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Archiv "Die Ehrfurcht vor dem Leben" (09.01.1975)

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Die Information:

Bericht und. Meinung THEMEN DER ZEIT

Noch nicht zehn Jahre sind ver- gangen, daß Albert Schweitzers bei seinem Tode am 5. September 1965 in aller Welt ehrend gedacht wurde. Der damalige amerikani- sche Präsident Johnson nannte

„seine Botschaft und sein Beispiel"

eine Ermutigung für „alle jene, die sich bemühen, eine Welt des Frie- dens und der Brüderlichkeit aufzu- bauen". Dieses im weltgeschichtli- chen Maßstab kaum verklungene Wort gibt uns zugleich die Antwort auf die vielleicht von manchem gestellte Frage, ob in unserer schnellebigen Zeit Albert Schweit- zer uns heute noch etwas zu sagen hat. In der Tat: Schweitzers Appell ist gerade heute von größter Ak- tualität.

Gewiß ist sein Lebenslauf beispiel- haft. Als Ärzte erinnern wir uns gern daran, daß Schweitzer — als evangelischer Theologe und Philo- soph schon zu akademischen Eh- ren gelangt, als Orgelspieler und Bachforscher künstlerisch und wis- senschaftlich bereits weit bekannt

— das bei seinen vielseitigen Ver- pflichtungen beschwerliche Medi- zinstudium auf sich nahm, um als Arzt die eigentliche Form seiner Verwirklichung zu finden. Der un- gewöhnliche Entschluß aber, ganz aus eigener Initiative, fast gegen den Willen der zuständigen Missi- onsgesellschaft, als „Urwald-Dok- tor" mitten im tropischen Afrika das damals unermeßliche Leid der dortigen Bevölkerung zu lindern, führt an die eigentlichen Quellen seines Wesens. Von hier aus ist sein Vermächtnis zu begreifen, das es erst noch zu erfüllen gilt, wenn die Menschheit überleben will.

Schon früh wurde er von dem vie- len Leiden, das der in harmoni- scher Umgebung aufgewachsene

Pfarrerssohn rings um sich sah, er- griffen und zu tätiger Hilfe ange- regt. Begabt mit kritischem, konse- quentem und ungekünsteltem Den-

„Überhaupt, was ist das, was in dieser grausigen Zeit vor sich geht, anderes als eine gigantische Wiederholung des Faust-Dramas auf der Bühne der Welt? In tausend Flammen brennt die Hütte von Philemon und Baucis! In tausendfacher Gewalttätig- keit und tausendfachem Mor- den treibt entmenschte Ge- sinnung ihr frevelhaftes Spiel! In tausend Fratzen grinst uns Mephistopheles an! In tausendfacher Weise hat sich die Menschheit dazu bringen lassen, das natürli- che Verhältnis zur Wirklich- keit aufzugeben und ihr Heil in den Zauberformeln irgend- einer Wirtschafts- und Sozial- magie zu suchen, die die Möglichkeit, aus dem wirt- schaftlichen und sozialen Elend herauszukommen, nur immer in weitere Ferne rückt! Und der grausige Sinn dieser Zauberformeln, wel- cher Art von Wirtschafts- und Sozialmagie sie auch ange- hören, ist immer eben dieser, daß der einzelne sein mate- rielles und geistiges Eigen- dasein aufzugeben und nur noch als ein Angehöriger ei- ner materiell und geistig rest- los über ihn verfügenden Vielheit zu existieren habe.”

Aus einer Goethe-Gedenkrede Albert Schweitzers,

gehalten 1932 (!) in Frankfurt am Main

In wenigen Tagen, am 14. Ja- nuar 1975, jährt sich der Ge burtstag Albert Schweitzers zum hundertsten Male. Dern.

