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Einleitung If any one faculty of our nature may be called

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If any one faculty of our nature may be called more wonderful than the rest, I do think it is memory. There seems something more speakingly incomprehensible in the powers, the failures, the inequalities of memory, than in any other of our intelligences. The memory is sometimes so retentive, so serviceable, so obedient – at others, so bewildered and so weak – and at others again, so tyrannic, so beyond control! – We are, to be sure, a miracle every way – but our powers of recollecting and of forgetting, do seem peculiarly past finding out.

Jane Austen, Mansfield Park, Vol. II, Chapter IV

Im Vorwort zum Handbuch „Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–

1949/55“ konstatiert Wolfgang Benz, es gebe wohl keinen „Zeitabschnitt der jün- geren deutschen Geschichte“, zu dem „der Zugang so durch Unkenntnis verwehrt“

und der so „durch Legenden überwuchert“ sei wie die Besatzungszeit in Deutsch- land.1

Diese Feststellung mag verwundern, denn an der Geschichtswissenschaft kann es ja nicht liegen, da diese sich über Jahrzehnte intensiv mit dieser Periode der deutschen Geschichte beschäftigt hat, wenngleich sich in den letzten Jahren das Interesse an diesem Zeitabschnitt deutlich verringert hat. Quelleneditionen und Darstellungen zu den verschiedensten Aspekten der Besatzungszeit füllen viel- leicht nicht ganze Bibliotheken, aber immerhin zahlreiche Regale in denselben. Ist es nicht so, als sei zu dieser Epoche schon alles gesagt, ja, als sei diese Zeitspanne durch die Wissenschaft geradezu abschließend „ausgeforscht“?

Bei genauerem Hinsehen allerdings wird man feststellen, dass es immer noch einige „weiße Flecken“ auf unserer Landkarte der Besatzungszeit gibt. Zu diesen unbekannten Gebieten gehört auch die Geschichte des Wiederaufbaus der deut- schen Justiz in den Westzonen, ebenso die Ahndung von NS-Verbrechen durch deutsche Justizbehörden in diesem Zeitraum. Während Legislative und Exekutive ihre Historiographen gefunden haben und zahlreiche Landtagsverhandlungs- und Kabinettsprotokolle aufwendig ediert wurden, führt die Judikative ein Mauer- blümchendasein.2 Wie die dritte der drei Säulen der Gewaltenteilung derartig der Aufmerksamkeit der Historiker entgehen konnte, wäre wissenschaftsgeschichtlich sicher erforschungswürdig. Fast scheint es, als hätten die Historiker Montesquieus Diktum über die dritte Gewalt „en quelque façon nulle“ zu wörtlich genommen.

Schon die Zeitgenossen stellten fest: Kein anderes Gebiet habe, so der Freiburger Generalstaatsanwalt und Professor für Rechtsgeschichte Karl Bader, den „Wieder- aufbau kontinuierlicher, ruhiger und unauffälliger vollzogen“3 als die Justiz. Ähn-

1 Benz, Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–1949/55, S. 17.

2 Vgl. Überlegungen zur unterschiedlichen Stellung der Justiz im Verhältnis zur Besatzungs- macht bei Ipsen, Deutsche Gerichtsbarkeit unter Besatzungshoheit, S. 90.

3 Bader, Rechtspflege und Verfassung, S. 1.

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lich sah es der Bayerische Justizminister Dr. Josef Müller, der im Landtag erklärte, würde die Justiz ihre Leistungen betonen, würde sie nicht dem Recht dienen, denn: „Die Justiz gleicht aber einer Frau, die umso besser ist, je weniger man von ihr spricht.“4 Auch der frühere Niedersächsische Justizminister Wilhelm Ellinghaus wusste, dass die „stille und treue Kleinarbeit“ sich bei Straf- und Zivilkammern, Grundbuchämtern und Vormundschaftsrichtern abspielte, ohne dass die Öffent- lichkeit Notiz davon nahm. „99 Prozent der Rechtspflege vollzieht sich in der Stille, ohne daß irgendein Sänger das zum Gegenstand seines Liedes macht.“5

Die Kehrseite der vornehmen Zurückhaltung der Justizverwaltung war, dass sie in der Historiographie so gut wie keine Beachtung fand, obwohl schon Marc Bloch die Affinität zwischen der Tätigkeit von Historikern und (Untersuchungs-) Richtern – „ce perpétuel juge d’instruction qu’est l’historien“ – 6 diagnostizierte.

Selbst im oben erwähnten Handbuch zur Besatzungszeit fehlt das Stichwort „Jus- tiz“ oder „Justizverwaltung“ vollständig, im Artikel „Strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen“ wird den westdeutschen Verfahren in diesem Zeitraum nicht mehr als eine halbe Seite eingeräumt, während die Ahndungsbestrebungen der Alliierten im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg, die Nürnberger Nachfolgeprozesse und die Verfah- ren vor Militärgerichten eine deutlich ausführlichere Würdigung erfahren, ebenso die Entnazifizierung. Ähnlich sieht es im Lexikon der „Vergangenheitsbewälti- gung“ aus, in dem zwar im Eintrag zu den Prozessen seit 1949 die hohe Zahl von deutschen Verfahren der Besatzungszeit erwähnt wird, diesen aber kein eigener Artikel gewidmet ist.7 Im „Gebhardt“, erste Anlaufstelle für Historiker, laut Eigen- anspruch bedeutendstes Handbuch der deutschen Geschichte, in dem „jede His- torikergeneration […] den Stand der deutschen Geschichtsforschung und Ge- schichtsschreibung“ „resümiert und reflektiert“8, taucht die Justiz in der 9. Auf- lage nicht einmal im Sachregister auf, die Wiederaufnahme der Gerichtstätigkeit wird in einem Satz erwähnt9, in der 10. Auflage sind für die Besatzungszeit hin- sichtlich der deutschen Justiz lediglich die Pogromprozesse angeführt10, wo einen doch schon ein Blick in die ersten Bände der – allerdings immer noch wenig rezi- pierten – Edition „Justiz und NS-Verbrechen“11 eines Besseren belehrt. Ähnlich

4 Rede Dr. Josef Müller im Bayerischen Landtag, 16. 3. 1948, S. 1115.

5 Rede Wilhelm Ellinghaus im Niedersächsischen Landtag, 10. 11. 1949, Spalte 4218.

6 Ähnlich auch folgende Bloch’sche Formulierung „Nous sommes des juges d’instruction, char- gés d’une vaste enquête sur le passé. Comme nos confrères du Palais de justice, nous re- cueillons des témoignages, à l’aide desquels nous cherchons à reconstruire la réalité.“ (hier zitiert nach Otto Gerhard Oexle: „Une science humaine plus vaste.“ Marc Bloch und die Ge- nese einer Historischen Kulturwissenschaft, in: Peter Schöttler (Hrsg.): Marc Bloch. Histori- ker und Widerstandskämpfer, Frankfurt am Main 1999, S. 102–144, hier S. 128 und S. 137).

7 Vgl. Fischer/Lorenz, Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 61–62.

8 Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Auflage, Bd. 1, S. X.

9 Vgl. Erdmann, Das Ende des Reiches und die Entstehung der Republik Österreich, der Bun- desrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, S. 648.

10 Vgl. Benz, Deutschland unter alliierter Besatzung 1945–1949, S. 110.

11 Vgl. Rüter, Justiz und NS-Verbrechen.

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lieblos wird das Thema in anderen Handbüchern behandelt.12 Im Handbuch po- litischer Institutionen und Organisationen sind Landtage, Regierungen, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Verbände und vieles andere aufgeführt – außer den Staatsgerichtshöfen, die nicht zur Justizverwaltung gehören, sind die Rechtszüge auch bei den staatlichen Organen nicht vertreten.13 Im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte heißt es lapidar, die Nachkriegszeit sei „straftheore- tisch noch nicht eingeordnet“.14 In diversen Gesamtdarstellungen zur Besatzungs- zeit oder zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert erweist sich die Suche nach der Thematik als Fehlanzeige.15 Auch die Unterdisziplin der Rechtsgeschich- te – die historische Kriminalitätsforschung – ist ein zeithistorisches Entwicklungs- gebiet. „Nullum crimen sine scientia“ ist in der Zeitgeschichte noch nicht ange- kommen.16 Die Besatzungszeit insgesamt darf lediglich noch als Präludium der Bundesrepublik Deutschland oder für die Kulturgeschichte von Amerikanisierung oder „Westernisierung“ herhalten. Der „Totengräber“ für die Erforschung der (westdeutschen) Besatzungszeit war schließlich die Wiedervereinigung – nach 1990 sank das Interesse an der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der „Trüm- merzeit“ außerordentlich, hatte sich doch mit der Öffnung der Archive der DDR ein anderes Betätigungsfeld ergeben. Das „high research potential“, das Ian Turner der Besatzungszeit attestierte, hat sich für die Justizgeschichte nicht erfüllt.17

Nichtsdestotrotz haben sich einige Unverzagte an deren Erforschung gemacht.

