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Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht

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Grundkurse

Grundkurs Handels- und Gesellschaftsrecht

von

Prof. Dr. Peter Kindler

7. Auflage

Verlag C.H. Beck München 2014

Verlag C.H. Beck im Internet:

www.beck.de ISBN 978 3 406 66734 3

Zu Inhalts- und Sachverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

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2. Teil. Handelsgeschäfte

§ 7. Das besondere Vertrags- und Sachenrecht des Handels

I. Das Verhältnis der §§ 343 bis 372 HGB zum BGB

1. Inhalt und Entstehungsgeschichte der allgemeinen Vorschriften über die Handelsgeschäfte

Das vierte Buch des HGB regelt die „Handelsgeschäfte“.1 Handelsgeschäfte sind hier – anders als in §§ 22 ff. HGB (oben § 4 Rn. 56 ff.; § 5 Rn. 25 ff.) – nicht die kauf- männischen Unternehmen, sondern die von einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfte und sein sonstiges rechtserhebliches Verhalten. Der erste Ab- schnitt (§§ 343–372 HGB) enthält zunächst Vorschriften über den Anwendungs- bereich des vierten Buches, sodann ein schlecht geordnetes „Sammelsurium“2 von Einzelregelungen zu Fragen des Vertrags-, Sachen- und Wertpapierrechts: „Variatio- nen über bürgerlichrechtliche Themen“.3 Die hochtrabende Überschrift des ersten Abschnitts „Allgemeine Vorschriften“ ist deshalb ohne jede sachliche Rechtfertigung.

Sie weckt die Erwartung, dass die §§ 343 bis 372 HGB für die nachfolgenden „be- sonderen“ Handelsgeschäfte – Handelskauf, Kommissionsgeschäft, Frachtgeschäft, Speditionsgeschäft, Lagergeschäft – gewissermaßen den „Allgemeinen Teil“ bilden, vergleichbar der Stellung und der Bedeutung des Buches 1 des BGB im Verhältnis zu den Büchern 2–5. Davon kann angesichts des fragmentarischen Charakters der Regelungen in §§ 343–372 HGB keine Rede sein.4 Hauptsächlich geht es dort um:

das Zustandekommen der Handelsgeschäfte durch Schweigen (Sonderregelungen zu §§ 145 ff., 663 BGB),

das Zurückbehaltungsrecht (Sonderregelungen zu §§ 273 f. BGB), das Kontokorrent (Sonderregelungen – vor allem – zu §§ 387 ff. BGB),

den Eigentums- und Pfandrechtserwerb vom Nichtberechtigten (Sonderregelun- gen zu §§ 932 ff., 1207 ff. BGB).

1 Durch das Bilanzrichtliniengesetz vom 19.12.1985 (BGBl. I S. 2355) wurde die Überschrift des bisherigen dritten Buches in „Viertes Buch“ geändert. Vgl. die Rechtsprechungsübersicht zu §§ 343 ff. HGB bei Kindler, JZ 2006, 176, 184 ff.; über Handelsgeschäfte (§§ 343 ff. HBG) und Unternehmergeschäfte (§ 14 BGB) vgl. Weyer, WM 2005, 490 ff.; grdl. Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009.

2 K. Schmidt, HandelsR, § 18 Rn. 3; zum historischen Hintergrund oben § 1 Rn. 24.

3 Vgl. Canaris, § 1 Rn. 47; kritisch K. Schmidt, JZ 2003, 585, 586: Handelsrecht als „Fortbil- dungsprogramm“, hin zu einem Außenprivatrecht der Unternehmen; grdl. – und kritisch – Chr. Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009.

4 Anderer Ansicht insoweit offenbar Wiedemann/Fleischer, HandelsR, PdW-Bd. 7/1, die unter Nr. 437 von einem „Allgemeinen Teil“ des Rechts der Handelsgeschäfte sprechen; noch überzogener Jung, Kap. 9 („Die allgemeine Handelsgeschäftslehre“).

