeze etwa zeigt auf, wie uner- wartet wenig die walisische Erzählung von den »Four Branches of the Mabinogi«

eigentlich an blutigen Kampfszenen und wie sehr sie dagegen an den Formen der Konfliktbeilegung interessiert ist. Charles W. Connell bringt die Gottesfriedensbe- wegung, die ja schon länger im Kontext einer ›Geburt der Strafe‹ (Victor Achter) diskutiert wird, mit der Entstehung einer ›öffentlichen Meinung‹ zusammen. Ex- pliziten Antikriegsschriften wenden sich die Beiträge von Mitherausgeber Classen zu Hans Sachs und William C. McDonald zu Michel Beheim zu. In einem zweiten Aufsatz zeigt Classen am Beispiel des Franziskanerpredigers Berthold von Regens- burg die Macht der Predigt sowohl im Krieg als auch im Frieden. Weil die meis- ten der Beiträge eher die großen Perspektiven zwischen Krieg und Frieden bedie- nen, fällt ein lesenswerter Aufsatz, wie derjenige von Glenn Kumhera, der sich mit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung im mittelalterlichen Siena und also mit

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Frieden in einem vergleichsweise kleinen Setting zwischen einzelnen Personen be- schäftigt, etwas aus dem Rahmen.

Diese wenigen Beispiele zeigen schon, wie breit der gewichtige Sammelband the- matisch aufgestellt ist. Das ist natürlich eine zweiseitige Medaille und ein jeder Le- ser wird selbst entscheiden müssen, welche Seite er besonders betont: die Vielfalt der angebotenen Themen oder die notwendig darunter leidende Konsistenz des Bandes als Ganzes. Der Rezensent neigt deutlich zu ersterem, wenngleich eine stär- kere Strukturierung, etwa in Themenblöcken, dem Buch sicher gut getan hätte. Das kann auch die Einleitung des Herausgebers nur bedingt kompensieren, weil auch er die Einzelbeiträge in ihrer chronologischen Reihenfolge bespricht und nicht seiner- seits zu thematischen Clustern verbindet. Bedauernd und ein wenig kleinkrämerisch bliebe schließlich anzumerken, dass der in den Bänden der Reihe sonst so ordent- liche Satz diesmal vergleichsweise viele Fehler und Nachlässigkeiten enthält. Das nimmt aber durchaus keine dramatischen Formen an. Dagegen teilt auch dieser die Vorzüge aller anderen Bände der »Fundamentals«: Er ist durch einen sauberen In- dex erschlossen, der auch Sachlemmata führt, und sämtliche fremdsprachlichen Zi- tate sind in die jeweilige Sprache des Aufsatzes – in diesem Falle also ins Englische – übersetzt. Das tut gerade bei einem Band, der so viele unterschiedliche Regionen, Genres und Wissenskulturen bedenkt, dem Leser einen großen Gefallen.

Hiram Kümper

Claudia von Collani, Von Jesuiten, Kaisern und Kanonen. Europa und China – eine wechselvolle Geschichte, Darmstadt: Wiss. Buchges. 2012, 195 S., EUR 39,90 [ISBN 978-3-534-25152-0]

Es sei eingangs angemerkt: Gleichwohl im Titel von »Kanonen« die Rede ist, hat das zu besprechende Buch nur wenig mit Militärgeschichte zu tun. Der Klappen- text bezeichnet den Ansatz des Buches als den einer »spannenden Kulturge- schichte«. Tatsächlich handelt es sich um eine Geschichte der europäisch-chine- sischen Beziehungen vor dem Hintergrund der europäischen Bemühungen um die Christianisierung Chinas – allemal interessant, aber wohl eher als Religionsge- schichte zu bezeichnen. Das Buch widmet sich in zehn Kapiteln, die teilweise the- matisch, teilweise chronologisch geordnet sind, der Geschichte der katholischen Chinamission, des frühen chinesischen Christentums und des Wirkens der Missio- nare in der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts. Es ist mit einem guten Register aus- gestattet, sodass der Leser sich in der Vielfalt der Namen zurechtfinden können sollte. Der Schwerpunkt des sehr gut lesbaren Narrativs liegt dann auch auf der erwähnten Missionstätigkeit; Methoden, Fälle und Erfolge der Missionierung in China werden ausführlich geschildert. Collani ist eine ausgewiesene Kennerin der Geschichte der Mission in China und der frühen chinesischen Kirchengeschichte, was sie vor allem in den zahlreichen von ihr verfassten Einträgen zu frühen katho- lischen Chinamissionaren in verschiedenen Kirchenlexika bewiesen hat.

Collani stellt die christliche Mission in China als Gegenstück und als positive Alternative zur Kolonisation mit militärischen Mitteln dar (S. 167 f.). Die Geschichte der katholischen Chinamission wird als ein aufrichtiges Ringen um Verständigung und Überzeugungskraft des besseren Arguments dargelegt. Und: »Die Beweg- gründe waren in erster Linie das Verantwortungsgefühl für die ungetauften Men- schen in anderen Kontinenten [...] die ohne Taufe als sehr wahrscheinlich für ewig

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verloren galten« (S. 63). Sie geht nicht auf die naheliegende – und vor allem in der chinesischen Literatur häufig anzutreffende – Kritik ein, dass beide Arten der Ein- flussnahme letztlich auf eine politische und wirtschaftliche Unterordnung Chinas durch den »Westen« gezielt hätten.

Die Beschreibung militärgeschichtlicher Zusammenhänge ist sehr kurz – sie beschränkt sich eigentlich auf einige Anmerkungen zu Tätigkeiten der Missionare in der Produktion von Kriegswaffen (S. 56–58). Wohlgemerkt: Das ist auch nicht das Anliegen der Autorin. Die Darstellung der Militärtechnologie geht nicht über das hinaus, was bei Joseph Needham et al. (Science and Civilization in China, vol. 5, pt. 7, Cambridge 1994) zu finden ist, woraus auch der Großteil der Informationen zu Kriegführung und Waffenproduktion entnommen wurde. Nach wie vor wäre Needham wahrscheinlich für Fragen rund um die Militärtechnologie im vormo- dernen China die beste Anlaufstelle. Für einen deutschsprachigen Überblick über die militärischen Probleme der Ming-Zeit (1368–1644) in ihrem politischen Zusam- menhang ist die Arbeit von Kai Filipiak (Krieg, Staat und Militär in der Ming-Zeit, Wiesbaden 2008) eine gut geeignete Darstellung.

Eine Warnung ist allerdings dringend angebracht: In Bezug auf den militä- rischen Bereich wiederholt von Collani Klischees, die inzwischen als kaum noch haltbar gelten müssen. So ist etwa die Dichotomie der zivilen (wen) und militä- rischen (wu) Sphäre, welche Collani vertritt (S. 56), in den letzten Jahren immer mehr angezweifelt worden und kann fast als widerlegt gelten. Noch mehr verhält es sich so mit der Annahme eines kriegerischen Konfliktlösungen gegenüber grund- sätzlich ablehnend eingestellten Kerngedankens in der staatskonfuzianischen Tra- dition. Spätestens seit Alastair Johnston‘s Studie (Cultural Realism, Princeton 1995) über militärisches Verhalten chinesischer Dynastien, vor allem der Ming, ist be- wiesen, dass neben der Ebene der friedlichen Rhetorik auch in China berechnendes und von Nutzenüberlegungen getragenes Handeln für die militärische Theorie und Praxis bestimmend war. Überhaupt neigt Collanis Darstellung zu essentialis- tischen Bildern der chinesischen Kultur, die in Vorstellungen von einem monoli- thischen chinesischen Geist, wie sie von Marcel Granet (La pensée chinoise, Paris 1934) – den Collani auch anführt – beschrieben worden sind, zu münden scheinen.

Diese sind im chinafachlichen Diskurs mehrfach widerlegt worden und sollten ei- gentlich keine Rolle mehr spielen.

Schwer verständlich ist auch, dass zwar die Schriften der Missionare im Origi- nal zugrunde gelegt, aber keine chinesischsprachigen Quellen verarbeitet wurden.

Auch die chinesische Forschung der Gegenwart findet keine Berücksichtigung.

Das ist möglicherweise verschmerzbar, wenn man bedenkt, dass die Autorin ex- plizit aus der Sicht Europas – genauer, des christlichen Europas – auf China schreibt. Es trägt aber zu einer tendenziösen Färbung des Textes bei, in der die Ob- jekte der Missionsversuche, eben die Chinesen, kaum zu Wort kommen. Collani verweist zwar selbst darauf, dass ihr Buch »weder Anspruch auf eine wie auch im- mer geartete Objektivität noch Anspruch auf Vollständigkeit« erhebe (S. 16). Eine gewisse Einseitigkeit der Perspektive irritiert aber doch und mindert den wissen- schaftlichen Wert des Buches erheblich.

Was bleibt ist eine Übersichtsdarstellung mit stark gläubigem Grundtenor, der die Lektüre streckenweise sehr erschwert. Aus militärhistorischer Perspektive ist das Buch kaum gewinnbringend lesbar – der Nutzen des Buchs für die von der Verfasserin intendierten Zwecke soll hier nicht beurteilt werden.

