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Legendäre »lange Kerls«. Quellen zur Regimentskultur der Kö- nigsgrenadiere Friedrich Wil- helms I., 1713-1740. Bearb. von Jürgen Kloosterhuis, Berlin: Ge- heimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz 2003, XLVI, 706 S., EUR 6 2 - [ISBN 3-923579-03-9]

Vor 13 Jahren veröffentlichte Jürgen Kloosterhuis unter dem Titel »Bauern, Bürger und Soldaten« eine vielbeachte- te zweibändige Quellensammlung zu den sozialen Auswirkungen des Mi- litärsystems im preußischen Westfalen zwischen 1713 und 1803 (Münster 1992). Dieses Mal gilt sein Interesse den sogenannten langen Kerls, also den An- gehörigen des Königsregiments Fried- rich Wilhelms I. Uber diese Truppe exis- tieren zahlreiche Klischees: So hat sie nach landläufiger Meinung, aber auch nach dem Urteil von Historikern nie im Feuer gestanden und wird dement- sprechend als »Potsdamer Wachtpara- de« apostrophiert. Auf der Grundlage einer detaillierten Auswertung der Quellen kann Kloosterhuis derartige Urteile überzeugend korrigieren. Zwar ist durch die Zerstörung des Heeresar- chivs im Frühjahr 1945 das gesamte Ma- terial zur brandenburgisch-preußischen Heeresgeschichte, das dort eingelagert war, vernichtet worden, aber jenseits des vorhandenen Bildmaterials konnte der Bearbeiter eine Fülle von Informa- tionen für die Zeit zwischen 1713 und 1740 aus den Kirchenbüchern der Gar- nisonkirche Potsdam, denjenigen der in Brandenburg a.d. Havel stationierten Kompanien und der Potsdamer Kirche St. Nikolai gewinnen. Darüber hinaus wurde von ihm der Briefwechsel Fried- rich Wilhelms I. mit Leopold von An- halt-Dessau ausgewertet sowie die so- genannten Minütenbände, eine umfas- sende Dokumentation der Befehle des Monarchen, die u.a. Auskunft über die

Rekrutenwerbung und die Truppen- verwaltung, die Ausbildung der Solda- ten sowie die Maßnahmen zur Wah- rung der Disziplin und Bekämpfung der Desertion geben.

Die Herausstellung der »langen Kerls«, d.h. das Zusammenziehen von großen und schön gewachsenen Solda- ten in besonderen militärischen Einhei- ten datiert aus den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts. Neben der militäri- schen Ästhetik ging es dabei auch - in Verbindung mit dem unermüdlichen Exerzieren - um die Vervollkommnimg des Waffengebrauchs. Friedrich Wil- helm begann als Kronprinz 1709 ein Korps »Grands-Grenadiers« zu bilden.

In drei Jahren wuchsen die Königsgre- nadiere auf 49 Unteroffiziere, 28 Spiel- leute und 564 Großgrenadiere an. Bei der Aufstellung dieser Truppe spielte auch die Rezeption der antiken Mi- litärschriftsteller eine Rolle, denen man seit der militärischen Revolution des 16. Jahrhunderts wieder mehr Auf- merksamkeit schenkte. Allerdings wur- de die in der Antike entwickelte Vor- stellung von den »milites ostensiona- les« zur Optimierung der konstitutiven Elemente der Kriegführung (Feuer und Bewegung) an die moderne Infante- rietaktik adaptiert.

Das Verhalten der »langen Kerls«

auf dem Gefechtsfeld belegt nach den von Kloosterhuis zusammengetragenen Zeugnissen, dass das Königsregiment sehr wohl »die Schönheit von Palast- truppen mit der Schlagkraft von Kampf- garden vereinte« (S. XXVI) und dass die Bewertung der »langen Kerls« als Spie- lerei Friedrich Wilhelms I. in das Reich der Phantasie gehört. Wie der Mythos des angeblich fehlenden Gefechtswerts ist nach dem vorliegenden Quellenma- terial auch die außerordentliche Größe aller »langen Kerls« zweifelhaft. Zwar gab es Soldaten, die über zwei Meter groß waren - beispielsweise werden für

Militärgeschichtliche Zeitschrift 64 (2005), S. 613-637 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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Jonas Henrikson 2,12 m angegeben aber die Körpergröße der Mehrheit der

»langen Kerls« scheint eher zwischen 1,77 m und 1,93 m gelegen zu haben, was für die damalige Zeit durchaus re- spektabel war, jedoch deutlich macht, dass man die Ausnahmefälle nicht ver- allgemeinern darf. Hinzu kam, dass die besonders großen Soldaten primär als Palasttruppe fungierten, die - wie es ein Zeitgenosse formulierte - »bedeuten- den Sold ziehen, im Regiment keinen festen Platz einnehmen und fast gar kei- ne Dienste thun« (S. XXXV).

Was die Werbung anbetraf, so hatte das Königsregiment, wie die übrigen Truppenteile, seit der Kantoneinteilung von 1733 einen fest umrissenen Ersatz- bezirk (Umkreis Potsdam, Werder, Saar- mund, Brandenburg a.d. Havel). Dane- ben wurden passende Soldaten aus an- deren Regimentern den »langen Kerls«

zugeführt, darunter auch im Ausland geworbene junge Männer. Kloosterhuis räumt ein, dass es bei diesen Werbun- gen teilweise gewaltsam zuging, klas- sifiziert jedoch die vielfältigen Hinwei- se auf derartige Exzesse als Produkt der Trivialliteratur und Heimatforschung.

Für den Bearbeiter der vorliegenden Edition liegt der Schlüssel zum Ver- ständnis der Königsgrenadiere »in je- ner durchkalkulierten Kombination von Palasttruppe und Kampfgarde, von Re- präsentationsregiment und preußischen Musterbataillonen von höchster Ge- fechtsbrisanz« (S. XLVI). Von daher sieht er die Etablierung der »langen Kerls« im Kontext der Reformpolitik Friedrich Wilhelms I., die darauf ab- zielte, die Basis der preußischen Krone auf Dauer zu festigen.

In den 750 Urkundenauszügen wer- den zunächst die Anwerbung und Übernahme der Rekruten zwischen 1714 und 1740 erfasst (34 % des gesam- ten Materials), sodann die Regiments- und Garnisonverwaltung im selben Zeitraum (16,5 %), danach Daten zur

Militärdienstleistung von 1718 bis 1740 (18,5 %), gefolgt von Quellen zum So- zialmilieu des Militärs zwischen 1718 und 1740 und zwischen 1765 und 1779 (29 %) sowie schließlich die Auflösung und Neuformierung des Königsregi- ments im Jahr 1740 (2 %).

Bereits diese Gliederung macht deutlich, dass die Regesten nicht nur für den Militärhistoriker von großem Wert sind, sondern auch für Untersu- chungen in anderen Disziplinen - etwa im Rahmen der Verwaltungs-, der So- zial·, der Bildungs- oder der Menta- litätsgeschichte. Ebensogut kann man in diesem Buch aber einfach nur blät- tern und sich dann festlesen - interes- sante und neue Informationen wird man auf jeden Fall erhalten.

Neben den Regesten enthält die Edi- tion eine Truppenstatistik, die Rangli- sten und Rangierrollen sowie zahlrei- che Abbildungen. In der Statistik sind die Körpergrößen (1724-1770), die Per- sonalstärken (1713-1740) sowie grund- legende Sozialdaten (1713-1740) erfasst.

Die Ranglisten betreffen das Offizier- korps und den Unterstab (1713-1740);

ferner ist die Rangierung in den Jahren 1726,1734 und 1739 dokumentiert. Das ergänzende Bildmaterial umfasst alle derzeit bekannten Individualporträts von Angehörigen des Königsregiments sowie Fotos von zwei Knochenpräpa- raten, die von einstigen »langen Kerls«

stammen sollen. Abgerundet wird die Ausgabe durch ein Archivalien- und Li- teraturverzeichnis sowie einen Index, der nach Personennamen und Her- kunftsnachweisen aufgeschlüsselt ist.

Mit diesem Band ist dem Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußi- scher Kulturbesitz wiederum eine be- achtliche Edition gelungen, die unser Wissen und unsere Kenntnisse über ei- nen Truppenteil, um dessen Existenz sich bis in die Gegenwart zahlreiche Mythen ranken, auf eine realistische Grundlage stellt. Heinz Stübig

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Joseph ]. Ellis, Seine Exzellenz George Washington. Eine Bio- graphie, München: Beck 2005, XIV, 385 S„ EUR 24,90 [ISBN 3- 406-53509-7]

Leben und Werk nur weniger Persön- lichkeiten der Neueren Geschichte dürf- ten intensiver erforscht sein als das von George Washington (1732-1799), des ersten Präsidenten der Vereinigten Staa- ten von Amerika. Allein im Internet finden sich 5,2 Millionen Einträge, auch wenn damit weltweit vor allem George- Washington-Straßen, -Schulen und -Bi- bliotheken erfasst sein dürften.

Auf dem deutschen Buchmarkt ist nach der Washington-Biographie von Franz Herre (Stuttgart 1999) jetzt in ei- ner vorzüglichen Übersetzung durch Martin Pfeiffer eine weitere des ameri- kanischen Historikers Joseph J. Ellis er- schienen, die mehr ist als eine Biogra- phie. Neben der Darstellung des Lebens und Lebenswerks von George Washing- ton untersucht der Verfasser vor allem drei wichtige Bereiche der frühen Ge- schichte des USA: Militär, Gesellschaft und Verfassung, auch heute noch wich- tige Determinanten US-amerikanischer Politik.

Der im Jahre 1753 einundzwanzig- jährige Washington, zunächst als Kund- schafter eingesetzt, sammelte seine ers- ten militärischen Erfahrungen im French and Indian War (1754-1763) in der Wildnis westlich der Blue Ridge Moun- tains und südlich der Großen Seen. Ein Jahr später wurde er als Lieutenant Co- lonel Kommandeur einer Truppe von 300 Soldaten, die die Siedler in der Ohio-Region gegen die Franzosen schützen sollte. Fünf Jahre verbrachte Washington in der Wildnis, kämpfte mit und gegen Indianer und Franzosen, zeitweilig gemeinsam mit der britischen Kolonialarmee; 1755 wurde er Kom- mandeur des Virginia-Regiments, eines unzuverlässigen, schlecht ausgerüste-

ten und kaum ausgebildeten Milizver- bandes, den er zunächst disziplinieren musste.

