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Die Erforschung der Rinderleukose in den Jahren 1963 - 1984

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Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

1. Auflage 2012

© 2012 by Verlag: Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft Service GmbH, Gießen

Printed in Germany

ISBN 978-3-86345-0

Verlag: DVG Service GmbH Friedrichstraße 17

35392 Gießen 0641/24466 geschaeftsstelle@dvg.net

www.dvg.net 79-3

(5)

Die Erforschung der

Rinderleukose in den Jahren 1963 - 1984

Eine zeitgeschichtliche Studie

mit Berücksichtigung der Experimente an der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten

der Tiere in Tübingen

INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung des Grades eines Doktors

der Veterinärmedizin - Doctor medicinae veterinariae -

(Dr. med. vet.)

vorgelegt von Rouven Seeberger

Eberbach

Hannover 2012

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Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Otto Christian Straub

72076 Tübingen, Im Schönblick 71. Von 1961 bis 1995 Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen.

1. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Dr. habil. Johann Schäffer

2. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Volker Moennig

Tag der mündlichen Prüfung: 2. Mai 2012

(7)

Meinen Eltern

(8)
(9)

1 Einleitung ... 9

2 Ziel und Methodik der Arbeit ... 13

3 Die Enzootische Bovine Leukose (EBL) ... 15

3.1 Wirtsspektrum. ... 15

3.2 Geographische Verbreitung... 19

3.3 Kosten der Krankheit ... 23

4 Das Bovine Leukosevirus (BLV) als Agens der EBL ... 27

4.1 Forschungsgeschichte ... 27

4.2 Morphologie, Expression und Replikation des BLV ... 31

4.3 Das Genom des BLV ... 35

4.4 Übertragungsmedien ... 39

4.4.1 Übertragung durch Blut ... 39

4.4.2 Übertragung durch Kolostrum und Milch ... 40

4.4.3 Übertragung durch Sekrete und Exkrete ... 41

5 Manifestationen der Infektion ... 43

5.1 Infektionsentwicklung und genetische Disposition ... 43

5.2 Serokonversion ... 50

5.3 Persistierende Lymphozytose ... 53

5.4 Tumoröse Leukose ... 57

5.4.1 Entwicklung ... 57

5.4.2 Klinisches Bild ... 60

5.4.3 Differenzialdiagnose ... 66

5.4.4 Behandlungsversuche ... 70

6 Testverfahren zur Diagnose der EBL ... 75

6.1 Leukoseschlüssel ... 75

6.2 Zellkulturen ... 78

6.3 Prinzip serologischer Nachweisverfahren ... 78

6.4 Komplementfixation (CF) ... 79

6.5 Immunfluoreszenztest (IF) ... 80

6.6 Immunassayverfahren ... 80

6.7 Agargel-Immundiffusionstest (AGIDT) ... 82

6.8 Polymerase-Chain-Reaction (PCR) ... 85

(10)

7.3 Stressfaktoren ... 95

7.4 Alter ... 96

7.5 Herdgröße und Haltungspraktiken ... 101

7.6 Geschlecht und Haltungszweck ... 103

7.7 Rasse ... 105

7.8 Andere Infekte ... 108

7.9 Zusammenfassung und Folgerungen ... 110

8 BLV-Infektion verschiedener Spezies ... 112

8.1 Forschungsperiode vor der Entdeckung des BLV ... 112

8.1.1 Artifizielle Infektion von Rindern ... 113

8.1.2 Artifizielle Infektion anderer Spezies ... 114

8.2 Forschungsperiode nach der Entdeckung des BLV ... 117

8.2.1 Artifizielle Infektion von Rindern ... 117

8.2.2 Möglichkeit natürlicher Infektion nicht-boviner Spezies ... 122

8.2.3 In-vitro-Infektion von Zellen verschiedener Spezies ... 123

8.2.4 Artifizielle In-vivo-Infektion verschiedener Spezies ... 124

8.2.5 Artifizielle Infektion von Primaten ... 125

8.2.6 Artifizielle Infektion von Schafen, Ziegen und Schweinen ... 127

8.2.7 Schafe als ideale Experimentierspezies ... 134

8.3 Zusammenfassung und Folgerungen ... 140

9 Kontaktinfektionen mit dem BLV ... 145

9.1 Unterschiedliche Bedeutung von Begriffen ... 145

9.2 Übertragung durch Praktiken von Ärzten und Haltern ... 146

9.3. Übertragung durch blutsaugende Spezies ... 151

9.4 Übertragung durch direkten Tierkontakt ... 153

9.5 Zusammenfassung und Folgerungen ... 161

10 BLV-Übertragung durch Kolostrum und/oder Milch ... 164

10.1 Infektionsmöglichkeit durch Kolostrum und Milch ... 164

10.2 Mögliche Schutzfunktion von Kolostrum ... 167

10.3 Auswertung von Tübinger Protokollen ... 170

10.4 Zusammenfassung und Folgerungen ... 177

(11)

11.1.2 Experimente in Tübingen zur

pränatalen Infektion ... 183

11.2 Einfluss des Infektionsstatus der Kuh auf die Nachkommen ... 186

11.2.1 Herdenstudien zum Infektionsstatus von Kühen und Kälbern ... 186

11.2.2 Tübinger Experimente zum Infektionsstatus von Kühen und Kälbern ... 188

11.3 Familiäres Auftreten der EBL ... 196

11.4 Einfluss der Vatertiere ... 199

11.5 Zusammenfassung und Folgerungen ... 203

12 Sanierungsprogramme ... 205

12.1 Weltweite Rinderpopulation ... 205

12.2 Programm "Test und Schlachtung" ... 208

12.3 Programm "Test und Isolierung" ... 217

12.4 Probleme bei der Durchführung ... 219

12.5 Status der Leukosefreiheit ... 221

12.6 Programme auf freiwilliger Basis ... 223

12.7 Programm zur Züchtung resistenter Rinder... 227

12.8 Warum Sanierung dieser viralen „slow infection“? ... 230

13 Diskussion und Ausblick ... 233

13.1 Diskussion zu den Forschungen 1963 – 1984... 233

13.1.1 Methodenentwicklung und Diskussion... 235

13.1.2 Laborforschungen und Diskussion ... 236

13.1.3 Inokulationsexperimente und Diskussion ... 239

13.1.4 Übertragungsexperimente und Diskussion ... 241

13.1.5 Ist das Programm "Test und Schlachtung" heute noch notwendig? ... 248

13.2 Ausblick ... 251

13.2.1 Heutige Forschungsschwerpunkte zum BLV ... 251

13.2.2 BLV und Humanmedizin ... 256

13.3 Offene Fragen und Schlussbemerkung ... 262

(12)

15 Quellen- und Literaturverzeichnis ... 274

16 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ... 308

16.1 Abbildungsverzeichnis ... 308

16.2 Tabellenverzeichnis ... 311

17 Dank ... 313

(13)

1 Einleitung

„Can we ever answer the question from whence the bovine leukosis virus comes whither it goes?”1 Dieser Stoßseufzer des Tübinger Wissenschaftlers Manfred Mussgay zum Abschluss des Symposiums zur bovinen Leukoseforschung 1975 in Kopenhagen wirft ein Licht auf die damals drängenden offenen Fragen zur Rinderleukose und ihrem Verursacher, dem bovinen Leukosevirus (BLV), das 1969 als Agens der infektiösen enzootischen bovinen Leukose (EBL) identifiziert wurde.2 Die Ursache der von der EBL ätiologisch zu unterscheidenden Form, der selten auftretenden, nicht ansteckenden sporadischen Leukose (SL), ist unbekannt.3

Fast vergessen sind heute der Schrecken und die Hilflosigkeit gegenüber einem Seuchenzug, der sowohl für die betroffenen Volkswirtschaften als auch für die ein- zelnen Betriebe hohe Kosten mit sich brachte. Geringere Milchleistung und Repro- duktion, Tierarztkosten, Merzen und schließlich der Verlust von Exportmöglichkeiten brachten manche Höfe in finanzielle Schwierigkeiten.4 Zu Verunsicherung und Angst trugen wohl neben dem finanziellen Schaden das geringe Wissen über Krankheitsur- sachen und Infektionswege bei.

Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es Berichte über Leukosefälle bei Rindern, doch erst nach dem 1. Weltkrieg breitete sich die Krankheit vom wahr- scheinlichen Ursprungsgebiet in der Memelgegend westwärts aus.5 Nach dem 2.

Weltkrieg nahm die Seuche durch erweiterte Handelsbeziehungen sowohl geogra- phisch, als auch was die Anzahl der erkrankten Tiere betraf, erschreckende Ausma- ße an. Dazu bemerkte Ekkehard Wiesner 1967: „Die Zunahme der Verbreitung, die sich vor einigen Jahren drohend ahnen ließ, ist inzwischen schreckliche Wirklichkeit geworden.“6

Schon die Wissenschaftler um Richard Götze in Hannover gingen bei ihren Übertra- gungsversuchen, die zur Entwicklung des ersten Leukoseschlüssels führten,7 von einem infektiösen Agens als Ursache der Rinderleukose aus.

