Topologische Invarianz der Homologie
Simpliziale Approximation
15.1 Definition. Es seiKein Simplizialkomplex undv∈V(K). Wir nennen den Unterkomplex
stv:={σ: Es existiertτ ∈ Kmitv∈τ ⊃σ}
den abgeschlossenen Stern von v, den Unterkomplex lkv:=σ∈stv:v /∈σ
den Link von v und die Teilmenge stv:=|stv| \ |lkv| ⊂ |K|
den offenen Stern von v.
15.2 Lemma. Es seiK ein Simplizialkomplex und u0, . . . , ur ∈V(K). Dann gilt
r
\
k=0
stuk6= Ø ⇐⇒ {u0, . . . , ur} ∈ K.
15.3 Definition und Proposition. Es seien K,L Simplizialkomplexe und h:|K| → |L| eine stetige Abbildung.
Eine simpliziale Approximation vonhist eine Funktionf:V(K)→V(L), so dass
h[stv]⊂stf(v) für alle v∈V(S).
Eine solche Abbildung f ist automatisch simplizial. Mehr noch, ist g ei- ne weitere simpliziale Approximation von h, so sind f und g benachbart (contiguous), das heißt für alle σ∈ K ist f[σ]∪g[σ]∈ L.
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2 15. Topologische Invarianz der Homologie
Beweis. Es seienf,g simpliziale Approximationen vonh undσ ∈ K. Dann ist
\
v∈σ
stf(v)∩ \
v∈σ
stg(v)⊃ \
v∈σ
h[stv]∩ \
v∈σ
h[stv]⊃h
"
\
v∈σ
stv
# 6= Ø, alsof[σ]∪g[σ]∈ L. Dabei haben wir das vorhergehende Lemma verwendet.
15.4 Proposition. Ist K ein Simplizialkomplex, so ist idK eine simpliziale
Approximation von id|K|.
15.5 Proposition. SindK,L,MSimplizialkomplexe,h:|K| → |L|,k:|L| →
|M|stetige Abbildungen mit simplizialen Approximationen f:K → L und g:L → M, so ist g◦f simpliziale Approximation von k◦h.
Beweis. Sei v ∈ V(K), dann ist (k◦ h)[stv] = k[h[stv]] ⊂ k[stf(v)] ⊂
stg(f(v)) = st(g◦f)(v).
15.6 Proposition. Es seienf, g:K → Lzwei benachbarte simpliziale Ab- bildungen. Dann ist C(f˜ )'C(g)˜ und C(f)'C(g).
Beweis. Bevor wir die Kettenhomotopie definieren, führen wir ein tech- nisches Hilfsmittel ein. Wir definieren Dk als den freien R-Modul mit Basis {(u0, . . . , uk) : {u0, . . . , uk} ∈ L} und machen diese Moduln durch d(u0, . . . , uk) =Pi(−1)i(u0, . . . ,ubi, . . . , uk) zu einem Kettenkomplex. Man prüft nun nach, dass
γk:Dk→C˜k(L) (u0, . . . , uk)→
(hu0, . . . , uki, ui 6=uj füri6=j,
0, sonst
eine Kettenabbildung definiert. Dazu ist nur nachzuprüfen, dass sich für ui =uj,i < j,
γk−1(dhu0, . . . , uki) =
= (−1)iγk−1(u0, . . . ,ubi, . . . , uk) + (−1)jγk−1(u0, . . . ,cuj, . . . , uk) = 0 ergibt, da die beiden auftretendenk-Tupel bis auf Reihenfolge gleich sind, und die Permutation, die eines in das andere überführt, Komposition von j−i−1 Transpositionen ist (entsprechend den Einträgen zwischenui und uj) und daher Signum (−1)j−1−1 hat. Wir wählen nun eine totale Ordnung aufV(K) und definieren
Kk: ˜C(K)→Dk+1 hv0, . . . , vki 7→
k
X
i=0
(−1)i(f(v0), . . . , f(vi), g(vi), . . . , g(vk)),
v0< v1<· · ·< vk.
Eine Rechnung (Übung!) ergibt nun fürv0 <· · ·< vk Kk−1(dkhv0, . . . , vki) +dk+1(Kk(hv0, . . . , vki)) =
=−(f(v0), . . . , f(vk)) + (g(v0), . . . , g(vk)), also γKd+dγK = γ ◦(Kd+dK) = −C(f) + ˜˜ C(g), also ist γ ◦K eine Kettenhomotopie von ˜C(f) nach ˜C(g). DaK−1 = 0, ergibt dies ebenso eine
Kettenhomotopie vonC(f) nachC(g).