Felix Siegmund

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Niklaus Meier, Warum Krieg? Die Sinndeutung des Krieges in der deutschen Militärelite 1871–1945, Paderborn [u.a.]: Schöningh 2012, 354 S. (= Krieg in der Geschichte, 73), EUR 44,90 [ISBN 978-3-506-77363-0]

Kriegsbilder oder auch Sinndeutungen von Krieg gehören zu den viel behandel- ten Themen der deutschen Militärgeschichte, doch selten hat es ein Autor unter- nommen, über den ganzen Zeitraum der Geschichte des Deutschen Reiches und damit über 74 Jahre hinweg nicht nur einen Essay zu schreiben, sondern eine Mo- nografie. Entstanden ist diese als Dissertation unter Anleitung des angesehenen Schweizer Militärhistorikers Rudolf Jaun. Wichtigste Gewährsleute sind etwa Stig Förster (24 Titel von ihm herangezogen) oder Wolfram Wette (13 Titel), denen Meier auch inhaltlich weitgehend folgt.

»Das Denken der Offiziere des 1871 gegründeten preußisch-deutschen Macht- staats war auf dem Felde der Außenpolitik von dem Glaubenssatz geprägt, dass kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Staaten eine historische Norma- lität darstellten. Wechselweise oder gleichzeitig wurden Gott, die Geschichte und die Natur als Bürgen für diese Ansicht ins Feld geführt« (Wette, Zit. S. 34). Oder für Förster waren die Militärs einem »verengten Denken« verhaftet, demzufolge

»Krieg als natürlich und kulturnotwendig angesehen wurde« (S. 35). Diese Aus- sagen werden in der Arbeit breitestens aufgefächert. Mittel dabei ist eine Diskurs- analyse im Gefolge von Philip Sarasin und Achim Landwehr. Dabei gehen die Kriegsdiskurse »um Wissensbestände und Wirklichkeitskonstruktionen in Bezug auf Krieg« (S. 22). Sie bilden somit ein Geflecht oder Netz. Situative Entstehungs- bedingungen können so weitgehend ausgeklammert werden, wenn es doch im Kern um die Gemeinsamkeiten solcher Diskursformationen geht, die in ihren Varia- tionen ausführlichst ausgebreitet werden. Allerdings taucht diese hochkomplexe Diskurs-Terminologie vor allem in der Einleitung und im vorletzten zusammen- fassenden Kapitel zum »Schwertglauben« als diskursiver Sinngebung des Krieges auf, einem Terminus von Friedrich Wilhelm Foerster, der sich als guter Sammel- begriff für das insgesamt Gemeinte erweist.

Kapitel I führt Krieg im Hinblick auf den Machtstaat vor. Als Vehikel dient das bekannte Clausewitz-Zitat von der Fortführung der Politik mit anderen Mitteln.

Hier zeigt Meier kenntnisreich die Deutungen und Umdeutungen, die bis hin zu einem Primat des Kriegsdenkens auch für die Politik vor allem seit dem Ersten Weltkrieg gingen. Kapitel II behandelt Krieg als Mittel von Fortschritt und Kathar- sis, was umgekehrt Frieden als Gefahr von Verweichlichung und Dekadenz er- kennt. Hierzu wird der schillernde Begriff des Bellizismus spezifisch eingebracht.

Kapitel III dreht sich um den Krieg als Naturgesetz und behandelt den Sozialdar- winismus. Meier wendet sich gegen den inflationären Gebrauch dieses Begriffes, zeigt aber gerade in diesem Kapitel die durchgängige Verwendung dieser Denk- figur. Das einschlägige Moltkezitat über den ewigen Frieden als Traum und Krieg als Glied in Gottes Weltordnung taucht insgesamt mindestens dreimal in voller Länge auf – Diskurse variieren halt bestimmte Muster, aber eben dieser Moltke bleibt gleich. Es folgt ein zwanzigseitiger Exkurs über Adolf Hitler, der nicht zur Militärelite gerechnet wird. Mit Lebensraum, Lebenskampf und Weltanschauung sieht der Verfasser hier drei zentrale Komponenten. Weltherrschaft sei für ihn das Streben des Judentums gewesen, womit Meier eine vor Jahrzehnten geführte De- batte über Hitlers Weltanschauung und Endziele langatmig reproduziert. Dass ge- rade die Rassenideologie hierbei eine zentrale Rolle spielte, wird in Kapitel IV »Ver-

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nichtungskrieg und Rassenkampf« deutlich. Hier spielen auch die Kolonialkriege und ihr Verhältnis bzw. Überspringen auf den Kontinent und den NS-Krieg eine Rolle. Meier referiert diese Forschungsdebatte, ohne jedoch selbst klar Stellung zu beziehen. Neben dem kolonialen Krieg/Genozid spielt die Denkfigur »Endkampf gegen das Slawentum« eine große Rolle. Der »existenziell-apokalyptischen Deu- tung des Krieges« ist sodann Kapitel V gewidmet: totaler Krieg, ehrenvoller Unter- gang und Kampf bis zum Letzten lauten hier Stichworte.

Alle Kapitel zeichnen sich durch diachrone Durchgänge aus, die über beide Jahrhunderte reichen. Meier interessiert aber nicht so sehr der Wandel als solcher, sondern eher das Hinzukommen oder die Verstärkung von neuen Elementen. Dazu wäre etwa die Idee der Volksgemeinschaft zu zählen, die sich im zu planenden oder zu führenden Volkskrieg manifestierte, oder die zunehmende Bedeutung ras- sistischen Denkens und Handelns. Meier bemüht sich auch immer wieder um Alter- nativen, so vor allem um pazifistische Offiziere in ihrem eigenen Denken, vor allem aber als Folie für den Mainstream vorzuführen. Alternativen innerhalb der Mili- tärelite werden im Rahmen der Diskursanalyse eher schwach betont. Wenn der jüngere Moltke und Falkenhayn etwa diametral entgegengesetzte politische Fol- gerungen zogen, dann hebt der Autor auf die gemeinsame Ausgangsbasis im Den- ken ab. Wenn es zwischen Februar und April 1938 eine Grundsatzdiskussion über die Gestaltung der Wehrmachtspitze im Zuge der Blomberg-Fritsch-Krise gab, bei der das neue OKW unter Keitel deutlich anders argumentierte als die Heeresspitze unter Halder und Beck, dann ging es da um sehr konkrete Machtfragen der Eigen- ständigkeit gegenüber Hitler. Genauer gesagt: Das lässt sich auch als Diskurs auf- fassen, aber es ging nicht um beliebige Einschätzungen, sondern um Grundfragen des politischen Selbstverständnisses und des Handelns, durchaus auch taktisch gemeint. Bei Meier wird Beck aber nur an anderer Stelle als Variante des Militär- diskurses vorgeführt.

Programmatisch geht es dem Verfasser um die deutsche Militärelite. Aber im- mer wieder kommt der k.u.k. General Conrad von Hötzendorff vor, passt er doch so schön in die vorgestellten Diskurse hinein. Schweizer Militärs finden sich nicht.

Zur Militärelite sollte ja wohl nicht nur das Heer gehören, sondern über den ganzen Zeitraum auch die Marine, später auch die Luftwaffe. Die Marine wird aber nur sporadisch genannt – auch hier wären interessante Beobachtungen von Gemein- samkeiten und Differenzierungen zu machen gewesen. Wenn vom »ehrenvollen Untergang« die Rede ist, dann wird nur an zwei peripheren Stellen erwähnt, dass es bei der Marine Ende des Ersten Weltkrieges solche Pläne gab – keine Diskurse.

Dass sich dies bei Scapa Flow 1919 wiederholte und 1939 zu den ersten Überle- gungen Raeders gehörte, die Marine also hier mehr als ein Anhängsel zu den Ar- mee-Diskursen war, entgeht dem Verfasser: Es gibt ja auch wenig längere allge- meine Texte dieser Admirale.

Der Autor betont angemessen, wie sehr sich Krieg in eine totale Richtung aus- weitete, wie die Trennung von Militär und Zivil langsam wegfiel. Aber macht es dann noch einen Sinn, die Militärs als gleichsam geschlossene Gruppe zu unter- suchen? Die von Gerhard Ritter 1954 eingeführte Dichotomie von (ziviler) Staats- kunst und »Kriegshandwerk« hat sich in jüngerer Forschung doch längst aufge- löst. Waren oder zumindest konnten Zivilisten nicht gleichermaßen militaristisch oder bellizistisch sein, wie schon Fritz Fischer hervorhob? Und es ist auch gar nicht nur die Militärelite, die Meier abhandelt. Seitenweise werden Erziehungsgrund- sätze, Schulungsmaterial, das gerade auf der unteren oder mittleren Ebene ent-

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stand, zumal für die NS-Zeit vorgestellt – das hatte doch wohl allgemeinere Fol- gen für das Militär als solches. Einmal werden (mit einem Quellenzitat durch den Rezensenten) Instruktionen der Reichsleitung von 1899 zitiert – sie stammten von den »Zivilisten« v. Bülow und Holstein. Und zivile Militärschriftsteller stehen un- terschiedslos neben solchen mit aktiven oder ehemaligen militärischen Dienst- graden. Jedenfalls wäre eine Erörterung des Verhältnisses von zivil zu militärisch im Wandel sehr erwünscht gewesen. Die großen Gewährsleute von Kant (mit kriegsfreundlichen Passagen, nicht »Zum ewigen Frieden«), Hegel und Clause- witz kommen immer wieder vor und so auch einschlägige Denker des 20. Jahr- hunderts – auch die gehören nicht unbedingt zur Militärelite.

