Deutsches Ärzteblatt
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17. Oktober 2014 A 1807STUDIEN IM FOKUS
In Deutschland gibt es Daten der Gesellschaft für epidemiologische Krebsregister zufolge jährlich circa 50 000 Lungenkrebsneudiagnosen.
Auf das kleinzellige Bronchialkar- zinom (SCLC) entfallen circa 14 %.
Meist sind die Tumore bei Dia - gnose schon metastasiert. Üblich ist eine Chemotherapie mit Cisplatin plus Etoposid, teils gefolgt von ei- ner prophylaktischen Bestrahlung des Gehirns. Dennoch ist die Prog- nose im Allgemeinen schlecht. Bei den meisten Patienten ist nach Che- motherapie noch Tumor nachweis- bar. In einer randomisierten, kon- trollierten Phase-III-Studie ist un- tersucht worden, ob eine zusätzli- che Thoraxbestrahlung die Thera- pieergebnisse verbessern kann.
498 Patienten aus europäischen Zentren erhielten 6 Wochen nach Chemotherapie entweder nur eine prophylaktische Ganzhirnbe strah - lung oder zusätzlich eine Bestrah- lung des Thorax mit einer Gesamt- dosis von 30 Gray in 10 Teilbe- strahlungen binnen 2 Wochen. Die zusätzliche Radiotherapie hatte po- sitive Effekte auf das progressions- freie Überleben (PFS): Nach 6 Mo- naten waren 24 % in der Thoraxra- diotherapie-Gruppe progressions- frei (95-%-Konfidenzintervall [KI]:
19–30) versus 7 % im Kontrollarm (95-%-KI: 4–11; p = 0,001). Ein Jahr nach Thoraxbe strahlung waren noch 33 % im Radiotherapie-Arm und 28 % in der Kontrollgruppe am Leben, hier gab es keine statis- tisch signifikante Differenz (Hazard Ratio: 0,84; 95-%-KI: 0,69–1,01;
p = 0,066). Nach 2 Jahren aber war der Unterschied signifikant:
13 versus 3 % (plus versus ohne Thoraxbestrahlung; 95-%-KI: 2–8;
p = 0,004; number-needed-to-treat:
10,6). Klinisch gravierende Toxizi- täten der Thoraxbestrahlung wur- den nicht beobachtet. Fatigue oder Dyspnoe traten in beiden Gruppen etwa gleich häufig auf.
Fazit: Bei Patienten mit metasta- siertem, kleinzelligen Bronchial- karzinom erhöht die zusätzliche Thoraxbestrahlung nach Chemo- therapie das 2-Jahresüberleben sig- nifikant. „Die Studie zeigt erstmals, dass eine additive, lokale Strahlen- therapie auch bei primär metasta- siertem kleinzelligen Bronchialkar- zinomen das Überleben verlängern kann und nicht nur palliativ-symp- tomatisch wirkt“, erläutert Prof. Dr.
med. Jürgen Dunst, Direktor der Klinik für Strahlentherapie Kiel/
Lübeck am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Offen sei die Definition des Zielvolumens der Radiotherapie: Sollte das ganze Mediastinum bestrahlt werden wie in dieser Studie oder nur der Rest- befund nach Chemotherapie oder auch extrathorakale Metastasen?
Ebenfalls zu klären seien der Stel- lenwert neuer Bestrahlungstechni- ken und die Abstimmung von Che-
mo- und Strahlentherapie. „Hier gibt es erhebliches Optimierungs- potenzial – nicht nur beim kleinzel- ligen Lungenkarzinom, sondern auch bei anderen „oligometastasier- ten Tumoren“, kommentiert Dunst.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Slotman BJ, van Tinteren H, Praag OJ, et al.:
Use of thoracic radiotherapy for extensive stage small-cell lung cancer: a phase 3 rando mized controlled trial. Lancet 2014;
DOI: 10.1016/S0140–6736(14)61085–0 KLEINZELLIGES BRONCHIALKARZINOM
Längeres Überleben nach Thoraxbestrahlung
Bei Herzkatheter-Untersuchungen kann die Kontrastmittelgabe zum Anstieg des Serumkreatinin-Werts führen und Nierenversagen auslö- sen. Präventiv wird im Allgemeinen 0,9-%ige NaCl-Lösung infundiert, zu Dauer und Infusionsrate gibt es aber wenig Daten. In der POSEIDON*-Studie wurde pro- spektiv randomisiert der Effekt ei- ner an hämodynamischen Parame- tern orientierten Flüssigkeitsgabe untersucht. 396 erwachsene Patien- ten, bei denen eine Herzkatheterun- tersuchung vorgenommen wurde, nahmen teil. Ihre glomeruläre Fil- trationsrate betrug ≤ 60 mL/min und es gab Risikofaktoren wie Dia-
betes mellitus, Herzinsuffizienz, Hypertonie oder Alter > 75 Jahre.