Gedenken an diesen Theolo- - gen, Arzt und Philosophen, der 1952 den Friedensnobel-

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erhielt und im selben Jahr auf dem 55. Deutschen Ärztetag in Berlin mit der Pa- racelsus-Medaille der deut- schen Ärzteschaft ausgezeich- net wurde, ist der nebenste- hende Beitrag gewidmet.

ken, suchte er später systematisch die Hintergründe menschlicher Un- zulänglichkeiten zu erfassen. Scho- nungslos deckte er den Verfall un- serer Kultur auf. Viele der Passa- gen in seinen Schriften klingen so gegenwartsnah, als seien sie heute geschrieben.

Sein aus dem Erkennen erwachse- ner Pessimismus führte ihn aber nicht zur Resignation; vielmehr setzte er dem niederschmetternden Ergebnis des Erkennens als Ge- genprinzip die Kraft des Willens zum Leben entgegen. In der Stille des Urwalds schuf er seine Ethik von der „Ehrfurcht vor dem Le- ben". „Ich bin Leben, das Leben will, inmitten von Leben, das Leben will".

In diesem wohl für jeden verständ- lichen und einleuchtenden Satz liegt Schweitzers sittlich-philosophische Auffassung beschlossen. Das aus der Erfahrung abgeleitete und fol- gerichtigem Denken entsprungene Grundprinzip des Sittlichen liegt also darin, daß wir allem Leben um uns die gleiche Ehrfurcht entge- genbringen wie dem eigenen. „Gut ist, Leben zu erhalten und Leben zu fördern, böse ist, Leben zu ver- nichten und Leben zu hemmen".

In bewußter Abkehr von erkennt- nistheoretischen und metaphysi- schen Spekulationen erhebt,er die Ethik zum eigentlichen Anliegen der Philosophie und zur Richt- schnur menschlichen Handelns.

Die Ehrfurcht vor dem Leben

Zum 100. Geburtstag von Albert Schweitzer am 14. Januar 1975

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Heft 2 vom 9. Januar

1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

Schweitzers Ethik enthält keine normierten, keine kodifizierbaren Verhaltensanweisungen. Vielmehr bedarf es in jedem Falle erneuter, an seinem ethischen Grundsatz ausgerichteter persönlicher Ent- scheidungen. Diese können aber der Tatsache, dem großen „Ge- heimnis" des Lebens, nicht entge- hen, daß Leben nur unter Vernich- tung von anderem Leben bestehen kann. Ist der Mensch „von der Ethik von der Ehrfurcht vor dem Leben berührt, so schädigt und vernichtet er Leben nur aus Not- wendigkeit, der er nicht entrinnen kann, niemals aus Gedankenlosig- keit."

In seiner Bewertung des Lebens macht Schweitzer keinen grund- sätzlichen Unterschied zwischen menschlichem, tierischem und pflanzlichem Leben. Seine Ethik kennt keine rationalisierenden, ei- gensüchtige Aggressionen verber- genden Winkelzüge, etwa nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mit- tel". „Tatsächlich läßt sich alles, was in der gewöhnlichen ethischen Bewertung des Verhaltens der Menschen zueinander als gut gilt, zurückführen auf materielle und geistige Erhaltung oder Förderung von Menschenleben und auf das Bestreben, es auf seinen höchsten Wert zu bringen." — So ist der all- gemeine Grundsatz der Ethik von der Ehrfurcht vor dem Leben das verbindende und richtungweisen- de Glied in der Vielfalt ethischer Forderungen. Schweitzer ordnet, vertieft und erweitert die geltenden Anschauungen von Gut und Böse.

