682 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 40|
3. Oktober 2014M E D I Z I N
DISKUSSION
Tumorwirkung von Nikotin nicht beachtet
In ihrer Übersichtsarbeit (1) haben die Autoren das Für und Wider der E-Zigarette aus präventivmedizinischer und pneumologischer Sicht dargestellt. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass E-Zigaretten ein gewisses Potenzial als Entwöhnungshilfe haben und die toxikologische Gefährdung um Größenordnungen unter der des Konsums von Tabakprodukten liegt. Es fehlt jedoch der Hinweis auf die tumorauslösende Wirkung von Nikotin (2). Seit circa zehn Jahren ist bekannt, dass fast alle Körperzellen des Men- schen Nikotinrezeptoren exprimieren (3). Nikotin sowie seine Metabolite Cotinin und N-Nitrosonornikotin aktivieren diese Rezeptoren und können dadurch Tumorpromotion und sogar Kar- zinogenität vermitteln. Nikotin kann an Epithelzellen mutagen wirken (2). In Laborversuchen mit Mäusen führte die Applikation von 2,1 mg Nikotin/kg (5 Tage pro Woche über einen Zeitraum von 24 Monaten) bei 78 % der exponierten Tiere zu Leiomyo- und Rhabdomyosarkomen (2). Abnormes Zellwachstum, Aktivierung der Telomerase, Apoptosehemmung sowie Begünstigung von Tumorzellaussiedlung wurden nachgewiesen (2), so dass heute verschiedene Tumore auch mit dem Konsum von Nikotin in Ver- bindung gebracht werden (nichtkleinzelliges und kleinzelliges Lungenkarzinom, Hals-Kopf-Tumore, Tumore der Gallenblase, der Harnblase und des Magens sowie Nieren-, Brustdrüsen- und Kolonkarzinom). Diese neuen Erkenntnisse müssen in die Bewer- tung des Einsatzes der E-Zigarette (sowie auch anderer Trägersyste- me zur systemischen Verabreichung von Nikotin) einfließen, zumal genetisch bedingte Unterschiede die beschriebene toxische Wirkung von Nikotin individuell zu beeinflussen scheinen (2).
DOI: 10.3238/arztebl.2014.0682a LITERATUR
1. Nowak D, Jörres RA, Rüther T: E-cigarettes—prevention, pulmonary health, and addiction. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 349–55.
2. Grando SA: Connections of nicotine to cancer. Nature Reviews Cancer 2014; 14:
419–429.
3. Wessler I, Kirkpatrick CJ: Acetylcholine beyond neurons: the non-neuronal choli- nergic system in humans. Br J Pharmacol 2008; 154: 1558–71.
Prof. Dr. med. Ignatz Wessler
Institut für Pathologie, Universitätsmedizin Mainz wessler@uni-mainz.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Schlusswort
Vielen Dank für diesen Kommentar, der dem Thema der E-Zi- garette einen weiteren Aspekt hinzufügt. Allerdings halten wir diesen in der Gesamtbewertung für letztlich nachgeordnet, und
zwar aus folgenden Gründen. Zunächst enthalten keineswegs alle konsumierten Liquids Nikotin. Ferner sollte das Risiko in Relation zu dem bekannter Kanzerogene des Zigarettenrauchs gesehen werden, vor allem, wenn ein Raucher konventioneller Zigaretten auf E-Zigaretten wechselt. Auch ist von Bedeutung, dass wir die Risiken aus kanzerogenen Kohlenwasserstoffen auf allen Ebenen sehr gut einschätzen können. Dies ist für Ni- kotin nicht der Fall. Die Daten leiten sich im Wesentlichen aus experimentellen Modellen ab, die Befunde werden aber nicht epidemiologisch gestützt, beispielsweise anhand eines erhöh- ten Krebsrisikos der Nikotinersatztherapie. Auch ist die Mo- dellierung der Nikotinwirkung beim Menschen insofern pro- blematisch, als Acetylcholinrezeptoren des nikotinergen Typs exprimiert werden, aber keine Nikotinrezeptoren im eigentli- chen Sinne; dies erfordert eine sorgfältige Wahl der Kontroll- experimente.
Darüber hinaus scheint gemäß den vorliegenden Daten der Applikationspfad (subkutan versus inhalativ) für das Auftreten abträglicher Effekte bedeutsam. Ferner haben eine Tumorin- duktion und eine Förderung der Progression unterschiedliche Konsequenzen für das Risiko, je nach Vorbelastung. Daher scheint uns die Datenlage keineswegs eindeutig, was die Ex- trapolation auf den Menschen angeht.
Wir sind zwar der Meinung, dass vor allem die langfristigen Risiken der E-Zigarette unzureichend bekannt sind. Gleich- wohl sollte das Gesamtrisiko der E-Zigarette – inklusive des nikotinbedingten – stets in Relation zu bekannten, potenten Kanzerogenen sowie entzündungsinduzierenden Schadstoffen im Zigarettenrauch betrachtet werden. Aus klinischer Perspek- tive sind die Beendigung oder zumindest eine Reduktion des Zigarettenkonsums stets ein Gewinn, zumal wir keine wirksa- meren Interventionen gegen Lungenkrebs und chronisch ob- struktive Lungenerkrankung (COPD) kennen als den Rauch- stopp.
DOI: 10.3238/arztebl.2014.0682b
LITERATUR
1. Nowak D, Jörres RA, Rüther T: E-cigarettes—prevention, pulmonary health, and addiction. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 349–55.
Für die Autoren
Prof. Dr. med. Dennis Nowak
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Klinikum der Universität München
dennis.nowak@med.uni-muenchen.de
Interessenkonflikt
Prof. Nowak wurde honoriert für Beratertätigkeit (Advisory Board) von der Firma Pfizer (Hersteller von Produkten zur Tabakentwöhnung). Er bekam Vortragshonorare von der Firma GSK. Prof. Nowak ist Mitglied der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Mitglied des Wissenschaftli- chen Beirats des Bundesinstituts für Risikobewertung.
PD Dr. Jörres hat für die Firmen GSK, AstraZeneca, Boehringer, Novartis und Mundipharma Vorträge (über Themen der Pneumologie, die nicht mit der Tabakentwöhnung in Verbindung stehen) gehalten und im Zuge dessen Reisekosten erstattet bekommen beziehungsweise Honorare erhalten. Er ist Mitglied des Führungskreises der Nationalen COPD-Kohorte COSYCONET.
Dr. Rüther wurde honoriert für Beratertätigkeiten und bekam Vortragshonorare von den Firmen Pfizer und Johnson & Johnson. Dr. Rüther ist Mitglied der S3-Leitlinienkommission Tabakabhängigkeit der AWMF. Er ist Studienleiter klinischer Auftragsstudien zur medika- mentösen Tabakentwöhnung des Pharmaunternehmens Pfizer und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS).
zu dem Beitrag
Die E-Zigarette – präventivmedizinische, pneumologische und suchtmedizinische Aspekte
von Prof. Dr. med. Dennis Nowak, PD Dr. rer. nat. Rudolf A. Jörres, Dr. med. Tobias Rüther in Heft 20/2014