Strategische Aufgabenüberprüfungen in
Kantonen und Städten – das Gemeinsame, das Besondere, das Herausragende
23. Juni 2005
Jahrestagung der SGVW zum Thema „Intelligentes Sparen im öffentlichen Sektor“
Dr. Reto Steiner
Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern
Inhaltsübersicht
1. Zum Begriffsverständnis
2. Steht es um die Finanzen wirklich so schlecht?
3. Strategische Aufgabenüberprüfungen in den Schweizer Kantonen:
Typen, Auslöser, Promotoren, Methoden, Erfolge 4. Schlussfolgerungen und Gestaltungsempfehlungen
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1. Zum Begriffsverständnis von
„Strategischer Aufgabenüberprüfung“
Strategisch (stratòs + ageín = „Die Kunst der Heerführung“,
„geschickte Kampfplanung“, „Konzentration der Kräfte“ etc.)
Werden in unserem Staatswesen die richtigen Aufgabenerfüllt (effektiv)? Es geht um Massnahmen zur Sicherung des langfristigen Erfolgs.
Werden die Aufgaben richtig erfüllt? (effizient und wirtschaftlich) Dieser inhaltsbasierte Ansatz grenzt sich von prozessualen Ansätzen ab (Schuldenbremse, lineare Kürzungen).
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0 5 10 15 20 25 30 35
1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
Jahr
Verschuldungsquote
Bund Kantone Gemeinden
1. Indikator: Schuldenquote der staatlichen Ebenen (Nebst Ausgabenentwicklung, Eigenkapital, Selbstfinanzierungsgrad) 2. Steht es um die Finanzen wirklich so schlecht?
Finanzzahlen aus der Gemeindebefragung 2005
Steuerfuss: 14,5% der Gemeinden haben ihn (in den vergangenen drei Jahren) erhöht, 40,2% gesenkt
Realer Steuerertrag: In 53,1% der Gemeinden hat er zugenommen, in 24,3% der Gemeinden hat er abgenommen
Nettoverschuldung: In 29,3% der Gemeinden Zunahme, in 47,2%
der Gemeinden Abnahme
Rechnungsabschlüsse: In 27,5% der Gemeinden Aufwandüberschüsse, in 46,7% der Gemeinden Ertragsüberschüsse
Absolute Anzahl:
1950: 240‘000 1980: 480‘000
2000: 531‘558 (davon Kantone: 208‘488, Gemeinden: 186‘454) 2005: In 45,0% der Gemeinden in den vergangenen 5 Jahren
zugenommen, in 12,8% abgenommen
Beschäftigtenquote:
1910: 7.4%
1950: 10.6%
1980: 15.2%
2000: 15.4%
2. Indikator: Beschäftige im öffentlichen Sektor
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0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Fürsorge Gemeindeexekutive Polizei Arbeitslodenbetreuung ÖV IMV Zonenplanung Informatik Schulen Wirtschaftsförderung Finanzverwaltung Baugesuche Betreuung von Asylbewerbern Ortsbildschutz
In Prozent LG überschritten
LG erreicht LG in Sicht Keine LG Weiss nicht KA
N= 2115 bis 2155
3. Indikator: Leistungsgrenzen der Gemeinden 2005
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Was wollen die Bürger?
1.0 1.5 2.0 2.5 3.0 3.5 4.0 4.5 5.0
Gemeinde soll anstehende Probleme
lösen
Dienstleistungen auf die Bedürfnisse der Einwohner abstimmen
Dienstleistungen möglichst günstig erbringen
für viele Probleme finden private Organisationen
bessere Lösungen
nur die wichtigsten Dienstleistungen
anbieten
1 = unwichtig; 5 = sehr wichtig, N = 1690
Einschätzung Leistung Gemeinde
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Schweiz Norwegen Dänemark Niederlande
3. Strategische Aufgabenüberprüfungen in den Kantonen
28 mündliche Interviews mit Staatsschreibern resp. Projektleitern im Jahre 2004 und nachfolgende Aktualisierungen
Gleiche Erhebung im Jahre 2002, dadurch Quervergleiche möglich
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Typologien
Haushaltssanierungen im engeren Sinne
(Periodische oder einmalige) Leistungsüberprüfungen
Prozessoptimierungen
Aufgabenentflechtungen
Die Projekte werden eigenständig durchgeführt oder gekoppelt mit anderen umfassenden Reformvorhaben (u. a. NPM-Einführung). Der Umfang der
Aufgabenüberprüfungen variiert. Die Finanzkraft hat nur einen relativ geringen Erklärungsgehalt.
