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Archiv "Unordnung statt Neuordnung: II. Eine Lanze für die therapeutische Freiheit des Arztes" (09.09.1976)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Zulassung von Arzneimitteln

und daß eine „Therapierichtung"

noch keine Wissenschaft ist, so mutet sie gegenüber denjenigen Ärzten, die sich aktiv als durchaus mündige Staatsbürger initiativ in das Gesetzgebungsverfahren ein- geschaltet haben, höchst befremd- lich an.

Wer sich je mit naturwissenschaft- licher Methodik und d. h. vorur- teilslos und exakt in homöopathi- sche und anthroposophische Medi- zin eingearbeitet hat (6), was Pro- fessor Aschenbrenner nicht zu un- terstellen ist, sein Kommentar zum Arzneimittelgesetz wäre sonst so nicht geschrieben worden — der weiß sich als Arzt auf einem mögli- chen Weg, durch Wahrnehmung dessen, was eine Substanz oder Pflanze in großem Zusammenhang lebendiger Natur bewirkt, im An- schluß an diesen Erkenntnisprozeß Substanz und Pflanze als entspre- chendes Heilmittel bei bestimmten Krankheitsgeschehen einzusetzen, so unwahrscheinlich dies auch für ausschließlich in naturwissen- schaftlich-materialistischer Denk- richtung erzogene Ohren klingen mag.

Ketzerrichter hat es in der deut- schen Geistes- und Medizinge- schichte schon immer in großer Zahl gegeben. Konnten diese sich dazu noch staatlicher Omnipotenz bedienen, wurde es für die von ih- rem Bannstrahl Betroffenen le- bensgefährlich. Für diejenigen Deutschen, die das Glück haben in der Bundesrepublik zu leben, zu- letzt im III. Reich.

Wenn man persönlich miterlebt hat, wie im Jahre 1934 die Kassen- praxis und Privatklinik des eigenen Vaters aus „ideologischen Grün- den" von den braunen ärztlichen Gewalthabern über Nacht mit Be- rufsverbot belegt wurde (der dann allerdings auf Gerichts- anordnung sehr bald wieder aufgehoben werden mußte), wenn man selbst weiter diese Kli- nik 1959 gegenüber den Machtha- bern der DDR aufgeben mußte, kann man wohl für sich in An- spruch nehmen, zwischen „ideolo-

gischen" und anderen Positionen sehr sorgfältig und differenziert un- terscheiden zu können. Aber man wird dann außerordentlich hellhö- rig und empfindlich gegenüber je- dem neuen Ansatz sich abzeich- nender staatlich verordneter Heils- verwaltung — und die war mit dem ersten Entwurf zum neuen Arznei- mittelgesetz unzweifelhaft gemeint.

Wir sind ein freiheitlicher-sozialer Rechtsstaat. Und dies möge hoffent- lich unter allen möglichen politi- schen Konstellationen so bleiben, auch wenn Herr Professor Aschen- brenner diese Einsicht offenbar nicht ganz leicht fällt, zuminde- stens dann nicht, wenn die sich aus der Rechtsstaatlichkeit erge- benden Normen seine Wirkensbe- reiche berühren

Wir meinen daher im Gegensatz zu Herrn Professor Aschenbrenner, daß diesem Gesetz hinsichtlich sei- ner Ausführbarkeit, zumindest was die Arzneimittelsicherheit betrifft, gar keine so schlechte Prognose zu stellen ist, wenn Bereitschaft zu verständnisvoller und partner- schaftlichen Zusammenarbeit auf allen Seiten besteht. Für Rechtssi- cherheit und Wissenschafts-Frei- heit, auch von Minoritäten, stellt dieses Gesetz sogar eine echte Fortentwicklung dar.

Literatur

(1) Heft 11/76 vom 10. 6. 1976 — (2) U. a.

Priv.-Doz. G. Kienle „Arzneimittelsicherheit und Gesellschaft", F. K. Schatthauer-Verlag 1974 — (3) Prof. Leibholz, Bundesrichter a. D., „Zur Arzneimittelfrage", 1974 — (4) Prof. H. U. Gallwas „Zur Zulassungspflicht für Arzneimittel", Zeitschrift für Rechtspoli- tik 5/1975 — (5) Prof. M. Kriele, „Wer ent- scheidet über die Wirksamkeit von Arznei- mitteln, Zeitschrift für Rechtspolitik 11/1975

— (6) U. a. H. Schilling „Anthroposophi- sche Medizin — eine Erweiterung der Heil- kunst", Evangelische Zentralstelle für Welt- anschauungsfragen, Stuttgart 1975.

