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Die Riemannsche Vermutung

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Elem. Math. 57 (2002) 90 – 95

0013-6018/02/030090-6 Elemente der Mathematik

Die Riemannsche Vermutung

Ju¨rg Kramer 1 Einfu¨ hrung

In dem hier vorzustellenden Millenniumsproblem handelt es sich um eine zahlentheoreti- sche Fragestellung aus dem 19. Jahrhundert, die seit ein paar Jahren auch u¨berraschende Zusammenha¨nge zu anderen Gebieten der Mathematik und der theoretischen Physik er- kennen la¨sst. Die Problemstellung hat ihren Ursprung bei der Frage nach der Dichte der Primzahlen im Bereich der natu¨rlichen Zahlen. Um den Leser in den Problemkreis ein- zufu¨hren, wollen wir einfach beginnen. Wir bezeichnen mitNdie Menge der natu¨rlichen Zahlen, d.h.

N={0,1,2,3, . . .}.

MitPbezeichnen wir die Menge der Primzahlen, d.h. die Menge aller natu¨rlichen Zahlen gro¨sser als Eins, die nur durch sich selbst und durch Eins teilbar sind, also

P={2,3,5,7,11,13, . . . ,229, . . .}.

Wir erinnern nun an zwei Tatsachen, die vermutlich den meisten Lesern wohl bekannt sind.

Das erste ist die Tatsache, dass jede positive natu¨rliche Zahlnsich bis auf die Reihenfolge eindeutig als Produkt von Primzahlpotenzen darstellen la¨sst, d.h. es gibt Primzahlen p1, . . . ,pr und natu¨rliche Zahlenα1, . . . , αr derart, dass die Gleichheit

n=pα11·. . .·pαrr

besteht. Dies ist der Inhalt des sogenanntenFundamentalsatzes der Zahlentheorie, der mit anderen Worten besagt, dass die Primzahlen die multiplikativen Bausteine der natu¨rlichen Zahlen sind.

Als zweites erinnern wir an denSatz von Euklid, dass es na¨mlich unendlich viele Prim- zahlen gibt. Dies sieht man leicht wie folgt ein: Man nimmt im Gegenteil zur Behaup- tung an, dass es nur endlich viele Primzahlenp1, . . . ,pNgibt. Damit bildet man die (sehr grosse) Zahl

m=p1·. . .·pN+1.

Nun besitzt die natu¨rliche Zahlmeinerseits mindestens einen Primteilerq. Da die Zahl mandererseits bei Division durch jede der Primzahlenp1, . . . ,pN den Rest 1 la¨sst, muss

(2)

q=pj (j=1, . . . ,N) gelten. Dies ist ein Widerspruch zu unserer Annahme und beweist somit die Unendlichkeit der Anzahl der Primzahlen.

Nach dem Satz von Euklid gibt es also beliebig grosse Primzahlen. Dieser Umstand spielt heute in der Kryptographie eine wichtige Rolle. Die gegenwa¨rtig gro¨sste bekannte Primzahl der Formp=2n1, eine sogenannteMersennesche Primzahl, lautet

p=213 466 9171 ;

sie hat mehr als 4 Mio. Stellen (siehe [10]). Wu¨rde man alle Stellen ausdrucken, so wa¨ren bei der hier gewa¨hlten Schriftgro¨sse mehr als 1000 A4-Seiten notwendig.

2 Die Riemannsche Zetafunktion

Fu¨r reelles oder allgemeiner komplexess=σ+itbetrachten wir die Reihe

n=1

1

ns =1+ 1 2s + 1

3s + 1 4s + 1

5s +. . . (1)

Fu¨rt=0 undσ >1 erkennen wir die aus den Grundvorlesungen der Analysis wohlbe- kannte konvergente Reihe, die oft als Majorante herangezogen wird; fu¨rt=0 undσ=1 erhalten wir die harmonische Reihe, welche bekanntlich divergiert, allerdings sehr lang- sam. Betrachtet man nun die Reihe (1) als Funktion vons, so la¨sst sich das folgende dazu festhalten: Die Reihe (1) konvergiert fu¨r Res=σ >1 absolut und lokal gleichma¨ssig und definiert dort eine holomorphe Funktion, dieRiemannsche Zetafunktionζ(s).