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2. Teil. Handelsgeschäfte 140

Diese – an der Stoffanordnung im BGB orientierte – Reihenfolge der wichtigsten Re- gelungskomplexe im ersten Abschnitt im vierten Buches des HGB liegt auch der hie- sigen Darstellung zugrunde, die mit einem zusätzlichen Abschnitt über einige wei- tere punktuelle Besonderheiten schließt. Besonderes Augenmerk sollte der Lernende auf den Vertragsschluss durch Schweigen im Handelsrecht (unten Rn. 13 ff.) und den Erwerb vom Nichtberechtigten (unten Rn. 54 ff.) legen. Ein beliebtes Prüfungsthema ist ferner die Formfreiheit der Bürgschaft (unten Rn. 74 ff.).

Die Heterogenität und der bruchstückhafte Charakter der in §§ 343–372 HGB ver- sammelten Vorschriften und Rechtsinstitute ist nur aus der Entstehungsgeschichte dieses Abschnitts verständlich (oben § 1 Rn. 23 ff., 25). Mit Raisch lässt sich sagen,

„dass den Gesetzgeber des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Deutschland kein ein- sichtiges Prinzip bei der Stoffaufteilung zwischen BGB und HGB leitete und eine Reihe von Vorschriften des HGB ins BGB gehört hätten“.5 Daraus folgt aus heutiger Sicht zum Teil die Verfassungswidrigkeit einzelner Vorschriften,6 mindestens aber die rechtspolitische Forderung nach deren Aufhebung oder Übernahme in das allge- meine Bürgerliche Recht.7 Diese Grundsatzfragen können hier nicht vertieft werden.

2. Anwendungsbereich des vierten Buches des HGB a) Grundlagen

Ausnahme- oder Ergänzungscharakter im Verhältnis zum BGB haben die Vorschrif- ten des vierten Buches grundsätzlich nur bei Vorliegen eines Handelsgeschäfts, d. h.

unter den Voraussetzungen der §§ 343–345 HGB.8 Nach der Grundnorm des § 343 HGB entscheiden zwei Merkmale über das Vorliegen eines Handelsgeschäfts: die Kauf manns eigen schaft des Handelnden und die Betriebszugehörigkeit des Geschäfts.

Der Begriff des Handelsgeschäfts wird dabei weit verstanden. Er umfasst alle Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen.9 Darüber hinaus zeigt § 362 HGB, dass das Handelsrecht auch Unterlassungen wie Rechtsgeschäfte behandelt. Wegen der Marktbezogenheit des vierten Buches des HGB zählen ferner auch die Übertragung des Besitzes, die Zusendung von Waren, zur ungerechtfertig- ten Bereicherung führende Leistungen,10 deliktisches Verhalten bei der Begründung oder Abwicklung eines Vertragsverhältnisses, wettbewerbswidriges Verhalten und die GoA zugunsten eines Marktpartners als Handelsgeschäft.11 Reine Tathandlungen fallen nicht unter § 343 HGB.12

5 Raisch, ZHR 154 (1990), 567, 568.

6 So z. B. Canaris, § 26 Rn. 10 zu §§ 352 f. HGB im Anschluss an Kindler, Gesetzliche Zins- ansprüche im Zivil- und Handelsrecht, 1996.

7 Vgl. statt aller Canaris, § 1 Rn. 30 ff.; zu Österreich Krejci, ZHR 170 (2006), 113, 140 f.

8 Allgemein über das Verhältnis des HGB zum BGB oben § 1 Rn. 6 ff.

9 Rechtsgeschäftsähnliche Handlungen sind Willensäußerungen, an die das Gesetz Rechts- folgen knüpft, wobei der Erklärende – im Unterschied zur Willenserklärung – diese Rechts- folge nicht gewollt haben muss, vgl. Musielak/Hau, Grundkurs BGB, 13. Aufl., 2013, Rn. 209.

10 Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht, 1996, S. 132 ff.

