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Familiengesundheitspflege bei Früh- und Neugeborenen – Definition eines neuen Aufgabenbereichs für Pflegende

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Academic year: 2021

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Fakultät Wirtschaft und Soziales

Department Pflege & Management

Dualer Studiengang Pflege (BA)

Bachelorarbeit

Familiengesundheitspflege bei Früh-

und Neugeborenen – Definition eines

neuen Aufgabenbereichs für Pflegende

Abgabe Datum: 01.06.2015

Eingereicht von: Mirjam Schewe

Matrikelnummer:

Adresse:

E-Mail:

Betreuende Prüfende: Frau Prof. Dr. Doris Wilborn

Zweiter Prüfer: Jörg Rahmann

(2)

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

1.1 Zielsetzung 2

2. Methodik 3

2.1 Begründung des Vorgehens 3

2.2 Literaturrecherche 3

3. Definitionen 4

3.1 Definition Perinatalzentren 4

3.2 Definition Neu-und Frühgeborene 5

3.2 Epidemiologie, Ursachen und Komplikationen bei Frühgeborenen 6

4. Bedeutung für die Familien 8

4.1 Bedeutung bei Frühgeburten 8

4.2 Bedeutung bei chronischen Erkrankungen 12

5. Familiengesundheitspflege 14

5.1 Wichtige Schlüsselbegriffe 14

5.2 Definition Familiengesundheitspflege 15

5.3 Entwicklung und Geschichte 16

5.4 Ausbildung in Deutschland 18

5.5 Zielgruppen 18

5.6 Rolle der Familienpflege 19

5.7 Ansiedelung der Familiengesundheitspflege 19

5.7.1 Sozialmedizinischer Nachsorgedienst 19

5.8 Handlungskompetenzen 21

5.9 Handlungsfelder 23

5.10 Finanzierung 25

6. Ergebnisbetrachtung der Familiengesundheitspflege im stationären

Setting 25

6.1 Familiengesundheitspflege als feste Bezugsperson 26

6.2 Aufgabenbereiche der Familiengesundheitspflege 28

6.3 Strukturelle Ansiedelung der Familiengesundheitspflege 33

6.3.1 Bezugspflege-Case-Management 34

6.3.2 FGP mit Sprechstunden 36

7. Fazit 38

8. Literaturverzeichnis 40

(3)

 1

1. Einleitung

„Allein in Deutschland werden pro Jahr etwa 60.000 Kinder zu früh geboren. Davon haben etwa 6.000 ein Geburtsgewicht von unter 1.500g und benötigen bereits in ihren ersten Lebenswochen eine hochspezialisierte Behandlung. Darüber hinaus ist es leider in den vergangenen Jahrzehnten trotz erheblicher Bemühungen nicht gelungen, die Häufigkeit von Frühgeburten zu senken.“1

Laut Reichert, Wauer, Rüdiger und Lutz, (2008)2 ist diese frühzeitige Trennung für die Eltern vom Kind, gefolgt von der Konfrontation mit der neonatologischen Intensivstation und dem möglicherweise kritischen Gesundheitszustand des Kindes, mit Gefühlen von Angst, Ohnmacht, Schuld und Ausgeschlossen-Sein verbunden. Laut von der Wense und Bindt wurden in einer Studie von Pangel et al. aus dem Jahr 2002, 200 Eltern von extrem frühgeborenen Kindern zum Ende ihres Aufenthalts auf einer neonatologischen Intensivstation zu ihrem Befinden während der Behandlungszeit befragt: 10 Prozent der Mütter und 6 Prozent der Väter gaben an, sie hätten sich meistens oder immer „hilflos und alleingelassen“ gefühlt. 3 Auch Prof. Dr. Linderkamp, Chefarzt der Neonatologie am

Universitätsklinikum in Heidelberg, gibt im Interview mit der „Pflegezeitschrift“ (2006) an, dass Familien unter der Frühgeburt ihres Kindes leiden, denn „Selbstvorwürfe, Ängste um das Überleben und die Gesundheit des frühgeborenen Kindes erschweren die Gesamtsituation“4. Hinzu kommen enorme „zeitliche und finanzielle Belastungen sowie eine allgemeine Überforderung und die Sorge um die Betreuung des Kindes nach der Entlassung aus der Klinik“.5 Hier sieht Linderkamp noch Handlungsbedarf, um Familien besser auffangen zu könne. 6 Diese Krisensituation erschwert den notwendigen emotionalen

Bindungsaufbau zum Kind und lässt insbesondere Mütter ihre elterliche Kompetenz hinterfragen. Die Eltern sollen sich jedoch befähigt sehen, die Elternrolle auszufüllen.7 Aufgrund des Personalmangels in der Pflege, fehlt den                                                                                                                

1

Wense & Bindt (2013) S.18

2

Reichert et al. (2008) S.212

3

Vgl. Wense & Bindt (2013) S.75

4  

Kohlhammer (2006) S.422  

5  Kohlhammer (2006) S.422   6Vgl.Kohlhammer (2006) S.422 7

(4)

Pflegenden oft die Zeit, um Gespräche mit den Eltern führen zu können. Auch eine Elternberatung oder Anleitung lässt sich oft schwer realisieren. Aufgrund des rotierenden Pflegepersonals und der Ärzte fehlt den Eltern ein fester Ansprechpartner, auf den sie während des Klinikaufenthaltes zurückkommen können. Laut des Bundesverbandes „Das Frühgeborene Kind“ e.V. gibt es „für den Begriff Elternberatung sowie psychosoziale Begleitung im Perinatalzentrum (...) bislang keinen Konsens bezogen auf Inhalte und Verantwortlichkeiten bzw. involvierte Berufsgruppen.“8 Im Rahmen von verschiedenen Praxiseinsätzen wurde mir der sozialmedizinische Nachsorgedienst „Leuchtturm e.V.“ bekannt. Dies ist ein gemeinnütziger Verein der besonders Familien mit frühgeborenen oder schwer kranken Kindern im Anschluss an einen Klinikaufenthalt unterstützt und jedoch nur bedingt die Eltern stationär betreut.9 Für diesen Nachsorgedienst arbeiten Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen, aber auch spezialisierte, sogenannte Familiengesundheitspflegerinnen (Family Health Nurses), welche die Familien zu Hause betreuen. „Diese fungieren in den Familien vor allem als Gesprächspartner, als Berater, als Anleiter als Begleiter, als Motivator, als Lotsen, als Vermittler (...).“10

1.1 Zielsetzung

Um der Problematik der fehlenden Ansprechpartner für Eltern auf neonatologischen (Intensiv-) Stationen entgegen zu wirken, kam die Idee auf Familiengesundheitspfleger/innen als Ansprechpartner in diesem stationären Setting zu etablieren. Ziel dieser Bachelorarbeit ist die Auseinandersetzung mit dem WHO11 Konzept der Familiengesundheitspflege (Family Health Nurse). Auch werden die Ursachen und Komplikationen der Frühgeburten beschrieben. Weiterhin wird verdeutlicht, welche Bedeutung eine Frühgeburt, sowie die daraus resultierenden chronische Erkrankungen für die Eltern und Familien hat. Anhand der Literatur wird erläutert, ob dieses WHO Konzept in einem stationären Setting eine feste Bezugsperson für Eltern von Früh- und Neugeborener über den gesamten Klinikaufenthalt schaffen kann.

                                                                                                               

8

Bundesverband " Das Frühgeborene Kind" e.V. (2014) S.6

9Im Laufe der Arbeit werde ich noch einmal auf den Verein eingehen 10 Wagner, Schnepp (2001) S.34

11

(5)

 3

Daher wird den folgenden Fragestellungen nachgegangen:

- Kann ein/e Familiengesundheitspfleger/in im stationären Setting eine feste Bezugsperson für Eltern Früh- und kranker Reifgeborener über den gesamten Klinikaufenthalt sein?

- Welchen Aufgabenbereich übernimmt die Familiengesundheitspflege im stationären Setting und wo kann sie strukturell angesiedelt werden?

2. Methodik

2.1 Begründung des Vorgehens

In den letzten Jahren ist das Thema der Familiengesundheitspflege immer präsenter geworden und es gibt einige Literatur zu dieser Thematik, jedoch noch nicht in Bezug auf die Familiengesundheitspflege im stationären Setting bei Früh- und Neugeborenen. Daher werden im Rahmen dieser Bachelor Thesis anhand der bereits vorhandenen Literatur und persönlicher Erfahrung die Forschungsfragen beantwortet.

