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Archiv "Praktische Gesundheitserziehung — am Beispiel einer Kurklinik: Erfahrungen mit einem Modellversuch in Bad Oeynhausen" (08.02.1979)

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Bereits auf dem "Deutschen Bädertag" im November 1976 in Bad Neuenahr wurden vom Deutschen Bäderverband, Verband Deutscher Renten- versicherungsträger, Bundes- verband der Ortskrankenkas- sen. von der Bundesvereini- . gung für Gesundheitserzie- hung, der Deutschen Gesell- schaft für Ernährung, den Bundesministerien für Arbeit und Sozialordnung und für Jugend, Familie und Gesund- heit und von der Bundeszen- trale für gesundheitliche Auf- klärung Richtlinien für die Ge- sundheitserziehung in den Heilbädern und Kurorten erar- beitet. Es wurde ausdrücklich herausgestellt, daß die Maß- nahmen der Gesundheitser- ziehung in das Behandlungs- programm des Heilverfahrens als eigenständige und neben anderen Therapien gleichbe- rechtigte Behandlungsform einzubeziehen und im Rah- men der Verordnungen anzu- bieten sind. Wie diese Aufga- be in der Praxis zu bewältigen ist zeigt dieser Beitrag, der auch Gegenstand eines Semi- nars über Gesundheitserzie- hung, veranstaltet vom Ver- band Deutscher Rentenversi- cherungsträger in Bad Oeyn- hausen. gewesen i~.

Praktische Gesundheitserziehung am Beispiel einer Kurklinik

Erfahrungen mit einem Modellversuch in Bad Oeynhausen

Klaus Becker, Hans Goetz, Christa Lenkeit, Bert Saurbier

Die Kurmedizin kann ihren neuen Aufgaben mit traditionellen Mitteln nicht mehr gerecht werden. Eine multidisziplinäre Zusammenarbeit ist erforderlich, um auf die damit an- stehenden wissenschaftlichen und praktischen Erfordernisse zufrie- denstellend eingehen zu können. Der Bereich von Pathogenese und Epidemiologie erfordert die Zusam- menarbeit von Medizin und Soziolo- gie. Indikation und Therapie sind Aufgabe der Medizin und der Psy- chologie. Lerntheorie und Didaktik müssen von der Psychologie zusam- men mit der Pädagogik erarbeitet werden. Der Bereich des sozialen Lernens in der Gruppe und Umwelt schließlich ist ein gemeinsames An- liegen von Pädagogik und Soziolo- gie. Das Team für Gesundheitserzie- hung und Verhaltenstraining in der Kurklinik Bad Oeynhausen vereinigt Vertreter aller oben angesproche- nen Wissenschaftsbereiclle: Medizi- ner, Diplom-Psychologen, Medizin- Soziologen, Diplom-Pädagogen und Sozialarbeiter. Der Sportlehrer und die Diätassistentin sind ihrem Auf- gabenbereich entsprechend im spe- ziellen Fall in das Team integriert.

Erwachsenenbildung für gesundes Leben

Gesundheitserziehung in der Kur- medizin ist Erwachsenenbildung, und alle didaktischen Überlegun- gen, z. B. zu ihren Inhalten, ihren Methoden und ihren Zielen, müssen

diesem Umstand Rechnung tragen.

Bildungsmaßnahmen bei Erwachse- nen bedeuten den Eingriff in ein re- lativ verfestigtes kognitives, motiva- tionales und emotionales Gefüge.

Die praktische Seite des Lernens er- fordert darüber hinaus die Übung, um neu erworbene Einstellungen mit entsprechenden Verhaltenswei- sen korrelieren zu können. Metho- disch ließe sich dementsprechend die Einheit des Lernprozesses, der die Vermeidung gesundheitlicher Risikofaktoren bewirken und zum Lernziel "gesundes Leben" führen soll, folgendermaßen gliedern: ·

~ Information (I)

~ Motivation (M)

~ emotionale Stabilisierung (eS)

~ Training {T)