Fig. 1 Bernhard Riemann Fig. 2 Leonhard Euler

Mit Hilfe der Poissonschen Summationsformel beweist man weiter die Funktionalglei- chung

π−s/2Γ(s/2)ζ(s) =π(1−s)/2Γ((1−s)/2)ζ(1−s); (2) hierbei ist Γ(s) die Eulersche Gammafunktion. Mit der Funktionalgleichung (2) zeigt man, dass sich ζ(s) zu einer meromorphen Funktion auf die gesamte komplexe Ebene C mit einem Pol erster Ordnung an der Stelles =1 mit Residuum 1 fortsetzen la¨sst.

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Diese und weitere grundlegende Eigenschaften der Riemannschen Zetafunktion werden z.B. in den Lehrbu¨chern [2] oder [6] dargestellt.

Die hervorragende Bedeutung der Riemannschen Zetafunktion fu¨r die Arithmetik wird durch die beiden folgenden Resultate, die bereits durch L. Euler (1707–1783) entdeckt wurden, deutlich:

(i) Die Riemannsche Zetafunktion besitzt fu¨r Res>1 die sogenannteEulersche Pro- duktentwicklung, d.h.

ζ(s) =

p∈P

(1−p−s)−1.

Die Gu¨ltigkeit dieser Produktentwicklung sieht man unmittelbar ein, indem man den Term(1−p−s)−1 durch die geometrische Reihe

m=0p−ms ersetzt und dann sukzessive das Produkt u¨ber alle Primzahlen bildet. Dabei erkennt man, dass das Bestehen der Eulerschen Produktentwicklung fu¨r ζ(s) gleichbedeutend zum Fun- damentalsatz der Arithmetik ist.

(ii) Als zweites erkennt man, dass der Satz von Euklid u¨ber die Unendlichkeit der Menge der Primzahlen a¨quivalent zur Tatsache ist, dass ζ(s) an der Stelle s=1 einen Pol hat. Mit Hilfe der Eulerschen Produktentwicklung ergibt sich na¨mlich fu¨r s↓1

lims↓1ζ(s) =∞, d.h. das unendliche Produkt

p∈P

1 1−p1

divergiert, was die Unendlichkeit der MengePzur Folge hat.

3 Die Primzahlfunktion

Da es also unendlich viele Primzahlen gibt, kann man versuchen, deren Dichte in der Menge der natu¨rlichen Zahlen zu ermitteln. Dazu bezeichnen wir fu¨r positives, reellesx mitπ(x)die Anzahl der Primzahlen, die kleiner oder gleichxsind, d.h.

π(x) =#{p∈P|p≤x}.

Dies definiert eine reellwertige Funktion, die sogenannte Primzahlfunktion. Fu¨r kleine Werte von x erkennen wir π(x) als Treppenfunktion (siehe Fig. 3); fu¨r grosse Werte von xtritt der Treppenfunktionscharakter von π(x)in den Hintergrund, und es scheint sich asymptotisch eine glatte Funktion zu zeigen (siehe Fig. 4). Dieses Pha¨nomen ist im wesentlichen der Inhalt desPrimzahlsatzes, der besagt, dass fu¨rx→ ∞die Asymptotik

π(x)∼ x

logx besteht, welche mit Hilfe des Integrallogarithmus

Li(x) =

2

dt logt

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noch verbessert werden kann zu

π(x)∼Li(x)

(siehe Fig. 3, 4). Dieser Satz wurde bereits von C.F. Gauß (1777–1855) vermutet, aber erst im Jahr 1896 durch J. Hadamard (1865–1963) und C. de la Valle´e Poussin (1866–

1962) vollsta¨ndig bewiesen.