11 Staub/Koller, § 343 Rn. 4.

12 MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 343 Rn. 5.

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§ 7. Das besondere Vertrags- und Sachenrecht des Handels 141

b) Kauf manns eigen schaft

Das Handelsrecht ist das Sonderrecht der Kaufleute (oben § 1 Rn. 2 ff.). Nach § 343 HGB sind nur die Geschäfte „eines Kaufmanns“ Handelsgeschäfte. Die Kauf manns- eigen schaft beurteilt sich dabei nach §§ 1–6 HGB (ausführlich oben § 2). Anwend- bar sind die Vorschriften des vierten Buches des HGB darüber hinaus für folgende Gruppen für Nichtkaufleuten:

Scheinkaufleute (§ 2 Rn. 95 ff.), „Unternehmer“ i. S. des § 91 HGB,

nichtkaufmännische Gewerbetreibende nach Maßgabe der §§ 383 II, 407 III Nr. 2, 453 III, 467 III HGB,

Gesellschaften bürgerlichen Rechts, die ausschließlich aus Formkaufleuten (§ 6 HGB; oben § 2 Rn. 112 ff.) bestehen.13

Dem Handelsrecht unterfällt ferner, wer im Rahmen eines einseitigen Handelsge- schäfts (§ 345 HGB) als Nichtkaufmann mit einem Kaufmann in rechtliche Bezie- hungen tritt.

Eine generelle Ausdehnung des Begriffs der Handelsgeschäfte auf nichtkaufmän- nische Unternehmer scheidet nach h. M. aus.14 Jedenfalls für Kleingewerbetreibende ergibt sich dies zwingend aus § 2 HGB: Entscheidet sich der Kleingewerbetreibende gegen eine Ausübung der Kaufmanns-Option (oben § 2 Rn. 71 ff.), so geht es nicht an, ihn „durch die Hintertür“ im Wege einer extensiven Auslegung des § 343 HGB zum Kaufmann zu machen. Schwieriger liegt es im Hinblick auf Freiberufler.

Beispiele: Ist ein Wirtschaftsprüfer bei Schweigen auf einen Auftrag seines Mandanten nach § 362 HGB gebunden? Verliert ein Arzt seine Mängelrechte für ein medizinisches Gerät bei nicht rechtzeitiger Rüge nach § 377 HGB?15

Im Einzelfall wird hier eine Analogie für zulässig erachtet, so z. B. bei § 362 HGB, nicht aber bei § 377 HGB.16

c) Betriebszugehörigkeit

Das zweite Merkmal des § 343 HGB besagt, dass das in Rede stehende Geschäft zum Betrieb des Handelsgewerbes des Kaufmann gehören muss. Auch hierbei verfährt man großzügig: Betriebszugehörig sind alle Geschäfte, die dem Interesse des Han- delsgewerbes, der Erhaltung seiner Substanz und der Erzielung von Gewinn die- nen sollen.17 Deshalb kommt es nicht darauf an, ob das jeweilige Geschäft für die

13 Zutr. OLG Brandenburg NJW 2012, 2124.

14 Baumbach/Hopt, § 343 Rn. 2.

15 Beispiele nach MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 343 Rn. 19.

16 Vgl. die Auflistung der analogiefähigen Vorschriften bei Baumbach/Hopt, § 1 Rn. 10; ein- gehend zur Erstreckung der Regeln des vierten Buches auf bestimmte Arten von Nichtkauf- leuten Canaris, § 21; Siems, Kaufmannsbegriff und Rechtsfortbildung, 2003 (dazu K. Schmidt, JZ 2003, 585).

17 Baumbach/Hopt, § 343 Rn. 3.

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Beispiele: Ist ein Wirtschaftsprüfer bei Schweigen auf einen Auftrag seines Mandanten nach§ 362 HGB gebunden? Verliert ein Arzt seine Mängelrechte für ein medizinisches Gerät bei nicht rechtzeitiger Rüge nach § 377 HGB?15

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Branche des Kaufmanns typisch ist oder nicht; auch Hilfs- und Nebengeschäfte sind betriebszugehörig.