Wenn diese Gliederung den Sinn hat, die verschiedenen Aspekte ei- nes Lernprozesses definitorisch voneinander abzugrenzen, so bleibt wichtig, daß in der Praxis die defi- nierten Bereiche ineinander überge-

hen. Anschaulich wird diese Einheit,

wenn man die vier Aspekte des Lern- prozesses als die vier Seiten eines geometrischen Körpers (Darstellung 1) sieht. Der Tetraeder, der sich dann ergibt, bliebe ohne Basis, wür- de ein einziger der vier Bereiche ver- nachlässigt. Ein Lernprozeß, der in- formiert, motiviert und emotional stabilisiert, bleibt bodenlos ohne das Training. Information, Motiva-

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a) Tetraeder (räumliche Darstellung) mit den 4 Seiten

— Information, M = Motivation, eS emotionale Stabilisierung, T Training

Darstellung 1 b) Aufsicht 1

(als Basis fehlt T)

c) Aufsicht 2

(als Basis fehlt eS )

d) Aufsicht 3 (als Basis fehlt 1)

e) Aufsicht 4 (als Basis fehlt M)

Gesundheitserziehung in einer Kurklinik

tion und Training bleiben dem Ler- nenden ohne emotionale Stabilität äußerlich. Fehlt die Information, so fehlen Inhalt und Gegenstand der drei übrigen Bereiche. Ohne Motiva- tion haben Information, emotionale

Stabilisierung und Training keine selbstbestimmten Handlungsfolgen.

Dem Milieu, in dem besonders die Gruppengespräche stattfinden, kommt im Rahmen der gesundheits-

erzieherischen Didaktik eine be- deutsame Rolle zu. So finden die Gruppengespräche in einem Raum statt, dessen Größe in sinnvoller Re- lation zu der Teilnehmerzahl am Gruppengespräch steht. Die Fenster sollen erfrischende Helligkeit ge- währleisten. Das Gestühl ist im Halb- kreis aufgestellt, in dessen Brenn- punkt der jeweilige Gesprächsleiter sitzt. Diese Form symbolisiert, daß die Patienten die Akteure des Ge- schehens sind und durch die Sitz- ordnung veranlaßt werden, mitein- ander zu sprechen und zu diskutie- ren, und daß die jeweiligen Grup- penteilnehmer sich sogar in die Rol- le des Diskussionsleiters versetzen können.

Für die Teilnahme an einem themen- zentrierten Gruppengespräch wird vorausgesetzt, daß der Patient vor- her am entsprechenden Informa- tionsunterricht teilgenommen hat.

Das tragende Element für das Vor- gehen in den Gruppengesprächen ist die Verhaltensformel aus der Ver- haltenstherapie, die bei uns modifi- ziert für jedes Problemverhalten ge- trennt erarbeitet wurde. Diese For- mel ist eine Stütze, das Gespräch der Patienten zu strukturieren, Er- fahrungen einzuordnen, Zusam- menhänge aufzuzeigen und Hilfen zu geben. Eine Auslöser-Situation, das heißt eine situative Bedingung ruft eine Reaktion hervor, die Konse- quenzen hat, meist unmittelbar posi- tive und langfristig negative. Nach dieser Formel werden Verhaltens- weisen - auch gesundheitswidrige - erlernt. Anhand dieser Formel kön- nen Lernprozesse für neue - ge- sundheitsfördernde - Verhaltens- weisen strukturiert werden. Hier die Anwendung dieser Formel (S-R-K) am Beispiel „Adipositas":

S = situative Bedingungen, die zum Essen verleiten, z. B. Langeweile, Ärger, Geselligkeit, Fernsehwer- bung, Schaufensterauslagen, Fern- sehsessel, Alkohol, Nahrungsmittel sehen, andere Menschen essen sehen.

R = reaktives Eßverhalten der Adi- pösen, z. B. hastiges Essen, schnel- les Kauen, große Bissen, große Por-

362 Heft 6 vom 8. Februar 1979 DEUTSCHES ART' LBLATT

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fremdbestimmt 3. Verhaltenstraining

Gesprächsgruppen aktive Trainingsgruppen

selbstbestimm

4. Selbstkontrolle Darstellung 2

tionen, nur eine oder zwei große Mahlzeiten pro Tag, keine Pausen beim Essen, trinken in den noch vol- len Mund, usw.

