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er die Macht hat, entscheidet", so resümierte der Präsident der Ärztekammer Brandenburg, Dr.Roger Kirchner, anläßlich des ersten Pressegesprächs 1992 und kurz vor der Kammerneuwahl die Erfahrun- gen nach 16 Monaten Kammerar- beit. Bei inzwischen 2200 niederge- lassenen Kassenärzten seien von et- wa 70 Polikliniken in Brandenburg
19 Gesundheitszentren übrig geblie- ben, in denen neben niedergelasse- nen auch angestellte Ärzte und Dis- pensaires sowie Sozialdienste tätig sind. Seiner Meinung nach ist die ambulante Umgestaltung aber nicht nach dem Willen der ostdeutschen Ärzteschaft, sondern nach dem der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erfolgt. Sonst gäbe es laut Kirchner mehr ambulante Einrich- tungen mit Ärzten und anderem Per- sonal im Angestelltenverhältnis.
Auch monierte er die „Zügelung"
der Polikliniken durch Fallpauscha- len und den geringen Anteil von Ge- meinschaftspraxen.
Im Zusammenwirken von zu- ständigem Ministerium, Kammer und Kassenärztlicher Vereinigung sei es jedoch im wesentlichen gelun- gen, die ambulante Umgestaltung so- zial verträglich zu gestalten. Eine neugeschaffene Abteilung Arbeits- förderung habe von 100 Ärzten, de- ren Arbeitsplatz im Sommer 1991 ge- fährdet erschien, 67 in sichere Ar- beitsplätze vermitteln können. Pro- bleme gab es nach Angaben Kirch- ners mit der Bezahlung von Weiter- bildungsassistenten im ambulanten und im stationären Bereich. Auch in letzterem seien nicht alle Stellen im Rahmen der Pflegesatzverhandlun- gen gesichert worden. Hier hätten
das Land und Kommunen zunächst die Garantie übernommen, weil die zugesagten Mittel des Bundesmini- steriums für Gesundheit erst im Herbst 1991 zur Verfügung standen.
Bedauernd vermerkte Kammer- präsident und Psychotherapeut Dr.
Roger Kirchner auch, die „emotio- nal-affektive Power der Revolution"
sei verflogen. Insgesamt sei es nur zu einer Übernahme der Gesundheits- und Standespolitik der Alt-Bundes- länder gekommen — die Ärzte in Ost- deutschland hätten nach dem Bei- tritt kaum noch die Möglichkeit zur Gestaltung gehabt. Dabei frage er sich, ob die Ärzteschaft West- deutschlands denn wirklich gestalten könne, was sie wolle. Von der Demo- kratie habe er mehr Chancen erwar- tet, so wirke sie manchmal auf ihn wie ein „Szenarium ä la Ohnsorg- Theater".
Scharfe Reaktion
Die Kassenärztliche Vereini- gung Brandenburg reagierte auf die- sen Teil der Ausführungen Kirch- ners mit einer scharfen Presseerklä- rung:
Wer die Demokratie als „ein Szenario ä la Ohnsorg-Theater" be- zeichne, habe immer noch nicht be- griffen, was die Menschen in der DDR in 1989 wollten. „Nach Auffas- sung der Kassenärztlichen Vereini- gung Brandenburg gehört ein Mann, der solche Auffassungen vertritt, nicht an die Spitze der Brandenbur- gischen Ärzteschaft", heißt es.
Die Umgestaltung des Gesund- heitswesens in Brandenburg werde getragen von der Bereitschaft der
überwiegenden Zahl der ambulant tätigen Arzte, sich niederzulassen:
Von den insgesamt 6200 Ärzten in Brandenburg seien rund 2600 ambu- lant tätig. Von diesen hatten bis 1992 bereits 2290 die Zulassung beantragt und erhalten. Das heißt: 88 von 100 der ambulant tätigen Ärzte Bran- denburgs sind inzwischen Kassenärz- te geworden. „Möglicherweise ist dies eine der Tatsachen, die Herr Kirchner sehr bedauert. Wir sehen es als eine Bestätigung dafür, daß ein modernes Gesundheitswesen auf der Basis der Freiberuflichkeit, einer möglichst dezentralen Versorgung und einer modernen Medizin von den Patienten und Ärzten Branden- burgs gewollt ist", schreibt die KV.
Eine vorläufige Auswertung der KV Brandenburg bei 22 Ärzten über alle Fachgruppen und in allen Ver- waltungsstellen habe ergeben, daß die Verschuldung im Durchschnitt bei 200 000 DM liegt. Allerdings treffe dies nicht für alle Kassenärzte zu — Tatsache bleibe, daß die Kas- senärzte bemüht sind, ihren Patien- ten eine Medizin auf aktuellem, ho- hem Niveau anzubieten.
Neben Kritischem hatte Kirch- ner im Pressegespräch allerdings auch Positives zu berichten: Nach Ordnungen zum Beispiel für die Weiterbildung, den Notfall- und Rettungsdienst (in Zusammenarbeit mit der KV), die Ausbildung von Arzthelferinnen, der Bestätigung von Bildungseinrichtungen und der Gründung der Akademie für Ärztli- che Fortbildung sei als vorläufig letz- tes mit Wirkung vom 1. Januar 1992 die Ärzteversorgung eingerichtet worden. Über die Krankenhausum- strukturierung berichtete Kirchner, im Rahmen der Pflegesatzverhand- lungen seien die ehemals gut 25 000 Betten auf etwa 21 500 reduziert worden. Laut Krankenhausplan sei bis 1994 ein Stand von zirka 20 500 zu erreichen. Dabei gelte es, Dispro- portionen zwischen Fachgebieten und Regionen zu beseitigen.
Im Aufbau oder geplant sind demnach Perinatalzentren in Pots- dam, Cottbus und Frankfurt/Oder, Tumor- und Herzzentrum sowie ein solches für Neurochirurgie in Cott- bus und ein Nierentransplantations- zentrum in Potsdam. di Pol/EB
Schlagabtausch im
Bundesland Brandenburg
Mit einem „Szenario ä la Ohnsorg-Theater" verglich Dr. Roger Kirchner, Ärztekammer-Präsident des Landes Brandenburg, die De- mokratie, wie er sie in 16monatiger Kammerarbeit erlebte. Und er äußerte im ersten Pressegespräch dieses Jahres noch mehr Kriti- sches zur ambulanten ärztlichen Versorgung. Grund genug für die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg, dem Kammerpräsiden- ten mit einer scharfen Presseerklärung zu antworten.
A1 -658 (22) Dt. Ärztebl. 89, Heft 9. 28. Februar 1992