So hat Hans Wrobel Justiz und Justizpolitik in der Besatzungszeit in dem aus der Literatur gearbeiteten Werk „Verurteilt zur Demokratie“ in den Mittelpunkt ge- stellt.18 Etwa ein Drittel des 400 Seiten starken Buches beschäftigt sich allerdings

12 Vgl. Birke, Nation ohne Haus, S. 78 f., oder Deuerlein, Deutschland nach dem Zweiten Welt- krieg 1945–1955, S. 75.

13 Vgl. Potthoff/Wenzel, Handbuch politischer Institutionen und Organisationen 1945–1949, ebenso unergiebig: Vogel, Westdeutschland 1945–1950.

14 Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5, S. 3.

15 Vgl. Becker/Stammen/Waldmann, Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland; Kleß- mann, Die doppelte Staatsgründung; Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945–1949; Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik; Benz, Die Gründung der Bundesrepublik;

Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2; Steininger, Deutsche Geschichte; Wehler, Deut- sche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, wobei Wehler die Rechtsgeschichte explizit im Vorwort ausklammert, S. XVII f.; Benz, Potsdam 1945; Benz, Auftrag Demokratie; Echternkamp, Nach dem Krieg sowie Hoffmann, Nachkriegszeit; dagegen Loewenstein, Justice, ebenso Becker, La Justice après 1945.

16 Zurecht bemerkt Schwerhoff, Historische Kriminalitätsforschung, S. 25, die diesbezüglichen Defizite bei der Zeitgeschichte, während Haftbefehle (Arlette Farge/Michel Foucault, Familiä- re Konflikte. Die „Lettres de cachet“), gerichtliche Ermittlungsprotokolle (Richard Cobb, Tod in Paris), Prozessunterlagen (Emmanuel Le Roy Ladurie, Montaillou; Carlo Ginzburg, Der Käse und die Würmer; Rainer Beck, Mäuselmacher oder die Imagination des Bösen) oder Gnadengesuche (Natalie Zemon Davis, Der Kopf in der Schlinge. Gnadengesuche und ihre Erzähler) für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Forschung großartige Ergebnisse erbracht haben. Für das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert siehe vor allem Regina Schulte, Das Dorf im Verhör, und Richard Evans, Szenen aus der deutschen Unterwelt, außer- dem diverse Studien zu politischen Schauprozessen der DDR.

17 Turner, Research on the British Occupation of Germany, S. 327.

18 Vgl. Wrobel, Verurteilt zur Demokratie.

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mit der NS-Justiz und einschlägigen alliierten Verfahren wie dem Nürnberger Juristen prozess. Wrobel geht sowohl auf die Justizverwaltung in Ost- als auch in Westdeutschland ein, wobei aber vieles überblicksmäßig und notgedrungen ober- flächlich bleibt. Zudem verliert das Buch durch einen übermäßig polemischen Stil an Wert. Für alle drei westlichen Besatzungszonen liegen Darstellungen vor:

Schon früh erschienen ist Joachim Reinhold Wenzlaus Arbeit19, die sich auf die Britische Zone beschränkt, dafür aber detailliert und unter Nutzung der verfüg- baren deutschen Quellen ein dichtes Bild präsentieren kann. Der Wiederaufbau der Justiz in den Ländern der Amerikanischen Besatzungszone ist von US-ameri- kanischen und kanadischen Autoren beleuchtet worden. Andrew Szanajda20 und Jeffrey Gaab21 haben die verfügbaren OMGUS-Akten der Legal Division der US- amerikanischen National Archives and Records Administration (NARA) zumin- dest teilweise herangezogen. Kurioserweise ist bei Szanajda die Benutzung des – für sein Thema zentralen – Bestandes „Inspection of Hessian Courts“ nicht er- kennbar und die Amerikanische Zone wird durchgehend ohne Berücksichtigung Bremens geschildert. Gaab geht auf eines der wichtigen Themen – die Nicht- anwendung des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 (KRG 10) durch deutsche Gerichte in der Amerikanischen Zone – überhaupt nicht ein. Die Dissertation von Joachim Groß beschäftigt sich – neben den deutschen Akten – erstmals mit der Überliefe- rung der französischen Seite zur deutschen Justiz, wobei neben deutschen Archi- ven die Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche (AOFAA) intensiv genutzt wurden.22 Allerdings verlässt sich der Autor vor allem auf die Akten der Division de la Justice (Direction), die Division de la Justice (Provinces), die teils doch andere Schwerpunkte zu setzen vermochte, kommt deutlich kürzer.

Auch die in der Arbeit vertretene These, die Rechtsstrukturen und die deutsche Justizpraxis seien von den Franzosen nicht beeinflusst worden, lässt sich nur hal- ten, indem wesentliche Bereiche – wie etwa die Anwendung des KRG 10 – igno- riert werden. Überblicksaufsätze liegen auch von Michael Stolleis23 und Bernhard Diestelkamp24 vor. Ein kürzlich erschienener Sammelband behandelt wesentliche Elemente des Justizaufbaus dagegen überhaupt nicht, in dem gesamten Buch be- fasst sich gerade mal ein Aufsatz mit der Justizverwaltung.25

Für die Enklave Bremen existiert eine Studie zur Justizverwaltung in der unmit- telbaren Nachkriegszeit.26 Kleinere Regionalstudien für die Justiz in Nordrhein-

19 Vgl. Wenzlau, Der Wiederaufbau der Justiz in Nordwestdeutschland 1945 bis 1949.

20 Vgl. Szanajda, The Restoration of Justice in Hesse, 1945–1949; Szanajda, The Restoration of Justice in Postwar Hesse, 1945–1949.

21 Vgl. Gaab, Zusammenbruch und Wiederaufbau; Gaab, Justice delayed.

22 Vgl. Groß, Die deutsche Justiz unter französischer Besatzung 1945–1949.

23 Vgl. Stolleis, Rechtsordnung und Justizpolitik 1945–1949.

24 Vgl. Diestelkamp/Jung, Die Justiz in den Westzonen und der frühen Bundesrepublik; Diestel- kamp, Die Justiz nach 1945 und ihr Umgang mit der eigenen Vergangenheit.

25 Vgl. Löhnig, Zwischenzeit.

26 Vgl. Richter, Die Organisation der ordentlichen Gerichte in der Enklave Bremen 1945–1947;

interessant auch: Pedron, Amerikaner vor Ort, S. 222 ff., hinsichtlich des interkulturellen Aus- tauschs vor (amerikanischen) Gerichten.