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Verbreitung
10 Kantone haben in den vergangenen 5 Jahren umfassendes Projekt durchgeführt oder am Laufen (z. B. AG, BE, BL, GR, SO, ZH)
5 Kantone realisier(t)en Ansätze einer strategischen Aufgabenüberprüfung (z. B. GE, NW, TG)
11 Kantone haben bislang auf solche Projekte verzichtet (z. B. AR, TI, ZG)
Diverse Bezeichnungen
Aargau: Aufgaben- und Leistungsüberprüfung (ALÜP)
Bern: Strategische Aufgabenüberprüfung (SAR)
Basel-Land: Generelle Aufgabenüberprüfung (GAP)
Graubünden: Struktur- und Leistungsüberprüfung zur Sanierung des Kantonshaushalts
Solothurn: Massnahmen zur Reformierung der staatlichen Tätigkeiten und zur Sanierung des kantonalen Finanzhaushalts (SO+)
Zürich: Aufgaben- und Leistungsüberprüfung (ALÜB, 1998)
Promotoren
Regierungen und Parlamente initiieren je zur Hälfte die Projekte.
Ausnahmsweise geben Anspruchsgruppen und die Verwaltung Impulse.
Ursachen: Finanzielle Herausforderungen, gesetzliche Grundlage und weitere Überlegungen (u. a. Reorganisation nach
Regierungsverkleinerung, organisatorische Strukturreformen)
Befürworter: Vor allem bürgerliche Parteien
Gegner: Tendenziell linke Parteien und Dritte (Gemeinden, Personalverbände, weitere Interessenverbände). Teilweise sogar bürgerliche Parteien.
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Angewandter Methodenmix
Sowohl Top-Down als auch Bottom-up Ansätze
Moderierte Regierungsklausuren (Beratung als Prozessexperte)
Expertenberichte (Beratung als Fachexperte)
Runde Tische
Parlamentarische Kommissionen
Einbezug verschiedener Anspruchsgruppen und der Verwaltung selbst
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A) „Legitimations-Bedarfs-Portfolio“
Politische Legitimation im Aufgabenfeld
Zukünftiger Bedarf bzw. Nutzen des öffentlichen Engagements im Aufgabenfeld
hoch
hochdurchschnittlich
durchschnittlich
tief
tief
Sachlich und politisch legitimiertes Engagement
(„legitimiertes Kerngeschäft“) Politisch geprägtes Engagement
mit eher geringem effektivem Handlungsbedarf („politische Eintagsfliegen“,
überholte politische Konventionen)
Wichtiges, aber noch zu wenig legitimiertes
Engagement („heiße Eisen“) Politisch unwichtiges
Engagement mit eher geringem Handlungsbedarf
(„Sparpotenziale“) Politische Legitimation im Aufgabenfeld
Zukünftiger Bedarf bzw. Nutzen des öffentlichen Engagements im Aufgabenfeld
hoch
hochdurchschnittlich
durchschnittlich
tief
tief
Sachlich und politisch legitimiertes Engagement
(„legitimiertes Kerngeschäft“) Politisch geprägtes Engagement
mit eher geringem effektivem Handlungsbedarf („politische Eintagsfliegen“,
überholte politische Konventionen)
Wichtiges, aber noch zu wenig legitimiertes
Engagement („heiße Eisen“) Politisch unwichtiges
Engagement mit eher geringem Handlungsbedarf
(„Sparpotenziale“)
Beispiel: Portfolioansatz, durch Regierungsrat gesteuert
B) „Kaufkraft-Wahlkompetenz-Portfolio“
Kaufkraft der Leistungsempfangenden
Wahlkompetenz der Leistungsempfangenden hoch
hoch
für notwendige Versorgung ausreichend
hoch genug, um minimale Eigenverantwortung wahrnehmen zu können
tief
tief
Selbständiges Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage
(Markt) Verhinderung von Missbrauch
(Aufsicht)
Stärkung der Wahlkompetenz und soziale
Kaufkraftsicherung (Subjektfinanzierung) Steuerung des öffentlichen
Leistungsangebots (Leistungsbereitstellung und
Objektfinanzierung) Kaufkraft der Leistungsempfangenden
Wahlkompetenz der Leistungsempfangenden hoch
hoch
für notwendige Versorgung ausreichend
hoch genug, um minimale Eigenverantwortung wahrnehmen zu können
tief
tief
Selbständiges Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage
(Markt) Verhinderung von Missbrauch
(Aufsicht)
Stärkung der Wahlkompetenz und soziale
Kaufkraftsicherung (Subjektfinanzierung) Steuerung des öffentlichen
Leistungsangebots (Leistungsbereitstellung und
Objektfinanzierung)
C) „Kernkompetenzen-Steuerungsbedarfs-Portfolio“
Bedarf an unmittelbarer Steuerung und Kontrolle der Leistungserbringung