K = Konsequenz, z. B. kurzfristige Konsequenz: Das Essen hat einen äußerst angenehmen Geschmack, ich fühle mich gesättigt, ich fühle mich zufrieden, beruhigt, abgelenkt, ausgeglichen, die Geselligkeit wird verstärkt, usw. Langfristige Konse- quenz: Übergewicht, die Figur „geht aus dem Leim", die schicken Kleider passen nicht mehr, Folgeerkränkun- gen: Bluthochdruck, Fett-Zucker- stoffwechselstörungen, Verschleiß- erscheinungen der Gelenke, Träg- heit, Minderwertigkeitsgefühle, usw.

Keine abschreckenden Beispiele Untersuchungsergebnisse der Lernpsychologie zeigen, daß ein Verhalten nicht durch abschrecken- de Beispiele, Drohungen und Stra- fen verändert wird. Eine Verhaltens- änderung, das heißt das Lernen ei- nes neuen Verhaltens, findet nur statt, wenn es belohnt wird, wenn das neue Verhalten mit Bedingun- gen gekoppelt ist, die individuell als angenehm erlebt werden. Da das von uns angestrebte gesundheitsbe- wußte Verhalten für die meisten Menschen, die jahrelang ihre Ge- sundheit vernachlässigt haben, oft- mals Anstrengung und Verzicht auf Genuß, Veränderung von liebgewor- denen Gewohnheiten bedeutet, kommt gerade dem Gruppenge- spräch eine der bedeutsamsten ver- haltensändernden Funktionen zu.

Das Gruppengespräch hat eine ver- stärkende, belohnende Wirkung da- durch, daß die Patienten einen Zu- sammenhalt spüren, ihre Erfahrun- gen und Probleme austauschen und sich gegenseitig helfen. Daneben er- fahren sie ein allgemein wertschät- zendes Verhalten des Gesprächslei- ters, der sich bemühen soll, ein emotional angenehmes Klima in der Gruppe zu schaffen.

Die Mitarbeiter, die im Bereich des Verhaltenstrainings arbeiten, sollten natürlich das Verhalten, das sie ver- mitteln, auch selbst verwirklichen,

da sie eine Vorbild- und Modellfunk- tion haben. Sie sollten neben ihrem Wissen und der Schaffung günstiger Lernbedingungen auch vermitteln, daß es Spaß bringt und schön ist, ein gesundheitsbewußtes Leben zu führen.

Programme

für das Verhaltenstraining

Unser Gesundheitsbildungsangebot umfaßt folgende acht verschiedene

Verhaltenstrainingsprogramme.

Diese Trainingsprogramme sind eng problemorientiert am allgemeinen, epidemiologisch erfaßten Fehlver- halten.

B Bewegungstraining E — Ernährungstraining F — Fastentraining D — Darmtraining K — Kneipp-Training A — Autogenes Training N — Nichtrauchertraining S — Schlaftraining

In allen Trainingsprogrammen fol- gen auf die Information die spezifi- schen Gruppengespräche und prak- tische Übungen. Die Programme sind so aufgebaut, daß zuerst der Therapeut bzw. der Gesundheitser- zieher die Übungen leitet, später be- stimmt der Patient selbst die prakti-

sche Durchführung und damit sein eigenes gesundheitsbewußtes Ver- halten. Ausgehend von der Fremd- bestimmung wird der Patient zur Selbstkontrolle angehalten (Darstel- lung 2).

In der Darstellung 3 wird das ge- samte Gesundheitserziehungspro- gramm für einen vierwöchigen Kur- gang zusammengefaßt. Die abgebil- deten Symbole weisen auf den Inhalt der dargestellten Informationsstun- de bzw. des Gruppengesprächs oder der jeweiligen Trainingsstunde hin.

Nur die Symbole, die sich auf Grup- pengespräche bzw. Trainingsgrup- pen beziehen, werden im Kreis dar- gestellt. Alle anderen Symbole ste- hen im Quadrat. Theoretische Ge- sundheitsbildungsprogramme wer- den durch ein helles, praktische Programme durch ein fettgedruck- tes Symbol markiert. Wird bei den aktiven Trainingsgruppen, in der Graphik am Beispiel des Lauftrai- nings, der Reduktionskost und des Autogenen Trainings dargestellt, von der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung und Selbstkon- trolle übergegangen, so wird das je- weilige Symbol nicht mehr fett, son- dern dünnstrichig umrahmt.