1773, also zwanzig Jahre später, übernahm Washington, der nie eine for- male militärische oder akademische Ausbildung erhalten hatte, den Ober- befehl über die amerikanischen Trup- pen im Unabhängigkeitskrieg. Die Nie- derlagen, die seine Armee durch die bri- tischen Streitkräfte in den ersten Jahren des Krieges erleiden musste, sind vor allem damit zu erklären, dass Washing- ton diesen Kampf mit seinen Erfahrun- gen im Kleinkrieg gegen Indianer und Franzosen im French and Indian War jetzt mit einer zusammengewürfelten Truppe aus Siedlern gegen die gut aus- gebildeten britischen Berufssoldaten führen musste. Ellis deckt die Fehler und Fehleinschätzungen Washingtons auf und schont dabei den späteren ame- rikanischen Nationalhelden nicht. Er hat mit der Darstellung des French and Indian War und des Unabhängigkeits- krieges ein wichtiges und interessantes Kapitel - nicht nur der amerikanischen Militärgeschichte geschrieben

Washington stammte aus einer Far- merfamilie in Virginia, zu der nicht be- sonders großen Plantage gehörten auch 49 Sklaven. Wirklich vermögend wur- de er erst, als er 1759 eine reiche Witwe heiratete. Zusammen mit den von ihm bereits früher erworbenen riesigen Län- dereien in der Ohio-Region wurde Washington damit einer der bedeu- tendsten Großgrundbesitzer des ame- rikanischen Südens, der seine Lände- reien auch mit Sklaven bewirtschafte- te. In den zwanzig Jahren zwischen den Kriegen, später als Präsident und nach seiner Amtszeit führte Washington das Leben seiner Standesgenossen: Jagden, Ausritte, Gesellschaften, wie es bis zum Sezessionskrieg im Süden der USA bei den reichen Plantagenbesitzern üblich war. Die tägliche Arbeit auf den Feldern lag in den Händen von Sklaven, die Be-

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wirtschaftung in denen von Verwaltern.

Die amerikanischen Landadeligen, al- so auch Washington, nahmen daran nur mit mäßigem Interesse Anteil. Auch nach seiner Amtszeit als Präsident pflegte der inzwischen weltberühmte Washington auf seinem schlossartigen Landsitz Mount Vernon vor den Toren der neuen Hauptstadt, die jetzt seinen Namen trug, ein Leben gehobener und geistvoller Geselligkeit, von Joseph E.

Ellis mit kritischer Distanz als ein Ab- schnitt amerikanischer Gesellschafts- geschichte beschrieben.

Der Sieger im Unabhängigkeitskrieg wurde 1787 Präsident des Verfassungs- konvents und 1789 erster Präsident der USA. Die Beiträge Washingtons zur Ver- fassung des neuen Staates sind nicht die eines Staatsrechtlers, sondern eines von sicherem Instinkt geleiteten Pragmati- kers und Politikers. Sie befassen sich maßgeblich mit der Lösung von vier Konfliktbereichen: dem Verhältnis der Bundesstaaten zur Zentralgewalt, der Frage der Steuern, dem Sklavenpro- blem und der Stellung des Präsidenten.

Die Abschnitte der Washington-Bio- graphie, in denen Ellis auf diese Pro- bleme eingeht, sind keine trockenen staatsrechtlichen Abhandlungen, son- dern lebendige Politikbeschreibungen.

Die Interessengegensätze werden auch und gerade in der Person Washingtons deutlich. Er lehnte die Sklaverei aus Uberzeugung ab, wohl wissend, dass die Landwirtschaft der Südstaaten auf die Sklaven angewiesen war. Den Kon- flikt mit seinen Standesgenossen nahm er dabei in Kauf.

Dies gilt auch für die durch die Ver- fassung dem Präsidenten, also auch George Washington zugewiesene Rol- le. Er strebte nicht die Würde eines Kö- nigs des Ancien Regime nach europäi- schem Vorbild an, sondern sah sich als Chef der Exekutive, und er verzichtete auf die ihm angetragene dritte Amts- zeit. George Washington hat damit ein

wichtiges Kapitel moderner Verfas- sungsgeschichte geschrieben. Die vor- erst ungelöste Sklavenfrage wurde zur Zerreißprobe der jungen Nation. Für diese Probleme und andere fand Wa- shington pragmatische Lösungen.

Bei der Fülle der Quellen, der kaum überschaubaren Literatur zur Person George Washigtons hat Ellis eine kluge Auswahl getroffen und in weiser Be- schränkung auf 385 Seiten ein gut les- bares Buch geschrieben, das mehr bie- tet als einen Einblick in die frühe Ge- schichte der USA, ihres Militärs, ihrer Gesellschaft und ihrer Verfassung. Der Patriotismus des Autors, seine Vereh- rung für seinen Helden finden ihre Grenzen an der gebotenen Distanz, die der Historiker Ellis zum Objekt seiner Studien haben muss.

Die Anmerkungen sind auf das wirklich Wichtige beschränkt, das Quel- len- und Literaturverzeichnis hätte durch eine oder mehrere Karten ergänzt werden sollen, die dem europäischen Leser die Orientierung in der norda- merikanischen Topographie erleichtert hätten.

Michael Vollert

Josef Ossadnik, Land zwischen den Mächten. Das ehemalige Osterreichisch-Schlesien (»West- schlesien«) 1740-1945 und die Schlacht von Mährisch-Ostrau vom 16.3. bis 7.5.1945. Unter Mit- arb. von Brün Meyer, Bissendorf:

Biblio 2003, V, 415 S„ EUR 39,00 [ISBN 3-7648-2330-5]

In gewisser Weise ist der Titel der vor- liegenden Studie irreführend, da die Ge- schichte des lange Zeit im Besitz der böhmischen Krone befindlichen Land- striches nur eine Art Hinführung zum eigentlichen Thema bildet. Im Mittel-

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punkt der materialreichen Arbeit steht das Geschehen auf einem nahezu un- beachtet gebliebenen Kriegsschauplatz an der Ostfront in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges.

Material des Bundesarchivs Ko- blenz, des Bundesarchiv-Militärarchivs Freiburg, des russischen Zentralarchivs, des Tschechischen Militärarchivs sowie entsprechende deutsche und tschechi- sche Literatur bilden die Grundlage der Studie. Basierend auf veröffentlichten und unveröffentlichten Berichten von Beteiligten, Soldaten und Zivilisten, werden die Kämpfe und ihre Folgen vor allem für das Schicksal der deutsch- sprachigen Bevölkerung an dieser Front sichtbar.

Eingebettet in einen Abriss der Ge- schichte des wirtschaftlich bedeuten- den Gebietes des Habsburgerreiches und des nach 1918 tschechoslowaki- schen Staates enthält die Studie eine Fülle von Einzelheiten. Sie werden in Art eines Tagebuches nach allgemeinem Kampfverlauf, Heeres- und Luftwaf- feneinsätzen gegliedert. Jedem Tag ist ein, leider nur schwer lesbarer Karten- ausschnitt mit der Lage vorangestellt.

Es überwiegt die deutsche Sicht, doch kommt ebenfalls die der tschechischen Seite zum Tragen. Das Wissen über den Zusammenhang zum Kriegsverlauf im Großen wird vorausgesetzt.

Dem etwas idyllisch verklärten Bild eines ehemaligen Miteinander der un- terschiedlichsten Volksgruppen in die- sem Winkel Europas steht die Realität des Kriegsendes entgegen. Sie traf ins- besondere den deutschsprachigen Teil der Bewohner, der für die Schuld des NS-Regimes bezahlen musste. Die si- cherlich nicht allein ungestörten nach- barlichen Verhältnisse der fernen Ver- gangenheit lösten die »ethnische Säu- berung« als der nach Ansicht des briti- schen Premier Sir Winston Churchill saubersten Lösung der europäischen Probleme ab.

Die in der Studie geschilderten mi- litärischen Ereignisse spiegeln einen Ausschnitt der Abwehrgefechte des rechten Flügels der Heeresgruppe Mit- te wider. Im April 1945 wurde ihr lin- ker Flügel in den Strudel der Niederla- ge vor Berlin gerissen, wogegen die in Schlesien bestehende Front ihren Zu- sammenhalt, wenn auch unter schwe- ren Opfern und laufenden Ausweich- bewegungen, bewahren konnte.

Der 4. Ukrainischen Front gelang es allein nicht, trotz mehrerer Versuche, das Mährisch-Ostrauer Industrierevier einzunehmen. Die am 10. März 1945 be- ginnende Offensive erreichte dies, trotz Umgruppierung und Auswechseln des Oberbefehlshabers der Front ebenfalls nicht. Schließlich wurde sie am 7. April eingestellt.

Am 15. April trat die Front erneut zum Angriff an und kam nur mühsam voran. Um die nach Schätzungen des Oberkommandos der Wehrmacht mit dem Stand vom 7. Mai 1945 etwa 600 000 Mann starke der Heeresgruppe Mitte zu zerschlagen und ihr den Weg in die Gefangenschaft der Westalliierten zu versperren, zog das oberste Haupt- quartier in Moskau dazu die 1. Ukrai- nische Front heran. Aus den Schluss- kämpfen in und um Berlin herausge- zogen traten die beiden Panzerarmeen Konews zu einem über Dresden und das Erzgebirge führenden Marsch auf Prag an. Die »Prager Operation« besie- gelte das Ende der Heeresgruppe Mit- te, das Mährisch-Ostrauer Gebiet wur- de von der Roten Armee besetzt.

Die unmittelbar einsetzende Ver- treibung des deutschsprachigen Bevöl- kerungsteiles im Lande beiderseits der Oppa beendete auch hier eine Jahrhun- derte dauernde Phase europäischer Ge- schichte in diesem Teil des Kontinents.

Richard Lakowski

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Detlev Niemann, Bewertungs-Ka- talog Orden und Ehrenzeichen Deutschland 1871-1945. Orden, Ehrenzeichen, Verleihungsur- kunden, Miniaturen und Etuis.

Mit 2421 Abb., Hamburg: Nie- mann 2004, 817 S„ EUR 70,00 [ISBN 3-934001-04-1]

Nachdem im Januar 1999 der erste Band mit gleichlautendem Titel erschienen war, präsentierte Detlev Niemann im Herbst 2004 seine nunmehr zweite Auf- lage des Bewertungskataloges deut- scher Orden und Ehrenzeichen, Verlei- hungsurkunden und Etuis der Öffent- lichkeit.

