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Archiv "Mißerfolgsquote stark erhöht — wo liegen die Ursachen?" (28.02.1980)

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Aufsätze · Notizen FORUM

Mißerfolgsquote stark erhöht wo liegen die Ursachen?

Bemerkungen zu den Ergebnissen der Herbstexamen 1979

Hans-Joachim Kraemer

Die vier schriftlichen medizinischen Prüfungen (Vorprüfung, Erster, Zweiter und Dritter Abschnitt der Ärztlichen Prüfung), die im August und im Oktober 1979 bundeseinheitlich abgehalten worden sind, haben ein zuvor nicht erreichtes Interesse in der Öffentlichkeit gefun- den. Die lebhaften Diskussionen, die nunmehr an den verschieden- sten Orten und auf den verschiedensten Ebenen der am gesundheits- politischen Geschehen Beteiligten geführt werden, erbrachten bisher sehr unterschiedliche Stellungnahmen. Hauptanlaß a!l dieser Debat- ten: Die Mißerfolgsergebnisse in den jetzt abgehaltenen schriftlichen Medizinerprüfungen sind im Vergleich zu den Examen der letzten fünf Jahre (seit 197 4 gibt es das schriftliche Prüfungsverfahren) sprunghaft angestiegen.

Die zum Teil recht temperamentvol- len Kommentare zu dem Anstieg der Mißerfolgsquoten bei den jüng- sten vier schriftlichen medizinischen Prüfungen reichen von lebhafter Zu- stimmung bis zu scharfer Kritik.

~ Diejenigen, die das vorliegende Ergebnis begrüßen, verweisen auf die anhaltende Zahl von ca. 11 000 Studienanfängern in der Medizin und die daraus nach ihrer Auffas- sung absehbare "Ärzteschwemme";

weiterhin wird argumentiert, die bis- herigen Leistungsanforderungen seien erkennbar zu niedrig gewesen, da von je hundert Studenten, die das Medizinstudium aufnahmen, nach den Ergebnissen bis einschließlich Frühjahr 1979 mehr als neunzig mit dem Erlangen der Approbation nach Ausschöpfen der beiden möglichen Wiederholungen im Mißerfolgsfall rechnen konnten. Nach Ansicht die- ser Stimmen war zu befürchten, daß am Ende sowohl die künftigen Pa- tienten wie auch das Ansehen der deutschen Medizin im in- und Aus- land bei solchen Entwicklungen Schaden nehmen könnten. Dabei

fehlte nicht der Hinweis auf andere akademische Berufe, deren Prüfun- gen einen wesentlich stärker ausge- prägten Selektionscharakter auf- wiesen.

~ Die Kritiker der nunmehr erhöh- ten Mißerfolgsquote weisen auf die ökonomisch nicht zu vertretende Tatsache hin, daß Medizinstuden- ten, deren Ausbildung besonders teuer ist, auch noch in relativ spätem Stadium am Erreichen des Berufs- zieles gehindert werden. Sie fürch- ten weiter, die schriftlichen Prüfun- gen könnten zu einem den Zugang zum Arztberuf manipulierenden In- strument werden, das je nach An- sicht der Standesvertreter oder der sonst Beteiligten einer Schraube gleich auf- oder zugedreht werden könnte. Auch wird die Befürchtung laut, mit hohen Kosten geschaffene Ausbildungsplätze, etwa in den aka- demischen Lehrkrankenhäusern, könnten künftig leerstehen. Schließ- lich wird sogar der Verdacht geäu- ßert, politische und gesellschaftli- che finstere Mächte versuchten, ei- ner als elitär gedachten "Mediziner-

kaste" die als angemessen einge- schätzten wirtschaftlichen Privile- gien zu erhalten.

Was sind die Fakten?

Von 1974, also seit Einführung der schriftlichen medizinischen Prüfun- gen, bis einschließlich Frühjahr 1979 haben nach Ausschöpfung aller Wiederholungsmöglichkeiten von den Medizinerpopulationen insge- samt

1,3 Prozent die Ärztliche Vorprü- fung,

0,13 Prozent den Ersten Klinischen Abschnitt,

0,04 Prozent den Zweiten Klinischen Abschnitt,

0,03 Prozent den Dritten Klinischen Abschnitt

endgültig nicht bestanden. Aller- dings schafften es beim ersten An- lauf bisher

12,8 Prozent in der Ärztlichen Vor- prüfung,

5,1 Prozent beim Ersten Abschnitt, 1,7 Prozent beim Zweiten Abschnitt, 0,7 Prozent beim Dritten Abschnitt nicht, woraus sich ergibt, daß die Wiederholer in der Vergangenheit mit viel Erfolg erneut zu den Examen antraten.