Obermedizinaldirektor Dr. med. W. Raeschke Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für ärztliche Therapiefreiheit e. V.

Friedrich-Ebert-Anlage 28 6900 Heidelberg

II. Eine Lanze für die therapeutische Freiheit des Arztes

Die kritische Stellungnahme von Prof. Aschenbrenner, dem Vorsit- zenden der Arzneimittelkommis- sion der Deutschen Ärzteschaft, zum neuen Arzneimittelgesetz scheint mir aus zwei Quellen ver- ständlich.

0 Anscheinend glaubt Prof.

Aschenbrenner an die Absolutheit der „richtigen Diagnose", worunter er vermutlich die naturwissen- schaftlich-biologisch orientierte Diagnose versteht. Die naturwis- senschaftlich-biologische Richtung ist zwar heute in der Medizin in der Bundesrepublik leider noch immer die „herrschende" und „majorisie- rende" Lehrmeinung — aber der wissenschaftlichen Kritik und der Erfahrung der praktischen Ärzte hat sie sich in ihrer Absolutheit längst als eine obsolete Lehrmei- nung des 19. Jahrhunderts ent- puppt.

Denn die praktische Psychosoma- tik lehrt uns inzwischen, daß mehr als 50 Prozent unserer Kranken nicht mit Hilfe einer so wertenden

"richtigen Diagnose" auch kunst- gerecht behandelt werden — im Gegenteil sie lehrt, daß der so ge- schulte Arzt aufgrund seines abso- lut aufgefaßten naturwissenschaftli- chen Wissens seine Patienten zu resignierten Rentnern unserer Ge- sellschaft machen kann. Und von der theoretischen Psychosomatik dieses Jahrhunderts wissen wir, daß die herrschende naturwissen- schaftlich-biologische Lehrmei- nung auf statistischer Basis nur eine unter vielen anderen Lehrmei- nungen ist, die angesichts ihrer zu- nehmend brüchigen Theorie nie- mals einen Absolutheitsanspruch stellen darf.

Andere theoretisch begründete Lehrmeinungen sind zum Beispiel:

die tiefenpsychologisch, die verhal- tenstherapeutisch und die sozial- psychologisch fundierte Psychoso- matik, die anthropologische Medi- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 vom 9. September 1976 2329

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Zulassung von Arzneimitteln

zin, die Homöopathie, die Natur- heilkunde, die anthroposophische Medizin, die kreativenmedizin-the- rapeutischen Arbeitsgebiete — sie alle verfügen über Konzepte, deren Substanz sich jedenfalls mit der naturwissenschaftlich-biologischen Lehrmeinung messen kann. Daß sie nicht herrschen — also weniger Geld, Universitätslehrstühle und pharmazeutisches Industriepoten- tial hinter sich haben — ist eine Frage des gesellschaftlichen Zeit- geistes, nicht jedoch eine Frage der Wissenschaftlichkeit.

0 Anscheinend glaubt Prof.

Aschenbrenner an die Allwissen- heit und allumfassende Weisheit ei- ner zentralistisch organisierten Bundesoberbehörde, dem „Institut für Arzneimittel" beim Bundesge- sundheitsamt in Berlin. Diese Be- hörde hätte

a) die Kompetenz einer Entschei- dungsinstanz im Falle eines wis- senschaftlichen Streites zwischen verschiedenen Lehrmeinungen ge- habt und

b) die Entwicklung weiterer Arz- neimittel erheblich beeinflußt — das heißt, die therapeutische Zu- kunft der Bundesrepublik wesent- lich in der Hand gehabt.

(a) ist aufgrund des Grundgesetzes Artikel 5 III (Freiheit von Wissen- schaft und Forschung), Artikel 12 I (Therapiefreiheit des Arztes) und Artikel 2 I (Freie Arztwahl und freie Medikamentenwahl des Patienten) verfassungsrechtlich nicht zuläs- sig, wie der Staatsrechtler Prof.

Kriele (Zeitschrift Rechtspolitik 1975, 260) nachwies — mit gutem Grund, denn ein wissenschaftlicher Streit kann niemals ex officio, also von einer zentralistischen Behörde

entschieden werden.