Fig. 3 Primzahlfunktionπ(x) Fig. 4 Primzahlfunktionπ(x)

Im Jahr 1949 fanden A. Selberg und P. Erdo¨s (1913–1996) einen elementaren Beweis des Primzahlsatzes, der weder die Riemannsche Zetafunktion noch die Funktionentheo- rie verwendet (siehe [2], Chapter I). Vor kurzem, im Jahr 1997, hat D. Zagier basierend auf einer Idee von D.J. Newman einen sehr kurzen Beweis des Primzahlsatzes gege- ben, der neben einigen sehr elementaren arithmetischen Tatsachen nur den Cauchyschen Integralsatz heranzieht (siehe [9]).

Nach dem Primzahlsatz besteht also fu¨r die Primzahlverteilung die Formel π(x) =Li(x) +R(x)

mit einem RestgliedR(x), welches R(x) Li(x)x→∞−→0

erfu¨llt. Nunmehr ist es natu¨rlich von Interesse, das RestgliedR(x)in den Griff zu be- kommen. Dies fu¨hrt uns endlich zu dem in diesem Beitrag vorzustellenden Millenniums- problem.

Riemannsche Vermutung: Diese Vermutung besagt, dass das RestgliedR(x)fu¨r x→ ∞ von der Gro¨ssenordnung

R(x) =O(√ xlogx) ist.

Bis heute ist man noch weit davon entfernt, diese Vermutung beweisen zu ko¨nnen. Noch immer ist E. Littlewoods (1885–1977) Abscha¨tzung aus dem Jahre 1922 im wesentlichen unu¨bertroffen. Seine Abscha¨tzung fu¨r das RestgliedR(x)lautet

R(x) =O

x·e−C

logxlog logx

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mit einer positiven KonstantenC(siehe [2], Chapter III). Mit Hilfe der sogenannten „Ex- pliziten Formeln“ der analytischen Zahlentheorie la¨sst sich die Riemannsche Vermutung als Vermutung u¨ber die Lage der Nullstellen von ζ(s) umformulieren. In dieser Form hat B. Riemann (1826–1866) seine Vermutung urspru¨nglich festgehalten.

A¨ quivalente Formulierung der Riemannschen Vermutung: Abgesehen von den soge- nannten „trivialen“ Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion bei s = 2,4,6,

8, . . .befinden sich sa¨mtliche weiteren Nullstellen vonζ(s)auf derkritischen Geraden {s∈C|Res=1/2}.

Man findet die Original-Formulierung von Riemanns Vermutung in seinem Beitrag

„Ueber die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Gro¨sse“ in den Monatsberich- ten der Berliner Akademie vom November 1859 (siehe [8], p. 180). Nach Einfu¨hrung der Funktion

ξ(t) =π−s(t)/2Γ(s(t)/2)(s(t)1)ζ(s(t))

mits(t) =1/2+itbemerkt Riemann dort: „Man findet nun in der That etwa soviele reelle Wurzeln innerhalb dieser Grenzen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass alle Wurzeln reell sind.“

4 Beweisansa¨tze

4.1 Klassische Ergebnisse.Zuna¨chst weist man mit verha¨ltnisma¨ssig elementaren Mit- teln nach, dass die nicht-trivialen Nullstellen von ζ(s) imkritischen Streifen {s C | 0Res≤1}liegen. Bezeichnet nunN(T)die Anzahl der Nullstellens=σ+it im kritischen Streifen mit 0≤t≤T, so war bereits Riemann die Asymptotik