Am Tag nach der Anreise, also am 2.

Behandlungstag, findet von 15 bis 15.45 Uhr die sogenannte „Einfüh- rung" statt. (Symbol: Gesicht mit Sprechblase) Hierbei geht es darum, 1. den Patienten von seiner oft noch falschen Erwartungshaltung gegen- über seiner Kur, die er oft noch mit der Vorstellung vom bezahlten Zweiturlaub oder mit einer passiven Konsumhaltung antritt, zu befreien;

2. erfolgt eine kurort- bzw. klinikspe- zifische Vorinformation zum allge- meinen Kurprogramm; 3. sollte der Patient motivierend informiert über den Sinn, die Methodik und die Ziele der Gesundheitsbildung werden.

Der informative Teil des Gesund- heitserziehungsprogrammes erfolgt innerhalb der ersten Kurwoche. Täg- lich, das heißt vom 1. Freitag bis zum darauffolgenden Mittwoch, außer Samstag und Sonntag, finden drei Unterrichtsstunden von je etwa 30 bis 35 Minuten Dauer, jeweils um 9,

DEUTSCHES ARZItiBLATT Heft 6 vom 8. Februar 1979 363

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Gesundheitserziehung in einer Kurklinik

um 10 und um 15 Uhr statt. Der Un- terrichtstermin ist so gewählt, daß entsprechend der Vigilanzkurve mit einem hohen Maß an Aufnahmefä- higkeit zu rechnen ist.

Inhalte der Informationsstunden

Freitag

1. Stunde: Symbol Läufer (steht für alle Bewegungsformen); Wirkung des Bewegungstrainings auf Herz, Kreislauf, auf Atmung und Stoff- wechsel.

2. Stunde: Symbol Läufer; Wirkung des Bewegungstrainings auf Kno- chen, Knorpel, Bandscheiben, Mus- keln und Gelenke.

3. Stunde: Symbol Läufer; Einfüh- rung in die Praxis des Bewegungs- trainings.

Montag

1. Stunde: Symbol Steuerrad; das Steuerungssystem unseres Körpers, Wechselwirkung von Psyche und Organismus, Informationen zum Thema Streß.

2. Stunde: Symbol Tag-Nacht- Wechsel; der natürliche Rhythmus der Körperfunktionen, circadiane Rhythmik, Wach-Schlaf-Rhythmik, Leistungskurve.

3. Stunde: Symbol Droschkenkut- scher; Einführung in das Autogene Training.

Dienstag

1. Stunde: Symbol Brot; Grundbe- griffe über Nährstoffe, Nährwerte, Energieverbrauch, Energiebedarf, Erläuterungen zu den Begriffen Ka- lorie bzw. Joule, Normalgewicht, Idealgewicht, Übergewicht.

2. Stunde: Symbol Magen; Physiolo- gie der Verdauung.

3. Stunde: Symbol Teller mit Messer und Gabel; Erläuterungen zum The- ma „Gesunde Eßgewohnheiten".

Mittwoch

1. Stunde: Symbol Adipöser; Erläu- terungen zum Thema „Übergewicht durch Verhaltensfehler".

2. Stunde: Symbol verengte Fahr- bahn; Fehlverhalten als Risikofaktor für Herz-Kreislauferkrankungen.

3. Stunde: Symbol verengte Fahr- bahn; Verhaltensweisen zur Vermei- dung von Herz-Kreislauf-Risikofak- toren.

Die weitere Beschreibung unseres Gesundheitsbildungsprogrammes erfolgt anhand der graphischen Dar- stellung zeilenweise von oben nach unten, entsprechend der Zusatznu- merierung am rechten Rand der Darstellung.

Zeile 1: Das Symbol des Läufers steht hier auch für alle anderen Formen des bewegungstherapeutischen Gruppentrainings. Die breite Umran- dung bis zum 17. Tag soll kenn- zeichnen, daß in den ersten beiden Wochen Fremdbestimmung gege- ben ist, das heißt, innerhalb der Gruppe werden vom Bewegungs- therapeuten die Belastungsintensi- tät, Belastungsdauer, die Häufigkeit und Dauer der Intervalle, die Zeiten für die Pulskontrolle usw. bestimmt.