2.2 Literaturrecherche

Zur Literaturrecherche wurde der Online Katalog der Hochschule für Angewandte Wissenschaft, sowie verschiedene Datenbanken wie Pub Med, Med Pilot und Google Scholar genutzt. Dabei wurden die Suchbegriffe, „Family Health Nurse“, „Familiengesundheitspflege“, „Neonatologie und Elternbetreuung“ und „Frühgeburt“ verwendet.

Auch die offiziellen Internet-Plattformen von Organisationen wie z.B. dem „Bunten Kreis Deutschland“, der Familiengesundheitspflege des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), sowie des Bundesverbandes „Das Frühgeborene Kind“ e.V. wurden als vertrauenswürdige Quellen herangezogen. Diese anerkannten Organisationen nehmen eine Vorreiterrolle in diesem Tätigkeitsfeld der Familiengesundheitspflege ein. Auch wurde das Alter der Literatur auf die letzten elf Jahre aufgrund ihrer Aktualität eingegrenzt. Jedoch stellt die Literatur der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 1999 eine Ausnahme dar. Die Literaturrecherche erfolgte im April 2015.

(6)

3. Definitionen

Die meisten Neu- und Frühgeborenen werden in Perinatalzentren zur Welt gebracht. Kranke Neugeborene und Frühgeborene benötigen eine intensive Versorgung und werden oft mit chronischen Erkrankungen und pflegerischen Bedarfen nach Hause entlassen. Daher werden zu Beginn der Thesis die zentralen Begriffe Perinatalzentrum, Früh- und Neugeborene definiert. Auch werden die Epidemiologie12, die Ursachen und die häufigsten Komplikationen bei Frühgeborenen erläutert.

3.1 Definition Perinatalzentren

Unter Perinatalzentrum (PNZ) versteht man eine „geburtshilfreiche Einrichtung für die Betreuung von Frauen mit Risikoschwangerschaften oder Risikogeburt und von Frühgeborenen“13. In diesen Zentren sind Frauenklinik, Kinderklinik und Neonatologie angesiedelt, um Diagnostik und Therapie von Mutter und Kind während der Schwangerschaft, der Geburt und in der Neonatalperiode („Zeitraum von Geburt bis zum vollendeten 28. Tag nach der Geburt“14) zu überwachen.

Geburtsmedizin und Neonatologie sind hier einander funktionell und räumlich eng zugeordnet, damit das Kind unmittelbar von einem gut vorinformierten neonatologischen Team (Facharzt für Früh- und Neugeborenenmedizin, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger) intensivmedizinisch erstversorgt und betreut werden kann. Neben der optimalen Betreuung von Mutter und Kind in der Perinatalperiode (Zeitraum zwischen Geburtsbeginn und dem 7. Tag nach der Geburt15) ist die Vermeidung der Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt ein wesentlicher Vorteil, da Mütter keine größeren Distanzen zu ihren Kindern haben.

Die Einteilung der Perinatalzentren erfolgt nach Ressourcen und wird in zwei Level unterteilt. In einem PNZ mit Level 1 müssen personelle und strukturelle Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Versorgung von Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 1250g und mit einem Schwangerschaftsalter jünger                                                                                                                

12Wissenschaftszweig, der sich mit der Verteilung von Krankheiten, deren Variablen und sozialen

Krankheitsfolgen in menschlichen Bevölkerungsgruppen befasst sowie mit Faktoren, die diese Verteilung beeinflussen“ (Warmbrunn & Wied 2012, S.248)

13  Warmbrunn & Wied (2012) S.619   14 Warmbrunn & Wied (2012) S.586 15

(7)

 5

als eine vollendete 29. Schwangerschaftswoche (SSW) sowie einem hohen Risiko gegeben sein. In Perinatalzentren mit Level 2 werden Kinder mit einem Geburtsgewicht von 1250 bis 1499g oder einem Schwangerschaftsalter zwischen vollendeter 29. SSW und vollendeter 33. SSW oder einem hohen Risiko versorgt. Neugeborene die zwischen der vollendeten 33. SSW und der vollendeten 36. SSW geboren werden, können in einem Krankenhaus mit perinatalem Schwerpunkt versorgt werden.16

3.2 Definition Neu-und Frühgeborene

Allgemein versteht man unter einem Neugeborenen ein „lebendgeborenes Kind in der Zeit ab der Geburt bis zum 28. Lebenstag.“17 Dabei wird zwischen dem termin-

oder reifgeboren Neugeborenen und den Frühgeborenen sowie den übertragenen Neugeborenen (über die 42 SSW hinaus) unterschieden.18

Die heutigen Definitionen für Früh und reife Neugeborene richten sich nach dem sogenannten Gestationsalter (Reifezustand) des Kindes, also ob es zu früh geboren wurde oder nicht. Die gängigen Definitionen sind folgende: „Ein reifes Neugeborenes wird zwischen der 38.- 42. Schwangerschaftswoche geboren.“19

„Neugeborene, die vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche (260 Tage) zur Welt kommen, werden als Frühgeborene bezeichnet.“20

Weiterhin unterscheidet man zwischen untergewichtigen Neugeborenen, die unabhängig vom Schwangerschaftsalter weniger als 2.500g wiegen (LBW:„Low Birthweight Infant“), den sehr untergewichtigen Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von 1.500g (VLBW: Very Low Birthweight Infant), sowie den extrem untergewichtigen Neugeborenen, die ein Geburtsgewicht von 1.000g unterschreiten (ELBW: Extremly Low Birthweight Infant).21

                                                                                                               

16

Vgl. Warmbrunn & Wied (2012) S.619

17

Warmbrunn & Wied (2012) S.587

18

Vgl. Warmbrunn & Wied (2012) S.587

19 Hoel (2008) S.584 20 Hoel (2008) S.623 21

(8)

3.2 Epidemiologie, Ursachen und Komplikationen bei Frühgeborenen

Etwa 8,8 Prozent aller Neugeborenen in Deutschland sind Frühgeborene mit einer Schwangerschaftsdauer von unter 37 Wochen.22 Mehr als ein Prozent der 670.000 Neugeborenen in Deutschland kommen mit einem Gewicht unter 1500g zur Welt. Dies entspricht etwa 7000 Frühgeborenen pro Jahr.23 Die Ursachen für Frühgeburtlichkeit sind verschieden, vielseitig und sehr komplex. Plazentaprobleme (vorzeitige Plazentaablösung, Plazentainsuffizienz sowie ungünstiger Plazentasitz) und fetale Probleme wie Mehrlingsschwangerschaften, sowie erhöhte Fruchtwassermenge, zum Beispiel bei fetalen Schluckstörungen können zu Frühgeburten führen. Auch mütterliche Probleme wie genitale Infektionen, vorzeitiger Blasensprung, eine Schwäche des Muttermundverschlusses (Zervixinsuffizienz), sowie das HELLP-Syndrom (erhöhte Leberwerte, niedrige Blutplättchenanzahl) begünstigen das Frühgeburtsrisiko. Neben physischen Problemen können auch Lebenssituationen wie Schwangerschaft im hohen Lebensalter oder bei Minderjährigen, aber auch psychosoziale Stressbelastung und schwierige sozioökonomische Rahmenbedingungen Frühgeburten begünstigen.24

Die Geburt stellt für den kindlichen Organismus eine große Herausforderung dar und kann daher mit Anpassungsstörungen verbunden sein.25 Durch die vorzeitige Geburt des Kindes wird die physiologische Entwicklung unterbrochen. Daher haben Frühgeborene oft mit Lungenunreife, sowie mit Unreife des Herz-Kreislauf-Systems, des Gehirns und des Immunsystems zu kämpfen. Je unreifer das Kind ist, desto mehr Komplikationen, wie beispielsweise Hirnblutungen oder Infektionen, können auftreten. Sind diese Blutungen oder Infektionen schwerwiegend, können sich daraus chronische Erkrankungen und Behinderungen entwickeln. Auch reife Neugeborene können mit chronischen Erkrankungen geboren werden.

                                                                                                               

22

Vgl. Reichert, et al. (2014) S. 1010

23 Vgl. Wenes & Bindt (2013) S. 29 24 Vgl. Wense & Bindt (2013) S.30-31 25

(9)

 7

Unter „chronischer Erkrankung“ versteht man laut Lubkin und Müller (2002) „das irreversible Vorhandensein bzw. die Akkumulation (Anhäufung)26 oder dauerhafte Latenz von Krankheitszuständen oder Schädigungen“27. Weiterhin wird gesagt, dass „im Hinblick auf unterstützende Pflege, Förderung der Selbstversorgungskompetenz, Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit und Prävention weiterer Behinderung das gesamte Umfeld des Patienten gefordert ist“28.