Vieles hat sich seitdem verändert.

Die Einführung des Euro führte auf dem Kunst- und Antiquitätenmarkt zu einer teilweise exorbitanten Verteue- rung, so auch im Bereich der Phaleris- tik, d.h. dem Markt für Orden und Eh- renzeichen und alles was dazu gekauft, getauscht oder auch verkauft wird. Die- sen Veränderungen trägt nicht nur die Neuauflage des Niemannschen Werkes Rechnung, es präsentiert sich im einem neuen Format (DIN A4), bedingt durch die Verdoppelung (!) der durchgängi- gen Schwarz-Weiß-Abbildungen von Orden, Ehrenzeichen, Urkunden, Etuis und Miniaturen sowie den zahlreichen Herstellungs- und Tragevarianten an der Uniform oder dem bürgerlichen Zi- vil. Schon im Vorwort verweist der Ver- fasser auf den Zweck seiner Arbeit »so- wohl dem fortschrittlichen Sammler, als auch dem totalen Anfänger einen gut gebräuchlichen Leitfaden« an die Hand zu geben.

Wie bereits in der ersten Ausgabe werden zunächst die verschiedensten Auszeichnungen des Deutschen Rei- ches von 1871 bis 1918 dargestellt. Es schließen sich nahtlos die Abzeichen der Freikorps, der zahllosen Freiwilli- genverbände, Soldatenvereine und Kriegerbünde an. Danach werden die

staatlichen Auszeichnungen der Wei- marer Republik, der Reichswehr und Reichmarine sowie als Beispiel für die Länder und Provinzen zwischen 1918 und 1933, die Auszeichnungen der Frei- en Stadt Danzig dargestellt. Nach den Auszeichnungen der öffentlich-rechtli- chen Organisationen (Sport, Reichs- nährstand, Stahlhelmbund und Techni- sche Nothilfe) werden - und hierin ist der eindeutige Schwerpunkt der Arbeit zu sehen - die unzähligen staatlichen und militärischen Auszeichnungen des

»Dritten Reiches«, seiner Parteiforma- tionen, des Deutschen Roten Kreuzes und der Wehrmachtteile, in allen Vari- anten bis hin zu den Auszeichnungen für die im Dienste der Wehrmacht kämpfenden ausländischen Soldaten ausführlichst behandelt. Abgeschlossen wird die Arbeit durch ein Stichwort- verzeichnis, welches das gesuchte Stück schnell auffindbar macht.

Der besondere Verdienst der Arbeit von Detlev Niemann liegt im Gegen- satz zu vielen anderen Bewertungska- talogen darin, dass er nicht nur eine rei- ne Preisbewertung für das Abzeichen oder die Auszeichnung vornimmt, son- dern dass er vielmehr das, was zu einer Auszeichnung im Regelfall sonst noch gehört, nämlich die Verleihungsurkun- de, das Etui und ggf. eine tragbare Mi- niatur ebenfalls beschreibt und preis- lich bewertet. Dies hilft allen Sammlern erheblich bei einer sachgerechten Be- wertung z.B. eine Auszeichnungskon- voiutes. Besonders erfreulich ist dabei die Tatsache, dass Niemann darüber hinaus auch Varianten, zum Teil auch private Juwelieranfertigen oder auch Muster verschiedenster Hersteller in- klusive der Vielzahl von unterschied- lichsten Urkundentypen vorstellt. Ins- besondere die vergrößerte Abbildung verschiedenster Merkmale der Aus- zeichnungen helfen auch hier, das Ma- terial richtig einzuordnen oder sich vor Fälschungen zu schützen.

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Insgesamt ist das vorliegende Werk als überaus gelungen zu bezeichnen, es ist für Anfänger oder Fortgeschrittene gleichermaßen geeignet. Es beantwor- tet die Fragen, die Sammler bei der Be- schäftigung mit der Thematik immer wieder stellen: Welches Material? Wann und durch wen hergestellt? Echt oder falsch? Nicht zu vergessen zeigt es rea- listische Preise für die Auszeichnungen oder die Abzeichen und enthält das nötige »Zubehör«.

Wenngleich die Praktikabilität durch den enormen Umfang und das Gewicht eingeschränkt wurde, zeichnet sich der Katalog durch seine Detailtreue, seine benutzerfreundliche Aufmachung und den moderaten Preis aus und wird si- cherlich auch international seine Ver- breitung auf dem Sammlermarkt fin- den. Hierzu trägt die Veröffentlichung des Werkes gleichzeitig in Deutsch und in Englisch in einem Band sicherlich nicht unerheblich bei.

Peter Haug

Albert Hoptnan, Das ereignisrei- che Leben eines >Wilhelminers<.

Tagebücher, Briefe, Aufzeich- nungen 1901 bis 1920. Im Auftr.

des Militärgeschichtlichen For- schungsamtes hrsg. von Micha- el Epkenhans, München: Olden- bourg 2004, X, 1231 S. (= Beiträ- ge zur Militärgeschichte, 62), EUR 49,80 [ISBN 3-486-56840-X]

Die Edition des gewichtigen Teiles des Nachlasses von Vizeadmiral Albert Hopmans dürfte mit hoher Wahr- scheinlichkeit nicht allein bei der großen Zahl von marinehistorischen Laien auf ein breites Echo stoßen. Die den Insi- dern bekannten, Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts er- schienenen zwei Bände aus Hopmans Leben weit übertreffend, ist das vorlie-

gende Werk eine Fundgrube zur deut- schen Marinegeschichte.

Das Material umfasst die ersten Jah- re des 20. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg und die unmittelbaren Nach- kriegsjahre. Hopman hat den Ausbau der Kaiserlichen Marine erlebt, wenn er auch nie die Popularität eines Tirpitz oder Scheer erreichte. Er begleitete und gestaltete die Entwicklung der Marine zu einer der größten Flotten der Welt.

In seinen verschiedenen Dienststellun- gen, so als Chef der Zentralabteilung des Reichsmarineamtes, als Führer der Aufklärungsstreitkräfte der Ostsee und Chef der Operationsabteilung im Ad- miralstab, gewann er Einblicke in In- terna der Hottenentwicklung und dar- über hinaus der deutschen Innen- und Außenpolitik.

Die Karriere des gebildeten Mari- neoffiziers Hopman vollzog sich vor dem Hintergrund der Anfänge und dem Höhepunkt der See- und Welt- machtbestrebungen des Deutschen Rei- ches. Sie gipfelte in dem »Griff nach der Weltmacht« in den Jahren 1914 bis 1918 und ihrem Scheitern.

Der Herausgeber umreißt nach edi- torischen Erläuterungen die Biografie des »Wilhelminers«. Hopman gehörte, was seinen Nachlass so bemerkenswert macht, einer Generation an, die »Auf- stieg und Krise des Kaiserreiches« ver- körperte. Gemeinsam war ihr »die al- les überzeugende Bedeutung der Nati- on, der Wille, das Erbe der Väter zu mehren, und schließlich - bereits in der Krise - die Sehnsucht nach einer cha- rismatischen Führerpersönlichkeit«

(S. 91). Damit stellt die Edition eine nicht neue, aber sich immer wieder stel- lende Frage nach dem Anteil der »Wil- helminer«-Generation am Untergang des Reiches im Jahre 1945.

Hopmans Hoffnung, Deutschland zum 100. Jahrestag von Sedan »wieder groß auf der Welt [...] als Primus inter pares unter anderen Völkern Europas,

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mit denen es sich in früheren Jahrhun- derten immer zerfleischt hat« zu sehen, ging nicht in seinem Sinne in Erfüllung.

Im internationalen Vergleich waren die Ansprüche seiner Generation nach See- macht nicht einzigartig, aber in jedem Falle durch die historische Entwicklung überholt.

Richard Lakowski

Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg. Dokumentation.

Vierter Band. Bearb. von Ger- hard Granier, Koblenz: Bundes- archiv 2004,527 S. (= Materialien aus dem Bundesarchiv, 9,4), EUR 15,50 [ISBN 3-89192-112-8]

Mit dem vierten Band der in Zusam- menarbeit mit dem Bundesarchiv Ko- blenz erschienenen Reihe »Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg«

hat Gerhard Granier seine gleichnami- ge Dokumentation anhand ausgewähl- ter Quellen abgeschlossen. Wie auch die drei zuvor publizierten Bände über- zeugt diese Quellenedition - nicht zu- letzt aufgrund der ausführlichen Fuß- notenkommentare. Der vorliegende, ab- schließende Band weist zudem ein sehr ausführliches Literaturverzeichnis so- wie einen umfangreichen Personen-, Orts- und Sachindex bezogen auf die Gesamtedition auf.

Hat der erste Band organisatorische Fragen, die sich der Kaiserlichen Mari- ne bei Kriegsausbruch stellten, sowie die Reaktionen auf die ersten Kampf- handlungen zum Thema, befasst sich der zweite Band mit Dokumenten zur Leitung des Seekrieges auf dem nörd- lichen Kriegsschauplatz. Gegenstand des umfangreichen dritten Bandes ist der Handelskrieg mit U-Booten, und im letzten Buch seiner Reihe hat sich Ger- hard Granier logischerweise der Un- terlagen der Seekriegsleitung im Gro-

ßen Hauptquartier, so vor allem dem Kriegstagebuch, angenommen. Wenn es noch einer Bestätigung bedurfte, dass Geschichte objektiv und differenziert erst anhand von Quellen erzählt wer- den kann, dann sei dieser Band (wie freilich die vorhergehenden auch) je- dem, der sich mit der Kaiserlichen Ma- rine befasst, sehr empfohlen.

Freilich sind diejenigen Schrift- stücke, die den Ausbruch der Meuterei in der Flotte 1918 und damit den An- fang vom Ende des Kaiserreichs zum Inhalt haben, von größtem Interesse.

Das Ganze liest sich wie ein Geschichts- krimi insbesondere, was die Planungen der Seekriegsleitung zum letzten gro- ßen Flottenvorstoß anbetrifft, welcher dann durch die Meuterei der Mann- schaften der Hochseeflotte vereitelt wurde. Die bangen Fragen im Kaiserli- chen Hauptquartier, was nun zu tun oder besser zu lassen sei, wer hinter den Unruhen stecke, wer noch kaisertreu sei und wer nicht bzw. wie die Waffenstill- standsverhandlungen mit den Alliier- ten angesichts des revolutionären Di- lemmas zu führen seien, dies alles brei- tet sich vor dem Leser wie ein Blick hin- ter die Kulissen der großen Bühne des Krieges und seiner Lenker aus.