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Westfalen27 und Rheinland-Pfalz28 sind bezeichnenderweise erst im Rahmen von Jubiläumsveranstaltungen zum 50. Jahrestag der Entstehung dieser Länder vorge- legt worden. Die Geschichte einzelner Oberlandesgerichte (OLG) ist etwas besser erforscht, wenngleich auch hier für Westdeutschlands 19 OLG keine flächende- ckenden Stu dien vorliegen. Nicht selten wurden die Werke von Angehörigen der Justiz des betreffenden Bezirks verfasst. Für Berlin hat Friedrich Scholz die Ge- schichte des Kammergerichtsbezirks zusammengetragen.29 Ernst Reuß ist in seiner Disserta tion über die Berliner Justizgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Amts gerichts Berlin-Mitte vor allem auf Strafjustiz und die Ostberliner Justiz nach der Spaltung eingegangen.30 Der frühere OLG-Präsident von Bamberg hat sich mit dem Wiederaufbau im dortigen Bezirk auseinandergesetzt.31 Zu Jahresta- gen des Bestehens des OLG-Bezirk Celle32 sind drei Festschriften vorgelegt worden, in denen sich Beiträge mit den Neuanfängen der Justiz nach 1945 befassen, ebenso existieren Festschriften für das OLG Bamberg33, das OLG Braunschweig34, das OLG Düsseldorf35, das OLG Frankfurt am Main36, das OLG Hamm37, das OLG Karls- ruhe38, das OLG Koblenz39, das OLG Oldenburg40, das OLG Schleswig41, das OLG Stuttgart42 und das OLG Zweibrücken43, um nur einige zu nennen.44 Für das OLG München und das OLG Nürnberg fehlen bedauerlicherweise Festschriften, beim OLG Hamburg datiert die letzte verfügbare Festschrift aus dem Jahr 1939 und wurde noch von Curt Rothenberger herausgegeben45, eine Festschrift für einen Hamburger OLG-Präsidenten enthält aber einen Beitrag zum Wiederaufbau.46 Die nordrhein-westfälischen OLG sind überdies zusammenfassend in einer Broschüre

27 Vgl. Heilbronn, Der Aufbau der nordrhein-westfälischen Justiz in der Zeit von 1945 bis 1948/49.

28 Vgl. Warmbrunn, Wiederaufbau der Justiz nach Kriegsende.

29 Vgl. Scholz, Berlin und seine Justiz.

30 Vgl. Reuß, Berliner Justizgeschichte; Reuß, Vier Sektoren – eine Justiz.

31 Vgl. Schütz, Justitia kehrt zurück.

32 Vgl. 250 Jahre Oberlandesgericht Celle 1711–1961; Festschrift zum 275jährigen Bestehen des Ober landesgerichts Celle; Olenhusen, 300 Jahre Oberlandesgericht Celle.

33 Vgl. Meisenberg, Festschrift 200 Jahre Appellationsgericht/Oberlandesgericht Bamberg.

34 Vgl. Wassermann, Justiz im Wandel der Zeit; Isermann/Schlüter, Justiz und Anwaltschaft in Braunschweig 1879–2004.

35 Vgl. Wiesen, 75 Jahre Oberlandesgericht Düsseldorf.

36 Vgl. 100 Jahre Oberlandesgericht Frankfurt am Main 1879–1979.

37 Vgl. Rechtspflege zwischen Rhein und Weser.

38 Vgl. Münchbach, Festschrift 200 Jahre Badisches Oberhofgericht Oberlandesgericht Karlsruhe.

39 Vgl. 50 Jahre Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft Koblenz 1996.

40 Vgl. 175 Jahre Oberlandesgericht Oldenburg.

41 Vgl. 1945–1998. 50 Jahre Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht in Schleswig.

42 Vgl. Stilz, Das Oberlandesgericht Stuttgart.

43 Vgl. Paulsen, 175 Jahre pfälzisches Oberlandesgericht.

44 Vgl. Weitere Darstellungen zu OLG vgl. Zimmer, Die Geschichte des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main; Wolffram/Klein, Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden.

45 Vgl. Rothenberger, Das Hanseatische Oberlandesgericht.

46 Vgl. Ruscheweyh, Die Entwicklung der hanseatischen Justiz nach der Kapitulation bis zur Errichtung des Zentral-Justizamtes.

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des Justizministeriums von Nordrhein-Westfalen behandelt worden.47 Eine Disser- tation von Ralf Korden hat das LG Koblenz im Jahr 1945/1946 zum Gegenstand.48 Der personelle Wiederaufbau und die Rückkehr der „belasteten“ Staatsanwälte und Richter hat viel stärker das Interesse von Juristen und Historikern auf sich gezogen, obwohl gerade dies schwer zu rekonstruieren ist, da das Handbuch der Justiz in einer ersten Nachkriegsausgabe erst wieder ab 1953 erschien. Ingo Mül- lers „Furchtbare Juristen“49, Godau-Schüttkes „Ich habe nur dem Recht gedient“50 und Wolfgang Benz’ Fallbeispiele51 stellen die bekanntesten Publikationen dar.52 Jüngst hat Hubert Rottleuthner vor allem die Kontinuitäten von Karrieren von Juristen untersucht, wobei Personalangaben von etwa 34 000 Juristen zusammen- getragen wurden, die von 1933 bis 1964 in der Justiz arbeiteten53, für Baden hat Michael Kißener die Richterschaft von der Zwischenkriegszeit bis zur frühen Nachkriegszeit untersucht.54 Im Wesentlichen mit der Entnazifizierung der Justiz im OLG-Bezirk Celle ist Hinrich Rüping befasst.55 Mit dem Selbstverständnis der Justiz nach 1945 hat sich Björn Carsten Frenzel beschäftigt, der anhand von Re- den zur Eröffnung bzw. Wiedereröffnung von Bundes- und Oberlandesgerichten die Perzeption der juristischen Zunft, insbesondere der Richter, nachzuzeichnen versucht.56 Unklar sind allerdings die Auswahlkriterien, denn es sind beileibe nicht alle Reden zur Eröffnung der Oberlandesgerichte analysiert worden. Das (große) OLG Düsseldorf fehlt hierin ebenso wie das – zugegebenermaßen kurz- lebige – OLG Tübingen. Biographien bedeutender Juristen der Nachkriegszeit57 sind ebenfalls in den letzten Jahren erschienen, ebenso Autobiographien.58

Eine quellengestützte Gesamtschau über den Wiederaufbau der Justiz in den Westzonen fehlt. Die Gründe für diese stiefmütterliche Behandlung der deutschen Nachkriegsjustiz durch die Geschichtswissenschaft mögen vielfältig sein. Einer der wichtigsten scheint die problematische Quellenlage zu sein. Die erste selbst- verständliche Anlaufstelle für den Historiker sind die Bestände der Justizministe- rien in den zuständigen Landes- und Staatsarchiven. Durch stichprobenartige Überprüfung wurde festgestellt, dass die Überlieferung für diesen Zeitraum sehr dürftig, ja, teils nicht existent ist, da der Papiermangel zur „klugen Beschränkung

47 Vgl. Hottes, Zum Aufbau der Justiz in den Oberlandesgerichtsbezirken Düsseldorf, Hamm und Köln in der frühen Nachkriegszeit.

48 Vgl. Korden, Wiederaufbau der Justiz im Landgerichtsbezirk Koblenz.

49 Vgl. Müller, Furchtbare Juristen.

50 Vgl. Godau-Schüttke, „Ich habe nur dem Recht gedient“.

51 Vgl. Benz, Entnazifizierung der Richter.

52 Vgl. Niermann, Zwischen Amnestie und Anpassung.

53 Vgl. Rottleuthner, Karrieren und Kontinuitäten deutscher Justizjuristen vor und nach 1945.

54 Vgl. Kißener, Zwischen Diktatur und Demokratie.

55 Vgl. Rüping, Staatsanwälte und Parteigenossen.

56 Vgl. Frenzel, Das Selbstverständnis der Justiz nach 1945.

57 Vgl. Tausch, Max Güde; Ihonor, Herbert Ruscheweyh. Biographische Skizzen badischer Rich- ter, die für die Nachkriegszeit eine große Rolle spielten, sind enthalten in: Borgstedt, Badische Juristen im Widerstand.

58 Vgl. Düx, Die Beschützer der willigen Vollstrecker; Spitta, Neuanfang auf Trümmern; ebenso Bader, Der Wiederaufbau.

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des Schriftwerks“59 geführt habe, so dass der erste Nordrhein-Westfälische Justiz- minister, Eduard Kremer, äußerte, er habe sein gesamtes Ministerium in einer Ak- tentasche unterbringen können.60 Unglücklicherweise für die Historiker ist diese Aktentasche – oder besser: ihr Inhalt – verschwunden. Erschwerend kommt hin- zu, dass Teile des Wiederaufbaus der Justiz „von unten“, also vor der Entstehung der Justizministerien erfolgten, die in der Britischen Zone überdies erst ab Ende 1946 entstanden, ein wesentlicher Zeitabschnitt also überhaupt nicht belegt wer- den könnte bzw. die Recherche nach den Akten der Justizressorts bestimmter Oberregierungspräsidien und Provinzialregierungen (vor Schaffung der Länder) außerordentlich mühsam wäre. Allerdings wurde auch der Bestand des Zentral- Justizamts für die Britische Zone, der sich gut erschlossen im Bundesarchiv Kob- lenz (BAK) befindet, von der Geschichtswissenschaft wenig genutzt, obwohl es sich dabei um eine zentrale Justizbehörde für eine westliche Zone handelt. Wenig ergiebig sind die Landtagsprotokolle – die überdies keineswegs für alle späteren bundesdeutschen Länder vorliegen, so sind beispielsweise die Sitzungsprotokolle der Bremer und der Hamburger Bürgerschaft aus dem relevanten Zeitraum bis jetzt weder publiziert noch digitalisiert – , in anderen Länderparlamenten fanden ausgiebig lediglich die Entnazifizierung, die Amnestiegesetze und vereinzelt eini- ge spektakuläre Justizfälle Niederschlag in den Diskussionen, da es zu den parla- mentarischen Grundsätzen gehört, nicht in schwebende Gerichtsverfahren einzu- greifen, d. h., bis in letzter Instanz über einen Fall entschieden ist. Auch die Auf- zeichnungen aus den Rechtsausschüssen der Landtage wurden nicht in die Studie einbezogen.