Nimmt man den untersuchten Zeitraum in den Blick, dann setzt Meier tatsäch- lich schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Er selbst postuliert, es sei span- nend, seine Untersuchung über 1945 fortzuführen – und zitiert dann selbst doch immer wieder Memoiren von Generalen aus der Zeit nach der totalen Niederlage.

Zum Schluss regt Meier eine international vergleichende Forschung oder Studie an. Aber hat er selbst zur Kenntnis genommen, dass Stig Förster etwa eine verglei- chende Analyse von Militärdiskursen aus einschlägigen Zeitschriften in einem For- schungsprojekt hat bearbeiten lassen und publiziert hat oder dass Roger Chicke- ring und Stig Förster eine mehrbändige vergleichende Serie über den »totalen Krieg« vorlegten? Über die selbstverständliche Einvernahme des k.u.k Generals Conrad hinaus hätte man sich einen gelegentlichen Seitenblick des Autors auf die existierende vergleichende Forschung schon gewünscht, damit seine Ergebnisse nicht so stark nach kritischer Nabelschau (von außen!) zum deutschen Problem aussehen.

Meier hat fleißig gearbeitet, die eingangs genannten Zitate etablierter Autoren breit in einzelne Diskurspartikel oder auch –netze aufgefächert, die miteinander als vielfach verwoben vorgestellt werden. Neues habe ich dabei kaum erfahren, wohl aber einen breiten Überblick erhalten über das einschlägige militärische Den- ken im Wandel, dem der Autor zu Recht auch Relevanz für das Handeln, also Kriegsvorbereitung und Krieg zuweist. Damit wären wir wieder bei der Politik als solcher, die doch wohl nicht so obsolet ist, wie die hier beanspruchte Diskursana- lyse sie einebnet.

Jost Dülffer

Jürgen Zimmerer, Von Windhuk nach Auschwitz? Beiträge zum Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust, Münster [u.a.]: LIT 2011, 349 S. (= Periplus Stu- dien, 15), EUR 34,90 [ISBN 978-3-8258-9055-1]

Gab es eine Verbindung vom deutschen Kolonialismus zum »Dritten Reich«?

Führte ein direkter Weg von »Windhuk nach Auschwitz«? Der Historiker Jürgen Zimmerer, Professor für die Geschichte Afrikas südlich der Sahara an der Univer- sität Hamburg, ist davon überzeugt. Zwar ist er nicht der einzige, aber sicher der bekannteste und entschiedenste Verfechter dieser These. Als Zimmerer, angeregt von Äußerungen so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Hannah Arendt, Ra- phael Lemkin, Aimé Césaire oder W.E.B. DuBois, 2003 seinen ersten Aufsatz zum Verhältnis von Kolonialismus und Nationalsozialismus veröffentlichte, erntete er vor allem in Deutschland heftigen Widerspruch. Nach eigener Aussage war Zim- merer von der Vehemenz der Kritik überrascht. In seinem knappen Vorwort be-

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klagt er ein sofortiges »Abgleiten in persönlich-diffamierende Attacken bei gleich- zeitigem Fehlen jeglicher inhaltlicher Auseinandersetzung« (S. 9). Dass seine Argumente von seinen Kritikern angeblich kaum zur Kenntnis genommen wur- den, führt der Autor auf die verschiedenen Veröffentlichungsorte seiner diversen Aufsätze zu dem Thema zurück. Einige von ihnen waren in Publikationen zur deutschen, andere in solchen zur afrikanischen oder generell globalen Geschichte erschienen. Da aber, so der Eindruck Zimmerers, Vertreter der verschiedenen Fach- richtungen Veröffentlichungen aus anderen Bereichen nicht wahrnähmen, habe er sich entschlossen, einen Sammelband mit seinen wichtigsten Beiträgen zum Thema herauszugeben.

Insgesamt versammelt der Band zwölf Aufsätze aus den Jahren 2001 bis 2009, die bereits ausnahmslos in Zeitschriften oder Aufsatzbänden veröffentlicht wor- den sind. Auf eine Überarbeitung seiner Texte hat Zimmerer bewusst verzichtet,

»da es sich auch um die Belege einer Debatte handelt« (S. 11). Dafür nimmt er auch in Kauf, dass es zu einigen Wiederholungen kommen könne. Die Aufsätze werden nicht chronologisch abgedruckt, sondern thematisch in die vier Kapitel »Vernich- tungskrieg, Rassenutopie und Planungswahn«, »Der historische Ort des Nami- bischen Krieges in der Geschichte«, »Vom ersten deutschen Kolonialismus zum zweiten« und »Deutsche Massengewalt: Sonderweg oder Globalgeschichte« ein- geordnet. Diese Einteilung erscheint allerdings etwas willkürlich; manchen Bei- trag hätte man sich auch gut in einem anderen Kapitel vorstellen können. Auf eine Einleitung verzichtet Zimmerer. Stattdessen stellt er seinen 2009 erschienenen Auf- satz »Nationalsozialismus postkolonial. Plädoyer zur Globalisierung der deutschen Gewaltgeschichte« quasi als Einführung an den Anfang des Sammelbandes. Ebenso fehlt eine Zusammenfassung am Schluss.

Jürgen Zimmerers großes Verdienst ist es, auf eine Reihe verblüffender Ähn- lichkeiten zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus aufmerksam gemacht zu haben. So wurde bereits 1904 in Deutsch-Südwestafrika der zeitweise Versuch unternommen, mit den Herero eine ganze Volksgruppe auszulöschen bzw. zu ver- treiben. Auch die rücksichtslose Kriegführung des deutschen Kolonialmilitärs ge- gen die einheimischen Bevölkerungen erinnert in manchem an den »Vernichtungs- krieg« der Wehrmacht im Osten. Darüber hinaus gab es in den Kolonien ein Verbot von Ehen zwischen Deutschen und Einheimischen, das als Vorläufer der Nürnber- ger Rassegesetze angesehen werden könnte. Doch sind das mehr als strukturelle Ähnlichkeiten? Zimmerer ist davon überzeugt. Er glaubt, dass sich die National- sozialisten diese schon von den Kolonialherren praktizierten Verhaltensweisen zum Vorbild genommen und perfektioniert hätten. Zwar ließen sich »die Verbre- chen der Nationalsozialisten nicht monokausal auf die Tradition des europäischen Kolonialismus« zurückführen, dieser sei jedoch ein »wichtiger Ideengeber« (S. 171) gewesen, so die These Zimmerers.

In das Bewusstsein der Verantwortlichen soll das koloniale Gedankengut auf drei Wegen gelangt sein: durch persönliche Erfahrung, durch »institutionelle Spei- cherung« und durch »kollektive Imagination«. Persönliche Erfahrungen, wie Zim- merer selbst einräumt, konnten jedoch bisher nur für eine Handvoll Nationalsozia- listen nachgewiesen werden. Zu den wenigen gehört Franz Xaver Ritter von Epp, der als Offizier im Herero-Krieg kämpfte und im »Dritten Reich« zum Leiter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP aufstieg. Allerdings gehörte er – wie auch alle anderen nicht zu den wirklich einflussreichen Entscheidungsträgern im »Drit- ten Reich«. Ähnlich verhält es sich mit der institutionellen Kontinuität. Universi-

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täten und militärische Lehranstalten sollen die zentralen Rezeptionskanäle kolo- nialer Einstellungen gewesen sein. Doch besonders im Fall der militärischen Lehranstalten muss Zimmerer eingestehen, dass er die Verarbeitung und Weiter- gabe taktischer Erfahrungen aus den Kolonialkriegen nur vermuten, aber nicht be- weisen kann. Das gilt ebenso für die »kollektive Imagination«, also die Propagie- rung kolonialen Gedankenguts durch Denkmäler, Schulunterricht, Filme, Vorträge, Ausstellungen und die zahlreich erschienene Kolonialliteratur.

Im Laufe der Jahre hat Zimmerer seinen zunächst noch mit großer Vehemenz vorgetragenen Standpunkt etwas revidiert, was gut nachzuverfolgen ist, wenn man die Aufsätze chronologisch liest. Die pointierte Zuspitzung »Von Windhuk nach Auschwitz« ist mittlerweile von ihm mit einem Fragezeichen versehen worden.

2004 war er sich noch sicher: »Es gab keine Einbahnstraße von Südwest in die be- setzten Ostgebiete, von Windhuk aus betrachtet, war das Dritte Reich keineswegs die notwendige Folge, aber um im Bild zu bleiben, von den zahlreichen Zubrin- gerstraßen, aus denen die verbrecherische Politik des Nationalsozialismus gespeist wurde, begann eine in den Kolonien, und das war nicht die unwichtigste« (S. 252).

Fünf Jahre später formulierte Zimmerer schon deutlich zurückhaltender: »Es gibt einen Weg, der Windhuk oder den Waterberg mit Auschwitz verbindet, aber zum einen begann er nicht im namibischen Hochland, und zum anderen war es auch nicht der einzige mögliche Weg. Natürlich spielen andere Traditionsstränge eine ebenso, teilweise sogar größere Rolle für die Ingangsetzung, die Form und die Legi- timation der Verbrechen des Nationalsozialismus, allen voran der Antisemitismus, der Antibolschewismus und der Antislawismus [...] Das anzuerkennen bedeutet jedoch nicht, dass es nicht auch eine koloniale Beziehungsgeschichte gibt« (S. 23).