Beispiel:18 Gastwirt Gäbele lässt durch die Bauunternehmung Bob der Baumeister GmbH Erd-, Mauer-, Beton- und Stahlbetonarbeiten am Neubau des Gasthauses vor- nehmen.

Zwei Regeln helfen bei der Bestimmung der Betriebszugehörigkeit des Geschäfts:

1) Bei Handelsgesellschaften i. S. des § 6 HGB ist jedes Geschäft betriebszugehörig, da die Handelsgesellschaft keinen Bereich hat, in dem sie privat tätig werden kann.

(2)  Bei Einzelkaufleuten ist nach § 344 I HGB zu vermuten, dass die von ihnen vorgenommenen Rechtsgeschäfte zum Betrieb des Handelsgewerbes gehören; aus Gründen des Verkehrsschutzes gilt diese Vermutung erst dann als widerlegt, wenn die erkennbaren Umstände oder die gemeinsamen Vorstellungen oder eine Abrede den Schluss auf den privaten Charakter des Geschäfts eindeutig zulassen.19 Eine in- haltsgleiche Vermutungsregel enthält § 344 II HGB für die von einem Kaufmann gezeichneten Schuldscheine (z. B. Wechsel, Bürgschaftsurkunden und die in § 363 HGB genannten Papiere).

Beispiel:20 Der im Handelsregister eingetragene Bäckermeister Klein hat bei der Bonz-Bank ein Bürgschaftsformular blanko unterzeichnet und dabei die Bank münd- lich ermächtigt, die Erklärung zu vervollständigen. Im Nachhinein beruft er sich auf die Formunwirksamkeit seiner Bürgschaftserklärung; er habe sich nämlich als Privat- mann und nicht als Kaufmann für die Schulden seines Schwiegersohnes verbürgt, was der Bank auch bekannt gewesen sei. Mit diesem Einwand dringt K durch: Die Blanko- Bürgschaft genügt nicht den Formanforderungen des § 766 S. 1 BGB. Diese Vorschrift ist hier auch nicht nach § 350 HGB unanwendbar. Zwar ist K Kaufmann, doch hat er die Bürgschaft nicht im Betrieb seines Handelsgewerbes abgegeben. Die Vermutung des § 344 I HGB – wie auch des § 344 II HGB – ist hier widerlegt, weil der B-Bank dies bekannt war.

d) Einseitige Handelsgeschäfte

Nach § 345 HGB kommen auf ein Rechtsgeschäft, das nur für einen der beiden Teile ein Handelsgeschäft ist, die Vorschriften über Handelsgeschäfte gleichmäßig zur An- wendung, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Ein derartiges „einsei- tiges“ Handelsgeschäft liegt vor, wenn einer der Beteiligten kein Kaufmann ist (oben Rn. 6 ff.) oder es auf seiner Seite an der Betriebszugehörigkeit (oben Rn. 10 f.) fehlt.

Die Vorschrift führt in Fällen zu Wertungswidersprüchen, in denen Nichtkauf- leute – also meist Verbraucher (§ 13 BGB)! – bei Geschäften mit einem Kaufmann härter behandelt werden, als wenn sie das Geschäft mit einem Nichtkaufmann abge- schlossen hätten (z. B. beim Handelskauf nach §§ 373–376 HGB). Der BGH nimmt

18 Nach BGHZ 63, 32 = NJW 1974, 1462.

19 MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 344 Rn. 9.

20 Nach BGH NJW 1997, 1779.

Beispiel:18 Gastwirt Gäbele lässt durch die Bauunternehmung Bob der Baumeister GmbH Erd-, Mauer-, Beton- und Stahlbetonarbeiten am Neubau des Gasthauses vor- nehmen.