1 Mussgay 1976, 411 (Symposiumbeitrag 1975).

2 Miller et al. 1969, 1297-1305.

3 Straub 2006 a, 29.

4 Vgl. z. B. Straub et al. 1984, 540, Wiesner 1967, 19-20.

5 Straub et al. 1984, 539-542.

6 Wiesner 1967, 5.

7 Götze et al. 1954, 517-519.

(14)

Dass diese Annahme noch 1965 nicht unumstritten war, zeigt die Bemerkung von O.

C. Straub: „Wie schwierig indes der Nachweis zu führen ist, dass die Rinderleukose infektiösen Charakter aufweist, zeigen die Veröffentlichungen, die von einem hoff- nungsvollen ´Wahrscheinlich´ bis zu einem glatten ´Nein´ reichen.“ 8

Zahlreiche Experimente dieser Zeit gingen von der Übertragbarkeit der Rinder- leukose aus.9 Da das Agens nicht bekannt war, konnten Fragen zu den Trans- missonswegen und damit zu Möglichkeiten der Bekämpfung der Seuche nicht sicher beantwortet werden. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden nach der Identifi- zierung der Krankheitsursache zum großen Teil durch weitere Experimente bestätigt und werden in diesem Zusammenhang in der vorliegenden Arbeit untersucht.

Als es 1969 schließlich gelang, das Virus nachzuweisen und nach 1972 in größeren Mengen zu züchten,10 war der Weg zur Entwicklung serologischer Testverfahren frei.

Die verschiedenen Leukoseschlüssel, die auf der quantitativen Veränderung des weißen Blutbildes beruhten und aleukämische Fälle nicht erfassen konnten, wurden seit 1978 durch serologische Verfahren ersetzt und später durch Tests zum direkten Virusnachweis in Form der Polymerase Kettenreaktion ergänzt. Die Entwicklung zu kommerziell verfügbaren und genügend sensitiven Nachweisverfahren verlief schrittweise, so dass die hämatologische Diagnose auf der Grundlage von Leukose- schlüsseln noch bis in die 1980er Jahre eine Rolle spielte.

Begünstigt durch verschiedene Fördermittel nahm in den Jahren nach der Entde- ckung des Virus die Zahl an Forschungsvorhaben explosionsartig zu, so wurden z. B.

in Westdeutschland die 1963 an der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFA) in Tübingen begonnenen Übertragungsexperimente mit Nachdruck fortgesetzt. Durch weltweite Forschungen wurde bewiesen, dass es sich bei der EBL um eine Infektionskrankheit des retikulo-histiozytären Systems mit neoplastischer Proliferation vor allem der B-Lymphozyten handelt, deren verschiedene Manifestatio- nen alle durch das BLV verursacht werden.11

Struktur und Expression dieses exogenen Retrovirus wurden und werden untersucht, wobei die enge Verwandtschaft mit dem Katzenleukämievirus, verschiedenen Mäu- seleukämieviren und dem Simian-T-Zellvirus, vor allem aber mit den humanen lym- photropen Viren HTLV 1 bis 4 für die heutige Forschung von großer Bedeutung ist.12

8 Straub 1965, 163.

9 Wiesner 1967, 67.

10 Graves u. Ferrer 1976, 4152.

11 Portelle et al. 1976, 130-131.

12 Sagata et al. 1985, 677.

(15)

Am Beispiel der in dieser Arbeit dokumentierten und erläuterten Übertragungsexpe- rimente, den Forschungen zum Virus und der Entwicklung von Tests werden die Er- kenntnisfortschritte zu den Infektionsmöglichkeiten und -bedingungen des BLV deut- lich. Die im Verlauf der Forschungsjahre gewonnenen Kenntnisse zur Virusstruktur und Virusvermehrung führten zu effizienten Testmethoden und wachsendem Ver- ständnis der Wege der Infektionsübertragung. Aus diesen Experimenten wurden Konsequenzen für die Aufzucht und Haltung gezogen, die in Form gesetzlich vorge- schriebener Tests bis heute gelten.

Dank der Viruserforschung und der dadurch möglichen Entwicklung effizienter Tests konnten bis Mitte der 1980er Jahre die Transmissionswege des Virus weitgehend bestimmt werden. Einfach zu handhabende, kommerzielle Testmethoden wie der Agargel-Immundiffusionstest (AGIDT) und der Enzyme Linked Immunosorbent Assay (ELISA) bildeten die Voraussetzung für die genaue Untersuchung der Übertragung.

In Westeuropa zeigten die als Konsequenz der weltweiten Forschungen eingeführten Sanierungsprogramme allmählich Wirkung.

Durch diese Erfolge verlagerte sich das Interesse von den Übertragungsexperimen- ten im Versuchsstall auf die Beobachtung der Infektionsentwicklung in natürlicher Umgebung, wobei vor allem in Ländern mit hohem Durchseuchungsgrad finanzielle Krankheitsfolgen und Fragen der Akzeptanz belasteter Nahrungsmittel bis in die Ge- genwart von Bedeutung sind. Da sich heute die Forschung auf Struktur und Expres- sion des BLV als Modell für Retroviren besonders im Hinblick auf die menschliche Leukämie- und Brustkrebsforschung konzentriert, stehen In-vitro-Laborversuche zur Virusuntersuchung sowie Experimente zu den Beziehungen zwischen Virusfunktion und Bedingungen verschiedener Immunsysteme im Vordergrund. Auf den Stand der gegenwärtigen Forschung und die bestehenden Probleme wird in dieser Arbeit in einem Ausblick eingegangen.

Die Erforschung des Virus, die Entwicklung von Tests sowie die Experimente zu In- fektionswegen und -bedingungen des BLV als Agens der enzootischen Rinderleuko- se haben die Grundlage für die gegenwärtigen Forschungen geschaffen. Die Leuko- sefreiheit der meisten Länder der Europäischen Union im Sinne gesetzlicher Verord- nungen ist den weltweiten Untersuchungen zur EBL zu verdanken.

Diese Erfolge der Seuchenbekämpfung bedeuten jedoch nicht, dass das BLV ausge- rottet wäre. Jahr für Jahr werden neue Infektionsfälle gemeldet, so gab es 2010 in Deutschland 3 Neuausbrüche. Auch in Schlachtkörpern werden immer wieder leuko-

(16)

tische Veränderungen festgestellt.13 Ob das Virus latent in Herden vorhanden ist oder eingeschleppt wird, kann meist nicht geklärt werden (vgl. dazu Berichte des Friedrich-Loeffler-Instituts).14

Für zahlreiche Länder stellt die Rinderleukose nach wie vor ein großes Problem dar, nicht zuletzt durch ständig wachsende Ansprüche der Bevölkerung an unbelastete Nahrungsmittel. Die Diskussion über eine mögliche Gefährdung des Menschen durch provirale DNA von Tierviren in Milch und Fleischprodukten könnte für die betroffenen Länder nicht absehbare Folgen haben, selbst dann, wenn kein Beweis für eine derar- tige Gefahr erbracht werden kann.

13 Teifke u. Vahlenkamp 2008, 263.

14 Z. B. Friedrich-Loeffler-Institut, Tiergesundheitsjahresbericht 2009.

(17)

2 Ziel und Methodik der Arbeit

In dieser Arbeit werden die weltweiten Forschungen unter Berücksichtigung der Ex- perimente zu Ursachen und Übertragungsbedingungen der enzootischen bovinen Leukose an der BFA in Tübingen kritisch untersucht. Dieser Versuchsstall war welt- weit einzigartig und erlaubte Übertragungsexperimente unter kontrollierten Bedin- gungen über die Zeitspanne von 20 Jahren. Diese Experimente hatten das Ziel, die vor allem in Feldstudien gewonnenen Erkenntnisse zu verifizieren, wenn nötig zu korrigieren und durch gezielte Fragestellungen unter Ausschluss anderer Einflussfak- toren neue Erkenntnisse zu gewinnen. Es soll ein Teil der veterinärmedizinischen Wissenschaftsgeschichte untersucht werden, der durch die erfolgreiche Bekämpfung der Krankheit in Deutschland und Europa etwas in Vergessenheit geraten ist.

Zur Erreichung dieses Ziels ist zunächst ein intensives Literaturstudium notwendig.

Die damaligen Forschungsergebnisse wurden in der Regel in periodisch erscheinen- den Fachzeitschriften veröffentlicht. Dies sind sowohl nationale Periodika mit ihren Sonderbeilagen wie z. B. der Veterinärspiegel, die Berliner und Münchener Tierärztli- che Wochenschrift, die Tierärztliche Wochenschrift, als auch internationale Fachblät- ter wie etwa das Journal of Veterinary Medicine, das Journal of Cancer Research und das Journal of Dairy Science, um Beispiele zu nennen.

