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Sterne auf der astronomischen Uhr in Münster

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Sterne auf der astronomischen Uhr in Münster

Im Dom zu Münster befindet sich eine mittelalterliche astronomische Uhr, die die Stellung des Sternenhimmels, der Sonne, des Mondes und der Planeten über dem Horizont von Münster anzeigt. Auch einige helle Sterne sind auf ihr dargestellt.

In dieser Arbeit wird untersucht, um welche Sterne es sich dabei handelt, wie sie auf die Uhr projiziert wurden, und aus welcher Epoche die Sternkoordinaten dieser ausgewählten Sternen stammen. Dazu wird anhand eines Fotos der Uhr eine Vermessung der Sternpositionen durchgeführt.

Abb. 1: Ausschnitt aus dem Ziffernblatt der astronomischen Uhr im Dom zu Münster mit einigen Sternen. Foto: W. Strickling

Jonas Schmitz, Schülerpraktikant der Westfälischen Volkssternwarte im Juni 2013 Burkard Steinrücken, Westfälische Volkssternwarte und Planetarium Recklinghausen, steinruecken@sternwarte-recklinghausen.de

Einleitung – Die Geschichte der astronomischen Uhr in Münster

Die astronomische Uhr in Münster ist die einzige astronomische Uhr Deutschlands, welche neben der Position von Sonne, Mond und der Uhrzeit auch die Positionen der Planeten Venus, Mars, Jupiter und Saturn anzeigt. Die ursprüngliche Uhr wurde vermutlich um das Jahr 1408 von einem Mönch aus dem Kloster Hude gebaut, allerdings in Folge religiöser Unruhen durch die Wiedertäufer am 24. Februar 1534 nahezu vollkommen zerstört. Im Jahr 1542 wurde daraufhin eine neue Uhr von Dietrich Tzwyvel, Johannes von Aachen, Nikolaus Windemaker, Johann Brabender und Ludger tom Ring fertiggestellt. In der Zeit von ca. 1660 bis 1700 wurde die Uhr grundlegend überarbeitet. Man erneuerte man das Uhrwerk, nachdem mehrere Reparaturen fehlgeschlagen sind.

Die Sternkarte der Uhr und der Sternenhimmel, das sog. Rete, wurde in dieser Zeit ebenfalls erneuert und mit Barockelementen verziert. Wahrscheinlich wurden zu diesem Anlaß auch die Sterne auf das Rete aufgebracht. Im Jahr 1819 erhielt die Uhr, nachdem sie mehrere Jahre mehr stand als lief, eine weitere Renovierung. Danach verfiel sie mehr und mehr und 1927 sollte sie aus dem Dom entfernt werden. Dass sie erhalten und rekonstruiert wurde, ist vor allem Peter Werland zu verdanken, welcher als Redakteur und Schriftsteller sich stets für den Erhalt der Uhr aussprach. Im Jahre 1930 wurde die Uhr erneut restauriert. Im 2.Weltkrieg erlitt sie nur geringe Schäden und konnte 1951 wieder in Betrieb genommen werden. Seitdem läuft sie reibungslos. Zur Geschichte der Uhr siehe die Referenzen [1, 2, 3].

Die Sterne auf der Uhr

Von den vielen interessanten Teilaspekten der Uhr wird im Folgenden nur der darauf abgebildete Sternenhimmel betrachtet. Er ist auf dem Rete aufgebracht und macht zusammen mit dem Tierkreis eine Drehung in einem Sterntag (23 Stunden 56 Minuten). Da das Rete (arabisch „Netz“) stark

durchbrochen ist, um den Blick auf das darunterliegenden Planisphärium zu ermöglichen, konnten nur einige wenige Sterne auf den Träger- und Zierelementen des Rete aufgebracht werden (Abb. 1).

Auf dem Rete der heutigen Uhr, welches im Zuge der Restaurierung 1930 nach dem Vorbild des alten neu gefertigt wurde, sind insgesamt nur 15 Sterne abgebildet. Sie sind weder beschriftet, noch den Sternbildern zugeordnet, weshalb es schwerfällt, sie unmittelbar zu identifizieren. In einem ersten Schritt der Untersuchung sollen deshalb diese Sterne identifiziert werden.

Th. Wieschebrink bringt auf Seite 33 seiner Monographie über die Domuhr [1] eine Liste der abgebildeten 15 Sterne und betitelt sie fast ausnahmslos mit arabischen Namen. In der folgenden Tabelle sind die Sternnamen auch nach der Bayer-Klassifikation aufgeführt und auch das Sternbild, in dem sie sich befinden:

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Tabelle 1: Liste der Sterne auf der astronomischen Uhr in Münster nach Th. Wieschebrink

Sternname Bayer-Klassifikation Sternbild

Alphard Hya nördliche Wasserschlange

Antares  Sco Skorpion

Atair Aql Adler

Beteigeuze Ori Orion

Capella  Aur Fuhrmann

Caph Cassiopeiae Kassiopeia

Menkar Cet  Walfisch

Nath Tau Stier

Saiph  Ori Orion

Plejaden Tau (Alcyone) Stier (Alcyone wird stellv. für die Plejaden genommen)

Phekda Uma Großer Bär

Regulus  Leo Löwe

Rigel Ori Orion

Sirius Cma Großer Hund

Spica  Vir Jungfrau

Zur Kontrolle, ob diese Sterne tatsächlich mit den auf der Uhr dargestellten Sternpositionen

verträglich sind, werden diese Sterne mit ihren aktuellen Äquatorialkoordinaten aus dem Hipparcos- Katalog [4] auf einer Sternkarte positioniert. Dazu ist zunächst zu klären, gemäß welcher

Projektionsvorschrift die Sternpositionen auf der Himmelskugel auf die Ebene projiziert werden (hier die Ebene des Rete, das eine flache Darstellung des Sternenhimmels ist).

Astrolabien und Astrolabiumsuhren

Vorbilder für das Rete der astronomischen Uhr sind Astrolabien, die seit etwa 1000 n. Chr. zunächst in arabischen Ländern entstanden und später auch ins europäische Abendland vordrangen und dort verwendet und nachgebaut wurden (Abb. 2).

Abb. 2: Ein arabisches Astrolabium. Links unten die Vorderseite mit dem Rete über dem Tympanon (auch Planisphärium genannt). Da sich dies je nach Breitengrad unterscheidet, kann man das Tympanon herausnehmen und ein dem Breitengrad des Beobachterstandortes entsprechendes einsetzten.