Verwaltungsinterne Kernkompetenzen zur Erstellung der Leistung im Vergleich zu externen Leistungserbringern
hoch
hochdurchschnittlich
durchschnittlich
tief
tief
Verwaltungsinterne Produktion Kooperation oder
Regulierung der verwaltungsexternen
Produktion
Wettbewerb zwischen verwaltungsinterner und
-externer Produktion Ausgliederung,
verwaltungsexterne Produktion Bedarf an unmittelbarer Steuerung und Kontrolle der Leistungserbringung
Verwaltungsinterne Kernkompetenzen zur Erstellung der Leistung im Vergleich zu externen Leistungserbringern
hoch
hochdurchschnittlich
durchschnittlich
tief
tief
Verwaltungsinterne Produktion Kooperation oder
Regulierung der verwaltungsexternen
Produktion
Wettbewerb zwischen verwaltungsinterner und
-externer Produktion Ausgliederung,
verwaltungsexterne Produktion
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D) „Versorgungs-Intensitäts-Portfolio“
Versorgungsintensität (quantitativ und qualitativ) der kantonalen Leistungen im Aufgabenfeld
Zukünftiger Bedarf an Versorgungsintensität (quantitativ und qualitativ) der kantonalen Leistungen im Aufgabenfeld
hoch
hochdurchschnittlich
durchschnittlich
tief
tief
Hohe, gerechtfertigte Intensität des öffentlichen
Engagements Überversorgung
(„Sparpotenziale“)
Unterversorgung („Entwicklungs- potenziale“) Geringe, angemessene
Intensität des öffentlichen Engagements Versorgungsintensität (quantitativ und qualitativ) der kantonalen Leistungen im Aufgabenfeld
Zukünftiger Bedarf an Versorgungsintensität (quantitativ und qualitativ) der kantonalen Leistungen im Aufgabenfeld
hoch
hochdurchschnittlich
durchschnittlich
tief
tief
Hohe, gerechtfertigte Intensität des öffentlichen
Engagements Überversorgung
(„Sparpotenziale“)
Unterversorgung („Entwicklungs- potenziale“) Geringe, angemessene
Intensität des öffentlichen Engagements
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Einbettung der Portfolioanalyse in Sanierungsprogramme
Voraussetzung: Definition der Aufgaben- und Produktfelder
Schritt 1: Strategische Portfolioanalyse
Schritt 2: Ideengenerierung
Schritt 3: Ideenakzeptierung
Schritt 4: Ideenbewertung und Ideenpriorisierung
Schritt 5: Zusammenstellen des Sanierungsprogramms, politische Entscheide
ÎGesetzliche Rahmenbedingungen müssen zur Diskussion stehen.
Erfahrungen
Planen und Entscheiden in strategischen Dimensionen
Erarbeitung und Erhaltung von stufengerechtem Wissen über alle Politikfelder
Lernen, mit Unsicherheiten umzugehen
Verbindung von Ressourcenentscheiden mit dem Leistungsinhalt
Finden von neuen, innovativen Wegen der Leistungserstellung
Fähigkeit, radikal zu denken und pragmatisch zu handeln
Erfolgsfaktoren
Parteiübergreifender Konsens
Transparente Kommunikation
Frühzeitiger Einbezug der Anspruchsgruppen
Schaffen eines gemeinsamen Bewusstseins für die Notwendigkeit der Reform, mindestens partielle Übereinstimmung bei der Diagnose
Verzicht auf reine Sparstrategie, d. h. gleichzeitige Offenheit für Innovationen
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Resultate der Aufgabenüberprüfungen
Resultate der Aufgabenüberprüfungen noch unscharf
Präzise Nennungen der Einsparungen fehlen oft
Resultate liegen fast immer unter den Erwartungen (BL: von 200 Mio.
Fr. ist man nun bei 135 Mio. Fr., welche aber wohl auch nicht vollständig realisierbar sind), i. d. R. im einstelligen Prozentbereich
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Schlussfolgerungen und Gestaltungsempfehlungen
Strategische Aufgabenüberprüfungen sind in der Schweiz zu einem wichtigen Themageworden.
Typen, Durchdringung, Methoden und Erfolge variieren. Für verlässliche Evaluationen noch oft zu früh.
Offenheit für Innovationenmacht Sinn. Es muss aber festgehalten werden, dass es primär Sparmassnahmen sind, welche oft schmerzen.
Begriff „Intelligentes Sparen“ aus diesem Grund nicht unproblematisch.
InhaltlicheAnsätze sind rein prozessualen Ansätzen vorzuziehen.
Klares Bekenntnis der Machtpromotorenist notwendig. Es braucht eine Koalition der Willigen.
Phasen des Handelns