Wichtig für die Literaturauswertung sind die in Kompendien zusammengefassten Diskussionsbeiträge internationaler Wissenschaftler. Diese auf Initiative der Tübinger Wissenschaftler in den Jahren 1974 bis 1982 in verschiedenen europäischen Städ- ten durchgeführten Symposien wurden von der Kommission der Europäischen Ge- meinschaft unterstützt, die auch die Drucklegung der Beiträge übernahm. Als Koor- dinator wirkte O. C. Straub, der für diese „slow infection“ eine achtjährige Beratungs- dauer statt der üblichen vier Jahre erreichte.

Als weitere Quelle hat O. C. Straub acht Ordner mit Protokollen zu den Tübinger Übertragungsexperimenten zur Verfügung gestellt. Diese Protokolle wurden für jedes Versuchstier lebenslang geführt und umfassen einen Zeitraum von insgesamt über 20 Jahren. Sie werden als Ergänzung zu den bereits veröffentlichten Ergebnissen zur diaplazentaren Übertragung vom Muttertier zum Kalb oder durch Kolostrum und/oder Milch ausgewertet.

Auch soll der Frage nachgegangen werden, ob sich eine die Generationen übergrei- fende Häufung der Infektion ergibt und zwar hinsichtlich des Krankheitsstatus des Muttertieres als auch dem des Vatertieres. Dazu werden aus den Protokollen der verschiedenen Ordner Rinderfamilien zusammengestellt, die mehrere Generationen

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umfassen, und auf verschiedene Bedingungen und Verläufe der BLV-Übertragung hin analysiert.

Die regelmäßigen Blutentnahmen wurden an der BFA in Tübingen nach dem Göttin- ger Leukoseschlüssel ausgewertet. Später kamen serologische Untersuchungen nach dem AGIDT p 24, nach 1976 mit dem AGIDT gp 51 hinzu, die nicht bei allen Tieren und nicht immer regelmäßig durchgeführt wurden. Der Krankheitsstatus der Tiere wird bei eigenen Auswertungen nach den in Tübingen verwendeten Kriterien festgelegt, was zu einer vorsichtigen Interpretation der Ergebnisse führen muss.

Ziel dieser Arbeit ist die kritische Untersuchung der weltweiten Forschungen mit Be- rücksichtigung der an der BFA in Tübingen durchgeführten Übertragungsexperimen- te des BLV in den Jahren 1963 bis 1984. In diese Zeit fallen weltweit die wichtigsten Forschungserkenntnisse zu Struktur und Replikation des BLV, zur Entwicklung von Tests und zu Übertragungsbedingungen und Transmissionswegen der EBL Die an- gewandten Methoden, Ergebnisse und Konsequenzen sollen im internationalen Kon- text dokumentiert und erläutert werden. Dabei wird besonderer Wert gelegt auf die damals gewonnenen Erkenntnisfortschritte zur experimentellen Übertragung des BLV auf verschiedene Tierarten und zu den Bedingungen der natürlichen Möglichkei- ten der Transmission. Die Einflüsse von Haltungsbedingungen und Praktiken der Tierhaltung spielen im Zusammenhang mit den besonderen Übertragungsmecha- nismen des Virus eine große Rolle. Die aus den Ergebnissen der Experimente gezo- genen Konsequenzen in Form von Sanierungsprogrammen werden kritisch unter- sucht. Auch ist von Interesse, welche Ergebnisse bis heute gültig sind und welche eventuell widerlegt oder durch neue Aspekte erweitert wurden. Dazu soll eine Dis- kussion zu den gewonnenen Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem momenta- nen Forschungsstand und noch offenen Fragen beitragen.

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3 Die Enzootische Bovine Leukose (EBL)

Die Notwendigkeit zur Erforschung der Rinderleukose ergab und ergibt sich aus den physischen, ideellen und finanziellen Folgen, die von dieser Krankheit für Tiere und Menschen ausgehen. Dazu müssen Fragen zum Wirtsspektrum, zu einer möglichen Zoonose und zur geographischen Verbreitung der Krankheit beantwortet werden.

Auch sollten die finanziellen Aufwendungen der Allgemeinheit etwa durch Bereitstel- lung von Testlabors und zur Durchführung von Bekämpfungsmaßnahmen ebenso in Betracht gezogen werden wie die Kosten der Krankheit für die einzelnen Betriebe.

Diese Aspekte sind für die Beurteilung des Sinns der Forschung und der jeweiligen Untersuchungsvorhaben sehr wichtig.

3.1 Wirtsspektrum

Nach der gelungenen Isolierung des BLV im Jahr 1969 (vgl. Kap. 1) wurde in den folgenden Jahren das Infektionspotenzial für nahezu alle in Frage kommenden Tie- rarten untersucht.15 Dabei wurde festgestellt, dass unter natürlichen Bedingungen alle domestizierten Rinderrassen erkranken können. Von Schafen, die sich unter na- türlichen Bedingungen infizierten wird zwar berichtet, jedoch betrifft dies immer Ein- zelfälle. Eine Ansteckung durch Pferdebremsen und Zecken ist möglich, dies wird in Kap. 9.3 besprochen. Die aktuellste Untersuchung zur Infektion von Schafen unter natürlichen Bedingungen stammt aus dem Jahr 2010.16 Bei Wasserbüffeln und Ca- pybaras wird eine Antikörperbildung gegen das BLV beobachtet, pathologische Krankheitsverläufe sind jedoch in der Natur nicht bekannt.17 Kein Fall einer natürli- chen Infektion wurde unter amerikanischen wildlebenden Bisons gefunden. Die ein- zige bisher bekannte BLV-Infektion dieser Spezies betraf einen 12-jährigen Bullen in Polen.18

Studien zu einer möglichen Erkrankung von Wasserbüffeln sind insofern wichtig, als deren Haltung in einigen Ländern von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Bei einer Unter- suchung in Japan wurden bei 8 % von wildlebenden Wasserbüffeln Antikörper gegen das BLV gefunden.19 Im Jahr 2000 wurde in Brasilien bei einer Studie an 22 kom- merziell genutzten Wasserbüffelherden festgestellt, dass etwa die Hälfte davon mit

15 Ausführlich dazu: Burny et al. 1980, 231-289.

16 Del Fava 2010, 483.

17 Marin et al.1982, 310-311.

18 Kita u. Anusz, 1991, 16.

19 Wang 1991, 394.

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dem BLV infiziert war.20 Diese Ergebnisse deuten zwar darauf hin, dass Wasserbüf- fel ein natürliches Reservoir für das Virus bilden, jedoch konnten pathologische Ver- läufe unter natürlichen Bedingungen bisher nicht bewiesen werden. Dasselbe gilt für die in Südamerika heimischen Capybaras, deren Fleisch ebenfalls verzehrt wird.

Folgende Bilder zeigen die Arten, die auf natürlichem Weg infiziert werden können.

Wasserbüffel und Capybaras bilden möglicherweise ein natürliches Virusreservoir.

Das Fleisch dieser Tierarten ist Bestandteil der menschlichen Nahrung, wobei das BLV als Provirus in den zellulären Bestandteilen der Milch und des Fleisches erhal- ten bleibt.21

Abb. 1: Leukotische Kuh (Lehrmaterial Univ. Gießen, 2008).

Abb. 2: Capybara als mögliches Virusreservoir (Foto Jo Bradford, Green Island, 2007).

20 Molnar et al. 2000, 705-706.

21 Kettmann et al. 1984, 18.

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Abb. 3: Wasserbüffel als mögliches Virusreservoir (Foto Reiner Voss, Büffelreservat Balatonmagyarod, 2008).

Die einzige Spezies von Bedeutung für eine epizootische oder panzootische Ausbrei- tung der Rinderleukose sind ausschließlich infizierte Hausrinder. Untersuchungen wie die von R. F. DiGiacomo ergaben folgende Ergebnisse: Unter der Voraussetzung gleicher Haltungsbedingungen konnten keine Unterschiede hinsichtlich der Infekti- onsanfälligkeit zwischen verschiedenen Rassen oder den Geschlechtern festgestellt werden. In Milchviehherden ist die BLV-Prävalenz höher als in Mastviehbeständen.

Ab einem Alter von 6 Monaten steigt die Infektionsrate an und erreicht den höchsten Stand in der Altersgruppe von 2 bis 3 Jahren.22 In diesem Alter sind viele Fleischrin- der schon geschlachtet, so erklärt sich die weitaus höhere Prävalenz in Milchvieh- herden verglichen mit Mastviehbeständen.