Als feststand, dass eine Rekonstruktion des Wiederaufbaus der westdeutschen Justiz anhand der Ursprungsbehörden lediglich bruchstückhaft möglich sein wür- de, wurde stattdessen die deutlich vollständigere Gegenüberlieferung der westli- chen Alliierten benutzt, nicht ohne die stete Verwunderung der Verfasserin, die feststellen musste, dass es leichter war, Akten der Alliierten über die Justizverwal- tung zu „Aix-la-Chapelle“, „Brunswick“, „Cologne“, „Mayence“, „Neuville“, „Deux- Ponts“ oder „Trèves“ zu finden als zu ihren deutschen Äquivalenten Aachen, Braunschweig, Köln, Mainz, Neustadt, Zweibrücken oder Trier. Die amerikani- schen, britischen, französischen und deutschen Stimmen, die aus ihnen sprechen, ergeben einen vielstimmigen Chor der Multiperspektivität, der die Internationali- tät der Besatzungszeit auch in der Darstellung reflektiert. Da die meisten Quellen nicht publiziert sind, sind auch längere Zitate (in der Originalsprache) nötig, die aber zur besseren Lesbarkeit auf Deutsch paraphrasiert sind.

Für die Amerikanische Zone wurden sowohl die zentralen OMGUS-Akten der Legal Division61 als auch die der Länder Bremen, Bayern, Hessen und Württem-

59 Kewer, Aus der Geschichte des Oberlandesgerichts Hamm, S. 110.

60 Vgl. Wenzlau, Wiederaufbau der Justiz, S. 257; auch zitiert bei Wiesen, Das Oberlandesgericht von 1945 bis zur Gegenwart, S. 93 f.

61 Der Bestand der amerikanischen Legal Division befindet sich in der Record Group (RG) 260 der Akten des Office of Military Government, United States (OMGUS) Box 1–152, in der National Archives and Records Administration, College Park, Maryland, USA (NARA).

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berg-Baden (OMGBR, OMGBY, OMGH, OMGWB) verwendet, die durch das vom IfZ publizierte OMGUS-Handbuch schon seit längerer Zeit der Forschung bekannt sind. Von besonderem Interesse war dabei die Überlieferung der German Courts Branch. Die Originale befinden sich in den National Archives II in College Park, Maryland. Reproduktionen sind in Form von Microfiches bequem auch in den betreffenden (Haupt-)Staatsarchiven in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen und Hessen sowie im Archiv des IfZ verfügbar. Für Bremen existierte anfänglich keine eigenständige Legal Division und die schließlich geschaffene Abteilung wur- de bereits 1948 aufgelöst. Eine erneuerte Public Affairs and Legal Divi sion war von kurzer Dauer.62 Materialien zur deutschen Justiz in der Britischen Zone waren in großer Menge im Bestand „Foreign Office“ (FO) in den National Archives (TNA) in Kew verfügbar63, hier waren Berichte der Legal Division, genauer des „German Courts Inspectorate“ zu untersuchen. Erschlossen ist der Bestand durch ein aus- gezeichnetes elfbändiges Sachinventar, hier insbesondere Bd. 6.64 Für die Franzö- sische Zone waren die Bestände der Division de la Justice in den Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche von großer Bedeutung.65 Ähnlich wie die Akten der Legal Division für OMGUS bzw. die Länder sind sie gegliedert in eine Zonenebene („Direction“) und eine Länderebene („Provinces“) für Baden, Pfalz, Rheinland und Württemberg. Alle diese Bestände wurden von der Forschung für die Justiz bisher entweder – wie im Fall der OMGUS-Akten und der französischen Akten – wenig oder – wie im Fall der Bestände in den britischen Archiven – überhaupt nicht herangezogen.66

Der Bestand „Zentral-Justizamt“ (ZJA) im Bundesarchiv Koblenz67 wurde in Auszügen bereits für ein vorangegangenes Projekt des IfZ kopiert. Um den Reise- etat nicht übermäßig zu strapazieren, wurden die Auswahlkopien im Archiv des IfZ benutzt, gemäß einer Absprache zwischen Bundesarchiv und IfZ werden die Bundesarchivsignaturen für die Zitierung verwendet. Von Interesse war auch der Bestand zum Obersten Gerichtshof für die Britische Zone.68

Birgt dieser Ansatz, sich auf die Akten der Alliierten zu verlassen, nicht die Ge- fahr der Einseitigkeit? Leider sind Historiker angesichts der schmalen Quellenba- sis nicht mit Wahlmöglichkeiten gesegnet. In allen Aktenbeständen der westlichen Besatzungsmächte zur deutschen Justiz befinden sich selbstverständlich auch deutsche Überlieferungen: Anfragen von Rechtsrat suchenden Deutschen, Brief-

62 Vgl. Weisz, OMGUS-Handbuch, S. 650 f.

63 Der Bestand der britischen Legal Division ist unter Foreign Office (FO) 1049; 1050; 1060 in den National Archives (TNA), früher Public Record Office, Kew, Großbritannien verwahrt.

64 Vgl. Birke, Akten der britischen Militärregierung in Deutschland.

65 Bestand Affaires Judiciaires, „Division de la Justice: Contrôle de la Justice Allemande – Direc- tion“ sowie Bestand „Division de la Justice: Contrôle de la Justice Allemande – Provinces“

(für Baden, Pfalz, Rheinland und Württemberg) in den Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche (AOFAA), Colmar, Frankreich.

66 Die rühmliche Ausnahme ist „1945–1998. 50 Jahre Schleswig-Holsteinisches Oberlandesge- richt in Schleswig“, für das Akten des Bestandes FO benutzt wurden.

67 BAK, Z 21; Kopienbestand im IfZ-Archiv: Fg 17/1–22.

68 BAK, Z 38.

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wechsel zwischen deutschen Behörden und westalliierten Militärregierungen, Sta- tistiken und Berichte deutscher Staatsanwaltschaften und Gerichte, die anschei- nend in den korrespondierenden deutschen Überlieferungen der im Entstehen begriffenen Justizverwaltungen nicht erhalten geblieben sind. Außerdem wurden Teile der Splitterbestände (etwa Akten des OLG Bamberg, des Bayerischen und des Nordrhein-Westfälischen Justizministeriums) benutzt. Nicht miteinbezogen wurden dagegen das Bundesjustizministerium und der am 8. Oktober 1950 in Karlsruhe eröffnete Bundesgerichtshof (BGH), weil sie außerhalb des ins Auge gefassten Zeitraums der Besatzungszeit liegen.

Die Sicht der deutschen Juristen geht aus relevanten Artikeln der juristischen Zeitschriften hervor.69 Allerdings sind dort die NSG-Verfahren keineswegs pro- minent vertreten: Möglicherweise kamen die Juristen angesichts der Flut von Prozessen vor Dutzenden von Landgerichten (LG) bei der Urteilsbesprechung nicht mehr nach, so dass nur für einen winzigen Teil von Verfahren eine recht- liche Analyse und Einordnung erfolgte. Zu beachten ist auch, dass außer dem Obersten Gerichtshof für die Britische Zone kein den Oberlandesgerichten über- geordnetes Gericht existierte, das Leitlinien für die Rechtsprechung hätte entwi- ckeln können – dementsprechend differierte auch die Spruchpraxis in den einzel- nen Zonen. Für den Historiker ist dies mit der Schwierigkeit verbunden, dass er die recht lichen Sachfragen, die die Justiz damals bewegten (oder merkwürdiger- weise eben nicht bewegten!), natürlich nur beschreiben kann, sich aber nicht zu einer eigenen Rechtsmeinung versteigen sollte.