Rechts unten ist die Rückseite mit der Alhidade (Messlineal für Höhenmessungen) gezeigt, welches auf der Mater (Grundplatte) angebracht ist. Oben in Großdarstellung das Rete mit dem Tierkreis (exzentrischer Kreis) und diversen Sternpositionen (Spitzen der runden Häkchen). Bildquelle: Wikipedia

(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cc/Astrolabium.jpg)

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Ein Astrolabium kann man auf zwei Arten benutzen. Wird das Astrolabium auf die Uhrzeit und das Datum eingestellt, so kann man die Positionen der Sterne und der Sonne auf dem Planisphärium ablesen, welches den Horizont am Beobachtungort und Linien für die Horizontalkoordinaten Azimut und Höhe darstellt. Stellt man dagegen das Astrolabium durch Verdrehung des Rete so ein, dass die Sternpositionen mit denen am Himmel übereinstimmen, so kann man die Uhrzeit und das Datum ablesen. An der astronomischen Uhr in Münster besorgt das Uhrwerk diese Drehung, weshalb das Rete dort immer den aktuell sichtbaren Sternenhimmel zeigt. Deshalb nennt man eine Uhr dieses Typs eine „Astrolabiumsuhr“.

Zur Herkunft der Sterndaten auf alten Astrolabien

Die Daten für die Sternpositionen auf alten Astrolabien entstammen dem antiken Sternkatalog von Claudius Ptolemäus (um 150 n. Chr.) [5]. Jedoch ist jeweils berücksichtigt, dass sich die

Sternpositionen aufgrund der Taumelbewegung der Erdachse (sog. „Präzession“) systematisch verändern (Abb. 3). Dabei wachsen die ekliptischen Längen der Sterne unter Beibehaltung ihrer ekliptischen Breiten, alle 72 Jahre um 1° an (Abb. 4).

Abb. 3: Taumelbewegung der Erdachse (sog. Präzession).

In einem Zyklus von ca. 26000 Jahren beschreibt die Rotationsachse der Erde einen Kegelmantel. Infolgedessen verlagert sich der Äquator in Bezug zum Sternenhimmel und damit auch die Äquatorialkoordinaten der Sterne.

Abb. 4: Die Folge der Präzessionsbewegung auf die Sternkoordinaten ist eine Vergrößerung der ekliptischen Längen von 1° in 72 Jahren unter Beibehaltung der ekliptischen Breiten.

Die Daten des alten Katalogs von Ptolemäus, in dem sogar noch ältere Messungen von Hipparch (um 150 v. Chr.) eingeflossen sind, sind demnach um diesen Effekt zu korrigieren, wenn man sie in späterer Zeit noch verwenden möchte. Andererseits bietet dieser Effekt der Koordinatenveränderung durch die Präzession die Chance, eine Sterndarstellung zu datieren, sofern die Koordinaten der Sterne (im Äquatorialsystem oder im Ekliptiksystem) ermittelt werden können. Eine Arbeit aus jüngerer Zeit für eine solche Datierungsstrategie eines alten Sternglobus stammt vom amerikanischen Astrophysiker und Astronomiehistoriker B.E.Schaefer. Schaefer konnte anhand der Sternbildfiguren auf der

berühmten antiken Marmorstatue des Atlas Farnese die Verwendung von Hipparchs Sternkatalog aus der Zeit um 150 v. Chr. nachweisen [6].

In dieser Arbeit wird etwas Vergleichbares für den Sternenhimmel auf der Uhr von Münster versucht.

Wurden die Sterne bereits um 1400 aufgebracht, als die erste Uhr entstand und bei den späteren Erneuerungen (1540, 1660, 1930) übernommen, oder jeweils neu berechnet?

Auf dem Rete eines Astrolabiums sind immer die Ekliptik mit der Einteilung in die zwölf Tierkreiszeichen, meistens die Kolurlinien zu den vier Jahreseckpunkten (Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterpunkt) und einige Sterne abgebildet. Diese Elemente befinden sich auch auf der astronomischen Uhr in Münster, und mit ihnen ist die Analyse der Sternkoordinaten und vielleicht sogar eine Datierung der Münsteraner Sterndaten möglich.

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Von der Himmelskugel zur ebenen Darstellung – die Stereografische Projektion Astrolabien und Astrolabiumsuhren wie die im Dom zu Münster benutzen das gleiche Projektionsverfahren – die sog. Stereografische Projektion. Gemäß einer besonderen Abbildungsvorschrift werden dabei die Sternpositionen, die Ekliptik als Großkreis an der

Himmelskugel und andere Himmelskreise wie der Himmelsäquator, die Wendekreise etc. auf die Ebene übertragen. Die Abbildungsvorschrift der stereografischen Projektion unterscheidet sich von der Projektion bei einer gewöhnlichen Drehbaren Sternkarte. Bei Drehbaren Sternkarten werden aus Kreisen, die nicht konzentrisch zum Himmelspol liegen, wie z.B. der Äquator oder die Wendekreise, ovale Gebilde. Dies liegt daran, dass bei der Projektion der Himmelskoordinaten auf die Ebene der sog. Polabstand der Sterne (90° - Deklination) durch Abrollung entlang des Kreises gleicher Rektaszensionswerte erfolgt (Abb. 5). Dadurch ist gewährleistet, dass die radialen Strahlen der Sternkarte linear in Polabständen geeicht sind. Auf dieser Abbildung erkennt man, dass der

Teilumfang zwischen Himmelspol und Stern auf der Himmelskugel (roter Bogen) gleich dem Abstand auf der Ebene ist (rote Linie bis F). Auf diese Weise werden Verzerrungen bei der Sternbilddarstellung weitestgehend vermieden und die Sternbilder sehen natürlicher aus.

Abb. 5: Projektion bei einer Drehbaren Sternkarte. Die Sternkartenebene tangiert die Himmelskugel am nördlichen Himmelspol. Der Polabstand (rotes Bogenstück) wird durch Abrollung auf die Ebene übertragen.

Abb. 6: Bei der stereografischen Projektion geht man von einem gedachten Beobachter im Südpol der Himmelskugel aus, dessen Blicklinie zu einem Stern (oder zu beliebigen anderen Punkten der Himmelskugel) durch Verlängerung an die Tangentialebene (das spätere Rete) projiziert wird.

Die stereografische Projektion bewirkt dagegen auch eine kreisförmige Darstellung jener Kreise an der Himmelskugel, deren Ebenen nicht senkrecht zur Polachse stehen (z.B. die Ekliptik und der Horizont von Münster), auf Kosten größerer Verzerrungen am Rand der Sternkarte.