Durch die enge Verwandtschaft verschiedener Leukämieviren konnten bei in vitro Versuchen neben Zellen einiger Fledermausarten auch Zellen boviner, oviner, capri- ner und caniner Spezies sowie Primatenzellen, einschließlich menschlicher Zellen, mit dem BLV infiziert werden.23

Experimentelle Übertragungsversuche an lebenden Tieren wurden, in der Regel durch Inokulationen mit BLV haltigem Material, an den verschiedensten Arten durc

22 DiGiacomo 1992 b, 248-254.

23 Graves u. Ferrer 1976, 4152-4159.

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geführt. Dabei bildeten die meisten Spezies eine oft nur kurzfristige Antikörper- reaktion aus, so etwa einige Hühnerarten, Meerschweinchen, Kaninchen, Antilopen, Katzen, Ratten, selten Hunde.24 Andere Spezies, z.B. Wildwiederkäuer, zeigten kei- ne Reaktion.25

Wie zahlreiche Versuche bewiesen,26 kommen nach experimenteller BLV-Infektion leukämische Erkrankungen in einzelnen Fällen bei bestimmten Hühnerrassen und Ziegen vor, vor allem aber bei Schafen, die in 90 % der Fälle Tumore entwickeln, deutlich mehr als Rinder.27 Aus diesem Grund werden Schafe als bevorzugte Wirts- spezies für solche BLV-Experimente benutzt, die Bedingungen der Tumorentwick- lung unabhängig vom Immunsystem des natürlichen Wirtstieres untersuchen und die zu allgemeinen Fragen der Immunantwort durchgeführt werden.

In der Zeit nach der Bestätigung einer viralen Ursache der EBL wurde intensiv nach einem möglichen zoonotischen Potenzial des Virus gesucht. Zahlreiche Studien wur- den an den verschiedenen Personengruppen, die in regelmäßigem, engem Kontakt zu Rindern stehen, durchgeführt. An Landwirten, Tierärzten, Schlachthofpersonal und an Personen, die regelmäßig rohe Milch tranken, wurde der mögliche Zusam- menhang verschiedener Krankheiten mit dem BLV getestet. Dabei wurde besonders auf eventuelle leukämische Veränderungen geachtet.28 Signifikante statistische Zu- sammenhänge wurden dabei nicht gefunden. Spätere Untersuchungen stellten je- doch mit modernen Testmethoden solche Korrelationen fest.29 Das Problem einer Beteiligung des BLV an der Entstehung und/oder Entwicklung menschlicher Krank- heiten ist bis heute nicht geklärt.

An der BFA in Tübingen hat O. C. Straub im Zeitraum von 1969 bis1976 von 21 Tier- ärzten und Pflegern der Versuchstiere, einschließlich von sich selbst sowie vom Pu- del Susi, regelmäßig Blutbilder erstellt. Wie aus den überlassenen Protokollen her- vorgeht, wurden keine Anhaltspunkte für eine BLV-Übertragung auf den Menschen gefunden (Persönliche Unterlagen von O. C. Straub).

Eine Infektion des Menschen mit dem BLV wurde lange Zeit auch deshalb ausge- schlossen, weil das freie Virus durch äußere Bedingungen leicht zu zerstören ist.30

24 Johnson u. Kaneene 1992, 14-16.

25 Dedek et al.1987, 784-785.

26 Burny et al.1985, 4578-4582.

27 Schwartz et al. 1994, 4589.

28 Z. B. Olson u. Driscoll 1978,1470-1473.

29 Z. B. Kristensen 1996, 14.

30 Baumgartener et al. 1976, 1189.

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Es war Anfang der 1970er Jahre nicht bekannt, dass sich das BLV als Provirus in das Genom der Wirtszelle einlagert und damit in den zellulären Bestandteilen von Milch und Fleisch erhalten bleibt.31 Die Wissenschaftlergruppe der Berkeley Universi- tät Kalifornien um Gertrude Case Buehring und auch andere Forscher fanden in den letzten Jahren mit Hilfe der Entwicklung immer genauerer Tests Antikörper gegen BLV-Proteine im Blut zahlreicher untersuchter Personen.32 Dies muss kein Zeichen einer akuten Infektion sein, sondern könnte durch eine Reaktion auf nicht mehr viru- lente BLV-Sequenzen erklärt werden. Auf gegenwärtige Untersuchungen zu diesen Fragen wird in Kap. 13 eingegangen. Nachdem im Brustgewebe von Frauen mit Mammacarcinom vermehrt virale Sequenzen des BLV gefunden wurden, gehen G.

C. Buehring und ihre Mitarbeiter von einer signifikanten Assoziation zwischen dem BLV und dem Brustkrebsrisiko aus.33 Sollte dies durch weitere Studien auch anderer Wissenschaftler bestätigt werden, wäre der Schaden, besonders für die Milchindust- rie, in Ländern mit belasteten Herden nicht absehbar.

3.2 Geographische Verbreitung

Aussagen zur geographischen Verbreitung der EBL zu verschiedenen Zeiten sowie zur Entwicklung von Prävalenz und Inzidenz der Krankheit stoßen auf erhebliche Schwierigkeiten. Untersuchungen vor und zwischen den Weltkriegen basieren auf Schlachthausstatistiken und auf der Zahl der durch Lymphome verendeten Tiere. Mit dem Begriff der „Rinderleukose“ war ausschließlich die tumoröse Erkrankung ge- meint und nur diese wurde zahlenmäßig erfasst.

In den 1960er Jahren wurden, nachdem vollautomatische Blutzellzählmaschinen zur Verfügung standen, vermehrt Leukoseschlüssel zur frühzeitigen Diagnose verwen- det. Durch diese Methode konnte die persistierende Lymphozytose diagnostiziert werden, eine Form der Krankheit, die damals von nahezu allen Wissenschaftlern als Präkanzerose angesehen wurde.34 Dadurch wurden wesentlich mehr Tiere erfasst, als dies vor der Anwendung dieser Verfahren der Fall war.

Nachdem sich gegen Ende der 1970er Jahre die Anwendung serologischer Verfah- ren zur Diagnose der Infektion durchsetzte, wurde und wird der Begriff der EBL von zahlreichen Wissenschaftlern synonym mit dem der BLV-Infektion in all ihren Aus- prägungen verwendet. Untersuchungen zur Verbreitung der Krankheit beziehen sich

31 Alberts et al. 1995, 328-329.

32 Buehring et al. 2003, 1105.

33 Buehring et al. 2007, 1747.

34 Rosenberger 1968, 193.

(24)

seit dieser Zeit in der Regel auf die Infektion mit dem BLV, wobei meist nicht zwi- schen Antikörperbildung, persistierender Lymphozytose und Tumorbildung unter- schieden wird.

Weitere Schwierigkeiten zur Feststellung der Prävalenz in verschiedenen Zeiträumen und Probleme zu Aussagen hinsichtlich der geographischen Ausbreitung der EBL ergeben sich daraus, dass die frühen Untersuchungen nicht den modernen statisti- schen Erfordernissen entsprechen.35 Die Auswahlkriterien der untersuchten Herden und der Kontrollgruppen waren recht willkürlich und die verwendeten Methoden oft nicht genau definiert, so dass es sich bei den Ergebnissen dieser Studien eher um Schätzungen und Beschreibungen als um belegbare Zahlen handelt.

Trotz der im Laufe der Zeit unterschiedlichen Definition der EBL und der methodi- schen Probleme kann davon ausgegangen werden, dass sich die Seuche in Deutschland zwischen den Weltkriegen, besonders aber nach dem 2. Weltkrieg vom Baltikum aus nach Westen ausbreitete.36 Dabei wird sogar von einer 100 % Inzidenz leukämischer Erkrankungen berichtet. Die in einigen Untersuchungen festgestellte starke Zunahme an Lymphomen nach den Weltkriegen hat ihre Ursache wohl in ei- ner Rinderpopulation, die auf das Virus völlig unvorbereitet war und daher noch kei- nerlei Resistenz entwickeln konnte. Wiesner etwa schätzt den Verlust durch Leuko- sefälle für den Durchschnitt der Jahre 1925 bis 1959 auf etwa 0,2 % des Gesamtrin- derbestandes im Gebiet der DDR.37

Da Kontrollprogramme bis 1976 in der BRD auf freiwilliger Basis beruhten, sind aus dieser Zeit keine zuverlässigen amtlichen Statistiken verfügbar. Vorhandene Zahlen beziehen sich auf einzelne Herden und auf eng begrenzte Gebiete. Untersuchungen zeigten jedoch, dass besonders nach dem 2. Weltkrieg vor allem die Regionen mit intensiver Rinderhaltung betroffen wurden, also Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Westfalen und Hessen.38 Ähnlich verlief die Entwicklung in Dänemark und in Schwe- den. Dazu liegt eine Untersuchung von H. Olson vor, in der die Verbreitung der Seu- che durch die Impfung gegen Piroplasmose unter Verwendung von Blut eines infi- zierten Tieres beschrieben wird.39 In den Niederlanden, Belgien und Frankreich kon- zentrierte sich die Krankheit auf die Grenzgebiete zu Deutschland. Großbritannien, Spanien, Österreich und die Schweiz waren von der EBL weniger stark betroffen.

Sehr verbreitet war die Seuche in den osteuropäischen Ländern und in Russland,

35Johnson u. Kaneene 1992, 1-2.

36 Wiesner 1967, 13-17.

37 Wiesner 1967, 14.

38 Straub et al. 1984, 540-543.

39.Vgl. zu dieser Untersuchung (1961) Wiesner 1967, 18.