Eine vollständige Auswertung der allgemeinen Presse ist für dieses Thema nicht möglich. Wer dies vermisst, dem sei als Begründung angeführt, dass wäh- rend der Besatzungszeit insgesamt 169 Lizenzzeitungen (20 in Westberlin, 71 in der Britischen Zone, 58 in der Amerikanischen und 20 in der Französischen Zone) erschienen70, – bei den Zeitschriften steht nicht einmal die Gesamtzahl fest71, – eine solide Analyse auch nur eines repräsentativen Teils dieser Presseer- zeugnisse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Hinzu kämen die diversen Rundfunkanstalten und ihre Kommentare zu den Prozessen. Es wurden daher lediglich Presse ausschnittssammlungen herangezogen, die in den Akten der NSG-Verfahren befindlich waren. Es ist davon auszugehen, dass einige spektaku-

69 Es waren dies im Wesentlichen die Süddeutsche Juristen-Zeitung (SJZ; erschienen ab April 1946), die Deutsche Rechts-Zeitschrift (DRZ; erschienen ab Juli 1946), die Monatsschrift für deutsches Recht (MDR; erschienen ab April 1947), die Juristische Rundschau (JR; erschienen ab Juli 1947) und die Neue juristische Wochenschrift (NJW; erschienen ab Oktober 1947).

Die deutsche Richterzeitung wurde erst 1950 wiedergegründet und blieb daher unberücksich- tigt, ebenso die Neue Justiz (NJ), die in der SBZ erschien. Die Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) erschien zuletzt mit einem Band 1942/1944, erneut erst wie- der 1951.

70 Vgl. Hurwitz, Die Pressepolitik der Alliierten, S. 35. Bösch gibt sogar 178 lizenzierte Tageszei- tungen für 1948 an; vgl. Bösch, Mediengeschichte, S. 201. Aus der Aufstellung bei Koszyk, Pressepolitik für Deutsche, S. 472 ff. gehen weit über 100 lizenzierte Tageszeitungen hervor.

71 Vgl. Laurien, Politisch-kulturelle Zeitschriften in den Westzonen 1945–1949, S. 5.

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läre Fälle mediale Kommentierung fanden72, die allermeisten frühen NS-Prozes- se aber mehr oder weniger journalistisch unbegleitet über die Bühne gingen bzw.

lediglich in der Lokalpresse erwähnt wurden.73 Anders als etwa bei aufsehener- regenden Sittlichkeitsverbrechen, Entführungsfällen oder Serienmorden, deren geringer Anteil an der Kriminalstatistik74 mit einer starken medialen Präsenz einhergeht, liegt hier genau der umgekehrte Fall vor: eine hohe Frequenz der Prozesse, die aber in Presse und Rundfunk unterrepräsentiert blieben. Während erstere aufgrund ihres Sensationscharakters im kollektiven Gedächtnis auch noch nach Generationen präsent sind, erschließen sich letztere nur in deutlich spröderer Weise in mühsamer serieller Quellenarbeit in den Archiven. Zu fragen ist auch, ob nicht gerade eine systematische mediale Auswertung zu einem fal- schen Bild führen würde, sagte doch schon der Bayerische Justizminister Müller:

„daß einzelne Urteile besonders auffallen, während das Gros der Urteile […]

nicht die entsprechende Berücksichtigung findet, weil diese Urteile in der Presse nicht wiedergegeben sind.“75

Der zusätzliche Erkenntniswert der Zeitungen wäre überdies m. E. beschränkt:

Wie bekannt stand die Lizenzpresse unter der Kontrolle der Besatzungsmächte, die Genehmigung zur Herausgabe der Zeitungen konnte von diesen widerrufen werden, so dass von einer bewussten, vielleicht auch unbewussten Disziplinierung der Blattmacher ausgegangen werden muss.76 Die ausgewählten Lizenznehmer und Redakteure genossen das Vertrauen der Besatzungsmächte und ähnelten die- sen möglicherweise in ihren Ansichten stärker als der Mehrheit der Deutschen in den Westzonen. Die ausgeübte (Vor-) und (Nach-)Zensur differierte von Zone zu Zone und war im Verlauf der Besatzungszeit diversen Änderungen unterworfen, die im Detail nachzuvollziehen außerordentlich mühsam wäre. Bis Ende 1945 wahrten die westlichen Alliierten ihr Monopol bezüglich Themenauswahl und Kommentaren, aber schon 1948 war beispielsweise eine durchaus kritische und kontroverse Diskussion über die alliierte Wirtschaftspolitik in den Zeitungen fest- zustellen, in die die westlichen Besatzungsmächte eben nicht mehr eingriffen, so

72 Vgl. etwa ein Urteil in einem Zivilprozess des AG Bückeburg aus dem Jahr 1947, das im „Ta- gesspiegel“, im „Telegraf“, im „Neuen Deutschland“, in der „Berliner Zeitung“, in der „Welt“, in der „Frankfurter Rundschau“, in der „Stuttgarter Zeitung“, in der „Leipziger Volkszeitung“

und in der „Neuen Presse Coburg“ aufgegriffen wurde, nachdem in der „Hannoverschen Presse“ ein kritischer (aber auch verzerrender) Artikel erschienen war. Vgl. Zur Pressekritik – Bericht über einen Strafprozeß, S. 75–78.

73 So hat Katrin Dördelmann beispielsweise festgestellt, dass die von ihr untersuchten 54 Kölner Denunziationsprozesse der Nachkriegszeit nur vereinzelt in der kommunistischen „Volks- stimme“ kurz erwähnt wurden, im „Kölner Kurier“, in der „Kölnischen Rundschau“ und in der „Westdeutschen Zeitung/Kölner Stadtanzeiger“ dagegen keine Berichte zu finden sind;

vgl. Dördelmann, Denunziationen und Denunziationsopfer – Auseinandersetzungen in der Nachkriegszeit, S. 225 f.

74 Zum Vergleich: Sexualdelikte hatten im Jahr 2008 lediglich einen Anteil von 0,9%, Straftaten gegen das Leben nur einen Anteil von 0,1% an der Kriminalstatistik.

75 Rede Dr. Josef Müller im Bayerischen Landtag am 16. 3. 1948, S. 1117.

76 Vgl. Laurien, Politisch-kulturelle Zeitschriften in den Westzonen 1945–1949, S. 36 ff.

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dass der öffentliche Diskurs nahezu frei und pluralistisch erfolgte.77 Verschiedene überregionale Zeitungen und Zeitschriften existierten noch nicht, den „Spiegel“

gab es erst seit Januar 1947, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ seit November 1949. Die Papierknappheit begrenzte die Auflagen, Zeitungen konnten kaum überregionale Wirkungsmacht entfalten, weil sie aufgrund der Lizenzierung nur in einem bestimmten Territorium verbreitet werden durften, Import von Presse- erzeugnissen aus dem Ausland und selbst aus anderen Zonen war untersagt. Die- ter Felbick hat überdies in einer differenzierten Auswertung der einschlägigen Medienlandschaft gezeigt, dass zwar bestimmte Schlagwörter wie Entnazifizie- rung, Kollektivschuld oder Wiedergutmachung eine große Rolle spielten, für den Völkermord an den Juden aber noch nicht einmal ein Lexem in der Besatzungs- zeit geprägt wurde.78 Oder, um nochmals Marc Bloch zu bemühen: „Car, au grand désespoir des historiens, les hommes n’ont pas coutume, chaque fois qu’ils chan- gent de mœurs, de changer de vocabulaire.“79

Während die Ahndung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in den 60er Jahren mittlerweile vergleichsweise gut erforscht ist80 und die 50er Jahre zu- mindest für die politische Seite gut belegt sind81, ist diesbezüglich seit dem gro- ßen Aufsatz von Martin Broszat82 über die Besatzungszeit kaum mehr gearbeitet worden. Auch Henry Friedlander hat auf die frühe Aufarbeitung hingewiesen.83 Ein jüngst erschienener Aufsatz von Devin Pendas konzentriert sich vor allem auf die Britische Zone.84 Annette Weinkes85 Studie setzt erst mit der Gründung der beiden deutschen Staaten ein, in Kerstin Freudigers Arbeit wird immerhin auf einige Fälle der Besatzungszeit eingegangen.86

Auf regionaler Ebene sind seit einiger Zeit Darstellungen zu den Bestrebungen einzelner Staatsanwaltschaften wie Hamburg87, Landgerichte wie beispielsweise

77 Vgl. Felbick, Schlagwörter der Nachkriegszeit 1945–1949, S. 77.

78 Ebd., S. 585. Ähnliche Überlegungen etwa zum Begriff „Endlösung der Judenfrage“ oder

„Reichskristallnacht“, in: Eitz/Stötzel, Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“, Bd. 1, S. 167, S. 527. Der Begriff des Genozids stammt von dem polnisch-jüdischen Juristen Raphael Lemkin (1900–1959) und wurde in die Anklage des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherpro- zesses aufgenommen, war aber kein Straftatbestand. Erst im Dezember 1948 wurde die auf Lemkins Entwurf beruhende Konvention zur Verhütung und Bestrafung von Völkermord von den Vereinten Nationen beschlossen. Eine überzeugende Darstellung der Eingriffe west- alliierter Besatzer in den Sprachgebrauch in Kultur, Bildung und Medien bietet Deissler, Die entnazifizierte Sprache.