In der 2. Kurhälfte, beginnend in dem Schema am 20. Tag, gekenn- zeichnet durch die dünne Umran- dung, beginnt der Patient mit der Selbstbestimmung zum Training der Selbstkontrolle. Beim Lauftraining z. B. läuft er jetzt allein, also nicht mehr in der Gruppe und entscheidet nun selbst über die Länge der Lauf- strecke, über die Intensität, über die Intervallhäufigkeit und Dauer. Er muß selbst bestimmen, wann er Pulskontrollen vornimmt. Während dieser Phase des Bewegungstrai- nings hat der anwesende Therapeut nur noch eine beobachtende Funk- tion.

Der Weg von der Fremd- zur Selbst- bestimmung vermittelt dem Patien- ten über die Selbsterfahrung und Selbstkontrolle mehr Sicherheit und Selbständigkeit, um die während des Heilverfahrens erlernten Verhal- tensweisen zu Hause eigenständig fortzusetzen.

Zeile 2: Diese Symbolkette mit der am Tisch sitzenden Figur bezeichnet den Verlauf des Fastentrainings (in

der Klinik als Schlankheitstraining bezeichnet). Nach den ersten Tagen des Anfastens mit 1000 Kalorien pro Tag beginnt die Phase des modifi- zierten Fastens mit 150 Kalorien pro Tag. Im hier angegebenen Beispiel beginnt am 24. Tag die Aufbaukost mit Übergang zur 1000-Kalorien- Kost (Schräge im Symbol), die nach einem etwa dreiwöchigen Fasten drei Tage dauert.

Zeile 3: Das Symbol der sitzenden Figur steht hier für die Teilnahme an der Reduktionskost, entweder mit 1700 oder 1000 Kalorien. Der Über- gang von der fetten zur dünnen Um- randung nach dem 15. Behand- lungstag dokumentiert wieder den Wechsel von der Fremd- zur Selbst- bestimmung. Der Patient bekommt also ab dem 16. Tag nicht mehr die vorgesehene kalorien-reduzierte Portion, sondern muß jetzt die Spei- semenge selbst bestimmen. Der Lernprozeß bezüglich des Eß- und Ernährungsverhaltens sollte soweit fortgeschritten sein, daß der Patient in der 2. Kurhälfte Selbstkontrolle über die Nahrungsaufnahme üben kann.

Zeile 4: Das Symbol der durchgestri- chenen Zigarette in der Kreisumrah- mung entspricht dem in der Gruppe durchgeführten Nichtrauchertrai- ning, welches viermal in der Woche, beginnend nach der 1. Woche, statt- findet. Unter Berücksichtigung des Aufnahmerhythmus finden, jeweils um eine Woche versetzt, drei Nicht- rauchertrainingsgruppen statt, zu den Zeiten 8 Uhr, 11 Uhr und 13 Uhr.

Zeile 5: Symbol dicke und schlanke Figur. Täglich, außer samstags und sonntags, findet um 8.30 Uhr eine etwa 20minütige kurze Gesprächs- runde für die am Schlankheitstrai- ning beteiligten Patienten statt. Hier werden fragenbezogene Gespräche geführt, Informationen zum Thema

„Physiologie des Fastens", „Spät- folgen des Übergewichts" und „Vor- teile des Schlankseins" gegeben, unmittelbare Erfahrungen mit dem Schlankheitstraining diskutiert und zum Verhalten während des Fasten- trainings angeleitet. Gerade wäh- rend des Fastentrainings hat sich

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 6 vom 8. Februar 1979 365

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Gesundheitserziehung in einer Kurklinik

das tägliche Gruppengespräch mit all seinen Vorteilen im Sinne des Verhaltenstrainings bewährt.