N(T)∼ T 2πlog

T

(T→ ∞)

bekannt, welche ihn zu seiner Vermutung fu¨hrte, da er experimentell in etwa ebenso viele Nullstellen auf der kritischen Geraden fand. Einen wichtigen Beitrag zur Eingrenzung der Nullstellen innerhalb des kritischen Streifens gelang E. Littlewood im Jahr 1922;

allerdings ist man damit noch weit von einem Beweis der Riemannschen Vermutung entfernt. In den Folgejahren wurden im Zuge der Verbesserung der Computertechnik vermehrt numerische Experimente zur Verifikation der Riemannschen Vermutung durch- gefu¨hrt. In diesem Zusammenhang sind die eindru¨cklichen Ergebnisse von A. Odlyzko zu erwa¨hnen, der gegenwa¨rtig in der Gro¨ssenordnung von 1022Nullstellen der Zetafunktion auf der kritischen Geraden berechnet hat (siehe [7]).

4.2 A¨ ltere und neuere Bezu¨ge.Die Riemannsche Vermutung hat E. Artin (1898–1962) und A. Weil (1906–1998) zu analogen Vermutungen zur Kongruenzzetafunktion alge- braischer Varieta¨ten u¨ber endlichen Ko¨rpern veranlasst. Beginnend mit den Resultaten von H. Hasse (1898–1979) in den 30er Jahren wurden diese Vermutungen in den 70er Jahren durch P. Deligne vollsta¨ndig bewiesen, was als Evidenz fu¨r die Gu¨ltigkeit der Riemannschen Vermutung gewertet werden kann.

Die neuesten Entwicklungen zielen darauf ab, die Nullstellen vonζ(s)bzw.ξ(t)als Ei- genwerte eines unendlich dimensionalen Operators zu deuten, um dann die Riemannsche

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Vermutung mit Hilfe geeigneter kohomologischer Methoden (wie im Fall der Kongru- enzzetafunktion) zu beweisen; diese Idee geht bereits auf D. Hilbert (1862–1943) zuru¨ck (siehe [4]). Eine weitere, u¨berraschende Entdeckung von C. Deninger bringt die be- reits erwa¨hnten „Expliziten Formeln“ mit der Theorie gewisser dynamischer Systeme in Zusammenhang (siehe [5]). Schliesslich verweisen wir auf die ebenso u¨berraschen- den Verbindungen zur Physik, genauer zu chaotischen, quantenmechanischen Sytemen (siehe [3]).

Literatur

[1] Bombieri, E.: Problems of the Millennium: The Riemann Hypothesis. pdf-file unter http://www.claymath.org/prizeproblems/riemann.htm

[2] Chandrasekharan, K.:Arithmetical functions. Grundlehren der math. Wiss. 167. Springer-Verlag. Berlin, Heidelberg, New York 1970.

[3] Cipra, B.:A prime case of chaos. In: What’s happening in the mathematical sciences. Vol. 4, AMS, 1999.

[4] Connes, A.: Trace formula in noncommutative geometry and the zeros of the Riemann zeta function.

Selecta Math.5 (1999), 29–106.

[5] Deninger, C.:Some analogies between number theory and dynamical systems on foliated spaces. Proc.

Int. Congr. Math., vol. I, 163–186. Berlin 1998.

[6] Edwards, H.M.:Riemann’s zeta function. Academic Press. New York, London 1974.

[7] Odlyzko, A.: Tables of zeros of the Riemann zeta function.

http://www.dtc.umn.edu/˜odlyzko/zeta tables/index.html

[8] Riemann, B.:Gesammelte mathematische Werke, wissenschaftlicher Nachlass und Nachtra¨ge, Collected Papers. Springer-Verlag/B.G. Teubner Verlagsgesellschaft. Berlin, Heidelberg/Leipzig 1990.

[9] Zagier, D.: Newman’s short proof of the prime number theorem.Am. Math. Mon.104 (1997), 705–708.

[10] http://www.mersenne.org/prime.htm

Ju¨rg Kramer

Institut fu¨r Mathematik

Humboldt-Universita¨t zu Berlin D–10099 Berlin

e-mail:kramer@mathematik.hu-berlin.de

Referenzen

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