Vergleicht man nunmehr die Ergeb- nisse, die sich beim ersten Anlauf im Herbst 1979 ergeben haben, so wir- ken diese Zahlen zunächst im Ver- gleich exorbitant hoch. Die Mißer- folgsquoten betragen bundesweit bezogen für

die Ärztliche Vorprüfung 25,6 Pro- zent,

den Ersten Abschnitt 20,7 Prozent, den Zweiten Abschnitt 19,3 Prozent, den Dritten Abschnitt 17,8 Prozent (Für die Ergebnisse der Bundeslän- der siehe die Tabellen auf den Sei- ten 546 und 547.) i>

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Aufsätze • Notizen Medizinische Prüfungen

Selbstverständlich können alle die- jenigen Kandidaten (von insgesamt 17 261 Teilnehmern in den verschie- denen Prüfungsabschnitten bestan- den 3731 das Examen nicht), die oh- ne Erfolg teilnahmen, diese Prüfung zweimal wiederholen, so daß sich die endgültige Mißerfolgsquote noch stark reduzieren wird. Von be-

sonderem Interesse für die Öffent- lichkeit ist natürlich die Frage, wie es zu dem scharfen Anstieg der Mißer- folgsquoten bei den Herbstexamen 1979 kam. Hierzu können folgende Anmerkungen gemacht werden:

Am 24. Februar 1978 wurde die 2.

Verordnung zur Änderung der Ap-

probationsordnung für Ärzte, die von der Bundesregierung mit Zu- stimmung des Bundesrates erlassen worden war, herausgebracht (siehe Bundesgesetzblatt I S. 312). Dieser Text enthielt zunächst nur die Ände- rungen und erschien in zusammen- hängender Neufassung am 3. April 1979 im Bundesgesetzblatt (Teil I S.

425).

Die wesentlichen Neuerungen be- standen in der Erhöhung der Beste- hensgrenze von 50 auf 60 Prozent unter gleichzeitiger Abschaffung der früheren sogenannten 18-Prozent- Klausel. Diese Klausel hatte besagt, daß unabhängig von dem Erreichen der 50-Prozent-Grenze auch der jun- ge Student bestanden haben sollte, der mit seinem Ergebnis nicht mehr als 18 Prozent unter dem Bundes- durchschnitt aller Prüfungskandida- ten lag: eine Klausel, die im In- und Ausland deshalb zu massiver Kritik Anlaß bot, weil es bei einer theore- tisch denkbaren Absprache der Stu- denten zu Prüfungsleistungen mit Tendenz gegen Null bei gleichzeitig bestandenem Examen hätte kom- men können. Die 18-Prozent-Klausel war im Laufe der Jahre übrigens nie anwendbar geworden.

Mit der erwähnten Novelle und der Anhebung der Bestehensgrenze auf 60 Prozent wollte der Gesetzgeber erkennbar gewordenen Abwahlstra- tegien der Studenten (hierunter ist zu verstehen, daß ein Student das Examen mit 50 Prozent der richtig beantworteten Fragen auch dann bestehen konnte, wenn er bei der Vorbereitung „ungeliebte" Fächer zur Seite ließ, um mit „leichteren"

Fächern über die 50-Prozent-Hürde zu springen), aber auch dem Vor- wurf entgegentreten, daß mit einem Halbwissen von 50 Prozent junge Mediziner zu Ärzten würden; aus dem gleichen Grund wurden auch die Fragenzahlen erhöht:

gegenüber 300 Fragen in der Vor- prüfung jetzt 320,

gegenüber 240 Fragen im Ersten Ab- schnitt jetzt 290,

gegenüber 500 Fragen im Zweiten Abschnitt jetzt 580

Tabelle 1: Ergebnisse: Ärztliche Vorprüfung

Anzahl der Aufgaben: 320 August 1979

Land Teil- Nichtbestandene Mittelwert Anteil der

nehmer Examen der richtig im Mittel absolut % beantwor- richtig be- teten Auf- antworte- gaben ten Aufga-

ben in %

Baden-Württemberg 944 228 24,2 219,9 68,7

Bayern 978 260 26,6 217,4 67,9

Berlin 382 139 36,4 205,1 64,1

Hamburg 250 72 28,8 212,1 66,3

Hessen 590 191 32,4 210,6 65,8

Niedersachsen 525 125 23,8 219,0 68,4 Nordrhein-Westfalen 1 772 436 24,6 216,9 67,8 Rheinland-Pfalz 244 46 18,9 221,1 69,1