Chronische Erkrankungsbilder können also als „Störungsbilder zusammengefasst (werden), die über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben und die schwer oder gar nicht heilbar sind“29. Charakteristisch ist eine dauerhafte bis lebenslange Behandlungsnotwendigkeit der chronisch erkrankten Patienten. 30 Laut Warschburger variiert in der Literatur der Zeitraum ab dem von einer chronischen Erkrankung gesprochen werden kann. Die Spanne kann so von „einem Monat über drei Monate bis zu einem Jahr“31 reichen.

Solche Kinder brauchen eine spezielle pflegerische Betreuung, da sie nicht selbständig atmen können, Probleme mit der Temperaturregulierung des Körpers haben und sehr schnell ermüden. Deswegen brauchen sie Unterstützung durch Beatmung oder wärmeregulierende Betten. Sind die Kinder zu schwach zum Trinken, werden sie mit Hilfe einer Magensonde ernährt. Um Stress bei Frühgeborenen zu vermeiden, werden diese so wenig wie möglich berührt, beziehungsweise versorgt. Das bedeutet, dass Maßnahmen die nicht dringlich erforderlich sind, unterlassen werden.32

Meistens sind die Eltern und Familien nicht auf diese Erkrankungen der Neugeborenen sowie die frühe Geburt ihres Kindes vorbereitet. Was dies für die Eltern und die Familien bedeutet wird im folgenden Kapitel beschrieben.

                                                                                                               

26 Duden (2009) S. 168 27  Lubkin & Müller (2002) S.26   28

Lubkin & Müller (2002) S.26

29

Lohaus & Heinrichs (2013) S.15

30 Vgl. Lohaus & Heinrichs (2013) S.15 31 Hagen & Schwarz (2009) S. 28 32

(10)

4. Bedeutung für die Familien

Unter Familie versteht man einen „Zusammenschluss von Menschen, die als soziale Einheit betrachtet werden.“33 „Die Mitglieder sind entweder genetisch, gesetzlich und/oder emotional verbunden.“34

Ein Familienmitglied oder einen Angehörigen im Krankenhaus zu wissen, stellt für viele Menschen eine Belastung dar. Für Familien, deren Kind zu früh geboren oder sein Leben lang unter einer chronischen Erkrankung leiden wird, stellt diese Situation eine enorme Belastung dar, der ich in diesem Kapitel nachgehen werde. Besonders diese Familien brauchen eine spezielle Betreuung. Dieses Kapitel ist daher in zwei Unterpunkte gegliedert. Zum einen wird die Bedeutung der Frühgeburt für Familien erläutert zum anderen die Bedeutung der daraus möglicherweise resultierenden chronischen Erkrankung beschrieben.

4.1 Bedeutung bei Frühgeburten

„Der Aufenthalt eines Neugeborenen auf einer neonatologischen Intensivstation stellt für die gesamte Familie ein krisenhaftes und stressbeladenes Lebensereignis dar“.35 Laut des Bundesverbandes „Das Frühgeborene Kind“ e.V. ist die komplexe intensivmedizinische Situation auf der Station für die Eltern zunächst befremdlich und verstörend. Sie kennen weder die Funktion der Geräte, noch die Wirkung von den verabreichten Medikamenten. Auch können sie die Relevanz von Alarmen und angezeigten Werten auf den Monitoren nicht einschätzen und werden mit unverständlichen Begriffen konfrontiert. Mit ihren „elterlichen Kompetenzen wie Schutz, Trost, Wärme und Geborgenheit, die sie ihrem Kind geben wollen, stehen sie hilflos vor einer trennenden Plexiglasscheibe“36, hinter der ihr verkabeltes Kind liegt.

So sind die ersten Wochen nach der Geburt ihres Kindes fast vollständig von der Abhängigkeit vom Pflegepersonal und den Ärzten geprägt, was dazu beiträgt, „dass Eltern sich in ihrer Hilflosigkeit oft fragen, wem das Frühgeborene eigentlich

                                                                                                               

33  Warmbrunn & Wied (2012) S. 274   34

Warmbrunn & Wied (2012) S. 274

35

Panagl et al. (2005) S.15

(11)

 9

gehört (so genanntes „Whose-Baby-Syndrom‟)“37. Laut Panagl, Kohlhauser und

Pollak (2005) haben Eltern zwei wesentliche Herausforderungen während des stationären Aufenthalts zu bewältigen, zum einen die „Entwicklung zur Familie“ und „die Krankheitsverarbeitung“38. Zusätzlich zu den genannten Belastungen und Herausforderungen, müssen sie neben den Besuchen auf der Station die Alltagsanforderungen zu Hause oder im Beruf bewältigen. Weiterhin müssen sie sich mit den veränderten und zuweilen bedrohlichen Zukunftsperspektiven nach der Entlassung ihres Kindes befassen.39

Durch diese vielen verschiedenen Eindrücke und Faktoren sind die Eltern von Frühgeborenen stark in ihren Emotionen belastet. Jedoch muss beachtet werden, dass Mütter „erheblich und oft auch anhaltend emotional belastet“40 sind. Dies kann daran liegen, dass Mütter von Frühgeborenen innerlich noch nicht auf das Ende ihrer Schwangerschaft vorbereitet sind. 41 In der letzten Schwangerschaftsphase, in der alles beschwerlicher für die Mutter wird, kommt es zu einer „inneren Loslösung vom Kind zu einer Akzeptanz ‚ich bin ich und du bist du’“42. Männer scheinen hingegen emotional weniger betroffen zu sein als ihre Partnerinnen.43 Auch die Forschungsergebnisse von Bruns-Neumann (2006) zeigen, dass „speziell Mütter intensive emotionale Reaktionen als Folge einer Frühgeburt zeigen“44. Die meist genannten Emotionen, die Eltern während der

Neugeborenenperiode durchleben, sind die Gefühle der Schuld, Angst, Ungewissheit, Depression, Niedergeschlagenheit und der Entfremdung. Neben den genannten Gefühlen treten für die betroffenen Eltern zahlreiche Stressfaktoren in den Vordergrund, die das emotionale Erleben negativ beeinflussen können. Auslöser für Stress können der Anblick des fragilen Kindes, dessen Gesundheitszustand und die weitere gesundheitliche Entwicklung sein. Auch die Umgebung, die Intensivstation, kann einen Einfluss auf das

                                                                                                               

37

Bundesverband " Das Frühgeborene Kind" e.V. (2010) S.11

38

Panagl et al. (2005) S.18

39

Panagl et al. (2005) S.20

40

Vgl. Wense & Bindt (2013) S. 79

41

Huter (2004) S.64

42 Huter (2004) S.64

43  Vgl. Wense & Bindt (2013) S. 78   44

(12)

Stresserleben haben.45 „Äußere Faktoren, die sich negativ auswirken können,

betreffen besonders die Anforderungen, die an die Eltern hinsichtlich eines geregelten Familienlebens gestellt werden, und das Unverständnis des sozialen Umfelds für die Situation der Eltern“46.

Durch die „Unvorhersehbarkeit und Bedrohlichkeit der Ereignisse nehmen die zu frühe Geburt und der nachfolgende stationäre Aufenthalt ihres Kindes für viele Eltern die Dimension einer traumatischen Krise an“47. Dies kann sich bei den Eltern auf verschiedene Art äußern, zum einen nehmen sich die Eltern gegenüber dem Pflegeteam und den Ärzten deutlich zurück und drücken ihre Zweifel nicht aus. Oft ist dies auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen. Andere Eltern begegnen den Behandelnden durch ihre Unsicherheit mit vielen Ansprüchen, sind sehr fordernd nach Gesprächen und haben ein hohes Bedürfnis an Kontrolle. Dieses Verhalten führt oft zu einer Gegenwehr der Teammitglieder, die dann die Eltern in den Informationsfluss oder die praktische Versorgung des Kindes nicht mehr mit einschließt. Dies gibt den Eltern jedoch den Grund, ihr Verhalten zu verschärfen.48 Eltern sind laut des Bundesverbands „Das frühgeborene Kind“ e.V. (2010), grundsätzlich an allen ihr Kind betreffenden Abläufen, Geschehnissen und Details interessiert. Daher ist nichts zu unbedeutend, um es möglichst zeitnah den Eltern mitzuteilen. Diese Informationen vermitteln den Eltern das Gefühl, in die Behandlung des Kindes mit einbezogen zu sein. Weiterhin fördern genaue Informationen zum Gesundheitszustand des Kindes die Krankheitsbewältigung der Eltern. Neben dem Einbezug der Eltern in die Informationen, ist es laut Panagl et al. (2005) wichtig die Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung und der Elternidentität zu fördern, indem das Betreuungsteam die Mütter und Väter möglichst früh in die Pflege und Versorgung ihres Kindes integriert. Die Eltern müssen ermutigt und angeleitet werden den Kontakt zu ihrem Kind aufzubauen. Dies kann beispielsweise mittels des „Känguruhen“ geschehen. Durch dieses Verfahren kann frühzeitig Hautkontakt mit dem Baby aufgebaut werden, denn das Kind ruht dabei, meist nur mit Windel bekleidet, auf dem nackten Oberkörper eines Elternteils.                                                                                                                 45 Vgl. Bruns-Neumann (2006) S.154 46 Bruns-Neumann (2006) S.154 47 Panagl et al. (2005) S.15 48