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wobei eine Ansteckung heimischer Herden durch importierte infizierte Zuchttiere aus Nordamerika wohl eine Rolle spielte. Auch aus den USA wurde über eine Zunahme an Leukosefällen nach dem 1. Weltkrieg berichtet, und wie in Europa kam es nach dem 2. Weltkrieg zu einer epidemischen Ausbreitung in den Rindergebieten der USA, Kanadas und etwas später Südamerikas.40 Auch hier sind für diese Zeit keine genauen Zahlen vorhanden.

In einer Studie wurde versucht, mit Hilfe serologischer Tests die Prävalenz und Inzi- denz der BLV-Infektion für die Zeit von 1979 bis 1983 weltweit zu erfassen.41 Trotz der zahlreichen methodischen Probleme konnte eine Abnahme der Prävalenz und Inzidenz in Ländern mit verpflichtenden Sanierungsprogrammen wie in den deut- schen Staaten beobachtet werden. In afrikanischen Ländern wie dem Sudan und Südafrika stellten die Wissenschaftler eine deutliche Zunahme sowohl der infizierten Herden als auch der insgesamt angesteckten Tiere fest. Allerdings waren nur für we- nige Länder des afrikanischen Kontinents Daten verfügbar. Von einer wachsenden Prävalenz und Inzidenz der Seuche waren nach den Ergebnissen dieser Studie Aust- ralien, Japan und der gesamte amerikanische Kontinent betroffen.

Eine in dieser Zeit in Florida durchgeführte Untersuchung an Milch- und Mastvieh- herden ergab, dass in 47,8 % der Milchviehbestände mindestens ein BLV-infiziertes Tier vorhanden war, bei den Fleischrinderherden betrug diese Rate 6,7 %.42 Wie noch gezeigt wird, sind heute über 80 % der Milchviehherden in den USA von der Infektion betroffen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen kanadische Studien.43 Die regi- onalen Unterschiede waren und sind, besonders im Hinblick auf die Zahl der infizier- ten Tiere, sehr groß. In einzelnen Herden wurde eine Prävalenz von 95 % festge- stellt. Eine derart hohe Infektionsrate wurde für das Jahr 1979 auch in einer Herde mit industriell geprägter Milchproduktion in der DDR gefunden.44

Nach der Einführung serologischer Tests für ein gesetzliches Sanierungsprogramm im Jahr 1980 nahm in der Bundesrepublik Deutschland die Inzidenz der BLV- Infektion von 1984 bis 1989 kontinuierlich ab.45 Nach einem kurzen Anstieg nach der Wiedervereinigung46 gilt Deutschland seit 1999 als leukosefrei. Dieser Status gilt heute für Westeuropa und für einige osteuropäische Länder. Andere sind durch die

40Johnson u. Kaneene, 1992, 2-3.

41 Lorenz u. Straub 1987, 51-68.

42 Burridge et al. 1982, 373.

43 Samagh u. Kellar 1982, 397-399.

44 Müller u. Wittmann 1990, 213.

45 Lorenz 1990, 388-390.

46 Sonderbericht 4/97, Amtsbl. 144.

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erfolgte oder angestrebte Aufnahme in die EU auf dem besten Weg dahin.47 In Aus- tralien und Neuseeland wurde ab 2002 ein Kontrollprogramm eingeführt mit dem Ziel, bis Ende 2012 die enzootische Rinderleukose auszurotten.48 In Israel wird noch über Sanierungsmöglichkeiten debattiert, wobei Prävalenz und Inzidenz des BLV nicht besonders beunruhigen. 60 % der Herden waren 2005 frei von BLV und in den be- troffenen Herden waren nur etwa 3,5 % in großen und 7,2 % der Tiere in kleinen Herden infiziert.49

Staaten ohne verpflichtende Kontrollen und mit ständig zunehmender Prävalenz und Inzidenz sind u.a. Japan50 und Südafrika.51 Vor allem aber sind von der Ausbreitung des BLV die USA, Kanada, Brasilien und Argentinien betroffen, also Länder, die gro- ße Mengen an Milch- und Fleischprodukten exportieren.

In Argentinien wird heute eine ständige Zunahme von Herden mit einem oder mehre- ren infizierten Tieren beobachtet.52 Diese machen nach einer neueren Untersuchung 32,5 % der Bestände aus, wobei Milchviehherden wesentlich stärker als Fleischrind- herden betroffen sind. In einzelnen Milchviehherden wurden bis zu 85 % der Tiere serologisch positiv getestet. Mit den sich daraus ergebenden Problemen befassen sich ausführlich aktuelle Studien.53

Die erste große statistisch basierte Studie zur Erfassung der BLV-Prävalenz in den USA wurde 1996 im Auftrag des U.S. Department of Agriculture (USDA) durch das National Animal Health Monitoring System (NAHMS) an Milchviehherden mit ei- ner Mindestgröße von 30 Kühen durchgeführt.54 Über 1000 milchproduzierende Be- triebe aus 20 Staaten des Mittelwestens nahmen an der Untersuchung teil. Blutpro- ben wurden mittels AGIDT untersucht, dabei wurde in 89 % der Milchviehherden mindestens ein infiziertes Tier gefunden. In etwa 75 % dieser mit dem Virus belaste- ten Herden waren mindestens 25 % der Tiere infiziert, der Anteil angesteckter Kühe an der Gesamtzahl der Milchrinder betrug etwa 40 %. Große Herden mit mehr als 200 Kühen zeigten eine höhere Prävalenz als Herden mit weniger als 100 Tieren.

Diese Ergebnisse wurden im Jahr 2007 in einer neuen Studie geprüft, allerdings wurden bei dieser Untersuchung Tankmilchproben mittels ELISA getestet. Lediglich

47 Otachel 2007, 465-466.

48 Website Animal Health Australia, 2009 (Stand: 05.04.2011).

49 Trainin u. Brenner 2005,11.

50 Matsumura et al. 2011, 343-348.

51 WAHID Information Database 2010 (Stand: 20.10.2011).

52 Trono et al. 2001, 235.

53 Monti et al. 2007, 228-237.

54 APHIS Info Sheet 2008 (Stand: 03.10.2011).

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etwas mehr als die Hälfte der Betriebe der Studie von 1996 nahm teil. Die Resultate entsprachen trotz der verschiedenen Testverfahren in etwa denen der Untersuchung von 1996, dabei konnte im Jahr 2007 der Prozentsatz der angesteckten Kühe nur geschätzt werden. Es wurde, bei etwa gleicher Rate belasteter Bestände, eine Zu- nahme der individuellen Infektionen in den Herden auf 70 bis 80 % angenommen.

Dies bedeutet fast eine Verdopplung der Gesamtheit infizierter Kühe im Mittelwesten der USA innerhalb von 10 Jahren.55

Die heutigen Zahlen zur Prävalenz und Inzidenz des BLV mit denen früherer Zeiten zu vergleichen ist durch die Entwicklung immer genauerer Testverfahren, die immer mehr Infektionsfälle erfassen können, fast unmöglich. Dennoch beweisen die neue- ren Untersuchungen den hohen Durchseuchungsgrad in vielen Ländern der Erde, besonders aber in wichtigen Exportnationen für Fleisch und Milchprodukte.

3.3 Kosten der Krankheit

Die finanziellen Belastungen durch eine Tierkrankheit können nur solange eine Rolle spielen, als davon keine Beeinträchtigung für die menschliche Gesundheit ausgeht.

Milch und Fleisch von Tieren, die mit dem BLV infiziert sind, gelten bis heute als un- bedenklich, solange bei den Tieren keine Lymphome auftreten.

Da nur sehr wenige der infizierten Rinder (1 bis 5 %)56 Tumore entwickeln, stellt sich die Frage, ob bereits die Ansteckung, die zu Antikörperbildung oder persistierender Lymphozytose führt, finanzielle Beeinträchtigungen durch verminderte Tierleistung zur Folge hat. Dies spielt eine große Rolle für die Akzeptanz der Anwendung von Kontrollprogrammen und für die Beurteilung des Nutzens von Forschungsvorhaben.

Die direkten Einbußen durch die EBL infolge von Tod, Schlachtung und Verwerfen des Tierkörpers dürften überschaubar sein. In einer 2003 veröffentlichten Studie wurden Kosten von ca. 400 US Dollar pro Leukämiefall angenommen. Dabei wurde von einer Herde mit 300 Milchkühen und einer BLV-Prävalenz von 50 % ausgegan- gen, was heute in etwa dem amerikanischen Durchschnitt in der Milchviehhaltung entspricht. Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich eine jährliche Inzidenz an Tu- morfällen von 0,66 Tieren, was einen jährlichen Verlust von etwa 250 Dollar aus- macht.57 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine japanische Untersuchung aus dem Jahr 2010.58

55 Sordillo u. Erskine 2009, 1-3.

56 Ferrer et al. 1974, 893-894.

57 Rhodes et al. 2003, 346-352.

58 Tsutsui et al. 2010, 158.

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Die jährlichen Kosten für die gesamte Milchindustrie in den USA, verursacht durch den Verlust infolge von Lymphomen ohne Berücksichtigung indirekter Kosten wie für Tierärzte und Medikamente, wurden 1997 auf über 16 Millionen Dollar geschätzt.59 Die Kosten sind bis heute sicher nicht geringer geworden.