Die umfangreiche Aktenedition von Gerhard Granier wird ihren Platz als Standardwerk behaupten. Der For- schung zu militärischen Aspekten des Ersten Weltkriegs bietet sie eine der we- nigen guten Quellengrundlagen.

Axel Grießmer

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Richard Smith, Jamaican volun- teers in the First World War.

Race, masculinity and the devel- opment of national conscious- ness, Manchester, New York:

Manchester University Press 2004, IX, 180 S., £ 45.00 [ISBN 0- 7190-6985-8]

Während die im Ersten Weltkrieg ein- gesetzten kolonialen Einheiten aus Nord-, West- und Südafrika, Indien und Indochina in den letzten Jahren Gegen- stand zahlreicher, unterschiedliche Per- spektiven beleuchtender Untersuchun- gen gebildet haben, sind die westindi- schen Soldaten von der Forschung eher stiefmütterlich behandelt worden. Da- mit reproduzierte sich gleichsam die ge- ringe Wertschätzung, die diesen nicht als Kombattanten eingesetzten Einhei- ten bereits im Ersten Weltkrieg zuteil wurde. Das anzuzeigende Buch von Richard Smith schliesst also eine wich- tige Forschungslücke.

In einem ersten Kapitel befasst sich der Autor mit der Krise der weißen Männlichkeit im Ersten Weltkrieg. Die vielen Nachrichten von traumatisierten Frontkämpfern, Opfern des sogenann- ten »shell shock«, beunruhigten die Öf- fentlichkeit, passten sie doch so gar nicht in die von der Propaganda ge- pflegte Vorstellung vom unerschrocke- nen Kriegshelden. Sie schürten aber auch Ängste vor einer Degeneration der weißen Rasse. Umso mehr Vorbehalte hatten die britischen Behörden gegen die Rekrutierung nichtweißer Unterta- nen Seiner Majestät. Dass sich gleich bei Beginn des Krieges schwarze Jamaika- ner freiwillig an die Front melden woll- ten, brachte die Behörden in Verlegen- heit. Nicht nur betrachtete man Schwar- ze grundsätzlich als minderwertige Sol- daten, sondern man befürchtete auch, die kolonialen Hierarchien könnten ins Wanken geraten.

Erst 1915 startete die Rekrutierung jamaikanischer Freiwilliger für den Ein- satz in Europa und im Nahen Osten, und im November 1915 segelte das ers- te jamaikanische Kontingent nach Eng- land. Von den insgesamt 15 204 Solda- ten und 397 Offizieren des »British West Indies Regiments«, die während des Krieges in Ubersee dienten, stammten 9977 Soldaten und 303 Offiziere aus Ja- maika. Allerdings wurde diesen Ein- heiten der bewaffnete Fronteinsatz wei- testgehend verwehrt; sie hatten - teil- weise nicht minder gefährliche - Hilfs- aufgaben zu erfüllen wie etwa das Ausheben von Schützengräben in Frankreich und Belgien unter deut- schem Feuer oder das Auf- und Abla- den von Artilleriemunition. Auch hin- ter der Front kamen diese Truppen als Arbeitseinheiten zum Einsatz, so im Jahre 1918 im italienischen Taranto zum Be- und Entladen von Schiffen. Trotz ih- rer Wichtigkeit waren diese Arbeitsein- heiten in der militärischen Hierarchie zuunterst angesiedelt, weshalb die Bri- ten dazu in erster Linie Männer aus ko- lonialen und semikolonialen Gebieten einsetzten. Zum Zeitpunkt des Waffen- stillstands Ende 1918 befanden sich so neben den Westindern 96 000 Chinesen, 20 000 nichtweiße Südafrikaner sowie kleinere ägyptische und indische Kon- tingente zu diesem Zweck an der West- front.

Die europäische Wahrnehmung der jamaikanischen Soldaten war zwie- spältig. Einerseits betrachtete man sie als inferiore Soldaten, denen es an In- telligenz und Selbstdisziplin gebrach, andererseits bewunderte man sie aber auch als muskulöse Naturburschen, die noch nicht von der Zivilisation ver- weichlicht worden waren und auch über eine ungehemmte Sexualität ver- fügten. Letztere Perzeption machte aus ihnen das pure Gegenteil der vom

»shell shock« traumatisierten Soldaten aus dem Mutterland, ließ sie zwar als

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militärisch wertvoll, zugleich aber auch als äußerst bedrohlich erscheinen.

Während des gesamten Kriegsein- satzes hatten die Mitglieder des jamai- kanischen Kontingents immer wieder unter Diskriminierungen verschiedens- ter Art zu leiden. Insbesondere ihre me- dizinische Versorgung war, wie auch diejenige anderer kolonialer Einheiten, schlechter als diejenige der europäi- schen Soldaten. Dies führte etwa im Winter 1918/19 zu Protesten von in Südfrankreich stationierten Rekonva- leszenten, die so rasch als möglich in ih- re Heimat verschifft werden wollten.

Aber auch die Prügelstrafe, die offiziell im Jahre 1881 abgeschafft worden war, w u r d e von manchen Offizieren der westindischen Truppen weiterhin als angeblich adäquates Mittel zur Diszi- plinierung der »natives« praktiziert.

Die allgemeine Unzufriedenheit mit der anhaltenden Diskriminierung führ- te im Dezember 1918 zur Meuterei ei- ner in Taranto stationierten Einheit, die sich weigerte, die Latrinen italienischer Arbeiter zu reinigen. 50 Meuterer wur- den daraufhin inhaftiert. Im September 1919 kam es bei der Überfahrt des Schiffs »Orca« nach Westindien zu ei- ner erneuten Meuterei. Auslöser war die schlechte Behandlung von fünf sich an Bord befindlichen Gefangenen der Meuterei von Taranto. Bereits im Früh- jahr 1919 waren westafrikanische Ein- heiten auch an einer Meuterei in Ägyp- ten beteiligt gewesen.

Die Meutereien gegen Kriegsende wurden in ganz Britisch-Westindien zur Kenntnis genommen. Während die ko- lonialen Eliten darüber schockiert wa- ren, führte die harte Bestrafung der Meuterer bei den Unterschichten und insbesondere den Kriegsveteranen zu Verbitterung und Radikalisierung. Dies hatte auch politische Auswirkungen.

Unmittelbar nach dem Krieg gründe- ten Veteranen die kurzlebige »Carib- bean League« und begründeten damit

den anglophonen karibischen Nationa- lismus. Kurz darauf entstand auch ei- ne Veteranenvereinigung, die sich in den folgenden Jahren unermüdlich für die Interessen ihrer Mitglieder einsetz- te. Ein besonderes Anliegen war ihr die Zuteilung von Land an die Veteranen, worin sie ein seit der Abschaffung der Sklaverei wichtiges Symbol schwarzer Unabhängigkeit aufgriff. Neben dem Nationalismus gewann in der Folgezeit auch der von Markus Garvey militant vertretene Panafrikanismus an Bedeu- tung, der etwa zu einer Verehrung des äthiopischen Kaisers Haile Selassie führte. Nach der italienischen Invasion in Äthiopien im Jahre 1935 begehrten deshalb zahlreiche Jamaikaner, für Äthiopien kämpfen zu können.

Insgesamt bietet Smiths Buch einen guten Überblick über zahlreiche Facet- ten des jamaikanischen Kriegseinsatzes im Ersten Weltkrieg. Allerdings sind die Zusammenhänge zwischen den im Un- tertitel des Buches genannten Untersu- chungsgegenständen »race«, »masculin- ity« und »national consciousness« nicht immer einsichtig, zumal der Autor auch auf ein resümierendes Fazit verzichtet.

Bedauerlich ist auch, dass er lediglich die englische Forschung zur Kenntnis genommen und anderssprachige Beiträ- ge bestenfalls sekundär via englische Rezensionen rezipiert hat. Dies soll aber die Bedeutung des Buches nicht schmälern, das einen bisher viel zu we- nig beachteten Forschungsgegenstand endlich der ihm gebührenden Beach- tung zugeführt hat.

Christian Koller

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Hugh Ragsdale, The Soviets, the Munich Crisis, and the Coming of World War II, Cambridge:

Cambridge University Press 2004, XXII, 212 S., £ 40.00 [ISBN 0-521-83030-3]

Das Münchener Abkommen galt und gilt als eines der zentralen Ereignisse vor dem Zweiten Weltkrieg. Es zog ei- ne unüberschaubare Literaturflut nach sich, die zugrunde liegenden Quellen stammen meist aus west- und zentra- leuropäischen Archiven. Sie dokumen- tieren die fatale Fehleinschätzung, die sich westeuropäische Politiker zu- schulden kommen ließen.

Das Ubereinkommen dokumentier- te Hitlers Kriegswillen, den Ausschluss der Sowjetunion von den Gesprächen, die bedingungslose Aufrechterhaltung des »Appeasement«, und es gab den äußeren Anlass für die »Neue Ordnung Ostasiens«. Hitler war - was nur weni- ge wussten - über die Wahrung des Friedens sehr unglücklich. Chamber- lains Ausspruch »Peace for our time«

wurde zur Schlagzeile in Zeitungen und zur Kapitelüberschrift in Schulbüchern.

So stark die Friedenssehnsucht war, so umstritten blieb das britische Ap- peasement als Antwort auf den zum Krieg entschlossenen Diktator, auch in der westlichen Forschung. Welche kon- zeptionellen und strategischen Ein- schätzungen finden sich in osteuropäi- schen Archiven? Gibt es eine spezifi- sche Antwort auf die Bedrohung, die ebenso eine Quelle historischer Kon- troversen werden könnte wie die briti- sche Variante?

Ragsdale unterstellte in den Vor- überlegungen zu seinem Buch einen ge- nuin osteuropäischen Zugang und hoff- te, neue Dokumente zu finden - unge- achtet der Tatsache, dass West und Ost untrennbar verknüpft waren, »inextric- ably interlinked«, wie der frühere Ful- bright-Stipendiat und Fellow des Ame-

rican Council of Learned Societies for- muliert.

Ragsdale begegnet neuen »support- ing facts«, dazu gehört die Mobilisie- rung der Roten Armee vor dem Mün- chener Abkommen »on a rather massive scale« - eine interpretationsbedürftige Formulierung. Neu ist vielleicht in der dargestellten Ausführlichkeit der Um- stand, dass die Rote Armee vorab von Stalin die Aufgabe erhielt, die Tsche- choslowakei zu verteidigen. In Buka- rest stieß Ragsdale auf Dokumente, die das Einverständnis des rumänischen Generalstabs bezeugen, sowjetischen Truppen ein Transitrecht zu gewähren.