Die Patienten erhielten eine Vo- lumenexpansion, die am linksven- trikulären enddiastolischen Druck (LVEDP) orientiert war (n = 196), oder eine Standard-Flüssigkeitszu- fuhr (n = 200). Allen wurde 0,9 % NaCl-Lösung infundiert und sie er- hielten für eine Stunde vor dem Eingriff eine Bolusinfusion mit 3 mL/kg. War der LVEDP in der Verumgruppe < 13 mm Hg, erhiel- ten sie NaCl in einer Dosierung von 5 mL/kg pro Stunde, bei einem Druck von 13 bis 18 mm Hg 3 mL/
kg pro Stunde und bei einem Druck
> 18 mm Hg 1,5 mg/L pro Stunde.
Die Kontrollgruppe wurde konstant mit 1,5 mL/kg pro Stunde hydriert.
KONTRASTMITTELINDUZIERTES NIERENVERSAGEN
Individualisierte Volumensubstitution wirkt präventiv
*POSEIDON: Prevention of Contrast Renal Injury with Different Hydration Strategies
GRAFIK
Gesamtüberleben von Patienten mit kleinzelligem Bronchial - karzinom mit und ohne Thoraxbestrahlung zusätzlich zur Chemoradiotherapie
Gesamtüberleben
Zeit (in Monaten)
−Thoraxbestrahlung
−keine Thoraxbestrahlung 1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0
0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30
modifiziert nach: Lancet 2014; DOI: 10.1016/S0140–6736(14)61085–0
M E D I Z I N R E P O R T
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17. Oktober 2014 Primärer Endpunkt war eine kon-trastmittelinduzierte Nierenschädi- gung (Zunahme des Serumkreati- nin-Werts um 25 % oder 0,5 mg/
dL). Sekundäre Endpunkte waren schwere unerwünschte Ereignisse wie eine Kombination aus Gesamt- sterblichkeit, Herzinfarkt oder Nie- renersatztherapie nach 30 Tagen und nach 6 Monaten.
Bisher werde zur Hydrierung meist 1 mL 0,9% NaCl/kg Körper- gewicht über 24 Stunden i.v. ge - geben, beginnend 2 bis 12 Stun- den vor Prozedur, entsprechend 2 064 mL unter Bedingungen der POSEIDON-Studie, erläuterte Prof.
Dr. med. Mark Dominik Alscher, Robert-Bosch-Krankenhaus, Stutt- gart. Tatsächlich erhielt die LVEDP- adjustierte Gruppe 1 727 mL, die Kontrollgruppe 812 mL.
Ein kontrastmittelinduzierte Nie- renschädigung wurde bei 6,7 % in der Verum- und 16,3 % in der Kon- trollgruppe beobachtet (relatives Risiko [RR]: 0,41; 95-%-Konfi- denzintervall [KI]: 0,22–0,79;
p = 0,005). Die number needed to treat, um ein renales Ereignis durch hämodynamisch gesteuerte Volu- mensubstitution zu verhindern, lag bei 11. Nach 6 Monaten war der kombinierte Endpunkt der schwe- ren Ereignisse in der Verumgruppe signifikant niedriger als im Kon- trollarm (RR: 0,32; 95-%-KI:
0,13–0,79, p = 0,008). „Die Ergeb- nisse zur Prävention eines akuten Nierenversagens waren eindeutig positiv“ kommentiert Alscher. Bei 3 Patienten pro Gruppe wurde die Flüssigkeitsgabe wegen Kurzat- migkeit frühzeitig abgebrochen.
Fazit: Die hämodynamisch gesteu- erte Volumenexpansion zur Prophy- laxe eines Kontrastmittel-induzier- ten Nierenschadens wegen Koro - narangiographie ist gut verträglich und senkt das Risiko für einen Nie- renschaden effektiver als die Stan- dardgabe. Alscher: „Die Ergebnisse sprechen für eine individualisierte Hydrierungsstrategie, orientiert an hämodynamischen Parametern, die ein akutes Nierenversagen durch Kontrastmittel besser verhindert und eine erhöhte Letalität und Mor- bidität durch Nierenversagen in den folgenden Monaten signifikant re- duziert.“ Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
Brar SS: Haemodynamic-guided fluid ad - ministration for the prevention of contrast- induced acute kidney injury: the POSEIDON randomised controlled trial. Lancet 2014;
383: 1814–23.
