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Archiv "Rentenpolitik in der Schieflage: Im Ostenhohe Defizite - Im Westen hohe Überschüsse" (01.11.1990)

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AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

ie Rentenversicherung West erzielt hohe Überschüsse; sie kann ihre Rücklage in diesem Jahr um mehr als sieben Milliarden DM auf rund 33,5 Milliarden DM und im nächsten Jahr voraussichtlich so- gar auf mehr als 40 Milliarden DM aufstocken. Damit sind die Renten- ausgaben von 2,5 bis zu drei Monaten zu decken. Dagegen steckt die Ren- tenversicherung Ost tief in den roten Zahlen; das Defizit für das zweite Halbjahr 1990 wird auf gut fünf Milli- arden DM geschätzt. Der Bund hat es direkt oder indirekt (über den Staats- haushalt der ehemaligen DDR) aus- zugleichen. Ursprünglich glaubte man in Bonn mit einer Anschubfinanzie- rung von 750 Millionen DM und rück- zahlbaren Betriebsmittelkrediten bis zu zwei Milliarden DM auszukom- men. Einen finanziellen Verbund zwi- schen den Rentensystemen West und Ost gibt es nicht; der Einigungsvertrag schließt den Rückgriff auf die Bei- tragseinnahmen der westdeutschen Rentenversicherung aus. Dennoch hat die Bundesregierung zum 1. Janu- ar eine Rentenerhöhung um 15 Pro- zent angekündigt, die fast vier Milliar- den DM kostet.

Rentenerhöhung vor den Wahlen

Die Renten seien sicher, sagen die Sozialpolitiker. Der Staat garan- tiere die Renten, fügte dieser Ta- ge Bundesarbeitsminister Norbert Blüm hinzu. Tatsächlich muß man aber die Sorge haben, daß sich die Sozialpolitik wieder einmal vor einer Bundestagswahl finanziell über- nimmt. So hat Blüm mit der Rücken- deckung des Kanzlers gegen die Be- denken von Bundesfinanzminister Theo Waigel die Rentenerhöhung durchgesetzt und diese drei Tage vor den Landtagswahlen in der bisheri- gen DDR in Ostberlin verkündet. Er hat dabei sogar das Kunststück fertig- gebracht, die SPD politisch auszu- tricksen. Die Opposition hatte näm- lich nur wenige Tage zuvor im Bun- destag den Antrag eingebracht, die Renten zum 1. Dezember um zehn Prozent zu verbessern. Blüm bietet also mehr. Der SPD blieb nichts an- deres übrig, als Blüms Initiative zu

begrüßen. Kritisch wurde nur ange- merkt, daß der Sozialzuschlag, mit dem Kleinrenten auf 495 DM erhöht werden, nicht aufgestockt wird.

Blüm, daran ist nicht zu zwei- feln, bewegt sich auf der von den bei- den Staatsverträgen vorgezeichneten Linie. Darin ist festgelegt worden, daß die Rente in den neuen Bundes- ländern 70 Prozent der jeweiligen durchschnittlichen Nettoverdienste in diesem Gebiet betragen soll. Das entspricht dem Niveau in der bishe- rigen Bundesrepublik. Da die Löhne im östlichen Deutschland aber we- sentlich niedriger sind als im westli- chen Deutschland, so sind auch die Renten in absoluten Beträgen erheb- lich niedriger. Nach 45 Arbeitsjahren erhält der Rentner in der bisherigen DDR seit dem 1. Juli eine Rente von 672 DM. Im Westen liegt die Ren- te eines Versicherten, der jeweils durchschnittlich verdient hat, nach 45 Versicherungsjahren bei etwa 1670 DM.

Der Abstand zwischen den Ren- ten in Ost und West ist also noch groß, obwohl die Renten zur Jahres- mitte eins zu eins auf Deutsche Mark umgestellt und um fast 30 Prozent erhöht worden waren. Die Kaufkraft der Renten hat mit der Einführung der Sozialunion erheblich zugenom- men, zumal es im östlichen Teil Deutschlands entgegen vieler Be- hauptungen keine allgemeine Preis- welle gegeben hat. Die Lebenshal- tungskosten der Rentner sind sogar eher gesunken. Wenn sich der Le- bensstandard in den beiden Teilen Deutschlands jedoch einander anglei- chen soll, so müssen nicht nur die Löh- ne, sondern auch die Renten in der bisherigen DDR schneller steigen als im Westen. Gegen diese Regelung ist nichts einzuwenden: sie entspricht der Logik des Rentensystems.