Beim stereografischen Verfahren befindet sich ein Beobachter in einem der beiden Himmelspole und von dieser Position aus werden die Sterne auf der Himmelskugel quasi angepeilt und deren Position entlang dieser Beobachtungsrichtung auf die Ebene übertragen (Abb. 6). Wie man durch den Vergleich der Abbildungen 5 und 6 erkennen kann, sind die Strecken vom Himmelsnordpol zum projizierten Stern (rote Linien auf der Ebene) nicht gleich lang. Dieser Effekt der Verzerrung

vergrößert sich, je näher die Sterne am Himmelsüdpol liegen. Allerdings kann dieses Verfahren recht einfach mit Zirkel und Lineal durchgeführt werden [7].

Die Abbildungsvorschrift der stereografischen Projektion für die Deklinationen der Sterne (Winkelabstände vom Himmelsäquator) liefert den Abstand zwischen Mittelpunkt D der Ebene und dem Sternabbild F auf der Ebene (Abb. 7). Sie wird im Folgenden hergeleitet.

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Abb. 7: Zur Herleitung der Abbildungsvorschrift für die Deklinationswerte  in der stereografischen Projektion. Dargestellt sind ein Schnitt durch die Himmelskugel und die angelegte Tangentialebene, auf die der Stern projiziert wird.

Die Himmelskugel wird als Einheitskreis mit dem Durchmesser 1 angesetzt. Die Strecke zwischen dem Stern und dem Punkt G wird im Folgenden s, die Strecke von G nach A b genannt.

Aus Abb. 7 ergibt sich:

 sin

2 cos 1

2

1

  

b

s

Damit erhält man:

b s

 2 tan 1

Man setzt die Ausdrücke für s und b ein und erhält:

 

sin 1 tan cos

 

Der gesuchte Abstand des Sterns vom Himmelspol D ergibt sich damit zu:

 

 

sin 1 ) cos ( sin .

1 cos 1

) tan (

 

 

R bzw R

Abb. 8: Projektion der Himmelskugel auf eine Ebene nach dem stereografischen Projektionsverfahren. Unten ist ein Schnitt durch die Himmelskugel mit den Großkreisen Himmelsäquator (schwarz), Ekliptik (rot) und den beiden Wendekreisen (blau) gezeigt. Oben erkennt man die Lage dieser Kreise auf der Sternkartenebene in Draufsicht.

Kreise, die zur Polachse konzentrisch sind, liegen auf der Sternkarte konzentrisch zum Mittelpunkt, der den Himmelspol repräsentiert.

Der gegen den Himmelsäquator um 23,5° geneigte Ekliptikkreis wird auf der Sternkarte (in stereografischer Projektion) zum exzentrischen Kreis, der im Sommerpunkt den nördlichen Wendekreis (kleiner blauer Kreis), im Winterpunkt den südlichen Wendekreis (großer blauer Kreis) tangiert. Der Frühlingspunkt ist der Schnittpunkt von Äquator und Ekliptik, an den die Sonne zu Beginn des Frühlings steht (hier oben). Der Drehsinn der jährlichen scheinbaren Sonnenbewegung durch den Tierkreis ist in dieser Sternkartenprojektion rechtsherum.

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Mit dieser Vorschrift lässt sich die Sternkoordinate der Deklination von der Himmelskugel auf die Ebene projizieren. Die zweite Sternkoordinate, die Rektaszension, wird unmittelbar von der

Himmelskugel auf die Ebene übernommen, so dass sich vom Himmelspol als Mitte der Sternkarte zu jedem Stern eine Linie ziehen lässt, deren Länge aus der obigen Abbildungsvorschrift ermittelt wird und deren Winkel zur Linie zum Frühlingspunkt der Rektaszension entspricht (Abb. 8).

Identifikation der Sterne auf der Uhr in Münster

Nachdem die mathematischen Vorarbeiten erledigt sind, kann die Identifikation der Sterne auf der Uhr von Th. Wieschebrink überprüft werden. Dazu werden alle Sterne aus dem Bright Star Catalogue [8], deren Helligkeit größer als mag 3,5 und deren Deklinationen größer als -26,5° sind (Antares soll enthalten sein), auf einer Sternkarte in stereografischer Projektion dargestellt (Abb. 9). Die Sternkoordinaten entsprechen der Epoche 2000.

Abb. 9: Stereografische Projektion des aktuellen Sternenhimmels (Bright Star Catalogue, Magnituden größer als 3,5).

Bildmitte ist der nördliche Himmelspol. Das Achsenkreuz wird gebildet aus den vier Kolurlinien zum Frühlings-, Sommer, Herbst- und Winterpunkt. Der Frühlingspunkt (Schnittpunkt von Ekliptik und Himmelsäquator) ist oben (roter Punkt). Die konzentrischen Kreise stellen den Wendekreis des Krebs, den Himmelsäquator und den Wendekreis des Steinbocks dar (von innen nach außen). Der Tierkreis bzw. die Ekliptik ist der exzentrische rote Kreis, unterteilt in Abschnitte von 5°.

Der Umlaufsinn der scheinbaren Sonnenbewegung durch den Tierkreis erfolgt bei dieser Art der Projektion rechtsherum, also entgegen dem wahren Umlaufsinn am Sternenhimmel.

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Nach Wieschebrink enthält die Münsteraner Uhr nur jene 15 Sterne, die in Tabelle 1 aufgelistet sind.

Sie sind in Abbildung 10 zusätzlich zu den in Abbildung 9 gezeigten Sternpunkten als große grüne Punkte besonders hervorgehoben. Dargestellt sind allerdings die theoretischen Positionen, nicht die realen Sternpositionen auf der Uhr in Münster.

Abb. 10: Wie Abbildung 9, jedoch mit zusätzlicher Hervorhebung der 15 Sterne, die laut Wieschebrink auf der astronomischen Uhr von Münster verzeichnet sind (grüne Punkte).

Um diese grünen Sternpunkte mit den Sternen auf der Uhr in Verbindung zu bringen, benutzt man am besten die markante Linie von vier Sternen, die entlang der Kolurlinie verläuft, die den Himmelspol mit dem Sommerpunkt verbindet und auf dem Rete als Strebe ausgeführt ist (Abb. 11).