In seinem Vorwort hat Zimmerer die Herausgabe des Sammelbandes vor allem damit begründet, seine Argumentationen gebündelt vorlegen zu wollen. Ob da- für wirklich eine Notwendigkeit bestand, erscheint nach der Lektüre aller Beiträge eher fraglich. Zwar setzt der Autor in seinen Aufsätzen jedes Mal einen anderen Schwerpunkt, zum Beleg seiner Kernthese führt er jedoch immer wieder die glei- chen Argumente an, wobei nicht selten ganze Passagen aus früheren Artikeln wort- wörtlich übernommen oder nur geringfügig umformuliert wurden. Auch viele der als Beleg angeführten Zitate tauchen mehrfach auf. Ein Auszug aus dem Brief eines 1941 an der Ostfront eingesetzten deutschen Soldaten – um nur ein Beispiel zu nen- nen – findet sich wortgleich in fünf der zwölf Beiträge (S. 31, 137, 151, 209 und S. 266). Obwohl Zimmerer im Vorwort mögliche Redundanzen angekündigt hat, sind die zahlreichen Wiederholungen für den Leser auf Dauer ziemlich ermüdend.

Interessanter wäre der Sammelband hingegen geworden, wenn der Autor nach weiteren Belegen gesucht und so seine These auf eine breitere Basis gestellt hätte.

In der vorliegenden Form ist das Buch wohl nur etwas für den Spezialisten.

Thomas Morlang

Jüdische Soldaten – Jüdischer Widerstand in Deutschland und Frankreich. Hrsg.

von Michael Berger und Gideon Römer-Hillebrecht, Paderborn [u.a.]: Schö- ningh 2012, 572 S., EUR 49,90 [ISBN 978-3-506-77177-3]

Dass sie sich wie Schafe hätten zur Schlachtbank führen lassen, wird den jüdischen Opfern des nationalsozialistischen Völkermordes nachgesagt – und vielfach als Vorwurf der Mitschuld verstanden, die Verantwortung der Täter relativierend. So

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erhoben es Zeugen wie der kürzlich verstorbene Historiker Arno Lustiger zu ih- rer Lebensaufgabe, dem jüdischen Kampf und Widerstand Gesicht und Stimme zu geben. Die israelische Staatsdoktrin knüpft an der Tradition des wehrhaften Ju- den an. Der vorliegende Sammelband, von zwei im Vorstand des Bundes jüdischer Soldaten engagierten Bundeswehroffizieren herausgegeben, will dem kollektiven Stigma eines selbst gewählten Opferschicksals ebenfalls mit der historischen Wahr- heit begegnen. Mit Deutschland und Frankreich betrachtet die Studie zwei Nachbar- staaten, die im Umgang mit der jüdischen Minderheit grundverschiedene Wege gin- gen, in denen sich ihr Verhältnis zu Aufklärung, Moderne und Bürgerrecht spiegelt.

In breiter Streuung von Einzelthemen und Methoden behandelt der Band das Geschick jüdischer Soldaten und Widerstandskämpfer seit der Wende zum 19. Jahr- hundert, wobei sich im Militär als dem Inbegriff staatlicher Macht die Haltung eines Landes zu den Juden fokussierte. Während Preußen, in einem auf »Blut« und Herkunft beruhenden Gemeinschaftsideal verhaftet, bis in den Ersten Weltkrieg hinein jüdische Untertanen von der Offizierlaufbahn ausschloss und jüdische Sol- daten vielfältig diskriminierte, besaßen in Frankreich die Juden seit der Revolu- tion prinzipiell egalitäre Rechte, Pflichten und Aufstiegschancen. Dass es sich hier um ein Erfolgsmodell ohne aufs Konkrete anwendbare Erfolgsgarantie handelte, wird in dem Beitrag der jungen Politikwissenschaftlerin Anne Külow klar heraus- gearbeitet. Die 1894 in Frankreich ausgelöste Affäre um Verratsvorwürfe gegen den jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus verkörpert die Fragilität aufklärerisch- humanistischer Errungenschaften, zumal diese auf über Jahrhunderte mit Ressen- timent kontaminiertem Boden wachsen mussten. Die Dreyfus-Affäre wurde zum Anstoß für die zionistische Bewegung, die jüdische Gleichberechtigung nicht mehr innerhalb der europäischen Staaten, sondern in einem eigenen jüdischen National- staat erstrebte.

Populäre Vorurteile hatten sich lange auf die Frage der Eignung von Juden für den Militärdienst zugespitzt, wurden dem »Händlervolk« doch die erforderlichen Tugenden – Mut, Tapferkeit, Hingabebereitschaft – stereotyp abgesprochen. An persönlichen Zeugnissen wird anschaulich, welch mehrfachem Druck jüdische Sol- daten im Ersten Weltkrieg standhalten mussten: Der Belastung durch Ausbildung und Feindberührung, zugleich aber auch der Missgunst nichtjüdischer Kameraden und Vorgesetzter. Jüdische Soldaten im deutschen Heer brachte der Krieg gegen Frankreich in einen besonderen Gewissenskonflikt, da sie sich bewusst waren, ein Land zu bekämpfen, das ihren jüdischen Geschwistern ungleich mehr Anerken- nung gewährte als das wilhelminische Deutschland.

Die Beiträge sind weit gefächert und können hier nur exemplarisch genannt werden: Thorsten Loch porträtiert einen Eifeler Landjuden als Soldaten der napo- leonischen Armee. Michal Grünwald analysiert die diffamierende »Judenzählung«

im deutschen Heer von 1916, Stefan Braun eröffnet einen wichtigen Seitenblick auf jüdische Widerstandsakte im besetzten Polen seit 1939. Den in Auschwitz ermor- deten Frontsoldaten Alwin Lippmann, der noch auf der Deportation sein Offizier- ethos bewahrte, würdigt Michael Berger als Beispiel tragisch verweigerter Teilhabe eines deutschen Juden am Ergehen seiner Nation. Den Blick auf die jüngste Zeit- geschichte richtet Thomas Elßner, indem er die Berichte des Wehrbeauftragten der Bundeswehr auf antijüdische Vorkommnisse durchkämmt. Dass die Bundeswehr – kaum mehr Inbegriff der Staatsmacht, doch Spiegel unserer Gesellschaft – von nicht vergangener Vergangenheit immer wieder eingeholt wird, verdeutlicht dies ebenso wie den Willen der Verantwortlichen, Untragbares zu ahnden.

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Ein lohnender Zusatzaspekt wäre sicherlich die Untersuchung der Frage, wie in der europäischen, insbesondere deutschen Wahrnehmung des israelischen Mili- tärs alte Ressentiments gegen jüdische Soldaten nachwirken. Mitherausgeber Gideon Römer-Hillebrecht hebt zwar zu Recht hervor, dass alle jüdischen Kämpfer gegen das NS-Regime – von den Partisanen und Spanienkämpfern über Aufstän- dische in Ghetto und KZ bis zu den jüdischen Soldaten regulärer alliierter Armeen – einen jüdischen »Erinnerungsraum« bildeten, der »wie das jüdische Volksver- ständnis ohne Territorium auskommt, den Kampf um die Durchsetzung der ethischen Werte der Thora betont und alle ›Gerechten der Völker‹ einschließt«. Je- doch gilt ebenso, dass das jüdische Volk seit 1948 im Staat Israel einen territorialen Schutzraum gegen antisemitische Verfolgung besitzt, durch den die Lebensquali- tät auch der Diasporajuden sich entscheidend verändert hat. Vor dem Hintergrund des in dem Sammelband Erarbeiteten gibt das bei uns vorherrschende Bild der israelischen Armee allerhand preis. Offenkundig ist, nachdem Israel sich als mili- tärisch unbestreitbar tüchtig erwies, das überkommene Vorurteil des jüdischen Mangels an soldatischer Tugend umgeschlagen in eine stereotype Zuschreibung des militaristischen Exzesses, die wenig über die Realität des Nahen Ostens, aber sehr viel über bei uns herrschende Wahrnehmungstraditionen aussagt.

Der Sammelband präsentiert viele kaum bekannte Tatsachen und Zusammen- hänge. Er mahnt Bundeswehr und Politik, dieses Kapitel in Traditionspflege und politischer Bildung zu beachten.

Klaus Beckmann

Vom Amazonas an die Ostfront. Der Expeditionsreisende und Geograph Otto Schulz-Kampfhenkel (1910–1989). Hrsg. von Sören Flachowsky und Holger Stoecker, Köln [u.a.]: Böhlau 2011, 394 S., EUR 44,90 [ISBN 978-3-412-20765-6]

Die Spektakelpresse und »Knoop-TV« zeigen es immer mal wieder: Keine ge- schichtliche Epoche eignet sich mehr zur Sensationshasche als die Zeit des Natio- nalsozialismus. Da kann es dann schon einmal passieren, dass ein junger Abenteu- rer, der den Beginn seiner eigentümlichen Karriere im südamerikanischen Regenwald nimmt, zum Nazi-Eroberer von Guyana aufsteigt. Mag da was dran sein oder eben auch nicht: Sensationelle Meldungen in »Bild«, »Spiegel« und ZDF nehmen die Herausgeber des vorzustellenden Buches zum Aufhänger einer bio- grafischen Annäherung an den Geografen, Naturforscher, Dokumentarfilmer und Publizisten Otto Schulz-Kampfhenkel. Schon als Doktorand leitete dieser zwischen 1935 und 1937 eine Amazonasexpedition, die er anschließend gekonnt als Kinodo- kumentation »Rätsel der Urwaldhölle«, in illustrierten Artikeln und als Buch er- folgreich vermarktete. Dabei vermarktete er ganz wesentlich auch sich selbst. Al- lerdings, von einer militärischen Option auf ein deutsches Guyana kann keine Rede sein. Was Schulz-Kampfhenkel während seiner Reisen sammelte, befindet sich heute im Völkerkunde- und im Naturkundemuseum in Berlin, seine Filme kennt niemand mehr, seine Bücher dürften noch im einen oder anderen Regal einstau- ben. Trotzdem lohnt sich der Blick auf diesen eigentlich nur Spezialisten bekannten Forschungsreisenden, dessen Wirken während des Zweiten Weltkriegs durchaus auch eine militärische Komponente hatte, wenn auch nicht die für Südamerika be- hauptete.