Ahnliches galt offensichtlich auch für eine Truppenverlegung in Bessarabien.

Mit diesen Vorüberlegungen unter- teilt Ragsdale das Buch in drei Ab- schnitte, die auf den ersten Blick nicht

>revolutionär< anmuten, auf den zwei- ten aber die stringente Durchführung seines Ansatzes belegen; hinter den Überschriften »Background of the Mu- nich Crisis«, »Foreground: Climax of the Crisis« und der »Conclusion« ver- birgt sich primär eine detaillierte Un- tersuchung der sowjetisch-rumänischen Beziehungen. Dabei fällt im letzten Ka- pitel die Frage aus dem Rahmen, was die Rote Armee sinnvollerweise hätte tun können - »What the Red Army might feasibly have done«. Der Schluss findet kein Ende, es gibt ein »Denou- ment«, einen »Epilogue« und ein »As- sessment of Soviet Intentions«.

Welche neue Erkenntnis lässt sich dem Archivstudium in Osteuropa also abringen? Sie steht in diesem Fall ein wenig im Gegensatz zu den Verheißun- gen des Klappentexts, denn nach vie- len Seiten konstatiert Ragsdale nüch- tern: »In sum, for Russian reasons, the search for historical validity in Eastern Europe remains, as always, dicey and uncertain« (S. 185), also »gefährlich«

und »unsicher«. Die russische, d.h.

sowjetische Politik, so die Bilanz, sei be-

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Annotationen stimmt gewesen von der Drohung ei-

ner »Populär Front«. Unabhängig von Ragsdale wissen wir: Stalin fürchtete nichts so sehr wie eine Allianz zwischen den kapitalistisch-revisionistischen mit den kapitalistisch-nichtrevisionistischen Staaten gegen die UdSSR. Der Diktator dachte über ein neues außenpolitisches Koordinatensystem nach, um die »Ein- heitsfront« gegen die Sowjetunion auf- zubrechen. Die Wurzeln des deutsch- sowjetischen Nichtangriffpakts lagen in München. Am Ende gerät München al- lerdings aus dem Blickfeld, Spanien und China beherrschen die letzten Sei- ten. Ändert sich damit die bisherige Be- wertung der Ereignisse, die zum Mün- chener Abkommen führten und ihm folgten? Nach einer streckenweise sehr fesselnden und informativen Lektüre bleibt in diesem Punkt etwas Skepsis.

Weitere Forschung ist gefragt.

Michael Fröhlich

Wibke Bruhns, Meines Vaters Land. Geschichte einer deut- schen Familie, 4. Aufl., Mün- chen: Econ 2004, 386 S., EUR 22,00 [ISBN 3-430-11571-X]

Die Journalistin Wibke Bruhns hat ein sehr persönliches Buch geschrieben, in dem sie sich mit ihrem Vater auseinan- der setzt. Das militärgeschichtlich Re- levante daran ist, dass ihr Vater, Hans- Georg Klamroth (oder »HG«, wie sie ihn liebevoll nennt), als Angehöriger der Verschwörung gegen Hitler nach dem 20. Juli 1944 gehängt wurde.

Es ist ein sehr persönliches Buch in- sofern, als Bruhns der gesamte verblie- bene Nachlass ihres Vaters zur Verfü- gung gestanden hat. Das ist einerseits sehr viel, denn »HG« hat regelmäßig seiner Frau und seinen Kindern ge- schrieben, und die Geschichte der Fa- milie Klamroth lässt sich aus diesen Ma- terialien gut aufbereiten. Bruhns tut das

auch, stilsicher, ausführlich, ohne lang- weilig zu werden, mit einer faszinie- renden Eindringlichkeit der Sprache, und schonungslos: Auch die vielen Es- kapaden ihres Vaters, an denen die Ehe der Eltern zu scheitern drohte, lässt sie nicht aus.

Leider hat - wie in fast allen anderen vergleichbaren Fällen - die Überliefe- rung da Lücken, wo es um den Bereich der Verschwörung geht, also jene Fra- gen, die den Historiker am meisten in- teressieren. Die Gestapo hat ganze Ar- beit geleistet und alle Materialien aus dieser Epoche im Leben Klamroths be- schlagnahmt; in den Kriegswirren sind sie dann verloren gegangen. Wäre Hans-Georg Klamroth mehr als eine Randfigur der Militäropposition gewe- sen, wäre wohl auch der gesamte Nach- lass beschlagnahmt worden, und hätte die Familie unter Verfolgung, Enteig- nung und Sippenhaft noch mehr leiden müssen, als es ohnehin der Fall war.

Es ist ein sehr persönliches Buch aber auch insofern, als Wibke Bruhns sich mit den Ergebnissen ihres Suchens in einer sehr subjektiven Weise ausein- ander setzt. Sie referiert nicht nur, son- dern lässt den Leser an ihren Fragen an die Eltern teilhaben, Fragen, die sich heute nicht mehr beantworten lassen.

Warum ist Klamroth 1933 der Partei bei- getreten? Warum hat einer einerseits ei- nen halbjüdischen Syndikus beschäf- tigt, andererseits aber gegen die Ent- rechtung der Juden in seiner Heimat- stadt Halberstadt nicht protestiert? Hat er das Risiko bedacht, das seine Teil- nahme an der Verschwörung für die Fa- milie bedeutete? Dabei fragt Bruhns, wie gesagt, schonungslos, aber doch mit dem Willen, eine ihr fremde Welt und Zeit zu verstehen. Die Klamroths wa- ren eine großbürgerliche und tradi- tionsreiche Kaufmannsfamilie in Hal- berstadt und lebten in einem Milieu, das Bruhns und den meisten Heutigen fremd ist - ihres Vaters Land.

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Es ist ein faszinierendes Buch, das man ungern aus der Hand legt, bevor man die letzte Seite gelesen hat. Für den Historiker liegt der Wert darin, ein Stück weit einen Blick in jenes heute un- tergegangene großbürgerlich-national- konservative »Land« der Väter werfen zu können, dessen letztes großes Auf- begehren der 20. Juli war.

Winfried Heinemann

Axel Kellmann, Generaloberst Al- fred Jodl. Ein Beitrag zur Dis- kussion über das Verhältnis zwi- schen Wehrmacht und NS-Regi- me, [Saarbrücken: Pirrot 2004], 110 S., EUR 10,00 [ISBN 3- 930714-95-7]

Am 7. Mai 2005 war der sechzigste Jah- restag der deutschen Kapitulation. Es war der Chef des Wehnnachtsführung- stabs im Oberkommando der Wehr- macht, Generaloberst Alfred Jodl, als Vertreter von Dönitz, der am 7. Mai 1945 in Reims die Kapitulationsurkun- de unterschrieben hatte.

Jodl gehört zu den umstrittensten Generalen der deutschen Militärge- schichte des 20. Jahrhunderts. Er wurde und wird als Hitlers treu ergebener Ma- nager in Sachen Krieg, als fleißiger Bürokrat und engster militärischer Be- rater des Diktators bis zu dessen Selbst- mord wahrgenommen. In Nürnberg vor Gericht gestellt, verneinte Jodl ent- schieden die Frage nach seiner persön- lichen Schuld an völkerrechtswidrigen Befehlen und am Holocaust - obwohl er im Hauptquartier der Wehrmacht an mehr als 5000 Lagebesprechungen teil- genommen hatte. Das Gericht sprach den Generaloberst in allen Anklage- punkten schuldig und verurteilte ihn zum Tod durch den Strang, an dem Jodl am 16. Oktober 1946 endete.

Wer war Jodl wirklich und wie groß war seine persönliche Verantwortung für Kriegführung und Kriegsverbre- chen?

Antworten darauf sucht Axel Kell- mann, Dozent am Bundesverwaltungs- gericht, mit der nun vorliegenden Studie.

Kellmann erhebt nicht den Anspruch, auf der Grundlage eines breiten Quel- lenfundus eine Neuinterpretation des umstrittenen Generals zu wagen oder Bodo Scheurigs bisher einzige umfas- sende Biographie über den »fleißigen Bürokraten« (Gehorsam und Verhäng- nis, Berlin, Frankfurt a.M. 1991) zu kor- rigieren.

Vielmehr möchte der Verfasser in ei- nem »biographischen Essay« auf drei Fragen näher eingehen: Erstens, wel- chen Einfluss Jodl auf operative Ent- scheidungen innerhalb der Spitzenglie- derung der Wehrmacht hatte; zweitens, wie groß sein Anteil am Zustandekom- men völkerrechtswidriger Befehle war, und schließlich , welche Stellung er in der militärischen Elite zwischen 1929 und 1945 einnahm.

Nach einer kurzen Einleitung, in welcher der Lebenslauf Jodls skizziert sowie ein Einblick in die gegensätzliche Bewertung Jodls in der Literatur zur Wehrmacht gegeben wird, stellt Kell- mann die Aufgaben des Generaloberst als militärischer Berater Hitlers und sein Wirken innerhalb der Wehrmachtfüh- rung dar. Er beschreibt Jodl dabei als ei- nen hochbegabten militärischen Spe- zialisten. Gut gelungen ist der Überblick über Entwicklung und Struktur der unübersichtlichen Spitzengliederung der Wehrmacht mit ihrem Neben- und Gegeneinander rivalisierender Füh- rungsstäbe.

Im zweiten Kapitel diskutiert Kell- mann Jodls Antikommunismus und Antisemitismus, das Verhältnis zwi- schen Wehrmacht und SS im Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund der Frage, in welchem Umfang der Chef des

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Wehrmachtführungsstabes in Kriegs- verbrechen verstrickt war. Jodls Anteil am Entstehen des Gerichtsbarkeitser- lasses vom 13. Mai 1941 («Barbarossa- befehl«) stuft Kellmann dabei als nicht eben gering ein, wohingegen er die Rol- le des Generalobersten beim Zustande- kommen des völkerrechtswidrigen Kommissarbefehls vom 6. Juni 1941 als nicht unerheblich bewertet.

Eines wird in diesem Kapitel deut- lich: Das früher in der Öffentlichkeit vorherrschende, von Jodl selbst ge- prägte Bild eines politisch naiven Offi- ziers, der, versunken in die Welt seiner militärischen Aufgaben, von völker- rechtswidrigen Befehlen keine Kennt- nis hatte, ist schon lange nicht mehr haltbar.