Diese vier Sterne lassen sich mit der Sternkarte in Abbildung 10 leicht als Capella, Nath, Beteigeuze und Saiph identifizieren. Hat man diesen Ansatzpunkt gefunden so kann man auch recht schnell die verbleibenden elf Sterne benennen, wobei in Einzelfällen die genaue Vermessung der Sterne nötig ist, die später noch beschrieben wird. Das Ergebnis ist: Die von Wieschebrink angegebenen Sterne lassen sich bestätigen, allerdings ist auffällig, dass der Stern Antares noch innerhalb des Ekliptikkreises liegt, dessen minimale Deklination -23,5° beträgt. Antares mit Deklination -26,4° ist offensichtlich durch Vergrößerung des Deklinationswertes in die Ekliptik hineingezogen worden. Genau entgegengesetzt verhält es sich mit Beta-Cassiopeiae, ein Stern des Sternbilds Kassiopeia, der fast auf der Kolurlinie zum Frühlingspunkt liegt. Für dieses Sternsymbol auf der Münsteraner Uhr könnte man sogar die Identifikation mit einem anderen Stern versuchen, was aber nicht überzeugt, da kein ähnlich heller Stern wie Beta-Cas in der Nähe liegt. Beta-Cas ist auf der Uhr weiter nach außen verschoben, zu

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kleineren Deklinationen, womöglich weil er sonst zu weit im Mittelbereich steht, wo die zahlreichen Planetenzeiger ihn ständig verdecken würden. Außerdem ist der Stern Regulus welcher normalerweise fast genau auf der Ekliptik liegt etwas zu weit außen dargestellt, weil er ansonsten in der Nut stünde, durch die das Sonnensymbol der Uhr geführt wird. Abgesehen von diesen offensichtlichen

Verschiebungen, die gestalterischen Bedürfnissen genügen, sind die Sterne auf der Uhr mit denen in Wieschebrinks Liste (siehe Tabelle 1) identisch.

Abb. 11: Ausschnitt aus dem Ziffernblatt mit Hervorhebung der Kolurlinie zum Sommerpunkt (weiße Linie) und Markierung der sichtbaren Stern mit ebensolchen weißen Linienstücken parallel zur Kolurlinie, die später als Bezugslinie für die Vermessung verwendet wird. Entlang dieser Linie findet man vier Sterne. Des Weiteren sind die rot-weiß markierten Ekliptik- (links) und Stundenwinkelteilkreise (rechts) zu sehen. Diesen Teilkreisen wird für die Vermessung der Sternkarte eine größere Zahl von Punkten entnommen (siehe Text). Dargestellt durch den weißen Pfeil (Mitte links) ist eine

Entnahmestelle für eine Punktkoordinate des Ekliptikkreises am rechten unteren Rand des weißen Kästchens, die dem Beginn des Sternzeichens Zwilling entspricht.

Es fällt auf, dass der Großteil der Sterne im Bereich der Kolurlinie zum Sommerpunkt liegt (in Abb.

10 rechts auf der Sternkarte). In den anderen Bereichen der Sternkarte sind nur wenige Sterne berücksichtigt. Der Grund für diese Auswahl bleibt im Dunkeln, jedoch begünstigt sie den späteren Datierungsversuch (siehe unten). Vielleicht fehlen auf dem Rete von 1930 gegenüber dem älteren von 1660 auch einige Sterne und die Verteilung der Sterne war ursprünglich gleichmäßiger.

Simulation der Sternverteilung in verschiedenen Epochen

Die Positionen der Sterne auf der mittelalterlichen Uhr in Münster können nicht mit den heutigen Position der Sterne am Himmel übereinstimmen, denn durch die Präzession und auch durch die Eigenbewegung der Sterne an der Himmelssphäre verändern sich diese mit der Zeit systematisch.

Anhand der Präzessions- und Eigenbewegungen, zurückgerechnet in die Vergangenheit, lassen sich aber ihre früheren Positionen ermitteln. Auf der Grundlage dieser Rekonstruktion des Himmels in vergangenen Epochen kann man vielleicht noch bestimmen, wann die Sterne der astronomischen Uhr hinzugefügt wurden. In Frage kommen die Epochen 1400 (erste Uhr), 1540 (zweite Uhr), 1660 (Barockisierung der Uhr und des Rete) und 1930 (grundlegende Erneuerung der Uhr).

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In den Abbildungen 9 und 10 sind die Sternpositionen für die Epoche 2000 simuliert. Wegen der Präzessionsbewegung der Erdachse und der damit verbundenen Verlagerung der Sternörter gegen den Tierkreis und gegen die Kolurlinien, muss für eine Untersuchung der Sterndarstellung auf einer mittelalterlichen Uhr der Präzessionseffekt zurückgerechnet werden. Ab hier werden diese

Rechnungen nur für die 15 Sterne auf der Uhr durchgeführt. Denn nur diese 15 Sterne können mit den Sternsymbolen auf dem Rete der Münsteraner Uhr verglichen werden.

Die Daten werden dem Hipparcos-Katalog entnommen [4], wobei auch der kleine

Eigenbewegungseffekt der Sterne berücksichtigt wird. Das Berechnungsverfahren ist in [9]

beschrieben. Die Rechnungen werden für den Zeitraum von 1200 AD bis 2000 AD mit einer

Schrittweite von 100 Jahren durchgeführt. Die für jede Epoche errechneten Äquatorialkoordinaten der Sterne lasen sich nun wieder durch stereografische Projektion auf die Sternkarte übertragen. Man erhält letztlich für jeden Stern eine charakteristische „Spur“ auf der Sternkarte (Abb. 12).

Abb. 12: Darstellung des Präzessionseffektes der 15 Sterne auf der Uhr. Die grünen Punkte entsprechen den Sternörtern in der Epoche 2000. Die zu jedem Sternpunkt benachbarten kleinen Punkte zeigen die Sternpositionen der Vergangenheit in der Schrittweite von 100 Jahren an. Die etwas größeren Punkte entlang dieser Spuren gelten für die Epochen 1700 und 1400 (siehe Beispiel ganz rechts). Mit eingetragen sind bereits die gemessenen Sternpositionen auf der Uhr, deren Ermittlung im Text noch beschrieben wird. Bereits hier erkennt man, dass die Sterne auf dem Rete von 1930 im 20. Jahrhundert neu positioniert wurden.

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Anhand dieser Spuren lässt sich der Präzessionseffekt leicht erkennen. In der Nähe des Sommer- und Winterpunktes, wo die Ekliptik parallel zum Himmelsäquator liegt, verändern sich praktisch nur die Rektaszensionswerte unter Beibehaltung der Deklinationen. In der Nähe des Frühlings- und

Herbstpunktes, wo die Ekliptik den Äquator unter einem Winkel von ca. 23,5° schneidet, verändern sich auch die Deklinationswerte, jedoch nicht so stark wie die Rektaszensionswerte, die auch hier den größeren Effekt zeigen.