(13)

  11

Wichtig ist auch, dass die Geschwisterkinder auf der Station integriert werden, indem sie als Besucher willkommen sind. Auch sollen sie bei der Pflege mithelfen und ermutigt werden, ihrem jüngeren Geschwisterkind etwas Persönliches mitzubringen. Dies ist wichtig, da bereits eine normale Geburt für die Geschwisterkinder aufgrund der Trennung von der Mutter ein belastendes Ereignis sein kann.49

Der Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ e.V. (2010) hat auf neonatologischen Intensivstationen Feedback von den Eltern erfragt, in dem diese spontan positive und negative Erfahrungen wiedergeben konnten. Der Schwerpunkt lag darauf, wie lange das Erlebte schon zurück liegt. Dabei war überraschend, dass die Erfahrungen nach acht, zehn und sogar fünfzehn Jahren immer noch bei den Eltern präsent waren. Grund für die Erfragung des Elternfeedbacks waren die wenigen Rückmeldungen der Eltern an die Stationen. Insbesondere fehlte ein Feedback von detaillierten Schilderungen bestimmter Situationen, die von den Eltern als hilfreich oder belastend empfunden wurden. Dies hängt damit zusammen, dass viele Eltern während dieser Akutphasen oft keine Kritik am Stationsteam äußern, da sie überfordert sind. Viele Eltern brauchen daher zunächst Abstand, um das Erlebte reflektieren zu können. Für Eltern in diesen Ausnahmesituationen ist es, laut des Bundesverbandes, wichtig, dass sie Ansprechpartner auf der Station haben. Der erste Kontakt mit dem Stationsteam hat laut des Bundesverbandes eine große Bedeutung im Umgang mit den Eltern, denn bereits in dieser Situation können viele Dinge im Vorfeld besprochen und die Eltern auf Situationen vorbereitet werden. Andernfalls können Eltern die erste Begegnung mit dem Kind später oftmals als befremdlich empfinden und möglicherweise sogar fehlinterpretieren.50 Bei allen Eltern steht zunächst die Sorge um das Wohl ihres Kindes an erster Stelle. Daneben die eigenen Befindlichkeiten zu thematisieren, fällt ihnen besonderes dann schwer, wenn für sie als Eltern kein eigener Ansprechpartner auf Station vorhanden ist. Das Pflegepersonal ist vorrangig mit der Versorgung des Kindes befasst und die anwesenden Ärzte sorgen für die medizinischen Belange.51 Für Eltern ist es                                                                                                                

49 Panagl et al. (2005) S.19

50 Vgl.Bundesverband " Das Frühgeborene Kind" e.V. (2010) S.9 51

(14)

wichtig, sich als Individuum wahrgenommen zu fühlen und Zuwendung zu erfahren. Deswegen sollte es einen Ansprechpartner geben, „der auf sie zukommt, sich nach ihren Befindlichkeiten erkundigt und ihnen ein wenig Zeit widmet, der Raum für mögliche Fragen, Zweifel, Sorgen und Nöte bietet.“52 Dabei geht es laut des Bundesverbandes oft weniger um die eigentliche Dauer, sondern vielmehr um die Ausgestaltung dieser Zeit. „Jemand, der Eltern in einen gesonderten Raum bittet, ihnen etwas zu trinken anbietet, sich gemeinsam mit ihnen an einen Tisch setzt und im Anschluss an die Information einfach nur zuhört, was die Eltern in diesem Zusammenhang noch an Fragen oder Sorgen auf dem Herzen haben, kann mehr Verständnis oder Anteilnahme vermitteln als jemand, der sich 15 Minuten mit den Eltern zwischen Tür und Angel auf dem Gang beschäftigt, indem er sie über den aktuellen Gesundheitszustand des Kindes informiert.“53

4.2 Bedeutung bei chronischen Erkrankungen

Laut Lohaus und Heinrichs (2013), betreffen chronische Erkrankungen im Kindesalter das gesamte Familiensystem. Denn ist ein Teil des Systems chronisch krank, hat dies Auswirkungen auf alle anderen Teile der Familie. Dabei führt die Erkrankung meist zu erheblichen Änderungen in der Verteilung der Aufgaben innerhalb der Familie und bringt den Rhythmus in der Familie durcheinander. Für die Entwicklung des Familiensystems spielt die Bewältigung der Erkrankung durch jedes einzelne Familienmitglied eine entscheidende Rolle und wie dabei die Ressourcen der Familie genutzt werden. Die Zusammensetzung der Familie hat eine große Bedeutung, jedoch ist die Qualität der Beziehungen untereinander wichtiger. So kann eine chronische Erkrankung als Risikofaktor für die Familiendynamik betrachtet werden. Daher ist es wichtig, dass Familien einen gesunden Umgang mit der Erkrankung finden. Dies ist nicht so leicht zu realisieren, denn je nach Schwere der Erkrankung des Kindes können die Eltern sehr stark belastet sein. Eine schwere chronische Erkrankung wird auf der Skala der Schwere der psychosozialen Belastungsfaktoren bei Erwachsenen im DSM-III-R (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) durchschnittlich auf der Stufe 5 eingestuft.

                                                                                                               

52 Bundesverband " Das Frühgeborene Kind" e.V. (2010) S.15 53

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  13

Dabei stellt Stufe 6 den höchsten Belastungsgrad dar. Solche Belastungen können die Lebensqualität stark beeinträchtigen, besonders in Bezug auf die Selbstverwirklichung und die Zufriedenheit mit der Situation der Familie. Dabei sind Mütter im Allgemeinen mehr emotional belastet als Väter. Die Partnerschaft der Eltern ist durch die wenige Zeit, die sie aufgrund der neuen Belastungen füreinander haben, beeinträchtigt, auch wenn sie durch die Bedrohung des Lebens des Kindes zusammenwachsen.

Bei gesunden Geschwistern entsteht durch eine chronische Erkrankung zunächst eine unklare, bedrohliche Situation, die besonders durch die plötzliche Veränderung des Alltags hervorgerufen wird. Erkennen Geschwisterkinder, dass die ursprüngliche Familiensituation nicht wieder genauso, wie die vorherige Normalität, hergestellt werden kann, können sie enttäuscht sein. Meistens sind die gesunden Geschwisterkinder eher zuvorkommend, zugewandt und bemüht. 54 Aufgrund der hohen Belastungen, die sich durch chronische Erkrankungen und Frühgeburten ergeben, brauchen Familien in diesen Krisen- und Stresssituationen professionelle Hilfe, die sie unterstützen, entlasten und betreuen kann. Sie brauchen einen Ansprechpartner, eine Bezugsperson, die ihre Sorgen und Nöte versteht und ihnen ihre fachlichen Fragen zum Kind beantworten kann. Auf vielen Neointensivstationen und in Perinatalzentren gibt es bereits psychologische Betreuung. Aus meiner persönlichen Erfahrung, durch die Arbeit mit diesen Eltern, wird die Empfehlung mit einem Psychologen zu sprechen oft nicht wahrgenommen. Der Gedanke psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen ist bei den meisten Eltern sehr oft negativ belegt. Daher ist es wichtig eine Bezugsperson zu schaffen, zu der Eltern Vertrauen entwickeln können. Meist sind dies die Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/innen, da diese aufgrund ihrer Präsenz auf der Station „eine Schlüsselposition bei der Versorgung“55 der kranken

Kinder haben und für die Eltern die wichtigsten Ansprechpartner in einer sehr schwierigen Lebenslage darstellen. Dies bedarf einer speziellen Aus- bzw. Weiterbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, der sogenannten Familiengesundheitspflege, die im nächsten Kapitel erläutert wird.