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Beispiel:20 Der im Handelsregister eingetragene Bäckermeister Klein hat bei der Bonz-Bank ein Bürgschaftsformular blanko unterzeichnet und dabei die Bank münd- lich ermächtigt, die Erklärung zu vervollständigen. Im Nachhinein beruft er sich auf die Formunwirksamkeit seiner Bürgschaftserklärung; er habe sich nämlich als Privat- mann und nicht als Kaufmann für die Schulden seines Schwiegersohnes verbürgt, was der Bank auch bekannt gewesen sei. Mit diesem Einwand dringt K durch: Die Blanko- Bürgschaft genügt nicht den Formanforderungen des § 766 S. 1 BGB. Diese Vorschrift ist hier auch nicht nach§ 350 HGB unanwendbar. Zwar ist K Kaufmann, doch hat er die Bürgschaft nicht im Betrieb seines Handelsgewerbes abgegeben. Die Vermutung des § 344 I HGB – wie auch des § 344 II HGB – ist hier widerlegt, weil der B-Bank dies bekannt war.

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§ 7. Das besondere Vertrags- und Sachenrecht des Handels 143

dies hin.21 Verständlich ist § 345 HGB nur in der historischen Rückschau: Die Vor- läuferbestimmung in Art. 277 ADHGB (1861) sollte dem in der Handelsrechtskodifi- kation enthaltenen allgemeinen Vertrags-, Schuld- und Sachenrecht einen möglichst weiten Anwendungsbereich sichern. Angesichts der seinerzeit fehlenden Bundes- kompetenz für die Vereinheitlichung des allgemeinen Zivilrechts wurde das Handels- recht – unter anderem mit dem Kunstgriff des Art. 277 ADHGB – zum „trojanischen Pferd“ der Zivilrechtsvereinheitlichung in Deutschland (oben § 1 Rn. 23). Vereinzelt verlangt das Gesetz ein beiderseitiges Handelsgeschäft (z. B. in § 377 HGB).22

II. Vertragsschluss durch Schweigen 1. Bürgerlichrechtliche Ausgangslage

Im bürgerlichen Recht ist das Schweigen meist keine Willenserklärung, weder eine zustimmende noch eine ablehnende. Dieser Grundsatz erfährt allerdings gewisse Ausnahmen. So gilt das Schweigen z. B. nach §§ 416 I 2, 455 S. 2, 516 II 2 BGB als Zustimmung, hingegen nach §§ 108 II 2, 177 II 2, 415 II 2, 451 I 2 BGB als Ableh- nung. Abgesehen von diesen Einzelfällen hat Schweigen immer dann Erklärungs- wert, wenn besondere Umstände vorliegen, die bei der Auslegung nach Treu und Glauben den Schluss rechtfertigen, der Schweigende gebe durch sein Nichtstun zu erkennen, dass nach seinem Willen bestimmte Rechtsfolgen eintreten sollen („be- redtes Schweigen“ – § 242 BGB). So kann z. B. zwischen den Parteien im Vorhinein vereinbart werden, dass dem Schweigen einer Partei eine bestimmte rechtsgeschäft- liche Bedeutung zukommen soll.23 Und auch aus einer ständigen Übung der Parteien oder aus der Verkehrssitte (§ 157 BGB) kann sich ergeben, dass dem Schweigen ein bestimmter Erklärungswert beigelegt werden soll. Im Hinblick auf den Vertrags- schluss erweitert das Handelsrecht aus Gründen des Verkehrsschutzes diese Regeln in zweifacher Weise:

durch § 362 HGB (Schweigen des Kaufmanns auf Anträge, sogleich Rn. 14 ff.), und

durch die gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätze über das kaufmänni- sche Bestätigungsschreiben (unten Rn. 17 ff.).