Zeile 6: Symbol sich zugewandte Ge- sichter. Neben dem bereits be- schriebenen Gesundheitsunterricht in der ersten Woche findet einmal während eines Kurganges, am drit- ten Donnerstag, also genau in der Kurmitte, ein gut 3/4stündiges Ge- spräch unter dem Motto „Der Pa- tient hat das Wort" statt. Zu diesem Gespräch sind alle Patienten eines Kurganges eingeladen. Gesprächs- partner sind die Abteilungsleiter aus sämtlichen Bereichen der gesamten Klinik. Alle Abteilungsleiter, das heißt diejenigen, die im Grunde für die Abwicklung des Heilverfahrens beruflich zuständig sind, haben hier die einmalige Möglichkeit, durch die vorgetragenen Eindrücke und Stel- lungnahmen der Patienten zur Kur das Kurgeschehen sozusagen

„durch die Brille des Kurpatienten"

zu betrachten. Damit ist die Stunde

„Der Patient hat das Wort" von ent- scheidender Bedeutung, das Heil- verfahren ständig patientengerecht zu verbessern, negativ aufgefaßte Verfahrensweisen zu korrigieren und positiv aufgenommene Maß- nahmen zu verstärken. Ein weiterer Vorteil dieser Stunde besteht darin, daß der Patient spürt, daß wir ihn ernst nehmen, uns um ihn bemühen und daß er selbst an der Weiterent- wicklung der Kur mitgearbeitet hat.

Zeile 7: Symbol zurückblickendes Gesicht mit Sprechblase. Neben den bereits beschriebenen Unterrichts- stunden findet am vierten Donners- tag um 10 Uhr ein etwa 3/4stündiges, sogenanntes „Abschlußgespräch"

statt. Dieses Gespräch befaßt sich erneut mit dem Sinn und den Zielen der Gesundheitsbildung, wobei jetzt auf die während des Heilverfahrens gewonnenen Einsichten, Erfahrun- gen und Vorsätze zurückgegriffen wird.

Zeile 8: siehe Zeile 4

Zeile 9: Symbol Droschkenkutscher- sitz. Praktische Trainingsgruppe Au- togenes Training. Auch das Autoge- ne Training erfolgt, wie aus der dik-

ken Umrandung zu entnehmen ist, bis zum 21. Behandlungstag mit Fremdbestimmung, das heißt die einzelnen Trainingsformeln werden vom Therapeuten vorgesprochen. In der letzten Woche trainiert der Pa- tient, indem er die einzelnen For- meln sich selbst vorgibt. Der für die jeweilige Gruppe zuständige Thera- peut ist weiterhin anwesend, um eventuelle Probleme, die sich bei der Selbstbestimmung während des Autogenen Trainings ergeben, zu besprechen. Wie aus der graphi- schen Darstellung hervorgeht, be- stehen drei, jeweils um eine Woche versetzte, Trainingsgruppen, wobei die einzelnen Trainingsstunden um 11 Uhr, 13 Uhr und 14 Uhr beginnen.

Unter Berücksichtigung der circa- dianen Rhythmik liegen die Zeiten für die Durchführung des Autoge- nen Trainings günstig.

Zeile 10: siehe Zeile 9.

Zeile 11: siehe Zeile 4. Symbol Teller mit Messer und Gabel. Zusätzlich findet mittwochs, mit Ausnahme des An- und Abreisetages, also für jeden Kurgang drei Mal, ein gut einstündi- ges Gruppengespräch zu dem The- ma „Ernährungstraining" statt. Da- bei steht entsprechend der Symbol- darstellung das Eßverhalten im Vor- dergrund.

Zeile 12: siehe Zeile 9.

Zeile 13: Entsprechend der Symbol- darstellung gehört das freitags und montags um 14.30 Uhr beginnende halbstündige Gruppengespräch zum Thema „Darmtraining", an dem in erster Linie Patienten mit chro- nisch habitueller Obstipation und Abführmittelabusus teilnehmen.

Zeile 14: Hier sind die bereits be- schriebene Einführungsstunde und die jeweils am Nachmittag liegenden Informationsstunden aufgeführt.

Zeile 15: Unter dem Symbol Läufer, mit Kreis umrandet, findet in der 2., 3. und 4. Kurwoche ein gut 1 '/2- stündiges Gruppengespräch zum Thema "Bewegungstraining" ein- schließlich Demonstration von Sportgeräten und Sportkleidung

statt. Unter dem Symbol Kochtopf im Kreis findet donnerstags in der 2., 3. und 4. Kurwoche, beginnend um 16 Uhr, mit einer Dauer von etwa 1 1/2 Stunden, ein Gruppentraining mit Gesprächen und Demonstration zum Thema „Gesunder, kalorienbe- wußter Speiseplan" statt.