                                                                                                               

54 Vgl. Lohaus & Heinrichs (2013) S.21- 24 55

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5. Familiengesundheitspflege

Familiengesundheitspflege ist ein zentraler Begriff dieser Bachelor Arbeit. Im folgenden Kapitel wird definiert, was unter Familiengesundheitspflege verstanden wird. Um Zusammenhänge deutlich zu machen, wird auf die Entwicklung und Geschichte eingegangen. Weiterhin wird erläutert wie Familiengesundheitspflege in Deutschland in Bezug auf die Gesundheits-, Kinder - und Krankenpflege umgesetzt wird.

Zu Beginn dieses Kapitels möchte ich einige Schlüsselbegriffe definieren, die wichtig sind, um diese Thematik besser zu verstehen.

5.1 Wichtige Schlüsselbegriffe

Case Management ist ein „kooperativer Prozess, in dem die Versorgung eines Patienten mit einer komplexen und kostenintensiven Erkrankung (...) geplant, koordiniert, überwacht und evaluiert wird.“56 Das Ziel ist daher eine Optimierung der Qualität und Kontinuität einer Behandlung bei einer gleichzeitigen Kontrolle der damit verbundenen finanziellen Aufwendungen.57

Disease Management wird vor allem bei chronischen und Erkrankungen, die eine große Häufigkeit in der Bevölkerung aufweisen, wie beispielsweise Diabetes und Krebs, eingesetzt und ist daher ein „umfassender, integrierter, informationsbasierter Ansatz der Patientenversorgung mit dem Ziel, das Verhältnis zwischen Therapiequalität und (den) Gesamtkosten“58 zu verbessern. Disease-Management-Programme (auch DMP) tragen durch umfassende Behandlungsleitlinien zur medizinischen Versorgung bestimmter Erkrankungen sowie zu Vorsorgemaßnahmen, zur Diagnostik und der Verbesserung der Patientencompliance („Bereitschaft eines Patienten zur Zusammenarbeit mit dem Arzt“/Pflege 59 ) dazu bei, „die Versorgung der Patienten (...) über alle Krankheitsstadien und Versorgungseinrichtungen hinweg zu verbessern.“60

                                                                                                               

56

Warmbrunn & Wied (2012) S. 166  

57

Vgl. Warmbrunn & Wied (2012) S. 166

58 Warmbrunn & Wied (2012) S.203   59 Warmbrunn & Wied (2012) S.173 60

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Da sich für Familienassessment keine genaue Definition finden ließ, werden die beiden Wörter aus dem sich Familienassessment zusammen setzt definiert. Das erste Wort „Familie“ wurde in Kapitel 3 definiert. Ein „Assessment“ ist die Beurteilung, Bewertung und systematische Vorgehensweise zur Erhebung, Analyse und anschließenden Auswertung von Daten zu einem bestimmten Untersuchungsbereich. In der Pflege wird dies meist durch standardisierte und dokumentierte Einschätzungen und Beurteilungen eines Patienten auf der Grundlage der Daten erhoben, die im Pflegeprozess durch Kommunizieren, Beobachten, Sammeln und Prüfen von Informationen gewonnen wurden.61 Friedemann entwickelte ein standardisiertes Selbsteinschätzungsinstrument zur Erfassung von Familienprozessen im Kontext eines Pflegeprozesses, das sogenannte Assessment Familienprozess (engl. Assessment of strategies in families-effectiveness). Dies hat das Ziel, in der Pflege von Familien die Stabilität, Kongruenz (in diesem Fall „Übereinstimmung von Anforderungen, Werten und Zielen innerhalb des Familiensystems“62) und die Gesundheit zu fördern.63

5.2 Definition Familiengesundheitspflege

Die Familiengesundheitspflege (FGP), übersetzt aus dem Englischen „Family Health Nursing“ (FHN), wird wie folgt definiert:

„Die sogenannte ‚Familiengesundheitsschwester’ kann dem einzelnen Menschen und ganzen Familien helfen, mit Krankheit und chronischer Behinderung fertig zu werden und in Stresssituationen zurechtzukommen, indem sie einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Zuhause der Patienten und mit deren Familien verbringt. Diese Pflegefachkräfte können sinnvolle Ratschläge zu Fragen der Lebensweise und verhaltensbedingten Risikofaktoren erteilen und den Familien in gesundheitlichen Anliegen zur Seite stehen. Sie können die gesundheitlichen Probleme schon im Frühstadium erkennen und damit gewährleisten, dass sie auch frühzeitig behandelt werden. Mit ihrem gesundheitswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Ausbildungshintergrund und ihrer Kenntnis anderer Sozialfragen zuständiger Stellen können sie die Auswirkungen sozioökonomischer                                                                                                                

61 Warmbrunn & Wied (2012) S. 59-60 62 Warmbrunn & Wied (2012) S.492 63

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Faktoren auf die Gesundheit einer Familie erkennen und die Familie an die richtige zuständige Stelle überweisen. Durch häusliche Pflege können sie eine frühe Entlassung aus dem Krankenhaus erleichtern, sie können als Verbindungsglied zwischen Familie und Hausarzt dienen und an die Stelle des Arztes treten, wenn eindeutig eher pflegerische Sachkenntnis gefordert ist.“ 64

5.3 Entwicklung und Geschichte

Das Konzept „Family Health Nurse“ wurde von der Weltgesundheitsorganisation, (WHO) und durch mehrere Konferenzen entwickelt. 1978 wurde in der Deklaration von Alma-Ata die primäre Gesundheitsversorgung als zentrale Strategie der WHO bestimmt. Im Jahr 1988 wurde in der Wiener Erklärung zur Pflege die dringende Notwendigkeit formuliert, dass Regierungen und nationale Gesundheitsentscheider die Pflegenden dabei unterstützen, Veränderungen in der Pflege vorzunehmen, um die regionalen Ziele für „Gesundheit für Alle“ zu erreichen. Eine stärkere Einbeziehung der Pflegenden in die Entwicklung von Gesundheitspolitik und Strategien auf allen Ebenen sowie einen Schwerpunkt auf Pflegende in den Strukturen der primären Gesundheitsversorgung, wie in der Alma-Ata-Erklärung beschrieben, wurde verlangt.65

1998 wird in Kopenhagen die sogenannte „Gesundheit 21“ Strategie für die europäische WHO verabschiedet. 66 In dieser Strategie werden 21 Ziele beschrieben, durch die das Hauptziel „Gesundheit für Alle“ erreicht werden soll.67 Auch wird durch die Definition der Familiengesundheitspflege (siehe oben) ein Grundstein gelegt.

Im Jahr 2000 verabschieden die Gesundheitsminister der WHO-Region Europa die sogenannte Münchner Erklärung, welche Potenziale für die Entwicklung der Rolle und Grundlagen für einige Kernbereiche der Hebammen und Pflegenden formuliert. Die Familiengesundheitspflege ist laut der Münchner Erklärung eine Antwort auf eine Reihe von Herausforderungen für die Gesundheit und Gesundheitsversorgung der Menschen in Europa.

                                                                                                                64 Weltgesundheitsorganisation (1999) S. 169-170 65 Vgl. Wagner, Schnepp (2001) S.11 66 Vgl. Macht (2010) S.8 67 Vgl. Dichter et al. (2009) S.140

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  17

Die Implementierung der Familiengesundheitspflege wurde über mehrere Jahre in verschiedenen Ländern evaluiert und von der WHO zusammengefasst. Die Abschlusstagung 2006 in Berlin zeigte, dass dieses Konzept umsetzbar ist. Seitdem wird es von vielen Regierungen in ganz Europa unterstützt.68

Zwischen Mai 2004 und Februar 2005 wurde in Deutschland eine wissenschaftlich begleitete Projektdesign- und Konsensphase durchgeführt. Daraus ergaben sich fünf verschiedene Szenarien, in denen die Familiengesundheitspflege im deutschen Gesundheitssystem eingesetzt werden kann.69 Im ersten Szenario handelt es sich um „Aufsuchende Hilfe bei einem alleinstehenden älteren Herrn“70. Das zweite Szenario ist „Case Management und unterstützende Begleitung der Familie“70. Im dritten Szenario wird „die Familiengesundheitspflegerin als Pflegeexpertin in der Hausarztpraxis“70 angesiedelt. Szenario 4 stellt „die Familienhebamme im öffentlichen Gesundheitsdienst“70 und Szenario 5 „Stadtteilbezogene Prävention und Gesundheitsförderung“70 dar.