2. Schweigen auf einen Antrag

Grundsätzlich kommt ein Vertrag durch Angebot und Annahme zustande (vgl. § 151 BGB). Die Annahmeerklärung des Kaufmanns wird durch § 362 I 1 HGB fingiert, wenn er auf ein Angebot zum Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrages (§ 675 BGB) schweigt. Damit geht das Handelsrecht in den Rechtfolgen deutlich über § 663 BGB hinaus; diese Vorschrift führt zwar zu einem Schadensersatzanspruch, nicht aber zu einem wirksamen Vertragsschluss. Im Einzelnen setzt § 362 HGB voraus:

21 BGHZ 170, 1 = NJW 2007, 1198 Rn. 38.

22 Weitere Fälle des beiderseitigen Handelsgeschäfts: §§ 346, 352 I, 353, 369–372, 379, 391 HGB.

23 Grenze: § 308 Nr. 5 BGB (fingierte Erklärungen).

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Kauf manns eigen schaft beim Empfänger des Angebots;

eine Geschäftsbesorgung (jede selbständige – rechtsgeschäftliche oder rein tat- sächliche – Tätigkeit wirtschaftlicher Art für einen anderen und in dessen Inte- resse);

Bezug der Geschäftsbesorgung zum Gewerbebetrieb des Kaufmanns;

Geschäftsverbindung (§ 362 I 1 HGB) oder Erbieten zum Besorgen von Geschäf- ten (§ 362 I 2 HGB);

keine unverzügliche (§ 121 I 1 BGB) Antwort.

Diese Voraussetzungen sind aus sich heraus verständlich und hier nicht näher zu behandeln.

Antwortet der Empfänger nicht unverzüglich auf das Angebot des anderen Teils, so kommt ein Vertrag mit dem Inhalt des Angebots zustande. Denn § 362 I 1 Hs. 2 HGB fingiert die Annahme dieses Angebots durch den Kaufmann. Daher ist der Empfänger des Angebots zur Ausführung der Geschäftsbesorgung verpflichtet, wäh- rend der Anbietende die Gegenleistung zu erbringen hat.

Da § 362 I HGB das Vorliegen einer Willenserklärung des Kaufmanns fingiert, fin- den grundsätzlich die allgemeinen Regeln über Willenserklärungen und -mängel Anwendung. Daraus folgt zunächst, dass bei Geschäftsunfähigkeit oder beschränk- ter Geschäftsfähigkeit des Kaufmanns ein wirksamer Geschäftsbesorgungsvertrag nicht zustande kommt (§§ 104 ff. BGB). Die Anfechtung des Schweigens beurteilt sich nach §§ 119 ff. BGB. Dabei ist eine Anfechtung nach § 123 BGB stets zuläs- sig, ebenso eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums (weil der Kaufmann den Antrag falsch verstanden hat) oder wegen Eigenschaftsirrtums (weil der Kaufmann falsche Vorstellungen über den Vertragsgegenstand oder die Person des Vertragspartners hatte). Eine wichtige Einschränkung der Irrtumsanfechtung ergibt sich jedoch aus dem Zweck des § 362 I HGB und dem Sinn der dort angeordneten Fiktion: Des- halb scheidet eine Anfechtung mit der Begründung aus, die Rechtswirkungen des Schweigens nicht gekannt zu haben (obwohl hier tatbestandlich ein Inhaltsirrtum vorliegt).24

3. Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben a) Begriff und Abgrenzung zur Auftragsbestätigung

Gewohnheitsrechtlich gilt, dass der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungs- schreibens unverzüglich widersprechen muss, wenn er den Inhalt des Schreibens nicht gegen sich gelten lassen will. Widerspricht er nicht, so ist der Vertrag mit dem aus dem Bestätigungsschreiben ersichtlichen Inhalt rechtsverbindlich, es sei denn, der Bestätigende hat das Verhandlungsergebnis bewusst unrichtig wiederge- geben oder das Bestätigungsschreiben weicht inhaltlich soweit vom Verhandlungs- ergebnis ab, dass der Absender vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen konnte.25 Diese Rechtsregel ist aus der im Handelsverkehr herr-

24 BGHZ 11, 1, 4 ff. = BeckRS 1953 30373959 (unbeachtlicher Rechtsfolgenirrtum); zum Ganzen auch MünchKomm-HGB/Welter, § 362 Rn. 40 ff.

