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Rezension: Zoeke, Barbara (2017): Die Stunde der Spezialisten. Roman

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Academic year: 2022

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VHN 1 | 2018

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REZENSIONEN

Zoeke, Barbara (2017):

Die Stunde der Spezialisten.

Roman

Berlin: Die Andere Bibliothek.

294 S., € 42,–

400.000 kranke und behinderte Menschen wur- den ab 1934 gegen ihren Willen sterilisiert und 200.000 in Heil- und Pflegeeinrichtungen ermor- det. Dieses Verbrechen im Spezialbereich der

Psychiatrie unter der Herrschaft der National- sozialisten kam lange nicht zur Sprache. Erst später wurden einige wenige Biografien der misshandelten und ermordeten Personen re- cherchiert. Die meisten bleiben verschollen und unbekannt, namenlose Opfer. Kann Fiktion, z. B.

ein Roman, hier eine Möglichkeit bieten, die desolate Situation konkret wahrnehmbar zu machen?

In „Die Stunde der Spezialisten“ von Barbara Zoeke, Schriftstellerin und Psychologin in Ber- lin, wirkt alles wie historische Realität. Das Buch ist aber als Roman gekennzeichnet. Die „han- delnden Personen“ werden im Anhang genannt, einige sind fiktive Figuren, andere authentisch.

Was bedeutet das? Die literarische Darstellung erfasst durch die narrative Intensität den Sach- verhalt und beglaubigt ihn durch die Lektüre.

Ein dem Roman vorweggestelltes Motto lautet:

„Der Erinnerung Namen geben“ (Saul Fried- länder).

Die tragische Hauptrolle des Romans spielt Max Koenig, Althistoriker in Leipzig. Bei ihm wird 1940 Chorea Huntington diagnostiziert. Oberschwes- ter Rosemarie sagt ihm: „Sie hat der schwarze Gast erreicht, die unheilbare Krankheit, die mehr oder weniger still vom Körper Besitz nimmt. Hier hieß sie früher erblicher Veitstanz …“ (S. 25) Sein Vater, Notar in Berlin, bringt sich 1927 zusam- men mit seiner Frau um. Der Sohn will nichts davon wissen, bis er selbst in die Heilstätte Wit- tenau kommt. Sein akademischer Lehrer, Gustaf Clampe, emigriert und warnt Koenig: „Max, war- ten Sie nicht zu lange; sie werden das Unvorstell- bare tun.“ (S. 12) „Hitlers Spezialisten, sie spre- chen von geistig Toten, von Ballastexistenzen.“

(S. 31) Diese stehen nun vor seinem Bett, ver- ordnen eine „neue Behandlung“, Insulinschocks.

Koenigs „Aussprache folgte nicht mehr den Vor- gaben seines Hirns“ (S. 34). Er ist wehrlos. Er begreift, dass er sein Leben verliert. Auch sein

„silberner Drehbleistift“ springt ihm immer wie- der aus der Hand. Die Briefe an seine Frau schreibt ein Mitpatient, der Studienrat Carl Hohein, dem die Diagnose Schizophrenie gestellt wurde.

Koenig rät seiner Frau, zusammen mit ihrer Toch- ter nach Rom zu den Schwiegereltern auszuwan- dern. Koenig wird in einem grauen Bus nach Bern- burg an der Saale verlegt.

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Koenigs Antipode heißt Dr. Friedel Lerbe. Er trägt unter dem weißen Arztkittel die schwarze SS- Uniform. Er organisiert „still und reibungslos“ als Chefarzt den „schmerzlosen, sanften Tod für die unheilbar Kranken“ in Bernburg. (S. 155 / S. 164) Dazu erarbeitet er eine „Liste von passenden Grunderkrankungen“ und „möglichen Todesursa- chen“ (S. 195). Seine Freundin Anja verlässt ihn, nachdem sie von den Aktivitäten erfährt. „Also ist es wahr, was man gelegentlich hört. Dass ihr sie alle umbringt. Dass ihr hohe Ideale mit höchs- ter Gemeinheit verbindet.“ (S. 236) 1948 erhängt sich Dr. Friedel Lerbe im Gefängnis.

Christian Döring, der Herausgeber der „Anderen Bibliothek“, bemerkt, dass man so etwas Aus- wegloses „eigentlich nicht veröffentlichen möch- te“, allerdings hätte es dann den „Zivilisations- bruch von 1933 bis 1945“ nicht geben dürfen. Die Publikation von Barbara Zoekes Roman verdeut- licht die Vorteile der literarischen Imagination.

Erzählt werden denkbare Lebensgeschichten an- hand der lange verschwiegenen, nun veranschau- lichten Fakten.

Dr. phil. Christian Mürner D-22529 Hamburg

DOI 10.2378/vhn2018.art09d

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