Zu den indirekten Kosten der BLV-Infektion gehören die Einschränkungen von Ex- portmöglichkeiten infizierter Tiere, Samen und Embryos. Da mittlerweile in zahlrei- chen Ländern wie etwa denen der EU solche Importverbote bestehen, müssen die Exportländer auch Kosten für Testlabors und für die Durchführung der Untersuchun- gen tragen.60

Einige Studien widmen sich Fragen zu finanziellen Einbußen durch infektionsbeding- te geringere Geburtenzahl, längere Reproduktionsintervalle und kürzere ökonomisch nutzbare Lebenszeit. In der Mehrzahl besonders der neueren Untersuchungen wurde nur eine geringe statistische Signifikanz zwischen der Infektion mit dem BLV und derartigen Beeinträchtigungen gefunden, jedoch gibt es dazu widersprüchliche Aus- sagen.61

Entscheidend für die durch das Virus verursachten finanziellen Folgen ist die eventu- ell verringerte Milchproduktion und Reproduktionsrate.62 Es gibt Studien, die keine statistisch signifikante Differenz zwischen dem Milchausstoß in BLV-positiven und BLV-negativen Herden fanden.63 Ein Experiment verglich Kühe einer Florida- Milchviehherde, in der 75 % der erwachsenen Tiere serologisch positiv getestet wo- den waren, mit gesunden Kühen.64 Dabei wurde kein Unterschied festgestellt zwi- schen infizierten und gesunden Kühen hinsichtlich des totalen Milchausstoßes, der täglichen Milchproduktion, dem Fettanteil der Milch und der Dauer der Laktation. Die meisten Wissenschaftler stimmen jedoch darin überein, dass die BLV-Ansteckung zu geringerer Milchproduktion verbunden mit geringerem Fettgehalt der Milch führt. Dies ist umso wahrscheinlicher, als nachgewiesen wurde, dass Zellen des Euterepithels mit dem BLV infiziert sein können.65 Der Verlust an Milchleistung wird mit 3 bis 11 % angegeben.66 Aus den Daten der NAHMS Studie von 1996 (vgl. Kap. 3.2) wurde ein um jährlich 218 kg reduzierter Milchausstoß pro Kuh in BLV-infizierten Herden er-

59 Pelzer 1997, 129-131.

60 Thurmond 1987, 77-78.

61 Trainin u. Brenner 2005, 5-7.

62 D` Angelino et al. 1998, 693-695.

63 Kale et al. 2007, 130-132.

64 Burridge et al. 1982, 599.

65 Motton u. Buehring 2003, 1105.

66 Trainin u. Brenner 2005, 5-6.

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rechnet, verglichen mit der Produktion in negativ getesteten Beständen. Der jährliche Verlust für die gesamte Milchindustrie der USA, in dem die durch das BLV verursach- ten öffentlichen Kosten wie etwa für Testlabors als auch die Krankheitskosten und finanziellen Schäden der Betriebe enthalten sind, wird auf mindestens 525 Millionen Dollar beziffert.

Anhand der Untersuchungsergebnisse der o. g. NAHMS-Studie wurde eine ausführ- liche Kosten-Nutzenanalyse für ein BLV-Kontrollprogramm durchgeführt mit dem Er- gebnis, dass ein effektives Sanierungsprogramm bis zu einer Prävalenz von 12,5 % infizierter Tiere finanziell sinnvoll und durchsetzbar wäre.67

Die Ursache der geringeren Milchleistung wird auf eine Schwächung der Immunab- wehr durch die BLV-Infektion zurückgeführt.68 So wurde z.B. eine signifikante Korre- lation zwischen dem Virus und der Persistenz von Trichophyton verrucosum nach- gewiesen.69 Mastitis und Infektionen des Gastro-Bronchialtraktes treten bei BLV- positiv getesteten Tieren deutlich häufiger auf als bei unbelasteten Rindern.70 Die Kosten für diese durch die BLV-Ansteckung verursachten Folgeerkrankungen müs- sen bei der Berechnung der indirekten Kosten berücksichtigt werden, sie sind jedoch kaum in konkrete Zahlen zu fassen.

Die Mehrzahl der Untersuchungen zu diesen Fragen unterscheidet nur zwischen BLV-positiven und BLV-negativen Herden und Tieren. Notwendig für eine genauere Analyse der Virus verursachten Immunschwäche und damit der möglichen ökonomi- schen Einbußen scheint die Art der Manifestation der Infektion zu sein. Dazu gibt es einige Untersuchungen mit folgenden Ergebnissen:

Die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten betrifft vor allem Kühe höheren Alters mit Blutbildveränderungen im Sinne einer persistierenden Lymphozytose. Bei dieser Gruppe sind mit zunehmender Dauer der Infektion erhöhte Raten an Mastitis, Metri- tis, Arthritis und Perikarditis zu beobachten und zwar verglichen sowohl mit BLV- negativen Tieren als auch mit solchen, die lediglich Antikörper gegen das Virus zei- gen.71 Kühe mit PL zeigen nach einer 1993 erschienen Untersuchung einen deutlich reduzierten Milchaussstoß mit geringerem Fettanteil als Kühe mit Serokonversion und gesunde Kühe.72

67 Ott et al. 2003, 249-250.

68 Sordillo u. Erskine 2010, 1.

69 Brenner et al. 1989, 299.

70 Emanuelson et al. 1992, 121, 130-131.

71 Sandev et al. 2004, 411-412.

72 Da et al. 1993, 6538.

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Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: Bereits frühe Forschungen zur EBL haben gezeigt, dass die Rinderpopulation unter natürlichen Bedingungen als einzige Spezies in nennenswertem Ausmaß von der Krankheit betroffen ist. Diese In- fektionskrankheit ist für den Menschen von wirtschaftlicher Bedeutung wobei die fi- nanziellen Verluste in einzelnen Ländern schwer abzuschätzen sind, da neben den durch Prävalenz und Inzidenz verursachten direkten und indirekten Kosten die ver- schiedensten Faktoren in eine Verlustschätzung mit einbezogen werden müssen.

Dazu gehören z. B. steigende Preise durch geringere Milchproduktion, das Import- Export-Verhältnis an Rinderprodukten sowie das Konsumverhalten bezüglich von Produkten, die aus belasteten Beständen stammen.

Während in Europa die Seuche heute nahezu ausgerottet ist nimmt das Ausmaß der Infektion in bedeutenden Exportländern für Rinderprodukte wie in den USA, Kanada und Argentinien jedoch eher zu. Auch wenn frühere Untersuchungen eine Zoonose ausgeschlossen haben, so lassen doch neuere Studien Bedenken zu BLV-belasteten Lebensmitteln zu. Diese Probleme spielen bei der Beurteilung der Notwendigkeit von Sanierungsprogrammen neben einer finanziellen Kosten-Nutzen-Analyse eine Rolle und betreffen Fragen nach dem Sinn und dem jeweiligen Untersuchungsziel der For- schungen zum BLV.

(31)

4. Das Bovine Leukosevirus (BLV) als Agens der EBL

Die Kenntnis und Berücksichtigung des Wissens der Zeitspanne, in der die jeweiligen Untersuchungen zur Rinderleukose stattfanden, ist für eine kritische Darstellung un- erlässlich. Die Forschungsgeschichte zur EBL und dem verursachenden Agens kann in 3 sich überschneidende Abschnitte eingeteilt werden:

1. Die Zeit der frühen Untersuchungen vor der Entdeckung des BLV im Jahr 1969.

2. Die Phase der intensiven Forschungen nach dieser Zäsur zum Virus, zu Testmethoden sowie zu Übertragungswegen und –bedingungen, die bis etwa Mitte der 1980er Jahre dauerte. Diese Untersuchungen brachten entschei- dende Erkenntnisse zu den Transmissionswegen und Infektionsbedingungen des BLV sowie zu Morphologie und Virusvermehrung.

3. Mitte der 1980er Jahre bis heute. In dieser Zeit wurden und werden große Fortschritte erzielt zur Entschlüsselung des Virusgenoms, zu den Bedingun- gen von Replikation und Expression sowie zu den jeweiligen Wirkungen auf Infektionsentstehung und Krankheitsverlauf.