25 BGHZ 7, 187, 189 = NJW 1952, 1369 ; BGHZ 11, 1, 3 f.; NJW 1994, 1288; NJW 2011, 1965 = ZIP 2011, 1260 Rn. 22.

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schenden Gepflogenheit hervorgegangen, Vertragsschlüsse nach Verhandlungen zu Beweiszwecken schriftlich zu bestätigen und etwaige Unrichtigkeiten einer solchen Bestätigung alsbald zu rügen. Sie gelten für ein Verhandlungsprotokoll entsprechend, das der vollmachtlose Vertreter des Empfängers errichtet hat.26 Die Grundsätze fin- den im geltenden Recht eine Stütze im Rechtsgedanken der §§ 75h, 91a, 362 HGB.

Sie dienen dem Verkehrsschutz.

Keine Vertragsannahme liegt regelmäßig im Schweigen auf eine „Auftragsbestäti- gung“. Denn mit der Auftragsbestätigung nimmt der Kaufmann ein ihm gemach- tes Angebot („Auftrag“) an, und schon hierdurch kommt der Vertrag zustande (vgl.

§ 151 BGB). Weicht die Auftragsbestätigung vom Angebot ab, so gilt dies als Ableh- nung und neuer Antrag (§ 150 II BGB). Zu einem Vertragsschluss nach Maßgabe einer derart „modifizierten“ Auftragsbestätigung kommt es nur dann, wenn deren Absender zugleich die Leistung erbringt. In der widerspruchslosen Entgegennahme dieser Vertragsleistung liegt dann die stillschweigende Annahme des in der modifi- zierten Auftragsbestätigung enthaltenen neuen Antrags.27 Für die Abgrenzung zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben ist entscheidend, ob das Schreiben nach sei- nem Inhalt den Vertrag erst zustande bringen – dann Auftragsbestätigung – oder das Ergebnis vorangegangener Vertragsverhandlungen verbindlich festlegen soll – dann kaufmännisches Bestätigungsschreiben.28

b) Persönliche Reichweite der Regeln über das kaufmännische Bestätigungsschreiben

Anerkannt ist, dass der Empfänger nicht die Kauf manns eigen schaft besitzen muss.

Den Regeln unterworfen ist auch ein Nichtkaufmann, der ähnlich einem Kaufmann am Geschäftsleben teilnimmt und von dem erwartet werden kann, dass er nach kauf- männischer Sitte verfährt, d. h. dem Bestätigungsschreiben  – falls nötig  – wider- spricht. Dies trifft z. B. für Grundstücksmakler, Architekten, Rechtsanwälte und In- sol venz ver wal ter zu.29

Die Anforderungen an den Absender sind streitig. Einer Auffassung zufolge kann es sich beim Absender auch um einen reinen Privatmann handeln; dafür spricht die Wertungsparallele zu § 362 HGB.30 Mit der Rechtsprechung31 ist indessen zu verlan- gen, dass auch der Absender ähnlich einem Kaufmann am Geschäftsleben teilnimmt.

Denn nur für diesen Personenkreis kann von der oben Rn. 17 geschilderten Ge- pflogenheit ausgegangen werden. Nur dort besteht regelmäßig die Erwartung, dass einem unrichtigen Bestätigungsschreiben widersprochen wird.

26 BGH NJW 2011, 1965 = ZIP 2011, 1060 Rn. 24.

27 BGH NJW 1995, 1671, 1672; vgl. auch Art. 18 I 1 CISG: „sonstiges Verhalten des Empfän- gers“ als „Zustimmung zum Angebot“.

28 Von Dücker, BB 1996, 3, 6.

29 BGH ZIP 2011, 1260 Rn. 23; Baumbach/Hopt, § 346 Rn. 18 m. w. Nachw.

30 Baumbach/Hopt, § 346 Rn. 19.

31 BGHZ 40, 43, 44 = NJW 1963, 1922  – Grundstücksmakler; OLG Düsseldorf ZIP 2004, 1211  – GmbH-Geschäftsführer = EWiR 2004, 709 m. Kurzkomm. Pfeiffer.