(b) hätte die therapeutische Kom- petenz des einzelnen praktizieren- den Arztes nun auch per Gesetz zum nur noch rezeptverschreiben- den Laienhelfer degradiert, dessen therapeutischer Spürsinn, Erfin- dungsgeist und Forschermut in die

Ecke gestellt würden. Die Chance und Aufgabe des einzelnen Arztes, zusammen mit seinem Patienten nach neuen Arzneimitteln zu for- schen, wäre beerdigt gewesen zu- gunsten der von der Bundesober- behörde kontrollierten und letztlich vom Kapital der pharmazeuti- schen Großindustrie gespeisten Forschungsvorhaben. Wirkliche therapeutische Pionierleistungen und die wenigen entscheidenden neuen Erkenntnisse sind in • der Arzneimittelgeschichte der letzten 100 Jahre nun einmal immer von Außenseitern gemacht worden, nicht aber von Angestellten risi- koängstlicher Mammutkonzerne — seien sie industrieller oder wissen- schaftlicher Natur.

Ich unterstelle nicht, daß Prof.

Aschenbrenner die hier skizzierten Konsequenzen des Arzneimittelge- setzes in der Fassung vom 7. Janu- ar 1975 wollte; aber als Vorsitzen- der der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, als der freien Forschung verpflichteter Wissenschaftler und als Arzt, der auch in der pharmakologischen Therapie immer „höchst persönli- che Wertungen" mitberücksichti- gen muß — wenn er überhaupt ein guter Arzt sein will, — in solchen Eigenschaften hätte er die Konse- quenzen mitbedenken müssen.

Dann hätte sein Kommentar ver- mutlich anders ausgesehen und er hätte der jetzt vom Bundestag verabschiedeten Fassung des Gesetzes bei allen Mängeln zuge- stimmt.

Denn die beiden hier skizzierten Gefahren, der die moderne Arznei- mittelgesetzgebung der USA erle- gen ist, sind jetzt gemieden: ze- mentierter Absolutheitsanspruch einer Lehrmeinung und zentralisti- sche Lenkung therapeutischer For- schung.

Einer immer wieder auf die indi- viduelle Verantwortlichkeit und die therapeutische Freiheit des Arztes und seines Patienten po- chenden Ärzteschaft hätte ein Kommentar aus freiheitlicherem

Geiste als der von Prof. Aschen- brenner besser zu Gesicht gestan- den.

Dr. med. Peter Petersen, Professor für

Psychotherapie und Psychiatrie an der Medizinischen

Hochschule Hannover Misburger Straße 35 3000 Hannover 61

III. Schlußwort

Natürlich ist mir bekannt, daß sich Gruppen von Ärzten und auch Nicht-Ärzten auf Grund unter- schiedlicher Motive „aktiv als durchaus mündige Staatsbürger in- itiativ in das Gesetzgebungsverfah- ren eingeschaltet haben". Leider sind sich aber diese Gruppen vor- wiegend nur darin einig, daß sie von der „Schulmedizin" nichts hal- ten (ohne das ausreichend zu defi- nieren) und jeden staatlichen Diri- gismus bzw. jede „staatlich verord- nete Heilsverwaltung" ablehnen. Es geht aus dem von mir zitierten Ausschußbericht nicht hervor, was man unter „den besonderen Thera- pierichtungen" zu verstehen habe, auf welche diagnostischen Grund- lagen sie ihr Handeln aufbauen und welche Methoden der Erfolgs- beurteilung sie anwenden.

Herr Kollege Raeschke, Chirurg und Lehrbeauftragter für soziale Sicherung an der Universität Hei- delberg, bezieht sich expressis ver- bis nur auf die homöopathische und anthroposophische Medizin, in die er sich offenbar „mit naturwis- senschaftlicher Methodik und d. h.

vorurteilslos und exakt" eingear- beitet hat. Genau dieses Vorgehen habe ich sowohl im Beirat „Arznei- mittelsicherheit" beim Bundesmini- ster für Jugend, Familie und Ge- sundheit wie auch bei der Sachver- ständigen-Anhörung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesund- heit des Bundestages für eine ob- jektive Erfolgsprüfung vorgeschla- gen. Prof. Dr. Hans Ritter/Stuttgart (der auch an dieser Anhörung in DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

2330 Heft 37 vom 9. September 1976

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