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Das Wirken dieses zwischen wissenschaftlichen, militärischen und publizisti- schen Ambitionen schwebenden Mannes untersuchen auf breitester Quellenbasis zehn Autoren aus Deutschland, den Niederlanden und den USA. Sie entstammen unterschiedlichen Disziplinen, was dem Untersuchungsgegenstand nur zu ange- messen ist. So entsteht zwar keine geschlossene Biografie, wie man sie von einem einzelnen Autor erhalten hätte. In neun auch unabhängig voneinander zu lesenden Einzelstudien werfen die Autoren ihren jeweils eigenständigen Blick auf Schulz- Kampfhenkel. Es kommt infolge dieser arbeitsteiligen Herangehensweise hier und da auch zu Redundanzen. Dafür entschädigt aber ein facettenreiches Porträt, das Schulz-Kampfhenkels vielgestaltigem Leben und Wirken aus unterschiedlichen Perspektiven gerecht zu werden sucht. Einige (auch farbige) Abbildungen illus- trieren dies zusätzlich.

Otto Schulz, der sich den markanten Doppelnamen später vom Geburtsnamen seiner Mutter auslieh, wurde 1910 geboren. Er gehört damit in die Sozialisations- kohorte jener »Unbedingten«, wie sie Michael Wildt beschrieb, die sich früh völ- kisch radikalisierten, die akademisch ausgebildet waren und ihr Expertentum und ihr Organisationstalent in den Dienst der Ideologie der Nationalsozialisten, ihrer Politik und der militärischen Expansion stellten. Schulz-Kampfhenkel studierte seit 1929 Zoologie, Geologie und Philosophie. Schon im Jahr darauf unternahm er auf eigene Faust eine erste Reise nach Nordafrika. Hier spielten noch zoologische Sammlungsinteressen die Hauptrolle. Eine weitere Reise im Jahr 1931 nach Libe- ria war bereits mit offiziellen Sammlungsaufträgen des Berliner Zoos ausgestattet.

Jetzt vermarktete der junge Forscher die Reise schon in einem Buch, ein projek- tierter Film kam aber nicht zustande. Das Missverhältnis zwischen wissenschaft- lichem Ertrag und Selbstinszenierung als forschender Einzelkämpfer wird bereits hier deutlich. Immerhin scheint er sich zu Größerem empfohlen zu haben. Als 25- jähriger Jungakademiker leitete er eine mehrjährige Expedition am Amazonas und besonders am Oberlauf des Jari. Es war diese Reise und ihre multimediale Aus- schlachtung, die seinen Ruf begründete, und die ihm Sprungbrett für die Karriere im NS-Wissenschaftssystem und in militärischen Verwendungen wurde.

Im Frühjahr 1942 leitete Schulz-Kampfhenkel eine Forschungsgruppe des »Son- derkommandos Dora«, eine Spezialeinheit des Amts Ausland/Abwehr des Ober- kommandos der Wehrmacht. Die geheimen Erkundungen dienten neuer Karto- grafiemethoden und sollten zu neuartigem militärischen Kartenmaterial verhelfen.

Mit seiner Ernennung zum »Beauftragten für Sonderfragen der erdkundlichen For- schung« im Reichsforschungsrat hatte Schulz-Kampfhenkel im Mai 1943 den Höhe- punkt seiner Karriere erklommen. Im Amt Ausland/Abwehr übernahm er zugleich die Leitung der militärischen »Forschungsstaffel z.b.V.« Der akademische Außen- seiter koordinierte nun die geografische Hochschulforschung und bestimmte mit über den Einsatz von Forschungskommandos im besetzten Europa, insbesondere in der Sowjetunion. Die Erkundungsarbeit im frontnahen Bereich korrespondierte mit der Arbeit an militärischen Karten in den Hochschulen. Die enge Verzahnung von wissenschaftlicher Geografie und Militär zeigt sich hier exemplarisch in Schulz- Kampfhenkels Person. Im Sammelband wird das außerdem am Beispiel einer in Südosteuropa operierenden Forschungsstaffel und ihrer Mitarbeiter deutlich ge- macht.

Das Kriegsende bedeutete einen tiefen Einschnitt im Lebensweg des Otto Schulz-Kampfhenkel. Die von ihm geführte Forschungsstaffel galt den westlichen Geheimdiensten als interessantes Aufklärungsziel. Eine Zeit lang konnten die Be-

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teiligten sich bedeckt halten, hofften darauf, ihre Arbeitswerkzeuge, Materialien, Unterlagen für später versteckt halten zu können, wurden zuletzt aber doch auf- gespürt, interniert und verhört. Ihre Expertise diente nun den Briten und Ameri- kanern im Kalten Krieg. Für viele der Mitarbeiter der Forschungsstaffel war die- ser Übertritt zugleich der Eintritt in eine Karriere in der Hochschullandschaft der Bundesrepublik.

Nicht so für Schulz-Kampfhenkel, der den Hochschulgeografen fortan als Sün- denbock diente. Er fand nach schwierigen Anfangsjahren, einer Neuauflage des Amazonasbuches, Reisen in den arabischen Raum und neuen auf ein jugendliches Publikum zugeschnittenen Dokumentarfilmen ein neues Betätigungsfeld als »Ju- gendfilmschöpfer«. 1962 gründete er das »Institut für Weltkunde in Bildung und Forschung«, eine gemeinnützige Gesellschaft zur Produktion und Verbreitung von kurzen Lehrfilmen, die in Schulen, Universitäten, der Jugend- und Erwachsenen- arbeit ihren Einsatz fanden.

Die gemeinsame Anstrengung des Autorenkollektivs hat sich rundum gelohnt.

Die Verfasser entwerfen das Lebensbild nicht nur eines Selbstinszenierers und Op- portunisten, sondern auch eines Mannes, der kreativ mit den medialen Möglich- keiten seiner Zeit umging, der – gleichgültig was sein Selbstbild war – an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Vermarktung seinen Platz suchte, was ihn für Politik und zeitweise für das Militär gleichermaßen interessant erscheinen ließ.

Martin Kröger

Welt|Kriegs|Shooter. Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien?

Hrsg. von Daniel Appel [u.a.], Boizenburg: Hülsbusch 2012, 230 S., EUR 28,50 [ISBN 978-3-86488-010-0]

Neil Thomas, Wargaming: 19th Century Europe 1815–1878, Barnsley: Pen &

Sword 2012, XIII, 193 S., ₤ 19.99 [ISBN 978-1-84884-629-6]

»Krieg als Spiel – Spiel als Krieg« bilden die Begriffspaare, welche die hier zu re- zensierenden Bände miteinander verbinden und gleichzeitig einen inhaltlichen Be- zug zur Militärgeschichte erwarten lassen. Während »Wargaming« mit seinem Titel und einem opulenten Schutzumschlag, der mit einem farbenfrohen Auszug einer mit Spielzeugfigurinen nachempfundenen Schlacht des 19. Jahrhunderts aufwar- tet, weckt »Welt|Kriegs|Shooter« mit seinem Untertitel »Computerspiele als realis- tische Erinnerungsmedien« die Neugierde des Historikers. Was erwartet aber den (militär)historischen Fachleser bei diesen Studien, die sich jenseits der geschichts- wissenschaftlichen Disziplingrenzen bewegen?

»Welt|Kriegs|Shooter« ist eines der jüngsten Werke der Reihe »Game Studies«

des Boitzenburger Medienverlages Werner Hülsbusch. Vorwort und Einleitung lo- cken – gerade den Medienhistoriker – mit vordergründig frechen und anregenden Thesen. Doch auf den zweiten Blick verschwinden sie hinter Wort- und Satzunge- tümen, die ein allzu unverhohlenes Bemühen um Wissenschaftlichkeit erahnen lassen. So sei die vorliegende Textsammlung »in toto als Bild von vernetzten Kom- munikationssplittern einer historisch-reflektierten Medienanalyse zu begreifen, die die technischen Voraussetzungen der Hybridisierung digitaler Bilderwelten mit einer ausgewählten Untersuchung ihrer ästhetischen Implikationen verbindet,

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um so die Digitalisierung der Bildproduktion als historisierende Form kulturellen Wissens kategorial einzuholen – ohne sie in ihren gefundenen Begrifflichkeiten, im Sinne Adornos, gewaltsam fest- oder stillzulegen« (S. 16). Vor diesem Hinter- grund soll das zu rezensierende Buch ein forschungspolitisches Plädoyer »für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geschichts- und Medienwissenschaft«

sein (S. 16). Diesem hehren Ansatz – dies sei gesagt – werden die Herausgeber we- der in der Anlage der »Textsammlung« noch die einzelnen Beiträger gerecht.