79 Vgl. Bloch: Apologie pour l’histoire ou Métier d’historien, Paris 1949, S. 22.

80 Vgl. Greve, Der justitielle und rechtspolitische Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen in den sechziger Jahren; Miquel, Ahnden oder amnestieren?

81 Vgl. Frei, Vergangenheitspolitik.

82 Vgl. Broszat, Siegerjustiz oder strafrechtliche „Selbstreinigung“?

83 Vgl. Friedlander, The Judiciary and Nazi Crimes in Postwar Germany.

84 Vgl. Pendas, Retroactive Law and Proactive Justice.

85 Vgl. Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland.

86 Vgl. Freudiger, Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen.

87 Vgl. Grabitz, Täter und Gehilfen des Endlösungswahns.

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Düsseldorf88 und Aurich89, OLG-Bezirke wie Oldenburg90 oder verschiedener Bundesländer wie Hessen91, Nordrhein-Westfalen92 und Schleswig-Holstein93 vorgelegt worden, die statt einer chronologischen oder thematischen Konzeption einem räumlichen Ordnungsprinzip geschuldet sind. So interessant die Studien sind, so ist doch auch offensichtlich, dass die Verfolgung bestimmter Verbrechens- komplexe – insbesondere nach Gründung der Zentralen Stelle Ludwigsburg – eher zufällig an bestimmte Staatsanwaltschaften fiel, etwa weil der Hauptbeschul- digte im Einzugsbereich einer Verfolgungsbehörde wohnte. Der chronologische oder thematische Ansatz scheint deutlich vielversprechender.

Die dezentrale Ermittlung zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen (NSG) vor 1958 tat ein Übriges, die Erforschung der Ahndung vor der Gründung der Bundesrepublik zu behindern. Während der Besatzungszeit waren sämtliche existenten Staatsanwaltschaften und Landgerichte der Westzonen – die Zahl be- läuft sich auf etwa einhundert – mit Recherchen zu NS-Verbrechen befasst, die abgegebenen Akten befinden sich in über dreißig Landes- und Staatsarchiven, in Einzelfällen auch noch bei den Staatsanwaltschaften. Allein die Suche nach dem Verbleib der Akten kann höchst kompliziert sein, da diese durch Beiziehung oder Abgabe von Ermittlungen oder Prozessunterlagen an andere Staatsanwaltschaften und Gerichte „außer Kontrolle“ gerieten. Wie aus den dürren Zahlen hervorgeht, übersteigt dieses Ausmaß das Arbeitsvermögen der wohl meisten Historiker, und – wie die Verfasserin gern einräumt – auch das ihrige. Noch 1960 hielten ver- schiedene Landesjustizverwaltungen eine Aufstellung sämtlicher Strafverfahren zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen für völlig undurchführbar. Das Jus- tizministerium in Rheinland-Pfalz befürchtete einen „unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand“ für die Statistiken.94 Die Landesjustizverwaltung Hamburg meinte: „Die nachträgliche Anfertigung einer Aufstellung über die einschlägigen Verfahren seit 1945 und über deren jeweiligen Ausgang (Einstellung, Außerverfol- gungsetzung, Freispruch, Verurteilung) wäre zwar theoretisch möglich, aber prak- tisch nicht durchführbar. Diese Arbeit würde so umfangreich und zeitraubend sein, dass das Personal der Geschäftsstelle der hiesigen Staatsanwaltschaft längere Zeit hindurch praktisch für jede andere Arbeit blockiert sein würde.“95 Ähnlich

88 Vgl. Zimmermann, NS-Täter vor Gericht.

89 Vgl. Bahlmann, Verbrechen gegen die Menschlichkeit? (Die Arbeit beschäftigt sich mit 42 Prozessen des LG Aurich von 1945–1955).

90 Vgl. Müller, Die Verfolgung von NS-Strafsachen im OLG-Bezirk Oldenburg.

91 Vgl. Hoffmann, Die Verfolgung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in Hessen; Mai- er, NS-Kriminalität vor Gericht.

92 Vgl. Boberach, Die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch deutsche Ge- richte in Nordrhein-Westfalen 1946 bis 1949.

93 Vgl. Jakobczyk, „Das Verfahren ist einzustellen“.

94 Brief Rheinland-Pfälzisches Justizministerium an Bundesjustizminister, 24. 8. 1960, Bayeri- sches Justizministerium, Generalakt 4010a Verfolgung ungesühnt gebliebener nationalsozia- listischer Straftaten, Heft 4: Art und Zahl der Strafverfahren, die nach 1945 wegen nationalso- zialistischer Straftaten durchgeführt worden sind.

95 Brief Landesjustizverwaltung Hamburg an Bundesjustizminister, 22. 7. 1960, ebd.

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sah es das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen: „In Übereinstimmung mit der Auffassung der Mehrheit der Leiter der Staatsanwaltschaften des Landes bin ich der Ansicht, daß eine nachträgliche Erhebung über die einschlägigen Verfah- ren mit den vorhandenen Kräften nicht bewältigt werden kann, da die erforderli- chen Feststellungen bei Sichtung aller in Betracht kommenden Strafakten getrof- fen werden können.“96 Der notwendige Kräfte- und Mittelaufwand sei in Hin- sicht auf die Erkenntnisse nicht vertretbar. Dank dem Insistieren der 1958 gegründeten Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung natio- nalsozialistischer Verbrechen wurden die NSG-Verfahren schließlich doch erfasst, sie bildeten die Grundlage für die vorliegenden Recherchen in den Archiven, bei Staatsanwaltschaften und Gerichten. In der Datenbank des IfZ sind die Verfahren nicht nur erfasst, sondern – anders als in früheren Zusammenstellungen – auch tiefenerschlossen.97 Eine statistische Auswertung der Datenbank hat Andreas Eichmüller bereits vorgelegt.98 Die angesichts großer Übermacht und widriger Umstände bewährte Strategie „de l’audace, et encore de l’audace, et toujours de l’audace“ hielt das Projekt am Laufen – wie viel Wagemut, Kühnheit, ja Verwe- genheit wir brauchen würden, war uns glücklicherweise anfänglich nicht bewusst.

Viele der Akten wurden erstmals seit ihrer Abgabe ins Archiv benutzt, andere lagen seit Jahrzehnten ungenutzt bei den Staatsanwaltschaften.

Für die vorliegende Darstellung werden Verfahren, die von der Autorin im Ar- chiv konsultiert wurden, sowohl mit staatsanwaltschaftlichem und gerichtlichem Aktenzeichen als auch mit Archivsignatur angegeben, diejenigen, zu denen Infor- mationen lediglich aus der Datenbank entnommen wurden, sind nur mit dem staatsanwaltschaftlichem und ggf. gerichtlichem Aktenzeichen angeführt. Die Ver- wendung von sowohl staatsanwaltschaftlichem als auch gerichtlichem Aktenzei- chen dient der Orientierung der Leser, weil daraus sowohl der (ungefähre) Ein- leitungszeitpunkt des Verfahrens als auch die Datierung des Hauptverfahrens zu entnehmen sind, über die Ortsangabe der Staatsanwaltschaft ist meist auch der Tatort zu lokalisieren, der sich zu diesem Zeitpunkt in den weitaus meisten Fällen im jeweiligen Gerichtssprengel befand. Zitate aus den gerichtlichen Akten stam- men, soweit nicht anders angegeben, entweder aus Anklage oder Urteil. Bei den Signaturen der Archive habe ich jeweils die zum Zeitpunkt der Einsichtnahme relevante Angabe gewählt, manche Akten sind mittlerweile jedoch umsigniert worden, andere Akten, die ich noch bei den Staatsanwaltschaften unter dem dor- tigen Aktenzeichen eingesehen habe, sind seither in die Archive verbracht worden und erhielten erstmals eine Signatur. Künftige Benutzer dieser Akten seien hier- mit auf die Konkordanzen verwiesen.