Im Einigungsvertrag wird jedoch kein Termin für die Rentenanpas- sung genannt. In der Bundesrepublik werden die Renten jeweils zur Jah- resmitte der Lohnentwicklung des Vorjahres angepaßt. Dies soll erst von 1992 an auch im östlichen Teil gelten. Die Bundesregierung kann daher in diesem und im nächsten Jahr den Termin der Rentenerhö- hung auf dem Verordnungsweg frei bestimmen; sie bleibt dabei aller- dings an die Lohnentwicklung ge- bunden.

Sozialbeiträge erreichen nicht die „Sollzahlen"

Die Bundesregierung beruft sich darauf, daß die Löhne seit Juli in der bisherigen DDR kräftig angehoben worden seien, und zwar um minde- stens 15 Prozent. Genaue Zahlen lie- gen aber noch nicht vor, nur Schät- zungen. In den Beitragseinnahmen der Sozialversicherung schlägt sich das allerdings noch nicht nieder.

Von Monat zu Monat sind die Bei- tragseinnahmen zwar gestiegen; sie erreichen aber bei weitem noch nicht einmal die Sollzahlen, die auf der Grundlage vorsichtiger Annahmen über die Einkommensentwicklung festgelegt worden waren. Im Sep- tember hätten auf der Basis des Grundlohns etwa 1,8 Milliarden DM an Rentenbeiträgen eingehen müs- sen; tatsächlich sind nur 1,4 Milliar- den DM eingegangen. Die Bundes- regierung erhöht also die Renten, obwohl die Lohnentwicklung, auf die man sich beruft, nur vage geschätzt werden kann. Da wäre es wohl bes- ser gewesen, auf zuverlässige Daten und die Normalisierung des Bei- tragseingangs zu warten.

Rentenpolitik in der Schieflage

Im Osten Im Westen

hohe Defizite hohe Überschüsse

Dt. Ärztebl. 87, Heft 44, 1. November 1990 (19) A-3391

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Über die Finanzierung der Ren- tenerhöhung werden weder von der Regierung noch von der SPD nähere Angaben gemacht. Man spekuliert darauf, daß mit steigenden Löhnen auch die Beitragseinnahmen steigen werden. Dabei setzt Blüm darauf, daß auch 1991 die Löhne und Gehäl- ter im östlichen Teil Deutschlands weiter steigen werden. Dies geht schon daraus hervor, daß er zur Jah- resmitte 1991 eine weitere Anpas- sung der Renten-Ost ankündigt. Zu diesem Termin werden die Renten- West um etwa 5,1 Prozent erhöht.

Sozialhilfe muß

erst aufgebaut werden

Umstritten bleibt, wie beim Sozi- alzuschlag zu verfahren ist. Nach dem Einigungsvertrag soll dieser Zu- schlag, durch den Kleinrenten auf 495 DM erhöht werden, nicht in die Rentendynamisierung einbezogen werden. Dies hat die Bundesregie- rung gegen die frühere DDR-Regie- rung und die Forderungen der SPD durchgesetzt. Nach geltendem Recht wird bei einer Rentenerhöhung der Sozialzuschlag entsprechend ge- kürzt. Der Mindestbetrag, den Rent- ner erhalten, ist also mit dem Eini- gungsvertrag festgeschrieben wor- den.

Blüm will damit verhindern, daß auf dem Umweg über die frühere DDR auch in der Bundesrepublik ei- ne Art Mindestrente eingeführt und das leistungsbezogene System ausge- höhlt wird. Blüm verweist auf die So- zialhilfe, zumal die Bezieher kleiner Renten keineswegs generell als be- dürftig einzustufen sind. Neben der Rente kann es im Familienverbund auch andere Einkommen und Ver- sorgungsleistungen geben. Die Argu- mente von Blüm sind zwar richtig;

den Betroffenen sind sie freilich kaum verständlich zu machen. Hinzu kommt, daß in den Kommunen der neuen Länder die Sozialhilfe erst aufgebaut und finanziell gesichert werden muß. Die Koalition wird Mü- he haben, ihre Position durchzuhal- ten und zu erklären. Das Thema läßt sich emotional aufladen. Die SPD versucht dies.