Unterteilungen
15.7 Definition (Baryzentrische Unterteilung). Es sei K ein abstrakter Simplizialkomplex. Wir definieren einen weiteren Simplizialkomplex
sdK:={C ⊂ K \ {Ø}:C endlich, für alle τ, σ∈C ist σ ⊂τ oder τ ⊂σ }, diebaryzentrische Unterteilung von K.
Es ist also V(sdS) = S \ {Ø}. Wir wollen die Ecken der baryzentri- schen Unterteilung mit den Baryzentern (Schwerpunkten) der Simplexe des urpsrünglichen Komplexes identifizieren.
15.8 Definition. Für einen SimplizialkomplexS undτ ={v0, . . . , vk} ∈ S,
|τ|=k+ 1>0, definieren wir dasBaryzentrum
bτ :=
k
X
j=0
1
n+ 1v∈ |S|
von τ.
15.9 Definition und Proposition. Es sei S ein Simplizialkomplex. Dann definiert
β:|sdS| → |S|
X
i
λiτi7→X
i
λibτi
einen Homöomorphismus.
Beweis. Die Abbildung ist so zu verstehen, dass die linke Seite einen Punkt in dem Simplex{τi} ∈sdS mit affinen Koordinaten (λi) bezeichnet. Es ist dannSiτi ein Simplex vonS und jedes derbτi ein Punkt in diesem Simplex.
Damit ist auf jedem Simplex von sdSeine stetige Abbildung definiert. Da das Weglassen eines Summandenλibτi mit λi = 0 die rechte Seite nicht ändert, passen diese Abbildungen zusammen und definieren eine stetige Abbildung β:|sdS| → |S|. Wir zeigen nun, dass diese bijektiv ist.
4 15. Topologische Invarianz der Homologie
Wir legen eine totale Ordnung auf V(S) fest. Dann hat jeder Punkt x∈ |sdS|eine eindeutige Darstellung
x=
r
X
i=0
λiσi
σi ={v0, . . . , vi},λr 6= 0 undvi < vi+1 fallsλi = 0. Für diesen ist dann β(x) =
r
X
i=0
λibσi =
r
X
i=0
λi
i
X
j=0
1 1 +ivj =
r
X
j=0 r
X
i=j
λi i+ 1vj =
r
X
j=0
µjvj
mit
µj :=
r
X
i=j
λi
i+ 1.
Dabei ist dannµr 6= 0,µi ≥µi+1 undµi=µi+1 ⇐⇒ λi= 0. Andererseits hat aber jeder Punkty∈ |S|eine eindeutige Darstellung
y=
r
X
i=0
µivi
mitµ0 ≥µ1 ≥ · · · ≥µr>0 undui < ui+1 falls µi =µi+1. Da sich aus den µi dieλi vermöge
λr= (r+ 1)µr, λj = (j+ 1)(µj−µj+1), 0≤j < r.
zurückgewinnen lassen, istβ eine Bijektion. Man beachte, dass sich aus dieser Rechnung auch ergibt, dass dann
r
X
i=0
λi =
r
X
i=0
λi i
X
j=0
1 1 +i=
r
X
j=0 r
X
i=j
λi
i+ 1 =
r
X
j=0
µj.
Um zu zeigen, dassβ ein Homöomorphismus ist, zeigen wir, dass für eine abgeschlossene MengeA⊂ |sdS|auchβ[A]⊂ |S|abgeschlossen ist. Nun ist der für einen Simplexτ aus S der vonβ[A] mit diesem Simplexβ[A]∩ |τ|= S
σβ[A∩ |σ|], wobeiσ die Simplizes der baryzentrischen Unterteilung von σ durchläuft. Dies ist eine endliche Vereinigung und jede der MengenA∩ |σ|
kompakt, also ist β[A]∩ |τ| als endliche Vereinigung kompakter Mengen kompakt und damit abgeschlossen. Also istβ[A] abgeschlossen.
15.10 Definition. Für total geordnetes V(K) definieren wir m:V(sdK)→V(K)
τ 7→minτ.