Die Kriegsverbrechen, an denen der Generaloberst beteiligt war, oder doch zumindest deren Zeuge er wurde, ver- anlassten ihn nicht, dagegen bei Hitler zu protestieren, und - zumindest nach außen - blieb seine Loyalität gegenüber dem Diktator unerschütterlich. Im drit- ten und zugleich letzten Kapitel der Stu- die sucht Kellmann nach den Ursachen für diese »Nibelungentreue« Jodls und versucht dabei dessen Position inner- halb der Militärelite des »Dritten Rei- ches« ebenso zu beschreiben wie das generelle Verhältnis Generalität - Dik- tator.

Kellmann übernimmt dabei das heute gängige Bild der Ambivalenz:

Jodl sei »widersprüchlich« sowohl in seinem Handeln und seiner Haltung zum Völkerrecht als auch in seinem Ver- hältnis zu Hitler gewesen. Mitarbeit, Gehorsam, Treue und Bewunderung existierten dicht neben Hass, Verwei- gerung und Zweifel gegenüber dem Diktator.

Gut herausgearbeitet ist die fatale Wirkung des soldatischen Credos von Jodls Generation und Stand: Jodl ver- körperte die Absurdität unbedingten militärischen Gehorsams.

Kellmann wird seinem Anspruch, ein biographisches Essay über Jodl vor- zulegen nicht voll gerecht, denn Jodl als Figur bleibt leider erstaunlich blaß.

Auch fehlt eine detaillierte, quellenkri- tische Auseinandersetzung mit seiner Biographie ebenso wie eine präzisere Einordnung seiner Person in das Gefü- ge der militärischen Elite des »Dritten Reiches«: inwiefern ist Jodl exempla- risch? Inwiefern ist er repräsentativ? Mit wem könnte man ihn vergleichen (hier kommt einem Keitel sogleich in den Sinn). Inwiefern trägt seine Biographie zu einem besseren Verständnis der deutschen Militärgeschichte bis 1945 (und ihrer Rezeption danach) bei? Das alles sind Fragen, die unbeantwortet bleiben. Auch fehlt ein kurzer For- schungsüberblick. Der Leser wird oft mit seinen Vermutungen allein gelas- sen und erfährt so gut wie gar nichts über den Hintergrund und die Prove- nienz zitierter Primärquellen (z.B. über die Abschiedbriefe Jodls an seine Frau).

Die Erwartung, dass auf der vor- handenen Materialbasis bisher offen ge- bliebene Fragen über Jodl beantwortet würden oder dass sich neue stellen würden, kommt somit gar nicht erst auf. Vielleicht findet sich auch in die- sem zurückhaltenden Umgang mit den Quellen eine Ursache dafür, dass man eine eigene pointierte Stellungnahme des Verfassers - jenseits der Apologe- tik - vermisst. Insgesamt bietet das Buch eine, stellenweise zwar unstruk- turierte, aber gut lesbare Darstellung über Generaloberst Alfred Jodls Auf- gaben als militärischer Berater Hitlers sowie über sein Wirken innerhalb der Wehrmachtführung und liefert somit auch einen »Beitrag zur Diskussion über das Verhältnis zwischen Wehr- macht und NS- Regime«.

Kirstin Schäfer

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Rudolf Günter Huber, Gerd von Rundstedt. Sein Leben und Wir- ken im Spannungsfeld gesell- schaftlicher Einflüsse und per- sönlicher Standortbestimmung, Frankfurt a.M. [u.a.]: Lang 2004, XIII, 465 S., EUR 74,50 [ISBN 3- 631-51933-8]

Bereits der Untertitel der Biographie vermittelt einen Eindruck von der Wi- dersprüchlichkeit, die für Gerd von Rundstedt zeitlebens charakteristisch war - eine Konsequenz der Zeitläufte, d.h. des Kaiserreichs, der Weimarer Re- publik und des »Dritten Reiches«, die sein Leben prägten.

Rundstedts Selbstverständnis war maßgeblich das Resultat seiner Erzie- hung im preußischen Kadettenkorps, der Ausbildungseinrichtung für junge preußische Adlige zu Offizieren. Denn von den aus der Kadettenausbildung hervorgegangenen Offizieren erwarte- ten der preußische König, seit 1871 auch deutscher Kaiser, und seine Entourage nicht nur »eine verstärkte Einflußnah- me auf die untergebenen Soldaten im Sinne einer Festigung der Monarchie«, sondern auch eine »Vereitelung revo- lutionärer Bestrebungen« (S. 12 f.). Letz- teres bedeutete nichts anderes, als dass die Armee auch bereit sein sollte »in- nere Feinde«, vor allem die Sozialde- mokratie, zu bekämpfen. »Damit das Heer so als Hüter der bestehenden ge- sellschaftlichen und staatlichen Ver- hältnisse wirken konnte, mussten die Soldaten zu willigem Gehorsam und zu militärischer Disziplin erzogen werden, welche Werte daher bei der Kadetten- ausbildung im Vordergrund standen«

(S. 13). Das aktive Offizierkorps, das sich als eine Kaste sui generis begriff, überwiegend adlig, dem Monarchen und der Monarchie treu ergeben, ver- stand sich als Garant dafür, dass sozial- demokratisches Gedankengut innerhalb

und, soweit wie möglich, auch außer- halb der Kaserne geächtet blieb.

Rundstedt verkörperte den gefor- derten Offiziertyp in geradezu idealty- pischer Weise, was seine Beurteilungen in seiner langen Karriere verdeutlichen.

So heißt es in einem »Qualifications-Be- richt zum 1. Januar 1896« über den da- mals 20-jährigen, dass er »ein sehr tüch- tiger, brauchbarer Offizier, voll Fleiß und Eifer« sei (S. 21). Und im »Qualifi- cations-Bericht zum 1. Dezember 1909«

steht: »Hauptmann v. Rundstedt ist [...]

von ernster Lebensauffassung und großer Arbeitskraft« (S. 34 f.). Es ver- wundert daher nicht, dass Rundstedt, der den Ersten Weltkrieg im General- stab erlebte, nach dem Ende der Mon- archie in die Reichswehr übernommen wurde und seine Karriere fortsetzen konnte. So wurde er 1928 Kommandeur der 2. Kavalleriedivision, 1932 Kom- mandeur der 3. Division Berlin und im Oktober 1932 als General der Infanterie Oberbefehlshaber des Gruppenkom- mandos 1 Berlin.

Insbesondere die Zeit nach der Machtübernahme durch Hitler 1933 lässt erkennen, dass Rundstedt kein po- litischer Kopf war; er war offenbar nur in der Lage, in militärischen Kategorien zu denken und zu handeln. Dement- sprechend gehörte er auch zu keiner Zeit in irgendeiner Form zum Wider- stand gegen Hitler. Wenn er sich an- geblich privat gelegentlich über die mi- litärischen Führungsqualitäten Hitlers herablassend äußerte, dann geschah dies nie aus Gründen, die aus einer po- litisch motivierten Widerstandsbewe- gung resultierten. Das war wohl nie- mandem bewusster als Hitler selbst, der in erheblichem Umfang Sympathien für Rundstedt hegte. Und das mit gutem Grund. Dies zeigt nicht zuletzt Rund- stedts Reaktion auf das im Herbst 1939 durch die Legationsräte Erich Kordt und Hasso v. Etzdorf sowie Oberst- leutnant Helmuth Groscurth erstellte

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Memorandum »Das drohende Unheil«.

Es wandte sich nicht nur gegen die An- griffsabsichten Hitlers gegen Frank- reich, sondern zudem gegen das »Herr- schaftssystem« des Nationalsozialismus insgesamt. Zum Ausdruck gebracht wird darin nämlich, »daß Hitlers An- griffsvorhaben letztendlich das Ende Deutschlands bedeute und dieser da- her gestürzt werden müsse« (S. 167).

Zwar sprach sich auch Rundstedt ge- gen die geplante Westoffensive aus, aber ebenso gegen einen Staatsstreich.

Zudem meinte er, dass seine Offiziere ihm dabei nicht geschlossen folgen wür- den. Einer solchen Haltung entspricht, dass Rundstedt in Russland Verbrechen gegen die Menschlichkeit kritiklos hin- nahm. Vor dem Internationalen Mi- litärgerichtshof in Nürnberg hingegen erklärte er, »sich an so etwas nicht er- innern zu können« (S. 233). Darin do- kumentiert sich eine Haltung, die dem Ehrenkodex des preußischen Offiziers, den Rundstedt zu verkörpern vorgab, diametral entgegenstand.

Als Rundstedts wohl gravierendstes Versagen ist sein Verhalten im Zusam- menhang mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zu bewerten, denn nicht nur missbilligte er »die Handlungs- weise der Verschwörer«, sondern er war

»sich [auch] nicht zu schade, einem Eh- renhof zu präsidieren, [der] ein schänd- liches Trauerspiel«, nämlich die Ver- schwörer aus dem Heer auszustoßen, inszenierte (S. 289). Wie geradezu wür- delos Rundstedt sich als Vorsitzender des Ehrenhofs erwies, geht daraus her- vor, dass er sich für den Angeklagten Erwin von Witzleben, den er seit Jahren kannte und der wie er 1940 zum Gene- ralfeldmarschall befördert worden war, offenbar nicht einsetzte. Zwar nannte er 1944 den Ehrenhof des Heeres »eine fürchterliche Geschichte«, doch war

»von diesen Vorbehalten [...] nichts mehr zu spüren, als Hitler noch am glei- chen Tage Rundstedt die Stelle des

Oberbefehlshabers West zum dritten- mal übertrug« (S. 297). Die Vasallen- treue dem obersten Kriegsherrn gegen- über findet auch darin ihren Ausdruck, dass Rundstedt »sich im Rahmen der Ardennenoffensive als willfähriger Hel- fer Hitlers erwies [...], auch wenn er ge- legentlich dabei anderer Meinung ge- wesen sein mochte« (S. 314 f.).

Die detaillierten und kritischen, in jeder Phase um Objektivität bemühten Ausführungen des Verfassers, werden beschlossen mit der Feststellung: »We- der mit [dem] Gefolgschaftsverhältnis [zu Hitler] noch damit, daß er >bequem und faul< gewesen sei, wie [General]

Blumentritt am 11. November 1957 bei einer Befragung in seiner Wohnung zu Marburg Dr. Heiber vom Institut für Zeitgeschichte erklärte, kann das Schlim- me, welches in Rundstedts jeweiligem Befehlsbereich geschehen ist, generell entschuldigt werden. Auf so billige Weise kann sich ein hoher Offizier seiner Verantwortung nicht entziehen«

(S. 384).