Saarland 190 21 11,1 234,5 73,3

Schleswig-Holstein 236 45 19,1 222,0 69,4 Gesamtprüfung 6 111 1 563 25,6 217,0 67,8

Tabelle 2: Ergebnisse: Erster Abschnitt der ärztlichen Prüfung

Anzahl der Aufgaben: 290 August 1979

Land Teil- Nichtbestandene Mittelwert Anteil der

nehmer Examen der richtig im Mittel absolut % beantwor- richtig be- teten Auf- antworte- gaben ten Aufga-

ben in %

Baden-Württemberg 772 153 19,8 197,2 68,0

Bayern 811 188 23,2 195,4 67,4

Berlin 252 67 26,6 191,3 66,0

Hamburg 165 39 23,6 193,7 66,8

Hessen 502 130 25,9 191,2 65,9

Niedersachsen 388 68 17,5 197,7 68,2

Nordrhein-Westfalen 1 398 245 17,5 197,6 68,1 Rheinland-Pfalz 185 23 12,4 202,1 69,7

Saarland 147 31 21,1 198,1 68,3

Schleswig-Holstein 153 43 28,1 187,7 64,7 Gesamtprüfung 4 773 987 20,7 195,9 67,6

546 Heft 9 vom 28. Februar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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VT

Medizinische Prüfungen

bei gleichzeitiger Reduzierung der Fragenzahl von 240 auf 180 Fragen im Dritten Abschnitt, weil sich hier noch eine mündliche Prüfung an- schließt.

Bei der Anhebung der Bestehens- grenze konnte sich die Bundesregie- rung u. a. auf zahlreiche und laut- starke Stimmen aus der deutschen Hochschullehrerschaft stützen.

Auch der Medizinische Fakultäten- tag hat die 60-Prozent-Regel disku- tiert. Das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfra- gen (IMPP) plädierte dagegen für ei- ne Beibehaltung der 50-Prozent- Klausel bei wesentlicher Steigerung der Fragenzahl, um die Fächer in den Prüfungen besser abdecken zu können. (Zum Vergleich: in den USA werden zum Beispiel beim Abprüfen des vorklinischen Abschnitts nicht 300 oder 320, sondern 1500 Prü- fungsfragen gestellt.) Auch die Möglichkeit, die 50-Prozent-Klausel auf die Stoffgebiete anzuwenden, wurde seitens des IMPP zur Diskus- sion gestellt, um den erwähnten Ab- wahlstrategien zu begegnen.

Prüfungsstoffkataloge geändert Aufgrund des Drängens der Studen- ten, aber auch um das letzte Prakti- sche Jahr von theoretischem Ballast zu befreien, damit sich die Studen- ten mehr auf das Einüben prakti- scher Fähigkeiten konzentrieren können, brachte die Novelle auch Änderungen hinsichtlich der Prü- fungsstoffkataloge. So wurden zum Beispiel die Spezielle Pathologie und Neuropathologie sowie die Spe- zielle Pharmakologie vom Dritten Abschnitt in den Zweiten übertragen und die Systematik der Speziellen Radiologie, Biomathematik, Allge- meinmedizin und Physikalische Me- dizin neu als Prüfungsstoff in den Zweiten Abschnitt aufgenommen.