96 Brief Nordrhein-Westfälisches Justizministerium an Bundesjustizminister, 2. 9. 1960, ebd.

97 „Die Verfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945. Daten- bank aller Strafverfahren und Inventar der Verfahrensakten“, bearbeitet im Auftrag des Insti- tuts für Zeitgeschichte München – Berlin von Andreas Eichmüller und Edith Raim.

98 Vgl. Eichmüller, Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945.

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Trotz einer Vielzahl an Quellen ist auch der Aktenschwund immens: Desinter- esse an eingestellten Verfahren und Prozessen bei Staatsanwaltschaften und Archi- ven99, aber auch Sachzwänge wie Platzmangel führten im Lauf der Zeit zu diver- sen Aussonderungen, die einen großen und unwiederbringlichen Verlust an Akten für Justiz und Geschichte darstellen. Von diesen Lücken betroffen ist insbesonde- re die Besatzungszeit. Dies liegt natürlich einerseits an den seither vergangenen Jahrzehnten, andererseits auch an einer Geringschätzung jener Zeit insgesamt, der der Geruch der Unfreiheit, der „Trümmerzeit“, der Nachwirkungen des Un- tergangs anhaftet. Hinzu kommt, dass gerade in den frühen Jahren einige wenige Verfahren zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen auch vor Amtsgerichten (AG) stattfanden.100 Eine Erfassung dieser Amtsgerichtsverfahren zu NSG ist schlechterdings unmöglich: Die Zahl der Amtsgerichte – in manchen Landge- richtsbezirken mehrere Dutzend, allein der LG-Bezirk Koblenz hatte nicht weni- ger als 47 – sprengt jede handhabbare Dimension, überdies wurden die Akten meist als nicht archivwürdig eingeschätzt und bereits vernichtet. Doch selbst auf der Ebene der Staatsanwaltschaften und Landgerichte ist keinerlei Vollständigkeit zu erzielen: In vielen Fällen sind nicht nur eingestellte Ermittlungen von der Ver- nichtung betroffen, sondern auch Prozesse. Bei Duisburg fehlen sämtliche einge- stellte Verfahren sowie drei Viertel aller Akten zu NSG-Prozessen, bei Hamburg sieht es nicht viel besser aus, da dort ebenfalls die Ermittlungsverfahren, aber auch zahlreiche Prozesse kassiert wurden, ähnlich düster stellt sich die Situation etwa für die Bochumer NSG-Akten dar.101 Andere Staatsanwaltschaften und Ar- chive gingen glücklicherweise etwas pfleglicher mit den Dokumenten um, so dass hier eine dichtere Überlieferung gegeben ist, die eine fast vollständige Rekons- truktion der Ermittlungsbestrebungen ermöglicht. Anzumerken ist außerdem, dass die Ausgangsbedingungen für Ermittlungen äußerst unterschiedlich waren und dies die Resultate beeinflusste: Wo etwa Gestapo-Akten oder Sondergerichts- unterlagen erhalten geblieben waren, waren Recherchen nach Denunzianten o. ä.

einfacher als an Orten, wo durch Bombenschäden sämtliche Akten vernichtet waren. So bleibt letzten Endes ein Scherbenhaufen der Überlieferung, aus dem Historiker sich ein Bild formen müssen.

Da sich die Arbeit vor allem auf die Strafjustiz konzentriert, wird der Wieder- aufbau von Arbeits-, Finanz-, Sozial- oder Verwaltungsgerichten überhaupt nicht behandelt, ebenso nicht BGH oder Bundesverfassungsgericht. Polizei und Straf- vollzug werden ebenfalls nicht detailliert berücksichtigt.102 Der Einfachheit halber finden einige Institutionen und Territorien mit ihren heutigen Namen Verwen- dung, „Groß-Hessen“ wird hier durchweg als Hessen bezeichnet, anstatt Rhein-

99 Zur langjährigen Geringschätzung der Gerichtsakten durch Archivare und Historiker vgl.

Schwerhoff, Historische Kriminalitätsforschung, S. 40.

100 Hinweise beispielsweise unter Inspektion AG Bad Schwalbach, 9. 5. 1947, NARA, OMGH 17/209 – 1/2: „There have been only 2 minor cases of crimes against humanity.“

101 Vgl. Eichmüller, Die Datenbank des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin, S. 234.

102 Vgl. Fürmetz/Reinke/Weinhauer, Nachkriegspolizei; Baumann, Dem Verbrechen auf der Spur, S. 117 ff. zum Strafvollzug im südlichen Baden.

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land-Hessen-Nassau, Mittelrhein-Saar und Hessen-Pfalz ist von Rheinland-Pfalz die Rede, die Provinzen Hannover, Nordrhein und Westfalen und die Länder Braunschweig, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe und Oldenburg sind unter ihren jetzigen territorialen Namen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu finden, die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht wird entgegen Gerichts- verfassungsgesetz und Strafprozessordnung als Generalstaatsanwaltschaft, die

„Chefpräsidenten“ werden als OLG-Präsidenten erwähnt, differenziert wird ledig- lich zwischen „Beschuldigten“ und „Angeklagten“ (nicht aber den „Angeschuldig- ten“ nach der Einleitung der gerichtlichen Voruntersuchung). Für regionale Zuordnungen sind die damaligen OLG- und LG-Bezirke zugrunde gelegt. Die Namensänderungen bei den Rechtsabteilungen der westlichen Alliierten (etwa von „Legal Division“ zu „Zonal Officer of the Legal Adviser“) bleiben ebenfalls im Wesent lichen unberücksichtigt und scheinen nur in den Quellenangaben in ihrer jeweiligen Verwendung auf. Ich habe geographische Angaben, die in den engli- schen Briefen teils auf Deutsch, teils auf Englisch sind, in ihrer jeweiligen Fassung belassen und keine Vereinheitlichung durchgeführt. Der leichteren Unterschei- dung wegen ist die bayerische Militärregierung als OMGBY angegeben, obwohl sie in den Akten meist als OMGB oder OMGBav erwähnt ist. Literaturangaben erfolgen als Kurztitel, die vollständige Angabe ist im Literaturverzeichnis enthal- ten, Urteilskommentierungen in juristischen Zeitschriften, die ohne Namensnen- nung des Autors veröffentlicht wurden, sind lediglich in den Fußnoten vermerkt.

Werke, die das Thema peripher berühren, sind bereits in den Fußnoten biblio- graphisch angegeben. Personen der Zeitgeschichte werden mit ihren vollständigen Namen erwähnt, ebenso Juristen, die sich in Schlüsselpositionen befanden oder für die Darstellung insgesamt wichtig sind. Anonymisiert wurden Beschuldigte, denen keine Straftat nachgewiesen werden konnte, aber auch Personen, die von lediglich peripherem Interesse sind. Bei Tätern, die bereits aus der Literatur be- kannt sind, ebenso früheren Oberbürgermeistern und Landräten, NSDAP-Kreis- leitern, höheren SS- und SA-Funktionären sowie Gestapo-Angehörigen wird der Name verwendet.

Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zur Rechtsgeschichte und zur zeithistorischen Kriminalitätsforschung: Der erste Teil bietet eine Darstellung zum Wiederaufbau der Justizverwaltung in den Westzonen, die angesichts der

„Zusammenbruchgesellschaft“ des Jahres 1945 hinsichtlich der Begegnung von westlichen Alliierten und Deutschen eine kulturgeschichtliche Nuance hat, hin- sichtlich der deutschen Juristen auch eine Sozialgeschichte der Justiz sein muss.

