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Archiv "Glücksspiel an Automaten: Suchtmittel oder Freizeitspaß?" (12.11.1987)

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Verführung zum Spiel: der Flipper, Doch er zählt eher zu den harmlosen Vergnügen, ver- glichen mit den Automatenspielen, bei denen es um Geld geht Foto: Bohnert-Neusch

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Suchtmittel

oder Freizeitspaß?

Ein Streit um das Glücksspiel ist entbrannt. Ein Streit, bei dem es nicht nur um verschiedene Therapiemodelle für exzessive Spieler geht, sondern auch - wie könnte es bei Glücksspiel anders sein - um viel Geld. Für die Spieler steht ihre finanzielle und soziale Existenz auf dem Spiel. Die Branche der Spielhallenbesitzer und .Automatenher- steller fürchtet eine weitere Verschlechterung ihres Images. Der Be- griff, um den sich der ganze Streit dreht, heißt: Glücksspielsucht.

D

as Phänomen pathologi- sches Glücksspiel ist seit langem bekannt Man denke nur an Dostojew- skis berühmten Roman „Der Spie- ler". Früher waren hauptsächlich Roulettespieler betroffen. Als Re- aktion auf diese Gefahr wurden das Glücksspiel und die Spielbanken un- ter staatliche Kontrolle gestellt. Die restriktiven Maßnahmen haben sich bewährt: bis vor einigen Jahren gab es in den psychiatrischen Kliniken in der Bundesrepublik kaum patholo- gische Glücksspieler. In den USA und Großbritannien dagegen ist das Glücksspiel schon längere Zeit ein Problem. Pathologisches Glücks- spiel wurde in den USA daher auch

offiziell als psychische Krankheit an- erkannt Die diagnostischen Krite- rien sind an stoffgebundene Stücke angelehnt.

Seit Ende der 70er Jahre — seit Spielhallen mit Geldspielautomaten in den Großstädten die Einzelhan- delsgeschäfte verdrängen und es schon in fast jedem Dorf mindestens eine Spielhölle gibt — wird auch in der Bundesrepublik die Gefahr pa- thologischen Spielens erkannt Rund 17 000 moderne Geldspielge- räte sind in der Bundesrepublik auf- gestellt.

Mit der Verbreitung der Geld- spielautomaten hat sich auch die Zahl der „Spielsüchtigen" erhöht:

Beratungsstellen melden großen Zu-

wachs bei Anfragen über Spielsucht.

54 Selbsthilfegruppen der Anony- men Spieler, die nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker organi- siert sind, haben sich seit 1982 ge- gründet. Inzwischen werden Spieler auch stationär in der Psychiatrie be- handelt.

Bis 200 DM Verlust in der Stunde...

Genaue Untersuchungen über die Zahl der betroffenen Spieler gibt es nicht. Eine von der Automatenin- dustrie finanzierte Studie von Ger- hard Bühringer vom Max-Planck-In- stitut für Psychiatrie ergab, daß 363 000 erwachsene Bundesbürger täglich an Geldspielgeräten spielen, psychisch belastet durch das Spielen (das Wort Sucht wird vermieden) seien davon nur 20 000 Spieler. An- dere Schätzungen nennen Zahlen von bis zu einer halben Millionen abhängigen Spielern. Grundlegende und anerkannte Untersuchungen über Art und Ausmaß pathologi- schen Spielens fehlen jedoch noch.

Die Entwicklung des Geldauto- matenspiels — es geht hauptsächlich um sogenannte „Drei-Groschen Daddel-Automaten" — ist dem tech- nischen Fortschritt zu verdanken, der aus den eher langweiligen und harmlosen Geldspielgeräten der sechziger Jahre raffinierte Apparate gemacht hat, die den Spieler durch Blinksignale, Musik und vor allem durch die Möglichkeit, das Spielrisi- ko zu wählen und „aktiv" am Spiel teilzunehmen, in ihren Bann ziehen.