Tabelle 3: Ergebnisse: Zweiter Abschnitt der ärztlichen Prüfung

Anzahl der Aufgaben: 580 August 1979

Land Teil- Nichtbestandene Mittelwert Anteil der

nehmer Examen der richtig im Mittel absolut % beantwor- richtig be- teten Auf- antworte- gaben ten Aufga-

ben in %

Baden-Württemberg 527 92 17,5 396,1 68,3

Bayern 551 115 20,9 391,5 67,5

Berlin 146 28 19,2 385,5 66,5

Hamburg 130 15 11,5 396,4 68,3

Hessen 260 71 27,3 380,7 65,6

Niedersachsen 202 45 22,3 386,6 66,7

Nordrhein-Westfalen 919 156 17,0 395,9 68,3 Rheinland-Pfalz 135 17 12,6 402,1 69,3

Saarland 93 22 23,7 384,5 66,3

Schleswig-Holstein 98 31 31,6 375,2 64,7 Gesamtprüfung 3 061 592 19,3 392,0 67,6

Tabelle 4: Ergebnisse: Schriftlicher Teil des dritten Abschnitts der ärztlichen Prüfung

Anzahl der Aufgaben: 180 Oktober 1979

Land Teil- Nichtbestandene Mittelwert Anteil der

nehmer Examen der richtig im Mittel absolut % beantwor- richtig be- teten Auf- antworte- gaben ten Aufga-

ben in %

Baden-Württemberg 567 104 18,3 125,2 69,5

Bayern 664 114 17,2 124,2 69,0

Berlin 197 51 25,9 117,9 65,5

Hamburg 172 28 16,3 122,6 68,1

Hessen 282 55 19,5 122,8 68,2

Niedersachsen 244 35 14,3 123,9 68,8

Nordrhein-Westfalen 781 116 14,9 125,2 69,5 Rheinland-Pfalz 173 42 24,3 120,3 66,8

Saarland 123 17 13,8 127,1 70,6

Schleswig-Holstein 113 27 23,9 118,4 65,8

Gesamtprüfung 3 316 589 17,8 123,7 68,7

Überblickt man die Neuregelungen insgesamt, so ist festzustellen, daß die genannte Novelle für die Studen- ten den Schwierigkeitsgrad für die schriftlichen Prüfungen zweifellos erhöhte. Andere Schwierigkeiten

traten hinzu. Sofort nach dem Erge- hen der Novelle im Februar 1978 mußte das IMPP die Gegenstandska- taloge 3 und 4 für den Zweiten und Dritten Klinischen Abschnitt ent- sprechend verändern. Jedem Ein- sichtigen wird es verständlich er-

scheinen, daß auch bei Aufbietung aller Kräfte diese Arbeiten nicht vor dem Frühjahr 1979 abgeschlossen werden konnten, um so mehr, als das IMPP die Änderungsentwürfe der Gegenstandskataloge allen be- teiligten Lehrstuhlinhabern mit der

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Medizinische Prüfungen

Bitte um Stellungnahme zusendet, damit ein möglichst breiter Konsens mit der Lehre und damit die Abstim- mung zwischen Universitätsausbil- dung und schriftlichen Examen er- reicht wird.

• Soweit von hier aus erkennbar ist, lag bei den Studenten mög- licherweise ein nicht unerhebliches Informationsdefizit vor, als nun im Sommer 1979 die Examen nach neu- em Recht abgehalten wurden. Auch Publikationen des IMPP (vergleiche zum Beispiel Klinikarzt mit Medizin- student vom September 1978) ver- mochten hieran wohl nichts zu än- dern. Obwohl die Novelle bereits im Februar 1978 auch die neuen Prü- fungsstoffkataloge als Anlagen brachte, versicherten zahlreiche Studenten, sie hätten erst durch das Erscheinen der neugefaßten Gegen- standskataloge des IMPP, die diese Prüfungsstoffkataloge nur prü- fungsgeeignet nachfahren, von der Geltung des neuen Rechts und da- mit von der Neugestaltung der Ex- amen Kenntnis erhalten. Dies führte auch zu gerichtlichen Auseinander- setzungen.

Prozesse

und Widerspruchsverfahren Kurz vor Abhaltung der Examen be- antragte eine Gruppe von 24 Stu- denten bei einem süddeutschen Ver- waltungsgericht, eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt zu erlas- sen, daß die Antragsteller noch nach altem Recht — also dem Recht, das vor dem Ergehen der Novelle vom Februar 1978 galt — zu prüfen seien.