Mit Hilfe dieser Darstellung kann ein Datierungsversuch für die Sterndarstellung auf der Münsteraner Rete versucht werden. Für dieses Vorhaben reichen allerdings keine Abschätzungen mit dem Auge mehr aus, wie sie noch für die Identifikation der Sterne ausreichend waren, sondern die Sterne auf der Uhr müssen hinsichtlich ihrer Lage zu den Koordinatenlinien auf dem Rete genau vermessen werden.

Vermessung der Sternpositionen auf der Uhr in Münster

In diesem Abschnitt wird eine Methode beschrieben, wie man die tatsächlichen Sternsymbole auf der Uhr in Münster vermisst. Eine Vermessung vor Ort ist nicht ohne Weiteres möglich und war im Rahmen dieses Projektes auch nicht zu realisieren. Deshalb wird eine Analysemethode entwickelt, die auf der Vermessung eines Fotos basiert. Diese Methode soll später auch für die Untersuchung des alten Rete aus der Zeit vor 1930 angewendet werden, von dem nur noch einige wenige Fotos vorhanden sind. Wird die Kamera nicht senkrecht auf die Uhr gerichtet, mit der Uhrenmitte in der Bildmitte des Fotos, so stellen sich zwangsläufig durch die Schiefstellung der Kameraachse gegen die senkrechte Linie auf dem Ziffernblatt Bildverzerrungen ein (Abb. 13).

Abb. 13: Fotografie der Uhrenfront von W. Strickling. Die Kameraachse liegt unterhalb der Normalenrichtung der Uhrenscheibe und etwas links davon. Die Uhrenmitte ist nicht in der Bildmitte. Dieses Bild wurde für die Vermemssung ausgewählt.

Diese müssen bei der Auswertung herausgerechnet werden, damit aus den auf dem Foto sichtbaren Ellipsen wieder Kreise werden und man letztlich auch die genauen Koordinaten der Sterne auf dem Rete bestimmen kann. Das Bildentzerrungsverfahren ist umso komplizierter, je unsymmetrischer die Fotosituation war. Es empfiehlt sich daher, ein Foto zu nehmen, welches den Mittelpunkt der Uhr auf

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der Bildmitte zeigt und welches möglichst nur entlang einer weiteren Achse, zum Beispiel der lotrechten Linie durch den Mittelpunkt, Verzerrungen aufweist.

Ein solches Foto lag leider nicht vor, weshalb mit dem im Folgenden beschriebenen einfachen

Entzerrungsverfahren nicht alle Bildfehler eliminiert werden können und restliche Unsicherheiten über die Positionen der Sterne im Äquatorialsystem verbleiben. Es lässt sich aber zeigen, dass diese in einem kleinen, beherrschbaren Ausmaß liegen, die eine gesicherte Aussage im Rahmen einer

Fehlertoleranz noch zulassen. Die Analyse eines wenig geeigneten Fotos mit großen Bildverzerrungen bietet allerdings auch einen Vorteil. Bei der Entwicklung einer Auswertemethode zeigen sich hier die Problem, auf die man achten muß, besonders deutlich und schärfen damit das Bewusstsein für eine verbesserte Datenaufnahme und Auswertung, die einem späteren neuen Anlauf vorbehalten bleibt.

Vermessen wurde ein hochaufgelöstes Foto der Uhrenfront, welches W. Strickling aus Haltern für diese Methodenentwicklung und photogrammetrische Analyse zur Verfügung stellte (Abb. 13).

Die Entnahme von Punktkoordinaten zur Auswertung des Bildes geschieht folgendermaßen. Man notiert man sich mit Hilfe einer Fotobearbeitungssoftware die Pixelkoordinaten der jeweiligen Sterne.

Selbiges macht man auch mit einer ausgewählten Anzahl von Punkten auf dem Stundenkreis (äußerer Kreis der Uhr) und der exzentrischen Ekliptik. Da auf der astronomischen Uhr in Münster bereits Gradmarkierungen für diese beiden Kreise aufgebracht sind, bietet es sich an, in regelmäßigen Abständen, in diesem Fall 10°, die Pixelkoordinaten für diese Punkte herauszuschreiben. Diese Messpunkte lassen sich in einer Mathematiksoftware nun auswerten und grafisch darstellen (Abb. 14).

Abb. 14: Die entnommenen Messpunkte vom Rand der Ekliptik und vom Rand des Stundenkreises. Beide Punktserien lassen sich sehr gut mit einer Ellipse verbinden. Die vereinzelten Punkte sind die Sterne.

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Die Messpunkte von Ekliptikrand und vom Stundenkreis lassen sich sehr gut durch Ellipsen

verbinden. Diese Ellipse findet man durch ein Anpassungsverfahren nach der Methode der kleinsten Summe der Abstandsquadrate. Auf diese Weise ermittelt man die besten Werte für die fünf Parameter, die eine Ellipse definieren - große Halbachse, kleine Halbachse, x- bzw. y-Koordinate des

Mittelpunkts und Drehwinkel der Ellipsenachsen gegen das Koordinatenkreuz - und erhält die bestmögliche Ellipse. Die Auswertestrategie basiert auf der Idee, die Ellipsen zu Kreisen zu entzerren.

Dieselbe Entzerrung nimmt man auch mit den anderen Punkten auf der Uhr, z.B. den Sternen, vor. So erhält man dann wieder die kreisförmige Rete der Uhr und die Sternpositionen auf diesem entzerrten Rete.

Der Blick auf die Abbildung 14 offenbart sogleich, dass die Bildentzerrung nach dieser einfachen Strategie nicht vollständig gelingen kann. Zwar zeigen beide Ellipsen (für Stundenkreis und Ekliptik) das gleiche Halbachsenverhältnis, aber sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Verdrehung zu den Bildrändern. Dies ist der seitlichen Aufnahmeposition geschuldet. Im Folgenden wird die Entzerrung anhand der Ekliptik vorgenommen, weil die Sternpunkte sich auf ihrer Ebene und in ihrem Umkreis befinden. Damit handelt man sich natürlich einen kleinen Fehler ein, der sich nur dann vermeiden ließe, wenn man unterschiedliche Verdrehungen auf den verschiedenen Bildbereichen

berücksichtigte.