Zwar wird die gesetzliche Vor- schrift eingehalten: Jedes Spiel muß mindestens 15 Sekunden dauern, der Einsatz beträgt höchstens 30 Pfennig, der Höchstgewinn ist auf drei DM beschränkt Auch die Ge- winnausschüttung von mindestens 60 Prozent der Einnahmen wird von der Physikalisch-Technischen Bun- desanstalt in Berlin überprüft.

Vor allem die „Risiko"-Taste bewirkt aber, daß die gesetzlichen Bestimmungen umgangen werden.

Es können Sonderspielserien von bis zu 100 Spielen ausgelöst werden, je- des zweite Spiel bedeutet einen Dt. Ärztebl. 84, Heft 46, 12. November 1987 (39) A-3111

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Hauptgewinn, die Gewinne werden addiert, bis sich entscheidet: alles gewonnen oder alles verloren. Die Geräte sind so programmiert, daß die Verlustphasen möglichst lang und die Gewinnphasen bis zu 700 Mark möglichst steil sind. Auf diese Weise kann der Spieler 150 bis 200 DM in der Stunde verlieren.

Die Sonderspielserien ziehen das Spiel in die Länge. Der Spieler sitzt stundenlang vor dem Automa- ten. Er wartet auf den Hauptge- winn, der ja irgendwann kommen muß. Er vergißt die Realität und kann nicht eher aufhören zu spielen, bis er sein ganzes Geld verspielt hat.

Zwar leugnet niemand, daß es Personen gibt, die beim Spielen mit sogenannten „Unterhaltungsauto- maten mit Gewinnmöglichkeit" er- hebliche persönliche und soziale Probleme entwickeln und sich durch das Spielen belastet fühlen. Auch Fälle von Beschaffungskriminalität sind im Zusammenhang mit Auto- matenspiel hinreichend bekannt Doch alles, was über diesen Kon- sens, der durch Tatsachen belegt ist, hinausgeht, ist heftig umstritten.

Die Diskussion, ob diese Art des Spielens süchtig macht, wurde 1983 von dem Bremer Psychologen Gerhard Meyer mit seiner Disserta- tion „Geldspielautomaten mit Ge- winnmöglichkeit — Objekte patholo- gischen Glücksspiels?" ausgelöst, in der er darlegte: „Sonder- und Risi- kospielsysteme haben das Automa- tenspiel zu einem Glücksspiel avan- cieren lassen, das ebenso pathologi- sches Spielverhalten und -erleben evoziert wie klassische Glücksspiel- formen (Roulette)." Das Automa- tenspiel könne bei den Spielern Suchtcharakter annehmen.

„Ich sage nicht, daß die Auto- maten süchtig machen. Bei der Spielsucht spielen ebenso wie beim Alkoholismus andere Faktoren eine Rolle", erklärte Meyer gegenüber dem DA.

In einer anderen Untersuchung interviewte Meyer 100 Spieler aus zwölf Selbsthilfegruppen: 96 Prozent der Spieler spielten so lange, bis ihr letztes Geld verbraucht war. 53 Pro- zent verkauften ihr Eigentum, um weiter spielen zu können, 88 Prozent waren verschuldet. 95 Prozent der

untersuchten Spieler leiden bei Ab- stinenz an Reizbarkeit und innerer Unruhe und auch an körperlichen Entzugserscheinungen, wie Schweiß- ausbrüchen, Zittern und Schlafstö- rungen. Zur Zeit arbeitet Meyer für das Bundesgesundheitsministerium an einer Studie über Spieler in Selbsthilfegruppen.