Eine modellhafte Weiterbildung zur Familiengesundheitspfleger/in (FGP) und der Familiengesundheitshebamme (FGH) wurde ab Oktober 2005 vom Deutschen Bundesverband für Pflegeberufe (DBfK) angeboten. Dieses Modellprojekt dauerte insgesamt zwei Jahre und wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie der Robert Bosch Stiftung gefördert. Zu dem Modellprojekt startete der DBfK 2005 eine Begleitforschung, die sich in zwei Untersuchungsphasen gliederte. In der ersten Phase wurde die Weiterbildung evaluiert. In der zweiten Phase lag der Schwerpunkt auf dem Verbleib der Absolventen/innen und möglichen ersten Auswirkungen der neuen Rollen auf die deutsche Gesundheits- und Sozialversorgung.71 Anhand dieser Evaluation wurde die Weiterbildung überarbeitet.

Da sich diese Thesis mit der Familiengesundheitspflege im Bereich der Pflege beschäftigt, wird im folgenden Kapitel nur die Familiengesundheitspflege benannt, nicht aber die Familiengesundheitshebamme. Die Inhalte der Weiterbildung sind jedoch gleich.

                                                                                                               

68

Vgl. Wagner, Schnepp (2001) S.11-12

69 Dichter et al. (2009) S.141  

70 Dichter et al. (2009) S.141/ Wagner, Schnepp (2001) S. 47 71

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5.4 Ausbildung in Deutschland

Die Weiterbildung zur Familiengesundheitspfleger/in wird aktuell vom DBfK an verschiedenen Standorten wie Berlin, Essen und Itzehoe angeboten. 72 Zugangsvoraussetzungen für diese Weiterbildung sind zwei Jahre Berufserfahrung in der Gesundheits- und Kinder-, sowie Krankenpflege oder in der Altenpflege. Auch für Hebammen wird diese Weiterbildung angeboten. Während der Weiterbildung wird empfohlen, mindestens 50 Prozent in den Praxisfeldern zu arbeiten.73 Die Weiterbildung erfolgt somit berufsbegleitend über zwei Jahre, in denen 720 Stunden auf acht verschiedene Module (Einführung Familiengesundheitspflege, Public Health, Arbeit mit Familien, Gesundheitsförderung und -beratung, Entscheidungsfindung und Problemlösung, Informationsmanagement und Forschung, Case-Management und Multidisziplinäres Arbeiten) verteilt sind. Die Präsenzzeiten sind auf 3- bis 4- tägige Blöcke von mittwochs bis samstags verteilt. Die Weiterbildung kostet insgesamt 3990 Euro.74

5.5 Zielgruppen

Die Zielgruppe der FGP in Deutschland sind Familien mit pflegebedürftigen Kindern und Erwachsenen sowie vulnerable Personen oder Gruppen wie Migranten, Kinder, Jugendliche und alleinstehende ältere Personen aber auch chronisch kranke und pflegebedürftige Menschen mit ihren Familien, Frauen mit Risikoschwangerschaft, drogenabhängige Schwangere und Mütter, alleinerziehende Personen, all die Familien und Gruppen, die sich in einer Krisen- und Umbruchsituation befinden. Gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich benachteiligte Einzelpersonen, Familien und Bevölkerungsgruppen, diejenigen mit erschwertem Zugang zum Gesundheitssystem gehören zur Zielgruppe der FGP.75

                                                                                                               

72

Vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe, Kompetenzzentrum Familiengesundheitspflege- Weiterbildungs-Standorte

73 Vgl. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe, Kompetenzzentrum Familiengesundheitspflege-

Zugangsvoraussetzungen

74

Vgl. Deutscher Bundesverband für Pflegeberufe, Weiterbildung Familiengesundheit für Pflegende und Hebammen- Standort Berlin

75

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  19 5.6 Rolle der Familienpflege

Familiengesundheitspfleger/innen fungieren in den Familien vor allem als Gesprächspartner, Anleiter, Berater, Begleiter, Motivator, Lotsen, Vermittler, als Vernetzer, Fürsprecher und als Stabilisator. Diese Unterstützung befähigt Einzelpersonen, Familien und Gruppen zum eigenständigen Handeln. Diese Versorgung ist auf die gesamte Lebensspanne ausgerichtet und umfasst neben der pflegespezifischen Betreuung und Begleitung vor allem Prävention, Gesundheitsförderung und Rehabilitation. Somit kann die Rolle der FGP als multifaktoriell bezeichnet werden.76 Im Kapitel Handlungskompetenzen wird genauer auf die einzelnen Rollen und Aufgaben eingegangen.

5.7 Ansiedelung der Familiengesundheitspflege

Laut Wagner und Schnepp kann der Zugang zu den Familien über den ambulanten Pflegedienst, öffentliche Institutionen wie das Gesundheits- oder Jugendamt, aber auch über die Klinik und den Angehörigengesprächskreis erfolgen. So kann FGP in ambulanten Pflegediensten, in der Klinik, Beratungsstellen oder in der Schule angesiedelt sein.77

Aktuell sind Familiengesundheitspfleger/innen in verschiedenen Bereichen vertreten, wie Beratungseinrichtungen, im öffentlichen Gesundheitsdienst und bei Gesundheits- und Jugendämtern. Auch können sie freiberuflich im Auftrag der Barmer GEK (Krankenkasse) oder bei Projekten der frühen Hilfe, Demenzhilfe, Entlastung pflegender Angehöriger, Drogenberatung, familiale Pflege78 und im Entlassungsmanagement arbeiten.79

5.7.1 Sozialmedizinischer Nachsorgedienst

Im Altonaer Kinderkrankenhaus, Hamburg, arbeiten viele Gesundheits- und Kinderkrankenschwestern mit der Weiterbildung zur FGP in einem sogenannten sozialmedizinischen Nachsorgedienst. Diese sozialmedizinischen Nachsorgedienste betreuen schwer- und chronisch kranke Kinder und ihre                                                                                                                

76 Vgl. Wagner, Schnepp (2001) S. 34 77 Vgl. Wagner, Schnepp (2001) S. 35 78

Projekt, das Angehörigentraining anbietet um pflegebedürftige Menschen im familiären Setting versorgen zu können. Vgl.: AOK (07.08.14)

79

Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe, Flyer: Weiterbildung Familiengesundheit für Pflegende und Hebammen- Standort Berlin

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Familien, wenn diese aus dem Krankenhaus oder der Rehabilitation entlassen werden und weiter ambulant versorgt werden müssen. Die sozialmedizinische Nachsorge stellt somit sicher, „dass qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Kind und seine Familie von der stationären Behandlung oder Rehabilitation ab begleiten und einen reibungslosen Übergang in die häusliche Pflege und die ambulante Behandlung ermöglichen“80.

„Voraussetzung ist, dass die Nachsorge wegen der Erkrankung erforderlich ist, um den stationären Aufenthalt zu verkürzen oder die anschließende ambulante Behandlung zu sichern.“81 Versicherte haben gegenüber ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf diese so genannte sozialmedizinische Nachsorge, wenn chronisch kranke oder schwerstkranke Kinder und Jugendliche das 14. Lebensjahr, in besonders schwerwiegenden Fällen das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.82

Der bekannteste soziale Nachsorgedienst in Deutschland ist der „Bunte Kreis“. Dieses Modell wurde Anfang der 1990er in Augsburg aufgrund des sogenannten „Drehtüreffekts“ entwickelt. Dieser Begriff beinhaltet, dass Kinder in einer Klinik professionell versorgt und die Eltern in der Betreuung unterwiesen wurden; aber kurz nach der Entlassung standen die Familien wieder in der Klinik, weil in der häuslichen Situation kleine Probleme zu einer Bedrohung ihres schwer kranken Kindes oder zu einer Überforderung der Eltern wurden. Das Nachsorge-Modell hat in Deutschland Vorbildfunktion, denn über 80 Einrichtungen arbeiten nach den gleichen Prinzipien und Qualitätsstandards. Diese sind alle im Bundesverband Bunter Kreis e.V. zusammengeschlossen.  Einrichtungen, die nach dem Modell des Bunten Kreises arbeiten, sind in regionalen Netzwerken integriert und vernetzt. Sie arbeiten in einem interdisziplinären Team (Arzt, Kinderkrankenschwester, Sozialpädagoge, Psychologe und Seelsorger). Neben der sozialmedizinischen Nachsorge sind auch andere Angebote, z.B. Patiententraining oder Angebote für Geschwister fester Bestandteil der Einrichtungen.83

                                                                                                                80 Bundesministerium für Gesundheit (02.03.2015) 81 Bundesministerium für Gesundheit (02.03.2015) 82Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (02.03.2015) 83