15.11 Proposition. Die Abbildung m ist eine simpliziale Approximation von β.
Beweis. Es sei τ ∈ V(sdS) und x ∈ stτ. Das heißt, x = Pki=0λiσi mit P
iλi = 1,λi >0 für alle i, σi∈V(sdS),σ0 ⊂ · · · ⊂σk, und es existiert ein j mitτ =σj. Dann ist
β(x) =
k
X
i=0
λibσi =
k
X
i=0
λi
X
v∈σi
1
#σi
v =
= X
v∈σk
X
i:v∈σi
λi
#σi
v∈stv für alle v∈σk,
insbesondereβ(x)∈st(m(τ)).
15.12 Notation. Ist {u0, . . . , uk}eink-Simplex in K und{v, u0, . . . , uk} ∈ K, so setzen wir
v∗ hu0, . . . , uki:=
(hv, u0, . . . , uki, v6=ui f.a. i,
0, sonst
und setzen dies für c∈C˜k(K) linear zuv∗c fort, sofern alle Summanden definiert sind.
Wie schon früher bemerken wir:
15.13 Lemma. Mit dieser Notation gilt d(v∗c) =c−v∗dc.
15.14 Definition und Proposition. Es sei K ein abstrakter Simplizial- komplex. Durch s−1hi=hiund
sk: ˜Ck(S)→C˜k(sdS), τ 7→bτ∗sk−1(dkτ), wird eine Kettenabbildungs: ˜C(K)→C(sd˜ K) definiert.
Beweis.
In dieser Situation stellen wir nun fest:
15.15 Proposition. Es ist C(m)˜ ◦s= idC(K)˜ .
Beweis.
15.16 Proposition. Es ist s◦C(m)˜ 'idC(sd˜ K) und s◦C(m)'idC(sdK).
Beweis.
Der simpliziale Approximationssatz
15.17 Satz. Es seienK,L Simplizialkomplexe,K endlich, undh:|K| → |L|
eine stetige Abbildung. Dann existieren ein k ≥ 0 und eine simpliziale Approximation f: sdkK → L von h◦βk.
6 15. Topologische Invarianz der Homologie
Funktorialität bezüglich stetiger Abbildungen
15.18 Definition. Es seienK,LSimplizialkomplexe,Kendlich, undh:|K| →
|L|eine stetige Abbildung. Dann definieren wir H(h) : H(K)→H(L) durch
H(h) :=H(f)◦H(sk),
wobeif: sdkK → L eine simpliziale Approximation vonh◦βk ist.
15.19 Satz. H(h) ist wohldefiniert, H(id) = id, H(k◦h) =H(k)◦H(h).
Auch für nicht endliches K.
15.20 Korollar. Isth:K → Lein Homöomorphismus, so istH(h) :H(K)−→∼= H(L) ein Isomorphismus.
Eine erste Anwendung
15.21 Proposition. Sn−1 ist kein Retrakt vonDn.
Beweis. Wir gehen wie bei Proposition 4.1, dem Fall n= 2, vor, nur dass wir Homologie an Stelle der Fundamentalgruppe benutzen.
Wir ersetzen das Paar (Dn,Sn−1) durch das homöomorphe Paar (|∆n|,|d∆n|), das heißt, wir benutzen diese Triangulierung desn-Balls. Seii:|d∆n| → |∆n| die Inklusionsabbildung, und r: |∆n| → |d∆n| eine Retraktionsabbildung, alsor◦i= id. Das heißt, dass das Diagramm von Räumen
|d∆n| i //
id|d∆n| ##
|∆n|
r
|d∆n|
kommutiert. Mit Satz 15.19 erhalten wir daraus fürk∈Zdas kommutative Diagramm
H˜k(d∆n) H˜k(i) //
idHk˜ (d∆m) ((
H˜k(∆n)
H˜k(r)
˜
Hk(d∆n).
Da ˜Hk(Dn) = 0, ist die Komposition ˜Hk(r)◦H˜k(i) = idH˜
k(d∆n) trivial. Für k=n−1 ergibt sich ein Widerspruch zu ˜Hn−1(d∆n)∼=R.
15.22 Satz (Brouwerscher Fixpunktsatz). Für n≥0 hat jede stetige Abbil- dungf:Dn→Dn einen Fixpunkt.
Beweis. Wie für Satz 4.2, den Fall n= 2.