Wie aus den Forschungsberichten zu entnehmen ist, hat sich die Taxonomie des BLV mit dem Wissensfortschritt verändert. Zunächst wurde die Gruppe der RNA- Viren, zu der das BLV gehört, als RNA Tumorviridae bezeichnet. 1974 wurden diese Viren in Retroviren umbenannt (Reverse Transkriptase Onkoviren). Das BLV gehörte dabei zur Untergruppe der C-Viren, die nach dem elektronenmikroskopischen Bild in A, B, C und D-Viren unterschieden werden. Heute werden Viren nach ihrer geneti- schen Verwandtschaft eingeteilt. In der Gattung der Retroviren gehört das BLV wie auch die Primatenleukämieviren zur Familie der Deltaviridae (Abgrenzung zu ande- ren Retroviren nach dem Zeitpunkt der RNA-DNA Transkription und der ausschließ- lich exogenen Übertragung).

4.1 Forschungsgeschichte

Beobachtungen wie die Zunahme an Rinderleukosefällen nach dem Import fremder Tiere oder die gelungene Eindämmung der Infektion durch Absonderung kranker Rinder, ließen Wissenschaftler seit Beginn des Auftretens der Leukose einen infekti- ösen Verursacher vermuten. Systematische Übertragungsexperimente wurden seit

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den 1950er Jahren durchgeführt, in Westdeutschland vor allem in Hannover durch Richard Götze und seine Mitarbeiter.73

Die Beobachtung einer quantitativen Lymphozytenerhöhung vor dem Auftreten von Neoplasien führte zur Entwicklung des ersten Leukoseschlüssels.74 Damit war es erstmals möglich, infizierte Tiere, wenigstens solche mit Veränderungen des weißen Blutbildes, frühzeitig zu erkennen und abzusondern. Auch wenn die diagnostischen Möglichkeiten dieser Methode begrenzt waren, so blieb sie doch für rund 20 Jahre die einzige Möglichkeit zur Früherkennung der enzootischen Rinderleukose. Noch im Jahr 1976 wurde, auch durch die Bemühungen der Wissenschaftler in Tübingen, der EG einheitliche Schlüssel eingeführt, der allerdings 2 Jahre später weitgehend durch serologische Tests ersetzt werden konnte.

Neben den direkten Übertragungsexperimenten wurde nicht zuletzt zur Bestätigung der Infektionshypothese versucht, durch Einbringen von Leukosematerial in Rinder und in andere Tierarten Tumore zu erzeugen. Dies geschah meist durch Inokulatio- nen intradermaler, intramuskulärer, intravenöser oder intraperitonaler Art, aber auch durch orale Gabe. Den größten Erfolg hatten dabei Experimente mit Schafen, die in den meisten Fällen Neoplasien entwickelten.75 Die Ergebnisse dieser Versuche deu- teten zwar sehr eindringlich auf ein infektiöses Agens hin, jedoch fehlte dafür der wissenschaftliche Beweis.

Bestärkt durch die Erfolge in der aviären und der Mäuseleukämieforschung, wo der Nachweis der verursachenden Viren bereits in den 1950er Jahren gelungen war, wurde nach einem ähnlichen Virus beim Rind gesucht.76 Experimente zum Virus- nachweis z.B. durch Knochenmarkpunktionen oder biochemische Analysen zur Zu- sammensetzung der verschiedenen Globuline und Albumine, erzielten keine oder nur unzulängliche Ergebnisse. Vielversprechend schien ein Antigen-Antikörper Versuch durch Agglutination, offenbar wurde dieser Ansatz aber nicht weiter verfolgt. Mit Hilfe der Fluoreszenzmikroskopie wurden Partikel entdeckt, die als leukosespezifisch in- terpretiert wurden. Ultradünne Schnitte von Tumorzellen zeigten unter dem Elektro- nenmikroskop ein virusähnliches Bild, allerdings wurden ähnliche Partikel auch in gesunden Tieren gefunden, wobei sich aus heutiger Sicht die Frage stellt, ob die Kontrolltiere nicht doch infiziert waren. Fehlinterpretationen, z. B. durch Mykoplas- men, kamen ebenfalls vor.77

73 Götze et al. 1956 a, 121-125.

74 Götze et al. 1953, 55-59.

75 Wittmann u. Urbanek 1959, 709-713..

76 Straub 1968, 156.

77 Vgl. zu diesen Versuchen Wiesner 1967, 26-51.

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Der lange erwartete Nachweis eines Rinderleukämievirus gelang schließlich im Jahr 1969. Durch den Zusatz des Mitogens* Phytohämagglutinin gelang es, in Kurzzeit- lymphozytenkulturen das Wachstum der Viren so zu stimulieren, dass sie aus den virusbeladenen Lymphozyten isoliert und unter dem Elektronenmikroskop untersucht werden konnten.78 Ein weiterer Schritt bestand im Nachweis von Antikörpern gegen das Virus.79

.

Abb. 4: Janice M. Miller, Entdeckerin des BLV (In: 100 Years- From Dream to Discove- ries, School of Vet. Med. Univ. Wisconsin-Madison, 2011).

Um Fortschritte in der virologischen Forschung zu erzielen, war die Züchtung des BLV in großen Mengen erforderlich. Dies gelang seit 1974.80 Die Möglichkeit der be- liebigen Vermehrung des BLV boten in den folgenden Jahren Langzeitkulturen mit fetalen bovinen und ovinen Zellen sowie mit Fledermauslungen- und Buffycoat Zel- len.81

* Ein Mitogen ist ein pflanzliches Eiweiß, das Zellen in Kulturen zur Teilung und Vermehrung anregt.

Phytohämagglutinin wird aus der roten Bohne gewonnen.

78 Miller et al. 1969, 1297-1305.

79 Ferrer et al. 1972, 1864.

80 Ferrer et al. 1976, 165.

81 Graves u. Ferrer 1976, 4152-4159.

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Diese Virusvermehrung ermöglichte rasche Fortschritte in der Kenntnis zu Morpholo- gie, Replikation und Expression des Virus. Den Wissenschaftlern um O.-R. Kaaden gelang 1972 der Nachweis der spezifischen RNA-DNA Polymerase82 und 1976 der Beweis, dass es sich beim BLV um ein exogenes Tumorvirus handelt.83 Die reverse Transkriptase wurde ebenfalls in dieser Zeit nachgewiesen.84 Durch biochemische Studien konnten in den Jahren ab 1972 die einzelnen Antigene, gegen die sich die hauptsächlichen Antikörperreaktionen des Immunsystems richten, bestimmt werden.

Bereits 1972 wurde das innere, nicht glykosylierte Strukturprotein p 24 (Protein mit Molecular Weight = MW 24000) als Hauptkomponente des Viruskapsids beschrie- ben. Die für die Antikörperbildung wichtigsten Glykoproteine der Virushülle (Envelo- pe) waren seit 1974 bekannt. Das Wissen um die Antikörperreaktionen gegen diese Hüllenantigene war für die Entwicklung von Tests von entscheidender Bedeutung.85 Die Laboruntersuchungen zu Struktur und Vermehrung des BLV wurden von zahlrei- chen Übertragungsexperimenten ergänzt und begleitet. Es musste der Beweis erb- racht werden, dass das BLV auch tatsächlich die EBL verursacht.86 Experimentelle Infektionen verschiedenster Art, in den meisten Fällen durch Inokulationen in bovinen und ovinen Versuchstieren, wurden zur Verifizierung oder Falsifizierung von Hypo- thesen durchgeführt (vgl. Kap. 8). Auf diese Weise wurde z. B. die mögliche Infektion durch unterschiedliche Übertragungsmedien erforscht. Diese Experimente konnten aufzeigen, dass Blut, Milch, Speichel etc. Träger des BLV sein können und im Expe- riment zur Entwicklung von Tumoren führen (vgl. Kap.4.4.1- 4.4.3). Eine Übertragung unter natürlichen Bedingungen war dadurch noch keineswegs bewiesen. O. C.

Straub stellte dazu die Frage, weshalb Tiere im Experiment zu fast 100 % infiziert werden können, in der Natur aber nur zu etwa 60 %.87

Die Experimente in Versuchsställen, die die natürlichen Transmissionswege unter unterschiedlichen Bedingungen untersuchten, waren besonders im Hinblick auf die praktischen Konsequenzen von großer Bedeutung. Diese Studien fanden in der BRD ab 1963 in Tübingen unter der Leitung von O. C. Straub statt. Sie waren durch die lange Zeitdauer und die Anzahl der Tiere einzigartig. Die Ergebnisse der weltweit von zahlreichen Wissenschaftlern durchgeführten Übertragungsexperimente und Labor- studien zur virologischen Forschung beeinflussten sich gegenseitig. Als Beispiel sei die Suche nach der Ursache der langen Zeitspanne der Krankheitsentwicklung ge-

82 Kaaden et al. 1972, 101.

83 Kaaden et al. 1976, 121.

84 Kaaden et al. 1977, 15.

85 Kettmann et al. 1976, 1014-1018.

86 Vgl. dazu die umfassenden Forschungen von Burny et al.1978, 251-311.

87 Straub 1982 b, 5-6.

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nannt. Diese Latenzphase wurde durch Transmissionsstudien bewiesen und konnte durch biochemische Experimente zu Virusexpression und Replikation erklärt werden.