Ziel des gesamten Auswerteverfahrens ist der Eintrag der Sternpunkte in eine Sternkartendarstellung wie in den Abbildungen 9, 10 und 12 mit der Kolurlinie zum Sommer- und Winterpunkt als

waagerechte Linie. Zu bestimmen sind dazu die Mittelpunkte des entzerrten Ekliptikkreises und des entzerrten Stundenkreises. Anhand dieser beiden Mittelpunkte lässt sich der Drehwinkel zur

Waagerechtstellung der genannten Kolurlinie ermitteln.

Wegen des umfangreichen Zeigerwerkes, welches aus der Mitte der Uhrenscheibe aufragt, kann der Mittelpunkt dem Foto nicht direkt entnommen werden, sondern muss aus den Stützstellen vom Stundenkreis durch Anpassungsrechnung bestimmt werden. Allerdings liegen die Ekliptik und der Stundenkreis nicht auf dem gleichen Niveau (Abb. 15), weshalb bei der schrägen Aufnahmeposition Messpunkte, die vom unteren Niveau des Stundenkreises stammen, gegenüber denen von der Ekliptik bzw. dem Rete verschoben liegen.

Abb. 15: Detailaufnahme von den Rändern des Stundenkreises und der Ekliptik. Beide Teilkreise liegen auf einem unterschiedlichen Niveau, was bei einem schrägen Aufnahmewinkel die Ermittlung der Uhrenmitte erschwert.

Eine Bestimmung dieses Versatzes aus der Differenz beider Niveaus und dem Aufnahmewinkel zwischen Kameraachse und Uhrennormale ist nicht mit der erforderlichen Genauigkeit möglich.

Ein diesbezüglicher Versuch führte zu einem sehr ungenauen Ergebnis für die Uhrenmitte.

Anhand mehrerer Fotos und der Angabe über den Durchmesser der Uhr von 3,0 Meter wurde die Höhe des Retes über der Grundplatte zu ca. 7 cm abgeschätzt. Das Ergebnis für die Sternkoordinaten auf der Grundlage dieser Schätzung erwies sich aber schließlich als offensichtlich grob falsch.

Deshalb wird im Weiteren auf die Auswertung der Messpunkte vom Stundenkreis ganz verzichtet.

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Glücklicherweise bietet bereits das Rete allein die Möglichkeit, die Koordinaten der Uhrenmitte auf seinem Höhenniveau zu bestimmen. Verbindet man nämlich die Messpunkte vom Ekliptikrand, die sich in ekliptischer Länge um 180° unterscheiden, sich folglich in der Ekliptik gegenüberstehen, dann erhält man Linien, die durch die Uhrenmitte verlaufen (Abb. 16). Anhand von vier solcher Linien lässt sich die Uhrenmitte als Schnittpunkt dieser Linien ermitteln. Da kein perfekter Schnitt auftrat, wurde durch Ausgleichsrechnung jener Punkt als Mitte festgelegt, der die minimale Summe der

Abstandsquadrate zu den vier Linien aufwies.

Abb. 16: Analog zu Abbildung 14, jedoch ohne die Messpunkte vom Stundenkreis, dafür mit weiteren Messpunkten von den Rändern der Streben (parallel zu den Kolurlinien) und mit Verbindungslinien gegenüberliegender Tierkreispunkte (Anfänge der Zeichen).

Eine weitere, unabhängige Möglichkeit zur Bestimmung der Uhrenmitte auf Ekliptikniveau bieten die Kolurlinien, die auf dem Rete als Strebelemente ausgeführt sind, und deren Kanten stückweise auf den exakten Kolurlinien verlaufen. Deshalb wurden weitere Punkte von diesen Segmenten aufgenommen, durch Ausgleichsrechnung die idealen Linienstücke bestimmt und aus dem Schnitt der Kolurlinien die Mitte errechnet (Abb. 16). Das Ergebnis unterschied sich nicht stark von dem aus der zuvor

beschriebenen Methode, aber es war doch noch ein kleiner Versatz vorhanden. Womöglich erklärt sich dies aus einem weiteren Niveauunterschied zwischen der hölzernen Rete-Grundlage, auf der der rot- weiße Teilkreis aufgemalt ist und der aufgelegten Bronzeplatte mit dem Tierkreis, den Kolurlinien und den Sternen (siehe Abb. 15).

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Diese Probleme der unterschiedlichen Höhenniveaus auf der Uhr ließen sich natürlich von vornherein vermeiden, wenn man eine Aufnahme hätte, mit einer zur Normalenrichtung auf der Uhrenmitte identischen Kameraachse.

Für die weitere Auswertung wurde schließlich der Uhrenmittelpunkt gewählt, der aus dem Schnitt der Kolurlinien gewonnen wurde.

Nun erfolgen die entscheidenden Schritte der Auswertekette. Alle Strecken entlang der Richtung der kleinen Achse der Ellipse werden nun um das Verhältnis der großen Halbachse zur kleinen Halbachse gedehnt. Die Tierkreislinie wird dadurch wieder zum Kreis und alle anderen Messpunkte werden dementsprechend entzerrt. Sodann wird der Winkel der Kolurlinie, die vom Sommer- zum

Winterpunkt quer durch den Tierkreis verläuft, mit der waagerechten Line ermittelt und anschließend der gesamte Datensatz um diesen Winkel nach rechts verdreht. Abschließend werden alle Koordinaten auf die Uhrenmitte als Ursprung bezogen und die Abstände der Messpunkte vom Ursprung gemäß den Verhältnissen der stereografischen Projektion geeicht. Dazu nimmt man die Deklinationswerte des Sommer- und Winterpunktes von +-23,5° und vergleicht deren projizierte Abstände von Ursprung (siehe z.B. Abb. 8), mit den Messwerten dieser Punkte auf dem entzerrten und verdrehten Foto. Sie werden so skaliert, dass sie mit den Werten der stereografischen Projektion übereinstimmen. Das Endergebnis dieser Auswertekette zeigt die Abbildung 17.

Abb. 17: Darstellung des Endergebnisses der Entzerrung für den Vergleich mit den gerechneten Sternpositionen in Abbildung 12. Zu sehen sind der Ekliptikkreis und die vermessenen Stützstellen, die Kolurlinien und die Sternpunkte.

Ebenfalls eingetragen ist der Mittelpunkt des Ekliptikkreises, der auf der waagerechten Mittellinie liegen sollte, aber davon nach unten abweicht. Dies ist ein Hinweis auf die Unzulänglichkeit des einfachen Entzerrungsverfahrens.