Konrad Fuchs

Kooperation und Verbrechen. For- men der »Kollaboration« im öst- lichen Europa 1939-1945. Hrsg.

von Christoph Dieckmann, Ba- bette Quinkert und Tatjana Töns- meyer, Göttingen: Wallstein 2003, 319 S. (= Beiträge zur Ge- schichte des Nationalsozialis- mus, 19), EUR 20,00 [ISBN 3- 89244-690-3]

Die generelle Tendenz der Forschung zum Nationalsozialismus in den letz- ten Jahren, sich zunehmend in regional begrenzten Studien den »kleineren«

Funktionären des NS-Systems zuzu- wenden, hat für die unter deutschem Einfluss stehenden Länder das Problem der Kollaboration gleichsam automa-

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tisch aktuell werden lassen. Besonderes Interesse kommt bei dieser Fragestel- lung den Ländern Ost- und Mitteleu- ropas zu, in denen beinahe jegliche Be- schäftigung mit diesem Thema durch die vierzigjährige kommunistische Herr- schaft staatlich tabuisiert war. Der Zu- sammenbruch des »Ostblocks« brachte mit dem Wegfall dieses Tabus und der Öffnung der Archive die Möglichkeit, sich dem Thema der einheimischen Zusammenarbeit mit den national- sozialistischen Besatzern auf wissen- schaftlicher Basis zu widmen. Der vor- liegende Sammelband fasst einige Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Untersuchungen zusammen.

Allerdings weisen bereits die He- rausgeber in ihren theoretischen Vorü- berlegungen darauf hin, dass der pau- schale Begriff »Kollaboration« nicht ge- eignet ist, die untersuchten Phänome- ne zu bezeichnen, da er grundsätzlich eine Loyalität gegenüber dem eigenen Land, der früheren Regierung o.ä. vo- raussetzt, die durch die Kollaborateure verletzt wird. Eine solche Loyalität sei jedoch nicht historisch gegeben, son- dern ein Konstrukt, das den Blick auf die handlungsleitenden Motive für die Zusammenarbeit verstelle und der Wirklichkeit insbesondere der osteuro- päischen Minderheitenregionen nicht gerecht werde. Die Ablehnung des Kol- laborationsbegriffes ist denn auch die eigentliche Gemeinsamkeit, die die in ihrem inhaltlichen Zuschnitt sehr hete- rogenen sieben Beiträge verbindet. Da- bei bringt die Spanne der Untersu- chungsgegenstände unterschiedliche Gründe für diese Ablehnung mit sich:

So verweisen Tatjana Tönsmeyer in ihrem Beitrag zur Slowakei und Mariana Haus- leitner in der Darstellung zu Rumänien darauf, dass dieser Begriff untrennbar mit einer Fremdherrschaft, also einer Besatzung verbunden sei. Davon könne jedoch in Rumänien gar nicht und in der Slowakei erst ab Herbst 1944 die Re-

de sein, während die Zusammenarbeit mit den Deutschen bereits seit 1940 re- spektive 1941 im Gange war.

Für Ungarn kann Tim Cole anhand zweier Fallstudien zur Zusammenar- beit zwischen Ungarn und Deutschen bei der Entrechtung und Enteignung ungarischer Juden nachweisen, dass diese Kooperation keinesfalls aus- schließlich die Umsetzung eines von den Besatzern gesteuerten Programms bedeutete, sondern dass vielfach die deutschen Interessen mit Initiativen un- garischer Regierungsfunktionäre auf lo- kaler und nationaler Ebene zusam- menfielen. Für Polen stellt Klaus-Peter Friedrich dar, dass das Arrangement, welches Befürworter einer Zusammen- arbeit mit den Deutschen eingingen, weniger von ideologischen Überlegun- gen denn vielmehr von einem Pragma- tismus geleitet war, der in erster Linie zur Linderung des Leids der polnischen Bevölkerung beitragen sollte. Erst die sich abzeichnende deutsche Niederla- ge habe dazu geführt, dass die Mehr- heit der Bevölkerung diese Form der Zusammenarbeit als Verrat polnischer Interessen ansah.

Auch Frank Golczewski möchte nur mit Einschränkungen von »Kollabora- tion« der ukrainischen Bevölkerung mit den Besatzern sprechen, da in den ras- sistischen Plänen der Deutschen kein Platz für eigenständige politische Kon- zepte der Ukrainer war und diese nur als Helotenvolk hätten existieren kön- nen. So kommt er zu dem interessanten Befund, zwar einerseits das allgemeine Verhältnis zwischen Okkupanten und einheimischer Bevölkerung als feind- lich zu bezeichnen, andererseits aber mannigfaltige Formen der Zusammen- arbeit zwischen beiden aufzuzeigen.

Dabei beschreibt er die einheimische Mitarbeit in deutschen Organen als Form der Anpassung, die einer Mi- schung aus Unkenntnis über die deut- schen Ziele und dem Wunsch nach ma-

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terieller Sicherstellung in Zeiten exis- tentieller Bedrohung entsprang. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Tanja Ρ enter, die in einer Lokalstudie die Kriegsgesellschaft im Donbass darstellt und die verschiedenen Formen und Stufen der Kooperation, von den ein- heimischen Polizeikräften über die lo- kalen Verwaltungen bis zu den Berg- bauspezialisten zeigt.

Die Gleichzeitigkeit antideutscher Einstellung und materieller Interessen führt auch Katrin Reichelt für Lettland als Argument dafür an, dass sich die Verwendung des Kollaborationsbegrif- fes verbietet, unter dem man die rein auf das Wohl der Besatzungsmacht ge- richtete Handlungen der Besetzten ver- steht. Sie zeigt am Beispiel der Enteig- nung der lettischen Juden, wie Letten nicht nur versuchten, diese zu ihrem fi- nanziellen Vorteil auszunutzen, son- dern auch, dass dieses Bestreben bis zum offenen Konkurrenzkampf mit den Deutschen führen konnte.

Gerade wegen ihrer unterschiedli- chen Untersuchungsansätze belegen die Beiträge deutlich die Bandbreite kolla- borationistischen Verhaltens, das von der Weiterarbeit in der schon vor der Besatzung ausgeübten Stellung (wie et- wa im Fall der Bergbauingenieure) über aktive Beteiligung an den nationalso- zialistischen Verbrechen in den Reihen der einheimischen Polizeitruppen bis zur zwischenstaatlichen Kooperation (Slowakei und Rumänien) reichte. Weit ist auch das Spektrum der Beweggrün- de für die Zusammenarbeit, vom reinen Überlebenskampf bis zur teilweisen Übereinstimmung bei den ideologi- schen Zielen.

So zeigt der vorliegende Sammel- band trotz des hohen Niveaus seiner Beiträge auch den immensen For- schungsbedarf, den es bis zu einer um- fassenden Neubewertung der »Kolla- boration« zu bewältigen gilt.

Alexander Brakel

Sowjetische Partisanen in Weißruß- land. Innenansichten aus dem Gebiet Baranoviä 1941-1944. Ei- ne Dokumentation. Hrsg. und eingel. von Bogdan Musial. Übers, der Dok. aus dem Russ. von Tat- jana Wanjat, München: Olden- bourg 2004, 271 S. (= Schriften- reihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 88), EUR 24,80 [ISBN 3-486-64588-9]

»Der Phantomkrieg« nannte Matthew Cooper sein 1979 erschienenes Buch über die sowjetische Partisanenbewe- gung (Matthew Cooper, The Phantom War: the German Struggle against So- viet Partisans 1941-1944, London 1979) und bezeichnet damit den Umstand, dass die Deutschen ihren im eigenen Hinterland operierenden Gegner nicht kannten. »Phantomkrieg« könnte man aber auch die Behandlung des Partisa- nenkrieges in der Historiographie der Nachkriegszeit nennen, denn auch den Historikern ist es bislang nicht gelun- gen, ein genaues Bild dieser Wider- standsbewegung zu zeichnen.

Dies ist in erster Linie darauf zu- rückzuführen, dass die entsprechenden sowjetischen Archive nur ausgewähl- ten, einheimischen Wissenschaftlern geöffnet waren und diese wiederum festen ideologischen Maßgaben unter- lagen, die es nicht erlaubten, auch kri- tische Aspekte des, in der Sowjetunion zum »allgemeinen Volkskampf« hoch- stilisierten Partisanenkrieges zu er- wähnen. So entwickelte sich die Erfor- schung dieses Gegenstandes in zwei Strömungen: Auf sowjetischer Seite ver- kam die wissenschaftliche Untersu- chung zur Hagiographie, während man im Westen gezwungen war, die Parti- sanenbewegung weitgehend aus deut- schen Akten zu rekonstruieren, dabei jedoch immer mit den ideologischen Färbungen dieser Quellengattung zu kämpfen hatte sowie mit dem Umstand,

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dass die Deutschen eben selbst kein ge- naues Bild der Partisanen besaßen.

Letztendlich entwickelte sich die Parti- sanenbewegung zu einer Art »Black- box«, in die man hineininterpretieren konnte, was der eigenen Lesart zupass kam. Während einige Historiker (wie Franz W. Seidler) die Partisanenbewe- gung als ursächlich für deutsche Gräuel beschrieben, sahen andere (wie Hannes Heer) in der Bekämpfung angeblicher Partisanen lediglich einen Deckmantel für die deutsche Vemichtungspolitik ge- gen die einheimische Zivilbevölkerung.

Eine Verifizierung dieser Meinungen auf Grundlage der inzwischen geöffne- ten postsowjetischen Archive erfolgt auch weiterhin nicht.

Dreizehn Jahre nach dem Zusam- menbruch der Sowjetunion hat nun der aus Polen stammende Historiker Bog- dan Musial genau diesen Versuch un- ternommen. Die vorliegende Edition von Dokumenten aus dem Nationalar- chiv der Republik Belarus zeigt das Le- ben der weißrussischen Partisanen in der oblast' Baranovici. Die Auswahl dieses geographischen Ausschnitts er- folgte begründet, denn zum einen war dieses Gebiet und die nördlich in ihm befindliche Nalibokaja Pusca eines der größten Zentren der Partisanenbewe- gung, zum anderen traten in dem eth- nisch sehr heterogenen Territorium nicht nur bewaffnete Vertreter des so- wjetischen, sondern auch des polni- schen Untergrunds auf, was die Ge- mengelage für den Historiker noch in- teressanter macht.