Der Band umfasst mit »Feldpost aus dem digitalen Krieg« und »Ansichten aus dem Meta-Museum« zwei Abschnitte, die insgesamt zwölf Beiträge enthalten. Al- lein Ricarda Teschs Beitrag »Gefälschte Geschichte?« sticht dabei dem Historiker ins Auge, scheint er doch die Frage nach der Geschichtsvermittlung im Computerspiel zum Gegenstand zu haben. Doch fragt sich der Rezensent nach der Lektüre, wie die eingangs postulierte Interdisziplinarität umgesetzt ist und wo der Erkenntnis- gewinn für die Geschichtswissenschaften liegen soll? Vielleicht in dem Fazit, dass es den Designern eines Shooters gelungen sei, »eine Handvoll Geschichte zu neh- men und sie so geschickt zu bearbeiten, dass man kaum erkennt, dass Manipula- tion im Spiel ist, wenn man nicht genau hinsieht. Wer möchte sich auch schon den Kopf über den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion zerbrechen, wenn er auch einfach das Spiel genießen kann?« (S. 103).

Diese Einschätzung ist im Hinblick auf den Mehrwert für den Historiker im wahrsten Sinne Programm. Der Band handelt offensichtlich vom Zusammenspiel historischer Fakten und deren digitaler und spieletechnischer Umsetzung in einem modernen Medium. Es geht um die Projektion von Authentizität und das sich hieraus ergebende Problem einer »wahren« Geschichtsvermittlung vor der Folie kommerzieller Computerspiele. Man hätte den Herausgebern gewünscht, dass sie diese Problematik nicht als eine neue Erkenntnis preisen und in ein wissenschafts- politisches Plädoyer ohne Fundament gegossen hätten, sondern vielmehr den nahe- liegenden Vergleich zur Fiktion in der (Anti-)Kriegsliteratur oder noch nahelie- gender, den Weltkriegsshooter mit dem Kriegsspiel der Frühen Neuzeit oder des 19. und 20. Jahrhunderts verglichen hätten. Hieran hätten sich – und das wahrlich interdisziplinär – Kontinuitäten in der Problemstellung aufzeigen lassen, die in der Natur des Spiels vom Kriege liegen, nämlich immer an der möglichen Authen- tizität der kriegerischen Realität zu scheitern.

Es genügt nicht, sich einem historisierten und medial gebrochenen Ereignis zu- zuwenden, ohne sich dabei auch den – und das fordert die Interdisziplinarität na- hezu – Fragestellungen des jeweils anderen Faches zu öffnen, sie zu reflektieren und sie im Sinne von These, Antithese und Synthese einer den Horizont erweitern- den Erkenntnis zuzuführen. Es genügt ferner nicht die Binsenweisheit, »dass un- ser Wissen von der Vergangenheit eine Frage der medialen Vermittlung« sei und die gezogene Folgerung, Weltkriegsshooter somit als Medium der Geschichte zu begreifen (S. 16), in den Raum zu stellen. Hieran bricht sich auch die formulierte Leitfrage: Wie kann der Zweite Weltkrieg »authentisch« (S. 7) dargestellt werden,

»obwohl ein Spiel in erster Linie Unterhaltung bieten soll«. Handelt es sich also um eine medien- und geschichtswissenschaftliche Analyse eines jungen, die Ge- schichte vermittelnden Mediums oder um die Frage, wie die Spieleindustrie ein absatzstarkes digitales »Game« in der Nachfolge des »analogen« Brettspiels

»Risiko« konstruiert?

Auch wenn sich dem fachfremd urteilenden Rezensenten nicht immer alle Fra- gestellungen und Argumente erschließen, muss er kritisch gegenüber sich selbst

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anmerken: Das vorliegende Buch entstammt nicht dem geschichtswissenschaft- lichen Fach und überschreitet in Hinblick auf die medienwissenschaftlichen As- pekte durchaus seinen Horizont. Allein, dem Historiker kann dieses Buch nicht zur intensiven Lektüre empfohlen werden, was seinen vermutlichen Wert für die Medien- oder Computerspielewissenschaft nicht schmälern soll.

Während sich »Welt|Kriegs|Shooter« als medienwissenschaftlich und interdis- ziplinär angelegte Analyse versteht, ist der Ansatz von »Wargaming« um einiges schlichter, nämlich eine Spieleanleitung sein zu wollen für ein im angelsächsischen Raum weit verbreitetes Hobby: War Gaming, dem Deutschen Strategiespiel nicht unähnlich. Damit ist dieses Buch – auch dies sei gesagt – keine historische Fach- lektüre. »Wargaming« wendet sich wie »Welt|Kriegs|Shooter« der spielerischen wie medialen Umsetzung militärhistorischer Ereignisse zu, ohne sich jedoch da- bei wie dieses einen wissenschaftlichen Anstrich geben zu müssen. Dies macht

»Wargaming« um einiges authentischer und in seiner wirklich gelungenen Auf- machung und verblüffend reichen Ausstattung wohlgefälliger.

Der Band wartet mit überraschend treffsicheren historischen und gerade mili- tärhistorischen Einführungen auf, die manchem Lehrbuch in Prägnanz und Ver- ständlichkeit gut zu Gesicht stünden. Neben Schilderungen über »Warfare«, »War- gaming« und »Wargaming Rules« für das 19. Jahrhundert – ich konnte meine anfängliche Überraschung kaum verbergen als ich feststellte, es handelte sich tat- sächlich um eine gehobene Spieleanleitung für ein komplexes Strategiespiel – wer- den zehn Schlachten des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Ob die Schlacht von Alegria (1834) oder Nachod (1866) bis hin zu Sedan (1870), es sind die großen Schlachten des 19. Jahrhunderts vertreten. Jede Schlacht, die mit eigenen Figurinen – es gibt mehrere Produzenten, die für jeden Geldbeutel Kavallerie, Infanterie oder Artille- rie herstellen –, nach detaillierten Spielregeln rundenweise durchgespielt werden kann, wird in ihren historisch konzisen Kontext gestellt. Der Rest ist und bleibt Spiel: so kann die Schlacht von Sedan dann würfelspielenderweise zugunsten der Franzosen ausgehen, wenn es dem Spieler gelingt, vor Ablauf der 15 Spielrunden vier Einheiten aus der Umfassung bei Sedan herauszuführen. Der preußischen Ge- genseite hingegen muss es gelingen, Floing, Illy, Givonne und Balan zu nehmen, ohne dass es dem anderen Spieler gelungen wäre, mit eben jenen vier Einheiten aus der Umfassung auszubrechen. Erfüllen beide Seiten ihren Auftrag nicht, en- det das Spiel unentschieden.

»Wargaming« spielt mit Geschichte, wie die digitalen Weltkriegsshooter. Hüben wie drüben erfüllen Vergangenheit wie Geschichtswissenschaft eine Funktion in der Spiele- und Unterhaltungsindustrie, beides ist nicht überraschend. Während

»Welt|Kriegs|Shooter« seiner Leidenschaft einen (pseudo)wissenschaftlichen An- strich verpasst, gießt »Wargaming« seine Passion für die Militärgeschichte des 19. Jahrhunderts in Form einer exquisiten Spieleanleitung. Da beide zu rezensieren- den Titel außerhalb der Grenzen der Geschichtswissenschaft firmieren und sich dem Spiel zuwenden, sollte das Fazit im Sinne einer Spieleempfehlung ausgespro- chen werden: Der Rezensent muss bekennen, sich lieber dem »Wargaming« als dem »Welt|Kriegs|Shooter« zuwenden zu wollen, nicht zuletzt weil jenes deut- lich authentischer wirkt, als eine sich zwischen soziologischem Sprachwulst und trister Sprachbanalität windenden Belanglosigkeit. Zudem verlockt die Aussicht auf ein wirklich gutes Spiel zu sehr das Kind im Manne.

Thorsten Loch

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William T. Cavanaugh, The Myth of Religious Violence. Secular Ideology and the Roots of Modern Conflict, Oxford: Oxford University Press 2009, IX, 285 S., £ 32.50 [ISBN 978-0-19-538504-5]

Islamistischer Terror scheint eine Realität der modernen Weltgesellschaft zu blei- ben. Nur wenige Spezialisten verweisen darauf, dass die Bindung der »islamischen«

Täter an den Mainstream ihrer Religion eher schwach ausgeprägt ist, und warnen davor, Islamismus als integralen Bestandteil islamischen religiösen Lebens miss- zuverstehen. Die traditionellen Religionsgegner nutzen derweil die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass Religion immer schon Gewaltbereitschaft gefördert habe:

die blutigen Landnahmen des Volkes Israel, die Kreuzzüge, und nun eben islamis- tischer Terror stehen da in einer klaren Traditionslinie.