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Nun liegen alle Koordinaten der Sternpunkte auf der Uhr in Münster für den Eintrag in eine Sternkarte vor. Dieser Eintrag ist bereits in Abbildung 12 geschehen, die das Endergebnis zeigt. Dargestellt sind die Sterne auf der Uhr als kleine Kreuze neben der „Präzessions-Spur“ der tatsächlichen Positionen dieser Sterne im Laufe der Jahrhunderte. Zusätzlich sind auch die Messpunkte vom Ekliptikrand nochmals eingetragen. Sie weichen stellenweise nach innen und außen vom Ekliptikkreis ab, was ein Hinweis auf die Unzulänglichkeit des hier angewendeten einfachen Entzerrungsverfahrens bzw. auf die Untauglichkeit des verwendeten Fotos mit der schrägen Kameraposition ist. Dennoch lassen sich hier einige wichtige Aussagen und Ergebnisse ableiten, an denen auch eine bessere Auswertung keine grundlegenden Änderungen mehr bringen wird. Diese werden zusammen mit einigen Überlegungen zur Genauigkeit der Analyse im nächsten Abschnitt behandelt.

Ergebnis der Untersuchung - Datierung des Sternenhimmels auf der Uhr in Münster

Das Ergebnisbild (Abb. 12) erlaubt trotz einiger kleiner Fehler einen generellen Rückschluss auf die Datierung der Sternpositionen auf dem heutigen Rete. Die Unzulänglichkeit der Auswertung zeigt sich an den Messpunkten vom Ekliptikrand, die mit dem roten Kreis und den dort gesetzten Punkten übereinstimmen sollten. Der Abstand zwischen den gemessenen Ekliptikpunkten (kleine schwarze Kreise) und den theoretisch errechneten roten Punkten ist deutlich erkennbar. Die Abstände erklären sich allerdings zum größeren Teil als Fehler in der Deklination. Demgegenüber liegen die

vermessenen Punkte fast alle auf dem richtigen Rektaszensions-Strahl. Die gleiche Beobachtung macht man nun auch bei den vermessenen Sternpunkten (kleine schwarze Kreuze in Abb. 12).

In den wenigsten Fällen sieht man eine perfekte Übereinstimmung mit dem grünen gerechneten Sternpunkt bzw. einem der benachbarten Punkte auf der Präzessionsspur. Meist gibt es mehr oder weniger große Abstände, jedoch ist auch hier die Abweichung in der Deklination viel größer als in der Rektazension. Würde man nämlich Strahlen vom Mittelpunkt des Rete bis zu den kleinen Kreuzen (vermessene Sternpunkte

)

ziehen, so stellt man fest, dass diese Strahlen die zugeordneten

Präzessionspuren etwa im gleichen Zeitraum schneiden. Dies gilt insbesondere für die Ansammlung von Sternen in der Nähe des Sommerpunktes (rechte Seite in Abb. 12). Die wenigen Sterne auf der linken Seite weichen grundsätzlich stärker ab, was erneut die Frage aufwirft, nach welchen

Gesichtspunkten die Auswahl der Sterne erfolgte und warum die Sternverteilung auf der Uhr so inhomogen ist. Betrachtet man im Folgenden nur die Sterne auf der rechten Seite, so erkennt man auch hier kleine Schwankungen, die sich jeweils auf die Datierung auswirken, ein grober Datierungsversuch anhand dieser Sterne erscheint jedoch gerechtfertigt. In dieser Himmelsregion wirkt der

Präzessionseffekt ausschließlich auf die Rektaszension wirkt und damit liegt an dieser Stelle die größte zeitliche Auflösung dieses Datierungsverfahrens anhand der Rektaszension vor.

Die Rektaszensionswerte der Sterne rechts auf dem Bild liefern als grobes Datierungsergebnis den Zeitraum des 20. Jahrhunderts. Dieser erste Eindruck soll durch eine quantitative Auswertung untermauert werden. Dazu werden zunächst die Abweichungen der gemessenen Ekliptikpunkte in diesem Bereich von den entsprechenden berechneten Punkten untersucht (Abweichungen dieser Ekliptikpunkte in Rektaszension). Für den Sektor der Ekliptik von 50° bis 130° ekliptische Länge (Bereich rechts auf der Sternkarte) erhält man die folgenden Abweichungen:

Tabelle 2: Abweichungen zwischen Messpunkten und berechneten Punkten der Ekliptik

Ekl. Länge Abweichung der Rektaszension in Grad

50 0,28

60 0,36

70 0,19

80 0,18

90 0,73

100 0,46

110 0,00

120 0,80

130 0,44

140 0,16

150 0,29

(16)

Alle gemessenen Rektaszensionen sind etwas größer als die berechneten, d.h. die Radialstrahlen zu den Messpunkten liegen etwas unterhalb der Strahlen zu den berechneten Punkten.

Mit Hilfe dieser Daten lassen sich nun die Sternpunkte, die in die Auswertung eingehen, noch korrigieren. Deren Rektaszensionwerte werden je nach ihrer Lage auf der Sternkarte um den entsprechenden Winkel aus Tabelle 2 verdreht, wobei Zwischenwerte zu den Tabelleneinträgen interpoliert werden. Nun wird anhand der Abbildung 18, die einen vergrößerten Ausschnitt aus Abbildung 12 darstellt, der korrigierte Radialstrahl eingezeichnet und anhand seines Durchgangs durch die jeweilige „Präzessionsspur“ für jeden Stern eine Einzeldatierung durchgeführt.Wegen der Rektaszensionskorrekur liegen die Strahlen in Abbildung 18 jeweils etwas oberhalb der Messpunkte.

Abb. 18: Vergrößerter Ausschnitt aus Abbildung 12. Zusätzlich eingezeichnet sind Radialstrahlen zu den Sternen, die für die Gesamtdatierung hinzugezogen werden. Die Strahlen liegen jeweils etwas oberhalb der Messpunkte (kleine Kreuze), weil noch eine letzte Korrektur für die Rektaszensionswerte angebracht wurde (siehe Text).

Aus den neun Einzelwerten (siehe Tabelle 3; die Daten wurden der Abbildung 18 entnommen) wird der Mittelwert bestimmt und aus den Abweichungen der Gauß´sche Fehler. Man erhält als

Endergebnis 1990 +- 40 Jahre (1 Sigma), das mit der Epoche1950 verträglich ist, der möglichen Epoche des im Jahr 1930 verwendeten Sternkatalogs.