Zeile 16: Das Symbol Wassertreten im Kreis steht für theoretische und praktische Schulung in der Gruppe zum Erlernen von Kneipp'schen An- wendungen, wie sie auch unter häuslichen Bedingungen mit einfa- chen Mitteln praktiziert werden kön- nen. Symbol Mond und Wolke im Kreis. An den Dienstagen der 2., 3.

und 4. Kurwoche nehmen schlafge- störte Patienten an Gruppengesprä- chen zum Thema „Schlaftraining"

teil, wobei diese Gruppengespräche um 16.30 Uhr beginnen und etwa eine Stunde dauern. Auch hier folgt im Anschluß an die Gruppengesprä- che eine Demonstration mit dem Thema „Das gesunde Bett".

Inhalte der Gruppengespräche Neben ihrem allgemeinen gruppen- dynamischen Effekt und der emotio- nalen Stabilisierung der Teilnehmer dienen die jeweiligen Gruppenge- spräche der spezifischen Informa- tionsverstärkung. Die Inhalte des Unterrichtes werden in den Gesprä- chen wiederholt und in der prakti- schen Anwendung besprochen. Fer- ner werden allgemein oder auch am Beispiel eines Patienten Fehlverhal- tensweisen erarbeitet und von uns entsprechende Therapievorschläge gemacht. Die praktische Durchfüh- rung des in der Kur erlernten Ge- sundheitswissens zu Hause wird be- sprochen, Schwierigkeiten bei der Anwendung im Alltag werden so vorweggenommen. Daraus ergibt sich die Anforderung an den Thera- peuten, einerseits vom jeweiligen Thema nicht abzuweichen, anderer- seits jedoch flexibel auf das Infor- mationsbedürfnis und die Problem- lage der jeweils anwesenden Patien- ten einzugehen.

Bei den Gruppengesprächen zum Bewegungstraining wird z. B. über folgende Inhalte gesprochen:

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1. Stunde: Situative Bedingungen der körperlichen Inaktivität, z. B. Un- kenntnis, Ruhebedürfnis, berufliche Belastung, Komfort, Angst vor der körperlichen Belastung

2. Stunde: Erfahrungen mit dem Be- wegungstraining, z. B. Beurteilen der Trainingsreaktion, Entängsti- gung, Entspannung, Spaß, Selbst- bewußtsein

3. Stunde: Planung für zu Hause, z. B. Anschluß an eine Gruppe, Fa- miliensport, Zeitplanung, Ausnut- zung von Bewegungsmöglichkeiten, Kontraktmanagement.

In den Gesprächen über gesunden Schlaf sind die Inhalte beispielswei- se wie folgt:

1. Stunde: situative Bedingungen für Schlafstörungen z. B. psychosozia- ler Streß, berufliche und familiäre Sorgen, nicht-abschalten-können, Krankheiten, keine ausreichende körperliche Ermüdung, psychische Erschöpfung, Genußmittelmiß- brauch, unregelmäßiges Leben.

2. Stunde: äußere Bedingungen für guten Schlaf, z. B. festes Bett, elasti- sche Matratzen, leichte Zudecke, richtige Raumtemperatur, Ge- räuschkulisse, Schlafzeremoniell.

3. Stunde: Schlafhilfen und Planung für zu Hause, z. B. körperliche Be- wegung, Ausgleichsaktivität, Ab- stand gewinnen durch Gespräche, Tagebuch, Autogenes Training, Muskelentspannung, Verbesserung des Bettes, Geräuschdämpfung, Ge- spräche mit störenden Nachbarn, usw.

Zum Ernährungstraining finden Gruppengespräche zu zwei ver- schiedenen Themen statt. Einmal geht es um das Eßverhalten unter dem Motto „Iß richtig", zum anderen geht es um die richtige Nahrung und deren Zubereitung unter dem Motto

„Iß das Richtige". Zu beiden Berei- chen finden jeweils drei Gespräche mit den folgenden Inhalten statt:

a) Iß richtig

1. Stunde: situative Bedingungen der falschen Eßgewohnheiten, z. B.

sehen von Essen, Ärger, Sorgen, Ge- wohnheit, Erziehung, Geselligkeit, Einsamkeit, Angebot, Vorräte, usw.