Ist es so einfach? Der amerikanische Theologe William T. Cavanaugh spürt in seinem Buch dieser Frage nach, und zuallererst muss man ihm zugute halten: Ein- fach hat er es sich nicht gemacht. Cavanaugh geht in mehreren Schritten vor. Zu- nächst fragt er, ob es überhaupt eine eindeutige Definition dessen gibt, was »Reli- gion« ist oder bezeichnet. Immerhin umfasst der Begriff im landläufigen Gebrauch sowohl Strukturen von Glaubensaussagen wie auch eine Sammlung von Riten und Praktiken oder soziale Gruppierungen. Kenntnisreich führt Cavanaugh, eher phi- losophisch als theologisch argumentierend, durch die verschiedenen Schulen und zerpflückt sie allesamt. Wer »Religion« unterstellt, Gewalt zu fördern, und sie da- mit dem »Staat« gegenüberstellt (der implicite friedlich handelt), dabei aber mit einer Definition von »Religion« argumentiert, die genauso gut auf den Staat pas- sen könnte, der findet hier keine Gnade. Und ist der Nationalstaat des 19. Jahrhun- derts nicht ohnehin häufig in der Gefahr gewesen, religiös überhöht zu werden?

Cavanaugh führt vor, dass die Trennung zwischen Religion und Staat eine Er- findung der Frühen Neuzeit ist. Auch konzeptionell lässt sich eine solche Tren- nung vor etwa 1500 nicht sinnvoll begründen. Cavanaughs These: Damit ist auch die Behauptung, Religion sei die wesentlichste Ursache von Gewalt, ihrerseits his- torisch bedingt und nur in ihrem jeweiligen geschichtlichen Umfeld verständ- lich.

Danach nimmt er sich die Annahme vor, es habe ein richtiggehendes Zeitalter der Religionskriege gegeben: die blutigen Kämpfe Frankreichs gegen seine Huge- notten, der Englische Bürgerkrieg, und natürlich vor allem der Dreißigjährige Krieg. Die Kreuzzüge lässt Cavanaugh interessanterweise aus, wohl weil es ihm um eine aktive Auseinandersetzung mit den Gründungsmythen des liberalen Na- tionalstaates geht. Cavanaugh betrachtet zunächst die historischen Sachverhalte und kommt zu dem – für den Fachwissenschaftler nicht gerade neuen – Schluss, dass alle diese Kriege, und vor allem jenes Konfliktbündel, das als »Dreißigjäh- riger Krieg« bekannt geworden ist, aus einer Kombination politischer, wirtschaft- licher und religiöser Motive entstanden sind. Nur so lässt sich erklären, dass zwi- schen 1618 und 1648 nicht nur Katholiken Protestanten bekämpften (und umgekehrt), sondern dass auch Katholiken gegen ihresgleichen, und Protestanten gegen ihre Glaubensbrüder Krieg führten.

Warum aber ist dieser Mythos eines Zeitalters der Religionskriege entstanden, und wer hat von diesem Mythos profitiert? Cavanaugh führt die großen liberalen Staatstheoretiker des 18. Jahrhunderts auf, bis hin zu den Gründervätern der Ver- einigten Staaten von Amerika, die allesamt davon ausgehen, dass der liberale Staat mit der klaren Trennung zwischen ihm und den Kirchen das einzige Mittel war,

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mit dem sich die religiös motivierte Gewalt eindämmen ließ. Bis in das 20. Jahr- hundert hinein begründet der amerikanische Supreme Court diese strikte Tren- nung mit der Notwendigkeit, interreligiöse Gewalt zu vermeiden.

Cavanaugh geht aber einen Schritt weiter. Speziell auf die USA bezogen, de- monstriert er mit vielfachen Beispielen, wie der liberale Staat seinerseits religiösen Charakter annimmt. Die Verehrung der »stars and stripes« etwa fällt für ihn in diese Kategorie: Derselbe Staat, der das Aufhängen von religiösen Symbolen in Schulen verbietet, verlangt allen Kindern in staatlichen Schulen eine quasi-religiöse Verehrung seiner eigenen Symbole ab.

Eine solche Grundlinie lässt sich, so Cavanaugh, dann flugs politisch instru- mentalisieren. Warum sind die USA in Afghanistan? Al Qaida argumentierte, man müsse gegen die USA kämpfen, weil sie korrupte Systeme im Mittleren Osten un- terstützen und weil sie Truppen rund um die Heiligen Städte stationiert haben.

Wenn es dem säkularen Diskurs gelingt, die Gewalt von Al Qaida als religiös moti- viert, damit quasi irrational und anachronistisch abzuqualifizieren, dann erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den wirklich politischen Fragen, etwa nach den politischen oder wirtschaftlichen Zielen amerikanischer Politik.

Genüsslich zerpflückt Cavanaugh die Argumentationen von Charles Kimball, Sam Harris oder Paul Berman, die im Namen des »rationalen« Liberalismus zu einem neuen Kreuzzug gegen den »irrationalistischen« Islam aufrufen, und zeigt anhand des Sprachgebrauchs solcher Autoren, wie sehr sie in ihrem Denken ihrer antireligiösen Grundeinstellung eine quasi-religiöse Rolle beilegen. Dabei wissen sie alle Pazifisten auf ihrer Seite, gleich welcher Herkunft. Cavanaugh zitiert Chris- topher Hitchens mit dem Satz »In no real as opposed to nominal sense, was he [Martin Luther King Jr.] a Christian.« – Dagegen wird Saddam Hussein, der Chef der säkularen, von den Islamisten bekämpften Ba’ath-Partei, bei demselben Autor unter der Hand zu einer der führenden Figuren des Islam – spätestens da, wo Hitchens die Tötung von Taliban mittels Streubomben als »herzerfrischend (hearten- ing)« bezeichnet, weil diese religiös sind, ist die Umkehrung der Werte vollkom- men.Cavanaugh spricht die Religionen (vor allem die christlichen) durchaus nicht von einer Verantwortung für Gewalt und Krieg frei. Er gibt auch keineswegs vor, mit diesem Buch die Diskussion abschließen zu wollen. Im Gegenteil: Er eröffnet sie eigentlich erst (hoffentlich). Er hinterfragt eine Prämisse westlichen Denkens, die bisher unhinterfragt gegolten hat, und das ist ein erhebliches Verdienst.

Dies ist – vor allem gegen Ende – ein sehr amerikanisches Buch, mit einer sehr präzisen Anfrage an die gegenwärtige US-Politik. Aber es ist zugleich – insbeson- dere in seinen ersten Teilen – ein sehr grundsätzliches Buch, das mehr Fragen auf- wirft als beantwortet, das aber auch den Historiker und Militärhistoriker auffor- dert, seinen eigenen Bezugsrahmen noch einmal zu überdenken.

Winfried Heinemann

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Anna Just, Die Entwicklung des deutschen Militärwortschatzes in der späten frühneuhochdeutschen Zeit (1500–1648), Frankfurt a.M. [u.a.]: Lang 2012, 320 S. (= Schriften zur diachronen und synchronen Linguistik, 3), EUR 57,80 [ISBN 978-3-631-61984-1]

Um es gleich vorwegzunehmen: Die vorliegende Monografie von Anna Just über die Entwicklung der deutschen Militärterminologie vor allem im Konfessionellen Zeitalter brilliert durch lateinische Klarheit. Um das Entstehen des wichtigen Werkes editorisch nachzuvollziehen, seien einige Bemerkungen vorangestellt. Im Jahre 1890 stellte das in Leipzig bei »Seemann« erschienene »Handbuch der Waf- fenkunde« von Wendelin Boeheim eine kleine Revolution in der Fachliteratur des militärischen »Wissenszweiges« dar. »Schreckte« doch zuvor, so schreibt Boeheim in seinem Vorwort zu dem vortrefflichen Kompendium der Waffenkunde, die

»deutsche Gründlichkeit [...] offenbar vor den Schwierigkeiten der Aufgabe zu- rück, die nur bei vollkommener Beherrschung des ausgedehnten Stoffes in befrie- digender Weise zu lösen war«. Boeheims »Handbuch der Waffenkunde« beschrieb

»das Waffenwesen in seiner historischen Entwicklung vom Beginn des Mittelalters bis zum Ende des 18. Jahrhunderts«. Mit berücksichtigt hatte er in seinem Standard- werk auch »die hervorragendsten Waffensammlungen« sowie die europäischen und außereuropäischen »Beschau- und Meisterzeichen«. Im 16. Jahrhundert etwa fertigte ein berühmter Büchsenmacher aus Nürnberg seine Werkstücke mit dem Zeichen der Traube an.

Neben der Waffenkunde gehorchte auch der deutsche Militärwortschatz einer ureigenen Grammatik. Dennoch ist die »Militärsprache« seitens der historischen Sprachwissenschaften erst spät zu einem wichtigen und gleichsam unerlässlichen Desiderat der Sprachforschung erklärt worden. Die deutsche »Militärfachsprache«

hat sich seit dem Spätmittelalter im deutschsprachigen Raum entwickelt. Am Ende der sprachlichen Verfertigung der deutschen Militärtechnologie seit dem Zeitalter der Reichsreform (seit 1495) steht im 17. Jahrhundert die »Französirung unserer Kriegskunstsprache«. Während in fortwährenden Friedenszeiten wie etwa in der langen Regierungszeit Friedrichs III. von Habsburg (1440–1493) die Militärtermi- nologie vornehmlich in den Söldnerheeren gepflegt wurde, entwickelte sich die Militärfachsprache seit dem Wormser Reichstag (1495) und der damit einherge- henden Aufhebung des Fehderechts wie den damit erforderlichen organisato- rischen Maßnahmen zur Verteidigung im deutschsprachigen Raum zu einem all- gemeinsprachlichen Phänomen. Doch ging nicht nur französische Sprache in der deutschen auf, sondern auch das Deutsche wollte in der französischen Militärspra- che aufscheinen: In der Zeit der Hugenottenkriege (1562–1629) ließen die protes- tantischen deutschen Fürsten den Calvinisten die gefürchteten »reîtres« (Reiter- söldner) zu Hilfe eilen, die mit dem in Lyon zu Münzen umgegossenen Kultgerät entlohnt wurden.