Durch Laborversuche wurde die strikte Zellbindung des BLV und damit verbunden die sehr geringe Anzahl an Virionen im peripheren Blut erkannt. Die silenten Proviren mit geringer Expression führen zu der langsamen Entwicklung der Krankheit. Erst 1980 konnte aus diesem Grund der in vivo Nachweis des BLV in infizierten Tieren erbracht werden.88 1978 zeigten Studien, dass kleinste Mengen an infiziertem Blut, nämlich 0,5 µl, zur Ansteckung genügen. Das entspricht etwa 10.000 peripheren Leukozyten oder 2.500 Lymphozyten.89 Durch diese Erkenntnis konnten z. B. Fragen zur Übertragung von Tier zu Tier beantwortet werden.

Wichtig für alle Forschungsvorhaben war die Frage, welche Zellen in welcher Weise als Wirt für das Virus dienen. Mitte der 1970er Jahre waren B-Lymphozyten als Ziel- zellen des BLV identifiziert,90 sie galten bis Anfang der 1990er Jahre als die einzig mögliche Wirtszelle. Danach wurde erkannt, dass T-Zellen, nämlich CD4-Helferzellen und CD8-Suppressionszellen sowie Monozyten und Granulozyten vor allem in Tieren mit persistierender Lymphozytose ebenfalls BLV-Träger sein können. Allerdings sind diese Zellen in weitaus geringerem Ausmaß betroffen als B-Lymphozyten. Die CD5+ und in geringerem Maße CD5- B-Lymphozyten tragen die höchste provirale Last.91 Die Rolle der anderen infizierten Zellen für die Pathogenese ist bisher nicht geklärt.92 1993 wurde das BLV in den Epithelzellen im Euter einer infizierten Kuh nachgewie- sen.93 Offenbar kann das BLV mehr Zellarten infizieren als bis dahin bekannt.

4.2 Morphologie, Expression und Replikation des BLV

Durch die mögliche Züchtung großer Virusmengen seit Mitte der 1970er Jahre94 wa- ren in der Entschlüsselung der Morphologie und Vermehrung des BLV rasche Fort- schritte möglich. Mitte der 1970er Jahre war der B-Lymphozyt als Zielzelle des Virus bekannt. Die Struktur des BLV war in groben Zügen erforscht und verschiedene Pro- teine waren identifiziert worden. Die Rolle der Reversen Transkriptase bei der Um- schreibung der Virus-RNA in DNA und die Tatsache der Integration des Provirus in das Genom des Wirts war im Wesentlichen bekannt. Noch nicht im Einzelnen er-

88 Kettmann et al. 1980, 509.

89 Van der Maaten u. Miller 1978, 29-30.

90 Weiland u. Straub 1975, 100-102.

91 Schwartz et al. 1994, 4589.

92 Meiron et al. 1997, 113.

93 Motton u. Buehring 2003, 2826.

94 Graves u. Ferrer 1976, 4152-4159.

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forscht waren die verschiedenen proviralen Gene und ihre Funktionen.95 Die Schritte nach dem Eindringen des Virus in die Zelle und die Entschlüsselung des proviralen Genoms waren Gegenstand der Experimente der Jahre nach 1975. Ein Überblick zu den Forschungsfortschritten gab Y. Becker auf dem Symposium in Bologna 1982.96 Er wies dabei auch auf zu diesem Zeitpunkt offene Fragen hin, die vor allem die Be- dingungen der Zelltransformation betrafen.

Abb. 5: Aufbau eines bovinen Leukoseviruspartikels ( Gillet et al. 2007, 3).

Wie alle Retroviren ist das BLV 80 bis 120 nm groß und hat eine Dichte von 1,14 bis 1,17 g/cm3. Es ist von einer Lipiddoppelmembran umgeben, in die die Envelope- Glykoproteine gp 30 und gp 51 eingelagert sind. Die knospenartigen Ausstülpungen

95 Burny et al. 1976, 103.

96 Becker 1984, 4-16 (Symposiumbeitrag 1982).

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auf der äußeren Membran dienen dem Andocken an die Wirtszelle, dabei erkennt das Oberflächenprotein gp 51 den speziellen Rezeptor, den der Wirt für das Virus haben muss.97 Bis heute ist über diese Rezeptoren wenig bekannt. Das zentral lie- gende Kapsid (Core) hat einen Durchmesser von ca. 80 nm und wird von 2 Mem- branen umgeben. Das Matrix-Protein p 15 verbindet das Core mit seiner äußeren Hülle, die innere Hülle des Kapsids wird durch das Strukturprotein p 24 geformt. Das Core hat eine hexagonale Form.98 In das Core verpackt sind 2 identische einzel- strangige RNA Moleküle. Sie sind plusstrangorientiert, d.h. sie können nicht direkt als Matrize (messenger RNA) zur Infektion verwendet werden, sondern müssen in doppelstrangige DNA umgeschrieben (transkribiert) werden. Dazu dient das Enzym reverse Transkriptase (RT). Es ist zusammen mit dem Enzym Integrase (IN), das zur Integration der Virus DNA in das Genom der Wirtszelle benötigt wird und dem Kern- protein p 12 im Core verpackt.99

Die komplizierten Vorgänge der Virusvermehrung in der Wirtszelle, die Entlassung neuer Viren in den Körper des Wirtstieres und die weitere Vermehrung dieser Viren sind entscheidende Fragen sowohl für die Übertragung auf andere Individuen als auch für die Manifestation der Krankheit im betroffenen Tier. Vor allem die einzelnen Schritte der Virusausschleusung sind bis heute nicht völlig entschlüsselt

97 Weiland u. Ueberschär 1976, 187-190.

98 Kettmann et al. 1976, 1014-1018.

99 Gillet et al. 2007, 3.

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Abb. 6: Expression und Replikation des Virus ( Alberts et al. 2003, 39).

Wie Abb. 6 zeigt, sind folgende Schritte zum Eindringen des BLV in die Wirtszelle, die Einlagerung in das Genom des Wirts und die Bildung neuer Viren notwendig:100

1. Das BLV bindet sich an einen speziellen Rezeptor der Wirtszelle und verliert beim Eindringen in die Zelle seine Hülle (uncoating). Das Kapsid wird in die Zelle aufgenommen.

2. Nach der Auflösung der Kapsidhülle schreibt das viruseigene Enzym Reverse Transkriptase einen Strang der beiden RNA Kopien des Virusgenoms in eine Einzelstrang-DNA um, so dass ein Hybrid aus je einem RNA- und DNA- Strang entsteht. Durch die Reverse Transkriptase wird in einem zweiten

100 Beschreibung nach Gillet et al. 2007, 1-4.

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Schritt der DNA-Strang zur Doppelhelix ergänzt und die nun überflüssige RNA vernichtet.

3. Diese DNA gelangt mit Hilfe des viralen Enzyms Integrase in den Zellkern der Wirtszelle und wird als Provirus auf zufälligen Regionen des Genoms eingela- gert. Nach der Integration in das Wirtsgenom werden provirale Sequenzen bei jeder Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben, was eine lebenslange Infektion bewirkt.

4. Zur Virusvermehrung werden aus der proviralen DNA durch Spleißen (Schneiden) durch das wirtseigene Enzym Polymerase zahlreiche RNA Ko- pien gebildet und ins Zytoplasma der Wirtszelle entlassen. Kurze Messenger RNA Kopien kodieren durch den Vorgang der Translation die verschiedenen Kapsid- und Envelope-Proteine.

5. Durch das Enzym Protease werden diese Proteine synthetisiert und bilden mit genomischer (ungespleißter) RNA neu zusammengebaute Cores. Diese ent- halten das aus dem Provirus ebenfalls freigesetzte Enzym Reverse Transkrip- tase. Das Kapsid-Protein p 12 initiiert das Packing, das Einhüllen der neuen RNA.

6. Nach Anlagerung des Core an die Zellmembran des Wirts erfolgt das Budding (Knospung) mit der Maturation (Reifung) und schließlich die Ausschleusung neuer Viren, wobei ein Teil der Wirtszellmembran zur Bildung der neuen Vi- rushülle benötigt wird. Die Zelle des Wirts bleibt während dieser Vorgänge in- takt.

7. Die Vermehrung des Virus kann in der beschriebenen Weise erfolgen und/oder durch Mitose der Wirtszelle, wobei das Provirusgenom mit der DNA des Wirts ebenfalls geteilt wird. Die Vermehrung infizierter Zellen durch Mitose ist der bei weitem häufigste Weg der Proliferation.

4.3 Das Genom des BLV

Die einzelnen Sequenzen des BLV Genoms konnten seit Ende der 1970er Jahre nach und nach entschlüsselt werden. Voraussetzung für diese Forschungen war die Entwicklung von Methoden zur DNA-Amplifikation. Etwa gleichzeitig mit diesen Er- kenntnissen zum Virus selbst wurden die Ziele der groß angelegten Übertragungs- experimente, wie sie in Tübingen durchgeführt wurden, erreicht und die Studien fan-

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