Erwartungsgemäß lehnte das Ge- richt das Begehren der Studenten mit der Begründung ab, daß vom Ergehen der Änderungsnovelle der Approbationsordnung bis zur Abhal- tung des Examens siebzehneinhalb Monate Zeit gegeben war, sich auf das neue Prüfungsrecht einzustel- len. In der weiteren Begründung führt das Gericht aus, auch die neu hinzugekommenen Stoffgebiete sei- en in ihren Grundzügen bereits Ge- genstand der zuvor zu vermittelnden Ausbildung gewesen. Des weiteren

wurden die Antragsteller vom Ge- richt dahin beschieden, sie könnten sich auch nicht darauf berufen, daß die neuen Gegenstandskataloge erst so spät auf den Markt gelangten; ein Anspruch der Prüfungskandidaten auf Herausgabe der Gegenstandska- taloge bestehe weder nach der alten noch nach der neuen Approbations- ordnung. Eine Verpflichtung zur Herausgabe solcher Kataloge könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt rechtsstaatlicher Gründe hergeleitet werden.

Das Gericht fuhr fort: „Angesichts dessen durften die Antragsteller in Kenntnis der Änderung des Prü- fungsstoffkataloges im Februar 1978 nicht ohne weiteres davon ausge- hen, daß ihnen für ihre eigenen Prü- fungsvorbereitungen ein aktualisier- ter Gegenstandskatalog zur Verfü- gung stehen würde; zumindest durf- ten sie, nachdem der Gegenstands- katalog nicht in unmittelbarer zeitli- cher Nähe zur Veröffentlichung der ÄAppO 1978 erschienen war, ab Mit- te des Jahres 1978 nicht mehr auf das rechtzeitige Erscheinen des Gegenstandskataloges vertrauen"

(vrgl. Beschluß des Verwaltungsge- richts Sigmaringen vom 27. Juli 1979, AZ.: III 728/79).

Die gleichen Rechtsfragen wurden nach Abhaltung der Prüfung dem Verwaltungsgericht in Ansbach un- terbreitet. Der im Examen glücklose Student beantragte auch hier, die Prüfung vorläufig für bestanden zu erklären, weil die 60-Prozent-Klausel auf ihn noch nicht anwendbar gewe- sen sei. Dies ergebe sich daraus, daß der Gesetzgeber die Bestehensklau- sel ohne Übergangsvorschriften kurzfristig verändert habe bei gleichzeitiger Erweiterung des In- halts und des Umfanges der Prüfun- gen; dies sei jedoch unzumutbar. — Das Gericht weist den Antragsteller darauf hin, daß sich die Änderung der Approbationsordnung nicht aus der Bekanntmachung der Neufas- sung vom April 1979, sondern aus der Änderung der ÄAppO vom Fe- bruar 1978 ergebe (s. o.). Unter Be- rufung auf zahlreiche Entscheidun- gen des Bundesverfassungsgerich-

tes führt das Gericht aus, daß die Veränderung von Normen, die die gegenwärtige und noch nicht abge- schlossene Ausbildungsrechtsbe- ziehung betreffen, zwar grundsätz- lich zulässig seien, aber gemäß dem Rechtsstaatsprinzip, vor allem dem Gebot der Rechtssicherheit und dem des Vertrauensschutzes verfas- sungsrechtlichen Grenzen unterlä- gen. Zur Bestimmung dieser Gren- zen sei zwischen dem Vertrauen auf den Fortbestand des Rechtszustan- des nach der bisherigen Regelung und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allge- meinheit abzuwägen. Der verfas- sungsrechtliche Vertrauensschutz gehe dabei nicht so weit, den Staats- bürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren.

Bei der Abwägung des Interesses der Studenten mit dem Anliegen des Verordnungsgebers verdiene letzte- res den Vorzug. In der weiteren Be- gründung weist auch dieses Gericht darauf hin, daß die Studenten sich 17 Monate vor Abhaltung der hier in Rede stehenden Augustprüfung auf die neuen rechtlichen Regelungen einstellen konnten. In einem solchen Fall müsse dem Anliegen des Verordnungsgebers, Qualität und Schwerpunkte der medizinischen Ausbildung durch Neufassung der Prüfungsordnung zu verbessern und anders festzulegen, größere Be- deutung als dem Interesse der Stu- denten beigelegt werden, nach bis- herigem Prüfungsrecht examiniert zu werden.