Die auf den Wahltermin gezielte Rentenerhöhung beweist, daß die Politiker die finanziellen und ökono- mischen Risiken ihrer Entscheidung geringer achten als den möglichen politischen Gewinn. Das könnte sich im nächsten Jahr als ein Fehler er- weisen. In den neuen Ländern wird die Arbeitslosigkeit weiter zuneh- men. Neue Lohnerhöhungen müß- ten mit zusätzlicher Arbeitslosigkeit bezahlt werden. Die wirtschaftswis- senschaftlichen Institute rechnen mit einem Anstieg der Zahl der Arbeits- losen im Jahresdurchschnitt 1991 auf 1,4 Millionen und der Kurzarbeiter auf fast 1,8 Millionen. Dies hätte zur Konsequenz, daß bei der Bundesan- stalt für Arbeit ein Defizit von annä- hernd 30 Milliarden DM entstünde.

Der Bund hätte dafür einzustehen.

Aber es wäre nicht vertretbar, stän- dig steigende soziale Transferzah- lungen mit Krediten zu finanzieren.

Bei wachsender Unterbeschäfti- gung verringern sich die Beitragsein- nahmen der Rentenversicherung.

Auch werden immer mehr Versi- cherte versuchen, in den Vorruhe- stand zu wechseln, was wiederum viel Geld kostet. Niemand kann heu- te voraussagen, ob vom nächsten Jahr an tatsächlich die Beiträge ent- sprechend der Grundlohnsumme fließen. Anfang des nächsten Jahres geht die Verantwortung für den Bei- tragseinzug von den Finanzämtern auf die Krankenkassen über. Diese Umstellungsphase ist sicherlich mit zusätzlichen Risiken belastet. Blüm setzt auf steigende Löhne. Die Wirt- schaftswissenschaftler warnen davor, weil schon die letzten Lohnerhöhun- gen nicht von der Produktivität ge- deckt waren.

Finanzpolitischer Kraftakt nötig

Je höher die Anforderungen der Sozialpolitik an den Bundeshaushalt werden, um so geringer werden die Mittel, die für Investitionen in den neuen Ländern bereitstehen, und um so mehr ist zu befürchten, daß doch die Steuern erhöht werden müssen. Die Sozialpolitik trägt dazu bei, den Bund in eine finanzpoliti-

sche Schieflage zu bringen. Die Bun- desländer haben mit dieser Politik an- gefangen. Der Bund wird früher oder später mit einem großen politischen Kraftakt das finanzielle Gleichge- wicht zwischen den Gebietskörper- schaften und der Sozialversicherung wiederherstellen müssen.

Die Rentenversicherung West könnte dann zum Beispiel dazu ver- pflichtet werden, ihren „Wande- rungsgewinn" entweder an den Bund oder die Rentenversicherung Ost zu zahlen. Dieser ergibt sich daraus, daß viele ehemalige DDR-Bürger heute im Westen arbeiten und Bei- träge entrichten. Auch profitiert die Rentenversicherung West davon, daß der Wachstumsschub durch die Vereinigung hier die Rentenkassen füllt. Zudem ist längerfristig die Ver- einigung für das westliche Rentensy- stem von Vorteil, weil die Alters- struktur im östlichen Deutschland etwas günstiger ist.

Für den Bürger schwer verständlich

Das System der Finanzoperatio- nen zwischen dem Bund und der So- zialversicherung ist den Bürgern kaum noch verständlich zu machen.

Der Bund hat die Defizite der Sozi- alversicherung Ost zu decken und gleichzeitig der Rentenversicherung West höhere Zuschüsse zu zahlen.

Um seine Verpflichtungen erfüllen zu können, nimmt er hochverzinsli- che Milliardenkredite am Kapital- markt auf. Die Rentenversicherung West, die ihre Rücklagen weiter auf- bauen kann, legt einen Teil des Gel- des, das sie vom Bund erhält, so- gleich wieder am Kapitalmarkt an und kassiert hohe Zinsen dafür.

Die vorgezogene Rentenerhö- hung vergrößert die finanziellen, ökonomischen und sozialen Risiken des Einigungsprozesses. Es wäre bes- ser gewesen, mehr für die Investitio- nen und die Sicherung der Arbeits- plätze zu tun. Je schneller der Wirt- schaft in der bisherigen DDR die Anpassung gelingt, um so schneller werden sich auch die Einkommen in West und Ost einander angleichen.

Walter Kannengießer A-3392 (20) Dt. Ärztebl. 87, Heft 44, 1. November 1990

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