(17)

Auch eine genauere Auswertung oder die Verwendung eines besseren Fotos (mit besserer

Kameraposition) würde zu keinem grundlegend anderen Ergebnis führen, denn als alternative Daten für die Entstehung des Sternenhimmels auf der Uhr kommen nur die etwaigen Zeitpunkte 1660, 1540 oder 1400 in Frage. Die Unterscheidung zwischen 1660 und 1930 leistet aber auch schon die hier vorgestellte Analyse trotz ihrer kleinen methodischen Mängel.

Tabelle 3: Einzeldatierungswerte für die neun ausgewerteten Sterne

Nr. Stern Einzeldatierung

1 Menkar 1990

2 Plejaden (Alcyone) 2070

3 Capella 1750

4 Rigel 1950

5 Nath 2130

6 Saiph 2050

7 Beteigeuze 2040

8 Sirius 1980

9 Alphard 1910

Bewertung des Ergebnisses

Innerhalb bzw. nahe bei dieser ermittelten Zeitspanne von etwa einem Jahrhundert lag nur eine Restaurierung der Uhr, nämlich die des Jahres 1930, als das alte Eichenholz-Rete durch ein neues mit Bronzeauflage ersetzt wurde. Es lässt sich schlussfolgern, dass bei dieser Restaurierung der

Sternenhimmel neu aufgebracht wurde, mit neuen, aktuellen Sternkoordinaten. Damit lässt sich der Sternenhimmel auf der astronomischen Uhr von Münster auf das Jahr 1930 datieren und die Daten entstammen vermutlich einem Sternkatalog mit dem Äquinoktium 1900 oder 1950.

Aus heutiger denkmalpflegerischer Sicht und auch aus astronomiehistorischen Gesichtspunkten muß die Neuschaffung des Sternenhimmels im Jahr 1930 mit Sternpositionen aus der Neuzeit kritisch angesehen werden. Die Information über den alten Sternenhimmel und seine mögliche Datenquelle aus einem Sternkatalog des 17. Jahrhunderts oder womöglich eines Katalogs aus der

vorteleskospischen Epoche der Astronomie ist dadurch zerstört worden. Die Retter der Uhr um Peter Werland, ohne deren Einsatz sie Ende der 1920er Jahr aus dem Dom entfernt worden wäre, wollten in astronomischer und technischer Hinsicht (auch das alte Uhrwerk wurde durch ein modernes

Industrieuhrwerk ersetzt, siehe [3]) das Alte nicht vollständig erhalten, sondern die Uhr für ihre Zeit und die kommenden Jahrhunderte retten. Dabei haben sie verschiedentlich auf zeitgemäße Elemente zurückgegriffen, vor allem was die astronomischen und uhrentechnischen Komponenten betrifft.

Aus heutiger Sicht wäre der Erhalt möglichst aller Elemente aus älterer Zeit wertvoller gewesen.

Besonders schmerzlich ist, dass die erhaltenen Teile der alten Uhr, die noch Rückschlüsse auf das astronomische Wissen ihrer mittelalterlichen Erbauer liefern könnten, nicht dokumentiert und inventarisiert wurden, sondern nur noch in wenigen zerlegten Resten in Münster zerstreut und kaum zugänglich vorhanden sind. Die Restaurierung und „Modernisierung“ einer mittelalterlichen

astronomischen Uhr mit den Möglichkeiten des 20. Jahrhunderts ist nicht annähernd mit der Leistung der Erbauer vergleichbar, die im 15. und 16. Jahrhundert solche Uhren schufen.

Ausblick auf weitergehende Untersuchungsmöglichkeiten

Die hier vorgestellte Auswertemethode hat den Vorteil, dass sie ohne weiteren Aufwand auf die wenigen erhaltenen Fotos der Uhr vor der Restaurierung im Jahr 1930 übertragen werden kann. Zu untersuchen wäre, ob der Sternenhimmel auf der alten Uhr im 17. Jahrhundert aufgebracht wurde, oder ob er sogar aus noch älterer Zeit stammt und bei den früheren Restaurierungen die alten

Sternpositionen erhalten blieben, ohne auf zwischenzeitliche Präzessionseffekte korrigiert zu werden.

(18)

Literatur

[1] Theodor Wieschebrink: Die astronomische Uhr im Dom zu Münster; herausgeg. von Erich Hüttenhain, 2. Aufl., Aschendorff-Verlag, Münster 1983

[2] Manfred Schukowski: Wunderuhren; Thomas Helms Verlag, Schwerin 2006, 86 - 93 [3] Bernd Mosel: Die Astronomische Uhr im St.-Paulus-Dom in Münster;

www.horology-mosel.de/app/download/6075874481/Domuhr+1211.pdf?t=1361720848 (Juni 2013)

[4] Hipparcos Catalogue (sample table “The 150 stars in the Hipparcos Catalogue with highest apparent magnitude”); http://www.rssd.esa.int/SA-

general/Projects/Hipparcos/pstex/table365-new.pdf (Juni 2013)

[5] C. Ptolemäus: Handbuch der Astronomie ("Almagest"), Bd. II; dt. Übers. von Karl Manitius,Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig 1963

[6] Bradley E. Schaefer: The Epoch of the Constellations on the Farnese Atlas and their Origin in Hipparchus´s lost Catalogue, Jour. Hist. Astr. 34 /2005), 1 - 29

[7] Erik Damm: Grundlagen Astronomischer Uhren; Books on Demand, Norderstedt 2009, 24 - 44

[8] The Bright Star Catalogue, 5th Revised Ed. (Preliminary Version); D. Hoffleit, W.H.

Warren Jr, Astronomical Data Center, NSSDC/ADC (1991); http://tdc- www.harvard.edu/catalogs/bsc5.html (Juni 2013)

[9] B. Steinrücken: Die Bahnen der hellsten Sterne vor der Zeitenwende - Zur Berechnung der Äquatorialkoordinaten in vergangenen Epochen; http://sternwarte-

recklinghausen.de/astronomie/forschungsprojekt-vorzeitliche-astronomie/#A03 (Juni 2013)

Abbildung

Abb. 1: Ausschnitt aus dem  Ziffernblatt der astronomischen Uhr  im Dom zu Münster mit einigen  Sternen
Tabelle 1: Liste der Sterne auf der astronomischen Uhr in Münster nach Th. Wieschebrink
Abb. 3:  Taumelbewegung der Erdachse (sog. Präzession).
Abb. 5: Projektion bei einer Drehbaren Sternkarte. Die  Sternkartenebene tangiert die Himmelskugel am nördlichen  Himmelspol
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Referenzen

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