Die gleichen Erfahrungen machte auch Bert Kellermann, Lei- tender Arzt der Suchtabteilung am Allgemeinen Krankenhaus Ochsen- zoll in Hamburg: Ein mäßiger Dro- genkonsum, also ein nichtexzessives Glücksspielen, sei wie bei jeder ma- nifesten Suchtkrankheit meistens nicht mehr möglich. Für Spielsüchti- ge, denen in einer Selbsthilfegruppe nicht geholfen werden könne, emp- fiehlt Kellermann eine gemeinsame stationäre Kurzzeit-Therapie mit Al- koholikern und Medikamentenab- hängigen. Die Wahl des Suchtmit- tels sei für die Therapie nicht von vorrangiger Bedeutung; vereinfacht:

„Sucht ist Sucht".

. . . oder besser nach Neurosenmodell?

Dieses „Suchtmodell" ist nicht überall anerkannt: Professor Iver Hand von der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Ham- burg plädiert für ein Neurosenmo- dell bei der Spielertherapie. Das Suchtmodell solle bei „Therapie- erstkontakten nicht a priori ange- wandt werden, damit flexibler pro- blemangemessene Interventionen abgeleitet werden können." Die Gruppe der Spieler sei nicht einheit- lich. Die Eigenverantwortlichkeit des Spielers müsse bei der Therapie betont werden, Probleme, die das Glücksspielverhalten ausgelöst ha- ben, müßten aufgedeckt werden.

An dem Konflikt, ob Glücks- spielen an Geldspielautomaten süch- tig macht oder nicht, hat sich das Münchener Peutinger-Institut für angewandte Wissenschaften beson- ders intensiv beteiligt. Das Peutin- ger-Institut betreibt im Auftrag der Automatenhersteller „Grundlagen- forschung über das Spielverhalten".

Fazit der bisherigen Untersuchun-

gen: „Der Automat macht nicht süchtig." Das Glücksspiel sei nicht an einen Suchtstoff (toxischer Na- tur) gebunden; wenn aber Süchte nicht an einen Stoff gebunden seien, könne „jede Richtung menschlichen Interesses süchtig ausarten". Exzes- sives Spielen komme nur unter be- stimmten Wechselwirkungen per- sönlicher Faktoren zustande. In er- ster Linie sei das Automatenspiel Unterhaltung. Mit dem Suchtmodell würden die Spieler unmündig ge- macht.

Diese — auch der Automatenin- dustrie genehme — Auffassung ist von dem Peutinger-Institut in vielen Publikationen verbreitet worden.

Aber die öffentliche Meinung schenkt dem „Suchtmodell" mehr Glauben. Als Reaktion auf zahlrei- che negative Presseberichte und auf Bürgerproteste will die Automaten- spielbranche jetzt Plakate mit dem Hinweis auf Therapiemöglichkeiten in den Spielhallen aufhängen.

Um die Ausbreitung von Spiel- hallen einzudämmen, wurde 1985 die Spielhallenordnung geändert. In neuen Betrieben dürfen nur zehn Geldspielgeräte auf jeweils pro Ge- rät 15 Quadratmeter Fläche aufge- stellt werden. Diese Regelung be- wirkte aber nur, daß zu der beste- henden Antragsflut neue hinzuka- men. So wurden zum Beispiel in Duisburg seit Änderung der Spiel- hallenverordnung zusätzlich zu dem Bestand von 194 Spielhallen inner- halb kürzester Zeit 101 neue An- tragsverfahren in Gang gesetzt. Die Branche expandiert weiter. Sie er- reicht inzwischen Jahresumsätze von sieben Milliarden DM.

Die Fraktionen der SPD und der GRÜNEN im Bundestag hatten im Juli einen Entschließungsantrag zur „Eindämmung der Spielhallen- flut" eingebracht. Bei der Debatte darüber am 17. September im Bun- destag hatten Abgeordnete aller Parteien Bedenken gegen die Aus- breitung der Spielhallen geäußert.

Nur, ob es zu weiteren staatlichen Restriktionen gegen die Spielbran- che kommt, ist zweifelhaft. Schließ- lich verdient der Bund gutes Geld am Glücksspiel: Auch die staat- lichen Spielbanken expandieren.

Silke Klus A-3112 (40) Dt. Ärztebl. 84, Heft 46, 12. November 1987

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