Der zweite Teil befasst sich mit unterschiedlichen rechtlichen Normen, Rechts- konzeptionen und Vorstellungen von Gerechtigkeit bei westlichen Alliierten, deutschen Juristen und Teilen der Öffentlichkeit. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der „Aufarbeitung“ der NS-Verbrechen durch die westdeutsche Justiz in den Jahren 1945–1949/1950. Besonders spannend bei der „transitionalen Justiz“ ist, dass sie sowohl Einblicke in die Gewalttaten des Dritten Reiches als auch die Ahn- dungs- und Strafbestrebungen von Alliierten und Deutschen nach 1945 ermög- licht, die wiederum als „Gradmesser des gesellschaftlichen und kulturellen Um-

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gangs mit Gewalt“103 dienen können. Täter und Opfer, Zeugen und Polizei, Staatsanwälte, Richter, Gerichtsberichterstatter und alliierte Beobachter kommen zu Wort. Ausgeschlossen aus der Betrachtung bleiben die nicht zu den Westzonen gehörigen Teile der späteren Bundesrepublik Deutschland, nämlich das von den vier Alliierten regierte Berlin, dessen deutsche Justiz direkt der Alliierten Kom- mandantur unterstand, und das Saarland.104 Trotzdem finden alle westdeutschen NSG-Verfahren, die in diesem Zeitraum ihren Ausgang nahmen – auch die aus Berlin (West) und dem Saargebiet – zumindest statistisch Berücksichtigung. Um sich die Größenordnung vor Augen zu führen, sei erwähnt, dass in diesen Zeitab- schnitt mehr als 13 000 Ermittlungsverfahren und Prozesse fallen, von denen aber, wie oben ausgeführt, keineswegs alle überliefert sind; 70% aller Verurteilungen wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in Westdeutschland fanden be- reits in der Besatzungszeit statt. Eine Mikroperspektive, die „dichte Beschreibung“

eines einzelnen Prozesses – so interessant sie auch wäre – muss daher unterblei- ben, Beschreibung der Verfahren können immer nur beispielhaft als Schlaglichter erfolgen, obwohl einige der Prozesse größere Aufmerksamkeit verdienen würden.

Die Autorin ist sich bewusst, dass sie ihrer Leserschaft durch den Umfang der Arbeit viel zumutet. Allerdings wird niemand ernsthaft erwarten können, dass die Versäumnisse der Historiographie hinsichtlich der Justizgeschichte auf einem paar Dutzend Seiten abgehandelt werden können. Andererseits: Wäre es nicht vernünftiger gewesen, sich entweder auf die Rekonstruktion der Justizverwaltung oder die westdeutsche Ahndung der NS-Verbrechen in der Besatzungszeit zu be- schränken? Und doch scheinen mir diese Themen untrennbar miteinander ver- bunden zu sein. Die Verfolgung der NS-Verbrechen war ein Gradmesser für das Funktionieren der wieder aufgebauten Justiz und ein wichtiger Indikator für die Transformation des Unrechtsstaats zum Rechtsstaat, umgekehrt wird man deut- sche Ermittlungen und Urteile aus der Besatzungszeit nicht würdigen können, ohne nicht wenigstens einige Kenntnisse über die Schwierigkeiten und den zeit- lichen Verlauf des Justizaufbaus zu haben. Schon früh wurde die Verbindung zwi- schen dem Wiederaufbau der Justizverwaltung und der Bestrafung der NS-Ver- brechen gesehen: „Eine politische Justiz, die nicht rasch, gerecht und in einer aller Welt sichtbaren Weise die wirklich Schuldigen trifft, verfehlt ihre für unser Schick- sal entscheidende Aufgabe und verwirkt damit zugleich schnell die Autorität, ver- möge derer sie die Unschuldigen rehabilitieren kann […]“.105

Folgende Leitfragen versucht die vorliegende Arbeit zu beantworten:

103 Schwerhoff, Historische Kriminalitätsforschung, S. 98.

104 Zur Strafverfolgung im Saarland erscheint demnächst: Eichmüller, „Es ist ganz unmöglich, diese Milde zu vertreten“. Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen im Saarland 1945–1955.

105 Roemer, Wiederaufbau des Rechts, Spalte 96.

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1. Wie gingen die westlichen Alliierten beim Wiederaufbau der deutschen Justiz verwaltung vor, welche Erwartungen und Befürchtungen waren daran ge- knüpft?

Geschildert wird in Kapitel I die Wiedereröffnung von Landgerichten und Oberlandesgerichten nach dem „Stillstand der Rechtspflege“ vor dem Hinter- grund der „Trümmerzeit“. Neben den personellen Weichenstellungen und der Entnazifizierung wird auch die Frage der interkulturellen Kommunikation zwi- schen Alliierten und deutschen Juristen beleuchtet.

2. Welche „Arbeitsteilung“ herrschte hinsichtlich der Verfolgung der NS-Ver- brechen bei alliierter und deutscher Justiz, inwiefern unterschieden sich die Ahndungs bestrebungen in den einzelnen westlichen Besatzungszonen? Dabei soll im zweiten Kapitel zunächst die Trennlinie zwischen alliierten und deutschen Zuständigkeiten hinsichtlich der Gewalttaten des Dritten Reichs verdeutlicht wer- den. Außerdem wird das Zusammenprallen verschiedener Rechtsvorstellungen – anhand des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 – thematisiert, wobei sowohl zwischen den verschiedenen Konzeptionen der westlichen Alliierten als auch der deutschen Juristen differenziert wird.

3. Welche Tatkomplexe nationalsozialistischer Gewaltverbrechen wurden von der deutschen Justiz bearbeitet und wie erfolgreich war diese Ahndung?

Lange war die Vorstellung weithin verbreitet, dass NS-Gewaltverbrechen sich vor allem außerhalb der Reichsgrenzen, hinter Gefängnismauern und Lagerzäu- nen oder in abgeschirmten Anstalten abspielten. Wie aber die Willkür den Alltag im Reich durchdrang, ist Gegenstand von Kapitel III, wo anhand der Rekonstruk- tion nazistischer antisemitischer Gewalttaten durch die Justiz in den Jahren 1945 bis 1949 gezeigt wird, inwiefern die Justizquellen nutzbar gemacht werden kön- nen für die Forschung zum Nationalsozialismus – viele der Straftaten wären ohne die Ermittlungen nach 1945 überhaupt nicht bekannt geworden.

Kapitel IV fragt, inwiefern das Konzept der „Volksgemeinschaft“ auch als Moti- vation für Verbrechen diente und wie deren Ahndung nach 1945 aussah. Das Kapitel V versucht, neben den regionalen Besonderheiten des Pogroms auf die Schwierigkeiten der Ermittlung der „Reichskristallnacht“-Verbrechen nach 1945 einzugehen und die strafrechtliche Komponente der „Arisierung“ darzulegen, wie sie nach 1945 vor einigen Gerichten behandelt wurde. So richtig die Annahme der staatlichen und politischen Natur nationalsozialistischer Verbrechen ist, so kann es doch nicht angehen, den individuellen Part der Ausführenden völlig un- ter den Tisch fallen zu lassen. Hier, wie im Kapitel VI bei den Denunziationen, versuche ich die Motivationen der Täter stärker zu berücksichtigen, da hier – an- ders als bei anderen nazistischen Straftaten – ein größerer individueller Hand- lungsspielraum gegeben war bzw. die Täter neben den „Befehlen“ von Staat und Partei auch mit anderen Gründen argumentieren konnten. Auch sozialgeschicht- liche Kriterien wie Geschlecht, Alter und Berufe der Täter werden einzubeziehen versucht. Kapitel VI befasst sich mit der Denunziation der NS-Zeit als besonders strittigem Rechtsproblem nach 1945 und zeigt den unterschiedlichen Umgang der Spruchpraxis in der Britischen und Französischen einerseits und der Ameri-

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kanischen Zone andererseits. Deutlich werden soll dabei auch das unterschiedli- che Movens, das Denunzianten antrieb. Kapitel VII thematisiert die deutsche Ver- folgung von KZ-Verbrechen – einem Bereich, in dem die „Konkurrenz“ zwischen alliierten und deutschen Verfahren besonders deutlich wird. In den Kapiteln VIII und IX wird eine im Wesentlichen geglückte Strafverfolgung der „Euthanasie“- Verbrechen mit der gescheiterten Ahndung der Deportationsverbrechen kontras- tiert. Das letzte Kapitel schließlich versucht hinzuführen zu dem Komplex der Massenvernichtungsverbrechen, den die deutsche Justiz in den 50er Jahren auf- greifen sollte.

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