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  21

Auch Leuchtturm Hamburg e.V., der sozialmedizinische Nachsorgedienst des Altonaer Kinderkrankenhauses (AKK) ist in diesem Netzwerk eingebunden.84

5.8 Handlungskompetenzen

„Die Unterstützung der FGP (...) ist vielfältig und individuell auf die Bedarfe der Familien abgestimmt.“85

Schnepp und Wagner (2011) beschreiben die Kernaufgaben der FGP. Zu ihnen gehören das „familiensystemische Assessment einschließlich der Einschätzung und Nutzung erforderlicher Hilfen und vorhandener Ressourcen, die Planung, Durchführung und Evaluation der daraus resultierenden Interventionen wie z.B. die Durchführung von Familienkonferenzen, Familien-Helfer-Konferenzen bzw. Hilfeplangesprächen, die Information und Beratung über die vorhandenen Hilfsangebote, die frühzeitige Einbindung und Vernetzung aller, für den Versorgungsprozess erforderlichen Leistungsanbieter einschließlich dem koordinierten Entlassungsmanagement“86. „Den Familien ist es wichtig, dass sie

aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden werden.“87

Aus der WHO-Pilotstudie zur Family Health Nurse in Deutschland, einer qualitativen Untersuchung von Krüger et al. gehen die Handlungskompetenzen, die sich die Familien von der FGP wünschen, hervor.

Die Voraussetzung für eine gelungene Unterstützung der FGP in den Familien ist, das Vertrauen der Pflegebedürftigen und ihrer Familien zu erlangen. Dazu braucht es „Gespräche, den Einbezug und die Partizipation aller Familienmitglieder“88 jedoch auch eine „einfache Erreichbarkeit“89 der FGP. Daher wird zwischen der FGP und den Familien alle ein bis zwei Wochen ein Termin über 90 Minuten ausgemacht, allerdings ist die FGP auch darüber hinaus erreichbar.

Die Familien erachten die Gespräche über die familiäre und pflegerische Situation als besonders wichtig und hilfreich. Während dieser Gespräche können sie mit der FGP über Themen und Angelegenheiten sprechen, über die sie in der Familie oder mit Freunden/innen nicht reden.

                                                                                                               

84

Leuchtturm Hamburg e.V. - Über uns

85 Krüger et al. (2012) S.179 86   Wagner, Schnepp (2001) S. 35   87 Wagner, Schnepp (2001) S. 35 88 Krüger et al. (2012) S.179 89 Krüger et al. (2012) S.179  

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In den Gesprächen werden alle Familienmitglieder miteinbezogen. Die FGP fragt nach Wünschen und Bedarfen der Familie und holt für alle ihre Aktivitäten die Meinung und das Einverständnis der Familie ein, was zu einer vertrauensvollen Basis führt.90

Die Stabilisierung der familiären Situation steht, laut Krüger, Eberl und Schnepp (2011), besonders im Vordergrund. Dies hat durch unterschiedliche Maßnahmen oberste Priorität, bevor weitere Unterstützungsmöglichkeiten angeboten werden können. Zu diesen Maßnahmen gehört die Vermittlung bei Konflikten innerhalb der Familien. Dabei werden die FGP als neutrale Ansprechpartner wahrgenommen, „die bei durch Pflegesituationen hervorgerufenen Konflikten innerhalb der Familie moderieren und ausgleichend handeln dürfen“91.

Weiterhin erweitern und stärken FGP das informelle Pflegenetzwerk. Je nach Familie ist der Kreis der Pflegepersonen unterschiedlich groß. So regen FGP beispielsweise an, die Hauptpflegeperson zu entlasten und versuchen weitere Personen in die Pflege mit einzubeziehen, wie Kinder, Geschwister oder ehrenamtliche Helfer/innen der Pflegebedürftigen. Die FGP ermutigt die Hauptpflegepersonen, trotz der Belastungen auf sich selber, das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit zu achten. Zur Entlastung gehört auch die Bestärkung professionelle Hilfe wie Pflegedienste, in Anspruch zu nehmen und die „dadurch entstandenen Freiräume für sich zu nutzen“92.

Eine Person zum Reden zu haben, welche „die Situation kennt, einschätzen kann und aufgrund der kontinuierlichen Betreuung Veränderungen feststellt“93, gibt den Familien Sicherheit und Bestätigung, da eine dritte, objektive Meinung einer Fachkraft vorhanden ist. Durch die Reflexion der Situation ermöglichen die FGP den Familien eine Änderung des Blickwinkels. Eine Person, die im Hintergrund ist und bei Bedarf noch „einmal nachhakt“94, ist für die Familien enorm wichtig. Bei

verschiedenen Problemen, die zu dem Zeitpunkt nicht von den Familien vertreten werden können, übernimmt die FGP die „Anwaltschaft“.

                                                                                                                90 Vgl. Krüger et al. (2012) S.179 91   Krüger et al. (2012) S.179 92 Krüger et al. (2012) S. 180 93 Krüger et al. (2012) S. 180 94 Krüger et al. (2012) S. 180  

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  23

Sie helfen den Familien dabei, schwierige soziale Lagen zu strukturieren und erleichtern durch Vermittlung zu Freizeitangeboten95 oder Selbsthilfegruppen, sowie Angehörigengesprächskreisen oder ehrenamtlichen Helfern den Alltag.96 Laut Krüger et al. (2012) berichten die Familien in der Studie von Pflege- und gesundheitsbezogenen Tätigkeiten der FGP, die sich direkt auf die Pflege des Angehörigen bezieht, wie beispielswiese Ganzkörper-oder Teilkörperwäsche. Hinzu kommt eine Aufklärung über die Erkrankung und Informationen zur Alltagsgestaltung und den Einsatz adäquater Hilfsmittel. „Diese Beratung der FGP ermöglicht den Familien die jeweiligen Pflegesituationen im Alltag zu bewältigen.“97

Die FGP dient den Familien im Case Management oder als Lotsenfunktion, indem sie eine Vielzahl unterschiedlicher Unterstützungsmöglichkeiten bietet. Die Familien werden zum einen über die Inhalte der Sozialgesetzbücher (SGB) informiert, aber auch über die Leistungen des SGB beraten und bei Antragstellung wird ihnen Hilfestellung geboten. FGP verweisen zum anderen die Familien an verschiedene Institutionen und professionelle Akteur/innen, nennen Sanitätshäuser und stellen Informationsmaterialien zur Verfügung. Wird der Kompetenzbereich der FGP überschritten, vermittelt sie beispielsweise an Psychologen oder ehrenamtliche Betreuer/innen.98 Daher ist es Familien wichtig,

dass die FGP ihre häusliche Situation kennt.99

5.9 Handlungsfelder

Schnepp und Wagner (2011) geben nach der Begleitforschung Empfehlungen ab, wie sich das Handlungsfeld der FGP verfestigen kann. So sollte ihrer Meinung nach die Ansiedelung der FGP in einer Hausarztpraxis erprobt werden, um eine Umverteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten sowie eine verbesserte Versorgung von älteren und chronisch kranken Personen und ihrer Familien zu erzielen. Besonders in ländlichen Regionen mit niedriger Hausarztdichte wäre ein Handlungsfeld für die FGP denkbar. In deutschen Hausarztpraxen sollten FGP das Familienassessment und das geriatrische Assessment übernehmen.

                                                                                                                95 Vgl. Krüger et al. (2012) S.179-180 96 Wagner, Schnepp (2001) S. 35 97 Vgl. Krüger et al. (2012) S. 180 98 Vgl. Krüger et al. (2012) S.180 99 Wagner, Schnepp (2001) S. 35

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Im Rahmen der Prävention und Gesundheitsförderung sollten sie Angebote wie Beratung, Schulung und Begleitung z.B. zur Ernährungsberatung bei Kindern und Jugendlichen und deren Familien durchführen. Weiterhin könnte die FGP das „Case- bzw. Disease- und Medikamentenmanagement zur verbesserten Versorgung chronisch kranker Personen“100 übernehmen.101

Auch sollte den FGP die Verordnung der Pflegehilfsmittel übertragen werden. Unter Pflegehilfsmittel versteht man die „Geräte und Sachmittel, die zur häuslichen Pflege notwendig sind“ 102 . Diese erleichtern und tragen dazu bei, dem Pflegebedürftigen eine selbstständige Lebensführung zu ermöglichen. Hierbei wird zwischen den technischen Pflegehilfsmitteln (Pflegebett, Lagerungshilfen etc.) und den Verbrauchsprodukten (Einmalhandschuhe, Betteinlagen) unterschieden.103 Laut Schnepp und Wagner (2001) wurden „mit der Reform der Pflegeversicherung (BMG 2008) (...) Aufgabenfelder geschaffen, für welche die FGP ebenfalls geeignete Akteure darstellen“104. Diese können beispielsweise das Case-Management, Pflegestützpunkte, umfassende Pflegeberatung, sowie die Selbstständigkeit von Familiengesundheitspflegenden sein. Sind Pflegende selbständig, haben sie Verträge mit Pflegekassen, um einen oder mehrere Pflegebedürftige und ihre Familien zu versorgen.