Nach einem ausführlichen Über- blick über den Forschungsstand folgen die insgesamt 74 Dokumente geordnet in fünf thematische Kapitel (I. Entste- hung und Entwicklung der Partisanen- bewegung, II. Kampf- und Sabotage- einsätze, Versorgungsoperationen, Pro- paganda, III. Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung, innere Konflikte, Dis- ziplin, IV. Jüdische Partisanen, V. Der

polnisch-sowjetische Partisanenkrieg), denen jeweils ein zusammenfassender Artikel über das entsprechende Phäno- men vorangestellt ist.

Die ersten drei Kapitel beschäftigen sich mit der Anfangs- und Entwick- lungsphase der Partisanenbewegung und zeigen, dass es sich bei dieser in der oblasf Baranoviä bis Mitte 1943 um keine zentral von oben gelenkte Orga- nisation handelte, sondern u m einzel- ne, meist unabhängig voneinander ent- standene und agierende Gruppen, die zudem lange Zeit zu schwach waren, um den Kampf gegen die Besatzer auf- zunehmen, und die sich in erster Linie um ihre eigene Versorgung kümmerten.

Insbesondere daraus resultierten zahl- reiche Konflikte mit der Bevölkerung, auf deren Kosten sich die Partisanen ernähren, bekleiden und bewaffnen mussten, da - im Unterschied zu sow- jetischen Behauptungen - die Versor- gung aus dem russischen Hinterland absolut unzureichend war. Somit wur- den die Partisanen rasch zu einer Belas- tung für die Bevölkerung, zumal sie die- se ihrerseits nicht vor dem Terror und den Abgabenforderungen der Deut- schen bewahren konnten.

Ein weiteres Problem stellte der ex- zessive Genuss von Alkohol unter vie- len Partisanen dar, der nicht nur ihre Kampfkraft minimierte, sondern auch zu zahlreichen Übergriffen auf die Zi- vilbevölkerung führte. Befehle der zen- tralen - im April 1943 eingerichteten - Führung der Partisanen der oblast' Ba- ranovici, die versuchte, dieses Übel zu bekämpfen, berichten von Raub, Ge- waltanwendung und Vergewaltigun- gen von Dorfbewohnern durch Parti- sanen. Trotz der zahlreichen und von oben immer wieder angemahnten Be- mühungen gelang es jedoch offensicht- lich nicht, diese Missstände, an denen häufig genug auch Kommandeure von Abteilungen und Brigaden beteiligt wa- ren, wirksam zu bekämpfen und somit

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ein einigermaßen erträgliches Zusam- menleben zwischen Partisanen und Zi- vilisten zu ermöglichen.

Ein weiteres Kapitel behandelt das schwierige und ambivalente Verhältnis zwischen sowjetischen und jüdischen Partisanen, das zwischen den Positio- nen des offenen Antisemitismus bis hin zur Gewaltanwendung einerseits und der aktiven Hilfeleistung für jüdische Ghettoflüchtlinge andererseits pendel- te. Ebenso werden die Schwierigkeiten thematisiert, die sich durch die Not- wendigkeit der Versorgung jüdischer Flüchtlinge und Partisanen sowie auf- grund der vorhandenen - beiderseiti- gen - Ressentiments jüdischer Holo- caustüberlebender und weißrussischer sowie polnischer Dorfbewohner erga- ben.

Das letzte Kapitel ist mit den be- waffneten Auseinandersetzungen zwi- schen der polnischen Armia Krajowa und den Sowjetpartisanen einem in Deutschland relativ unbekannten, in Polen und Belarus dagegen bereits aus- führlich bearbeiteten Feld gewidmet.

Viele der hier erstmals auf Deutsch pu- blizierten Dokumente runden dennoch das gezeichnete Bild ab.

Insgesamt ist Musial mit dem vor- liegenden Band, dessen einzigen Weh- mutstropfen die zahlreichen ungenau- en Übersetzungen und uneinheitlichen Schreibweisen bilden, eine überaus auf- schlussreiche Quellenedition gelungen, die unser Bild des sowjetischen Parti- sanenkrieges in entscheidenden Punk- ten erweitert und die Hoffnung weckt, dass weitere Wissenschaftler zu eige- nen Untersuchungen dieses bislang nur unzureichend erforschten Kapitels der Weltkriegsgeschichte angeregt werden.

Alexander Brakel

Hubert Speckner, In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenen- lager in der »Ostmark« 1939 bis 1945, Wien, München: Olden- bourg 2003, 352 S. (= Kriegsfol- gen-Forschung, 3), EUR 49,80 [ISBN 3-7029-0471-9 / 3-486- 56713-6]

Der Titel klingt viel versprechend:

Kriegsgefangenenlager in der »Ost- mark« - das lässt vermuten, hier wer- de der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Behandlung der Kriegsgefan- genen im heutigen Osterreich von der im »Restreich« unterschieden habe.

Doch genau das leistet die vorliegende Arbeit nicht, zumindest nicht in befrie- digendem Umfang.

Hubert Speckner hat seine Disser- tation im Wesentlichen dreigeteilt. Sie beginnt mit einer Einführung in das Kriegsgefangenenwesen der Wehr- macht. Den zweiten und größten Teil - etwa die Hälfte des Buches - nimmt die systematische Querschnittsdarstellung aller wichtigen Aspekte des Kriegsge- fangenenlebens, wie Bewachung, Ver- sorgung, Freizeitgestaltung, Flucht, Wi- derstand und Ende der Gefangenschaft, ein. Im dritten Abschnitt folgt dann die spezifische Geschichte der insgesamt 12 Lager in den Wehrkreisen XVII und XVIII. Speckners Darstellung ist dicht und detailreich; hier erweist es sich als vorteilhaft, dass gerade für diese bei- den Wehrkreise die Aktenüberlieferung besonders günstig ist.

Insgesamt entsteht so ein recht viel- schichtiges Bild, das allerdings ein kla- res Zentrum hat - die Lagerwelt; ande- re Aspekte, wie etwa der Arbeitseinsatz, der ja in aller Regel außerhalb der La- ger stattfand, aber auch die internatio- nale Kriegsgefangenenpolitik bleiben außen vor. Der Leser mag diese Ein- schränkungen bedauern, sie sind den- noch sachlich gerechtfertigt. Schließlich wurde die internationale Kriegsgefan-

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genenpolitik nicht in den Wehrkreisen entschieden, wie auch der Arbeitsein- satz eine eigene, in der Regel von der der Zwangsarbeiter nicht wesentlich unterschiedene Welt darstellte.

Der Anspruch einer umfassenden Darstellung wird allerdings mit »Ver- lusten« erkauft; nicht der Laie, aber der Fachmann, erkennt doch so manche Ungenauigkeit. So waren Kriegsgefan- genenlager, auch wenn sie den Wei- sungen des OKW unterstanden, keine Wehrmacht-, sondern Heereseinrich- tungen (S. 25). Entgegen der Auffassung von Hubert Speckner mussten sich Of- fiziere gemäß Art. 22 der Genfer Kriegs- gefangenenorganisation ihre Beklei- dung selbst beschaffen (S. 56) und die belgische Organisation zur Betreuung der Kriegsgefangenen war mit der fran- zösischen Mission Scapini nicht zu ver- gleichen (S. 79). So ärgerlich diese Feh- ler sind, sie sind im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass es bis heute keine Gesamtdarstellung der deutschen Kriegsgefangenenpolitik im Zweiten Weltkrieg gibt.

Letztlich zeichnet Hubert Speckner ein Bild, das sich zwar auf das heutige Österreich bezieht, im Wesentlichen aber auf die anderen Reichsgebiete übertragbar sein dürfte. Natürlich stellt er die Frage, ob es Unterschiede zwi- schen der Kriegsgefangenenbehand- lung in der »Ostmark« und den ande- ren Teilen des Reiches gegeben habe.

Generell bescheinigt er der Bevölkerung wie den Angehörigen der Kriegsgefan- genenverwaltung ein humanes Verhal- ten, leider fehlt ihm dafür jeder Beweis.

Um diese These zu belegen, hätte er ei- nen systematischen Vergleich, etwa hin- sichtlich der Todesraten, der Aus- führung oder Verweigerung kriegsvöl- kerrechtlicher Befehle oder der Bean- standungen seitens des Internationalen Roten Kreuzes vornehmen müssen.

Nichts davon ist der Fall. Hubert Speck- ner verweist dagegen darauf, dass et-

wa Österreicher aufgrund ihrer ande- ren Vergangenheit ein entspannteres Verhältnis zu Franzosen besessen hät- ten. So plausibel dieses Argument er- scheint, muss doch darauf hingewiesen werden, dass es andere Nationen gab, denen gegenüber die österreichischen Vorbehalte größer gewesen sein dürf- ten als die der Reichsdeutschen.

Insgesamt hat Hubert Speckner ei- ne facettenreiche, leider nicht immer exakte Studie zu einem Teil des deut- schen Kriegsgefangenenkosmos ge- schrieben, deren Ergebnisse sich cum grano salis auf die Gesamtorganisation übertragen lassen dürften.

Rüdiger Overmans

Helmut Blocksdorf, Das Komman- do der Kleinkampfverbände der Kriegsmarine. Die »Sturmwi- kinger«, Stuttgart: Motorbuch 2003,207 S., EUR 24,90 [ISBN 3- 613-02330-X]

Die Ausführungen des Verfassers sind vor dem folgenden Hintergrund zu se- hen: Im Kriegsjahr 1943 hatte sich der Stand der Rüstungstechnik bei der Ma- rine außerordentlich verschlechtert.

Nach hohen Versenkungsquoten im März kam es im Mai zum totalen Zu- sammenbruch des U-Bootkrieges. Der neue Oberbefehlshaber der Kriegsma- rine, Karl-Dönitz, der als Nachfolger von Erich Raeder 1943 den Schlacht- schiff·, Flugzeugträger- und Kreuzer- bau einstellen ließ, da er sich für eine erfolgreiche Seekriegsführung als weit- gehend aussichtslos erwiesen hatte, setzte auf das Wundermittel Technik.

Infolgedessen kam es zur Entwicklung einer Vielzahl von Projekten.

Das Kommando der Kleinkampf- verbände entstand angesichts der skiz- zierten Seekriegssituation quasi aus dem Stand heraus. Seine offizielle Auf-

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