Die komplexen Begrifflichkeiten des auf weitem Feld wohnenden Militärhand- werks berücksichtigt und klassifiziert zu haben, ist das große Verdienst der vor- liegenden Monografie von Anna Just. Als Doktorarbeit am Institut für Germanis- tik an der Universität Warschau bei Józef Wiktorowicz angefertigt, verlangte die Studie neben der sprachlichen Erläuterung auch »eine intensivere etymologische Analyse« und erhob den Anspruch, »den [militärischen] Wortschatz auch sozio- linguistisch aufzubereiten« (S. 9). Zwar liegen seit dem späten 19. Jahrhundert de- zidierte Arbeiten sowohl »zum Thema Militärsprache als auch von einschlägigen

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lexikalischen Werken« vor, aber bereits Paul Horn musste im Jahre 1899 im Rah- men seines Opus‘ »Die deutsche Soldatensprache« konzedieren, das »Gebiet der Militärsprache« sei »viel zu umfangreich und das Thema selbst zu weit verzweigt, um gleich auf einmal erschöpfend durchforscht zu werden«.

Dagegen vermag die am Institut für Germanistik in Warschau wirkende und auch der historischen Paläografie verbundene Autorin Anna Just den wissenschaft- lichen Ehrgeiz aufzubieten, »eine Sammlung aller in den zur Verfügung stehen- den Originaldokumenten und einschlägigen Sekundärquellen für den betrachte- ten Zeitraum belegten militärischen Bezeichnungen« anzulegen, »wobei hier und da deren zeitliche Einordnung nicht eindeutig möglich war, unter anderem be- dingt durch die oft unterschiedlichen Schreibweisen, vielfach auch in ein und dem- selben Dokument«. Für ihre erschöpfende Sammlung von historischen Militärbe- griffen weiß Anna Just beachtliche Archivbestände »aufzubieten« und zu sichten.

Das »Arsenal« an »fündig« zu vermeldenden militärischen »Wortfeldern« erwies sich als äußerst komplex. Um auch die Wortsemantik akribisch auszuloten, hat Anna Just unter anderem die Archivbestände der Universitätsbibliothek Erlangen (hier: das »Kriegsbuch des Ludwig von Eybe« aus dem Jahre 1500), des Österrei- chischen Kriegsarchivs Wien, des Tiroler Landesarchivs in Innsbruck, der Baye- rischen Staatsbibliothek in München, des Staatsarchivs Wiesbaden, der Landesbi- bliothek Kassel, der Nationalbibliothek Wien, des Staatsarchivs Zürich und des Staatsarchivs Bern (hier »Deffensional der evangelischen Stetten und Ortten ge- meiner Eidgnoschafft«) gesichtet und klassifikatorisch ausgewertet. Um einer sinn- vollen Klassifizierung der militärischen Terminologie das Wort zu reden, hat die Autorin die aufgespürten Militärbezeichnungen nach den sehr sinnvoll ausgewähl- ten »Sachgruppen« wie »Organisationsformen« (1) und deren Wortschatzbereichen wie »Truppengattungen« [Lemmata wie »Heer«, »Armada« und »Reisige«], nach

»Statusbezeichnungen« (2) mit Wortschatzbereichen »Berufs- und Standesbezeich- nungen« und »Funktions- und Rangbezeichnungen« [Lemmata wie »Kriegsmann«,

»Oberst« oder »Kardinal« (S. 146)] und nach »Bezeichnungen für Bewaffnung« (3) mit Wortschatzbereichen wie etwa »Bezeichnungen für Schutzwaffen«, »Bezeich- nungen für Trutzwaffen« und »Bezeichnungen für Stangenwaffen« [Lemmata wie

»Haube«, »Plempe« und »Partisane«] klassifiziert.

Ein weiteres Verdienst der Autorin ist es, unter anderem auch aus den Ergeb- nissen der etymologischen Untersuchungen »die Interferenzen zwischen der germ.- dt. und den übrigen europäischen Sprachen« herausgearbeitet zu haben. So sind etwa im zeitgenössischen Militärwortschatz (1500 bis 1648) lateinische Sprachwur- zeln in erster Linie bei Bezeichnungen aus dem technologischen und »taktischen«

Sprachsektor nachzuweisen (etwa »Pulver« aus lat. pulvis = Staub), wobei auch die französischen und italienischen Einflüsse vorwiegend »lateinisch« geprägt waren.

Vielfach konnte indes der Wortursprung nicht hundertprozentig verifiziert wer- den. Das militärische Wort »Karabiner« etwa war »die Bezeichnung für ein leich- tes, kurzes, handliches Reitergewehr«. Der militärische Begriff »Karabiner« ist aber auch immer wieder mit der süditalienischen »Stiefelspitze« »Kalabrien« in Zusam- menhang gebracht worden, »wonach sich als eigentliche Bedeutung ›Waffe der Ka- labresen‹ ergeben würde« (S. 271). Zudem ist auch auf den Zusammenhang mit

»provenzal. calabre« hingewiesen worden, »welches ›Wurfgeschütz‹ bedeutet«.

Und zudem wirft Anna Just eine weitere Möglichkeit der Wortherkunft in die Waagschale: »Es wird aber auch angenommen, dass ›Karabiner‹ von den Mauren stammt und über das Span. in die dt. Sprache kam: Karab heißt arab. ›Feuerwaffe‹«

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(S. 272). Und dieses Faktum ist unumstößlich: »Das Wort ›Karabiner‹ ist zwischen Ende des 16. bis Anfang des 17. Jh. als Entlehnung aus dem Frz. in den dt. Wort- schatz aufgenommen worden«. Bisweilen reichen die militärischen Wortprovenien- zen »weit« bis ins Asiatische hinein. Vermutlich den militärischen Zügen der Heer- scharen im Laufe der Jahrhunderte oder den diplomatischen Missionen folgend, waren sie in dem Betrachtungszeitraum 1500 bis 1648 ins Deutsche gelangt. So stammt das »deutsche« Wort »Ulan« für einen leichten Reitersoldaten mit Lanze (19. Jh.) ursprünglich aus dem Tatarischen. »Ulan« war ein leichter tatarischer Rei- ter und geht seinerseits »auf Oghlani zurück«. Oghlani wurden »junge tatarische Edelleute« »geheißen«, »mit denen sich die Fürsten (Khane) umgaben. Oghlani wa- ren für die Fürsten eine Art Leibwache«. Auch in den osmanischen Heeren des Mittelalters steht die Bezeichnung Oghlani für »die meist im zweiten Glied reiten- den Knechte der Spahis, der türkischen Gardereiter«. Das zugrundeliegende Wort lautet im Türkischen oghlân und bedeutet »junger Mann«. Später änderte sich das

»Wortbedeutungsfeld« in Richtung auf »eine mit Lanzen bewaffnete Reitergruppe«.

Im 16. Jahrhundert nannten die Polen ihre leichte Reiterei ulansky. Zu Recht schreibt Anna Just, dass die Polen »in der geschickten Handhabung der Lanze, ihrer Natio- nalwaffe, als unerreicht galten«. Ins Deutsche ist der Begriff »Ulan« aller Wahr- scheinlichkeit nach »erst im 18. Jh.« gelangt, während das Finnische, das sei sei- tens des Rezensenten angemerkt, den Namen »Ulaani« nur im historischen Kontext in Zusammenhang mit der polnischen Reiterei und nicht in Angabe der eigenen Reiterei, Ratsuväki, nennt.

Zur Arrondierung ihres inhaltlichen Hauptteiles (S. 31–292) hat die Autorin desweiteren den quantitativen Aspekten des militärischen Wortschatzwandels ihr Augenmerk geschenkt und gelangt zu dem Ergebnis, dass »die zeitliche Einordnung der Bezeichnungen in die jeweiligen Perioden« (vor 1500), (1500–1550), (1550–1600) und (1600–1648) »sich dabei nicht an der Frage, wie alt das Wort ist, sondern wann dieses erstmals im Militärgebrauch nachgewiesen wurde«, orientiert. Für den »Er- gebnisteil« ihres Werkes hat Anna Just zudem eine »Statistische Gesamtübersicht aller Bezeichnungen« (Tabelle 14) verfertigt, welche die sprachliche Gewichtung des gesamten Militärwortschatzes in seiner zeitlichen Periodisierung erkennen lässt. Außerdem sollte die zusätzliche »Markierung« der Militärbegriffe mit fort- laufenden arabischen Zahlen dazu »verhelfen«, dass mit diesem absolut gelun- genen und gut lesbaren Werk »gerechnet« werden kann.

Michael Peters

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den Befund bei Müller, Tausend Tage bei der Asche (wie Anm. 101 Klaus-Peter Hartmann, Auskünfte zum Soldatenleben. In: Information der Arbeitsgruppe Geschichte der NVA und

vorgesehen, daß den Befehlshabern auch ohne eine Anforderung von ziviler Seite das Recht zustehen sollte, ihre Truppen zu polizeilichen Zwecken einzusetzen, soweit Störungen