Die Lysetherapie mit dem rekombi- nanten gewebsspezifischen Plasmi- nogenaktivator (rt-PA) Alteplase ist beim akuten ischämischen Schlag- anfall etabliert. Ob die Lyse über das Zeitfenster von 4,5 Stunden hi- naus effektiv ist, ist in einer Meta- analyse der Daten von 6 756 Patien- ten in 9 randomisierten Studien ge- prüft worden. Als gutes Therapie - ergebnis wurde das Fehlen von
Behinderungen nach 3 bis 6 Mona- ten gewertet. Zur Beurteilung wur- den außerdem das Auftreten intra - kranieller Blutungen innerhalb von 7 Tagen sowie die 90-Tage-Mortali- tät herangezogen. Bei Lyse binnen 3 Stunden lag die Erfolgsrate bei 32,9 % versus 23,1 % in der Kon- trollgruppe (Odds Ratio [OR]: 1,75;
95-%-Konfidenzintervall [KI]:
1,35–2,27). Bei einem Zeitfenster von 3–4,5 Stunden betrug die Er- folgsrate der Lyse 35,3 % versus 30,1 % in der Kontrollgruppe (OR:
1,26; 95-%-KI: 1,05–1,51). Später als 4,5 Stunden nach Symptombe- ginn lag die Erfolgsrate bei 32,6 % versus 30,6 % (Lyse versus Kon- trolle; OR: 1,15; 95-%-KI:
0,95–1,40). Der therapeutische Nutzen war unabhängig von Patien- tenalter und Schwere des Insults.
Alteplase steigerte allerdings signifikant die Wahrscheinlichkeit für symptomatische und auch tödliche intrakranielle Blutungen (p < 0,0001), ebenfalls unabhängig vom Zeitfenster bei der Lyse, vom Alter des Patienten und der Schwe- re des Hirninfarktes. Es resultierte jedoch ein höheres absolutes Risiko
bei besonders schwerem Schlagan- fall. Ein exzessives Sterblichkeitsri- siko zeigte sich nicht, die 90-Tage- Mortalität betrug in der Alteplase- Gruppe 17,9 % und in der Kontroll- gruppe 16,5 % (HR: 1,11; 95-%-KI:
0,99–1,25; p = 0,07).
Fazit: „Die Studie bringt uns keine neuen Erkenntnisse. Sie bestätigt aber sehr gut den bereits in Einzel- studien eindeutig dokumentierten therapeutischen Nutzen der Lyse- therapie beim Schlaganfall“, kom- mentiert Prof. Dr. med. Martin Grond, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Kreisklinikum Sie- gen und erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neuro- logie, das Resultat der Metaanalyse.
Zwar zeige die aktuelle Auswertung keinen signifikanten Unterschied bei der Mortalität, wohl aber ein- deutige Vorteile hinsichtlich des Auftretens schwerer Behinderun- gen. Grond: „Genau dies ist ent- scheidend bei der Behandlung von Patienten mit einem akuten Schlag- anfall“. Christine Vetter Emberson J, et al.: Effect of treatment delay, age and stroke severity on the effects of intra- venous thrombolysis with alteplase for acute ischaemic stroke: a meta-analysis of indivi- dual patient data from randomized trials, Lancet 2014; DOI: 10.1016/S0140–6736(14) 60662–0
LYSETHERAPIE BEI ISCHÄMISCHEM INSULT
Alteplase nutzt unabhängig von Alter und Schwere
GRAFIK
Effekt des Zeitpunkts der Alteplase-Behandlung auf ein gutes Ergebnis der Therapie nach ischämischem Schlaganfall
− Odds Ratio (beste lineare Näherung) für ein gutes Ergebnis der Schlaganfallthera- pie: Lyse versus Kontrolle (Y-Achse) in Abhän- gigkeit von der Zeitverzögerung (X-Achse)
□ Zeitpunkt, zu dem der geschätzte Therapieeffekt die Odds Ratio von 1 erreicht
■ Zeitpunkt, unterer 95-%-KI- Wert erreicht 1
Odds Ratio
Zeit zwischen Symptom- und Therapiebeginn (Stunden) 2,8
2,6 2,4 2,2 2,0 1,8 1,6 1,4 1,2 1,0 0,8 0
1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 5,0 5,5 6,0 6,5
modifiziert nach: Lancet 2014; DOI: 10.1016/S0140–6736(14) 60662–0