In dem Zusammenhang erscheint auch für die künftige Entwicklung folgender Satz von besonderer Be- deutung: „Ohnedies kann ein An- spruch auf unveränderte Beibehal- tung einer Prüfungsordnung für ein gesamtes Studium nicht anerkannt werden. Jeder Studierende muß bei Beginn seiner mehrjährigen Ausbil- dung damit rechnen, daß die zu- nächst maßgeblichen Prüfungsbe- stimmungen im Laufe der Zeit eine Änderung erfahren." Selbstver- ständlich muß zwischen einer sol- chen Änderung und der Abhaltung einer dann erfolgenden Prüfung ein angemessener Zeitraum liegen. Ab-

548 Heft 9 vom 28. Februar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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schließend erklärt das Gericht im Hinblick auf die Anhebung der Be- stehensgrenze auf 60 Prozent: "Daß dabei die absolute Richtzahl von 60 Prozent festgelegt wurde, mag da- mit zusammenhängen, daß der Ver- ordnungsgebereinen qualitativ bes- seren Ausbildungsstandard der ge- prüften Medizinstudenten anstrebt; ein willkürliches, sachlich nicht ge- rechtfertigtes Vorgehen des Verord- nungsgebers ist jedenfalls nicht er- kennbar."

..,.. Die August-Examen 1979 haben bisher ca. 40 Prozesse im Zusam- menhang mit den vom IMPP gestell- ten Examensaufgaben und insge- samt etwa 120 Widerspruchsverfah- ren aus gleichem Anlaß bei den Lan- desprüfungsämtern mit sich ge- bracht. Wie schon in früheren Publi- kationen des IMPP sei auch an die- ser Stelle noch einmal darauf hinge- wiesen, daß die Chance, ein nicht bestandenes Examen durch einen Verwaltungsgerichtsprozeß in ein erfolgreiches umzuwandeln, außer- ordentlich gering ist.

..,.. Selbstverständlich soll durch ei- nen solchen Hinweis faktischer Art kein Student daran gehindert wer- den, von seinen verfassungsrecht- lich verbürgten Rechten Gebrauch zu machen. Um die Erfolgsaussich- ten konkret zu verdeutlichen: von 70 abgeschlossenen Verfahren ende- ten 32 durch Klagerücknahme kla- gender Studenten, 27 Prozesse wur- den von studentischer Seite verlo-

ren, acht Verfahren wurden für erle-

digt erklärt, zwei endeten durch Ver- gleich, und in einem Prozeß obsieg- te der Kläger.

Im Zusammenhang mit den signifi- kant angestiegenen Mißerfolgsquo- ten wurde dem IMPP auch der Vor- wurf gemacht, es habe die Examen jenseits der vom Gesetzgeber ange- hobenen Seslehensgrenze in sich sehr viel schwieriger ausgestaltet, so daß gleichsam hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades der Herbst- examen ein Manipulationseffekt durch das IMPP hervorgerufen wor- den sei. Um diesem Argument nach- zugehen, wurde im IMPP eine Mo- dellrechnung aufgemacht, wie bei

gleicher Aufgabengestaltung die Herbstergebnisse ausgesehen hät-

ten, hätte die 50-Prozent-Regel noch

gegriffen. ln diesem Fall hätten in der Vorprüfung statt 25,6 Prozent nur 9,9 Prozent (bisher 12,8 Pro- zent),

im Ersten Abschnitt statt 20,1 Pro- zent nur 4,6 Prozent (bisher 5,1 Pro- zent),

im Zweiten Abschnitt statt 19,1 Pro- zent nur 3,6 Prozent (bisher 1,7 Pro- zent),

im Dritten Abschnitt statt 17,8 Pro- zent nur 3,5 Prozent (bisher 0,7 Pro- zent)

der Kandidaten das Examen nicht bestanden. Hieraus folgt, daß der Schwierigkeitsgrad in der Ärztlichen Vorprüfung und beim Ersten Ab- schnitt eine leicht abfallende Ten- denz und nur im Zweiten und Dritten Abschnitt eine deutlich steigende Tendenz aufwies. Zwei Begründun- gen mögen diese Ergebnisse er- klären:

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Jeder erfahrene Prüfer weiß, daß bei der Vorbereitung von Examen nur schwerlich vorauszubestimmen ist, ob gestellte Prüfungsfragen ex- trem leicht oder sehr schwer von den Kandidaten bewältigt werden; zwischen diesen beiden gedachten Marken zeigt sich ein breites Band, in dessen Bereich sich nur sehr un- genau abschätzen läßt, welche Prü- fungsleistungen konkret von der je- weiligen Population erzielt wird.