Bedarf es noch einer Frage, warum heute die Fundierung einer allge- meinverbindlichen Ethik von bren- nendster Aktualität ist? In einer Zeit, da im wissenschaftlichen Denken, selbst in den Fächern, die sich mit dem Menschen selbst be- fassen, von Ethik oder von ethi- schen Strebungen kaum die Rede ist? Für menschliche „Interaktio- nen" sucht man nach psychologi- schen, psychodynamischen und soziologischen Rezepten. Man spricht von Triebbefriedigung, Ag- gressionen, Herrschaftsansprüchen

und dergleichen. Blicken wir um- her: Überall sind die großen „Ma- cher" am Werk, Wissenschaft und Technik perfektionieren sich immer mehr, Geltungssucht und Macht- besessenheit erweisen sich weithin als die Triebfedern menschlichen Handelns. Der politische Horizont ist überall verdüstert, und offen wird schon von einem dritten Weltkrieg und dem möglichen Ein- satz von Nuklearwaffen gespro- chen, die bisher ein „Gleichge- wicht des Schreckens" zu gewähr- leisten schienen. Für die drohen- den Gefahren der Menschheit — Umweltverseuchung, Bevölke- rungsexplosion — findet niemand einen Ausweg. Wissenschaftliche Hybris läßt durchgreifende Manipu- lationen an der menschlichen Erb- substanz nicht mehr als unmöglich erscheinen.

„Eine neue Renaissance muß kom- men", sagte Albert Schweitzer, „in -der die Menschheit entdeckt, daß

das Ethische die höchste Wahrheit und die höchste Zweckmäßigkeit ist". Dr. med. Friedrich Braasch

Aus aller Welt

WHO

Freiwillige Hilfen

Die Weltgesundheitsorganisation hat in einem Flugblatt mitgeteilt, daß der im Mai 1960 gegründete freiwillige Fonds der WHO für die Förderung der Gesundheit bis Mit- te 1974 Spenden von insgesamt 76 Millionen Dollar erhalten hat. Die- ser Fonds dient dazu, bestimmte festumrissene Aufgaben zu finan- zieren, für die einerseits die Haus- h?ltsmittel der Weltgesundheitsor- ganisation nicht ausreichen oder nicht vorgesehen sind, wo aber an- dererseits durch den Mitteleinsatz besondere Effekte auch in Selbst- hilfe erzielbar sind.

In dem Flugblatt, in dem die Welt- gesundheitsorganisation für neue Beiträge für den Fonds wirbt, sind

die elf verschiedenen Konten ange- geben, unter denen Spender bei der Zweckbestimmung ihrer Beiträ- ge wählen können. Die Liste be- ginnt mit einem Allgemeinkonto für Spenden, die nicht besonders ge- kennzeichnet sind. Dann folgen Konten für medizinische

For- schung,

für die Förderung der Trinkwasserversorgung, für die Hil- fe an die am weitesten Zurückge- bliebenen unter den Entwicklungs- ländern, für die Ausrottung der Pocken, für die Bekämpfung der Lepra, für die Bekämpfung der Frambösie, der Malaria, der Chole- ra, für ein Programm für die Wei- terentwicklung des Impfwesens — und schließlich gibt es noch ein Konto für diejenigen Spenden, die besondere Verwendungsvermerke des Spenders tragen.

Eins der Spendenkonten entstand aus einer Einzelaktion: Im Jahre 1964 sammelten kanadische Stu- denten Geld für die Bekämpfung der Frambösie. Daraus entstand eine Organisation „Students' War Against Yaws" (SWAY), die seit- dem Mittel für dieses Vorhaben be- schafft. Nach Mitteilung der Welt- gesundheitsorganisation sind von Beauftragten der WHO seit 1949 mehr als 160 Millionen Menschen auf die Frambösie untersucht und etwa 50 Millionen mit Depot-Peni- cillin behandelt worden. bt

VEREINIGTE STAATEN

Kinderärzte gegen privates Feuerwerk

Die amerikanische Akademie der Kinderärzte hat gesetzliche Maß- nahmen gefordert, durch die das private Abbrennen von Feuer- werkskörpern verboten werden soll. Durch solche Feuerwerkskör- per würden alljährlich Tausende von Kindern verletzt. Vor der Ver- braucherschutzbehörde der USA erklärte die Kinderärzte-Akademie, daß es Möglichkeiten, Feuerwerks- körper sicherer zu machen, nicht gebe und deshalb nur ein totales Verbot denkbar sei. bt

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 2 vom 9.Januar 1975

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Referenzen

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