Auch könnten die Kompetenzen der FGP in Kindertageszentren, Familienbildungs- und Beratungsangeboten genutzt werden. Familiengesundheitspflegende mit einer Ausbildung in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sollten in Frühwarnsysteme eingebunden werden, um Kindeswohlgefährdung und Vernachlässigung vorbeugen zu können, indem sie mit der Gesundheits- und Jugendhilfe kooperieren.105

                                                                                                                100 Wagner, Schnepp (2001) S. 38 101 Vgl.Wagner, Schnepp (2001) S. 38 102   Bundesministerium für Gesundheit (01.01.2015)   103 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (01.01.2015) 104Wagner, Schnepp (2001) S. 38   105 Vgl. Wagner, Schnepp (2001) S. 37-39

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  25 5.10 Finanzierung

Die Finanzierung der Leistungen hat sich seit der Pilotstudie verändert. Kurz nach der Pilotstudie erfolgte die Finanzierung der FGP fast ausschließlich über das SGB XI, beispielsweise über die Beratungseinsätze nach §37 und das SGB V über die Behandlungs- und Vermeidungspflege. In den Kliniken wurden die Leistungen im Rahmen der Pflegeüberleitung abgerechnet.106

Seit dem 1. Juli 2012 besteht eine gemeinsame Rahmenvereinbarung zwischen dem DBfK und der Barmer GEK (Krankenkasse) welche „pflegenden Angehörigen oder anderen pflegenden Personen bei der Versorgung ihres Pflegebedürftigen Unterstützung durch Familiengesundheitspflegende“107 anbietet.

Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieser Leistung ist, „dass entweder der Pflegebedürftige selbst oder eine der anwesenden pflegenden Personen bei der Barmer GEK versichert ist“107.

Die Leistung umfasst bis zu 21 Stunden Unterstützung innerhalb von sieben Monaten nach dem Familiengesundheitskonzept. „Diese können auch schon im Rahmen der Überleitungspflege vor der Entlassung des Pflegebedürftigen aus der stationären Einrichtung erbracht werden.“ 107

6. Ergebnisbetrachtung der Familiengesundheitspflege im

stationären Setting

In diesem Kapitel sollen die Fragestellungen anhand der Erkenntnisse aus der Literatur reflektiert und beantwortet werden. Dazu werden die Fragestellungen einzeln betrachtet. Ob ein/e Familiengesundheitspfleger/in im stationären Setting eine feste Bezugsperson für Eltern Früh- und kranker Reifgeborener über den gesamten Klinikaufenthalt sein kann, wird im Folgenden beschrieben. Ebenso welchen Aufgabenbereich sie übernehmen, sowie wo diese strukturell angesiedelt werden können.

                                                                                                               

106Vgl. Wagner, Schnepp (2001) S. 36 107

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6.1 Familiengesundheitspflege als feste Bezugsperson

Zu Beginn möchte ich den Begriff Bezugsperson kurz erläutern. Im Allgemeinen versteht man unter einer Bezugsperson eine Person deren Werte, Normen, Einstellungen und Verhaltensweisen als Orientierungsgrundlage für das eigene Verhalten, die Handlungen und Meinungen dienen. Im Pflegeprozess von Akutstationen regeln Bezugspersonen Besuchs- und Auskunftsmöglichkeiten.108 Laut Wagner und Schnepp (2001) kann FGP in vielen Bereichen angesiedelt werden, unter anderem auch in Kliniken.109 Das bedeutet, sie können im stationären Setting eingesetzt werden.

Bisher ist FGP besonders in sozialmedizinischen Nachsorgediensten vertreten und hat somit seinen Schwerpunkt im häuslichen Setting. In der Definition der FGP wird beschrieben, dass sie: dem einzelnen Menschen und ganzen Familien helfen kann, mit Krankheit und chronischer Behinderung fertig zu werden sowie in Stresssituationen zurechtzukommen, indem sie einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Zuhause der Patienten und mit deren Familien verbringt.110

Familien mit Früh- und kranken Neugeborenen brauchen jedoch schon im stationären Setting Unterstützung, um mit diesen Stresssituationen umgehen zu können. Auch brauchen sie Hilfe bei der Krankheitsbewältigung ihres Kindes. Diese Bedarfe haben also nicht nur Familien im häuslichen Umfeld, sondern sie existieren schon viel früher nämlich im stationären Setting.

Der Schwerpunkt der FGP liegt darin, wie oben beschrieben, einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im „Zuhause“ der Patienten und mit deren Familien zu verbringen. Hierbei ist zu bedenken, dass für die Frühgeborenen das Krankenhaus in den ersten Wochen und teilweise Monaten ihr „Zuhause“ darstellt. Für viele Familien ist während dieser schweren Zeit das Krankenhaus ihr „zweites Zuhause“. Besonders Mütter investieren so viel Zeit wie sie können, um bei ihrem kranken Kind zu sein.

In meinem ersten Einsatz auf der Neugeborenen IMC des Altonaer Kinderkrankenhauses gab es Eltern, die den Ablauf auf Station besser kannten, als ich. Dies mag etwas überspitzt sein, jedoch muss bedacht werden, dass Eltern von Frühgeborenen teilweise Monate lang ihr Kind im Krankenhaus besuchen.                                                                                                                

108Vgl.Warmbrunn & Wied (2012) S.123 109siehe S.19

110

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Manche haben auch die Möglichkeit in speziellen Elternzimmern zu wohnen, wenn die Anreise sehr weit ist. In der letzten Woche vor der Entlassung der Kinder können die Eltern auch auf Station zusammen mit ihrem Kind in einem Zimmer „wohnen“, um sich mehr an die häusliche Situation zu gewöhnen. Legt man „Zuhause“ auf diese Art aus, sollten Familiengesundheitspflegende definitiv im stationären Setting arbeiten und viel Zeit mit den Familien und Patienten verbringen. Die Familien brauchen eine Bezugsperson, eine Person an die sie sich wenden können, die Verständnis für ihre Situation hat, an der sie sich im Umgang mit ihrem Kind orientieren können.

Weiterhin heißt es in der Definition: „Sie können die gesundheitlichen Probleme schon im Frühstadium erkennen und damit gewährleisten, dass sie auch frühzeitig behandelt werden.“111 Das bedeutet also, FGP soll präventiv arbeiten. Werden Familien erst zu Hause betreut, kann es schon „zu spät“ sein, da erste Probleme schon im Krankenhaus auftreten wie beispielsweise Ängste und Unsicherheit. Aus Kapitel 3.2 kann entnommen werden, dass eine Frühgeburt neben physischen Problemen auch durch psychische Probleme verursacht werden kann. Daher kann davon ausgegangen werden, dass einige Mütter dieser Kinder schon vorbelastet sind. Diese Probleme müssen schon im Krankenhaus erkannt werden, um die Familien entlasten zu können.

Die Weiterbildung zur FGP ermöglicht ein multidisziplinäres Arbeiten mit Familien, das solchen Problemen entgegen wirken kann. Darüberhinaus haben Familiengesundheitspfleger/innen durch die Weiterbildung die Fähigkeit Ansprechpartner/innen und mehr noch eine Bezugsperson im Stationären Setting für Familien sein zu können.

Die FGP kann dann eine feste Bezugsperson für Eltern Früh- und kranker Reifgeborener über den gesamten Klinikaufenthalt sein, wenn sie einen „großen Teil ihrer Arbeitszeit“112 von Beginn der Aufnahme mit dem Patienten und den Familien verbringen. Durch die Zeit, die sie investieren, bauen sie ein Vertrauensverhältnis zu den Familien auf und können diese dann durch Krisen- und Stresssituationen hindurch begleiten, ihnen als Anleiter, Berater und Motivator zu Seite stehen, sowie als Fürsprecher, Vermittler und Gesprächspartner agieren. Dies sind nur einige Aufgaben, welche die FGP übernehmen kann und sollte.                                                                                                                

111siehe S.15 112  

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