f) Von Hochschullehrern und Stu- denten wurde immer wieder gegen- über dem IM PP die Forderung erho- ben, es möge seine Examen praxis- bezogen ausgestalten und vermehrt medizinisches Verständnis gegen- über dem Abfragen von reinen Fak- ten in den Vordergrund rücken. Gerade in den klinischen Abschnit- ten wurde diesen Forderungen Rechnung getragen, indem Bildma- terial und Verständnisfragen in ver- stärktem Umfang eingeführt wur- den. Dabei ist sich das IM PP bewußt,

Aufsatze ·Notizen Medizinische Prüfungen

daß es bei der Ausgestaltung der Examen auch auf die vom Gesetzge- ber zur Verfügung gestellte Ex- amenszeit zu achten hat. Die Klagen der Studenten nach Abhaltung des Dritten Klinischen Abschnitts, die Menge des Bildmaterials sei zu groß gewesen und habe daher zu viel Zeit im Rahmen der gesamten Aufgaben beansprucht, sind dem IMPP be- kannt und werden in die künftigen Erwägungen einbezogen. Da jedoch von vielen Seiten bestätigt wird, daß die schriftlichen Examen mit der Einführung von Bildmaterial ganz allgemein an Qualität gewonnen ha- ben, kann jetzt schon erklärt wer-

den, daß auch in Zukunft grundsätz-

lich solches Material Verwendung finden wird.

Arbeitskreis "Praktisches Jahr"

gegründet

Im übrigen ist von seilen des IMPP nicht abzuschätzen, ob das Anstei- gen der Mißerfolgsquote auch bei einer gedachten Seslehensgrenze von 50 Prozent nicht auch darauf zurückzuführen sein könnte, daß die Ausbildung in den verschiedenen akademischen Lehrkrankenhäusern in der Bundesrepublik doch recht unterschiedlich zu verlaufen scheint. Nach Aussage von potenten Experten ist bereits jetzt festzustel-

len, daß die Ausbildungsmodalitäten

von verschiedenen Lehrkranken- häusern, deren Ausbildung ein und derselben Universität zugeordnet ist, bereits erheblich voneinander abweichen. Vielleicht ist dies der Grund, warum die sogenannte "Klei- ne Kommission", die das Bundesmi- nisterium für Jugend, Familie und Gesundheit bei der erneut geplanten Novellierung der ÄAppO beraten hat, für einen Forschungsauftrag be- treffend die Curricula für das Prakti- sche Jahr plädiert hat; auch in ein- zelnen Bundesländern sind Ansätze erkennbar, zu harmonisierten Rege- lungen für das Praktische Jahr zu kommen.

Um eine bessere Abstimmung zwi- schen der Ausbildung im Prakti- schen Jahr, den Gegenstandskatalo- gen des IMPP und den schriftlichen

(6)

Medizinische Prüfungen

Prüfungen — vor allem im Zweiten und Dritten Klinischen Abschnitt — zu erreichen, hat das IMPP von sich aus mit dankenswerter Zustimmung der Länder einen sogenannten „Ar- beitskreis Praktisches Jahr" gegrün- det. Mit Hilfe dieses Arbeitskreises soll ein bundesweiter Überblick über das wirkliche Geschehen während der Ausbildung im Praktischen Jahr gewonnen werden, dem dann die Gegenstandskataloge und die Inhal- te der Examen im recht verstande- nen Sinne angepaßt werden sollen.

Es bedarf keines besonderen Hin- weises, daß ein solches Unterfangen nicht von heute auf morgen zu reali- sieren ist.

Mißerfolgsquoten bei ausländischen Studenten

Seitens des IMPP wurde schon in der Vergangenheit des öfteren auf die hohen Mißerfolgsquoten der ausländischen Studenten hingewie- sen. Wie erwartet, wurden diese von der 60-Prozent-Klausel besonders stark getroffen. So bestanden von den Ausländern nicht

61,2 Prozent die Ärztliche Vorprü- fung,

42,6 Prozent den Ersten Abschnitt, 45,7 Prozent den Zweiten Abschnitt, 36,7 Prozent den Dritten Abschnitt.