2. Stunde: Eßverhalten z. B. hastiges Essen, zu große Portionen zu wenig kauen, trinken zum Essen, zu viele Süßspeisen, Essen zwischendurch, Fernsehknabbern, usw.

3. Stunde: Planung für zu Hause, z. B. regelmäßige Mahlzeiten, pla- nen des Einkaufs und der Vorrats- haltung, kleine Mahlzeiten, langsam essen, Anschluß an eine Gruppe, usw.

b) Iß das Richtige

1. Stunde: Nahrungsmittelplanung z. B. Einkauf nach den Gesichts- punkten: Menge, Preis, Kalorien, Geschmack, achten auf versteckte Fette und Ausgewogenheit der Nährstoffe.

2. Stunde: Zubereitungsmethoden, z. B. schonendes Kochen, fettloses Braten, abwechslungsreiche Zu- sammenstellung, kalorienarme So- ßen und Beilagen, Erhaltung der Vi- talstoffe, Demonstration von geeig- neten Zubereitungsgeräten.

3. Stunde: Rezeptanregung, z. B.

Brigitte-Diät, Inzinger-Diät.

Bereicherung und Ergänzung In der praktischen Arbeit und beim Umgang mit den Patienten lassen sich bereits einige konkrete Erfolge unserer gesundheitserzieherischen Bemühungen erkennen.

Der Patient lernt seinen Körper, sei- ne Psyche, seine Krankheiten und Krankheitsrisiken sowie die Thera- pie kennen und besser verstehen.

Die Einsicht in die Notwendigkeit der therapeutischen Maßnahmen steigert seine Motivation zur aktiven Teilnahme. So wird er zu einem auch fachlich gebildeten Partner des Arztes, was die individuelle Be- ratung und Aussprache in der Sprechstunde wesentlich erleich- tert. Die Maßnahmen der Gesund-

heitsbildung stellen sich demzufol- ge nicht als Konkurrenz der Kurmit- tel dar, sondern als ihre Bereiche- rung und notwendige Ergänzung.

Im Anschluß an die Kur wird der in- formierte Patient ein größeres Ver- ständnis für die gesundheitserziehe- rische Arbeit der Medien aufbringen, er wird hausärztliche Ratschläge besser verstehen und befolgen kön- nen, es ist mit einer vermehrten In- anspruchnahme von Gesundheits- trainings-Angeboten der Sportverei- ne, der Volkshochschulen, der Kneipp-Vereine, usw. zu rechnen.

Vielleicht noch höher als der indivi- duelle Erfolg der Gesundheitserzie- hung beim einzelnen ist die Ände- rung der gesellschaftlichen Einstel- lung zur Gesundheit zu bewerten, die hier über das Individuum einge- leitet wird, auch wenn dessen Ein- stellungs- und Verhaltensänderung noch nicht den Idealvorstellungen entsprechen mag. Die dreiseitige Wechselbeziehung zwischen Indivi- duum, Gesellschaft und Umwelt läßt erwarten, daß die Änderung der ge- sellschaftlichen Einstellung auf das Individuum zurückwirken und es in seinen Bemühungen verstärken wird.

Die Forderung nach Effektivitäts- kontrollen im Zusammenhang mit der Gesundheitserziehung ist si- cherlich berechtigt. Bevor wir je- doch komplexere Methoden der Er- folgskontrolle und Auswertung von Gesundheitserziehung benötigen, brauchen wir praktikable gesund- heitserzieherische Programme, da- mit es überhaupt etwas auszuwerten gibt.

Literatur bei den Verfassern

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Bert Saurbier, Dipl.-Päd.

Klaus Becker, Dr. rer. pol. Hans J.

Goetz, Dipl.-Psych. Christa Lenkeit Kurklinik Bad Oeynhausen

(Ärztlicher Direktor: Dr. B. Saurbier) Am Brinkkamp 16

4970 Bad Oeynhausen

DEUTSCHES ARZIEBLATT

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