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c) Sachliche Voraussetzungen

(1) Vorverhandlungen. Dem Schreiben müssen ernsthafte Vertragsverhandlungen vorausgegangen sein, die aus der Sicht des Bestätigenden zum Vertragsabschluss ge- führt haben. Den Nachweis, dass Vorverhandlungen stattgefunden haben, hat der Bestätigende zu erbringen, da es sich hier um eine für ihn günstige, anspruchsbe- gründende Tatsache handelt. Mindestens muss der Vertragsschluss so weit vorberei- tet worden sein, dass das Bestätigungsschreiben nur noch als förmlicher Abschluss des bereits Vereinbarten anzusehen ist.

(2) Zeitlicher Zusammenhang. Das Bestätigungsschreiben muss dem Empfänger in engem zeitlichen Zusammenhang zugegangen sein. Wie lange dieser zeitliche Ab- stand sein darf, hängt davon ab, ob der Absender im Einzelfall noch damit rech- nen durfte, dass der Empfänger das Schreiben als richtig akzeptiert. Als Faustregel gilt, dass ein Abstand von drei Wochen zu lang ist, sofern nicht zwischendurch die Verhandlungen aufgegriffen wurden oder das Bestätigungsschreiben angekündigt wurde.32

(3) Schweigen des Empfängers. Das Schweigen auf das Bestätigungsschreiben hat – wie oben Rn. 17 dargestellt – zur Folge, dass der Inhalt des Schreibens als verbindlich gilt.

Diese Wirkung kann der Empfänger nur durch unverzüglichen (§ 121 BGB) Wider- spruch verhindern.33 Die Rechtsprechung neigt dazu, einen Widerspruch mehr als eine Woche nach Empfang der Bestätigung als verspätet zu betrachten.34

(4) Schutzwürdigkeit des Bestätigenden. Ausnahmsweise kann sich der Bestätigende nicht auf den Erklärungswert des Schweigens des anderen Teils berufen, wenn Um- stände vorliegen, die ihn als nicht schutzwürdig erscheinen lassen. Dies ist bei be- wusst unrichtiger oder entstellender Bestätigung der Fall, ferner wenn die Bestä- tigung sich  – auch schuldlos  – vom mündlichen Verhandlungsergebnis so weit entfernt, dass der Bestätigende verständigerweise nicht mit dem Einverständnis des anderen rechnen kann.35 An der Schutzwürdigkeit des – jeweiligen – Absenders fehlt es auch bei sich kreuzenden, inhaltlich verschiedenen Bestätigungsschreiben, denn diese tragen den Widerspruch gegen das Bestätigungsschreiben des anderen Teils in sich.

(5) Willensmängel. Bei einem Irrtum des Schweigenden über die rechtlich bindende Wirkung seines Verhaltens oder über die Abweichung des Bestätigungsschreibens vom Inhalt der Vertragsverhandlungen scheidet eine Irrtumsanfechtung aus. Nur so ist der durch die Regeln über das kaufmännische Bestätigungsschreiben bezweckte Vertrauensschutz lückenlos zu gewährleisten.36 Anders liegt es, wenn der Schwei- gende über den Inhalt des Bestätigungsschreibens als solches irrte. In diesen Fällen ist eine Anfechtung in entsprechender Anwendung der §§ 119 ff. BGB nach h. M.

32 BGH NJW 2011, 1965 = ZIP 2011, 1060 Rn. 23; MünchKomm-HGB/K. Schmidt, § 346 Rn. 153.

33 BGHZ 18, 212, 216 = NJW 1955, 1794.

34 Baumbach/Hopt, § 346 Rn. 25 m. w. Nachw.

35 BGH NJW 1994, 1288; BGH NJW 2011, 1965 = ZIP 2011, 1060 Rn. 23.

36 Vgl. BGHZ 11, 1, 5.

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