Schon bei den Beratungen zur ent- sprechenden Novellierung hat das IMPP zu bedenken gegeben, daß es ein außerordentlich bedauerlicher und unerwünschter Nebeneffekt bei Änderung der Bestehensgrenze wä- re, wenn auf diese Weise mehr und mehr Ausländer es vermieden, in der Bundesrepublik Medizin zu studie- ren.

Der Hinweis, deutschen Studenten würde im Ausland bei der Abhaltung von Examen etwa unter dem Ge- sichtspunkt zeitlicher Zugaben ebenfalls nicht entgegengekommen, vermag nicht zu überzeugen, weil sich die Bundesrepublik nach hiesi-

gern Erachten ganz allgemein ge- sprochen in einer anderen Situation befinden dürfte wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Frankreich. Von hier aus würde es daher lebhaft begrüßt, wenn die Verantwortlichen diesem Problem ihre besondere Aufmerksamkeit schenkten.

Die Behauptung ist sicher belegbar, daß in der Vergangenheit und Ge- genwart Ausländer, die in Deutsch- land Medizin studierten, in ihren Heimatländern gute „Botschafter"

des Landes waren, in dem sie ihre ärztliche Ausbildung erfuhren.

Von vielen Seiten wird gegenwärtig die Frage an das Institut für medizi- nische und pharmazeutische Prü- fungsfragen herangetragen, wie wohl die künftigen Examensergeb- nisse aussehen werden. Diese Frage kann nicht mit Zuverlässigkeit be- antwortet werden, weil diese Ergeb- nisse nicht zuletzt von menschli- chen Verhaltensweisen abhängen.

Bei aller Vorsicht und unter Einbe- ziehung der zeitlichen, organisatori- schen und finanziellen Vorausset- zungen in den medizinischen Fakul- täten/Fachbereichen sowie auch un- ter Berücksichtigung der Flexibilität des Lernverhaltens unserer Studen- ten vermutet das IMPP — selbstver- ständlich ohne irgendeine Gewähr dafür bieten zu können — eine rück- läufige Entwicklung der Mißerfolgs- quoten.

Dabei sei eingeräumt — und diese Möglichkeit deuten die bisherigen Zahlen unter den allerdings verän- derten Bedingungen an —, daß es Prüfungs-Wiederholer, ganz allge- mein gesprochen, in Zukunft schwe- rer haben werden als bisher. Eine exakte Aussage ist aber auch inso- weit nicht zulässig.

Abschließend bedarf es, nachdem entsprechende Vorwürfe und nicht begründete Verdächtigungen durch Studenten an Zahl zunehmen, noch einmal der unveränderten Feststel- lung, daß sich das Institut für medizi- nische und pharmazeutische Prü- fungsfragen nicht als ein Instrument

der Steuerung der Zahl der Berufs- anfänger sieht. Auch wenn wir auf- grund der im IMPP vorliegenden Un- terlagen davon ausgehen, daß sich die Zahl der jährlich bestandenen Examen bis

1980 auf etwa 6700, 1981 auf etwa 8500, 1982 auf etwa 8200, 1983 auf etwa 8800

belaufen werden, sieht es das IMPP nach wie vor nicht als seinen Auftrag an, den Zugang zum Arztberuf unter Gesichtspunkten zu lenken, die nicht mit der Ausbildung und dem für notwendig erachteten Standard eines jungen Arztes in Zusammen- hang stehen. Im Interesse der Pa- tienten und des Erhalts von Würde und Vertrauen, die der Arztberuf ge- nießt, muß nach wie vor eine ange- messene Leistung jedes einzelnen Kandidaten Voraussetzung für den Erhalt der Approbation sein.

Anschrift des Verfassers:

Dr. jur. Hans-Joachim Kraemer Direktor des Instituts

für medizinische und

pharmazeutische Prüfungsfragen Große Langgasse 8

6500 Mainz

ZITAT

Im Gestrüpp der Interessen

„Die gesundheitspolitischen Reformvorstellungen ver- sandeten im Gestrüpp ge- gensätzlicher Interessen von Ärzteverbänden, pharma- zeutisch- und medizintech- nischer Industrie, Standes- organisationen, Parteien, Gewerkschaften und Kran- kenkassen."

Aus einem Hektogramm des

„Gesundheitsladens Berlin e. V.", Seite 3.

550 Heft 9 vom 28. Februar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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